Loe raamatut: «Mein Sohn Elisabeth»

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Doris Schumacher

Mein Sohn Elisabeth

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Teil I – Das Präpartale Panoptikum

Mein Sohn Elisabeth

Interview mit meinem Bauch

Es ist nicht leicht, perfekt zu sein

Kopfgeburt

Voodoo

Beckenbodenblues

Kleine Bibelkunde für Schwangere

Fortbildungsgymnastik

Geburtsgeheimnis

Der Werdende-Eltern-Test

Zukunftsmusik

Erziehung mit Stil

Zeit für Angst

Das Märchen vom Mutterinstinkt I (Für alle, die an Märchen glauben)

Das Märchen vom Mutterinstinkt II (Für alle, die nicht an Märchen glauben)

Gebärtraining, bitte!

Die Gen(esis)-Falle

Aber natürlich

Wie der Schnitt zum Kaiser kam (Eine medizinhistorische Horrorstory)

Ohne Titel (Eine traurige Familiengeschichte)

Vierzig Wochen sind genug

Exit

Teil II – Mama lernt laufen

Trial and Error

Nuckeln für den Weltfrieden

Das glückliche Baby – ein Kochrezept

Nachtleben

Zeit

Schneller leben

Entwicklungshilfe

Genau betrachtet I – Schlechte Mütter

Genau betrachtet II – Genderbabys

Genau betrachtet III – Neue Väter

Die Verwandlung

Früher war alles gut

Eins. Zwei. Brei.

Superhelden

Mut zum Chaos

Das erste Jahr

Literatur:

Impressum neobooks

Teil I – Das Präpartale Panoptikum

Jetzt oder nie, so kam die Entscheidung zustande, der Menschheit eine Chance zu geben und im Glauben an das Gute ein Kind zu zeugen. Ja, manchmal sind die Entscheidungen so… manchmal auch anders. Und so ging es dann auch recht schnell. Nach nur zwei Wochen intensiven Bemühens begann es in meinem Bauch zu ziehen, und ich wusste: Es war da – und bald darauf als kleines weißes Pünktchen auch im Ultraschall zu sehen, kaum vorstellbar, was alles einmal daraus wachsen würde.

Es folgten Wochen der Geheimniskrämerei – so ein kleines Ding ist ja doch sehr sensibel. Ich jedoch hatte niemals Zweifel, dass es es schaffen würde. Die unübersehbare Anspannung meiner ansonsten so ruhigblütigen Ärztin beim ersten Untersuchungstermin war allerdings schon ein Vorgeschmack auf alles, was danach folgen würde. »Wenn man schwanger ist, beginnen die Sorgen«, so später ein gutmeinender Kollege und zweifacher Vater, »und sie hören nie mehr auf…« Naja, dachte ich, so dramatisch wird es schon nicht sein. Doch dann nahmen die Dinge ihren Lauf… und ich wurde eines Besseren belehrt. Es ist – so kann man es nur nennen – überaus dramatisch. Wir – mein ungeborenes Kind und ich – traten ein in einen uns bislang völlig unbekannten Kosmos. Staunend wie junge Tiere, die zum ersten Mal nach dem Winter aus ihrer Höhle ins Freie geschubst werden, beobachteten wir die Welt um uns herum, erschraken angesichts ihrer Vielfalt, dort eine Schnecke, da ein Marienkäfer, und lernten nach und nach nicht nur die schönen, sondern auch die gefährlichen Seiten dessen kennen, was wir später, als wir alles heil und gesund überstanden hatten, augenzwinkernd das Präpartale Panoptikum nannten. Ein Kuriositätenkabinett mit neunmonatigem Besuchsrecht. Der Eintritt begann für uns an jenem Tag, als die Welt von der Existenz des neuen Lebewesens erfuhr. Da war es in meinem Bauch ungefähr drei Monate alt…

