Loe raamatut: «Stalag XI C 311», lehekülg 2

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Während die Franzosen weiter beratschlagten trat ich in den Nebenraum und beobachtete durch eine kleine Schießscharte die weiteren Vorgänge vor dem Bunker.

In einer Entfernung von etwa 400 Metern sah ich plötzlich einige Soldaten direkt auf den Bunker zukommen. Noch konnte ich nicht erkennen war es Freund oder Feind?

Die Lage wurde jetzt zunehmend spannender. Eilig ging ich zurück. Ohne weiter von dem Gerede der Franzosen Notiz zunehmen, schenkte ich Ihnen die letzte Flasche Wein in ihren halb vollen Gläsern nach.

Gern hätte ich nochmals nach draußen Ausschau gehalten, aber man beobachtete mich zu sehr.

Weitere bange Minuten des Wartens vergingen. Gerade wollten die französischen Soldaten ihren letzten Schluck Wein austrinken, da zerriss eine ungeheure Detonation unsere Bunkerluft.

Eine Handgranate war durch die größte Schießscharte am 10,5-cm-Geschütz geworfen worden. Ich versuchte noch in Deckung zugehen, aber es gelang mir nicht mehr.

Die Auswirkung der Handgranate war verheerend. Zum Glück detonierte sie nicht neben den umherliegenden Granaten des noch einsatzbereiten Bunkergeschützes. Auch meine Lunge und mein Trommelfell hatten wie durch ein Wunder dem Angriff standgehalten. Von dem starken Luftdruck, der nach keiner Seite ausweichen konnte wurden wir alle zu Boden geschleudert. Die Wachskerzen gingen aus und die noch zum Teil gefüllten Marmeladegläser, Kirschengläser und Weingläser flogen durch die Luft. Die zerborstenen Gläser fielen uns auf das Gesicht und die Uniform. Im selben Augenblick klopfte jemand heftig an die Tür und rief mit kräftiger kämpferisch drohender Stimme:

>>Aufmachen! Ergebt Euch! Ihr seid Umstellt! <<

Als ich meine Muttersprache erkannte, erfasste ich sofort die Situation, sprang auf, rannte zum Eingang und öffnete die Bunkertür mit den Worten.

>>Nicht schießen! hier ist ein deutscher Soldat mit vierzehn Franzosen. <<

Mir gegenüber stand zu meiner Freude ein deutscher Unteroffizier mit vorgehaltener Maschinenpistole, den Finger schussbereit am Abzug. Ich glaubte kaum, dass mein Schreck größer war, als der des deutschen Unteroffiziers.

In Kürze schilderte ich ihm meine unfreiwillige Begegnung mit den französischen Soldaten.

Jetzt kamen die noch völlig verstörten, vom Feind überraschten französischen Soldaten mit erhobenen Händen langsam aus der dunkeln Bunkerecke ans Tageslicht. Sie zitterten vor Angst wie Espenlaub am ganzen Körper. Erleichtert gab ich ihnen zu verstehen, dass wir jetzt endlich zurückgehen würden. Aber nur nicht in der von ihnen gewünschten Richtung.

Plötzlich kamen drei deutsche Militärpolizisten mit vorgehaltenen Maschinenpistolen in den Bunker. Sie hatten den Auftrag die Gefangenen und versprengten Soldaten des Feindes festzunehmen, um sie in ein deutsches Gefangenenlager zu überführen.

Ab jetzt nahm das unglaubliche dramatische Kriegsschicksal für mich seinen Anfang. Da ich die französische Militäruniform an meinem Körper trug, wurde ich ohne Anhörung auf Verdacht der Fahnenflucht von der Militärpolizei, wie auch die französischen Soldaten, entwaffnet und vorläufig festgenommen.

Der Feldjäger Unteroffizier, der den kleinen Stoßtrupp führte, hatte wenig Interesse daran gezeigt, als ich ihm meine brisante Lage erklärte in der ich mich befand.

Achselzuckend sah er mich an und verließ mit mir und den Französischen Gefangenen den Bunker, um weitere verlassene feindliche Kampfstände zu durchsuchen. Als ich erneut dem Streifenführer der Militärpolizei meine Unschuld erklären wollte, sagte er erzürnt:

>>Du bist ein fieser Vaterlandsverräter! Deine Haut wolltest du retten! Und bist übergelaufen zum Feind. Stell dich in die Reihe der Kriegsgefangenen, damit wir dich der gerechten Strafe, die für dich den Tod bedeutet, zuführen können. <<

Sein Gesicht war hochrot von dem unermesslichen Zorn, den er in sich spürte. Misstrauisch sahen seine zwei Streifenbegleiter zu wie er mich mit zwei heftigen Schlägen mit einem kurzen Holzknüppel, den er mit sich führte, in die Reihe der zum Abmarsch aufgestellten französischen Gefangenen trieb.

