Loe raamatut: «Mörderisches Vogtland», lehekülg 2

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1 Bio-Seehotel Zeulenroda: Vier-Sterne-Hotel mit Seeblick und eigenem Strand, das sich umweltbewusstes und klimaneutrales Handeln auf die Fahnen geschrieben hat. Trotzdem kommt der Wohlfühlfaktor nicht zu kurz: Das Haus bietet spannende Arrangements sowohl für Tagungen als auch für den Familienurlaub. Passend zum ganzheitlichen Ansatz steht Wellness gleichberechtigt neben kulinarischen Angeboten. Direkt am See gibt es einen Biergarten. Und natürlich (ganz wichtig): Hunde sind willkommen!

2 Talsperren-Weg Zeulenroda: Leichte, aber relativ lange Wanderung (25 Kilometer) rund um das Zeulenrodaer Meer. Die Talsperre gehörte zu einem System von vier Talsperren, das die Trinkwasserversorgung für Ostthüringen sicherte. Am 1. September 2012 wurde der Trinkwasserstatus aufgehoben. Seitdem entsteht dort ein Naherholungsgebiet mit verschiedenen Angeboten. Der Rundwanderweg verläuft gemütlich und eben durch dichten Wald, über Felder und direkt am Seeufer entlang. Für Abwechslung und schöne Ausblicke ist gesorgt.

3 Osterburg Weida: Mit 54 Metern ist der sehr eigentümliche Turm der Osterburg der dritthöchste erhaltene Bergfried Deutschlands (lässt sich gut anbellen). Eine Gedenktafel in der Burganlage erinnert daran, dass hier die Südgrenze des skandinavischen Inlandseises während des Quartärs verlief. Weida gilt als die Wiege des Vogtlandes. Der jährliche Weidsche Kuchenmarkt ist ein Marktfest mit hoher Anziehungskraft.

4 Schlösser in Greiz: Mehr darüber im Beitrag Snuff-Mobbing von Manfred Köhler.

5 Badewelt Waikiki Zeulenroda: Wasserfreizeitparadies mit Südseeflair, Strand-Cocktails und vielen Attraktionen in tropischer Umgebung.

6 Rathaus Zeulenroda: Der klassizistische Bau ist für eine Stadt von der Größe Zeulenrodas … nun, sagen wir mal: Sehr imposant! Angeblich fand sogar Goethe das Gebäude beeindruckend. Auf dem Turm des Rathauses befindet sich eine Themis-Statue (die griechische Göttin der Gerechtigkeit), die von den Einheimischen ›Gette‹ genannt wird.

7 Karpfenpfeifer-Brunnen Zeulenroda: Auf dem Marktplatz vor dem Rathaus zeugt der Karpfenpfeifer-Brunnen von der bekanntesten Sage der Stadt, nach der die Zeulenrodaer Bürger auf die wenig schmackhaften Karpfen der Herren von Greiz gepfiffen haben. Die Fische des Karpfenpfeifer-Brunnens lassen sich übrigens wunderbar anbellen.

8 Pfarrkirche St. Veit Wünschendorf: Die über 1000-jährige Pfarrkirche St. Veit gehört zu den ältesten Kirchen Thüringens. In der Grünanlage um die Kirche kann der Besucher zwischen alten Gräbern seiner Melancholie nachgehen oder einen schönen Blick ins Elstertal genießen.

9 Wünschendorfer Holzbrücke: Die überdachte, ca. 73 Meter lange Holzbrücke über die Weiße Elster wurde 1786 gebaut. Eine erste Anlage geht bereits bis in das 13. Jahrhundert zurück.

10 Kloster Mildenfurth Wünschendorf: Das Kloster Mildenfurth gilt als eines der ältesten Klöster des Vogtlandes und war einst ein beliebter Wallfahrtsort. Leider ist das Kloster in einem renovierungsbedürftigen Zustand. Direkt daneben befindet sich das Atelier des renommierten Künstlers Volkmar Kühn. Mit seinen beseelten Skulpturen im Klostergarten und im Bauch des Klosters hat er ein bizarres Reich geschaffen, das zu Expeditionen einlädt. Mein Herrchen war begeistert. Leider finden sich auch Katzen als Skulpturen und leibhaftig (!) auf dem Gelände.

