Als der Bär am Zelt anklopfte

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Als der Bär am Zelt anklopfte
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Florian Prüller und Klara Prinz-Prüller

ALS DER BÄR AM ZELT ANKLOPFTE

Mit dem Fahrrad auf Hochzeitsreise um die Welt

Island – USA – Mittelamerika –

Patagonien – Südostasien – Ostafrika

Tyrolia-Verlag · Innsbruck-Wien

INHALTSVERZEICHNIS

Wir zwei

Wie alles begann

Ein Traum wird wahr

Island: Der Beginn einer unvergesslichen Reise

USA: Mit schwerem Ballast durch die Vereinigten Staaten

Zentralamerika: Mexiko, Belize und Guatemala und wieder einmal Chaos

Patagonien: Das Wetter hat immer das letzte Wort

Südostasien: Mit gemischten Gefühlen durch Thailand, Laos, Vietnam und Kambodscha

Ostafrika: Ruanda, Uganda, Kenia und Tansania – und dem Leben ganz nah

Danke

„Together our love will grow old“

(Buddy Holy)

WIR ZWEI

Klara und Florian: Wir waren gerade den Kinderschuhen entwachsen, da verliebten wir uns Hals über Kopf ineinander. In all den Wirren einer pubertären Beziehung glaubte niemand ernsthaft daran, dass wir unser Leben für immer miteinander teilen würden. Neben unseren starken Gefühlen füreinander war die gemeinsame Sehnsucht, Neues zu entdecken, Natur hautnah zu erleben und das Reisen der Klebstoff für eine immer innigere Beziehung. Je länger wir uns kannten, je vertrauter wir wurden, umso sicherer waren wir des Glücks, einander zu haben. Wir sind uns nicht nur beste Freunde, sondern Heimat.

Irgendwann wollten wir unser Glück mit Freunden und Familie feiern und bekräftigen. Jeder sollte wissen, dass wir es ganz ernst miteinander meinen! Auf unserer Lieblingsalm in Florians Heimatdorf Großraming feierten wir im Mai 2012 unsere Hochzeit – umgeben von Rindern, einer tiefgrünen Frühlingswiese, schneebedeckten Bergen und Kindern, die im Baum hinter dem Altar herumkletterten.

Unsere Hochzeit war zugleich ein Abschiedsfest, denn ein paar Wochen später sollte unsere große Fahrt beginnen. Mit nur zwei Flugtickets in der Hand, aber einem Herzen voller Abenteuerlust begaben wir uns auf unsere Hochzeitsreise, um die Welt zu entdecken.

WIE ALLES BEGANN

Klara: Meine allererste Begegnung mit dem Thema Radreisen war sehr imposant: Während meiner ersten längeren Reise sitze ich, neunzehnjährig, an einem verregneten Tag in der Küche einer neuseeländischen Jugendherberge, da schwingt mit lautem Gepolter die Tür auf und eine hünenhafte Gestalt tritt in Erscheinung. Mit deutschem Akzent beginnt die vollkommen durchnässte, mindestens 180 Zentimeter große Radfahrerin auf Englisch von ihrer Odyssee im strömenden Regen zu erzählen, während sich am Boden eine immer größer werdende Wasserlache bildet. In meinem Kopf wiederum bilden sich viele Fragezeichen: Wie kann man bloß freiwillig mit dem Fahrrad unterwegs sein, noch dazu bei diesem Wetter? Wie läuft so eine Radreise überhaupt ab? Und wie, um Himmels willen, kann so was jemandem Spaß machen? Obwohl die mit großen Gesten untermalten Ausführungen wie: „Die letzten Kilometer schüttete das Wasser direkt in meinen Jackenkragen und lief mir dann bei den Hosenbeinen wieder heraus“ eigentlich sehr denkwürdig erscheinen, vergaß ich diese Begegnung letztendlich doch wieder schnell. Die Zeit war noch nicht reif. Auch Jahre später, auf einem Roadtrip in die Mongolei, konnte ich mir nicht vorstellen, jemals auf diese Art und Weise zu reisen, denn beim Anblick eines österreichischen Pärchens, das sich auf Rädern in Zeitlupe durch den kasachischen Wind und die eintönige Steppe kämpfte, schwor ich Florian hoch und heilig, so etwas niemals zu tun. Niemals!

