Verdammte Konkurrenz

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»Einer halben Million«, warf sie sofort dazwischen.

»Aber Mr. Maber – das ist denn doch ein zu starkes Stück«, sagte Mr. Julius heftig und warf den Bleistift wild auf den Tisch.

Mr. Lark drehte die Augen himmelwärts. Er hätte im Moment kein Wort finden können, das seine Empörung richtig wiedergegeben hätte, und beschränkte sich daher auf diesen Ausdruck stummer Verzweiflung.

»Vielleicht wäre es doch besser, wenn du dich damit begnügtest, die Verhandlung zu protokollieren«, wandte sich Mr. Maber an Barbara, fügte aber sofort energischer hinzu: »Miß Storr ist meine Privatsekretärin und nimmt als solche eine Vertrauensstellung ein. Bitte, beachten Sie das, meine Herren.«

Er schaute sich ein wenig ängstlich um, als erwarte er, daß ihn jemand wegen dieser kühnen Äußerung angreifen wolle. Aber mit Ausnahme von Barbara und Mr. Lark zuckten die Anwesenden nur leicht die Schultern. Der Chef der Einkaufsabteilung hätte seine Meinung wahrscheinlich auch auf diese Weise kundgetan, wenn er rechtzeitig bemerkt hätte, daß es die anderen taten. Aber als er endlich damit anfing, lächelten diese schon wieder verbindlich. Es war wirklich schwer, mit solchen Leuten Schritt zu halten.

»Darf ich einmal etwas sagen«, begann Direktor Hercules Minkey. »Sie gestatten ja hoffentlich, daß ich hier ein offenes Wort rede. Ihr Geschäft ist eben absoluter Humbug.«

»Bitte, wie schreiben Sie dieses Wort?« erkundigte sich Barbara höflich.

Der Quecksilbermann warf ihr einen vernichtenden Blick zu.

»Also, Ihr Geschäft ist einfach wertlos, und ich werde Ihnen auch sagen, warum. Um diesen Betrieb rentabel zu gestalten –«

»Rentabel zu gestalten«, wiederholte Barbara.

»Müßten Sie mindestens hunderttausend Pfund hineinstecken. Nehmen Sie doch zum Beispiel nur einmal unsere eigene Firma ...«

Und nun folgte ein langer Vortrag darüber, wie man ein Geschäft führen sollte.

Barbara schloß die Augen, denn die monotone Stimme dieses Mannes wirkte einschläfernd auf sie und hatte ungefähr die gleiche Wirkung wie Veronal. Sie hörte nur dann und wann eine der Phrasen und kam erst wieder zu vollem Bewusstsein zurück, als Mr. Maber sie anrief.

Mr. Atterman war gerade dabei, sich von ihm zu verabschieden.

»Nun, die Sache ist noch nicht gerade so weit gediehen, daß wir schon zum Notar gehen könnten«, meinte er. »Aber immerhin haben wir doch entschieden Fortschritte gemacht. Mir soll es schließlich bei der Kaufsumme auf zwanzigtausend Pfund mehr oder weniger nicht ankommen.«

Beim Verlassen des Sitzungszimmers warf er Mr. Colesberg einen vielsagenden Blick zu, und Julius folgte ihm in den Gang hinaus.

»Sie können Ihrem Seniorpartner sagen«, erklärte Mr. Atterman ärgerlich, »daß ich mir unter keinen Umständen von einem so frechen Geschöpf wie dieser kessen Stenotypistin ins Geschäft pfuschen lasse!«

»Ich bin auch noch ganz außer mir«, erwiderte Julius niedergeschlagen. »Aber das werde ich schon in Ordnung bringen, verlassen Sie sich darauf.«

»Ich bin bereit, den Kaufpreis für das Geschäftshaus auf hundertzwanzigtausend Pfund zu erhöhen und die Bestände zum Tagespreis zu übernehmen. Die Firma selbst ist keinen Cent wert. Für Montag lasse ich den Vertrag fertigstellen. Setzen Sie die Konferenz fest und bringen Sie Ihren Rechtsanwalt mit.«

Er bot Julius eine Zigarre an. Mr. Colesberg rauchte zwar niemals, aber er machte trotzdem ein vergnügtes Gesicht und bedankte sich.

»Ah, eine Henry Clay«, sagte er strahlend. »Meine Lieblingsmarke!«

Gleich nach der Sitzung ging Mr. Maber zu Tisch. Er hatte ein schlechtes Gewissen und konnte Barbara kaum ansehen. Sie war sehr traurig, daß der Verkauf nun doch Zustandekommen sollte.