11 Burgruine Reichenfels (Hohenleuben, Ortsteil Reichenfels): Romantische Ruine mit schöner Aussicht in die vogtländische Landschaft. Ein Museum auf dem Gelände beheimatet unter anderem die älteste und mit rund 35.000 Bänden umfassendste wissenschaftliche Bibliothek heimatgeschichtlicher Literatur des gesamten deutschsprachigen Raumes. Außerdem wartet auf die Besucher das Rasenlabyrinth (besonders gut geeignet zur Paar-Therapie).

Rosa muss weg
Petra Steps

Für Alex war gerade eine Welt zusammengebrochen. Er musste untertauchen, weil er seinen Auftrag nicht erfüllt hatte. Dabei hatte er ein halbes Jahr nichts anderes getan, als sich mit Kartoffeln und der Vogtländischen Kartoffelprinzessin Rosa I. zu beschäftigen, um sie rechtzeitig verschwinden zu lassen. »Schaff mir diese Rosa weg«, hatte ihm der Boss damals am Telefon gesagt. Spätestens beim Treffen der Majestäten im Mai in Rehau sollte sie verschwunden sein. Von ›für immer‹ war keine Rede gewesen. Dafür hätte das Honorarangebot auch gar zu lausig ausgesehen. Überhaupt hatte sich sein Auftraggeber sehr bedeckt gehalten und sich nur auf einen Befehl von höchster Stelle berufen. Jetzt war Alex diese »höchste Stelle« auf den Pelz gerückt. Und sie sprach ein verdächtiges Deutsch mit russischem Akzent. Ihm schwante ganz langsam, worauf er sich eingelassen hatte. Zwar stammte er selbst aus Russland, hatte jedoch das Land als Kind verlassen und war in Deutschland heimisch geworden. Oder das, was man hier heimisch nannte. Die Schule hatte er mit Ach und Krach geschafft, nach einer Lehrstelle vergeblich gesucht. Seit Jahren schlug er sich mit Gelegenheitsarbeiten durch. Mitunter waren das auch schmutzige Jobs wie der Auftrag um diese verdammte Kartoffel-Show. Nach einem halben Jahr Arbeit hatte er gedacht, dass endlich der dicke Umschlag mit der Erfolgsprämie eintreffen würde. So lange hatten ihm die Auftraggeber Zeit gelassen. Statt der Kohle hatte er gestern eine Morddrohung im Briefkasten gefunden. Der Anrufbeantworter hatte die Nachhaltigkeit dieser beunruhigenden Gebärde dokumentiert. Und Rosa war tot.

Alex dachte nach. Irgendetwas musste er bei dem Auftrag falsch verstanden haben, nur was?

Ende November hatte er angefangen, sich mit der Kartoffel, ihren Hoheiten und dem Vogtland zu beschäftigen. Dabei war ihm schnell klar geworden, welchen Stellenwert die tolle Knolle bei den als zänkisches Bergvolk verschrienen Vogtländern hatte. Die Vogtländer – ein Völkchen im Vierländereck Sachsen/Thüringen/Bayern und Böhmen, das nur zögerlich seine Gemeinsamkeiten begriff. Die Kartoffel war ein verbindendes Element, denn als der Alte Fritz den Kartoffelanbau per Dekret verordnet hatte, futterten die Vogtländer längst Kartoffelsuppe und grüne Klöße. Sie waren eine ganz besondere Symbiose eingegangen, die Vogtländer und ihre Erdäpfel. Das hatte Alex bei seinen Recherchen erfahren, denn ohne gründliche Vorbereitung ging er niemals an einen Auftrag.

