Die Zitadelle

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Die Zitadelle
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Die Herren von Telkor

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Die Zitadelle

Impressum

Die Herren von Telkor – Die Zitadelle

Daniel Sigmanek

Copyright: © 2019 Daniel Sigmanek

Umschlaggestaltung: © 2019 Daniel Sigmanek

1. Auflage

dietrollhoehle@web.de

Danksagung

Mein besonderer Dank gilt meinem Vater, ohne dessen stets ermutigende Worte und uneingeschränkte Hilfsbereitschaft dieses Werk wohl noch etliche Jahre auf seine Vollendung hätte warten müssen.

Der Sturm

Ein schwerer Donnerschlag durchbrach die friedliche Stille dieses nebligen Nachmittags, erschütterte den dunklen Himmel im Südosten. Tiefe, schwarze Wolken standen am Horizont, bildeten eine finstere, wogende Mauer, die schauriger kaum aussehen konnte und hin und wieder bedrohlich aufleuchtete, wenn ein verästelter Blitz sie durchschlug. Das dumpfe Grollen hielt sich lange in der feuchten, kühlen Luft des beginnenden Herbstes, ehe sein letztes Echo vom monotonen Klang der Wassertropfen eines nahenden Regens übertönt wurde.

Tado befand sich an Deck eines alten, schwarzen Schiffes, das langsam, aber beständig über den weiten, unruhigen Ozean trieb. Drei wuchtige Masten ragten aus dem gewaltigen Rumpf; an jedem waren Segel gehisst: Große, dunkle Leinentücher ohne Verzierungen. Das Schiff gehörte Telkor – nach der Flucht der Troks aus Syphora hatte es einsam und verlassen im Hafen der Eisenfestung gelegen.

Yala, Spiffi und Lukdan befanden sich ebenfalls an Bord. Nach ihrem Sieg über Dulbar waren sie alle für eine Weile frei von jeglicher Anspannung gewesen, allerdings währte ihre Freude über den erfolgreich verhinderten Plan der Magier Telkors nur kurz: Als sie die Nachricht vom Tod Uris‘ erreichte, begann sich erneut ein von Sorgen gewobener Schleier auf ihr Gemüt zu legen. Dabei war es keinesfalls die Hinrichtung der Hohepriesterin, die sie mit Unmut erfüllte, viel schlimmer wog die Zerstörung Akhoums durch die Oberen Vier. Wenn Telkor zu einer derartigen Katastrophe imstande war, dann mochte es nicht lange dauern, bis die Magier neue Mitglieder aussandten, die den missglückten Versuch ihrer Vorgänger fortsetzen und Akhoum, Syphora und Turg diesmal endgültig unterwerfen würden. Dessen war man sich wohl auch in der Eisenfestung bewusst, und so kam es schließlich, dass der Herzog befahl, ein Schiff gen Osten zu senden; keinesfalls jedoch direkt zur Insel der Magier (niemand wäre so töricht, ein derartiges Unterfangen auch nur in Erwägung zu ziehen), doch gab es ein Land jenseits von Telkor: Fallashald. Dort gab es reiche Städte mit mächtigen Armeen, und man hoffte, in den fernen Gefilden Verbündete zu finden. Leider gab es bei diesem Plan ein kleines Problem: Seit vielen Jahren schon stand Fallashald unter Telkors Kontrolle. Ohne Weiteres würde man zu diesem Land also keinen Zutritt erlangen. Daher entschieden sich die neuen Machthaber Syphoras, jenes eine im Hafen der Eisenfestung verbliebene Schiff der Magier zu entsenden. Auf diese Weise sollte es ihnen auch möglich werden, Telkor zu passieren, ohne Verdacht zu erregen, denn die Insel befand sich direkt zwischen Syphora und Fallashald, und aufgrund einiger gefährlicher Strömungen im Süden ließ sie sich nicht sehr weitläufig umfahren.