Mein Sohn Elisabeth

Es ist nicht so, dass ich mir ein bestimmtes Geschlecht gewünscht hätte. Von Anfang an war mir klar: mein Kind ist mein Kind, und was und wer auch immer es werden würde, ich würde es lieben und ehren und beschützen vor den kleinen und großen Monstern und Bösewichten und all den Ungerechtigkeiten des Lebens, so lange wie möglich, das heißt mindestens bis zur Krabbelgruppe und in ausgewählten Situationen auch noch darüber hinaus. Es dämmerte mir schön langsam, dass meine Indifferenz, was das Geschlecht anging, gewisse Auswirkungen auf mein ungeborenes Kind hatte, als es bei den Ultraschalluntersuchungen eine derartige Widerspenstigkeit entwickelte und sich in so absurde Positionen begab, aus denen es sich trotz Schüttelns und Rüttelns an meinem Unterleib keinen Zentimeter herausbewegen wollte, dass es zu einem Ding der Unmöglichkeit wurde, sein Geschlecht festzustellen. Sein Geschlecht? Das Geschlecht des Kindes. Neutrum. Und auch mein Gefühl ließ mich völlig im Stich. Was für ein Gefühl? Na, das »Mädchen-oder-Junge-Gefühl«. Das Gefühl, das werdende Mütter angeblich haben, wie meine nette Bekannte mir beim Sonntagsspaziergang genüsslich und mit leicht triumphierendem Unterton erzählte: »Ich habe mir ein Mädchen gewünscht, und ein Mädchen ist es geworden.« Aha, dachte ich ehrfurchtsvoll, so funktioniert das also…

Selbst meine Ärztin ließ sich zu der Aussage hinreißen, dass das »Gefühl« ja meistens stimme… Aber so sehr ich auch in mein tiefstes Innerstes lauschte, ein wirklich überzeugendes »Gefühl«, aufgrund dessen ich irgendeine Aussage hätte wagen wollen, konnte ich beim besten Willen nicht zutage befördern.

Nun, als mein Kind in meinem Bauch noch keine drei Monate alt war, bekam es von einer der wenigen Wissenden seine ersten Söckchen geschenkt, in unverdächtigem Weiß-Braun gehalten, sehr klug, sehr süß, weiter so. Und da war sie wieder – vierzehnte Woche –, die verhängnisvolle Frage, einmal gestellt für immer im Raum schwebend, gleich einer Schmeißfliege, die plötzlich auch noch Nachwuchs kriegt: »Was wird es denn?« Schulterzucken. Noch zu früh. Kann man nicht sagen. Sofort die Relativierung: Es sei doch aber auch ganz egal, Hauptsache gesund. Wirklich, es sei völlig irrelevant. Aber dann musste ich versprechen, sofort Meldung zu erstatten, sobald das Geschlecht identifiziert sei. Ja, versprochen. Ich sah bereits Berge an Stramplern und Deckchen in hellblau oder aber auch rosarot vor mir auftauchen. Als nicht vorbelastete Erstgebärende dachte ich: Wird schon nicht so schlimm werden, es gibt ja auch noch andere Farben.

Und jetzt: Ein gebrauchter Kinderwagen steht zum Verkauf, er sei… ob man denn schon wisse, was es werde? – nein, noch zu früh… – dunkelblau mit weißen Applikationen. Gut! Dunkelblau ist doch wunderbar. Doch dann schleicht sich der leise Zweifel ein: Was, wenn die Leute automatisch davon ausgehen, dass er von einem Jungen bewohnt wird, obwohl da drin etwas ganz anderes liegt? Kann ich das verantworten? Ein Mädchen in einem dunkelblauen Kinderwagen? Aber wie denn, ist jetzt dunkelblau auch schon eine Jungsfarbe? Ich meine, wenn schon hellblau von den Buben besetzt ist, kann doch nicht dunkelblau auch noch denen gehören! …

Aus Spaß fange ich an, mir vorzustellen, dass ich mein Kind je nach Tageslaune rosa oder blau anziehen könnte. Und je nachdem würde ich behaupten, mein Kind sei ein Mädchen oder ein Junge, natürlich immer entgegengesetzt zur Farbe der Kleidung. Darf ich vorstellen: Mein Sohn Elisabeth.

