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Loe raamatut: «Im Hause des Kommerzienrates», lehekülg 21

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23

Kurze Zeit nachher stieg Käthe, die kranke Schwester vorsichtig stützend, auf der kleinen Treppe in das untere Stockwerk hinab, »um sich zu melden«. Sie kamen durch den schmalen Korridor, in welchen Käthe bei ihrer Abreise für einen Moment geflüchtet war. Er lief den großen Saal entlang, der fast den ganzen Raum des einen Seitenflügels der Villa nahezu beanspruchte – in ihm wurden die berühmten Hausbälle des reichen Mannes abgehalten.

»Es ist Probe für heute Abend, und dabei wird noch fortdekoriert und geschmückt«, sagte Henriette aufhorchend und heiser und höhnisch vor sich hinlachend – pathetische Deklamation, hie und da durch intensives Pochen und Hämmern unterbrochen, scholl durch die Türen. – »Wie ekeln mich diese Mädchen da drinnen an! Sie möchten sämtlich, wie sie auch auf der Bühne stehen, der Braut die Augen auskratzen, und doch faseln sie in grenzenlosem Schwulst von der schönsten Blume, die ihrem Kranz entrissen werde, von dem Dichtergenius, der ihre Stirne geküsst habe, und was dergleichen poetische Aderlässe mehr besagen. Und Moritz mit seiner maßlosen Verschwendung benimmt sich dabei wie ein Narr. Gestern Abend, unmittelbar nach seiner Rückkehr von Berlin, hat er die Handwerker wie Buben gescholten; die Dekoration musste als ›trödelhafter Plunder‹ sofort von den Wänden gerissen werden, weil die Leute in zwei dunklen Ecken Wollstoffe statt Seidendamast verwendet hatten; er wird nachgerade abstoßend mit seinem ewig herausgekehrten Millionärbewusstsein. Da sieh her!«

Sie schob unhörbar eine der Türen etwas weiter auf. Durch den nur schmalen Spalt sah man die Bühne nicht, auf der die Probe abgehalten wurde; dagegen präsentierte sich schräg seitwärts ein prachtvoller Baldachin von goldbefranstem Purpursammet – er sollte sich heute Abend über dem Brautpaar wölben.

»Wie wird er mit seinem blassen, finsterbrütenden Gesicht sich ausnehmen unter dem komödienhaften Firlefanz dort!« flüsterte Henriette und drückte den blonden Kopf wie in ausbrechender Verzweiflung tief bewegt an die Gestalt der Schwester. »Und sie wird wieder neben ihm stehen, siegend, triumphierend wie immer, in der wohlstudierten Toilette von weißem Mull und kindlich naiven Margarethenblümchen, wie sie der unschuldsvollen Braut am Polterabend zukommt. Ach Käthe, es ist etwas so Seltsames, Unbegreifliches um diese ganze Geschichte; ich habe jetzt so oft das Gefühl, als laure ein unglückseliges Geheimnis dahinter, so etwas wie ein heimlich glimmender Feuerbrand unter grauer Asche.«

Im Esszimmer saß die Präsidentin mit Flora und dem Kommerzienrat beim Frühstück. Die Braut war im eleganten, rosa bordierten Schlafrock, und ein Morgenhäubchen bedeckte die aufgewickelten Locken. Käthe erschrak fast, so grau und scharf erschien das Römergesicht der schönen Schwester ohne die goldene Glorie der Stirnlöckchen; heute sah sie zum ersten Male, dass Flora die Jugend hinter sich habe, dass endlich das ruhelose Bestreben, sich hervorzutun, die glühende Ehrsucht anfingen, das herrliche Oval unerbittlich in harter, einwärtssinkender Linie zu verlängern.

»Mein Gott, Käthe, wie kommst Du denn auf die Idee, uns gerade heute ins Haus zu fallen?« rief sie emporschreckend, im rückhaltlosen Ärger. »In welche Verlegenheit bringst Du mich! Nun muss ich Dich wohl oder übel mit ins Gefolge stecken. Ich habe aber schon zwölf Brautjungfern – eine dreizehnte kann ich nicht brauchen, wie Du Dir wohl selbst sagen wirst« – sie unterbrach sich mit einem leisen Aufschrei und fuhr zurück.

Der Kommerzienrat hatte mit dem Rücken nach der Tür zu gesessen und eben ein Glas Burgunder zum Munde geführt, als Floras Ausruf den Eintritt der Schwestern signalisierte. War ihm das Glas in Folge der Überraschung entglitten, oder hatte er es unsicher, mit abgewendeten Augen auf den Tisch gestellt, – genug, der volle, dunkelpurpurne Inhalt ergoss sich über das weiße Damasttuch und benetzte auch Floras Kleider.

