Loe raamatut: «Jugendsprache», lehekülg 2

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1.3 Jugendlicher Sprach- und Lebensstil als Projektionsobjekt

Fragen wir weiter nach Gründen für die durch die Intensität der öffentlichen Diskussion dokumentierte Anziehungskraft des Themas „Jugend“ und „Jugendsprache“ auf „erwachsene“ Vertreter älterer Generationen und für das damalige Vorherrschen kritischer Sichtweisen und Negativurteile, rücken neben dem gesellschaftspolitischen Rahmen des Spannungsverhältnisses zwischen den Generationen auch sozialpsychologische Aspekte der Identifikation und ProjektionProjektion in den Blick. So lässt sich zumindest ein Teil der Negativurteile der älteren Generationen aus dem Funktionieren jenes Projektionsmechanismus erklären, durch den die „ehemaligen“ Jugendlichen ihre eigene Lebensgeschichte mit ihren erfüllten und unerfüllten Erwartungen, Wünschen und Hoffnungen auf die heutigen Jugendlichen übertragen. Insofern machen die in der Öffentlichkeit als auch in vielen privaten Diskussionen vorgebrachten Argumente stets auch und vielleicht sogar eher Aussagen über die Diskutanten selbst.1Neuland, Eva

Dabei ist der Projektionsvorgang sicherlich nicht vordergründig allein so zu verstehen, dass die Erwachsenen in den Jugendlichen ihre eigenen Verhaltensweisen und Wertvorstellungen nur unzureichend verkörpert sehen, wie es eine sprachpflegerische These vom SprachverfallSprachverfall der heutigen Jugend nahelegen könnte. Eine nicht nur sprachliche Sittenlosigkeit – die „wir uns früher nie gewagt hätten“, um es an einem Alltagsargument zu verdeutlichen – kann daneben auch als Zeichen einer selbst nie gelebten Normübertretung oder Befreiung von gesellschaftlichen Konventionen gelten. Diese ist allenfalls ein Privileg der Jugend, das allerdings sogleich als Zeichen einer kindlichen Unreife wieder stigmatisiert wird.

Dies verdeutlicht auch das Beispiel jener Argumentationsrichtung aus den 80er Jahren, die den damaligen Jugendlichen nicht nur ein Abschirmen durch Wortsignale und Sprüche, sondern darüber hinaus auch eine Rationalitätsfeindlichkeit und Unlust zu argumentativer Auseinandersetzung, einen Mangel an analytischer Begrifflichkeit und theoretischer Abstraktionsfähigkeit vorhält. Diese Urteile können zumindest teilweise aus einem historischen Hintergrund erklärt werden: Sie resultieren vor allem aus einem Vergleich späterer Jugendsprachen mit der Schüler- und Studentensprache der „APO-Generation“, aus der Teile der so argumentierenden Eltern- und Lehrergeneration hervorgegangen sein mögen.2

In diesem Sinne begründet Klaus HolzkampHolzkamp, Klaus in seiner kulturpsychologischen Analyse dieses Spannungsverhältnis zwischen den GenerationenGeneration, das zum Teil auch Züge des Entwicklungsneids und der Jugendfeindlichkeit annehmen kann, mit einer Bedrohung des Abwehrsystems und der Lebensbewältigungsstrategien der durchschnittlich angepassten, kompromissgenötigten Erwachsenenexistenz in Form einer „Wiederkehr des Verdrängten“3 aus den verschütteten Alternativen des Kampfes um ein erfüllteres Leben“4Holzkamp, Klaus, wobei dieser Prozess dann wieder zu einer verstärkten Abwertung und Ausgrenzung der Jugendlichen führt.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass ein solches Motiv bei den periodisch wiederkehrenden und sich in der Argumentationsstruktur durchaus ähnelnden sprachkritischen Stimmen zur Jugendsprache in den verschiedenen historischen Epochen eine Rolle gespielt haben mag.