Später erschien Mr. Maber mit dem umfangreichen Katalog einer bekannten Gartenbaufirma und unterhielt sich mit Barbara über den neuen Rosengarten, den er bei seiner Villa anlegen wollte.

Sie seufzte.

»Barbara, ich brauche wirklich Ruhe und Frieden«, erklärte er. »Warum soll ich mich denn mit diesem Geschäft abplagen? Ich habe ja schon ein großes Vermögen, und ich möchte deshalb auch die Hälfte des Kaufpreises unter die Angestellten der Firma verteilen. Soll ich mich vielleicht als Sklave in einem Beruf abarbeiten, der mir gar nicht liegt? Was verstehe ich denn von Damenkleidern? Was interessieren mich Wollstoffe oder all die anderen Dinge, die wir verkaufen? Warum soll ich mich über Preisschwankungen auf dem Seidenmarkt aufregen? Dauernd kommen neue Gewebe auf den Markt, die den Damen viel Freude machen, aber ich kann die Namen kaum behalten, und mich langweilt dieser ganze Kram entsetzlich. Nein, das ist nichts für mich. Du mußt doch wirklich einsehen, daß das keine Beschäftigung für einen Mann ist, der in Cambridge studiert hat. Wenn ich meinen eigenen Wünschen hätte folgen können, wäre ich ein Jurist geworden. Klingle doch übrigens noch einmal das Trocadero an, Barbara, und sage, daß ich nur hellblaue Blumen als Tafeldekoration wünsche. Willst du dir das Bootsrennen nicht auch ansehen? Die beste Gelegenheit dazu hast du an Bord meiner Jacht Leander. Dann könntest du auch gleich meinen Freund Markus kennenlernen. Achtundneunzig-neunundneunzig waren wir zusammen auf der Universität. Ja, das ist nun schon eine ganze Weile her!«

»Kann Sie denn nichts dazu bewegen, das Geschäft zu behalten?« fragte sie verzweifelt.

Mr. Maber machte ein skeptisches Gesicht.

»Wir arbeiten dauernd mit steigenden Verlusten. Gewiß, Julius Colesberg ist ein tüchtiger junger Mann, energisch und tatkräftig, aber er allein kann schließlich auch nichts tun. Es muß einmal frisches Blut herein – das ist die Sache.«

Er seufzte schwer.

»Julius Colesberg!« rief sie verächtlich.

Mr. Maber sah sie unruhig an. Er konnte seinen Partner auch nicht leiden, aber er hatte ihn unter sehr günstigen Bedingungen ins Geschäft aufgenommen. Im stillen hatte er gehofft, daß dieser junge Mann die Stoßkraft und den Unternehmungsgeist besäße, die ihm als älterem Manne fehlten. Außerdem wirkte Julius bis zu einem gewissen Grade dekorativ. Seine Maniküre zum Beispiel erklärte ihm, daß er die schönsten Hände hätte, die ihr jemals vor Augen gekommen wären. Ihre anderen Kunden, denen sie dasselbe sagte, waren angenehm berührt, aber Julius war seitdem noch mehr von sich selbst begeistert als früher und kam sich noch viel wichtiger vor.

»Glaube mir doch, Barbara. Es ist besser, daß ich mich vom Geschäft zurückziehe. Ich hasse dieses ewige Hetzen und Jagen und diesen dauernden Kampf ums Geld!«

Er ging früh nach Hause, und Barbara blieb äußerst deprimiert zurück. Um sich abzulenken, machte sie einen Rundgang durch die einzelnen Abteilungen. Die Nachricht von dem bevorstehenden Verkauf hatte sich schon wie ein Lauffeuer von den Spitzen zu der Seide, von den Bändern zu den Strümpfen verbreitet. Junge Verkäuferinnen, die in ihren schwarzen Kleidern schön wie Göttinnen aussahen, beobachteten Barbara, die in düsterer Stimmung durch die Geschäftsräume schritt. Dann öffneten sie ihre kleinen Handtaschen und zogen die Augenbrauen nach. Die Abteilungschefs und die Aufsichtsherren in ihren tadellosen, dunklen Anzügen begegneten ihr mit gemessener Höflichkeit. Alle wußten ja von dem geheimen Kampf, der von Colesberg-Lark gegen Barbara Storr geführt wurde. Diese junge Dame war für sie eine interessante Persönlichkeit, weil sie einen entscheidenden Einfluß auf den Chef hatte. Aber da sie nicht ahnten, wie die Sache ausgehen, und ob es überhaupt zu einem Verkauf kommen würde, verhielten sie sich möglichst neutral, um es mit keiner Seite zu verderben.