Wenig später ließen uns die Feldpolizisten in sicherem Abstand hinter uns, und seitlich gesichert, unter Androhung mit der durchgeladenen Maschinenpistole im Anschlag, vorausgehen.

Zynisch lächelnd beobachtete der Streifenführer der Kettenhunde, wie ich einem Verletzten französischen Soldaten meine Unterstützung beim Gehen anbot.

Da zwei der Franzosen durch die Streuwirkung der detonierten Splitterhandgranaten im Bunker erheblich verletzt waren, kamen wir nur langsam voran. Immer wieder klopfte mir ein anderer französischer Soldat kameradschaftlich auf die Schulter und sagte: >>Bon, Kamerad! <<

Auch ich bestätigte durch ein kurzes Kopfnicken, das ich die Stunden im Bunker gut mit ihnen ausgekommen war.

Mit erheblichen Marschschwierigkeiten durch die zwei verletzten Kriegsgefangenen kamen wir eine Stunde später in der Kampfstellung des Infanterie- Regiment 191 an.

Was ich sah stockte mir den Atem. Auf einem Sammelplatz, nicht weit vom Gefechtsstand entfernt, lagerten dicht aneinander gedrängt hunderte französische kriegsgefangene Soldaten zusammen gepfercht unter freiem Himmel.

Unter Bewachung eines Feldjägerzuges warteten sie in der Ungewissheit ihres Schicksals auf den Transport in eines der deutschen Kriegsgefangenenlager.

Ohne jegliche Erklärung wurde ich von den französischen gefangenen Soldaten getrennt und in Handschellen gelegt. Da meine Kompanie zwischenzeitlich unter schweren Kampfhandlungen weiter ins Feindesland vorgerückt war, war mir klar, dass jeder Beweis für meine unverschuldete Abwesenheit von der Truppe fehlte. Also hieß es abwarten dachte ich, während mich ein Hauptgefreiter der Militärpolizei in einen Kampfunterstand der Feldpolizei vor sich her dirigierte.

Wieder einmal hatte ich es geschafft dem Tod zu entkommen. Doch jetzt hatte mich das Glück verlassen. Nach einem kurzen Verhör durch einen Offizier der Militärpolizei stand fest, dass ich ein Deserteur sei und zum Feind übergelaufen wäre.

„Ich sei ein Vaterlandsverräter, den man vor ein deutsches Militärgericht stellen müsste“, meinte der kleine giftige Hauptmann völlig außer Atem wütend.

Von meinem heldenhaften Sondereinsatz am feindlichen Bunker wollte der Frontoffizier nichts wissen.

Im Gegenteil, er beschuldigte mich der Spionage und des Hochverrats am deutschen Volk.

„Ich sei nichts anderes als ein feiger hinterhältiger Bastard, der seine Kameraden und sein Vaterland verraten habe“, ließ er mich energisch nochmals wütend wissen.

>>Steckt ihn zu denen, mit denen er gemeinsame Sache gemacht hat! <<, befahl er seinen zwei Feldpolizisten, die mich in sicherem Abstand während des Verhöres im Auge behielten.

Auf die Bitte von mir nach einer deutschen Uniform lachte er spöttisch und meinte: >>Du bist kein deutscher Soldat mehr! << Danach ließ er mich ohne weitere Anhörung zum Sammelplatz der Kriegsgefangenen abführen.

Gut bewacht von den Lagerwachen, abgestempelt zum Deserteur, Spion und Vaterlandsverräter, verbrachte ich die kommende Nacht unter freiem Himmel in einem nassen schlammigen Granattrichter gemeinsam mit den französischen Kriegsgefangenen.

Immer wieder kamen neue Kriegsgefangene von der Front, in das provisorisch aufgebaute Gefangenenlager.

Deutsche Sanitäter eilten umher, um die verwundeten französischen Soldaten notdürftig zu versorgen, denn ein Lazarett gab es nicht. Wartend auf den grausamen Tod jammerten kläglich die Schwerstverletzten und baten flehend um Hilfe.

