Loe raamatut: «Das Wort»

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Eric Fuß / Maria Geipel

Das Wort

A. Francke Verlag Tübingen

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E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen

ePub-ISBN 978-3-8233-0073-1

Inhalt

 1 Einleitung1.1 Auf die Überzeugungen kommt es an1.2 Der Gegenstandsbereich des Bandes

 2 Grundbegriffe2.1 Das Wort2.2 Wörter und Wortformen2.3 Wortbausteine und andere Bildungsmittel2.3.1 Morph und Morphem2.3.2 Typen von Morphemen2.3.3 Das Phänomen der Allomorphie2.4 Teilbereiche der Morphologie2.5 Was ist ein Wort? Annäherung an den Analysegegenstand2.6 Kurze ZusammenfassungAufgaben zur Lernkontrolle

 3 Wortarten3.1 Lexemklasse vs. syntaktische Wortart3.2 Klassifikationskriterien3.2.1 Morphologische Eigenschaften3.2.2 Syntaktische Eigenschaften3.3 Wortklassen – eine Übersicht3.3.1 Verben3.3.2 Substantive3.3.3 Artikelwörter und Pronomen3.3.4 Adjektive3.3.5 Adverbien3.3.6 Präpositionen3.3.7 Konjunktionen3.3.8 Partikeln3.4 Hinter den Kulissen der Wortarten3.4.1 Wortarten als Ordnungsprinzip3.4.2 Das semantische Kriterium überwinden3.4.3 Mit Fantasiewörtern alternative Zugänge entdecken3.4.4 Alle Kriterien in einem System3.5 Kurze ZusammenfassungAufgaben zur Lernkontrolle

 4 Flexion4.1 Ausdrucksmittel4.2 Verbale Flexion (Konjugation)4.3 Nominale Flexion (Deklination)4.3.1 Substantive4.3.2 Artikelwörter und Pronomen4.3.3 Adjektive4.4 Die Kasusbestimmung – Über den Tellerrand der Frageprobe blicken4.5 Kurze ZusammenfassungAufgaben zur Lernkontrolle

 5 Wortbildung5.1 Einleitung5.1.1 Anmerkungen zur Position des Wortakzents5.2 Derivation5.3 Konversion5.4 Komposition5.4.1 Fugenelemente5.5 Ein Ausflug ins Wortinnere5.5.1 Rezeptive und produktive Wortbildungskompetenz5.5.2 WhatsAppen und Gesetzigkeit – Wortbildung in der Gegenwart5.6 Kurze ZusammenfassungAufgaben zur Lernkontrolle

  6 Statt eines Fazits

  Literaturverzeichnis

  Lösungsvorschläge zu den Aufgaben

1 Einleitung
1.1 Auf die Überzeugungen kommt es an1

Dreh- und Angelpunkt des Unterrichts ist die Lehrperson, denn sie stellt Lernangebote bereit, die von Schülerinnen und Schülern genutzt werden. Um diese Herausforderung meistern und sich kritisch mit schulpraktischen Fragen auseinandersetzen zu können, sind neben fachlichem, fachdidaktischem und pädagogischem Wissen auch die eigenen Überzeugungen entscheidend. Sie beziehen sich ähnlich wie Wissensstrukturen z.B. auf Gegenstandsbereiche und Methoden des Unterrichtsfaches oder auch auf das Selbstbild als (zukünftige) Lehrperson. Überzeugungen, was guten oder schlechten Unterricht auszeichnet oder welche Schülerreaktionen zu bestimmten Themen zu erwarten sind, bilden sich jedoch nicht erst innerhalb des Studiums, sondern bereits während der eigenen Schulzeit heraus, denn zu kaum einem anderen Beruf konnte man so viele Eindrücke sammeln wie zu dem der Lehrperson. Im Gegensatz zum Wissen werden die eigenen Überzeugungen als subjektiv wahr und wertvoll eingestuft, auch wenn dies – aus objektiver Perspektive – nicht unbedingt zutreffen muss. Unabhängig von ihrem tatsächlichen Richtigkeits- und Wahrheitsgrad filtern sie die Aufnahme neuer Informationen: Das, was in Einklang zu den bereits vorhandenen Überzeugungen steht, wird leichter und vor allem nachhaltiger gespeichert. Überzeugungen können sich also – ja nach Ausprägung – positiv, aber auch negativ auf das Lernen, Denken und Handeln auswirken (vgl. u.a. Reusser/Pauli/Elmer 2011; Lohmann 2006).