Es war also nicht die Begegnung mit diesen Tourenradlern, die mich dazu brachte, 2009, nur ein Jahr später, mit einem provisorisch beladenen Mountainbike für ein paar Wochen durch das schwedische Gotland zu radeln. Es war – natürlich – meine große Liebe Florian. Nachdem er mich, ich weiß nicht wie, überredet hatte, eine Radreise mit ihm zu unternehmen, hatte er leichtes Spiel: Die Mischung aus Fährfahrten, Kaffeepausen, wunderschöner Landschaft und der Möglichkeit, in den Tag hinein zu leben, begeisterte mich. „Das macht Spaß, und zwar so richtig!“, stellte ich verblüfft fest.

EIN TRAUM WIRD WAHR

Klara: Wir beide hatten schon immer einen gemeinsamen Traum: für längere Zeit verreisen. Nun ist der ideale Zeitpunkt für eine große Reise aber gar nicht so leicht zu finden: Entweder mangelt es an Zeit oder an Geld oder an beidem, und ehe wir uns versahen, vergingen die Jahre, ohne unseren Traum verwirklichen zu können.

Flo: Und wie die Zeit verging! Der Radreisevirus hat auch mich – allerdings bereits etwas früher – erwischt. Die erste Ausfahrt mit meinen Brüdern durch das regnerische Irland war dabei das Schlüsselerlebnis. Auf behelfsmäßig ausgestatteten Rädern, mit Plastiksäcken als Packtaschen und Folien als Regenschutz (wenn ich jetzt die Fotos sehe, amüsiert mich unser Anblick köstlich), ein Land zu erkunden hat etwas Einfaches an sich. Etwas, nach dem ich mich im Alltag so oft sehnte. Jeden Tag intensiv zu erleben und sich dabei nur um Banales wie Essen, Routenverlauf und einen Schlafplatz zu kümmern, reduziert das Leben auf das Wesentliche. Viel braucht es nicht, um glücklich zu sein. Süchtig nach den Momenten des unbekümmerten Reisens, wurden die Ausfahrten in den folgenden Jahren ausgedehnt, und zum Glück bedurfte es nicht viel an Überzeugung, die Frau meines Lebens mit diesem Reisevirus anzustecken.

Als ich Klara nach elf gemeinsamen Jahren fragte, ob sie meine Frau werden möchte, und sie freudestrahlend bejahte, kamen wir zu dem Schluss: jetzt oder nie! Eine ausgedehnte Hochzeitsreise bot sich an. Gibt es überhaupt einen schöneren Grund, endlich gemeinsam aufzubrechen, als eine Heirat?

Klara: Noch bevor wir im Mai 2012 heirateten, buchten wir Flüge nach Island und von dort aus nach New York. Wie es dann weitergehen würde, wollten wir erst auf dem Weg entscheiden. Die Zeit verging wie im Flug und erst nach unserer Hochzeit stand uns der Sinn nach genaueren Vorbereitungen. Dafür hatten wir knapp zwei Monate, in denen ich mein berufsbegleitendes Studium abschloss, wir unsere Jobs kündigten, unsere Wohnung aufgaben und unser gesamtes Hab und Gut verstauten. Mir fiel es schwer, mich auf diese große Reise einzustellen – ich hatte einfach zu viel um die Ohren und mein damaliges Leben schien auch so sehr erfüllend zu sein. Fast ertappte ich mich, etwas zu zweifeln. Tränen der Rührung überkamen mich, als wir uns von unseren Lieben am Bahnhof verabschiedeten. Ich war hin und her gerissen zwischen Abschiedsschmerz und Vorfreude auf das Ungewisse. So lange hatten wir von dieser Reise geträumt. In ein paar Stunden sollte unser Abenteuer beginnen!