Der reiche Mann stand einen Augenblick starr, verwirrt, mit völlig entfärbtem Gesichte und stierte erschreckten Auges nach der Tür, als trete dort ein wesenloses Phantom, nicht aber das imposante Mädchen mit den ernsten Zügen und der ruhigen, festen Haltung herein. Aber er fasste sich rasch. Mit einer lebhaften Entschuldigung gegen Flora drückte er auf die Tischglocke, um helfende und säubernde Hände herbeizurufen, dann eilte er auf Käthe zu und zog sie in das Zimmer herein. Und da ließ sich auch nicht eine Spur vom verschmähten Liebhaber in seinem ganzen Wesen entdecken; er war in jedem Worte, in seinem kühlen Händedrucke ganz und gar der väterlich gesinnte Vormund von ehedem, der sich freute, seine Mündel wohlbehalten zurückkehren zu sehen. Er klopfte sie wohlwollend auf die Schulter und hieß sie willkommen.

»Ich habe nicht gewagt, Dich einzuladen«, sagte er; »auch war ich in der letzten Zeit geschäftlich zu sehr überbürdet, um viel an Dresden denken zu können – Du wirst das verzeihen –«

»Ich bin einzig und allein als Henriettens Pflegerin gekommen«, unterbrach ihn Käthe rasch, aber ohne den leisesten Anklang von Gekränktsein über Floras ungezogene Begrüßung.

»Das ist lieb und gut gemeint, mein Kind«, sagte die Präsidentin mit aufgehelltem Gesichte; jede, auch die letzte Befürchtung erlosch in ihr angesichts dieser unbefangenen Begegnung. »Aber wohin mit Dir? In Deinem ehemaligen Zimmer ist Floras Trousseau aufgestellt und –«

»Sie werden mir deshalb nun doch erlauben müssen, mich in meinem eigenen Daheim einzuquartieren, wie ich auch bereits getan habe«, fiel Käthe höflich mit bescheidener Zurückhaltung ein.

»Es wird mir vorläufig nichts anderes übrigbleiben«, versetzte die alte Dame lächelnd und sehr gut gelaunt. »Heute Nachmittag wird unser Haus zum Bersten überfüllt sein – dazu leben wir in einem Trubel, wie ich ihn noch nicht gesehen; mit Mühe haben wir uns an den Frühstückstisch gerettet. Vom Morgengrauen an wird gehämmert, probiert –«

»Ja, sie deklamieren drüben, dass die Balken zittern«, sagte Henriette boshaft und legte sich müde in einen Lehnstuhl zurück, den ihr der Kommerzienrat hingerollt hatte. »Im Vorübergehen hörten wir ›Pallas Athene‹, die ›Rosen von Kaschmir‹ und die ›neue Professur‹ in lieblichem Versegemengsel –«

»Hu!« stieß Flora heraus und legte zornig beide Hände auf die Ohren. »Es ist geradezu unverschämt, mir ein solches Dilettantenprodukt vorzuleiern, mir, die ich mit meinen reizenden Festspielen stets und immer, vorzüglich bei Hofe, exzelliert habe. Und da soll man nun stillsitzen und keine Miene verziehen, während man sich vor Spott und Lachen die Zunge abbeißen möchte –«

Die Präsidentin unterbrach sie mit einer hastigen Handbewegung; eben traten die darstellenden Damen, die vor der Probe Schokolade im Esszimmer getrunken hatten, herein, um ihre zurückgelassenen Hüte und Sonnenschirme zu holen.

Flora schlüpfte in das anstoßende Boudoir der Großmama.

Mit affektierter Freude eilte die Hofdame, Fräulein von Giese, auf Käthe zu und begrüßte sie als eine »Langentbehrte«; auch dem Kommerzienrate reichte sie die Hand zum Gruße. »Schön, dass wir Sie hier treffen, mein bester Herr von Römer!« rief sie. »Da können wir Ihnen doch vorläufig danken für die bewunderungswürdige Art und Weise, mit der Sie unsern kleinen Polterabendscherz unterstützten. Wahrhaftig superbe, zauberhaft!« Sie küsste entzückt ihre Fingerspitzen. »Solche Feerien aus ›Tausend und einer Nacht‹ kann man allerdings auch nur in der Villa Baumgarten arrangieren – darüber ist die ganze Welt einig. – Apropos, haben Sie schon von dem Unglücke des Major Bredow gehört? Er ist fertig, total zugrunde gerichtet – alle Kreise sind alarmiert. Mein Gott, in welcher entsetzlichen Zeit leben wir doch! Sturz folgt auf Sturz, in so rapider Weise –«