Er hatte das Internet nach Informationen zu Rosa durchforstet. In schillernden Farben war ihre Wahl zur ersten Kartoffelprinzessin des Vogtlandes beschrieben worden. Die junge Frau war nach dem Studium in ihre Heimat zurückgekehrt und hatte in einer Agrargenossenschaft mit Kartoffelanbau zu arbeiten begonnen. Ihr Wirkungskreis lag in der Nähe des Vogtländischen Knollensteiges 12 , den die Mitglieder des Vogtländischen Knollenrings als lehrreichen Wanderweg zwischen Hundsgrün und Tirschendorf angelegt hatten.

Um die Kartoffelprinzessin kennenzulernen, hatte sich Alex für die über acht Kilometer lange Wanderung angemeldet und war an einem Samstagmorgen extra mit der Vogtlandbahn nach Hundsgrün gefahren. Er hätte sie auch ohne ihr gold-weißes Kleid mit schwarz-gelber Schärpe erkannt. Dafür hatte ihr rotgoldenes Haar gesorgt, das wie brennendes Kartoffelkraut in der Abendsonne leuchtete. Inzwischen wusste er, dass die anderen Hoheiten mit ihren blonden Fäden oder den braunen Pferdeschwänzen langweilig aussahen im Vergleich zur Herrin der Knolle aus dem Vogtland. Damals hatte er aufpassen müssen, dass er sich nicht in sie verliebte, denn so etwas war bei Jobs wie diesem grundsätzlich tabu.

Eine frühere Schulfreundin hatte er zur Kartoffel- und Weinverkostung der besonderen Art in Gündels Kulturstall 13 eingeladen, weil die Prinzessin dort einen ihrer legendären Auftritte hatte. Das war schwer genug bei einer kabarettistischen Veranstaltung, die mit so viel Begeisterung gestaltet wurde. Sie hatte es trotzdem geschafft, durch ihr brillantes Wissen gepaart mit natürlichem Charme. Wegen seiner weiblichen Begleitung war Alex unter den anwesenden Paaren kaum aufgefallen. Eigentlich waren Kartoffeln mit Quark oder Leberwurst und Wein so gar nicht sein Ding, aber er hatte sich im umgebauten Kuhstall wohlgefühlt und es den anderen Gästen gleichgetan. Drei Stunden hatte das Programm gedauert, bei dem die Hausband Vinotheker Kartoffeln und Wein besang oder besprach. Bei der Führung des Hausherrn durch den Weinkeller war Alex wie zufällig mit der Prinzessin ins Gespräch gekommen. Er war sicher, dass Rosa ihn nicht wiedererkennen würde, wegen der Dunkelheit im Gewölbekeller. Und wenn, dann würde er sich etwas einfallen lassen.