All das erklärt natürlich keineswegs die Anwesenheit Tados auf diesem Schiff und noch weniger die seiner Gefährten. Nun war es jedoch so, dass er und Spiffi sich schon bald nach dem Sieg über Dulbar auf die Suche nach einer Ozeanassel machten, denn obwohl man sie nach all den Ereignissen nun doch endlich in Syphora willkommen hieß, stieg in ihnen allmählich die Sehnsucht nach Gordonien auf, und mithilfe eines dieser Tiere planten sie, in ihre Heimat zurückzukehren. Ihre Bemühungen blieben jedoch erfolglos. Nirgendwo in den Gewässern, die der Eisenfestung gehörten, wurden derartige Wesen gesichtet, und es dauerte nur wenige Tage, bis sie den Grund dafür einem Bericht zweier Fischer entnehmen konnten. Sie erzählten von einer unangenehmen Begegnung mit einer ganzen Gruppe Ozeanasseln, die ihr Schiff angriffen und es beinahe versenkten, wenn nicht die Kälte der anbrechenden Nacht den Tieren Einhalt geboten hätte. In den Strahlen der untergehenden Sonne hatten die Fischer jedoch eines sehr genau erkennen können: Auf den Köpfen der Wesen prangte das Wappen Telkors. Es blieb zunächst ungeklärt, wovon das plötzliche Interesse der Magier an den Ozeanasseln herrührte, doch außer Frage stand, dass die Tiere schon bald in großer Zahl den Bewohnern Telkors dienen würden.

Tado beunruhigte dieser Umstand. Er hatte vom reisenden Händler erfahren, dass jene Kreaturen ohne Weiteres dazu imstande waren, einen ganzen Ozean in relativ kurzer Zeit zu überqueren, was wiederum Gordonien in ernstzunehmende Gefahr brachte: Wenn die Magier sich dieses Weges bedienten, um die Aufgabe vom Lord des Feuers zu beenden, wäre seine Heimat verloren. Auch das war ein Grund, weshalb er schnellstmöglich nach Hause zurückkehren wollte; vielleicht konnte er die Bevölkerung dort noch rechtzeitig warnen. Dieser Gedanke gab letztendlich auch den Ausschlag, weshalb er den Herzog um Erlaubnis bat, mit auf das eine Schiff zu dürfen. Er hatte die geringe Hoffnung, unterwegs auf eine noch nicht zu Telkor gehörende Ozeanassel zu treffen. Widerwillig wurde ihm und Spiffi gestattet, die gut ausgebildete Truppe Syphoras zu begleiten, solange sie sie nicht bei dem Vorhaben der Eisenfestung behinderten.

Yalas Gründe für die Mitreise auf dem schwarzen Schiff, vor dem sie sich zuerst derart gruselte, dass sie während der ersten Nacht an Bord schlimme Alpträume plagten, unterschieden sich ein wenig von denen Tados und Spiffis. In Syphora fühlte sie sich unwohl; seit ihrer Ankunft in der Eisenfestung war sie von ständigem Unbehagen erfüllt gewesen, wie sie den anderen später erzählte. Nach Akhoum wollte sie nicht zurück – zu viele ungute Erinnerungen verband sie mit diesem Ort. So beschloss sie letztendlich, Tado zu folgen. Außer ihm gab es niemanden, an den sie sich sonst hätte wenden können. Insgeheim war Tado froh über ihre Anwesenheit.

Lukdans Schicksal erwies sich indes als weitaus tragischer. Nach dem Kampf gegen Dulbar und den Krieger Uris‘ verfiel er für einige Tage in eine Art seelische Abwesenheit: Er sprach nicht viel und blieb den ganzen Tag über in der dunklen Unterkunft, die man ihnen nach der Schlacht zur Verfügung gestellt hatte. Nach außen hin besserte sich sein Gemütszustand schließlich, was die Gefährten zunächst positiv stimmte, doch seit sie die Nachricht über die Zerstörung Akhoums erreichte, stieg eine ungeheure Wut in ihm auf, wann immer das Thema Telkor aufkam. Obwohl Tado sich fest vorgenommen hatte, Lukdan in einem passenden Moment nach dem Grund für dessen beschwertes Gemüt zu fragen, konnte er ein ums andere Mal nicht den Mut dazu aufbringen, sodass Yala ihm schließlich zuvorkam. So erzählte er ihnen von Shaktha, Akhoums Ministerin für Spionage. Sie war seine Frau gewesen, und nachdem sie Uris im Zweikampf unterlag, nahm sie sich das Leben, um der Folter der Hohepriesterin zu entgehen. Ihr Tod hatte Lukdans Lebenskraft beinahe ausgelöscht. Als ihn dann noch die Nachricht von der Zerstörung seiner Heimat Akhoum erreichte, stand er endgültig kurz davor, Shaktha ins Jenseits zu folgen. Sein ganzer Lebensinhalt war von den Magiern vernichtet worden, es gab nun nichts mehr, was ihn noch in diesen Landen hielt. Alles, wonach er sich jetzt noch sehnte, war Rache an Telkor zu nehmen. Und nur aus diesem Grund hatte auch er sich der Unternehmung der Eisenfestung angeschlossen, allerdings ohne wie die anderen vorher um Erlaubnis zu fragen; stattdessen war er – den fragenden Blicken der übrigen Besatzung zum Trotz – einfach an Bord gegangen.