Daraus lässt sich schließen, dass die öffentlichen kritischen Diskurse über Jugendsprache durchaus nicht universell, sondern zeitdiagnostisch im Hinblick auf die jeweils vorherrschenden Normvorstellungen von Sprachgebrauch und Sozialverhalten zu analysieren sind. Spannungsverhältnisse zwischen den Generationen und darauf basierende ProjektionsprozesseProjektionsprozess setzen allerdings eine GenerationendifferenzGenerationendifferenz voraus, die für die 80er Jahre noch angenommen werden kann, die sich aber seitdem zunehmend zu verringern scheint.

Gegenüber der vorherrschenden Außensicht auf Jugendsprache als Objekt der SprachkritikSprachkritik soll aber auch ein Beispiel aus der damaligen öffentlichen Berichterstattung Erwähnung finden, das eine Innensicht der Jugendlichen selbst präsentiert. Und zwar verwenden diese die Jugendsprache als Mittel der Sprachkritik, vor allem als Kritik des Sprachgebrauchs von Politikern.

Dieses Beispiel stammt aus dem schulischen Kontext, und zwar aus der Beschäftigung einer Projektgruppe eines Bonner Gymnasiums mit dem Thema Jugendsprache.5 Die Schülerinnen und Schüler haben hier eine jugendsprachliche ÜbersetzungÜbersetzung einer Rede des damaligen Bundeskanzlers Kohl erarbeitet. Dabei ging es ihnen allerdings nicht um eine Wort-zu-Wort-Übersetzung; vielmehr macht ihr Textvergleich neben der Entlarvung von Phrasenhaftigkeit des politischen Sprachgebrauchspolitischer Sprachgebrauch auch auf die unterschiedlichen Erfahrungsbereiche und Sichtweisen zwischen den Generationen deutlich, und zwar sowohl in Form von Aussparungen als auch von Differenzierungen. Dazu ein Beispiel:


Originaltext Kohl Jugendsprachliche Übersetzung
Unser Staat braucht die zupackende Mitarbeit der jungen Generation. Das Antörnen der Teenies ist für unser Land eine echt coole Sache.
In diesem Jahr werden alle Jugendlichen, die ausbildungswillig und ausbildungsfähig sind, eine Lehrstelle erhalten können. […] Auch wird jeder ne geile Azubistelle raffen können. […]
Wir müssen der jungen Generation Hoffnung geben. Wir müssen es als Laberköpfe endlich raffen, eh, den langhaarigen Körnerfressern, Poppern, Punks, Schleimern, Schnallis, Tunten, Prolis und Alkis den Null-Bock auf Future zu nehmen.

Ein solches sprachkritisches und sprachspielerisches Potential der Jugendsprache wurde von der öffentlichen Kritik der damaligen Zeit völlig übersehen.

2 Jugendsprache in öffentlichen Diskursen und medialen Konstruktionenmediale Konstruktion

Schon in den 80er Jahren ist zunehmend eine Berichterstattung über Jugendsprache in der Presse zu bemerken, die nicht mehr ausschließlich von pädagogischer Besorgnis geprägt ist.

Mit der FAZ-Glosse: „Können Sie noch Deutsch?“ hatte die Tagespresse schon 1979 ihrer Leserschaft das „Disko-DeutschDisko-Deutsch“ präsentiert und zur Erleichterung des Verständnisses eine Version „Normal-Deutsch“ beigefügt. Ein Textauszug lautet:


Disko-DeutschDisko-Deutsch Normal-Deutsch
[…] Ich Chaot hatte keine Matte mit, weil ich meinen Kaftan vergessen hatte, und sagte zu Peter, er solle mal ausklinken. […] Dummerweise hatte ich kein Geld dabei, weil ich mein Jackett vergessen hatte und bat Peter, er möchte für mich zahlen.
In dem Schuppen zogen ein paar People schon eine heiße Show ab. In dem Lokal sorgten einige Leute gehörig für Stimmung.
Wir machten eine kurze Fleischbeschauung und Peter machte sich sofort daran, eine riesige Tussi anzugraben. Wir sahen uns etwas um, und Peter begann sofort mit einem hübschen Mädchen zu flirten.
Die war echt einsam, aber ich hatte einfach keinen Schlag bei ihr. […] Sie war wirklich ausnehmend schön, aber ich hatte keine Chance bei ihr. […]