»Major Bredow hat aber auch wahnsinnig genug in den Tag hinein spekuliert«, sagte die Präsidentin gleichmütig und stützte behaglich den Ellenbogen auf die gepolsterte Lehne ihres Fauteuils. »Wer wird denn so toll, so ohne Sinn und Verstand vorgehen?«

»Die Frau, die schöne Julie, ist schuld – sie hat zu viel gebraucht; ihre Toiletten allein haben jährlich dreitausend Taler gekostet.«

»Bah, das hätte sie auch fortsetzen können, wenn der Herr Gemahl mit seinem Anlagekapital vorsichtiger gewesen wäre. aber er hat sich an Unternehmungen beteiligt, die von vornherein den Schwindel an der Stirn getragen haben.« – Sie zuckte die Achseln. »In solchen Fällen muss man mit einer Autorität gehen, wie ich zum Beispiel; gelt, Moritz, wir können ruhig schlafen?«

»Ich mein’ es«, versetzte er lächelnd mit der lakonischen Kürze der Überlegenheit und füllte sein Glas mit Burgunder – er leerte es auf einen Zug. »Ganz ungerupft bleibt man bei einem solchen eklatanten Zusammensturz selbstverständlich auch nicht; da und dort entschlüpft ein kleines Kapital, das man ›spaßeshalber‹ riskiert hat – Nadelstiche, an denen sich bekanntlich niemand verblutet –«

»Ach, da fällt mir eben ein, dass ich ja heute die Börsenzeitung noch nicht erhalten habe«, fiel ihm die Präsidentin ins Wort und richtete sich lebhaft auf. »Sie kommt sonst pünktlich um neun Uhr in meine Hände.«

Er zog gleichgültig die Schultern empor. »Wahrscheinlich ein Versehen auf dem Postamte, oder das Blatt hat sich in mein Brief- und Zeitungspaket verirrt und ist mit hinüber in den Turm gewandert; ich werde nachsehen.« Dabei stellte er sein Glas nieder.

»Pardon, meine Damen!« sagte er mit Hindeutung auf sein rasches Trinken. »Ich fühlte plötzlich, dass mein gefürchteter Kopfschmerz im Anzuge; er kommt blitzschnell, und ich pflege ihn mit einem schnellgenossenen Glase Wein aus dem Felde zu schlagen.« Vorhin hatte er in der Tat ausgesehen, als dringe ihm die dunkle Glut des Rotweins bis unter die Stirnhaut.

Er entkorkte rasch eine Flasche Sekt und füllte mehrere auf dem Büfett stehende Gläser. »Ich bitte, mit mir auf das Gelingen unserer heutigen Abendvorstellung zu trinken«, sagte er, ein Glas hebend, zu den Damen, welche die Kristallkelche ergriffen und seinem Beispiele folgten. »Die Blumenfee mit ihrem reizenden Gefolge soll leben. Die Jugend und die Schönheit, und das herrliche Leben selbst, das ja keinem von uns feindlich ist, ja auch der süßen Gewohnheit des Daseins ein Hoch!«

Die Gläser klangen, und die Präsidentin schüttelte leise lachend den Kopf.

Käthe war unwillkürlich in die Fensternische zurückgewichen, in deren Nähe Henriettens Lehnstuhl stand. Sie sah, wie sich bei dem taktlosen Trinkspruche die Wimpern der Kranken feuchteten, wie sie sich im schmerzlichen Zorne auf die Lippen biss – die süße Gewohnheit des Daseins war für sie ein Marterrost, und »das herrliche Leben« ließ sich »feindlich« genug jeden Atemzug mit Schmerzen abkaufen. Die junge Mündel hatte kein Glas genommen, und der Herr Vormund hatte ihr auch keines angeboten. Der Blick des Mädchens glitt dunkel und ernstsprühend über seine lebhaft erregten Züge. Sie hatte nie geahnt, dass auch hinter diesem glatten, leidenschaftslosen Männerantlitze ein innerer Sturm aufwogen könne – und da war er in den unstet flackernden Augen, in dem leisen, konvulsivischen Beben der Lippen, in der ungewöhnlich lustig forcierten Stimme.