Mr. Lark gab währenddessen in seinem Büro Miß Leverby eine eindrucksvolle Schilderung der Rolle, die er bei der wichtigen Konferenz gespielt hatte.

»So etwas ist mir doch noch nie vorgekommen! Wie die sich wieder aufgeführt hat! Was ist sie denn schon Besonderes? Doch nur eine gewöhnliche Stenotypistin, die mechanisch nachzuschreiben hat, was ihr diktiert wird!«

»Und sie hat tatsächlich gewagt, einfach mitzureden?« fragte Miß Leverby vor Entsetzen ganz leise.

Mr. Lark schloß die Augen und nickte.

»Aber ich habe sie schon zurechtgewiesen. Ich drehte mich nach ihr um und sah sie so scharf an, daß sie eigentlich in Grund und Boden hätte versinken müssen. ›Kümmern Sie sich gefälligst um Ihre eigenen Angelegenheiten, Storr!‹ sagte ich dann ruhig und höflich. Vielleicht habe ich auch ›Miß Storr‹ gesagt, das weiß ich nicht mehr genau. Na, auf jeden Fall werden wir diese Person ja nicht mehr lange hier in der Firma sehen.«

Er lehnte sich befriedigt in seinen Sessel zurück und rieb sich die Hände.

»Wann geht sie denn, Mr. Lark?« erkundigte sich die Stenotypistin eifrig, denn sie hoffte, an Barbaras Stelle aufzurücken.

»Am Dienstag. Montag wird die Firma verkauft.«

Mr. Lark hatte sich unter der Hand schon mit Julius verständigt, daß er Chef der Kassenverwaltung bleiben und ein höheres Gehalt bekommen sollte.

»Wenn sie dann am Dienstag noch den Mut besitzt, wieder ins Geschäft zu kommen, werde ich sie unten an der Haustüre erwarten. ›Entschuldigen Sie, Miß Storr‹, sage ich sehr höflich, ›wohin wollen Sie denn gehen?‹ Und wenn sie antwortet ›In mein Büro‹, dann soll sie aber etwas zu hören bekommen. ›O nein‹, werde ich sagen, ›das gibt es nicht mehr, und wenn Sie nicht sofort verschwinden, schicke ich zur Polizei!‹«

»Glänzend!« erwiderte Miß Leverby, denn der Feldzugsplan ihres Chefs hatte großen Eindruck auf sie gemacht.

Schon an gewöhnlichen Sonnabenden kam Mr. Maber nur sehr selten ins Büro, und an dem Tag aller Tage, an dem das klassische Rennen zwischen Oxford und Cambridge ausgetragen wurde, war natürlich an ein Erscheinen im Geschäft überhaupt nicht zu denken. Er saß vielmehr neben seinem Freund Markus am Steuer eines eleganten Motorbootes. Beide trugen die charakteristische Rudertracht. Während der fünfzehn fieberhaft aufregenden Minuten des Rennens gab er das Steuer ab, stand aufrecht mit hochrotem Gesicht im Boot und feuerte die Cambridge-Mannschaft durch Zurufe an. Fünfzig- bis sechzigtausend Menschen, die dichtgedrängt an den Flussufern standen, gaben den Ruderern mehr oder weniger ähnliche Ratschläge, schrien und brüllten. Viele Boote begleiteten die beiden Achter, und beim Finish erzitterte die Luft von den donnernden Zurufen der Menge.

 

Cambridge gewann das Rennen mit einer halben Bootslänge.

Am Abend dieses denkwürdigen Tages lehnte sich Mr. Maber über den festlich geschmückten Tisch. »Markus, besinnst du dich noch darauf, wie wir damals zusammen aus dem Empire hinausbefördert wurden?«

»Glaubst du, das könnte ich jemals vergessen?« entgegnete Markus mit leuchtenden Augen und tat seinem Freunde kräftig Bescheid.

»Erinnerst du dich auch noch an den Geschäftsführer, der mich die Treppe vom ersten Stock hinunterwarf?«

»Meinst du den Mann, mit dem du damals durchaus boxen wolltest? Ich habe nur noch eine ganz unklare Vorstellung von der Sache, aber ich glaube, er hat dich vom zweiten Stock heruntergeworfen.«

»Nein, vom ersten«, erklärte Mr. Maber entschieden. »Ich kann mich noch genau darauf besinnen, daß eine Matte vor der untersten Stufe lag.«

Mr. Maber lehnte sich in seinen Stuhl zurück, hielt das Sektglas in die Höhe und trank es dann langsam und bedächtig aus.