Denn wir wissen ja, was das alles für Konsequenzen hat! Noch nicht gleich am Anfang, da erwartet man von Buben und Mädchen gleichermaßen, dass sie süß und vergnügt sind, zumindest wenn die Verwandten da sind, man will ja niemanden enttäuschen. Doch später! Schmerzhaft erinnere ich mich an meine eigene Jugend... Bei meinem ersten Ferienjob durfte ich für etwa achttausend Schilling einen ganzen Monat lang Getränke in die endlosen Regale eines Supermarktes schlichten. Ich war sechzehn, und lediglich der Gedanke ans Geld und die Tatsache, dass ich eine Ausrede gefunden hatte, um nicht mit meinen Eltern auf Urlaub fahren zu müssen, hielten mich einigermaßen bei Laune. Aber bitte, ist es wichtig, welche Laune man beim Getränkeschlichten hat? Ernsthaft? Den Colaflaschen wird es wohl egal sein… doch dem Filialleiter nicht, der sich in Chefmanier der vor dem Regal hockenden Ferialpraktikantin, in dem Moment intensiv und hochkonzentriert mit unzähligen Packungen Tomatensaft beschäftigt, nähert und mit jovialem Grinsen ein: »Lächeln Sie doch mal bei der Arbeit, das macht Sie gleich viel hübscher!« von sich gibt. Widerstand ist zwecklos, dachte ich damals und lächelte höflich. Und ich sage: Rosarot ist schuld daran. Und hellblau. Das sind die unheilvollen Zwillinge, zweieiig, aber doch unzertrennlich, die uns unser Leben lang verfolgen. Alle wissen es. Das eine ohne das andere gibt es nicht. Wo rosarot ist, ist auch hellblau nicht weit. Prinzessinnen und Prinzen, Wölkchen und Zuckerwatte. Und irgendwie schafft es die Fraktion »Hellblau«, von Ausnahmen abgesehen, irgendwann ernst genommen zu werden, aber die Fraktion »Rosarot« hat es damit deutlich schwerer. Auch das wissen alle. Wenn nicht aus eigener Erfahrung, dann vom Hörensagen.

Ich habe die stille Hoffnung, dass Elisabeth es schafft, immerhin bis zu seiner Geburt sein Geschlecht vor uns zu verheimlichen, sodass alle willigen Spender- und SchenkerInnen im Laufe der Schwangerschaft irgendwann kapitulieren und gezwungenermaßen zu neutralen Farben greifen. Es gibt wunderbare Farben. Eine Vielfalt. Man muss sich nur ein bisschen anstrengen.

Bei der Geburt werden sich dann auch alle einhellig freuen, der Vater, die Mutter, die Ärztin, die Hebamme, wenig später auch die Großeltern und noch etwas später alle anderen. Ein hübsches Kind. Aber was ist es denn nun? Ein Sohn. Name? Elisabeth. Empörung am Wochenbett. Wie kann das sein? Das ist doch verboten. Man kann doch einen Jungen nicht Elisabeth nennen. Hat hier irgendjemand Junge gesagt?

Wenn nun Elisabeth lieber eine Tochter sein möchte als ein Sohn, oder wenn er eben lieber Elisabeth heißt als Thorsten, oder wenn sie abwechselnd ein Mädchen oder ein Junge sein will und eben genauso wenig Autos über Tische flitzen lassen, wie Puppen frisieren, sondern lieber Bücher anschauen oder Topfdeckelschlagzeug spielen möchte, wer bin ich dann als Elternteil, ihm Grenzen zu setzen?

Hauptsache, das Kind ist gesund. Das Kind. Neutrum.

Interview mit meinem Bauch

Da über meinen Bauch derzeit ziemlich viel geredet wird, habe ich beschlossen, ihn zum Gespräch zu bitten und selbst einmal zu Wort kommen zu lassen. Hier lesen Sie das vollständige, wahrheitsgemäß und ungeschönt wiedergegebene Interview.

Ich: Ich nenne dich einfach Bauch, ist das in Ordnung? Oder hast du einen anderen Namen?

Bauch: Bauch ist okay. Du kannst aber auch Abdomen oder Chiquita oder Rollmops zu mir sagen.

Ich: Hm. Nein. Dann also Bauch. Du bist in letzter Zeit sehr ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt, wie geht es dir damit?

Bauch: Ja, es geht so. Da ich im Privatbereich bereits eine sehr wichtige Position innehabe und mehrmals täglich begutachtet werde, insbesondere dann, wenn ich zuweilen etwas mehr Platz als üblich beanspruche, war es nur eine Frage der Zeit, bis sich auch die Öffentlichkeit für mich interessieren würde. Dass das Echo allerdings so enorm sein würde, damit hätte ich nicht gerechnet. Vor allem, seitdem ich zu einem richtigen Babybauch geworden bin.