Im zweiten Schritt seiner Vorbereitungen hatte er sich um die anderen Hoheiten gekümmert, zumindest virtuell. Er hatte Kartoffelprinzessinnen in Westfalen und im Odenwald gefunden, in Niedersachsen und im Münsterland, in Rotenburg und im Kartoffeldorf Heichelheim bei Weimar. Es gab die Rheinische Kartoffelkönigin und die Bayrische, die Genthiner Hoheit und die Wolfsburger. Einige Regionen hatten gleich beides – Prinzessin und Königin. Und nun sollte es in Rehau die Jubiläums-Wahl der gesamtdeutschen Hoheiten geben. Die Bestimmung des Austragungsortes kam nicht von ungefähr. Im Rehauer Ortsteil Pilgramsreuth 14 soll Hans Rogler 1647 die ersten Kartoffeln im Vogtland angebaut haben. Ein Denkmal gleich neben der Kirche erinnert daran. Alex hatte im Winter eine Recherchetour unternommen. Dabei hatte er sich die beiden Figuren mit dem Kartoffelkorb gut angeschaut. Die Frau buckelt auf den Knien im Acker und liest die Kartoffeln in den Korb. Der Mann steht hinter ihr, auf einen Stock oder ein Grabegerät gestützt. Der große Interpretationsspielraum hatte ihn noch während der Rückfahrt beschäftigt. Alex hatte gelesen, dass der vogtländische Kartoffelanbau sogar noch älter sein könnte, als es die Jahreszahl auf dem Denkmal vermuten ließ. Es hieß, dass der Pilgramsreuther Bauer sein Saatgut aus Roßbach im Ascher Ländchen mitgebracht haben soll, also aus dem böhmischen Zipfel des Vogtlandes. Alex hatte gestaunt, was die Kartoffel im Vogtland lange vor dem Kartoffelbefehl von Friedrich dem Großen im Jahre 1756 für eine Bedeutung hatte. Tatsächlich hatten die Vogtländer als Erste in Deutschland den feldmäßigen Anbau der Kartoffel betrieben und nicht die Preußen, wie es landläufig hieß! Mehr als 100 Jahre früher. Griegeniffte, also Grüne Klöße, Bambes, eine Art Kartoffelpuffer und Kartoffelkuchen frisch aus der Röhre halfen schon gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges, die Hungersnot zu lindern. Clever waren sie, diese Vogtländer, fand Alex. 2012 hatten die Rehauer dem Alten Fritz posthum ihren Ehrenpreis ›Goldene Kartoffel‹ verliehen und damit für Wirbel in ganz Deutschland gesorgt. Dass der Geehrte nicht persönlich erscheinen konnte, war nebensächlich. Es wurde in allen Gazetten über die Vogtländer als Kartoffelpioniere geschrieben, Fernseh- und Rundfunkreporter hatten über das Ereignis berichtet, nur das zählte.

Sein Wissen sollte Alex helfen, als es im Mai ernst wurde. Die Aufgabe war für ihn klar umrissen. Rosa I. sollte weg und den Titel der Deutschen Hoheit nicht erringen. Zum Glück war der Winter mild gewesen, als Alex sich schon einmal in Rehau und Umgebung umgeschaut hatte. Der Große Kornberg 15 hatte wegen des gut sichtbaren Gipfels mit dem ehemaligen Aufklärungsturm der Bundeswehr sein Interesse geweckt. Als er dorthin gefahren war, hatte Schnee gelegen. Alex hatte einen Weg gesucht, auf dem er möglichst nah an den Berg herankommen konnte. Sein Smartphone hatte ihm Auskunft gegeben und den Zugang über Dörflas bei Kirchenlamitz empfohlen. Dort hatte er vergeblich nach einem Parkplatz Ausschau gehalten und seinen Wagen in einer Seitenstraße abgestellt, ehe er den mit einem roten Viereck und einem N markierten Nordweg des Fichtelgebirgsvereins 16 eingeschlagen hatte. Bei der Beschreibung hatte er etwas von einer Ruine namens Hirschstein gelesen. Er hatte erkunden wollen, ob sich die Ruine als Versteck für Rosa eignete. Bei ziemlich miesem Wetter hatte er den Aufstieg durch den Wald begonnen. Der Karte am Fuße des Berges fehlten die Entfernungsangaben. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte er einen Pfeil gefunden, der die Richtung zu den Zigeunersteinen zeigte. Ehe er sich die Frage nach der politischen Korrektheit des Namens stellen konnte, hatte er den Wackelstein 17 entdeckt, neben dem ein dünner Baumstamm lag. Alex kannte Wackelsteine von anderen Orten. Meist waren dort Schilder angebracht, die das Phänomen erklären und Tipps für die Technik zum Bewegen des Steins gaben. Das hatte er hier vermisst. Überhaupt hatte er die Nase voll von dem Fußmarsch, denn eine Ruine, die so weit von der öffentlichen Straße entfernt war, eignete sich kaum als Versteck. Wie hätte er Rosa dorthin bringen sollen, ohne sich verdächtig zu machen? Er war zum Auto zurückgegangen und hatte eine andere Zufahrt zum Berg gesucht.