ISLAND
DER BEGINN EINER UNVERGESSLICHEN REISE



ZWEIFEL 15. Juli 2012, 22:00 Uhr

Klara: Großartig! Seit Monaten, nein, seit Jahren – mindestens einem gefühlten Jahrzehnt – ordneten Flo, mein Neo-Ehemann, und ich beinahe alles dem Wegfahren unter. Bei wichtigen Entscheidungen begannen die Begründungen für oder gegen etwas meist mit „Wenn wir dann wegfahren. Ob es sich dabei um das unverwüstliche, vererbte Achtzigerjahre-Retrogeschirr im schrägen Grau-Rosa-Muster meiner Eltern handelte, das wir nicht durch neues ersetzten, denn „wenn wir dann wegfahren, müssten wir das neue Geschirr sowieso einlagern, da entsorgen wir das alte lieber vor der Reise“, um die Wohnungswahl („lieber die kleine günstige, nur, bis wir dann wegfahren) oder gar um den Hochzeitstermin („im Mai, dann kommen wir zur warmen Saison nach Island und in die Staaten“), im hintersten Eckchen unserer Gehirnwindungen stand fest: Eines Tages kommt der Zeitpunkt der Abreise!

Nun ja, endlich ist es so weit. Und wir? Lungern übermüdet, strapaziert und mies gelaunt in der Abflughalle. So habe ich mir das aber nicht vorgestellt. Florian sichtlich auch nicht. Jetzt kommen sie, die Zweifel: Lohnt sich der Mega-Aufwand? Wozu tun wir uns das eigentlich an? Hätten wir nicht doch lieber eine Eigentumswohnung samt Golden Retriever kaufen sollen? Ist unsere Ära als hygieneresistente Lowbudget-Radreisende eventuell unbemerkt vorübergegangen? Aber nein, wir plagen uns nicht nur selbst mit diesen Fragen, sondern laden unseren Unmut als Draufgabe auch noch beim anderen ab und machen uns gegenseitig für etwaige Unbehaglichkeiten verantwortlich. Ich frage mich zum Beispiel, ob sich Florian nach unserer Hochzeit (von mir unbemerkt) zum fahrradfetischistischen Pedanten entwickelt hat. Natürlich, er hat die Räder wunderbar und bis ins kleinste Detail auf Vordermann gebracht, aber dass er jetzt so übergenau ist?! Pah … Flo wiederum scheint von mir momentan auch nicht gerade besonders angetan zu sein. Bloß weil ich es nicht einmal hinkriege, das Pedal für den Flug abzuschrauben. Und dann motz ich auch noch blöd?! Ach … Wohin geht die Reise!?

 

Klara: „Jetzt kann es losgehen“, denken wir uns. Los geht aber vor allem unsere totale Erschöpfung. Wie bei jedem unserer Urlaube – vom kurzen Wochenendausflug bis hin zu eben dieser Weltreise – gestaltet sich die Abreise superchaotisch. Das scheint bei uns zu einer perfekten Reise anscheinend dazuzugehören. Zigmal verabschieden wir uns von unseren Freunden und Familien, verstauen die letzten Habseligkeiten und machen die Räder bis in die frühen Morgenstunden reisefit. Nach einem wirklich allerletzten gemeinsamen Essen mit meinen Eltern (das wir mit einem 50-Euro-Hochzeitsgeschenkgutschein begleichen und das zufällig auf den Cent genau 50 Euro ausmacht) werden just in time auch noch unsere, bei Flos Elternhaus vergessenen Fahrradwimpel in einem ÖBB-Zug von einem verständnisvollen Schaffner nachgeliefert.


Jetzt ist es also so weit? Ganz können wir es noch nicht glauben.