Es war, als fühle der reiche Mann den Blick – er sah unwillkürlich nach der Fensternische, dann stellte er rasch sein Glas auf den Tisch und fuhr sich mit beiden Händen hastig über Stirn und Haar; zu dem Kopfschmerze, der diesmal der Weinkur zu spotten schien, hatte sich für einige Sekunden nun auch ein leichter Schwindelanfall gesellt.

24

Der Polterabendlärm in der unteren Etage steigerte sich nachmittags bis zur Unerträglichkeit. Die adeligen Rittergutsbesitzer aus der Umgegend fuhren vor und mussten einlogiert werden. Aus der Stadt wurden Korbwannen voll »Theaterstaat« herbeigeschleppt – die Darsteller sollten sich in der Villa kostümieren. Friseure und Schneidermamsells rannten aus und ein, und dazwischen trabten die Gärtnergehilfen immer noch von den Treibhäusern her nach der Villa, keuchend und schweißtriefend unter der Last mächtiger Palmen, Orangen- und Gummibäume.

Bei all’ dem dumpfen Geräusche unter ihrem Zimmer war Henriette doch in einen scheinbar erquickenden Nachmittagsschlummer gesunken. Im anstoßenden Kabinette saß Nanni, die Kammerjungfer, und nähte mit flinken Händen Silberflitter auf eine Gazewolke, deren die immer noch fieberhaft arbeitenden Tapezierer drunten im Saale bedurften. Käthe öffnete leise die Tür und empfahl dem Mädchen, wachsam zu sein und das Zimmer nicht zu verlassen, bis sie zurückkehre – dann ging sie hinab, um in der Mühle verschiedene Anordnungen zu treffen.

Sie vermied es, den Hauptkorridor zu betreten – er wimmelte von ab- und zugehenden Menschen – und bog in den neben dem Saale hinlaufenden Gang ein. Er war weniger belebt, aber in der schmalen Tür, auf die er mündete und welche ins Freie führte, stand der Kommerzienrat, den Strohhut auf dem Kopfe und augenscheinlich im Begriff, nach dem Turme zu gehen. Er gab dem Lakai Anton, der ihn speziell bediente und deshalb mit ihm die Ruine bewohnte, einige in der Stadt zu besorgende Aufträge. »Lasse Dir Zeit!« rief er dem Forteilenden nach. »Erst nach sechs Uhr will ich mich umkleiden.«

Käthe schritt leise und langsam weiter; sie hoffte, er werde nun auch die Schwelle verlassen und in den Garten hinaustreten, allein er schob mechanisch die Hände in die Seitentaschen seines leichten Überziehers und ging nicht. Zu seinen Füßen liefen einige Stufen hinab; er stand ziemlich hoch und konnte von da aus ein bedeutendes Stück seines herrlichen Parkes übersehen, und das fesselte ihn offenbar an seinen Platz. Hatte er denn noch nie diesen Anblick in seiner überraschenden Schönheit so empfunden wie jetzt, wo die Spätnachmittagsbeleuchtung, in die sich bereits rosige Tinten des Abendlichtes stahlen, darüber hinfloss? … Immer wieder zeigte die Bewegung seines Kopfes, dass er die Augen rundum schweifen lasse, aber das junge Mädchen sah auch, dass sein Oberkörper unter fliegenden, gepressten Atemzügen förmlich bebte; sie sah, wie sich seine Hände in den Taschen krampfhaft ballten, wie die Rechte plötzlich aufzuckend nach der Stirn fuhr und sich über die Augen legte. Er kämpfte jedenfalls mit dem Unwohlsein, über welches er heute Morgen geklagt und das er standhaft verbiss, um die Abendfestlichkeiten nicht zu stören.

Sie trat jetzt geflissentlich fester auf, und bei dem Geräusche fuhr er herum.

»Dein Kopfweh hat sich verschlimmert?« fragte sie teilnehmend.

»Ja – und ich habe in diesem Augenblicke wieder einen beängstigenden Anfall von Schwindel gehabt«, antwortete er mit unsicherer Stimme und drückte sich den Hut tiefer in die Stirn. »Kein Wunder! Hätte ich eine Ahnung gehabt von den tausend Widerwärtigkeiten, die mit dieser Polterabendfeier verknüpft sind, ich hätte ganz gewiss davon abgesehen«, setzte er gefasster, aber auch mit einer ihm sonst fremden Art von Poltern hinzu. »Diese bornierten Handwerkerköpfe haben in meiner Abwesenheit alles verkehrt gemacht; sie haben mich und meine Intentionen nicht begriffen, und was sie in einer vollen Woche zusammengekleistert und ‐genagelt haben, das musste heruntergerissen und in Zeit von zwölf Stunden neu hergestellt werden. Nun haben wir den Lärm und die beispiellose Hetzerei bis auf den letzten Moment, wo die Gardine in die Höhe gehen soll.«

Er stieg die Stufen herab, langsam und zögernd, als schwimme bereits alles wieder vor seinen Augen.