Laute Befehle wurden gerufen und ständig liefen Wachsoldaten durch die Reihen der Kriegsgefangenen, um die Ordnung und Disziplin im Gefangenenlager aufrechtzuerhalten. Wer nicht den Anforderungen standhielt, musste mit dem schlimmsten rechnen.

Denn der grausame Tod lauerte ständig überall und forderte erbarmungslos seine Opfer.

In der Nacht war es kälter geworden. Leichter Nieselregen bestimmte den Augenblick. Wer jetzt nicht den anstehenden Strapazen standhielt dem drohte der Tod durch Erschießung.

Gegen Morgen bekam ich den Befehl von einem Wachsoldaten mich dem ersten Gefangenentransport, der zum Abmarsch bereitstand, anzuschließen.

Wohin der Fußmarsch ging, sollte ich erst am Ziel erfahren, entgegnete er mir mürrisch, nachdem ich ihn nach meinem weiteren Schicksal fragte.

Ohne jegliche Chance mich zu legitimieren, marschierte ich völlig erschöpft von den Strapazen im Lager beim ersten Morgengrauen mit den französischen Kriegsgefangenen Soldaten über freies unwegsames Gelände zum nächsten Verladebahnhof für Kriegsgefangene. Zwei Wachsoldaten hatten auf Anweisung ein besonderes Augenmerk auf mich, damit ich nicht entfliehen konnte. In der Ungewissheit was auf mich zukam, verlor ich jeden Lebenswillen. Wenn es nur bald zu Ende wäre, das grausame Dasein, dachte ich Wehmütig ohne Zeit und Raum wahrzunehmen. Ein unbändiger Hass gegenüber meinen Peinigern bestimmte den Augenblick.

Die neun Stunden strammer Fußmarsch, die wir jetzt hinter uns hatten, wurden für einige Kriegsgefangene zu einem qualvollen Marsch in den Tod. Wer nicht mehr in der Lage war den Befehlen der Bewacher zu folgen, sei es durch Verletzung, Krankheit oder körperlicher Erschöpfung, wurde nach mehrmaligen Aufforderungen weiter zu marschieren, gnadenlos am Wegesrand erschossen. Ich hatte an der Front schon von solchen grausamen Hinrichtungen gehört. Aber, was ich jetzt miterlebte überbot jede Anschuldigung, von der ich bisher gehört hatte.

Langsam verlies auch mich die Kraft. Meine Beine wurden immer schwerer und die heftigen Schmerzen an meinen Füßen waren fast unerträglich geworden. Die offenen Wunden der Blasen vom strammen Marschieren schürften jetzt zunehmend am harten Leder meiner Kommissstiefel.

Wie lange konnte ich diese qualvollen Strapazen noch durchstehen? waren meine einzigen Gedanken, als ich plötzlich das Pfeifen einer Dampflok vernahm.

„Oh Gott, war es der Zug, der uns endgültig erlöste und nach Deutschland in ein Gefangenenlager brachte“, dachte ich.

Hoffnungsvoll sah ich in die Richtung aus der das schnaubende zischende Geräusch einer Lokomotive kam.

Meine wage Vermutung war richtig. Tausend Meter entfernt hinter einer langen Pappelbaumgruppe stand ein Güterzug auf einem Bahngleis bereit, um uns aufzunehmen.

Mit dem antreibenden herrischen Befehlston >>Auf! Hob! Hob! <<, forderten uns die Militärpolizisten auf schneller zu laufen, als sie den warteten Zug auf dem Abstellgleis erkannten.

Querfeld ein trieben sie uns jetzt erbarmungslos wie eine Viehherde auf freiem Feld, unter Androhung mehrerer Pistolenschüsse, auf den wartenden Zug zu.

Erst als wir näher kamen sah ich, dass der Zug sicher von deutschem Militär bewacht war. Die Schiebetüren der Güterwagen waren weit aufgezogen. Neugierig sahen uns zerlumpte abgemagerte Gestalten ängstlich aus den überfüllten Waggons entgegen. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, die Insassen der Güterwagen waren ein zusammen gestellter Sammeltransport von Juden, Kriminellen, Kriegsgefangenen und Menschen, die dem deutschen Führer und seiner treuen Gefolgschaft für den Endsieg zur Gefahr werden konnten.

Unter Androhung von Prügel wurden wir jetzt von der bereitstehenden Waffen-SS aufgefordert, in die mit Menschen überfüllten Waggons einzusteigen. Wer nicht schnell genug aufsprang, bekam es mit einem Holzknüppel oder Gewehrschaft zu spüren.