Ich: Schmeichelt dir das?

Bauch: In gewisser Weise schon. Andererseits frage ich mich, ob das Blitzlichtgewitter nur von vorübergehender Dauer ist. Mir fällt auch auf, dass überwiegend meine Größe Anlass zu Diskussionen gibt und dazu extrem unterschiedliche Meinungen und Positionen vertreten werden. Die einen meinen, ich sei eher klein, die anderen behaupten, ich sei schon ziemlich beachtlich, mindestens aber unübersehbar, und die Dritten meinen, ich solle nicht zu früh allzu sehr auseinander gehen, wegen später. Das verwirrt mich ein bisschen.

Ich: Mhm. Das ist in der Tat sehr beunruhigend.

Bauch: Aber es tut gut, darüber zu reden.

Ich: Es ist doch keine Art, so über dich zu sprechen und dich im Unklaren zu lassen, wie nun deine Außenwirkung tatsächlich ist.

Bauch: Ja. Ich würde sogar so weit gehen, dass ich eine Identitätskrise über kurz oder lang nicht ausschließen kann. Manchmal fühle ich so eine innere Leere…

Ich: Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Ich hoffe aber, dir mit diesem Gespräch ein Forum zu bieten, damit du selbst zu den widersprüchlichen Aussagen Stellung beziehen kannst.

Bauch: Danke. Das weiß ich sehr zu schätzen. Ich möchte dazu sagen, dass meine Größe nur bedingt Auskunft über meinen wahren Zustand gibt. Ich bin eben nicht jeden Tag gleich, wer ist das schon. Auch gibt es in meinem Wachstum keine Linearität, es ist also nicht immer kontrollierbar. Ich selbst kann nicht immer vorhersehen, wie sich mein Innenleben verhält, und ich muss in aller Deutlichkeit hier zur Kenntnis geben, dass es sich bei meinem Innenleben durchaus um ein hochkomplexes handelt. Man darf sich das Zusammenspiel der Organe nicht als etwas Statisches vorstellen. Sie sind zuweilen sehr zickig und durchaus nicht leicht zu kontrollieren, wenn ich überhaupt so etwas wie Kontrolle über sie habe.

Ich: Du bist ja mehr so ein Gefäß, oder?

Bauch: Gefäß? Durchaus nicht! Also das ist doch eine unverschämte Aussage. Ich bin ein lebendiges Wesen und nicht irgendein Ding.

Ich: Verzeihung, ich hatte das eher bildlich gemeint.

Bauch: Das ist genau die Ursache für die ganze Polemik! Dass geglaubt wird, ich sei so ein Ding, das man herumschubsen und formen kann, wie es einem so passt. Ich verwehre mich ganz entschieden so einer Bezeichnung!

Ich: Ja. Ich bitte um Entschuldigung. Kommen wir auf deinen derzeitigen Zustand zu sprechen.

Bauch: Ich bekomme ein Kind.

Ich: Ja. Diese Sichtweise ist zwar ein bisschen abdomozentrisch, schließlich ist die Gebärmutter ja die Hauptverantwortliche, aber ich will deine Bedeutung gar nicht in Frage stellen.

Bauch: Naja, es ist doch so: Ich trage so ein wachsendes Ding in mir. Aber glaube nicht, ich bin nur eine Hülle. Ich als Abteilungsleiter sozusagen bin verantwortlich für alle mir unterstellten inneren Organe und somit auch für die Gebärmutter.

Ich: Das ist eine verantwortungsvolle Aufgabe.

Bauch: Durchaus. Nicht zu unterschätzen, vor allem in Zeiten der Expansion.

Ich: Kannst du uns noch etwas detaillierter deinen Verantwortungsbereich beschreiben?

Bauch: Sehr gerne. Wenn sich die Gebärmutter zunehmend ausbreitet, muss ich für Platz sorgen und darauf achten, dass dieses schwere Ding nicht irgendwohin rutscht, wo es nicht hin soll. Auf sie ist nicht immer so Verlass, man muss ihr zugute halten, dass sie im Moment nicht gerade unterbeschäftigt ist. Außerdem habe ich Tag und Nacht damit zu tun, den Verdauungsapparat bei Laune zu halten, da nun der ganze Ablauf hormonell etwas durcheinander geraten ist. Ich meine, womit ich es manchmal zu tun kriege, da würde ja kein Schwein seine Nase hineinstecken.