»Soll ich zurückgehen und Dir ein Glas Selterswasser holen?« fragte sie, auf der Schwelle stehenbleibend. »Oder wäre es nicht besser, den Arzt zu holen?«

»Nein – ich danke Dir, Käthe«, versetzte er in seltsam weichem Tone, und sein feuchter Blick überflog schimmernd, wie messend das schlanke Mädchen, das seiner Besorgnis so ungekünstelt Ausdruck gab. »Übrigens irrst Du sehr, wenn Du meinst, Bruck sei so leicht erreichbar. Der lässt sich von seiner Praxis hetzen bis zum letzten Augenblick; ich glaube, man wird ihn übermorgen vom Krankenbette zur Trauung holen müssen.« Ein sarkastisches Lächeln, als mache er sich innerlich über die ganze Welt lustig, flog über seine Lippen. »Das beste Mittel habe ich selber« – sagte er gleich darauf – »meinen kühlen Turmkeller. Ich bin eben im Begriffe, hinüberzugehen und die Weine für heute Abend herauszugeben; die frische Kellerluft wird wirken wie eine kühlende Kompresse.«

Käthe knüpfte die Hutbänder unter dem Kinne fester und trat heraus auf die Türstufen.

»Und Du gehst noch in die Mühle? Hoffentlich nicht weiter?« meinte er, nach seiner Uhr sehend; diese einfache Frage klang so nachlässig hingeworfen, und doch kam es Käthe vor, als stocke der Atem dabei.

Die Stufen herabsteigend, sagte sie ihm, was sie nach der Mühle führe, dann ging sie mit einem freundlichen Kopfneigen über den Kiesplatz, während der Kommerzienrat die Richtung nach dem Turme einschlug. Hinter dem ersten Strauche des nächsten Bosketts sah sie noch einmal unwillkürlich nach ihm hinüber; er war unverkennbar leidender, als er eingestehen mochte. Schon wieder ging er zögernd, wie mit einknickenden Knien; er hatte den Hut in den Nacken geschoben, als stürme ihm die Fieberglut abermals nach dem Kopfe, und seine Augen irrten ziellos über den Park hin.

Jetzt brauste es auch ihr durch das Gehirn; ein dunkles Angstgefühl überkam sie. Der kranke Mann mit dem unsicheren Gebaren allein im Turmkeller! Wie ein Fiebergespenst jagte der grauenhafte Gedanke, der sie einst angesichts der Ruine gepackt, an ihr vorüber. »Ich bitte Dich, Moritz, sei vorsichtig mit dem Kellerlicht!« rief sie ihm angstvoll zu.

War er zu tief im Nachgrübeln versunken gewesen, oder hatte sich bereits jene nervöse Reizbarkeit seiner bemächtigt, die vor jeder lauten Menschenstimme erschrickt: er fuhr wild empor, als habe ihn ein Schuss getroffen.

»Was willst Du damit sagen?« rief er heiser zurück. »Wie? Siehst Du Gespenster am hellen Tage, Käthe?« setzte er gleich darauf hinzu; er brach in ein schallendes Gelächter aus, das etwas tief Beschämendes für die jugendliche Warnerin hatte, und verschwand mit einem spöttisch grüßenden Handwinken und sehr stramm gewordener Haltung im nächsten Laubgange.

Kaum eine halbe Stunde später ging Käthe am Flusse hin. Die Geschäfte waren erledigt, und so viel Zeit blieb ihr noch, verstohlen das alte, liebe Doktorhaus wiederzusehen. Wie schlug ihr das Herz, als sie durch das bewegliche Laub der Uferbirken die in der Sonne glühenden Wetterfahnen flimmern sah! Wie erschrak sie bei jedem verräterischen Knirschen des Sandgerölles unter ihren Füßen! Sie kam wie eine Vertriebene, die einen letzten Blick in das gelobte Land werfen will. Und nun lehnte sie an der Pappel, die den Holzbogen flankierte – an dieser Stelle hatte Sie das letzte unverwischliche Bild in ihre Seele aufgenommen; wie aus Goldgrund hatten sich die lauschenden Kinderköpfchen neben der Hausecke draußen von der strahlenden Landschaft abgehoben, und dort an dem Gartentische war der kraftvolle, strenge Mann in unbegreiflicher Gemütserschütterung zusammengebrochen.