>>Du Weichei! Du kommst in den hinteren Wagen <<, rief mir ein SS- Mann zu, als ich in der Mitte des Zuges aufspringen wollte.

Ohne eine Gegenrede folgte ich sofort seinem Befehl und lief eilig an den offenstehenden Güterwagen vorbei zum Zug-Ende.

Vollgestopft und eingepfercht wie eine Viehherde auf dem Transport zum Schlachthof standen die ängstlichen Menschen dicht aneinander gedrängt in den nach Kot stinkenden Transportwagongs des langen Häftlingszuges.

Immer wieder wurden die französischen Kriegsgefangenen unter Androhungen jeder Art und Stockhieben aufgefordert in die schon überfüllten Zugwaggons einzusteigen.

Im letzten Wagen, der nur zu drei Viertel besetzt war, stieg ich eilig zu. Der nach menschlichem Urin stickende Güterwagen war im Inneren - was nicht üblich war - bewacht von zwei Feldpolizisten, die mich mit der Maschinenpistole im Anschlag in Empfang nahmen.

>>Josef Stahlmann heißt der Vaterlandsverräter. Er ist ein Lügner! Glaubt ihm nicht! In die Hosen hat er geschissen an der Front und ist übergelaufen zum Feind. Ein Spion soll er sein steht im Vernehmungsprotokoll. In der Uniform, in der er jetzt noch steckt, wurde er mit französischen Soldaten in einem feindlichen Bunker bei einem Angriff festgenommen. Er wird in Osnabrück von den Kollegen abgeholt und der Gestapo übergeben <<, rief ihnen der SS-Mann zu, der mich bis zum Einstieg mit einem Gewehr im Anschlag vor sich hertrieb. Eilig stieg ich ein. Dann zog er heftig von außen die Holztür des Waggons zu.

Ängstlich sah ich mich im Güterwagen um. Sofort erkannte ich an den zerschlissenen Uniformen, dass im Güterwagen nur deutsche Soldaten waren. Sie lagen teils erschöpft und abgemagert bis auf die Knochen am Boden. Wie einen Aussätzigen, den die Lepra befallen hatte, sahen sie mich in meiner französischen völlig verschmutzten und durchnässten Uniform an. Ohne auf ihre Reaktion zu warten, ging ich an eine der Belüftungsluken und sah hinaus über die Weite der brach liegenden Felder bis hin zum Horizont. Die blanke Abendsonne blinzelte durch die dicken verhangenen Regenwolken und verkündete, dass der Tag bald zu Ende ging. Während der Zug ruckartig kreischend durch das Lösen der Bremsen, schnaubend anfuhr, dachte ich wehmütig an die vergangenen Stunden und Tage, die ich ertragen musste, um diesen furchtbaren Krieg zu überstehen. Sollte mein Tod, der demnächst von einem deutschen Militärgericht festgeschrieben wurde, der Lohn für all das sein was ich seit Kriegsbeginn für mein Vaterland getan hatte. Andere Soldaten bekamen für Ihre besonderen Verdienste an der Front einen Verdienstorden.

Und was bekam ich? Einen Tritt in den Hintern!

Ein Spion sei ich und für mein Vaterland eine Gefahr!

Ein Parasit, den man töten müsste, sagte vor wenigen Stunden noch ein Offizier der Feldpolizei zu mir, der den Gefangenentransport begleitete.

>>Geh von der Luke weg! Du nimmst uns die Luft zum Atmen <<, vernahm ich eine leise Stimme unter mir bittend.

Jetzt erst bemerkte ich den penetranten Gestank nach Urin und menschlichen Kot, der sich in der fahrenden mit Menschen überfüllte Gefängniszelle breit gemacht hatte.

Sofort trat ich von der Belüftungsluke zurück und setzte mich in eine noch freie Ecke neben einem jungen Soldaten nieder.

Das feuchte muffige Stroh, das auf dem Boden des Waggons spärlich ausgelegt war, erinnerte mich an einen Schweinestall, der nicht regelmäßig ausgemistet wird.

>>Du brauchst nicht an eine Flucht zu denken. Denn der Waggon ist von draußen fest verschlossen! <<, sagte einer der zwei Militärpolizisten, der auf einem Holzschemel saß und jede Bewegung der gefangenen Soldaten beobachtete.