Besonders im Bereich der Grammatik ist die bewusste Beschäftigung mit den eigenen Überzeugungen unumgänglich, denn eine Vielzahl der künftigen und bereits berufstätigen Lehrpersonen verbinden mit Grammatikunterricht recht einseitige und vor allem negative Erfahrungen, wenn sie an ihre eigene Schulzeit zurückdenken:

 „[Den Grammatikunterricht habe ich während meiner eigenen Schulzeit] eher als stupide und langweilig empfunden. Da das Lehrpersonal von Jahr zu Jahr wechselte herrschte kein Konsens über die Anforderungen im Bereich Grammatik. Vieles wurde nicht richtig verstanden und in der Oberstufe übergangen.“ (Proband ISW)2

 „[Grammatikunterricht habe ich] nur sporadisch erhalten (u.a. durch einige Lehrerwechsel). Selbst die Lehrer_innen vermittelten den Eindruck, es sei ein ihnen unliebsames Thema.“ (Proband KSW)

 „[Den Grammatikunterricht habe ich] wenig interessant gefunden. Stupides bearbeiten der Aufgaben, farbiges markieren von verschiedenen Wortarten. Immer gleich und langweilig. Auch unsere Lehrerin zeigte kein großes Interesse.“ (Proband IRW)

 „Ganz ehrlich: es war doch nur ein auswendiglernen von Dingen, die uns von oben, also Merksätzen oder Lehrerin aufgedrückt wurden und wo wir nicht wussten, warum das jetzt eigentlich so ist. Transparenz null. Wir mussten es einfach irgendwie machen.“ (Proband PJK)

Positive Erinnerungen sind meist an gute Noten, motivierende Lehrerinnen und Lehrer oder einen abwechslungsreichen Unterricht geknüpft. Wird Grammatikunterricht als wenig kreativ und lästig verkauft, werden Schülerinnen und Schüler kaum eine entdeckende und positiv gestimmte Haltung dazu entwickeln. Für (angehende) Lehrpersonen ist es daher umso wichtiger, die eigenen Erinnerungen, Überzeugungen und mitunter auch Vorurteile kritisch zu hinterfragen und diese nicht auf potenzielle Schülerinnen und Schüler zu übertragen:

 „[Schülerinnen und Schüler finden Grammatikunterricht] wahrscheinlich ähnlich wie ich selbst eher langweilig (Proband ULW); schwer, unnötig, überflüssig (Proband SUW); eher langweilig und belastend, [denn es] gibt selten Schüler die es wirklich interessiert.“ (Proband MAW)

Befragt man Lernende3, zeigt sich ein deutlich differenzierteres Bild:

 „Ich finde, dass Grammatik ein interessantes Thema ist, da mir das Thema einigermaßen liegt. Naja, er [der Grammatikunterricht] wird zu einseitig gestaltet und man muss immer auf die Leute warten, die es ewig nicht begreifen.“ (Proband G1)

 „Die Grammatik die zwar sinnvoll ist aber zu viele regeln hat und ein zu großer teil davon in Noten verlangt wird“ (Proband G9)

 „Eigentlich gern, aber manchmal nicht gern weil wenn die Lehrerin die ganze Zeit spricht und es Langweilig wird.“ (Proband R8)

 „Gern nur dann wenn wir auch drüber reden und nicht nur unterstreichen. Manchmal denke ich das ich auch recht habe und versteh nicht warum das jetzt falsch ist.“ (Proband R20)

Nicht der Gegenstand an sich ist mit Langeweile, Abneigung oder Angst besetzt, sondern vielmehr beeinflusst die Art und Weise, wie die Lehrperson den Unterrichtsstoff aufbereitet und schließlich vor der Klasse auftritt, die Wahrnehmung, die Motivation und letztendlich das Lernen der Schülerinnen und Schüler. Schließlich „geht es im Grammatikunterricht nicht um ein ängstliches Befolgen von Regeln und Vermeiden von Fehlern, sondern um ein beobachtendes und spielerisches Entdecken der Sprache und der Muster, die sie zusammenhalten“ (Granzow-Emden 2013: 2).