Jetzt war es still auf dem tiefbeschatteten Rasengrunde. Die Obstbäume, die sie in prangender Maienfrische gesehen, bogen sich unter der Last ihrer Früchte, die gelb und rotbackig das unscheinbar gewordene Laub überstrahlten und die Lüfte mit dem köstlichen Aroma der Reife erfüllten, und am Weinspalier des Hauses hing der vielgerühmte Traubenreichtum in tiefer Bläue. Nur einen einzigen schüchternen Blick nach dem Eckfenster, wo der Schreibtisch stand! Der Doktor war ja nicht daheim; er eilte von einem Krankenbette zum andern »bis zum letzten Augenblicke«. Und in dem Zimmer wohnte er auch nicht mehr. Weiße, spitzenbesetzte Gardinen hingen hinter den Scheiben; auf dem Sims, zwischen den Töpfen mit vollblühenden Alpenveilchen, lag ein schneeweißes Kätzchen, und jetzt hoben sich zwei strickende Hände, und ein Frauenkopf mit silberweißem Scheitel unter dem sauberen Mullstrich bog sich darüber her – die alte Freundin der Tante Diakonus war bereits eingezogen. Er hatte auch diese Brücke hinter sich abgebrochen; er war reisefertig, und übermorgen kam »der letzte Augenblick«, wo die stolze, herzlose Schwester neben ihm stand, im weißen Atlaskleide, um – »die Salonrepräsentantin des berühmten Mannes« zu werden. Hatte sie einst schwerer gekämpft, die schöne, blonde Edelfrau, als das Mädchen, das jetzt, bitterlich weinend, die Arme um den schlanken Stamm legte und an die raue, harte Rinde die Stirn presste, bis sie ihr schmerzte? Jene war geliebt worden, und wenn auch verlassen, traf sie keine Schuld, hier aber nagte an dem Herzen einer Ungeliebten sündhafte Eifersucht, und die sie beneidete, war – die eigene Schwester.

Starke Männerschritte hinter ihr machten sie aufschrecken.

Der Müller Franz ging mit einer über die Schulter gelegten Eisenstange vorüber, um nach dem oberen Wehre zu sehen, wie er sagte. Diese Begegnung, die ihr das Blut in das Gesicht trieb, scheuchte sie von ihrem Lauscherposten, und während Franz rasch weiter eilte, ging sie langsam am Ufer hin. Sie konnte sich noch nicht entschließen, in die Villa zurückzukehren – mit ihrer Toilette für heute Abend war sie ja längst fertig, ehe Henriette, die trotz ihrer Hinfälligkeit um jeden Preis dem Festspiel beiwohnen wollte, ihren armen, elenden Körper so geschmückt hatte, dass die Spuren der verheerenden Krankheit weniger hervortraten.

Hier war es so köstlich einsam. niemand sah ihre geröteten Augen, und wie sie zornig mit ihrem widerspenstigen Herzen rang, mit ihrer sündigen Sehnsucht, die sie hierhergetrieben hatte – ja, sie allein – Schande über sie, wenn sie sich selbst anlog und ihr leidenschaftliches Verlangen beschönigte! Nicht das traute Haus, nicht die liebenswürdige alte Frau drinnen hatte sie wiedersehen wollen, und es war auch nicht ihre feste Überzeugung gewesen, dass er nicht daheim sein könne – sie hatte es doch gehofft, und nun, wo sich ein anderes Gesicht als das seine am Eckfenster gezeigt hatte, war ihr das traute Fleckchen Erde öde und sonnenverlassen erschienen.

Der voranschreitende Müller war ihren Blicken entschwunden – sie kam der Ruine näher. Der Wasserring glitzerte von ferne und das auseinandertretende Gebüsch ließ sie den eleganten Brückenbogen übersehen, der sich über den Graben schwang. … In diesem Augenblicke beschritt ihn vom Turme her ein Mann mit großem, rotblondem, tief auf die Brust hinabreichendem Vollbarte. Er trug eine blaue Arbeiterbluse unter dem lässig übergeworfenen Rocke und jagte mit seinem Stocke die zwei Rehe vor sich her. Sie stoben förmlich über die Brücke und flohen in den Park hinein.