Flo: Abgerackert sitzen wir im Zug zum Münchner Flughafen und kommen uns eher vor, als würden wir, wie unsere zwei bayerischen Sitznachbarinnen, nur auf der Heimreise von einem kurzen Wochenendausflug sein – die vollbepackten Räder einmal weggedacht. Wir kommen schnell mit den beiden ins Gespräch und merken, dass sie sich innerlich bereits auf eine neue Arbeitswoche einstellen. Für uns ist es ein eigenartiges Gefühl zu erzählen, dass wir für lange Zeit nicht jeden Wochentag aufstehen werden, um zur Arbeit zu gehen. Stattdessen würden wir drei Monate durch Island und die USA reisen und nicht genau wissen, wohin es anschließend gehen soll. Wir haben keine Vorstellung davon, was das Ganze tatsächlich mit sich bringen wird. Die Routenplanung ist, wegen aller anderen Vorbereitungen und, um es ehrlicherweise zuzugeben, vor lauter Selbstsicherheit (oder -überschätzung) in puncto Reiseerfahrung einfach unter den Tisch gefallen. Somit wissen unsere Sitznachbarinnen nach einem knapp halbstündigen Gespräch tatsächlich alles, was es über unsere Reisepläne zu berichten gibt. Ein nicht gerade beruhigendes Gefühl!


Etwas mehr als nur Handgepäck …

Klara: Wenigstens die Abflughalle für unseren Flug nach Reykjavik finden wir in Windeseile. Es scheint nämlich einen unausgesprochenen Dresscode für Islandtouristen zu geben, der sich aus der neuesten Ausrüstung, die der Outdoor-Markt zu bieten hat, zusammensetzt. Wir werden mit unseren Wanderhosen und multifunktionellen Windjacken also gleich wärmstens in der Community aufgenommen. Lediglich die Wanderschuhe fehlen uns, dafür tragen wir unsere Radhelme in der Hand (und setzen sie beim Einstieg ins Flugzeug sogar peinlicherweise auf, um eine Hand freizubekommen).

Kurz vor Mitternacht startet unser Flug und noch immer kommt uns vor, als wäre das Ganze nur eine Sache von ein paar Wochen.

AUF DER INSEL

Klara: Gegen drei Uhr morgens erhasche ich im Licht der Mitternachtssonne vom Flugzeugfenster aus einen ersten Blick auf die stürmische Vulkaninsel. Der aufgewühlte Atlantik umspült Island in wogenden Wellen, von hier oben erscheint das Land menschenleer und unbewohnbar. Ich sehe rauchende Vulkane, riesige Gletscher, weitläufige, wilde Flüsse, an der Küste grüne Wiesenflächen und dazwischen vereinzelte Straßen. Erst kurz vor der Landung entdecke ich ein paar bausteingroße Häuschen rund um hölzerne Kirchen. Mir ist unbegreiflich, wie man auf diesem kargen Stück Land überleben kann. Hier scheinen die Naturgewalten zu herrschen. Dieser Meinung bin ich auch ein paar Tage nach Beginn unserer Reise noch. Schließlich sind wir im Sommer angekommen, wie es hier im Winter aussieht, kann ich mir kaum vorstellen. Island ist spärlich besiedelt – nicht nur Menschen, auch Bäume sind dünn gesät, denn nach einer großflächigen Abholzung durch die ersten Siedler wachsen diese, aufgrund des polaren Klimas, nur äußerst langsam nach. So sollte es ein paar Tage dauern, bis wir überhaupt unser erstes kleines Bäumchen erspähen konnten.

