Loe raamatut: «Grundrechte», lehekülg 6

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2. Persönlicher Schutzbereich

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Die Eröffnung des persönlichen Schutzbereichs prüfen Sie in drei Schritten:

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Denken Sie noch einmal daran: Das Prüfungsschema dient Ihnen nur als Orientierung. Auf einzelne Prüfungsschritte brauchen Sie nur dann näher einzugehen, wenn sie in Ihrer Fallbearbeitung problematisch und daher erörterungsbedürftig sind! Keinesfalls dürfen Sie das Schema in Ihrer Falllösung stur abarbeiten.

a) Grundrechtsfähigkeit
aa) Begriff

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Im ersten Schritt prüfen Sie die Grundrechtsfähigkeit der Person(en), die in dem zu prüfenden Freiheitsrecht möglicherweise verletzt ist/sind.

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Grundrechtsfähig ist jeder, der generell Träger von Grundrechten sein kann.

Für die Frage, ob eine Person grundrechtsfähig ist, ist damit eine abstrakte, d.h. vom konkreten Einzelfall unabhängige Betrachtung maßgeblich.

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Wiederholen Sie ggf. an dieser Stelle die zivilrechtliche Rechtsfähigkeit!

Materiell-rechtlich betrachtet, entspricht die Grundrechtsfähigkeit der Rechtsfähigkeit im Zivilrecht.

Beispiel

Ein Nichtdeutscher im Sinne des Art. 116 GG ist grundrechtsfähig, weil er generell Träger von Grundrechten (z.B. Art. 4, Art. 2 Abs. 2 S. 1, Art. 2 Abs. 1 GG) sein kann. Dass er hinsichtlich der Deutschengrundrechte (z.B. Art. 8 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG) nicht berechtigt ist, ist (erst) eine Frage seiner Grundrechtsberechtigung (s.u. Rn. 99 ff.).

bb) Grundrechtsfähige Personen

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Generell können sowohl natürliche als auch juristische Personen grundrechtsfähig sein.

(1) Natürliche Personen

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Grundrechtsfähig sind zunächst natürliche Personen, d.h. Menschen.[2]

(a) Dauer der Grundrechtsfähigkeit

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Die Grundrechtsfähigkeit natürlicher Personen beginnt grundsätzlich mit der Vollendung der Geburt und dauert bis zum Tod. Abweichend hiervon hat das Bundesverfassungsgericht die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 GG auch beim Nasciturus (werdendes Leben) angewendet.[3] Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht ein postmortales Persönlichkeitsrecht anerkannt.[4] Hiernach endet die staatliche Verpflichtung, den Einzelnen gegen Angriffe auf seine Menschenwürde zu schützen, erst nach Ablauf eines angemessenen Zeitraums nach dem Tod.

(b) Personenmehrheit

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Nach den bisherigen Ausführungen wissen wir, dass einzelne natürliche Personen grundrechtsfähig sind. Nun stellt sich aber die Frage, wie der Fall zu beurteilen ist, wenn sich mehrere natürliche Personen zusammenschließen. Grundrechtsfähig sind in diesem Falle – nach den bisherigen Erörterungen – unproblematisch die einzelnen natürlichen Personen als Mitglieder der Personenmehrheit. Grundrechtsfähig könnte aber auch die Personenmehrheit selbst sein.

Beispiel

D, E und F bilden hobbymäßig eine Musikband. Meist musizieren sie stundenlang am Wochenende in der Wohnung des D. Der Vermieter des D wohnt unmittelbar unter D und ist über die musikalischen Aktivitäten seines Mieters wenig erfreut. Daher will er das Musizieren am Wochenende zukünftig weitestgehend unterbinden.

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Schließen sich mehrere natürliche Personen zu einer schlichten Personenmehrheit zusammen, ist diese Personenmehrheit nicht grundrechtsfähig. Grundrechtsfähig sind nur die einzelnen Mitglieder dieser schlichten Personenmehrheit. In unserem Beispielsfall (Rn. 81) ist die Musikband als schlichte Personenmehrheit daher selbst nicht grundrechtsfähig. Die einzelnen Bandmitglieder D, E und F können sich demgegenüber jeweils selbständig u.a. auf das Grundrecht auf Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 Var. 1 GG berufen (beachte hier die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte!).