Käthe würde den Mann nicht weiter beachtet haben – Handwerker verkehrten ja oft im Turme – wenn sein Gebaren sie nicht stutzig gemacht hätte. Der Kommerzienrat liebte die Rehe zärtlich; er konnte sehr böse werden, wenn er eines im Parke umherirrend fand – und nun jagte der Fremde die scheuen Tiere geflissentlich über das Wasser! War er einer jener Erbitterten, die dem beneideten Reichtume Schaden zufügen und Schabernack antun, wo sie können? … Er schlug den Weg ein, der nach dem großen Parktore und auf die Landstraße hinausführte; sie verfolgte ihn mit den Augen, bis ihn das Dickicht aufnahm – welche Ähnlichkeit! Seiner Haltung und Größe, seinem ganzen Körperbau nach hätte der Mann im Arbeiterrocke ein blonder Zwillingsbruder des Kommerzienrates sein können.

Sie blieb wider Willen gefesselt stehen und sah nach dem Turme, von wo er gekommen war – wie herrlich gruppierte sich hier die Landschaft um die Ruine, und mit welch’ künstlerischem Takte und Gefühle hatte der aus der Ferne herbeigerufene Baumeister das Vorhandene zu benutzen verstanden, um die Mauerreste mit einem so ergreifend romantischen Zauber zu umspinnen! Es war wieder still geworden; nur das Flügelklatschen der Tauben, die über dem Turme kreisten, klang schwach herüber – wie kleine Silberkähne durchschifften die graziösen Luftsegler den klaren, rot angehauchten Abendhimmel und schlüpften durch die Lücken der Mauerkrone, die scharfzackig in das Ätherblau hineinschnitt – nein, nicht die Mauerkrone! Ein urplötzlich speiender Krater war es, der unter donnerndem Krachen eine Garbe schwarzen Schwalles riesenhoch in den Himmel hineinschleuderte. Der Boden wurde dem Mädchen buchstäblich unter den Füßen weggerissen – sie stürzte, wie hingeschmettert – dann schwemmten kühle Wassermassen an sie heran.

Was war das? Alles, was laufen konnte, stürzte aus der Villa und rettete sich hinaus in den Garten – das Haus hatte in seinen Grundfesten bis zum Einsturze gewankt. – Ein Erdbeben! Wie entgeistert, atemlos standen die Menschen draußen, jeden Augenblick erwartend, dass sich die Erde zu ihren Füßen auftun werde. Schon spie sie Wasserbäche dort über die niedriger gelegenen Rasenspiegel hin; die Lüfte atmeten Brandgeruch und streuten Atome zu Zunder gebrannter Stoffe auf den Kies. … Die mächtigen Scheiben des stolzen Hauses waren zersprungen; und im großen Saale lagen die deckenhohen Spiegel zerschmettert auf dem Parkett, und von dem luftigen Bau der Bühne waren die Sammet- und Seidendraperien abgeschüttelt, und die Arbeiter hatten sich nur mit Mühe vor den schwer niederstürzenden Bronzeverzierungen und Stangen gerettet.

Von der Promenade her stürmten jetzt die Spaziergänger herein, unter ihnen Anton, der aus der Stadt zurückkehrte. »Dort, dort!« schrien die Leute der Präsidentin zu, die sich halbohnmächtig auf Floras Schulter stützte, und zeigten über den Park hin. Dort brannte es – dicke, schwarze Rauchwolken quollen auf, so intensiv, dass man besonders brennbare Stoffe wie Raketen einzeln in dunkler Nacht emporschießen sah.

»Das Pulver im Turme hat explodiert«, rief jemand aus der Mitte des Menschenknäuels.

»Unsinn!« antwortete Anton, nahezu lachend, obgleich ihm die Zähne vor Schrecken und Entsetzen zusammenschlugen. »Das taube Zeug explodiert längst nicht mehr, und die paar frischen Prisen, die der gnädige Herr aus Jux drüber hergestreut hat, heben keinen Ziegelstein von seinem Platze.«

Trotzdem rannte er wie toll parkeinwärts, quer über die schwimmenden Rasenflächen – er wusste ja seinen Herrn dort drüben, wo es brannte. Der ganze Menschenschwarm brauste hinter ihm drein, während auf dem nahegelegenen Stadtturm die Feuerglocke zu läuten begann.

Welche Verwüstung! Was war in einer flüchtigen Sekunde, die kaum zu einem Atemzug genügte, aus dem paradiesischen Gefild geworden, zu welchem ein verschwenderischer Aufwand von Gold und Arbeit den ehemaligen Lustgarten eines erloschenen Rittergeschlechtes umgewandelt hatte! Wie ein Springquell, der spielend Kiesel in die Lüfte wirft, so hatte dort, wo der schwarze Qualm den Himmel verfinsterte, ein Höllensprudel die Mauerquadern gepackt und in weitem Bogen verstreut, hier einen Granitwürfel tief in den weichen Rasenboden einwühlend, dort starke Baumwipfel wie Rohr unter der Steinwucht einknickend, und drüben nach Süden hin stand das Palmenhaus wie ein gläsernes Sieb, doppelt flimmernd und glitzernd mit seinen Scherbenzacken; ein wahrer Steinhagel musste sich, wie aus boshafter Knabenhand geschleudert, gerade auf »das Glaswunder« der Residenz gelenkt haben.