»Ob der Mann wohl noch lebt?« meinte er dann nachdenklich. »Damals war er verhältnismäßig jung. Ich weiß noch, daß er eine Narbe auf der rechten Oberlippe hatte.«

»Gehen wir doch einmal hin und sehen nach, ob er noch da ist!« schlug Markus vor und erhob sich etwas mühsam vom Tisch.

Das Essen war vorüber, und die Leute waren schon fast alle gegangen.

»Ja, du hast recht, wir müssen unbedingt wieder ins Empire.« Mr. Maber stand ebenfalls auf. »Ich möchte den Mann zu gern noch einmal sprechen – den mit der Narbe auf der Oberlippe. Ich werde ihm sagen, daß das damals – recht unverschämt von ihm war, uns so – hinauszuwerfen. Es ist doch merkwürdig«, sagte er kopfschüttelnd, »daß ich all die langen Jahre nicht einmal daran gedacht habe, ihn aufzusuchen und ihm beizubringen, was ich von ihm halte.«

»Hör mal, was ist denn eigentlich aus der Dame geworden?« erkundigte sich Markus plötzlich. Als er aber sah, wie sehr er seinen Freund durch diese Frage in Verlegenheit brachte, entschuldigte er sich sofort. »Nichts für ungut. Na, dann los, auf ins Empire!«

Man hatte die Konferenz auf Montag zwölf Uhr mittags angesetzt. Barbara erfuhr jedoch erst davon, als sie ins Büro kam und auf Mr. Mabers Schreibtisch einen Zettel mit einer entsprechenden Notiz fand, das erste Zeichen, daß in Zukunft andere Leute hier bestimmen würden.

Um zehn Uhr war Mr. Maber noch nicht im Geschäft, und es wurde auch elf, ohne daß er sich zeigte. Das war aber keineswegs etwas Ungewöhnliches.

Um elf Uhr fünfzehn stürzte ein Page aufgeregt in Barbaras Büro und meldete, daß ein Polizist sie zu sprechen wünsche.

»Was – ein Polizist? Bring ihn herein!«

Der Beamte, ein großer Mann mit ernstem Gesicht, trat ein. Vorsichtig machte er die Tür wieder zu.

»Sie sind Miß Storr?«

Sie nickte, aber sie fühlte sich sehr unbehaglich.

»Miß Barbara Storr?«

»Ja, das bin ich.«

»Bitte kommen Sie mit mir zur Polizeistation in der Marlborough Street«, sagte er leise. »Niemand außer mir und dem Inspektor weiß etwas davon.«

Sie sah ihn bestürzt an.

»Zur Polizeistation?«

»Zum Polizeigericht!« verbesserte er sich. »Sie müssen deshalb nichts Schlechtes von ihm denken. Er ist ein so netter Herr, und die Reporter haben auch versprochen, seinen Namen nicht in die Zeitungen zu bringen. Sie wissen allerdings gar nicht, wer er ist. Der Inspektor hat alles getan, was in seiner Macht stand. Aber wenn jemand einen Polizisten ins Ohr beißt, kann man das natürlich nicht so ohne weiteres hingehen lassen, auch nicht, wenn es der Abend nach dem Bootsrennen war. Na, ich denke, mit einem Monat Gefängnis wird er wohl davonkommen.«

»Einem Monat?« fragte sie atemlos. »Wer soll denn einen Monat Gefängnis bekommen?«

Er schaute sich vorsichtig um.

»Mr. Maber«, flüsterte er dann.

Barbara mußte sich an der Tischkante festhalten, um nicht umzusinken.

»Aber – aber –« sagte sie endlich mit stockender Stimme, »läßt sich das denn nicht – in eine Geldstrafe umwandeln?«

Er schüttelte den Kopf.

»Da täuschen Sie sich. Aber kommen Sie nur mit. Er möchte Sie sprechen, bevor er ins Pentonville-Gefängnis gebracht wird. Ich gehe am besten voraus, damit niemand etwas merkt, und nach einer Weile kommen Sie nach.«

Eine Viertelstunde später betrat Barbara verwirrt und in heller Aufregung das Büro des Polizeiinspektors, der sie freundlich und zuvorkommend empfing.

»Ein Rechtsanwalt ist gerade bei ihm in der Zelle, aber ich glaube, Sie können gleich hineingehen.«

Der Beamte führte sie durch die weite Halle. Viele Leute warteten hier, deren Bekannte sich vor dem Polizeigericht zu verantworten hatten. Als die beiden dann auf den Gang hinaustraten, bat er sie, zu warten und ging allein weiter. Nach einigen Minuten kam er aber wieder zurück und winkte ihr.