Sein Kollege saß ermüdet neben ihm am Boden. Er hatte vor wenigen Minuten den Stahlhelm abgenommen, die Augen geschlossen und döste schmatzend vor sich hin. Sein blechernes Schild, das mit einer dünnen eisernen Kette um seinen Hals hing und die Aufschrift Feldpolizei trug, baumelte wie ein Latz eines Babys an seiner starken Männerbrust.

Ja, es war der Hass, der mich jetzt gefangen hielt, dachte ich für einen Augenblick, während ich ihn heimlich zynisch belächelte.

Das monotone Zuggeräusch und das Tackern der Eisenräder bei jedem Gleiswechsel bekleideten jetzt den schrecklichen Augenblick.

>>Kommt ihr von der Front? <<, traute ich mich kleinlaut die Frage zustellen.

>>Du bist Deutscher? <<, wollte ein Soldat wissen, der gegenüber mit dem Rücken an der Holzwand des Waggons saß und meine leise Frage gehört hatte.

>>Ja, ich bin ein deutscher Soldat. Ich wurde an der Front ...

>>Maul halten! <<, rief der Wachposten dazwischen, dem die Unterredung nicht gefiel.

Sein herrischer Befehl wurde durch das schmerzhafte Stöhnen eines älteren Soldaten unterbrochen.

Der schwer erkrankte Landser lag erbärmlich jammernd am Boden, hielt mit beiden Händen seinen Magen und suchte den Blickkontakt zu dem Feldpolizisten.

>>Geh schon! Aber scheiß nicht solange! <<, erwiderte der Feldjäger befehlend auf seinen flehenden Blick.

Der Soldat rappelte sich qualvoll vom Boden auf, ging gebückt in die Ecke des Waggons, schürfte mit seinem Kommissstiefel das Stroh am Boden etwas weg. Dann schob er ein kleines Stück Pappkarton zur Seite. Niemand außer mir im Güterwagen nahm Notiz von dem was jetzt geschah. Mühsam zog er seine zerschlissenen Hosen herunter und erledigte seine menschlichen Bedürfnisse durch ein kleines Loch, das man zur Nottoilette umfunktioniert hatte. Der Wachmann behielt ihn dabei beobachtend im Auge.

>>Sie kommen alle von der Front. Teils sind sie irre geworden von den dramatischen grausamen Erlebnissen. Manche haben das weitere sinnlose Töten verweigert. Fünf Tage sind wir jetzt schon unterwegs. Wasser und etwas Brot gab es gestern Mittag zum ersten Mal. Der Zug hält ab und zu an, damit man die Toten aus den Waggons entsorgen kann <<, flüsterte der junge Soldat neben mir, nachdem er bemerkt hatte, dass wir nicht beobachtet wurden.

>>Scheiß nicht so lange! <<, befahl der Feldpolizist herrisch, worauf der Soldat sich sofort ängstlich säuberte mit schmutzigem Stroh. Dann zog er mühsam seine Hosen hoch und humpelte an seinen Liegeplatz zurück.

Draußen auf den Feldern war es zwischenzeitlich finster geworden. Der Halbmond schien zaghaft durch die düsteren Regenwolken und gab dem Geschehen im Waggon den würdigen Rahmen der traurigen Begebenheit.

Ja, es war ein Zug des Grauens, der mit unzähligen Toten eingepfercht unter den noch lebenden Kriegsopfern durch die Nacht fuhr. Wo werden wir sein, dachte ich wehmütig und legte mich zögernd seitlich, die Wärme suchend, an die dicht nebeneinander liegenden Menschen auf den provisorischen Schlafplatz auf dem nasskalten Holzboden. Meine körperliche Kraft war zu Ende. Ich versank in einen traumatischen Schlaf. Es war der kleine Tod der mich vor dem endlichen Dasein schützte.

Ratternd fuhr der Zug mit den Gefangenen gespenstig durch die Nacht. Durch das plötzliche Kreischen der bremsenden Eisenräder am Waggon wurde ich aus meinem dahin dämmerten schlafenden Zustand aufgeweckt.

Ruckartig kam der Güterzug zum stehen. Draußen vor den Waggons wurden plötzlich befehlende Laute hörbar. Einer der beiden Feldpolizisten, der jetzt mit der Maschinenpistole schussbereit an der eisernen Schiebetür im Güterwaggon stand, sah neugierig durch die Luke hinaus und sagte laut befehlend:

>>Wir sind an der Grenze nach Deutschland. Keiner bewegt sich vom Fleck! <<

Kurz darauf wurde der eiserne Riegel der Waggontür geöffnet und die hölzerne schwere Schiebetür aufgezogen.