Nachdem wir gleich nach Ankunft unsere Räder startklar zusammengebaut haben, suchen wir uns ein paar Kilometer außerhalb des Flughafens einen Zeltplatz. Das geht hier ganz leicht, denn es gibt viel freie Fläche und wildes Campieren wird größtenteils akzeptiert. Unser Zelt, ein Hochzeitsgeschenk, hat nun also Premiere und als wir es flugs aufgebaut haben, fallen wir bei gleißendem Morgenlicht in einen tiefen Schlaf. Am Vormittag kaufen wir in der Stadt Keflavík Proviant ein. Gleich fällt uns auf, dass im Supermarkt größtenteils importierte Ware angeboten wird. Obst und Gemüse ist nur spärlich vorhanden und sehr teuer. Florian und ich werfen einen Blick auf die Landkarte, planen die Route und fühlen uns fast noch ein bisschen wackelig, als wir auf unseren Fahrrädern, mit ungewohntem Gewicht vollbepackt, aus der Stadt hinaustorkeln. Ich hatte schon fast vergessen, was es heißt, ein fast 60 Kilo schweres Gefährt zu manövrieren. Nahe dem Meer geht es entlang schwarzer Lavafelder, die mit niedlichen violetten Heideblümchen verziert sind. Wir kommen vorbei an Dörfchen mit kleinen Holzkirchen und überqueren die Kontinentalspalte, an der sich die eurasische und die amerikanische Kontinentalplatte treffen – mit ein Grund für die vielen heißen Quellen Islands.


ISLAND 15.–28. Juli 2012



Wer kann bei diesem Zeltplatz widerstehen? Irgendwo an der einsamen Straße zwischen Grindavik und þorlákshöfn.

Eigentlich wollen wir am ersten Tag noch etwas länger fahren, doch nach 50 Kilometern kommt uns ein traumhafter See dazwischen. Sofort sind wir uns einig, hier unmöglich vorbeiziehen zu können. Im goldenen Licht des Spätnachmittags errichten wir unser Camp, kochen Kaffee und fühlen uns so richtig wohl. Florian begibt sich unfreiwillig in feindliches Terrain, als er die geschäftigen Seeschwalben auf Futtersuche fotografiert. Diese sonst harmlosen Tiere fliegen nämlich Scheinangriffe, um den Feind (in diesem Fall meinen Mann) zu verängstigen. Immer wieder zischen sie im Sturzflug bis knapp über Flos Kopf hinunter, sind dann aber klug genug, um im letzten Moment nervös abzubiegen. Während unserer zwei Wochen auf Island passiert uns dies auch während des Fahrens sehr häufig – zuerst werden wir zugegebenermaßen von diesen kleinen Kreaturen beinahe verängstigt, bis wir im Reiseführer lesen, dass die Schwalben tatsächliche Angriffe vermeiden. Plötzlich sind wir wieder die tapferen Helden, die sich ihrer Überlegenheit vollends bewusst sind!


Hochlandpiste Kjölur, zehn Uhr abends. Ein Blick auf die Karte bestätigt: Keine Ahnung, wo wir sind.


ALLES GUT! 16. Juli 2012, 21:55 Uhr

Klara: Es hat ein paar Anläufe gedauert, aber spätestens nach dem ersten selbstgebrühten Kaffee und den ersten Tritten in die – diesmal von mir angeschraubten Pedale – ist es so weit. Die schlechte Stimmung weicht der Gewissheit: Die Entscheidung war die richtige und auch die Wahl des Partners zum Glück doch nicht ganz so falsch. Island holt uns mit seiner vulkanischen Landschaft, den Geysiren und dem sommerlichen Willkommenswetter ab und bereitet uns verspätet einen großartigen Start. Zufrieden bauen wir unser Zelt am Ufer des kleinen Sees auf. Florian ergibt sich der Müdigkeit und starrt ins Narrenkastl, während ich ebenfalls in die Luft schaue und dazwischen die zur Hochzeit geschenkte Mundharmonika ausprobiere. So lässt sich’s leben!