An der einen Seite des Korridors lagen die kleinen Türen der Zellen, und bald darauf stand Barbara Mr. Maber gegenüber.

Er trug einen ziemlich beschmutzten Abendanzug ohne Kragen und Krawatte. Außerdem war er unrasiert. Sie starrte entgeistert auf den großen, blauen Fleck an seinem rechten Auge und auf seine dick geschwollene Oberlippe.

»Barbara, ich möchte dich bitten, mir einen Gefallen zu tun.« Seine Stimme klang heiser. »Zunächst stelle ich dir hier Rechtsanwalt Mr. Hammett vor.«

Dieser Mann war nicht Mr. Mabers Rechtsanwalt, soviel wußte sie. Wahrscheinlich war er aus der Nachbarschaft zu Hilfe gerufen worden.

»Es ist eine schauderhafte Geschichte! Und alles nur, weil der Kerl nicht herauskommen und mit mir boxen wollte! Es stimmt nicht, daß ich ihn gebissen habe ... das muß ein Hund gewesen sein ... ich habe einen gesehen, nein, sogar mehrere.«

Er sprach hastig und ein wenig zusammenhanglos.

Barbara verstand seine Aufregung nur allzu gut und bedauerte ihn aufrichtig.

»Ich werde einen Monat fort sein. Glücklicherweise waren bei der Verhandlung keine Zeitungsmenschen zugegen. Außerdem habe ich auch nicht meine richtige Adresse angegeben. Den Leuten im Büro sagst du einfach, daß ich plötzlich ins Ausland reisen mußte – geben Sie doch einmal das Schriftstück her«, wandte er sich an den Rechtsanwalt.

Mr. Hammett reichte ihm einen Aktenbogen mit zwei roten Siegeln.

Gleich darauf öffnete sich die Tür, und der Notar, ein Mann mit dunklem Haar und Schnurrbart, trat herein. Nach der Verhandlung unterzeichnete Mr. Maber die Urkunde.

»Barbara, du mußt dich jetzt um das Geschäft kümmern«, erklärte er dann. »Du bist die einzige, auf die ich mich verlassen kann. Was den Verkauf betrifft ... hole bestmögliche Bedingungen heraus...«

»Was ist denn das?« fragte sie betroffen.

»Eine Generalvollmacht«, sagte Mr. Maber dringlich. »Während meiner Abwesenheit muß sich doch jemand des Geschäftes annehmen, Dispositionen treffen, Schecks unterzeichnen, und was sonst notwendig ist. Und um keinen Preis der Welt darf ein Mensch etwas von meinem Missgeschick erfahren!«

Er dachte an die Klatschbasen in Ilchester und stöhnte verzweifelt.

Barbara nahm fast mechanisch die Vollmacht aus seiner Hand. Träumte sie?

»Was hat denn das alles zu bedeuten?«

»Das heißt, daß du jetzt meine Stellvertreterin bist und für mich handeln sollst. Ich weiß, daß ich dir in jeder Beziehung trauen kann.«

»Ich soll – Schecks unterzeichnen?«

»Ja, und auch alle anderen Schriftstücke«, erwiderte Mr. Maber nun etwas ungeduldig. »Keinem anderen Menschen würde ich eine derartige Vollmacht geben. Aber es ist unbedingt notwendig, Barbara, daß du die Geschäftsleitung übernimmst. Sage den anderen, daß ich nach Cannes oder nach Monte Carlo gefahren bin.«

»Ich werde erzählen, daß Sie nach Köln reisen mußten«, meinte Barbara freundlich. »Es ist sicher richtiger, wir nehmen eine Stadt mit einem Dom. Die paßt besser zu Ihnen.«

2

Barbara trat auf den Korridor hinaus. Ihre Hand umklammerte krampfhaft die Vollmacht, und die letzten Worte Mr. Mabers klangen ihr noch in den Ohren.

»Gib ihm zehn Pfund – ich habe kein Geld bei mir.«

Dunkel kam ihr zum Bewusstsein, daß damit der kleine Rechtsanwalt an ihrer Seite gemeint war, ein schmächtiger, halbverhungerter Mann in einem abgetragenen, unsauberen Anzug. Auch sein Kragen hätte längst gewaschen werden müssen. Seine Augen lagen tief in den Höhlen, und als er Barbara anlächelte, sah sein hageres Gesicht noch abstoßender aus.