Schemenhaft sah ich im Dunkeln mehrere Soldaten auf dem wegen bevorstehender Luftangriffe abgedunkelten Bahnsteig.

>>Da kommen noch welche dazu. Sie kommen alle nach Bergen-Belsen <<, hörte ich eine forsche Männerstimme aus der Finsternis vor dem Waggon.

Kurz darauf kamen von einem anderen Zug, der gegenüber auf einem Abstellgleis stand, russische und polnische Kriegsgefangene. Sie wurden wiederum unter Androhung von Prügel verteilt in die schon bis zum letzten Platz besetzten Güterwagen.

>>Wir fahren auf der Plattform am Wagenende mit! <<, sagte einer unserer Bewacher bestimmend, als er sah, dass die Menschen jetzt dicht aneinander gereiht auch bei uns im Waggon standen.

Schnell sprangen die beiden Militärpolizisten ab und legten von außen die schweren eisernen Riegel an der Schiebetür vor.

Nur wenige Minuten später verließ der Gefangenentransport den für mich fremden Bahnhof in Richtung Hannover.

Im Güterwagon wurde es jetzt unerträglich. Stickige Luft und Platzmangel erschwerten die strapaziöse Fahrt ins Ungewisse.

Da die zwei Feldpolizisten außerhalb des Waggons am hinteren Ende des Zuges mitfuhren hörte, man unter den Kriegsgefangenen und Häftlingen zunehmend das jämmerliche Klagen über das Leid, das sie ertragen mussten.

Eines war mir in diesem Augenblick bewusst: Wer jetzt am Boden lag, kam nicht mehr hoch. Dicht aneinander gepresst standen die kranken abgemagerten polnischen, russischen und deutschen Soldaten kraftlos, ohne jeglichen Lebenswillen eingezwängt, in dem Waggon. Regungslos harrten sie dem Schicksal, das auf sie zukam.

Plötzlich verspürte ich eine warme Nässe am Oberschenkel. Ich brauchte nicht hinzusehen, um zu wissen, dass es der Urin von einem Kriegsgefangenen war. Aschfahl im Gesicht stand er mir hautnah gegenüber. Seine mit Tränen verquollen Augen baten um Verzeihung, für die von ihm peinliche menschliche Tat.

Die Zeit eilte dahin. Und der Tod suchte seine Opfer. Noch keine Stunde war vergangen bis der erste im Zugwaggon inhaftierte Gefangene unter stöhnender Last seiner Schmerzen in sich zusammensackte. Gnadenlos traf ihn das Schicksal des Todes ohne jegliche ärztliche Hilfe.

Wo war der allmächtige Gott Vater von dem sie alle sprachen? Wenn es ihn gab? Warum ließ er das unerträgliche Leid unter uns geschehen, dachte ich jetzt erzürnt und zweifelte an seiner Existenz im Jenseits.

Ratternd fuhr der Geisterzug durch die Nacht. Der pfeifende Ton der Dampflok wurde zum Leichengesang für die menschlichen Opfer, die diesen menschenunwürdigen Gefangenentransport nicht überlebten. Nahe dem Wahnsinn, überstand ich die qualvolle Fahrt bis in den Zielbahnhof.

Erst als der Zugwaggon von außen geöffnet wurde und ich im anbrechenden Tageslicht auf dem Bahnsteig das Schild Osnabrück las, wusste ich, dass wir unser Fahrtziel erreicht hatten.

Laute befehlende Kommandos bestimmten den düsteren Augenblick auf dem Bahnsteig.

SA, Waffen-SS und Feldpolizei standen schon bereit um den Gefangenentransport zu empfangen um die Kriegsgefangenen mit Lkws weiter in die Gefangenenlager zu transportieren.

Wie eine Herde Rinder wurden wir in Schach gehalten und nacheinander aussortiert. Die auf dem Gefangenentransport zu Tode gekommenen Soldaten wurden aus den jetzt leerstehenden Waggons geworfen und zum Abtransport auf eine Handkarre entgegengesetzt aufeinandergeschichtet.

Wie die Kadaver von Tieren sollten sie auf Anweisung des Führers wenig später in einem ausgehobenen Erdloch, für niemand mehr auffindbar, verscharrt werden.