(2) Juristische Personen des Privatrechts

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Im Gegensatz zu schlichten Personenmehrheiten können sich inländische juristische Personen gemäß Art. 19 Abs. 3 GG auf Grundrechte berufen, soweit die Grundrechte ihrem Wesen nach auf die juristische Person anwendbar sind. Art. 19 Abs. 3 GG begründet somit eine eigene Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen.

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In der Fallbearbeitung ist Art. 19 Abs. 3 GG immer dann von Bedeutung, wenn eine überindividuelle Person eigene Grundrechtsverletzungen geltend macht.

Beispiel

E und F aus dem Beispiel oben (Rn. 81) arbeiten beide als angestellte Elektriker. Eines Tages beschließen sie, sich gemeinsam beruflich selbständig zu machen. Hierfür gründen sie eine OHG. Den Beitrag, den sie für das laufende Kalenderjahr an die Handwerkskammer entrichten sollen, halten sie für überhöht. Überhaupt halten sie die Mitgliedschaft in der Kammer an sich für völlig überflüssig.

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Ob sich eine juristische Person auf Art. 19 Abs. 3 GG berufen kann, prüfen Sie in drei Schritten: Im ersten Schritt untersuchen Sie, ob es sich bei der Personenmehrheit um eine juristische Person i.S.d. Art. 19 Abs. 3 GG handelt. Der in Art. 19 Abs. 3 GG verwendete Begriff der „juristischen Person“ ist ein verfassungsrechtlicher Begriff, der weiter gefasst ist als der einfach-gesetzliche Begriff der „juristischen Person“. Während der einfach-gesetzliche Begriff der „juristischen Person“ lediglich vollrechtsfähige Personenmehrheiten erfasst, umfasst der verfassungsrechtliche Begriff der „juristischen Person“ sowohl jede Personenmehrheit, die nach dem einfachen Recht Vollrechtsfähigkeit (z.B. rechtsfähiger Verein, GmbH, AG) oder Teilrechtsfähigkeit (z.B. GbR, OHG) besitzt, als auch sonstige Personenmehrheiten, sofern sie eine hinreichende Selbständigkeit und gefestigte innere Organisation aufweisen, die eine einheitliche Willensbildung und -bekundung nach außen hin ermöglichen.[5] Für unser Beispiel oben (Rn. 83) bedeutet dies, dass die von E und F gegründete OHG keine schlichte Personenmehrheit, sondern vielmehr eine juristische Person i.S.d. Art. 19 Abs. 3 GG ist, so dass die erste Voraussetzung des Art. 19 Abs. 3 GG vorliegt.

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Im zweiten Schritt gehen Sie der Frage nach, ob es sich bei der juristischen Person um eine inländische Personenmehrheit handelt, denn nur inländische juristische Personen können sich auf Art. 19 Abs. 3 GG berufen. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die juristische Person ihren Sitz, und zwar den Sitz ihrer Hauptverwaltung, im Inland, d.h. im Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland, hat (sog. Sitztheorie). In unserem Beispiel oben (Rn. 83) ist diese Voraussetzung ohne weiteres zu bejahen. – Juristische Personen, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der EU haben, müssen wegen des Anwendungsvorrangs der Grundfreiheiten im Binnenmarkt (Art. 26 Abs. 2 AEUV) und des allgemeinen Diskriminierungsverbotes wegen der Staatsangehörigkeit (Art. 18 AEUV) den inländischen juristischen Personen gleichgestellt werden.[6] Hätten E und F in unserem Beispiel oben (Rn. 83) eine der OHG vergleichbare Handelsgesellschaft in einem Mitgliedstaat der EU gegründet, dürfte diese Gesellschaft im Inland nicht schlechter als die nach deutschem Gesellschaftsrecht gegründete OHG behandelt werden; ihr müsste vielmehr derselbe Grundrechtsschutz wie der nach deutschem Gesellschaftsrecht gegründeten OHG gewährt werden.