2.1 VerständigungsproblemeVerständigungsprobleme zwischen den Generationen?

Bekannt wurde Elke Heidenreichs Hörfunk-Sketch in der NDR II-Sendung „Espresso“ von Dezember 1983 über eine briefliche Verabredung zwischen dem Enkel Harry und seiner Oma zum bevorstehenden Weihnachtsfest, von der ein Auszug vorgestellt sei:

Liebe Oma, Stollen, Baum, Gänsebraten (würg!), die ganze alte Bürgerscheiße, Du bist doch total out, bei Dir läuft der falsche Film, Oma! Aber gut, komme also am vierundzwanzigsten, und bringe Pinky, Zomby, Schleimi und Fuzzy mit, haben alle Schlafsäcke, mach also null Extra-action! Die Fete ist dann zwar übermackert, aber vielleicht reißen wir irgendwo noch Bräute auf – sonst bist Du ja da – Oma, du bist echt geil! Wir werden Weihnachten tierisch abheben. […]

(Heidenreich 1983)

VerständigungsproblemeVerständigungsprobleme zwischen den Generationen konstruierte auch der Karikaturist Fritz Wolf in seinen damaligen in der Illustrierten „SternStern, Clara u. William“ abgedruckten Comics. Dieses Argument, hier noch karikiert, lebt seitdem in den Medien immer wieder einmal auf. Ein jüngstes Beispiel liefern Berliner Kurier und Berliner Morgenpost vom 13. 7. 2008.

Unter dem Titel „Verstehen Sie Ihre Kinder noch?“ präsentierte die BILD-Zeitung vom 2. Mai 2000 das „Szene-Deutsch für Anfänger“ als „Thema des Tages“. Einem „Kiddie-Text“ wird eine ÜbersetzungÜbersetzung in „normales Deutsch“ gegenübergestellt, wie es das folgende Beispiel des Textanfangs demonstriert:


Verstehen Sie Ihre Kinder noch? Szene-Deutsch für Anfänger Kiddie-Text – die ÜbersetzungÜbersetzung
Mark ist immer auf dem Sprung. Mark ist viel unterwegs.
Nach der Schule cruised er mit dem Board zum nächsten Hangout, wo die Locals in der Halfpipe ihre Jumps durchziehen. Nach der Schule fährt er mit seinem Skateboard an den nächsten Treffpunkt, wo seine Freunde aus der Nachbarschaft an einer Schanze ihre Tricks üben.
Wer bei den Übungen hinfällt, gilt unter den Könnern als Verlierer und wird zum Spott freigegeben. […]

Durch die mediale Entdeckung der Jugendsprache in den frühen 80er Jahren wird das Phänomen zugleich selbst medial gestaltet und stilisiert1Neuland, EvaDoing Youth und zum Aufbau und zur Steuerung verschiedener gesellschaftlicher Diskurse genutzt.

Je nach Verwendungszweck gibt „Jugendsprache“:

 als Sprachnormverstoß Anlass zur Kritik, Klage und Empörung,

 als Sprachverfremdung Anlass zur pädagogischen Besorgnis,

 als Sprachkarikatur Anlass zu Belustigung und Amüsement.2

Die angeführten Beispiele aus den 80er Jahren folgen dieser Entwicklungstendenz von der Empörung zur Belustigung und zum Amüsement.