Oh Gott, was ging da vor in Deutschland? An der Front hörte man doch immer wieder von einer humanitären Behandlung der Kriegsgefangenen in der Heimat, dachte ich, während mich drei Feldpolizisten in sicheren Gewahrsam nahmen und gewaltvoll in Handfesseln legten.

>>Komm mit, du Vaterlandsverräter! <<, befahl der Streifenführer in bösartigem Ton. Jetzt wurde ich zu einem Kübelwagen abgeführt. Einer der Feldpolizei öffnete die Wagentür, die anderen zwei Kettenhunde, so nannte ich sie jetzt hasserfüllt in meinen Gedanken, stießen mich mit dem Kopf voraus in den Wagen.

Da meine Hände auf dem Rücken mit Handschellen gefesselt waren, konnte ich mich nicht mehr vor einem Sturz bewahren. Mit großer Wucht schlug ich mit dem Kopf gegen ein Funkgerät, das neben der Sitzbank fest eingebaut war. Wehrlos lag ich jetzt zwischen den zwei Rücksitzen auf dem Boden.

>>Steh auf, du Schwein! <<, befahl einer der beiden Kettenhunde die mich im hinteren Teil des Wagens bewachen sollten.

Plötzlich unerwartet spürte ich nur noch einen heftigen unermesslichen Schmerz, der blitzartig durch meinen Körper ging.

Denn mit dem Gewehr hatte mir irgendeiner meiner Bewacher in die Seite meiner Rippen gestoßen.

Du musst sofort aufstehen und ihnen ins Gesicht sehen, damit sie von dir ablassen, dachte ich und rappelte ich mich mühsam auf. Erst als ich auf der Sitzbank des Kübelwagens saß, bemerkte ich, dass ich mir bei dem unglücklichen Sturz auf das Funkgerät meine linke Augenbraue und die Nase aufgeschlagen hatte.

Die klaffende Wunde blutete stark. Jetzt stiegen die zwei Feldpolizisten in den Kübelwagen ein und setzten sich gegenüber von mir auf die Sitzbank.

Sie mussten noch ziemlich jung sein, dachte ich, während mir das Blut von der Augenbraue auf die Nase tropfte.

Vorne im Führerhaus stieg noch ein Beifahrer zu. Durch das kleine Verbindungsfenster konnte ich erkennen, dass es ein Stabsgefreiter war.

Jetzt fuhr der Militärkraftwagen los. Meine beiden Bewacher unterhielten sich amüsant über die Erlebnisse einer durchzechten Nacht, ohne mich jedoch aus den Augen zu lassen.

Mein Kopf dröhnte vor Schmerz. Für einen Augenblick schloss ich meine Augen, denn ich musste Kraft sammeln, um den weiteren Strapazen die auf mich zu kamen standzuhalten.

Wiederum verspürte ich einen heftigen Stoß mit einer Faust an meiner linken Schulter.

>>Nicht schlafen! du Pfeife! Hast wohl an der Front in die Hosen geschissen und deine Kameraden im Stich gelassen <<, sagte einer meiner Peiniger provozierend, worauf ich ihnen keine Antwort gab, denn ich wusste, dass ich ihnen hilflos ausgeliefert war.

Links und rechts durch die Wagenfenster erkennbar tauchten plötzlich Häuser auf. Ein Ortsschild hatte ich noch nicht gesehen. Als wir ein wenig später an einem Bahnhof vorbeifuhren sah ich das Schild Osnabrück.

Kurz nach dem Ortsschild bogen wir in eine schmale Straße ein. Durch das kleine Fenster im Kübelwagen, das nach vorne ging, konnte ich ein großes Gebäude mit einer bewachten Toreinfahrt erkennen. Vor dem Tor stand ein junger Wachposten. Die Einfahrt war mit einem eisernen Schlagbaum versperrt. Kurz vor der Sperre hielten wir an. Nach kurzer Unterredung mit dem Fahrer drückte der Wachposten den Schlagbaum hoch und gab den Fahrweg frei. Der Innenhof durch den wir jetzt langsam fuhren glich einem Exerzierplatz in einer militärischen Kaserne.

Vor einer steinernen steilen Treppe, die hinauf zu einer Türe in das Gebäude führte, hielt das Fahrzeug an.

Sofort stieg der Stabsgefreite aus dem Wagen, ging eilig die ca. fünfzehn Stufen hinauf und verschwand im Gebäude.