Ich: Was? Ich protestiere! Ich ernähre mich, äh, dich… wirklich sehr gesund.

Bauch: Ich sage ja nur. Mal ist es viel, mal ist es wenig, mal früh, mal spät. So unregelmäßig. Dann schläfst du mitten am Tag und in der Nacht stehst du ständig auf. Ich meine, ich muss das alles händeln!

Ich: Willst du dich beschweren?

Bauch: Nein! Äh. Ja.

Ich: Ach.

Bauch: Ja, wirklich. Gerade in meiner jetzigen Situation bräuchte ich etwas Unterstützung.

Ich: Also wir wollen jetzt aber bitte nicht streiten. Ich tue, was ich kann. Ich bin auch äußeren Gegebenheiten unterworfen. Ich kann nicht immer so, wie ich gerne möchte.

Bauch: Ich verstehe das. Es ist mir nur wichtig, darauf aufmerksam zu machen und zu zeigen, dass das ständige Gerede über zu groß oder zu klein wirklich für die Fische ist.

Ich: Und das in der Nacht, bitte dafür ist meine Blase zuständig, die dir doch schließlich auch unterstellt ist.

Bauch: Ja. Das stimmt. Die Blase kommt mir schon täglich mit dem Personalrat und beschwert sich, dass die Gebärmutter so einen Druck auf sie ausübt. Ich weiß schon nicht mehr, was ich ihr noch für Zugeständnisse machen soll…

Ich: Wer ist Personalrat im Moment?

Bauch: Die Galle, dieses Jahr. Eine fatale Entscheidung, wenn du mich fragst. Aber ich hatte ja kein Mitbestimmungsrecht in der Generalversammlung.

Ich: Ich verstehe, dass dir das an die Nieren geht.

Bauch: Ja. Das kann man wirklich so sagen. Sehr spitzfindig. Jedenfalls hoffe ich, dass wenigstens der Druck von außen bald nachlässt, denn ich habe mit den inneren Angelegenheiten schon genug zu tun.

Ich: Was würde die Situation allgemein verbessern?

Bauch: Ein anderes Bewusstsein. Den Leuten muss klar werden, dass ich weder ein Arbeitssklave bin, noch dass die ständige Kritik etwas zu meinem Wohlbefinden oder zur Verbesserung meiner Funktionsfähigkeit beiträgt. Außerdem ist mir persönlich jeder Wettbewerbsgedanke fremd, mit wem sollte ich mich auch vergleichen. Die Anforderungen von außen werden immer höher, aber die innere Disposition verändert sich ja nicht oder nur unwesentlich. Wer nicht mehr hat, kann nicht mehr geben.

Ich: Würdest du deine Sensibilität als Stärke bezeichnen?

Bauch: Wie ist das gemeint?

Ich: Nun ja, du scheinst dir alles sehr zu Herzen zu nehmen.

Bauch: Das Herz hat damit nicht wirklich etwas zu tun…

Ich: Das Bauchgefühl vielleicht?

Bauch: Das Bauchgefühl ist, wie sich der Bauch fühlt. Mir ist es, ich wiederhole mich, wichtig, Bewusstsein zu schaffen. Wenn nötig, finde ich klare Worte. Und wenn es gar nicht anders geht, bin ich bereit, zum Äußersten zu gehen und in Streik zu treten.

Ich: Ist das eine Drohung?

Bauch: Nein.

Ich: Ein versöhnliches Schlusswort?

Bauch: Ja. Ich bin jederzeit dialogbereit.

Ich: Danke für das Gespräch!

Bauch: Ich habe zu danken.

Es ist nicht leicht, perfekt zu sein

Vorige Woche, also, da ist es mir passiert. Schinken. Er war einfach da. Ich habe ihn gegessen. Geräuchert, nicht gekocht. Und der Käse, der war weder aus Deutschland noch gekennzeichnet. »Listerien«, »Keime«, »vielleicht ist es Rohmilch«, »Infektionen«, »Frühgeburt« schwirrte es mir durch den Kopf. Und dann plötzlich der Gedanke. Ich wage es kaum, ihn laut auszusprechen, aber ich habe mir vorgenommen, ganz ehrlich zu sein. Auch er war plötzlich einfach da. Und er war von der Art Gedanken, die einen so für sich einnehmen, so überzeugen… – eben einer aus dem tiefsten Inneren: ›Mich gibt es schließlich auch noch.‹

So. Trotzreaktion? Egoismus pur?