ZWEI CHAOTEN AUF DIREKTEM WEG GEN HOHEN NORDEN

Klara: Jeder uns am Weg entgegenkommende Tourist erstrahlt in einer, für Island wohl eher untypischen, Sonnenbräune und erzählt in unterschiedlichen Varianten die gleiche Botschaft: „Die letzten zwei Wochen hatten wir Traumwetter. Kein Regen, keine Kälte, nur Sonnenschein und Sommerstimmung!“ Auch wir wähnen uns schon glücklich – aber halt: Ab dem dritten Tag ist die anfängliche Schönwetterphase eindeutig vorbei! Bei dunklen Gewitterwolken erwachen wir auf unserem Campingplatz, einem riesigen schwarzen Lavafeld direkt am jadefarbenen Atlantik. Mit Hilfe des Rückenwinds versuchen wir den Wolken ein Schnippchen zu schlagen und schaffen es tatsächlich auf die Minute genau – vor Einsetzen des Starkregens –, einen Unterschlupf in Form eines kleinen Cafés in þorlákshöfn zu erreichen. Hier wollen wir das Ende des Regens abwarten und erst dann wieder weiterfahren. Diesen Plan können wir uns leider bald abschminken, denn hier gibt es nichts abzuwarten, weil es schlichtweg in den nächsten zwei Wochen kaum ein Ende des strömenden Regens geben wird. Also fahren wir entlang unzähliger Pferdehöfe und Seen weiter Richtung Laugarvatn und verbringen am dortigen Campingplatz eine Nacht, bevor wir im strömenden Regen zu einer der Hauptattraktionen Islands, dem Geysir, fahren. Der heißt wirklich genau so und ist damit jenes dampfende Naturschauspiel, das allen anderen dieser Erde den Namen verlieh – sozusagen der Urgeysir. Aus der Ferne verraten übrigens nicht die dampfenden Eruptionen seinen Standort, sondern die unzähligen Reisebusse, die Scharen von Touristen zu dieser Sehenswürdigkeit karren.

Nachdem wir auch den Gullfoss, einen riesigen Wasserfall, umgeben von sattgrünen Wiesen, begutachtet haben, bekommen wir langsam etwas Lust auf Abenteuer. Die Landstraße zum Wasserfall wurde für die Touristen perfekt asphaltiert, nun mündet sie aber in eine ruppige Schotterpiste, von der wir wissen, dass sie übers Hochland gen Norden führt. Dort trifft sie wieder auf die berühmte Ringstraße, die die Insel entlang der Küste umrundet. Unter dem vor Dauerregen schützenden Vordach einer Info-Hütte kochen wir fröstelnd einen Kaffee nach dem anderen und beobachten dabei fasziniert die triefenden und schmutzig – aber zufrieden – aussehenden Tourenradler, die die Straße immer wieder auszuspucken scheint. Wir wollten eigentlich in Ruhe unsere Reise starten und eher eine gemütliche Strecke auf einfachen Straßen fahren, doch nun überkommt uns beide ein kribbeliges Gefühl, und ohne lange zu diskutieren, radeln wir am späten Nachmittag geradewegs in die Hochlandpiste Kjölur hinein. Falls man dies noch als Radeln bezeichnen kann, denn eine so schlechte Piste haben wir noch nie erlebt. Der ohnehin schon schwierig befahrbare, wellblechartige Untergrund, aus dem diese Straße besteht, verschlechtert sich von Zeit zu Zeit auch noch durch pflastersteingroße Felsbrocken und Schlaglöcher. Weil es auch noch meist bergauf geht, haben wir alle Hände voll zu tun, bei all den Ausweichmanövern nicht auch noch das Gleichgewicht zu verlieren. Für mich ist das koordinativ, aber auch konditionell eine ganz schöne Herausforderung. Landschaftlich entspricht die Hochlandroute auf jeden Fall meinen Träumen: Wir befinden uns im Nichts. Lavafelder und Gebirgszüge so weit das Auge reicht, ab und an ein wilder Fluss. Regen, Wind, Wolken und wir. Leben pur!

 

Wir sind größtenteils abgeschieden von Versorgungsmöglichkeiten und erleben genau das Abenteuer (oder vielleicht noch mehr), das wir uns so sehr gewünscht hatten.