»Schicken Sie mir doch bitte keinen Scheck zu, Miß Storr. Am besten ist in diesem Fall eine Barzahlung, dann brauche ich es nicht erst durch die Bücher gehen zu lassen. – Wirklich ein reizender Mann, dieser Mr. Maber«, sagte er begeistert, als sie ihre Handtasche öffnete. »Wenn das Herz jung bleibt, wird man nicht alt. Verheiratet, Miß?«

»Ich? Nein.«

»Sie meinte ich nicht. Ich sprach von dem netten, alten Herrn.«

»Mr. Maber ist Junggeselle, soviel ich weiß.«

Barbara wurde gut bezahlt und hatte am Wochenbeginn stets eine größere Summe bei sich.

»Zehn Pfund?« fragte sie.

»Guineen«, erwiderte er in bescheidenem Ton.

Sie gab ihm den Betrag, und er steckte das Geld in die Hosentasche, nachdem er noch einen Blick auf die Zellentür geworfen hatte.

»Wenn ich Ihnen einmal irgendwie behilflich sein kann, Miß Storr, darf ich doch darauf rechnen, daß Sie sich mit mir in Verbindung setzen?«

Er drückte ihr eine nicht sehr saubere Karte in die Hand, und zu ihrem Erstaunen sah sie, daß er in Lambeth wohnte. Die Telefonnummer war ausgestrichen.

»Die Leitung ist zur Zeit nicht in Ordnung«, warf er hin. »Mit diesen verdammten Apparaten stimmt immer irgend etwas nicht.«

Barbara, die ganz genau wußte, daß Telefone meistens dann in Unordnung geraten, wenn die Rechnungen nicht bezahlt werden, reichte ihm lächelnd die Hand.

Er zog den Hut und wandte sich dann zum Gehen. Aber ein junger Mann, der offenbar auf ihn gewartet hatte, trat ihm in den Weg.

»Verzeihen Sie, sind Sie Mr. Hammett?«

»Ja, das bin ich«, erwiderte der Rechtsanwalt etwas herablassend.

Der junge Mann übergab ihm ein zusammengefaltetes, blaues Blatt.

Mr. Hammett zog die Augenbrauen zusammen, warf einen Blick auf die Adresse und steckte die unangenehme Nachricht dann in die Tasche.

»Sie können Ihrem Chef sagen, daß die Angelegenheit heute noch geregelt wird«, erklärte er ernst und entfernte sich.

Der Polizeiinspektor hatte die kleine Szene von der Tür seines Zimmers aus beobachtet.

»Wollen Sie nicht einen Augenblick hereinkommen?« sagte er freundlich zu Barbara. »Es tut mir leid, daß Ihr Chef an Hammett geraten ist. Hoffentlich hat der Mann alles wunschgemäß erledigt?«

»Wer ist er denn?« fragte Barbara, die immer noch nicht ganz an die Wirklichkeit ihres Erlebnisses glauben konnte.

»Ein Rechtsanwalt. Ich weiß nicht viel über ihn. Jedenfalls ist er noch nicht aus der Matrikel gestrichen. Er treibt sich auf den Polizeigerichten von Südlondon herum und taucht meistens in der Nacht nach dem Bootsrennen hier auf. Gewöhnlich hat er dann auch einen oder zwei Klienten aufgelesen. Um Mr. Maber tut es mir wirklich leid«, fuhr er ernster fort. »Ich kenne ihn gut, weil er früher meine alte Mutter in Ilchester unterstützt hat. Sie sind doch auch dort zu Hause? Ich habe Sie manchmal dort gesehen.«

»Das stimmt«, erwiderte sie überrascht. »Aber sagen Sie mir doch, hat er tatsächlich jemand gebissen?«

»Ich weiß es nicht. Die Leute sagen so. Aber was ist schließlich ein Biß? Es ist ja möglich, daß er es im Scherz getan hat.«

Im Zimmer stand der große, ernst dreinschauende Polizist, der Barbara geholt hatte. Anscheinend stand er dem Inspektor zu Botengängen zur Verfügung.

»Ich wundere mich eigentlich, daß Sie keine Polizisten in Ihrem Geschäft haben«, meinte der Inspektor. »Bei Atterman sind drei oder vier beschäftigt.«

 

»Ja, können Sie denn Polizisten verleihen?« fragte sie verwundert.

»Selbstverständlich, wenn die Polizeidirektion die Genehmigung dazu gibt«, entgegnete er lächelnd. »Natürlich müssen Sie dafür zahlen. Aber die großen Warenhäuser können gewöhnlich soviel Leute bekommen, wie sie nur haben wollen, besonders während der Ausverkäufe.«

Barbara faßte einen schnellen Entschluss.

»Gut, ich werde einen kaufen. Was kostet er?«

»Kaufen können Sie ihn nun allerdings gerade nicht, Miß Storr«, entgegnete der Beamte belustigt, »aber Sie können ihn für einige Zeit engagieren. Ich werde die Angelegenheit für Sie regeln. Wünschen Sie einen bestimmten Polizisten?«

Sie zeigte auf den großen Mann, der sie gerufen hatte.