Ich halte mich nicht für einen egoistischen Menschen, wenngleich ich davon ausgehe, dass wenn es mir gut geht, es den Menschen in meinem Umfeld auch gut geht. Nicht zwangsweise als unmittelbare Kausalität, also nicht nach dem Motto: ich symbolisiere das Heil meiner Liebsten, nein. Aber sozusagen als These, die sich, wenn man sie auf den Kopf stellt, schon sehr vernünftig anhört. Wenn es mir nicht gut geht, geht es den Menschen in meinem Umfeld auch nicht so gut.

Egoismus war es also nicht, aber eine leichte Trotzreaktion schon. Ich will schließlich ganz ehrlich sein. Denn bevor ich schwanger war, da dachte ich: Schwangerschaft – ein Kinderspiel. Jetzt, ein gutes halbes Jahr später, muss ich sagen: Falsch gedacht.

Ich sehe mich als Teil eines sehr großen, wenn nicht gar unüberschaubaren Kollektivs Wohlwollender Werdender Mütter (WWM), für die ich als selbsternannte Stellvertreterin jetzt mal grundsätzlich einige Dinge aussprechen will.

Erstens: Wir nehmen keine Drogen und keine nicht vorgeschriebenen Medikamente. Wir haben keine Krankheiten, die irgendwie das Wohl unseres Kindes gefährden könnten.

Zweitens: Wir rauchen nicht, trinken keinen Alkohol und wenig oder keine koffeinhaltigen Getränke.

Drittens: Wir schlemmen nicht, vor allem (fast) kein Fastfood, da wir genau wissen, wir würden davon nur Verstopfung kriegen (egoistisches Motiv, Abk. EM) und dem Sich-von-unserer-Nahrung-ernährenden-Nachwuchs (SVUNEN) auch nichts Gutes tun (altruistisches Motiv, Abk. AM)

Viertens: Wir essen viel Gemüse und Obst, ab und zu Fleisch und Fisch, ausreichend Milch- und Getreideprodukte, so gut es in unserer lebensmittelzüchtenden Welt eben geht.

Fünftens: Wir sind nicht sehr übergewichtig und nicht sehr untergewichtig.

Sechstens: Wir sind zwar vielleicht über fünfunddreißig, aber auch noch keine fünfzig (wobei nicht gesagt ist, dass Fünfzigjährige keine gesunden Kinder zur Welt bringen können).

Siebtens: Wir bewegen uns gerne und regelmäßig an der frischen Luft.

Achtens: Wir arbeiten in und an einer harmonischen Umgebung, um uns und unserem Kind ein schönes Leben zu bereiten (EM und AM).

Neuntens: Wir sorgen für ausreichend Schlaf und möglichst wenig Stress, verschieben den Drang, uns permanent zu überarbeiten oder sonst wie zu verausgaben zumindest bis auf die Zeit nach der Entbindung und halten die damit verbundenen, für den SVUNEN schädlichen Hormonausschüttungen in Schach.

Zehntens: Wir gehen zu den Vorsorgeuntersuchungen und informieren uns. In Büchern. Bei Ärzten. Bei Hebammen.

Und wenn uns der werdende Vater nach einer der Vorsorgeuntersuchungen unschuldig fragt, wie es war und ob denn alles in Ordnung sei, antworten wir im Idealfall (IF): »Alles bestens, alles so, wie es sein soll.«

Aber, wenn wir ehrlich sind, ganz sicher sind wir uns nicht. Denn dieses Zehntens ist gleichzeitig unser Stolperstein, unsere schlaflose Nacht, das Tüpfelchen auf dem »i«, das kleine Teufelchen in unserem Ohr, das uns tagtäglich einflüstert: »Du bist nicht perfekt.« »Es könnte noch das und das sein…« »Dieses und jenes Risiko hast du nicht bedacht…« »Und wenn dann ausgerechnet X passiert?« »Tja, und das hast du bestimmt auch übersehen.«

Denn schließlich, so wird uns WWM suggeriert, sind wir allein (abgesehen von unseren GynäkologInnen, die uns im IF nur einmal im Monat zu Gesicht bekommen) für das Wohl unseres SVUNEN zuständig. Verantwortlich. Allein. Nur. Wir.