Hinweis

Bei der vom Bundesverfassungsgericht nunmehr vollzogenen Erstreckung der Grundrechtsberechtigung auf juristische Personen aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union handelt es sich um eine europarechtlich veranlasste Anwendungserweiterung des deutschen Grundrechtsschutzes. Gegen diese Anwendungserweiterung könnten zwar der eindeutige Wortlaut des Art. 19 Abs. 3 GG (die Formulierung „inländisch“ bezieht sich auf das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland) sowie der Sinn und Zweck des Art. 19 Abs. 3 GG sprechen.[7] Für die Anwendungserweiterung werden aber die folgenden zwei Gründe angeführt:[8] Zum einen wirke sich die Anwendungserweiterung hier ausschließlich zugunsten der ihren Sitz im EU-Ausland habenden Grundrechtsträger aus und sei daher nicht von vornherein unzulässig; zum anderen zwinge der Grundsatz des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts dazu, dass gegenläufige mitgliedstaatliche Normen (einschließlich Normen des Verfassungsrechts) bis zur Grenze der Identität des Grundgesetzes (Art. 23 Abs. 1 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG bzw. Art. 4 Abs. 2 AEUV)[9] unangewendet bleiben müssen. Da die Anwendungserweiterung der Grundrechtsberechtigung auf juristische Personen mit Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union die Identität des Grundgesetzes nicht verletze, müsse Art. 19 Abs. 3 GG europarechtskonform ausgelegt und angewendet werden.

Beachten Sie, dass juristische Personen aus Nicht-EU-Staaten grundsätzlich nicht grundrechtsfähig sind. Auf sie ist Art. 19 Abs. 3 GG nach seinem Wortlaut nicht anwendbar. Die Privilegien, die juristischen Personen aus EU-Mitgliedsstaaten infolge gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben zuteil werden, gelten für sonstige ausländische juristische Personen nicht. Eine Ausnahme ist jedoch hinsichtlich der sog. Justizgrundrechte anerkannt.[10]

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Auf die Staatsangehörigkeit der Personen, die sich zu einer juristischen Person i.S.d. Art. 19 Abs. 3 GG zusammengeschlossen haben, kommt es nicht an. In unserem Beispiel oben (Rn. 83) wäre es danach für die Qualifizierung der OHG als inländische juristische Person unerheblich, wenn z.B. E ägyptischer Staatsangehöriger wäre und F die chinesische Staatsangehörigkeit besäße.

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Im dritten Schritt untersuchen Sie, ob das Grundrecht, auf das sich die inländische juristische Person beruft, „seinem Wesen nach“ auf diese inländische juristische Person anwendbar ist. Die wesensmäßige Anwendbarkeit setzt zunächst voraus, dass das betreffende Grundrecht eine korporative Seite aufweist, d.h. kollektiv ausgeübt werden kann. Eine kollektive Seite in diesem Sinne ist z.B. bei den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1, Art. 9, Art. 12 Abs. 1, Art. 13, Art. 14 Abs. 1, Art. 101 Abs. 1 S. 2, Art. 103 Abs. 1 GG anerkannt. In unserem Beispiel oben (Rn. 83) steht das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG in Rede. Es kann kollektiv ausgeübt werden.

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Ob ein Grundrecht seinem Wesen nach auf juristische Personen anwendbar ist, hängt des Weiteren entscheidend davon ab, ob die Grundrechtsgewährleistungen auch von einer juristischen Person selbst wahrgenommen werden können. Dies ist der Fall, wenn sich die juristische Person in einer „grundrechtstypischen Gefährdungslage“, die mit der Lage einer natürlichen Person vergleichbar ist, befindet.[11] Das in Rede stehende Grundrecht darf daher weder an die physische Existenz noch an die natürlichen Eigenschaften des Menschen anknüpfen. In unserem Beispiel oben (Rn. 83) kann sich die OHG auf die Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 9 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG berufen. Als Pflichtmitglied in der Handwerkskammer befindet sich die OHG in einer typischen Gefährdungslage, die der Lage vergleichbar ist, wenn eine Einzelperson Pflichtmitglied in der Kammer ist. Die möglicherweise verletzten Grundrechte knüpfen weder an die physische Existenz noch an die natürlichen Eigenschaften des Menschen an.