Um die bemängelten fachlichen Inkonsequenzen oder das stupide Abarbeiten von grammatischen Proben zu vermeiden und stattdessen solche Konzepte zu vermitteln, die Systemeinsichten und Sprachreflexion ermöglichen, braucht es Überzeugungen, die den Erwerb fachwissenschaftlichen Wissens unterstützen, denn ohne dieses Wissen können fachdidaktische Überlegungen kaum zielführend angestellt werden: Erst muss der Gegenstand durchdrungen werden, um dann die richtigen Fragen zur schulpraktischen Umsetzung stellen und diese auch angemessen beantworten zu können. Für die Lektüre des Bandes gilt es daher,

 sich die Erfahrungen aus der eigenen Schulzeit bewusst zu machen

 Abstand von Vorurteilen zur Unterrichtsgestaltung und zu Schülerreaktionen zu nehmen

 den eigenen Einfluss auf den Lernerfolg und die Motivation der Schülerinnen und Schüler zu bedenken und vor allem

 sprachwissenschaftliche Konzepte als Ausgangspunkt für die Diskussion von sprachdidaktischen Gesichtspunkten anzuerkennen.

In den sprachdidaktischen Abschnitten wird exemplarisch vorgeführt, worin der Mehrgewinn besteht, wenn bei schulpraktischen Überlegungen explizit auf Fachwissen Bezug genommen wird. Auch wenn nicht alle Themenbereiche aufgegriffen werden können, so lassen sich allgemein übertragbare Denkstrukturen und Herangehensweisen ableiten, die den eigenen Lernprozess unterstützen und auch das Unterrichten erleichtern.

1.2 Der Gegenstandsbereich des Bandes

Wenn man danach fragt, woraus eine Sprache besteht, so lautet eine gängige Antwort: Aus Wörtern. Das mag daran liegen, dass Wörter die Bestandteile einer Sprache sind, die uns am ehesten zugänglich erscheinen. Dass dies keineswegs selbstverständlich ist, zeigt sich, wenn wir eine fremde Sprache hören, die wir nicht verstehen. In diesem Fall nehmen wir keine einzelnen Wörter wahr, sondern hören nur einen kontinuierlichen Lautstrom, der an- und abschwillt, hin und wieder seine Tonlage ändert und von einigen Pausen zum Luftholen durchzogen ist – tatsächlich sind wir nur dann in der Lage, eine lautliche Äußerung in individuelle Wörter zu zerlegen, wenn wir über gewisse Kenntnisse in der betreffenden Sprache verfügen. Dies zeigt uns, dass die Wahrnehmung und Identifizierung von Wörtern wesentlich davon abhängt, dass wir die Bedeutung der Äußerung (zumindest teilweise) erkennen können. Bei Wörtern handelt es sich also um Informationseinheiten, die eine bestimmte Bedeutung mit einer lautlichen Repräsentation verknüpfen. Darüber hinaus enthalten Wörter Informationen über ihr syntaktisches Verhalten, d.h. über mögliche oder notwendige Kombinationen mit anderen Wörtern. So wird es den meisten Sprechern des Deutschen klar sein, dass ein Wort wie besteigt keine vollständige Äußerung darstellt, sondern noch mindestens zwei Ergänzungen benötigt (z.B. wie in [Leopold] besteigt [das Matterhorn]). Ebenso gilt, dass ein Artikel wie das zwar mit einem Substantiv wie Buch oder Pferd verknüpft werden kann, nicht aber mit einem Adjektiv wie satt. Eine nähere Betrachtung zeigt also, dass es sich bei den vermeintlich einfachsten Bestandteilen von Sprache um komplexe integrierte sprachliche Bausteine handelt, die auf kleinstem Raum drei verschiedene Arten von Informationen bündeln (Bedeutung, Lautgestalt und syntaktisches Verhalten). Die kompetente Verwendung von Wörtern im Kontext einer Sprache stellt ein hochspezialisiertes Fähigkeitssystem dar, das wir beherrschen, ohne uns seiner Funktionsweise bewusst zu sein. So ist jedem Sprecher des Deutschen klar, dass es sich bei Gurke und Wolke um Wörter des Deutschen handelt, die sich in Lautgestalt und Bedeutung unterscheiden. Baut man sie in syntaktische Strukturen wie Sätze ein, so unterscheiden sich auch die Sätze in Laut und Bedeutung:


(1)a.Die Gurke ist grün.
b.Die Wolke ist grün.

Ebenso verfügen wir über eine implizite Kenntnis der Regeln, die den Aufbau von Wörtern bestimmen. So wissen wir, dass die Wörter Gurke und Wolke nicht nur in einer Form auftreten – man kann sie in den Plural setzen, indem man ein -n anfügt. Die pluralischen Formen erfordern allerdings einen anderen syntaktischen Kontext, da die Form des Verbs mit dem geänderten Numeruswert des Nomens übereinstimmen muss (sog. Subjekt-Verb-Kongruenz). Das vorangestellte Sternchen/Asterisk (*) signalisiert, dass das Beispiel in (3) nicht wohlgeformt bzw. nicht akzeptabel ist.


(2)Die Gurken/Wolken sind grün.


(3)*Die Gurken/Wolken ist grün.

Ein weiteres Beispiel für unser unbewusstes Wissen betrifft einen kreativen Aspekt von Sprache, nämlich die Bildung neuer Wörter aus vorhandenen Wörtern bzw. Wortbausteinen. So werden die meisten Sprecher erkennen können, dass ein Wort wie löwensicher (aus Löwe(n)+sicher) zwar kein gängiges, aber dennoch potentiell mögliches Wort des Deutschen ist, während dies für gurkensicher eher nicht zutrifft. Der zweifelhafte Status von gurkensicher ist auf eine semantische Unverträglichkeit zurückzuführen – bei Bildungen der Art X+sicher muss X in der Regel etwas potentiell Gefährliches oder Bedrohliches bezeichnen. Während gurkensicher uns zwar seltsam, aber dennoch irgendwie formbar vorkommt (z.B. in einer Welt, in der von Gurken eine Bedrohung ausgeht), sind Neuschöpfungen wie *Gurk(e)keit (aus Gurke+keit) oder *ungurk(e)bar (aus un+Gurke+bar) völlig ausgeschlossen. Die fehlende Wohlgeformtheit solcher Bildungen ist darauf zurückzuführen, dass sie gegen grammatische Regeln verstoßen (z.B. kann -keit nur an ein Adjektiv, nicht aber an ein Substantiv herantreten, vgl. Kapitel 5 für Details).

Der unbewusste Charakter dieser Form unseres sprachlichen Wissens erschwert – aus fachdidaktischer Perspektive – die Vermittlung entsprechender Kenntnisse in Schule und Universität. Der vorliegende Band begegnet dieser Problematik, indem er eine Synthese aus sprachwissenschaftlicher und sprachdidaktischer Perspektive anstrebt, die spezifische Probleme des Grammatikunterrichts an der Schule berücksichtigt und als Grundlage für Studium, Referendariat und Lehrerfortbildung dienen kann. Inhaltlich gibt der Band einen Überblick über wesentliche einschlägige Phänomene des Deutschen und führt anhand dieser in zentrale Begriffe und Analysemethoden ein. Zu jedem Teilbereich werden nicht nur Empfehlungen zur weiterführenden Lektüre, sondern auch Aufgaben angeboten, die eine selbständige Lernkontrolle und Prüfungsvorbereitung ermöglichen.