So kam es nun, dass die Gefährten die Eisenfestung alle gemeinsam verließen, nur Aluco musste zurückbleiben. Eine Seereise wäre für den Vogel zu beschwerlich gewesen; und dennoch meinte Tado in der ersten Nacht auf dem Schiff das leise Rufen einer Eule gehört zu haben.

Angesichts der näher kommenden finsteren Wolken und des ihnen hinterherstürmenden schlechten Wetters begab sich Tado schließlich unter Deck, denn es behagte ihm nicht, wie sehr das Schiff seit Kurzem schaukelte, und er wollte nicht Gefahr laufen, über Bord zu gehen. So zog er sich in die kleine, fensterlose Kammer zurück, die ihm als Schlafraum diente. Die Besatzung hatte für all die unterschiedlichen Räume des Schiffes merkwürdige Namen, doch Tado fand dies überflüssig und merken konnte er sich die ganzen Bezeichnungen ohnehin nicht.

Eine Kerze brannte auf dem winzigen Tisch, der zwischen dem Bett, auf das Tado sich nun setzte, und der hölzernen Wand eingeklemmt war. Er konnte sich nicht erinnern, sie entzündet zu haben. Es schien ihm keine gute Idee, bei dem starken Seegang eine potentielle Brandquelle in seinem Zimmer zu haben, und so setzte er dazu an, sie zu löschen, als er in diesem Moment ein unheilvolles Leuchten wahrnahm, das seiner Drachenklinge zu entspringen schien. Wollte der Lord des Feuers etwa mit ihm sprechen? Tado behagte der Gedanke, hier auf diesem Schiff inmitten von Menschen, die unter keinen Umständen von der Präsenz des Magiers erfahren durften, eine Unterredung mit seinem Erzfeind zu führen, überhaupt nicht. Andererseits schien der Lord seit seiner Niederlage tatsächlich nicht mehr viel mit dem Rest Telkors zu tun zu haben, und so beschloss Tado letztendlich, ihm eine Chance zu geben. Schließlich konnte er das Gespräch jederzeit beenden.

Langsam führte er die Drachenklinge an die Kerze heran, die ihrerseits auf das Nahen des Schwertes mit einer kleinen Stichflamme in Richtung der Waffe antwortete. Als sich Feuer und Metall trafen, erstrahlte der kleine Raum für einen kurzen Moment in einem gleißenden Licht, Flammen entstanden aus dem Nichts und vereinigten sich zu einem lodernden Ball, dem wenig später die Gestalt des Lords entstieg. Obwohl Tado wusste, dass der Magier in diesem Zustand keinerlei Macht mehr besaß, hatte seine Erscheinung dennoch etwas Furchteinflößendes an sich.

 

„Ich muss zugeben, ich bin ein wenig beeindruckt, dass du all das, was dir seit unserer letzten Begegnung widerfahren ist, so unversehrt überstanden hast“, sagte der Lord anerkennend.

„Und dennoch wird das kaum der Grund sein, weshalb du mit mir sprechen wolltest“, fuhr ihm Tado ins Wort.

„Natürlich nicht“, entgegnete der Magier. „Aber es freut mich, dass du endlich zur Besinnung gekommen bist und den Weg nach Telkor einschlägst. So viel Vernunft hätte ich einem Menschen wie dir gar nicht zugetraut.“

„Du irrst dich“, antwortete Tado, wenngleich die Worte des Lords ein ungutes Gefühl in ihm aufsteigen ließen.

„Unmöglich, und das weißt du“, unterbrach ihn der Lord ein wenig ungehalten.

„Dieses Schiff fährt nicht nach Telkor“, überging Tado die Bemerkung seines Gegenübers. „Es befindet sich auf dem Weg nach Fallashald, einem Land jenseits der Insel, auf die du so verzweifelt zu gelangen versuchst.“

„Ich weiß, wo Fallashald liegt“, gab der Magier zurück. „Ich habe seinerzeit bei der Unterwerfung der dortigen Bevölkerung einen nicht unerheblichen Anteil geleistet.“

Für Tados Begriffe hatte er diese Tatsache ein wenig zu beiläufig geäußert.