Unterwegs in Richtung Schönwald war ihm ein Schild mit der Aufschrift Schloss Sophienreuth 18 aufgefallen. Von Weitem war ihm das Gebäude leer erschienen, doch auf dem Weg hatte er ein altes Konzert-Plakat erblickt. Er konnte also nicht sicher sein, dass er im Mai hier allein war. Deshalb war er weitergefahren. Nach kurzer Zeit hatte er bemerkt, wie sein Magen knurrte. Im Örtchen Grünhaid hatte er direkt an der Straße zwei Gaststätten, eine Freizeitanlage und einen Campingplatz 19 entdeckt. Überrascht war er von dem Ferienschiff mitten im Binnenland, das man für seinen Aufenthalt mieten konnte. Er hatte sein Auto auf den Parkplatz gelenkt und sich in das Restaurant auf der gegenüberliegenden Seite begeben. Ein Schnitzel mit Pommes und ein leichtes Weizen später war er weitergefahren, um nahe dem leider geschlossenen Gasthaus Vorsuchhütte am Kornberg zu parken. Beim Mittagstisch hatte er gehört, dass der Aufstieg auf dieser Seite des Großen Kornbergs wesentlich kürzer war, vor allem wenn man die neu geschaffene Skipiste 20 benutzte. An der Kornberghütt’n gleich neben der Piste hatte er sich ein Heißgetränk geholt und beschlossen, die Gegend im Frühjahr weiter zu erkunden. Auf dem Rückweg war ihm die etwas abseits gelegene Unterkunft der Bergwacht Rehau aufgefallen. Dabei hatte er die erste zündende Idee, seit er in der Gegend unterwegs war. Im Mai würde es hier keinen Schnee und keinen Liftbetrieb mehr geben. Die Bergwacht dürfte also keinen Dienst mehr schieben. Er hatte die GPS-Koordinaten der Hütte in seinem Smartphone gespeichert und vergnügt die Heimreise angetreten. Die verbleibende Zeit bis zum Hoheitstreffen im Mai nutzte er für umfangreiche Recherchen und ein paar Begegnungen mit Rosa im Rahmen von größeren Events, bei denen sie ihn möglichst nicht wahrnehmen sollte.

Als er Anfang April nach Rehau zurückgekehrt war, startete er sofort zu einem ersten Rundgang durch die Altstadt. Er wollte die Stadt und das Umfeld recht genau kennen, bevor die Kartoffel-Hoheiten das Terrain in Besitz nehmen und ihre Wettbewerbsaufgaben erfüllen würden. Hatte er auf der Autobahn noch nichts mit dem Schild ›Rehau Modellstadt Bayerns‹ 21 anzufangen gewusst, so war ihm hier schnell klar geworden, dass die Straßen und Plätze ein Ergebnis von Entwürfen auf dem Reißbrett waren. Am Maxplatz befanden sich mehrere Tafeln, die von den großen Stadtbränden berichteten. Nach dem letzten Stadtbrand 1817 war die Stadt neu angelegt worden, was man mit Kenntnis des Stadtplanes genau nachvollziehen konnte. Alex hatte in Erwartung üppiger Spesen im besten Haus am Platz übernachtet, um sich am nächsten Tag auf Museumstour zu begeben. Nach dem Gewaltakt mit Besichtigung der Museen am Maxplatz, der Mechanischen Werkstätte am Angergässchen 22 und des Kunsthauses samt Skulpturengarten 23 hatte er den Abend bei fränkischem Bier und Rehauer Bratwürsten mit Sauerkraut verbracht. Er war früh zu Bett gegangen, denn sein Programm für den nächsten Tag war gespickt mit mehreren Stationen, die er abfahren oder ablaufen wollte.