Zur Vertiefung der in dem vorliegenden Band verhandelten fachwissenschaftlichen Gegenstände eignen sich die Überblicksdarstellungen in der Dudengrammatik (Duden 2016) und in Eisenberg (2013). Eine empfehlenswerte populärwissenschaftliche Einführung in die wunderbare Welt der Wörter ist Miller (1993). Darüber hinaus gibt es eine Reihe nützlicher Online-Angebote zur deutschen Grammatik, die gegebenenfalls schneller zur Hand sind:

 ProGr@mm (die Propädeutische Grammatik), ein Lernsystem zur Grammatik des Deutschen, das ursprünglich für die universitäre Lehre konzipiert wurde: http://hypermedia.ids-mannheim.de/programm/index.html

 grammis 2.0, ein multimediales Informationssystem zur deutschen Grammatik: http://hypermedia.ids-mannheim.de

 canoonet, ein Online-Service, der Wörterbücher und Informationen zur Grammatik des Deutschen bereitstellt

 Ein ausführlicher Foliensatz zu einer stärker theoretisch orientierten Einführung in die Morphologie findet sich auf der Homepage von Fabian Heck (Universität Leipzig): http://home.uni-leipzig.de/heck/

Wir möchten uns an dieser Stelle bei Sandra Döring und Peter Gallmann bedanken, deren Kommentare und Hinweise wesentlich zur Verbesserung des ursprünglichen Manuskripts beigetragen haben. Ferner gilt unser Dank unseren Kolleginnen und Kollegen sowie Studierenden des Lehramts Deutsch, die uns mit Rat und Tat unterstützt haben: Lisa Alert, Patrick Brandt, Lara Hann, Fabian Heck, Marek Konopka, Franziska Münzberg, Fabiana Netzband, Dominik Spott, Ulli Wassner, Angelika Wöllstein und Anne Wolter. Weiterhin möchten wir uns bei allen Studierenden, die im SoSe 2016 und 2017 das Seminar „Kritische Auseinandersetzung mit der Schulgrammatik“ (Universität Leipzig) besucht haben, bedanken, da sie uns mit ihren kritischen Fragen und ihren Eindrücken aus den Praktika wichtige Anhaltspunkte für die Konzeption des Buches gegeben haben. Alle verbleibenden Unzulänglichkeiten sind natürlich von uns zu verantworten.

2 Grundbegriffe
2.1 Das Wort

Bei der grammatischen Beschreibung einer Sprache müssen lautliche, morphologische, syntaktische und semantische Aspekte berücksichtigt werden. Die lautlichen Eigenschaften einer Sprache sind Gegenstand von Phonetik und Phonologie. Die Phonetik befasst sich mit dem Inventar und den Eigenschaften von Sprachlauten, während die Phonologie das Lautsystem einer Sprache beschreibt – wie z.B. die sprachspezifischen Regeln, nach denen Laute zu größeren Einheiten wie Silben verknüpft werden. Die Syntax legt die Regeln fest, wie die Wörter einer Sprache zur Bildung von größeren strukturierten Einheiten wie Wortgruppen (Phrasen) und Sätzen kombiniert werden können. Bedeutungsaspekte werden in der Semantik behandelt, die beschreibt, wie sich die Bedeutung eines Satzes aus den lexikalischen Bedeutungen von Wörtern und den speziellen strukturellen Beziehungen zwischen diesen ergibt. Gegenstand der Morphologie schließlich sind die universellen und sprachspezifischen Regularitäten, die die innere Struktur und den Aufbau von Wörtern betreffen.