„Aber wie dem auch sei“, sprach der Lord weiter. „Dieses Schiff wird Fallashald nie erreichen. Ich bin mir sicher, du hast das Gewitter gesehen, auf das die Besatzung zuhält.“

„Kein Gewitter ist so schlimm, als dass man ihm einen Aufenthalt in Telkor vorziehen würde“, entgegnete Tado.

Ein Ruck ging durch das Schiff. Die Kerze drohte umzukippen. Aufgeregte Stimmen drangen von draußen zu ihnen herein. Vermutlich hatten sie die Unwetterfront soeben erreicht.

„Du bist ein erschreckend gutes Beispiel für die Naivität der Menschen“, sagte der Lord in aller Gelassenheit. Wäre er mehr als nur ein körperloser Geist gewesen, hätte der Magier sich in diesem Moment kaum noch auf den Beinen halten können, so sehr schwankte das Schiff inzwischen. „Nicht, dass mich das allzu sehr überrascht, doch eigentlich hatte ich erwartet, dass du in der Zwischenzeit etwas mehr Weitsicht erlangt hättest. Stürme wie dieser treten in der Gegend um Telkor häufig auf, und nicht selten bringen sie Schiffe, die sich in ihre Fänge begeben, zum Kentern. Das allein wäre sicher kein Grund zur Sorge; Telkors Boote halten solchem Wetter stand. Doch gibt es Dinge in diesem Ozean, die eine weitaus größere Gefahr darstellen als eine stürmische See und die interessanterweise mit großer Vorliebe bei Witterungen wie dieser ihr Unwesen treiben.“

Ein lauter Knall war zu hören, als hätte jemand mit einem gigantischen Hammer den Schiffsbauch eingeschlagen. Tado fuhr erschrocken zusammen, der Lord hingegen zeigte sich geradezu fasziniert. In die Stimmen vom Deck mischten sich Schreie. Irgendetwas musste da draußen vor sich gehen.

„Alle Schiffe, die von Syphora aus nach Osten segeln und Telkor zu umrunden versuchen, geraten unweigerlich in einen jener Stürme, aus dem es kein Entkommen mehr gibt – nur ein schmaler Streifen ruhigen Gewässers verspricht Rettung. Welch ein Zufall, dass dieser Streifen unmittelbar vor den Küsten Telkors liegt und die Insel als eine Art schützender Ring umgibt. Auf diese Weise sind die Magier in der Lage, etliche hundert Kilometer des Ozeans zu kontrollieren, ohne auch nur den Fuß auf ein Schiff setzen zu müssen.

Ihr seid nun bereits zwei Tage unterwegs, Telkor sollte also ein kurzes Stück nordöstlich von hier liegen. Aber ich bin mir sicher, dass der Kapitän über diesen Umstand Bescheid weiß.“

Die Worte des Lords hatten Tado für einen Moment das Schaukeln des Schiffes und die immer lauter werdenden Rufe der Besatzung vergessen lassen. Alles in ihm sträubte sich dagegen, dem Magier zu glauben. So weit durfte es einfach nicht kommen.

„Was ist mit dem Süden?“, versuchte er zu widersprechen. „Es würde uns zwar etwas Zeit kosten, aber wir könnten dem Sturm in südlicher Richtung ausweichen!“

„Wenn du auf ein Riff auflaufen möchtest, kannst du das gerne tun“, antwortete der Lord. „Kein Schiff kann die südlichen Meere durchqueren.“

Ihr Gespräch wurde abrupt unterbrochen, als die Tür zu der kleinen Kammer aufgerissen wurde und der schwache Schein der Kerze auf das erschöpfte und regenüberströmte Gesicht Spiffis fiel. Der Bogenschütze keuchte vor Erschöpfung und hielt sich mit einer Hand am Türrahmen fest, um auf dem schaukelnden Gang nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Tado wäre fast das Herz stehengeblieben. Wenn man ihn hier erwischte, wie er in aller Seelenruhe mit einem Mitglied der Oberen Vier plauderte, würde die Besatzung ihn wahrscheinlich über Bord werfen. Doch der Lord des Feuers handelte geistesgegenwärtiger: In dem Moment, in dem die Tür aufschwang, ging seine Gestalt in Flammen auf und stob als riesiger Berg aus Funken in alle Himmelrichtungen davon. Spiffi prallte erschrocken zurück, als ein Teil des Feuerregens auf ihn niederging.