Es war ein Anblick, wohl geeignet, das Haar sträuben und die atemlos Herbeieilenden zurücktaumeln zu machen, als das letzte hohe, verbergende Buschwerk hinter ihnen lag. Hatte die Ahnfrau der Baumgarten in der Tat die Lunte angelegt, um dem komödienhaften Spiel, das der Parvenü mit den ehrwürdigen Überresten ihrer Stammburg trieb, ein Ende zu machen? Aber sie mussten Eisen in die Mauerfugen gegossen haben, die Alten. Wohl war das obere Gelass mit der Zackenkrone auf dem Scheitel zerstückelt und nach allen vier Winden hingeschleudert worden; von dem unteren Teil des Gemäuers dagegen hatte die Riesengewalt nur eine kleinere Hälfte abzusprengen vermocht; sie lag, herabgestürzt, aber noch festgefügt und unzerstörbar zusammenhaltend, nahe dem Graben, während die andere trutzig und dräuend wie vorher in die Lüfte ragte; aus ihrem Schlund loderten die bleichgelben Flammen empor, jeden Balkensplitter, jeden Zeugfetzen gierig von den Innenwänden leckend.

»Mein armer Herr!« stöhnte Anton und streckte die Arme verzweiflungsvoll über den Graben hin. Da drunten gurgelten und brodelten die Wasser, die der furchtbare Stoß aus ihren Ufern gehoben und weithin über den Park verschüttet hatte; nun stürzten sie sich zurück in ihr niedriger gelegenes Gebiet, Sand und Rasenstücke und blutige, zerrissene Tauben- und Dohlenleichen mit sich schleppend. Der zierliche Brückenbogen war spurlos verschwunden, der schönberaste, eiförmige Hügelrücken in klaffende Spalten geborsten, und die alten Nussbäume, die er genährt, und die sein Schmuck gewesen, hatte er ausgestoßen; sie lagen hingestreckt, die Äste wie die Geweihe zweier im erbitterten Kampfe verendeter Hirsche ineinander verrannt.

Was half es, dass immer neue Menschenscharen zuströmten, dass die Feuerspritzen heranjagten? Da war nichts zu retten. Wer suchte noch dort in dem lodernden Krater die kostbaren Möbelstücke, die berühmte Humpensammlung, die Bild- und Skulpturwerke und Elfenbeinschnitzereien, die reichen Teppiche? Wie in entsetzlichem Hohne war eine der purpurnen Seidengardinen, unversehrt aus dem Fenster fliegend, am Sims hängen geblieben und fiel grauenhaft unbeweglich über die Außenseite des Turmrestes, wie wenn das Blut unmerklich rinnend einer breiten Wunde entströmt.

Und die Menschen raunten sich von aufgehäuften Gold- und Silberschätzen zu – oder nein, es waren ja Papiere gewesen, Papiere, die den Besitz von Fabriken, Grubenwerken, Landstrecken und dergleichen in unermesslichem Werte verbürgten und welche der alte, feste Turm mit seinen Mauern, seinen unbesieglichen Schlössern und seinem Wassergürtel wie ein Drache gehütet hatte. Wo waren sie? Wo die Eisenplatten, die sie umschlossen? Waren die Geldspinde unzersprengt hinabgestürzt in das Kellergewölbe, inmitten der Flammenglut eine Auferstehung ertrotzend?

Und was war aus ihm geworden, aus dem reichen Manne, von welchem Anton bestimmt wissen wollte, dass er sich vor einer Stunde nach dem Turm begeben habe, um Weine aus dem Keller zu holen? Alles starrte mit stockendem Atem in das Flammengewoge, während der treue Diener händeringend den Graben umkreiste und den Namen seines Herrn immer wieder über das Wasser hinüberrief. Es war doch eine unverzeihliche Marotte gewesen, Schießpulver da aufzubewahren, wo man mit dem offenen Kellerlicht hantierte.

Žanrid ja sildid
Vanusepiirang:
0+
Ilmumiskuupäev Litres'is:
06 detsember 2019
Objętość:
497 lk 30 illustratsiooni
Õiguste omanik:
Public Domain