Wörter stellen für die meisten Sprecher wohl die offensichtlichsten Bestandteile von Sprache(n) dar. Dennoch stößt unser Wissen über Wörter schnell an seine Grenzen. So haben die wenigsten Sprecher eine Vorstellung davon, über wie viele Wörter sie verfügen. Dies liegt zum Teil daran, dass es nicht ganz klar ist, welche Einheiten in die Zählung eingehen. Soll man gehe, gehst, geht, gehen, ging etc. als eigenständige Wörter zählen, oder berücksichtigt man lediglich eine Grundform wie gehen? Zudem ist der Begriff des Wortschatzes mehrdeutig. Zum einen kann er sich auf die Anzahl der Wörter in einer Sprache beziehen. Für das Deutsche geht man von einem Gesamtwortschatz aus, der je nach Schätzung zwischen 300000 und 500000 Wörtern liegt. Nimmt man dazu noch das Vokabular spezieller Gebiete wie Fachsprachen hinzu, dürfte die Zahl der Wörter in die Millionen gehen. Zum anderen kann sich der Begriff des Wortschatzes aber auch auf die Zahl der Wörter beziehen, über die ein einzelner Sprecher verfügt. Hier kommen entsprechende Schätzungen auf Zahlen zwischen 30000 bis 200000 Wörtern, wobei es große Unterschiede geben kann abhängig von Faktoren wie Alter oder Bildungsgrad.

Man nimmt an, dass der Bestand an Wörtern, über die ein einzelner Sprecher verfügt, in einem mentalen Lexikon abgespeichert ist, das für jeden Lexikoneintrag Informationen wie Lautgestalt, Bedeutung und Wortart (Nomen, Verb, Adjektiv etc.) enthält. Allerdings enthält das mentale Lexikon nicht nur vollständige Wörter, sondern auch Wortbausteine wie un-, ver-, ent-, -bar, -lich, mit deren Hilfe komplexe Wörter gebildet werden können.

Jeder kompetente Sprecher einer Sprache hat auch ohne Grammatikschulung ein intuitives Verständnis, was ein Wort ist und was nicht. So werden die meisten Sprecher des Deutschen darin übereinstimmen, dass Hund, aber oder Personenvereinzelungsanlage Wörter des Deutschen sind, während die oben genannten Wortbausteine un-, ver-, ent-, -bar, -lich es nicht sind. In der Folge wollen wir uns dennoch kurz mit der Frage befassen, wie diese Sprecherintuitionen in eine Definition des Wortbegriffs übersetzt werden können. Bei näherer Betrachtung zeigt sich aber recht bald, dass dieses Unterfangen keineswegs einfach ist. Tatsächlich gibt es im Gegensatz zu anderen sprachlichen Bausteinen wie Phonem oder Morphem (siehe dazu weiter unten) bislang keine allgemein akzeptierte formale Definition des Wortbegriffs. Ein Grund dafür ist sicherlich der bereits angesprochene Charakter von Wörtern als integrierte Bauteile, die als Schnittstelle zwischen verschiedenen Teilmodulen der Grammatik fungieren und einen Komplex aus lautlichen, morphologischen, syntaktischen und semantischen Eigenschaften bilden. Eine kritische Auseinandersetzung mit entsprechenden Definitionsversuchen kann aber dazu beitragen, unser intuitives Vorverständnis dessen, was ein Wort ist, zu schärfen.

Unsere Wahrnehmung und unser Verständnis davon, was ein Wort ist, ist stark von der Schriftsprache geprägt. Es lässt sich jedoch leicht zeigen, dass ein rein orthografischer Wortbegriff auf der Basis von Getrennt- vs. Zusammenschreibung zu Problemen führt:


(4)a.Alt: irgend jemand; neu: irgendjemand
b.Alt: wieviel vs. wie viele; neu: wie viel, wie viele