„Was machst du denn da?“, herrschte er Tado entsetzt an, beruhigte sich jedoch einen Augenblick später und fuhr mit weniger vorwurfsvoller Stimme fort. „Es gibt ein großes Problem! Der Kapitän hat angeordnet, dass jeder Mensch an Bord, der dazu imstande ist, eine Waffe zu führen, sich unverzüglich an Deck einfinden soll!“

Noch unklarer konnte er sich kaum ausdrücken, doch hätte der Bogenschütze ihm die Wahrheit gesagt, wäre Tado wahrscheinlich gar nicht erst aufgestanden. So jedoch folgte er seinem Gefährten hinaus an die frische Luft. Ein kräftiger Wind fegte ihn beinahe von den Beinen, als er unbedarft ins Freie trat und sich ein Bild von der Lage zu machen versuchte. Kalter Regen durchnässte ihn in Sekundenschnelle, er sah den Himmel über sich für einen Moment aufleuchten und zuckte im nächsten Moment unter einem heftigen Donner zusammen. Eines der Segel hatte man versucht, einzuholen; es war misslungen. Die großen Masten ächzten unter der Kraft des Sturmes. Doch das Unwetter schien die Besatzung im Moment weniger zu kümmern. Aus den Fluten rings um das Schiff herum schossen in unregelmäßigen Abständen die finsteren Körper grässlicher Kreaturen empor, verursachten gefährliche Einschläge in der Außenhaut des Bootes oder versuchten, eines der Besatzungsmitglieder zwischen die fingerlangen, messerscharfen Zähne zu bekommen, ehe sie wieder in den mannshohen Wellen verschwanden. Die Wesen hatten ein furchterregendes Aussehen: Wie gewaltige Würmer bohrten sie ihren fein geschuppten, schlangenartigen Körper aus dem Wasser, zwanzig, dreißig Meter hoch, fast bis zu den Spitzen der Schiffsmasten, und wenn ein Blitz den Himmel für kurze Zeit erleuchtete, dann wirkten die Kreaturen mit ihrer großen, kammartigen Rückenflosse wie ein wütender Drache, ehe sie mit gierigem Blick auf ihre Opfer herniederstießen. Es waren Donneraale, uralte Wesen aus den Tiefen des Ozeans, die ihre Beute stets bei starkem Gewitter jagten. Es gab in den Meeren der Welt nicht viele Geschöpfe, die sich auch nur in ihre Nähe wagten. Sogar der Magie Telkors hielten sie stand.

Tado versuchte abzuschätzen, mit wie vielen der Kreaturen sie es zu tun hatten. Dieser Versuch wurde bereits im Keim erstickt, denn zu seiner Rechten tauchten zwei der hungrigen Aale aus den Fluten und erhoben ihre gut drei Meter breiten Körper gen Himmel. Die Länge dieser Ungeheuer ließ sich nicht schätzen, da sie das Wasser niemals zur Gänze verließen, sondern einen Großteil ihres schaurigen Antlitzes stets in der Tiefe verborgen hielten. Eines der beiden Wesen hatte es auf ihn und Spiffi abgesehen. Mit einem zischenden Geräusch ging der Kopf der Bestie auf das Schiff nieder, und das weit geöffnete Maul riss armlange Holzspäne aus dem Deck, als die beiden Angegriffenen sich im letzten Moment zur Seite warfen. Der Bogenschütze schoss einen Pfeil irgendwo in den in der Finsternis des von Gewitterwolken bedeckten Abendhimmels nicht genau abzugrenzenden Gesichtsbereich des Monsters. Der Angriff zeigte nur wenig Wirkung: Die Kreatur zuckte kurz mit ihrem Kopf, wodurch ein herbeilaufender Krieger der übrigen Besatzung von den Beinen geholt wurde und schleuderte im nächsten Moment ihr geöffnetes Maul Spiffi entgegen. Die gelben Augen des Aals glänzten zornig. Tado war derweil wieder auf die Füße gekommen und stieß mit aller Kraft sein Schwert in den nassen, schimmernden Körper der Bestie. Die Klinge verschwand fast bis zum Heft im Leib der unheimlichen Kreatur, die sich daraufhin wutentbrannt und unter Schmerzen aufbäumte. Tado, der noch nicht einmal die Zeit hatte, seine Waffe wieder vollends aus dem Körper des Aals herauszuziehen, wurde hoch in die Luft geschleudert, klatschte gegen eines der vom Wind aufgeblähten Segel und verfing sich dann in einem Gewirr aus Seilen, die einen tödlichen Sturz zurück auf das Deck verhinderten. Die Drachenklinge flog derweil in hohem Bogen ins Meer.