Sein Weg hatte ihn erneut zum Großen Kornberg geführt. Dort angekommen, hatte er den Aufstieg über die Piste genommen und war so zur Schönburgwarte auf dem Gipfel gelangt. Von der Plattform des Turmes aus war sein Blick zuerst am Horizont entlang und dann ins Tal geschweift. Seine Winterentdeckung war ihm als Versteck für die Kartoffelprinzessin aus dem Vogtland immer noch brauchbar erschienen. Nun musste er nur noch die Rehauer Kartoffeltage abwarten und im passenden Moment zuschlagen. Die Stadt war bereits mit Werbung überhäuft. Überall lagen Faltblätter und hingen Plakate. Jeder wollte irgendwie dabei sein. Am Morgen hatte er sich an der Information im Mehrgenerationenhaus am Maxplatz nach dem Programm der Kartoffeltage und der Hoheiten erkundigt und einen kurzen Ablaufplan erhalten. Höhepunkt des Festes sollte der Samstagabend mit dem großen Fest und der Auszeichnung der Hoheiten sein, doch der würde ohne Rosa stattfinden. Dessen war er ganz sicher. Bis zu seinem großen Auftritt waren es noch knapp sechs Wochen. Die hatte er zu Hause oder mit kleineren Aufträgen verbracht.

Alex war bereits zwei Tage vor den Hoheiten in Rehau angereist und hatte sich die wichtigsten Stationen der Kartoffel-Rallye angeschaut. Einige kannte er schon von seiner Recherchetour. Der Volontärin des Organisationsbüros hatte er bei einer Piña Colada Einzelheiten zu den Aufgaben entlockt. Er konnte kaum fassen, wie einfach das gewesen war. Mit ein paar billigen Komplimenten hatte er sie an die Bar des Hotels eingeladen, als er sie nach einer Besprechung zu den Hotelbuchungen allein in der Lobby gesehen hatte. »Ich warte auf unseren Teamleiter. Wir wollen noch ein paar Dinge für die Wahl der Königin besprechen«, hatte sie ihm bereitwillig erzählt, nachdem er sich zu ihr gesetzt hatte. Der Teamleiter verspätete sich, dafür sprudelten die Neuigkeiten wie aus einer Quelle, und Alex musste sie nur aufsaugen. »Stell dir vor, die müssen ganz blöde Aufgaben erledigen, mit Kunst und so. Was das mit den hässlich braunen Knollen zu tun hat, weiß ich nicht, aber ich esse eh keine Kartoffeln. Und Bilder oder gar Schriftsteller interessieren mich überhaupt nicht. Mein Freund, der fährt eine Harley…«, quasselte sie weiter und nahm die Nachfragen von Alex kaum wahr.

Ein bisschen sehr blond, dachte sich der und hatte nach einem Glas genug von der hirnlosen Schönheit.

An den folgenden Tagen waren die Prinzessinnen und Königinnen nach und nach in Rehau angekommen und hatten sich mit dem Ort und ihren Aufgaben vertraut gemacht. Manche Dinge waren einfach lächerlich, aber bei solchen Veranstaltungen normal. Anfangs war jede Hoheit auf sich selbst gestellt. Dann standen sogenannte kollektivbildende Maßnahmen im Mittelpunkt des Treibens. Zum Abschluss sollten die Hoheiten auf einer interaktiven Karte Standorte des Kartoffelanbaus mit belastbaren Jahreszahlen und Namen eintragen. Das hatte etwas Pennälerhaftes.