2.2 Jugendsprache als Konsumgut

Schneller, als es die sich gerade erst entwickelnde linguistische Jugendsprachforschung ermöglichte, befriedigten populärwissenschaftliche Veröffentlichungen das öffentliche Informationsbedürfnis. Dies bestätigt ein Blick auf den sprunghaft expandierenden Markt der WörterbücherWörterbücher, die gleichsam als „Schlüssel für die Szene“ fungierten. Die hohen Verkaufszahlen sprechen dafür, dass hier eine Nachfrage erkannt, durch die attraktiv aufgemachten Angebote aber zweifellos auch verstärkt wurde.

Die 1983 erschienenen „Sprache und Sprüche der Jugendszene“: „Laß uns mal ’ne Schnecke angraben“ des Psychotherapeuten Claus Peter Müller-Thurau standen monatelang auf Platz 1 der Beststeller-Liste. Laut Klappentext können Eltern lernen:

Was bedeutet „knacken“, „ömmeln“, „abschnallen“ oder „Bock haben“? Was ist mit „Haste Bock auf ’ne Mafia-Torte?“ oder mit „Die Tussi törnt mich mächtig an“ gemeint“?

1985 folgte sein „Lexikon zur Jugendsprache“:

Abb. I.2.1:

Titelbild Lexikon

„In diesem endgültigen, umfassendsten, witzigsten und aktuellsten Buch zur Sprache der Jugend finden Eltern, Erzieher und Ausbilder alles, was sie wissen müssen, um ihre heranwachsenden Chippies, Fuzzies, Grünis, Mufties, Müslis, Muttis, Popper, Prolos, Punks, Sahneschnitten, Schlaffies, Schnecken, Skinheads, Spontis, Teds und Teenie-Bopper zu verstehen“.

(Klappentext Müller-Thurau 1985)

Diese Lektionen lernten anscheinend Journalisten und Karikaturisten besonders schnell. Das KonstruktionsprinzipKonstruktionsprinzip der „jugendsprachlichen Textversionen“ und der „VerständigungsproblemeVerständigungsprobleme zwischen den Generationen“ ist leicht durchschaubar: die WörterbücherWörterbücher der Jugendsprache haben bei diesen ÜbersetzungenÜbersetzung ausgeholfen.

Weitere Wörterbücher der 80er Jahre haben sich auf Ausschnitte der Jugendsprache konzentriert wie WandsprücheWandsprüche, Schüler- und SzeneSzene-Sprache, oft mit dem Zusatz „das Letzte aus der Szene“ und stets „die neuen Sprüche“.

 Was an deutschen Wänden steht (Gamber 1983)

 Do you speak Sponti – das Letzte aus der Scene (Gamber u.a. 1984)

 Von Anmache bis Zoff. Ein Wörterbuch der Szene-Sprache (HoppeHoppe, Almut u.a. 1984)

 Angesagt: Scene-Deutsch. Ein WörterbuchWörterbücher (Rittendorf u.a. 1984). In den 90er Jahren folgen u.a.:

 Affengeil. Ein Lexikon der Jugendsprache (EhmannEhmann, Hermann 1992)

 Oberaffengeil. Neues Lexikon der Jugendsprache (EhmannEhmann, Hermann 1996)

 Duden. Wörterbuch der Szenensprache (2000)

 Voll konkret. Das neueste Lexikon der Jugendsprache (EhmannEhmann, Hermann 2001)

 Leet & leiwand: das Lexikon der Jugendsprache (Sedlaczek 2006).

Bei diesem Markt der WörterbücherWörterbücher handelt es sich um Publikationen ohne wissenschaftlichen Anspruch, aber auch ohne wissenschaftlich gesicherte Aussagekraft, was die Auswahl der Lexeme und die Bedeutungszuschreibungen betrifft. Dieser Typ von Publikationen trägt entschieden zur Vermarktung von „Jugendsprache“ bei, und zwar durchaus profitabel für die Produzenten: Der Trend hält bis in die heutige Zeit an, z. T. mit immer aufwändigeren Publikationen wie das Techno-Lexikon (1998) oder das Graffiti-Lexikon (1998).1