Der Donneraal hingegen gab sich keineswegs geschlagen. Er schnappte mit einer schnellen Bewegung nach Tado; es gab keinen Ort, an den dieser in seinem jetzigen Zustand noch fliehen konnte. So bediente er sich des Goblinzaubers, um die Drachenklinge aus der Tiefe des Ozeans zurück in seine Hand zu rufen. Es überraschte ihn ein wenig, das Schwert absolut trocken vorzufinden. Nichtsdestotrotz würde ihm die Waffe in dieser Situation weniger helfen, als er gehofft hatte; die Seile, die ihn eben noch retteten, machten es ihm nun unmöglich, auch nur zum Schlag auszuholen.

In diesem Moment registrierte er für den Bruchteil einer Sekunde ein kleines, silbernes Etwas von unten heranzischen, und im nächsten Augenblick durchschlug das merkwürdige Objekt den Unterkiefer des Donneraals, hämmerte der Bestie einen Zahn aus dem Maul und blieb dann irgendwo im oberen Teil des Kopfes stecken. Der Einschlag war derart heftig, dass das Monster durch die Wucht des Geschosses nach hinten gerissen wurde und mit einem lauten Klatschen, das sogar das tiefe Grollen des Donners übertönte, in den Fluten versank.

Bei dem rettenden Objekt handelte es sich um einen Pfeil Yalas. Das Mädchen sah aus, als würde es bereits seit Stunden gegen die Bestien kämpfen, was zwar nicht stimmte, Tado aber dennoch ein schlechtes Gewissen bereitete. Er kam sich geradezu lächerlich hilflos vor, und dieses Gefühl besserte sich nur wenig, als er sich endlich aus den Seilen befreien konnte und wieder festen Boden unter die Füße bekam.

„Was sind das für Monster?“, fragte er sie, nachdem er sich für seine Rettung bedankt hatte.

„Ich weiß es nicht“, antwortete Yala. Ihre Worte wurden vom peitschenden Wind fast vollständig verschluckt. „Sie griffen uns an, als wir in dieses Gewitter gerieten. Adbural sagte, dass es keinen anderen Weg gäbe, als uns den Kreaturen zu stellen.“

Adbural war der Kapitän des Schiffes; ein sehr strenger, kräftiger Mann, der üblicherweise keinen Widerspruch duldete.

„Aber das ist Wahnsinn!“, warf Spiffi ein. Die Gefährten mussten ihre Köpfe einziehen, als ein Teil der Reling – von einem der Donneraale aus dem Schiff gerissen – über sie hinwegflog. „Sie werden das ganze Boot versenken, wenn der Kampf so weiter geht!“

„Und wenn die Ungeheuer es nicht tun, wird uns spätestens der Sturm vernichten“, ergänzte Tado. „Wir sollten zumindest versuchen, aus dem Unwetter herauszukommen.“

Natürlich geisterten noch immer die Worte des Lords in seinem Kopf herum, dass es nur möglich wäre, die stürmische See zu umgehen, wenn man sich in die schützenden Gewässer Telkors begäbe. Doch er hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, immerhin wäre es nicht das erste Mal, dass der Magier sich irrte.

„Die anderen Mitglieder der Besatzung meinen, es sei unmöglich, dem Sturm zu entkommen“, zerstörte Yala seinen letzten Strohhalm. „Doch ich befand mich gerade auf dem Weg zu Adbural, um ihn diesbezüglich zu befragen. Er scheint irgendetwas zu verbergen. Ich bin sicher, dass er mehr über diese Kreaturen weiß, als er zugibt.“

So setzten sie den Weg zum Kapitän zu dritt fort. Alle Decks des Schiffes waren vom Regen und den Wassermassen, die die Donneraale ununterbrochen bei ihrem Angriff an Bord schwemmten, glatt geworden, sodass sie bei dem starken Wellengang kaum vorankamen. Immer wieder wichen sie den Körpern der schwarzen Monster aus, und einmal mussten sie mitansehen, wie eine der Bestien zwei Besatzungsmitglieder kurzerhand verschlang. Die Krieger an Bord dieses Schiffes trugen fast alle einen metallenen Speer, der sich im Kampf gegen diese Art von Feind als überraschend wirkungsvoll erwies. Leider wurden nicht wenige von ihnen entwaffnet, sobald sie einen Treffer landen konnten, denn das Kriegswerkzeug blieb in den Leibern der Donneraale stecken und wurde den Männern aus den Händen gerissen, sobald die Bestien sich aufbäumten. Einige hatten sich mit Armbrüsten gerüstet; unglücklicherweise schränkte das Unwetter die Funktionsfähigkeit dieser Waffen erheblich ein; der starke Regen und das Schaukeln des Schiffes erschwerten Zielen und Nachladen gleichermaßen.