Alex hatte Rosa einen ganzen Tag lang so unauffällig wie möglich verfolgt. Die Hoheiten sollten mithilfe ausgewählter Rehauer aus den von zu Hause mitgebrachten Kartoffelrezepten etwas kreieren. Sie musste den Küchenchef vom Mehrgenerationenhaus am Maxplatz nicht lange zum Mitmachen überreden. Die Rehauer Kochkünstler waren durch das Orgbüro unterrichtet und kannten die Anforderungen besser als die Themenadligen, die gerade Neuland betreten hatten. Als der Küchenchef gehört hatte, dass Rosa nahe der Rehauer Partnerstadt Oelsnitz wohnte und arbeitete, sagte er sofort zu. Neben vogtländischer Kartoffelsuppe und Rouladen mit grünen Klößen gehörten Quarkkeulchen als Dessert zu ihrem Drei-Gänge-Menü, das wie die Kreationen der anderen Hoheiten gemeinsam verkostet und bewertet wurde. Zuvor hatte Rosa im Kunsthaus eine Ausstellung mit konstruktiver Kunst besichtigt. Laut Aufgabenstellung war dort ein Kunstwerk auszuwählen, das die Kandidaten in einer schriftlich fixierten Interpretation mit der runden Knolle verbinden sollten. Rosa hatte eine Installation aus verschiedenen geometrischen Figuren ausgewählt und ihnen den Weg der Kartoffel ausgehend von der Entdeckung in Südamerika bis zum heutigen Anbau in fast ganz Deutschland zugeordnet. Mit der konkreten und visuellen Poesie im Kunsthaus hatte der nächste Auftrag nicht unmittelbar zu tun. Rosa vermutete jedoch, dass die Jury durch das Museum oder das Wort Poesie inspiriert worden war. Ein Kartoffelgedicht sollte geschrieben werden, möglichst eins, das man als Liedtext verwenden konnte. Das Dichten lag Rosa nicht so. Die Kartoffel in eigene Verse zu pressen, war ihr deshalb gründlich misslungen. Es war eher ein ›Reim dich oder ich fress dich‹-Gedicht entstanden. »Kartoffeln haben alle gern, egal ob nah oder fern. Die Mama kocht die tolle Knolle, der Papa futtert sich den Bauch ganz volle …« Siegverdächtig klang das nicht, aber die Aufgabe war erfüllt. Im Jugendzentrum sollte sie mindestens sechs Kinder und Jugendliche gleichzeitig mit dem Thema Kartoffel beschäftigen. Dafür hatte sie ein paar Kartoffeln, Pinsel, Stofffarbe und weiße T-Shirts geordert. Sie ließ die Teilnehmer Kartoffelstempel schnitzen und die Shirts damit bedrucken. Alle hatten ihren Spaß. Dann wurden gemeinsam Begriffe gesucht, die mit Kartoffeln in Verbindung standen. Alex hatte unauffällig zugehört, wie die Einheimischen Rosa Worte zuriefen, die sie notierte. Am Ende hatte sie die stattliche Anzahl von 317 Wörtern in ihrem Notizbuch stehen. Das musste erst einmal jemand nachmachen! Bratkartoffeln, Salzkartoffeln, Pellkartoffeln, Kartoffelkönig, Kartoffelhaus, Kartoffelkäfer, Kartoffelacker, Kartoffelsorte, Kartoffelturm … Es gab so viele Kartoffelwörter! Auch ein paar sinnlose Begriffe wie Kartoffelbraut oder Kartoffelreichtum waren dabei. Der Begriff Reichtum hatte Alex wieder an den Grund seiner Anwesenheit erinnert.

Es war bereits dunkel gewesen, als Rosa nach dem abendlichen Treffen der Hoheiten zu ihrer Unterkunft laufen wollte. Sie hatte ihr Zimmer etwas außerhalb gebucht und für den niedrigen Preis lieber ein paar Minuten Fußmarsch auf sich genommen.

Alex hatte in einer Seitenstraße auf die Prinzessin gewartet und ihr einen in Chloroform getränkten Lappen ins Gesicht gedrückt. Es dauerte nicht lange, bis Rosa bewusstlos in seine Arme gesunken war. Er nahm das Fliegengewicht auf den Arm und ging damit die paar Schritte bis zum Auto. Dort setzte er Rosa behutsam auf den Beifahrersitz, schnallte sie an, erneuerte den Chloroformlappen und fuhr mit ihr zur Bergwacht am Kornberg. Bei seinem letzten Besuch hatte er sich auf der Rückseite Zugang verschafft und den Zweitschlüssel mitgehen lassen. Ein paar Lebensmittel hatte er bei seinem Kontrollgang vor zwei Tagen vorsichtshalber hier gelagert. Die Fesseln und den Knebel legte er Rosa ziemlich locker an, denn er wollte sie nur vorübergehend aus dem Verkehr ziehen und nicht umbringen.