Die Beispiele in (4) zeigen einige Unterschiede zwischen alter und neuer Rechtschreibung. Es ist offensichtlich, dass entsprechende Veränderungen lediglich das Resultat orthografischer Konventionen darstellen – es ist nur schwer vorstellbar, dass sich der Wortstatus von wieviel oder irgend jemand mit dem Einsetzen der Rechtschreibreform quasi über Nacht geändert hat. Eine Definition des Wortbegriffs, der sich rein an der Schreibung orientiert, ist also wenig hilfreich. Vielversprechender sind daher Definitionsansätze, die sich auch auf Eigenschaften gesprochener Sprache anwenden lassen. Konzentriert man sich dabei auf lautliche Eigenschaften, dann können Wörter als Lautfolgen definiert werden, die aufgrund von unabhängigen phonetisch-phonologischen Kriterien als separate sprachliche Einheiten identifizierbar sind (relevant sind hier z.B. Grenzsignale wie Pausen oder die Beobachtung, dass Wörter in vielen Sprachen nur genau einen Hauptakzent tragen können). Allerdings lässt ein solcher phonologischer Wortbegriff die Tatsache außer Acht, dass es sich bei Wörtern – im Gegensatz beispielsweise zu Silben – nicht um rein phonologische Einheiten handelt; vielmehr stellt das Wort das zentrale Grundelement von Morphologie und Syntax dar.

Vor dem Hintergrund eines grammatischen Wortbegriffs können Wörter als kleinste frei auftretende sprachliche Zeichen definiert werden, die mit bestimmten grammatischen Merkmalen (z.B. Wortklasse [Nomen, Verb etc.], Numerus [±Plural], Genus [±Feminin, ±Maskulin], Kasus, Tempus etc.) assoziiert sind und Gegenstand von syntaktischen Regeln sein können (vgl. auch Abschnitt 2.2 zum Begriff des syntaktischen Worts). So repräsentiert die Form habe im folgenden Beispiel zwei unterschiedliche grammatische bzw. syntaktische Wörter, die beide dem Grundwort hab-(en) zugehörig sind:


(5)a.Ich habe Peter getroffen.
b.Er sagt, er habe Peter getroffen.

In (5a) ist die Form habe ein grammatisches Wort mit den Merkmalen [Verb, Präsens, Indikativ, 1. Person, Singular], während in (5b) ein anderes grammatisches Wort mit den Merkmalen [Verb, Präsens, Konjunktiv I, 3. Person, Singular] vorliegt.

Ein morphologisches Kriterium besteht darin, dass Wörter eine komplexe innere Struktur aufweisen können, d.h. sie können aus mehreren Bausteinen zusammengesetzt sein, die selbst nicht frei vorkommen können wie un-, -bar etc. Diese atomaren Bauelemente der Morphologie nennt man Morpheme (vgl. Abschnitt 2.3). Der Wortbegriff lässt sich nun wie folgt fassen:

Begriff des Worts: Wörter sind frei auftretende sprachliche Zeichen, die aus einer oder mehreren kleineren Einheiten (Morphemen) aufgebaut sind und Gegenstand von syntaktischen Regeln zur Erzeugung größerer Zeichenkomplexe wie Wortgruppen (Phrasen) oder Sätzen sein können.

Obwohl eine Definition des Wortbegriffs, die sich auf morphologische und syntaktische Kriterien stützt, auf den ersten Blick recht erfolgreich zu sein scheint, ist auch sie mit einer Reihe von Problemen konfrontiert, auf die wir an dieser Stelle nicht erschöpfend eingehen können. Schwierigkeiten macht z.B. das Verhalten von sog. Partikelverben (Verbindungen, die aus einem Verb und einer Partikel bestehen), die nicht immer als Einheit auftreten:


(6)a.Lydia und Leopold schlafen während der Vorlesung ein.
b.*Lydia und Leopold einschlafen während der Vorlesung.
c.Lydia und Leopold könnten während der Vorlesung einschlafen.

Obwohl die meisten Sprecher wohl sagen würden, dass das Verb schlafen und die Verbpartikel ein zusammen ein Wort bilden (nämlich einschlafen), scheint (6a-b) nahezulegen, dass es sich um zwei separate Wörter handelt: Offenbar kann schlafen, nicht aber einschlafen, von einer syntaktischen Regel (Voranstellung des finiten Verbbestandteils im Hauptsatz) erfasst werden. Darüber hinaus können syntaktische Tests auch widersprüchliche Ergebnisse liefern, da einschlafen auch als sprachliche Einheit auftreten kann, vgl. (6c).

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