 

Ein schwarzer Schatten tauchte zur Linken aus dem Wasser auf; so dicht am Schiff, dass dieses durch die entstehende Welle gefährlich Schlagseite bekam und die Gefährten von den Füßen geholt wurden. Es handelte sich auch hierbei um einen Donneraal, doch er schien weitaus zorniger zu sein als die anderen Geschöpfe um ihn herum, denn er ließ ein markerschütterndes Brüllen vernehmen und stürzte sich mit erbarmungsloser Gewalt auf seinen scheinbar einzigen Widersacher herab. Dieser hielt der Bestie seine Waffen entgegen, als plante er allen Ernstes, den Angriff des Aals abzuwehren. Das Monster stieß seinen Kopf mit aller Macht dem einen Krieger entgegen, das Maul ungeöffnet; offenbar hatte es eine solche Wut auf sein Opfer, dass es den Mann einfach noch nur zerquetschen wollte. Das Haupt des Donneraals krachte gegen die gezähnten Klingen der beiden Säbel, die der Krieger schützend vor seinen eigenen Körper hielt. Erst jetzt bemerkte Tado, dass es sich bei dem Mann um Lukdan handelte. Der Getroffene wankte unter dem Aufprall, und der Kopf der Bestie drängte ihn zurück, ließ ihn über den glatten Boden schlittern und drückte ihn schließlich an den mittleren der drei Masten. Die Klingen hatten sich tief in das Fleisch des Aals gebohrt. Noch immer hielt Lukdan seinen Kontrahenten auf Distanz, wenn auch nur auf sehr kurze: Er stand mit dem Rücken zum rauen Holz des Mastes, die zerschundenen Hände an seinen gestreckten Armen umklammerten die Hefte der Säbel mit eisernem Griff. All sein Können musste er aufbringen, um den Kopf der Bestie von sich fernzuhalten. Er versuchte, sich mit der Kraft seiner Beine vom Mast wegzudrücken und die Kreatur auf diese Weise ein Stück zurückzudrängen; es misslang. Nachdem sie ein paar Sekunden in dieser Pattsituation, in der keiner der Kontrahenten den anderen zu überwältigen vermochte, verharrt hatten, setzte nun auch der Donneraal dazu an, seine Taktik zu ändern: Mit einem Ruck öffnete er sein übergroßes Maul. Doch auch dieser Versuch schlug fehl. Lukdan wurde durch die plötzliche Bewegung nicht etwa entwaffnet; er hielt seine Klingen so fest umklammert, dass der Aal sich einen großen Teil seines Gesichtes aufschlitzte und dunkles Blut über das Deck zu fließen begann. Außerdem bot sich dem Krieger nun die Chance, aus der potentiell tödlichen Klemme zwischen dem Kopf des Wesens und dem Mast hinter ihm zu entkommen. Mit einer schnellen Bewegung brachte er sich neben den Donneraal und stach ihm die Säbel in das rechte Auge. Das Monster riss seinen eigenen Kopf zurück, vergrößerte damit die Wunde, entging aber auf diese Weise einer weiteren Attacke seines Widersachers. Blind vor Wut stürzte sich der Aal ein weiteres Mal auf Lukdan. Dieser ließ sich fallen und stach seine Klingen von unten in den Leib der Bestie. Der Angriff des Monsters lief ins Leere, doch den Schwung seiner eigenen Bewegung konnte es nicht mehr abfangen. So glitt der Körper des Donneraals ungebremst über die Säbel seines Widersachers und zog sich zwei tiefe Wunden an der Unterseite seines schlangenförmigen Körpers zu, jede etwa zehn Meter lang. Die Bestie brachte es nur noch zu einem krampfartigen Zucken, ehe ihr Leib leblos auf das Deck klatschte.