(3) Juristische Personen des Öffentlichen Rechts
(a) Grundsatz

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Die Grundrechte binden gemäß Art. 1 Abs. 3 GG die gesamte (deutsche) öffentliche Gewalt. Demzufolge sind juristische Personen des öffentlichen Rechts (Körperschaften des öffentlichen Rechts, Anstalten und Stiftungen), die hoheitliche Aufgaben wahrnehmen, nicht grundrechtsfähig. Hierzu gehören etwa kommunale Gebietskörperschaften (Länder, Kommunen oder Gemeinden),[12] öffentlich-rechtliche Sparkassen,[13] Innungen nach der Handwerksordnung, gesetzliche Krankenkassen,[14] Rentenversicherungsträger[15] etc.

Beispiel

Die Gemeinde H liegt in der Nähe eines genehmigten Planungsgebiets für Braunkohletagebau in NRW. Der Gemeinderat beschließt, dass sich die Gemeinde zur generellen Gegnerin von Braunkohle als Energiequelle erklärt. Stattdessen will sich die Gemeinde für erneuerbare Energien einsetzen. Die Rechtsaufsichtsbehörde beanstandet den Beschluss des Gemeinderates. H fühlt sich in ihrem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG verletzt. Zu Recht? – Eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG kommt nur in Betracht, wenn H Träger von Grundrechten ist. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist H Teil der Exekutive, so dass sie sich nicht auf Grundrechte berufen kann. Sie fühlt sich demnach zu Unrecht in ihrem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG verletzt.

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Dass juristische Personen des öffentlichen Rechts nicht grundrechtsfähig sind, hat das Bundesverfassungsgericht ursprünglich damit begründet, es sei mit dem Wesen der Grundrechte unvereinbar, wenn die öffentliche Gewalt gleichzeitig Träger und Adressat von Grundrechten sei (sog. Konfusionsargument).[16] Hiergegen ist in der Literatur jedoch eingewendet worden, die öffentliche Gewalt stelle keinen monolithischen Block dar; vielmehr könnten juristische Personen des öffentlichen Rechts in unterschiedlichen Rechtspositionen durchaus Träger einerseits von Rechten und andererseits von Pflichten sein.[17] In seiner jüngeren Rechtsprechung stellt das Bundesverfassungsgericht zur Begründung der fehlenden Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts auf die Funktion einer juristischen Person des öffentlichen Rechts ab und führt dazu aus, die juristische Person handele aufgrund gesetzlicher Zuständigkeiten und nicht in Wahrnehmung von Freiheit. Bei einem Übergriff durch ein anderes Organ der öffentlichen Gewalt gehe es der Sache nach daher um einen Kompetenzkonflikt und nicht um einen Eingriff in subjektive Rechte.[18]

(b) Ausnahmen

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Der Grundsatz, dass juristische Personen des öffentlichen Rechts nicht grundrechtsfähig sind, gilt jedoch nicht ausnahmslos; vielmehr sind drei Ausnahmen anerkannt, die Sie unbedingt kennen müssen:

(aa) Justizgrundrechte

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Die erste Ausnahme betrifft die Geltung der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG und der übrigen Justizgrundrechte (s.u. Rn. 655 ff.).[19]

Beispiel

Die Stadt B baut einen neuen Bahnhof. Die mit der Projektplanung beauftragten Architekten berechnen die Statik des Vordachs versehentlich falsch. Infolge dieses Fehlers stürzt das Vordach kurz vor der Eröffnung des Bahnhofs ein. Die Stadt B nimmt die Architekten gerichtlich in Anspruch. – Um ihre zivilrechtlichen Ansprüche gegen die Architekten gerichtlich verfolgen zu können, kann sich die Stadt B z.B. auf die auch für sie geltende Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG berufen.

(bb) Juristische Personen des öffentlichen Rechts im formellen Sinne

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Die zweite Ausnahme betrifft die Geltung der Grundrechte zugunsten sog. juristischer Personen des öffentlichen Rechts im formellen Sinne. Ihnen wird der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verliehen, ohne dass sie jedoch hoheitliche Aufgaben wahrnehmen. Gerade weil sie keine hoheitlichen Aufgaben wahrnehmen, kann ihnen die Grundrechtsfähigkeit nicht abgesprochen werden.

Beispiel

Eine juristische Person des öffentlichen Rechts im formellen Sinne ist das Bayerische Rote Kreuz. Es ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die jedoch keine hoheitlichen Aufgaben wahrnimmt.