Und wenn wir es vermasseln, dann gnade uns unser Schuldgefühl. Denn wir können nicht behaupten, man hätte uns nicht gewarnt.

Wir sind über alle Risiken und Nebenwirkungen aufgeklärt worden, vor allem über jene, die einige Vorsorgeuntersuchungen selbst mit sich bringen. Wir sind informiert über Umwelteinflüsse, Handystrahlungen, Infektionskrankheiten, Frühgeburten, Fehlgeburten, Fehlbildungen, Chromosomenstörungen, Karies und Zahnfleischprobleme, Mineralstoffmangel, Unterversorgung, körperliche und psychische Überlastung, Herzfehler, offene Rücken, Blutungsrisiken, Allergien, Cervixinsuffizienz, Gaumenspalten, abgelaufene Lebensmittel, Toxoplasmose, Röteln, Masern, Mumps, et cetera et cetera. Betrachtet man die Fülle an möglichen Komplikationen, kann man es nur als Wunder ansehen, dass man nicht irgendetwas davon abbekommen hat, und sei es nur eine klitzekleine Infektion. Da nützt, rein psychologisch, auch das Wissen wenig, dass fünfundneunzig Prozent der Kinder völlig gesund zur Welt kommen.

Wir lassen die Wahrscheinlichkeit für gewisse Störungen berechnen und zerbrechen uns Tage vorher den Kopf, was wir im Falle eines negativen Ergebnisses tun würden, denn dies wird uns geraten, und als gewissenhafte WWM setzen wir uns brav damit auseinander. Wir nehmen die hormonellen Veränderungen in unserem Körper gelassen hin und tun nichts, um uns oder unseren Angehörigen die Laune zu verderben. Schließlich überträgt sich das ja alles auf das Baby und die beste WWM ist eine entspannte WWM. Wir wissen beim Einkaufen für den SVUNEN Bescheid über ideale Transportmöglichkeiten, Vor- und Nachteile von Latexsaugern, Stillen oder Flaschennahrung, Badewannenaufsätze und Wickelkommoden, Windelsysteme und Milchpumpen, Stillkissen und Tragetücher, sowie über anscheinend omnipräsente Schadstoffe und Risiken, die mit Made-in-Sonstnochwo verbunden sind, und entscheiden uns im IF für Biobaumwolle und Naturholzprodukte, nicht ohne nachzulesen, dass auch Naturholzprodukte, die nicht in Europa produziert werden, sehr wohl chemisch behandelt worden sein können. Bezüglich der Biobaumwolle bin ich bis dato noch auf keine widersprüchlichen Aussagen gestoßen, was nicht ist, kann noch werden, das hier ist nicht das Ende vom Lied.

Und da wir das alles und noch vieles mehr wissen oder vielmehr ahnen, denn die Devise in der Schwangerschaft heißt immer noch: Nichts Genaues weiß man nicht (wobei sich nach und nach bei mir das Gefühl verstärkt, dass dieses »Nichtgenauwissen« zwar Babybuchautoren, Ärzten und Pharmaherstellern zusteht, nicht aber uns WWM), ahnen oder vielmehr wissen wir nur das Eine mit absoluter Sicherheit: Es ist nicht leicht, perfekt zu sein.

Ganz ehrlich.

Und daher habe ich nur eine Bitte: Macht uns nicht irre. Denn eine irre werdende WWM ist ganz sicher nicht gut fürs Baby. Und auch nicht für ihre Umwelt. Und schon gar nicht für sich selbst. Denn schließlich gibt es uns auch noch. Wir sind noch da! Und manchmal tun wir Dinge, obwohl wir wissen, dass wir sie nicht tun sollten. Aber uns lediglich als Trägerinnen der Gebärmutter, in der sich unser SVUNEN befindet, zu behandeln, deren einziger Wunsch und Wille es ist, eben jenen auf bestmöglichem Wege durch Schwangerschaft und Geburt zu bringen, und ich wette, für beinahe alle von uns ist es (fast) der einzige Wunsch und Wille, ist einfach nicht fair. Wir danken für die Informationen. Wir tun, was wir können. Aber bitte, macht uns nicht irre. Das übernehmen wir im Zweifelsfall schon selbst.

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