Nicht lange danach kam er wieder zurück. Breitbeinig stand er oben am Eingang und rief: >>Bringt ihn hoch den verdammten Vaterlandsverräter! <<

Einer meiner Bewacher stieg zuerst aus. Dann zerrte mich der zweite am Ärmel meiner Jacke aus dem Kübelwagen. Danach trieben sie mich gemeinsam mit dem Gewehr in drohender Haltung vor sich her die Treppen hinauf zum Eingang des Gebäudes.

Der klein wüchsige Stabsgefreite hielt wartend zynisch grinsend die Eingangstür auf und schubste mich in einen langen Flur. Links und rechts der Zimmertüren erkannte ich schreckhaft die Schilder der einzelnen Abteilungen in Abkürzung. Am vorletzten Zimmer des düsteren breiten Flurs blieben wir stehen.

„Gestapo" stand auf dem Schild, das gut sichtbar an der Wand neben der Eingangstür befestigt war.

Vier einfache Holzstühle standen längs der Wand vor dem Zimmer bereit, um Platz zu nehmen.

>>Setz dich! <<, befahl der Stabsgefreite.

Links und rechts von mir postierten sich sofort meine zwei Bewacher. Der widerliche Stabsgefreite rümpfte die Nase, zog seine Uniform zu Recht und klopfte an die Zimmertür.

>>Ja! <<, rief jemand von drinnen.

Nur zögernd öffnete er die Tür, sah kurz hinein und verschwand in dem Zimmer.

Draußen auf dem Flur konnte man jetzt ganz klar seine laute Meldung verstehen.

>>Der Gefangene steht wie befohlen zu Ihrer Verfügung! <<, meldete er.

>>Wo ist er? <<, fragte eine andere männliche Stimme herrisch.

>>Er sitzt vor dem Zimmer unter Bewachung<<, erwiderte der Stabsgefreite sofort.

Oh Gott, bei der Gestapo bin ich gelandet, dachte ich ängstlich, denn ich wusste: Das Wort „Gestapo“ gehört zu den Schreckensabkürzungen des dritten Reiches. Die Abkürzung stand für Geheime Staatspolizei. Diese Dienststellen waren nur von SD-Leuten der Reichsführung und SS besetzt. Ihre Kompetenzen waren sehr groß. Ihr Wirken wurde gerichtlicher Kontrollen entzogen. Bei milden Gerichtsurteilen griffen sie korrigierend ein. Freigesprochene wurden in Konzentrationslager überstellt. Sie befahlen KZ-Haft bis hin zu Hinrichtungen.

Zu ihren Hauptaufgaben gehörten auch KZ-Einweisungen von politischen Gegnern, Juden, Zigeuner, Homosexuelle, Freimaurer und anderen. Sie werden mich in die Mangel nehmen und stundenlang vernehmen, dachte ich. Vor diesen Verhören hatte ich große Angst. Plötzlich wurde ruckartig die Tür geöffnet. Heraus kam ein kleiner spindeldürrer, ca. 1,60 m großer uniformierter Mann. Seine Stiefel waren auf Hochglanz poliert und sein Gesicht wirkte ernsthaft. Als er mich sah, sagte er erstaunt vorwurfsvoll: >>Ja, wie sieht der denn aus!? Habt ihr ihn verprügelt oder was! <<

Die zwei Feldpolizisten waren im ersten Augenblick so verwirrt von seiner Feststellung, dass sie nicht wussten, was sie ihm darauf antworten sollten.

>>Nehmen sie dem Mann sofort die Handschellen ab! Seine Schuld steht noch nicht fest! <<, befahl er energisch.

Einer der beiden Bewacher nahm mir darauf hin sofort die Handfesseln ab. Jetzt sah man, meine Handgelenke waren blau von Blut unterlaufen, denn die Handschellen wurden bei meiner Festnahme zu fest zugedrückt. Sie verursachten auch eine sichtbar erhebliche schmerzende Schürfwunde. Doch endlich konnte ich mich wieder normal bewegen.

>>Wir müssen den Tatvorgang der Festnahme noch aufnehmen. Kommen Sie mit mir! <<, kommandierte der Gestapo Beamte und ließ die Feldjäger ohne weitere Erklärung stehen.

Eilig ging ich ihm hinterher. Zwei Türen weiter sperrte er eine Eisentüre auf. Sofort sah ich, dass es eine Arrestzelle war, die für eine vorübergehende Unterbringung sein sollte, bis die Verhöre der Gestapo abgeschlossen waren.

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