»Ja, ich möchte diesen haben.«

Der Inspektor rieb sein Kinn.

»Ich glaube, das läßt sich machen. Brauchen Sie ihn für den Innen- oder für den Außendienst?«

»Für den Innendienst«, entgegnete sie prompt.

Das war eine ausgezeichnete Idee!

Sie winkte ein Taxi heran und fuhr zur Bank, legte dort dem erstaunten Direktor ihre Vollmacht vor und leistete die Unterschrift. Als sie gerade wieder in den Wagen steigen wollte, hörte sie ihren Namen. Rasch wandte sie sich um und sah sich einer blonden jungen Dame mit ausdrucksvollen, blauen Augen und frischen, roten Lippen gegenüber.

»Famos, daß ich Sie treffe, Miß Storr«, rief Maudie Deane und drückte Barbara herzlich die Hand. »Ich habe gerade versucht, Atterman zu sprechen. Man sollte doch eigentlich von einem Gentleman erwarten –«

»Kommen Sie schnell herein – ich habe es sehr eilig!«

Die hübsche Solotrompeterin des Lusiana-Damenorchesters folgte der Aufforderung sofort.

»Nun erzählen Sie mir bitte Ihre ganze Geschichte noch einmal, Maudie«, bat Barbara. »Aus einem besonderen Grunde liegt mir jetzt daran, möglichst viel Auskünfte über Mr. Atterman zu sammeln. Er hat sich also in Sie verliebt und Ihnen versprochen, Sie zu heiraten?«

Maudie nickte, und ihre veilchenblauen Augen füllten sich mit Tränen.

»Ich habe die Damenkapelle für Atterman zusammengestellt. Es war meine Idee. Schon seit meinem sechsten Lebensjahr spiele ich Trompete, und mein Vater war der große Solobläser, den die Welt gekannt hat. Natürlich hat Mr. Atterman an mir Gefallen gefunden, und als wir im Erfrischungsraum spielten, kam er jeden Mittag und setzte sich so, daß er mich sehen konnte. Er hat mich mit den Blicken geradezu verschlungen, wenn ich diesen bildhaften Ausdruck gebrauchen darf. Es hat mich so mitgenommen, daß ich tatsächlich manchmal einen halben Ton zu tief gespielt habe. Und er wollte mich ja auch heiraten, aber seine Mutter –«

»Was, seine Mutter? Hat ein solches Scheusal auch eine Mutter?«

»Sogar zwei«, lautete die überraschende Antwort. »Eine Stiefmutter und eine wirkliche. Sein Vater hat sich unter traurigen Umständen scheiden lassen. Das war nämlich so –«

»Auf die traurigen Umstände wollen wir lieber jetzt nicht näher eingehen«, sagte Barbara hastig. »Aber ich bin sehr gespannt, über Ihre Liebesgeschichte noch mehr zu hören.«

Maudie warf ihr einen kummervollen Blick zu.

»Es begann damit, daß er mich nach Hause begleitete und meine Hand stärker drückte, als es im allgemeinen üblich ist. Er selbst ist ein anständiger Mann, das muß ich schon zu seinen Gunsten sagen. Aber seine Mutter konnte mich nicht leiden. Ich hätte ihn auch niemals bei Gericht verklagt, aber mein Vater meinte, wenn die Geschichte in die Zeitungen käme, könnte mir das ein gutes Engagement bei einem Varieté einbringen. Der Skandal in den Zeitungen war dann ja auch enorm – aber das Engagement ist leider ausgeblieben. Und doch, Miß Storr –« Maudie kämpfte mit den Tränen – »ich liebe ihn!«

Barbara schaute sie betroffen an.

»Ach, Sie werden ihn jetzt so oft sehen dürfen! Wie ich Sie deshalb beneide!« schluchzte Maudie und drückte das Taschentuch an die Augen.

»Ich kann nicht behaupten, daß mich dieser Gedanke so sehr entzückt. Aber warum soll ich ihn denn eigentlich jetzt so oft sehen?«

Maudie faßte sich wieder und trocknete ihre Tränen.

»Atterman kauft doch Ihre Firma! Ich traf neulich Mr. Minkey auf der Straße, und der erzählte mir, daß die Lebensmittelabteilung in Ihr Haus verlegt wird. Ach, Percy Atterman ist wirklich ein smarter Geschäftsmann, ein wundervoller Mensch!«

Vor dem Eingang zu Maber & Maber trennte sich Barbara von Maudie und eilte in ihr Büro.