(cc) Grundrechtsdienende juristische Personen des öffentlichen Rechts

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Die wohl bekannteste und wichtigste Ausnahme betrifft die Geltung bestimmter Grundrechte zugunsten sog. „grundrechtsdienender“ juristischer Personen des öffentlichen Rechts. Diese juristischen Personen nehmen gesetzlich zugewiesene Aufgaben wahr, die einem unmittelbar durch bestimmte Grundrechte zugewiesenen Lebensbereich zuzuordnen sind. In diesem Bereich dienen die juristischen Personen des öffentlichen Rechts der Grundrechtsverwirklichung des Einzelnen und verteidigen die Grundrechte in einem Bereich, in dem sie gegenüber der öffentlichen Gewalt eigenständig und unabhängig sind.[20] Da sie sich insoweit in einer sog. grundrechtstypischen Gefährdungslage befinden,[21] können sie sich auf das betreffende Freiheitsrecht berufen.

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Zu den grundrechtsdienenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts gehören zum einen die staatlichen Universitäten sowie deren Fakultäten.

Beispiel

Staatliche Universitäten, die u.a. die freie wissenschaftliche Betätigung der dort Tätigen gewährleisten sollen, sind Träger des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 Var. 2 GG und können grundsätzlich Eingriffe in ihre organisatorischen Strukturen abwehren, die einer freien wissenschaftlichen Betätigung entgegenstehen.[22]

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Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten können sich auf das Grundrecht auf Rundfunkfreiheit[23] und auf das mit ihr in funktionellem Zusammenhang stehende Fernmeldegeheimnis[24] berufen.

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Religionsgesellschaften mit dem Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV) können sich auf das Grundrecht auf Glaubensfreiheit berufen.[25]

Hinweis

Die dritte Ausnahme, die partielle Grundrechtsfähigkeit grundrechtsdienender juristischer Personen des öffentlichen Rechts, ist ein Klassiker in Prüfungen! Wichtig ist, dass Sie erklären können, warum es diese Ausnahmen gibt. Dies gilt umso mehr, als mittlerweile die Tendenz zu beobachten ist, dass es zu Erweiterungen dieser Ausnahme kommen könnte.

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Eine solche Erweiterung steht für Landesmedienanstalten im Hinblick auf das Grundrecht auf Rundfunkfreiheit zur Diskussion.[26] Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage der Grundrechtsberechtigung von Landesmedienanstalten in Bezug auf Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 2 GG bislang allerdings – soweit ersichtlich – offen gelassen.[27]

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Seien Sie in der Fallbearbeitung äußerst vorsichtig, den Kreis der grundrechtsdienenden und damit partiell grundrechtsfähigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu erweitern. Jedenfalls müssen Sie gute Argumente liefern, um eine solche Erweiterung begründen zu können. Denken Sie dabei insbesondere an das Erfordernis einer grundrechtstypischen Gefährdungslage. Keinesfalls dürfen Sie die Grundrechtsfähigkeit allein deshalb bejahen, weil die juristische Person des öffentlichen Rechts generell rechtsfähig ist (eine Universität kann z.B. privatrechtlich Eigentum erwerben).

b) Grundrechtsberechtigung

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Die Grundrechtsberechtigung baut auf der Grundrechtsfähigkeit auf. Grundrechtsberechtigt ist (nur) derjenige, der grundrechtsfähig ist. Die Grundrechtsberechtigung setzt also Grundrechtsfähigkeit voraus.[28]


Grundrechtsberechtigt ist derjenige, dem im konkreten Fall ein sachlich einschlägiges Grundrecht persönlich zugeordnet werden kann.

Beispiel

Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistet sachlich die Berufsfreiheit. Persönlich erfasst werden nach dieser Bestimmung nur „alle Deutschen“. Nichtdeutsche können sich demnach grundsätzlich nicht auf das spezielle Freiheitsrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG, sondern nur auf das Auffanggrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG berufen.

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Sie sehen den Unterschied zwischen Grundrechtsberechtigung und Grundrechtsfähigkeit: Bei der Grundrechtsberechtigung geht es um die Frage, wer sich im konkreten Fall auf das sachlich einschlägige Grundrecht berufen kann, während die Grundrechtsfähigkeit unabhängig vom konkreten Einzelfall bestimmt wird. Spätestens hier wird klar: Eine Person, die schon nicht grundrechtsfähig ist, kann auch nicht grundrechtsberechtigt sein.

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