Den bisherigen Höhepunkt stellt aber zweifellos das DUDEN-Wörterbuch der Szenesprachen aus dem Jahr 2000 dar, das sich in Inhalt und Aufmachung in die Tradition der populärwissenschaftlichen WörterbücherWörterbücher der Jugend- und Szenesprachen einreiht. Herausgegeben ist diese Publikation von einem „Trendbüro in Zusammenarbeit mit der Dudenredaktion“. Ein Großteil der verzeichneten Ausdrücke scheinen Augenblicksbildungen, Einzelfallbeispiele oder schlicht Erfindungen der Autoren, was durch befragte Jugendliche bestätigt wird, denen viele der aufgeführten Ausdrücke unbekannt sind. Jugendliche durchschauen diese Vermarktungsstrategie sehr wohl, wie die folgende Äußerung belegt:

„Es gibt Leute, die glauben, Szenesprache müsse man nur nachplappern, um ‚cool‘ zu sein und an die jugendliche Zielgruppe ranzukommen – als Lehrer, Sozialarbeiter oder Werbe-Mensch. Solche Leute haben in ihrer Jugend noch ‚megaaffengeil‘ gesagt, und man nennt sie Poser (…), denn die Poser, die dieses Nachschlagewerk vor allem benutzen werden, wollen ja nur bei passender Gelegenheit die eine oder andere auswendig gelernte Vokabel in den Raum schmeißen.“

(Kommentar einer Jugendlichen zum Duden-Wörterbuch der Szenesprachen im Remscheider Generalanzeiger vom 03.05.2000, S. 20)2Neuland, Eva

Seit 2008 hat der Langenscheidt-Verlag die Aktion: Jugendwort des JahresJugendwort des Jahres ins Leben gerufen. Per Internet werden Vorschläge gesammelt, letztlich entscheidet eine Jury unüberprüfbar nach Ermessenskriterien. 2008 landete der Ausdruck: Gammelfleischparty auf dem ersten Platz, in den letzten Jahren lauteten die Sieger: Yolo, Babo, Läuft bei dir?, Smombie, fly sein. I bims wurde als Jugendwort des Jahres 2017 angegeben. Die vermeintlichen Vorzüge dieses Verfahrens, u.a. freie Zuschriften über das Internet, transparenter Auswahlprozess, erwiesen sich jedoch als geschickte Marketing-Strategie für die jährlich erscheinende Langenscheidt-Broschüre: 100 Prozent Jugendsprache. Das Buch zum Jugendwort des Jahres. In die engere Wahl genommene Ausdrücke wie: hartzen und guttenbergen, aber auch Komposita wie: Gammelfleischparty, Niveaulimbo und Arschfax scheinen eher Konstruktionen aus der Feder professioneller „Trendbüros“. Die reklamierte Authentizität ist angesichts der Anonymität der Zuschriften und in Ermangelung von Gebrauchserhebungen zurückzuweisen. Jugendsprache als Konsumgut bleibt anscheinend aktuell.

Als Jugendwort des Jahres wurde 2017 die Formulierung I bims aus der sog. „Vongsprache“ ausgegeben3. Für einen peinlichen Öffentlichkeitsauftritt sorgte der Autohersteller Mercedes-Benz im Sommer 2017 mit dem Werbeslogan „I bims fancy S-Klasse“ für eine Luxuslimousine im Wert von fast 85.000.- Euro. Die öffentlichen Reaktionen reichten von Verwirrung bis zu einem Shitstorm in den sozialen Medien.

Indessen hat sich der Werbetrend mit konstruierten Beispielen der „Vongsprache“ fortgesetzt (u.a. bei Vodaphone und der Sparkasse) und selbst vor dem DUDEN nicht haltgemacht (Slogan: „Man muss immer auf korrekte Rechtschreibung 8en. Vong Grammatik her.“).

Inzwischen wurden eine Holyge Bimbel. Storys vong Gott u s1 crew sowie eine Faust-Ausgabe herausgebracht (I bims Faust) und die Formel: I bims x vong y her hat den Status eines geflügelten Wortes eingenommen – aber eben nur als Werbeslogan.