Der Ausflug und das Fest am Samstagabend hatten wie von ihm geplant ohne Rosa stattgefunden. Ihr Verschwinden war erst nach der Tour in den Ortsteil Pilgramsreuth aufgefallen. Mitarbeiter des Organisationsbüros hatten sich im Hotel umgehört und erfahren, dass die Kartoffelhoheit ihr Bett in der letzten Nacht nicht benutzt hatte. Rosa war weg, ihr Handy ausgeschaltet. Die Show war ohne sie weitergegangen. Alex hatte sich darauf verlassen, dass sie innerhalb kurzer Zeit am Kornberg gefunden werden würde. Seinen Auftrag glaubte er erledigt, denn die Wahl der Deutschen Kartoffelkönigin konnte Rosa nicht mehr beeinflussen. Das Vogtland hatte wieder einmal verloren. Alex auch, nur wusste er das zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Als er das Hotel verließ, wartete der nächste Gast bereits darauf, dass sein Zimmer frei wurde. Er gehörte zur Journalistenmeute, die deutschlandweit über ein besonderes Ereignis berichtete. Nach der Morddrohung hatte Alex Rosa und Pilgramsreuth in die Internetsuchmaschine eingegeben. Fassungslos hatte er auf die vielen Einträge geblickt. Er hatte mehrere Meldungen gelesen und sich den Rest zusammengereimt. Inzwischen schwante ihm etwas.

Am Tag nach der Krönung hatten sich die Hoheiten erneut auf Pilgramsreuther Flur begeben. Dort wurde das Legen der Kartoffelsorte Rosa mit einem zünftigen Frühschoppen gefeiert. Die Sorte mit der roten Schale und dem weißen Fleisch liebten die Bauern wegen des hohen Ertrags. Trotzdem sollte sie von den Äckern verschwinden. Das Unternehmen Knollo Knollanum hatte viel Geld investiert, um vorhandene Saatkartoffeln aufzukaufen und zu vernichten. Der Kartoffel-Mogul wollte eine Neuzüchtung auf den Markt bringen, an der er etliche Jahre experimentiert hatte. Viele Bauern waren bereits auf seine vollmundigen Versprechen hereingefallen und hatten Rosa fast freiwillig aus ihrem Anbauprogramm verbannt, andere gegen gewisse Geschenke. Nur die Pilgramsreuther hatten sich gegen ihn aufgelehnt, als er Rosa aus dem Katalog gestrichen hatte.

Das alles musste Alex irgendwie entgangen sein. Dafür dauerte es nicht lange, bis Knollo Knollanum den Irrtum seines Kartoffelkillers bemerkt hatte. Statt einer Bezahlung ließ er ihm Morddrohungen schicken. Bei seinen Nachforschungen hatte Alex auch erfahren, was seiner Kartoffelprinzessin widerfahren war. Rosa I. wurde nach drei Tagen in ihrem Gefängnis auf Zeit gefunden. Ihr Tod war der Aufmacher des Lokalblattes. Auch die überregionalen Zeitungen berichteten vom Schicksal der Vogtländerin. Was mit Rosa geschehen war, konnte sich Alex nicht erklären. Die Presse hatte keine Einzelheiten veröffentlicht. Das deutete auf ein Gewaltverbrechen hin. Entweder hatte sie sich saudumm angestellt, oder es gab den großen Unbekannten. ›Es kann nur jemand dort gewesen sein und sie umgebracht haben‹, redete er sich immer wieder ein, denn er hatte sie ja nur vorübergehend aus dem Verkehr ziehen wollen. Alex hatte seinen Auftraggebern nach reiflicher Überlegung ein Angebot gemacht und um eine zweite Chance gebeten, während die Kartoffelsorte Rosa den Siegeszug auf den Feldern um Rehau antrat und seine Beteuerungen lächerlich erscheinen ließ. Das große Geschäft von Knollo Knollanum war erst einmal gescheitert – am Zusammenhalt der Vogtländer in Oberfranken. Gescheitert war auch der Hobbykriminelle Alex, dessen Leiche an einem Saalewehr hängen geblieben war und erst im Hochsommer gefunden wurde.