Mr. Lark rief sie an, als sie an seinem Zimmer vorüberkam.

»Storr!«

Sie wandte sich um.

»Wann kommt Mr. Maber?«

»Das kann ich Ihnen nicht sagen, Lark.«

»Für Sie bin ich immer noch Mr. Lark«, wies er sie mit erhobener Stimme zurecht, da er wußte, daß das Büropersonal zuhörte.

Barbara betrachtete ihn nachdenklich.

»Ich möchte Sie nicht gern auf die Straße setzen, weil ich weiß, daß Sie ein verheirateter Mann sind, und daß Ihre Frau schon genug Sorgen hat. Aber Sie sind heute zum letzten Mal Chef der Einkaufsabteilung in der Firma Maber & Maber gewesen. Ich werde Ihnen das noch schriftlich bestätigen.«

Mr. Lark war so verblüfft, daß er kein Wort hervorbrachte. Erst als sie gegangen war, fand er die Sprache wieder.

Barbara warf in ihrem Büro Mantel und Hut auf einen Stuhl, ging in Mr. Mabers Privatbüro, setzte sich an den Schreibtisch und sah die Post durch. Schließlich schob sie die Briefe beiseite und telefonierte mit Mr. Stewart. Dann klingelte sie.

Mr. Lark, der irrtümlicherweise glaubte, Mr. Maber sei gekommen, stürzte zur Tür herein, um seine Beschwerde vorzubringen. Er brannte darauf, dem Chef sein Herz auszuschütten.

Als er Barbara in Mr. Mabers Sessel sah, wäre er beinahe ohnmächtig umgesunken.

»Treten Sie näher, Lark, und setzen Sie sich.« Sie zeigte auf einen Stuhl.

»Sehen Sie, Miß Storr –« begann er.

Sie hob abwehrend die Hand.

»Für wann ist die Konferenz angesetzt?«

»Die Herren warten schon seit einiger Zeit drüben«, sagte er laut.

»Sehr gut.«

Sie nahm einen Bleistift, steckte ihn hinters Ohr und verließ das Büro. Mr. Lark folgte ihr in respektvollem Abstand. Er war fest davon überzeugt, daß ihr Eitelkeit, Selbstüberhebung und andere Charaktereigenschaften, die er ihr zuschrieb, vollständig den Kopf verdreht hatten.

Im Konferenzzimmer unterhielt sich Julius sehr angelegentlich mit Mr. Atterman und Mr. Minkey, und die drei schienen sehr befriedigt zu sein. Zwei Herren, von denen einer Barbara unbekannt war, verglichen den Text eines aufgesetzten Vertrages. Der grauhaarige Advokat Mr. Mabers nickte Barbara freundlich lächelnd zu, machte aber ein verdutztes Gesicht, als sie sich in dem Sessel am Ende des langen Verhandlungstisches niederließ.

Mr. Lark war ihr auf Zehenspitzen gefolgt.

»Wo ist Mr. Maber?« ertönte plötzlich eine scharfe Stimme.

»Er ist verhindert, zu kommen.«

Auf dem Tisch lag ein kleines Buch, in das die Direktoren ihre Namen eintrugen. Barbara tauchte die Feder ein und schrieb in energischen Zügen ihren Namen ein.

»Dann werde ich den Vorsitz übernehmen«, erklärte Julius sofort.

Er ging auf den geheiligten Sitz des Chefs zu und wartete.

Barbara sah nicht einmal auf.

»Machen Sie schnell, Miß Storr«, sagte Mr. Atterman ärgerlich. »Wir können nicht den ganzen Tag hier stehen, bis es Ihnen beliebt, sich zu erheben. Außerdem zweifle ich überhaupt daran, daß Ihre Anwesenheit hier erwünscht ist.«

»Und ich weiß nicht, ob ich Ihre Anwesenheit hier gutheißen kann, Mr. Atterman.«

Sie lehnte sich in dem Sessel zurück und legte die Fingerspitzen zusammen, wie es der berühmte Sherlock Holmes getan haben soll.

Mr. Lark blickte ratlos von einem zum andern und schüttelte den Kopf, als ob er die Verantwortung für das eigenartige Benehmen dieses jungen Mädchens nicht übernehmen wollte.

Der Rechtsanwalt Mr. Mabers versuchte, Öl auf die hochgehenden Wogen zu gießen.

»Meine liebe Miß Storr«, wandte er sich freundlich an sie, »ich glaube, Sie müssen den Platz verlassen. Haben Sie uns denn irgendeine Botschaft von Mr. Maber auszurichten?«

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