2.3 Brennpunkte der aktuellen SprachkritikSprachkritik

Die Brennpunkte der aktuellen SprachkritikSprachkritik sind wiederum zeitdiagnostisch aufschlussreich im Hinblick auf die Analyse von heute vorherrschenden Vorstellungen von Sprachgebrauch und Sozialverhalten. Jugendliche und ihre Eltern unterscheiden sich heute – im Unterschied zu der „skeptischen“ und der „antiautoritären“ Nachkriegsgeneration – kaum mehr in Kleidung, Freizeitvorlieben und Lebensstil, und auch der Sprachstil von Erwachsenen ist heute informeller als früher geworden. Im Unterschied zu der Großelterngeneration sind die meisten Eltern heute nicht mehr so schockiert über „unanständige Ausdrücke“ wie frühere Generationen. Im Zuge sozialer und kultureller Entgrenzungen sind Grenzüberschreitungen, auch verbale, heute zumindest seltener als früher geworden.

Dennoch bleiben im medialen Diskurs hauptsächlich die folgenden 4 Brennpunkte der aktuellen Kritik am Sprachgebrauch von Jugendlichen.1

 Jugendsprache als FäkalspracheFäkalspracheDer Vorwurf der „unanständigen“ Ausdrücke von Jugendlichen wurde schon in früheren Phasen der Sprachgeschichte erhoben. Und auch aktuell erregen Fäkal- und Sexualausdrücke (z.B. fick dich, Wichser) öffentliche Missbilligungen. Ob solche Ausdrücke tatsächlich von Jugendlichen häufiger als von Erwachsenen verwendet werden, ist wissenschaftlich nicht belegt. Vielmehr hat die Jugendsprachforschung inzwischen nachgewiesen, dass solche Ausdrucksweisen in der intragruppalen Jugendkommunikation überwiegend nicht in beleidigender provozierender, vielmehr oft auch in scherzhafter Absicht verwendet werden.2 In jugendtypischer Hinsicht werden die Bedeutungen gegenüber der Standardsprache oft erweitert, wie das Beispiel des Ausdrucks geil als positive Wertungsbezeichnung zeigt.

 Jugendsprache als ComicspracheComicspracheEs ist ein weitverbreitetes Vorurteil, dass Jugendliche sich nur noch in einer Art „,LallwörterLallwörter“-Kommunikation ausdrücken, keine Grammatik mehr beherrschen und kein SprachgefühlSprachgefühl mehr besitzen würden. Die moderne Variante dieser These bezieht sich auf den medientypischen Sprachgebrauch des sog. „Simsens“ und „Chattens“ mit seinen AbkürzungenAbkürzungen (z.B. cu für see you, lol für laughing out loud), InflektivkonstruktionenInflektivkonstruktion (grins, heul, freu) und nicht normgerechten Schreibweisen (froi, 4u) und führt zu der Befürchtung, dass sich ein solcher Sprachgebrauch allgemein bei Jugendlichen einbürgern könne. Abgesehen davon, dass der witzige Effekt gerade den medialen Kontext voraussetzt, findet diese Befürchtung keine wissenschaftliche Bestätigung.3Dürscheid, Christa

 Jugendsprache als DenglischDie öffentliche Kritik an einem Übermaß an EntlehnungenEntlehnungen aus Fremdsprachen ist ebenfalls aus der Sprachgeschichte bekannt. Im 18. Jahrhundert nahm es die Form einer Kritik an Entlehnungen aus dem Französischen an. Damals lautete der Vorwurf „Petitmätereipetits maîtres, Petitmäterei“.4 Heute wird, vor allem in der medialen Berichterstattung, die Furcht vor „Denglisch“„Denglisch“, einer deutsch-englischen SprachmischungSprachmischung, geschürt, die als Hauptursache eines vermeintlichen „SprachverfallsSprachverfall“ des Deutschen angesehen wird. So lamentiert die Zeitung „Sprachnachrichten“ des Vereins für deutsche Sprache:

Mittelgroße Katastrophe: Eine Million sprachloser Jugendlicher

Ein alltägliches Ausnahmeerlebnis: Dönerbude oder Kassenschlange im Supermarkt. Deutsche, türkische und aus Rußland stammende Jugendliche reden miteinander. Ihr gesprochenes Deutsch ist fehlerhaft. Grammatik, LexikLexik und Aussprache weichen ganz erheblich von den anerkannten Regeln ab. Zunächst möchte der Zuhörer gern glauben, Zeuge einer sprachlichen Spielerei zu sein, doch lässt sich diese Illusion nur kurze Zeit aufrechterhalten. Nach einigen Minuten ist die Erkenntnis nicht mehr zu unterdrücken: Diese jungen Menschen können kein Deutsch. […]

(In: VDS Sprachnachrichten 1/2008, S. 1. von R. Pogarell)

 Jugendsprache als KanakspracheKanaksprache, Kanak-SprakDie Sorge vor fremdsprachlichen Elementen in der deutschen Sprache war in der Geschichte des SprachpurismusSprachpurismus schon immer ein Spiegel der Furcht vor „Überfremdung“, die auch in Zeiten einer zunehmenden multikulturellen Zusammensetzung der heutigen Gesellschaft fortlebt. Die Kritik an SprachmischungenSprachmischung wird aktuell zugespitzt mit dem Terminus „KanakspracheKanaksprache, Kanak-Sprak“ ausgedrückt. Damit ist die Befürchtung gemeint, dass sich nun auch deutsche Jugendliche nur noch in einer Mischung von Deutsch und Türkisch oder auch in einer Mischung von Deutsch und Russisch verständigen würden. So folgerte bereits die Süddeutsche Zeitung am 20.03.2007:

Yalla, lan! Bin ich Kino? Heute verändern Arabisch, Russisch oder Türkisch die UmgangsspracheUmgangssprache der Jugendlichen stärker als alle AnglizismenAnglizismus/Anglizismen.

Tatsächlich lassen sich in Untersuchungen des Sprachgebrauchs Jugendlicher Wendungen wie hadi tschüss (Neuland/Schubert/Steffin 2007) als VerabschiedungsformelVerabschiedungsformeln oder lan als AnredeformAnredeformen entdecken. Sie lassen sich als Sprachkontaktphänomene aus den multilingualen Zusammensetzungen von Schulklassen in Deutschland erklären. Ausdrucksweisen wie: ich geh Kino, die wegen der fehlenden Präposition als typisch für KanakspracheKanaksprache, Kanak-Sprak oder KiezdeutschKiezdeutsch angesehen werden,5 offenbaren jedoch nicht unbedingt Defizite in der Beherrschung der Grammatik der deutschen Sprache. Vielmehr können sie auch bewusst als AnspielungenAnspielung auf ein solches Klischee funktionieren und machen in jedem Fall eine genaue Kontextanalyse erforderlich.

Jugendliche Sprach- und Lebensstile bilden Projektionsflächen für diese und weitere Kritikpunkte und Besorgnisse. Kontrastiert man die medial vermittelten öffentlichen Kritikpunkte an der Jugendsprache mit Ergebnissen sprachwissenschaftlicher Forschung, so können nahezu alle Kritikpunkte relativiert oder widerlegt werden. Deshalb liegt die Schlussfolgerung nahe, dass sich diese Kritik gar nicht auf den tatsächlichen Sprachgebrauch Jugendlicher richtet, sondern dass sie sich vielmehr auf die in den Medien selbst präsentierte „Jugendsprache“ bezieht. Im Brennpunkt der öffentlichen SprachkritikSprachkritik steht weniger der authentische Sprachgebrauch der Jugendlichen als die medial konstruierte „Jugendsprache“. Insofern ergibt sich geradezu ein circulus vitiosus: In den Medien wird genau das kritisiert, was zuvor selbst erzeugt wurde.

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