In diesem Moment trafen die Gefährten bei Lukdan ein. Fassungslos starrte Spiffi auf den toten Donneraal. Es war das erste Mal, dass der Bogenschütze Zeuge der gewaltigen Kräfte des Kriegers wurde.

„Es sind zu viele“, sagte dieser schließlich, als er die Anwesenheit der Gefährten bemerkte. Aalblut bedeckte sein Gesicht größtenteils, doch der starke Regen spülte es langsam, aber stetig davon. „Einundzwanzig griffen uns an, mittlerweile sind es nur noch siebzehn, allerdings ist bereits ein Drittel der Besatzung den Bestien zum Opfer gefallen. In spätestens einer halben Stunde wird dies hier nur noch ein Geisterschiff sein.“

„Aus diesem Grund sind wir auf dem Weg zu Adbural“, sagte Tado.

„Ich glaube, wenn er etwas an unserer Situation ändern könnte, hätte er das bereits getan“, entgegnete Lukdan. „Aber vielleicht kann er uns wenigstens sagen, womit wir es hier zu tun haben.“

So setzten sie ihren Weg zu viert fort. Einige Besatzungsmitglieder machten sich daran, den toten Donneraal mit ihren Speeren ins Meer zurückzuhieven, denn das Schiff drohte aufgrund des großen Gewichts des Monsters zu kentern. Als der Körper der Kreatur in den Fluten versank, wurde er beinahe augenblicklich von seinen Artgenossen zerfleischt. Dadurch konnte die Besatzung für einen Moment durchatmen.

Der Kapitän befand sich am Bug des Schiffes. Mächtige Wellen brachen sich hier, schleuderten ihre Schaumkronen über die Reling aufs Deck und übertönten die Rufe der Männer, die sich, ein wenig überrascht vom plötzlichen Verschwinden der Ungeheuer, aufgeregt über das Wasser beugten, um nach ihren Widersachern Ausschau zu halten. Lange brauchten sie nicht zu warten. Der tote Donneraal vermochte den Hunger der übrigen siebzehn Bestien nur kurz zu stillen, und im nächsten Moment schossen wieder die ersten schlangenförmigen Körper aus dem windgepeitschten Meer.

Lukdan erreichte Adbural als erster.

„Was genau sind das für Kreaturen, die unser Schiff angreifen?“, rief er ohne Umschweife oder Worte des Respekts.

Der Kapitän wandte sich für einen Moment vom Kampfgeschehen ab, offenbar verwirrte ihn die Frage ein wenig.

„Es sind Donneraale!“, antwortete er dann, und seine Stimme schien die einzige an Bord zu sein, die tatsächlich in der Lage war, dem Lärm der tosenden See die Stirn zu bieten. „Sie jagen ihre Beute bei Gewitter! Stellt euch ihnen lieber, als mir derartige Fragen zu stellen!“

Spiffi wollte etwas sagen, doch als er den Mund öffnete, bekam er einige Tropfen des aufgeschäumten Salzwassers vom Ozean in den Hals und musste husten.

„Ein Kampf ist zwecklos!“, entgegnete Yala. Sie schrie fast, und dennoch wurde ihre Stimme fast vollständig vom Sturm davongetragen. „Solange wir in diesem Sturm gefangen sind, können wir nichts gegen sie ausrichten!“

„Wenn der Sturm nicht wäre, würden uns auch keine Aale angreifen!“, ereiferte sich Adbural. „Doch es gibt keinen Ausweg aus dem Unwetter! Wir haben keine andere Wahl, als unsere jetzige Lage durchzustehen!“

Ein Donneraal fuhr auf den Kapitän herab. Dieser wich dem Angriff in letzter Sekunde aus, wurde jedoch von der Erschütterung, die der Kopf der Bestie hervorrief, als sie ihr Ziel verfehlte und auf das Schiff knallte, zu Boden gerissen. Mit einer wütenden Bewegung kam er wieder auf die Beine und rammte dem Monster seinen Speer in die Seite. Ein Pfeil Spiffis ließ die Kreatur endgültig zurückweichen und sich für einen kurzen Moment ins Meer zurückziehen.

„Der Sturm kam aus Südosten!“, ergriff Lukdan erneut das Wort. „Warum weichen wir ihm nicht in irgendeine andere Richtung aus?“

„Überall sonst erwartet uns der Tod, dies ist die einzige schiffbare Route!“, erwiderte der Kapitän. Zwei Donneraale tauchten links und rechts vom Bugspriet auf. Die Besatzung nahm sie sofort unter Beschuss.