Seewölfe - Piraten der Weltmeere 108

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 108
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-432-6

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

1.

Der Wind hatte aufgefrischt, und seine Kraft schuf in der See lange Wellentäler, in die das Schiff „Fliegende Schwalbe“ sanft hineinglitt und schäumend wie ein Meergott wieder daraus emporstieg.

Der Himmel war blau, doch fern am Horizont stieg eine kleine Wolkenbank in die Höhe, von der man nicht wußte, ob sie wieder verschwand, oder ob sie später Unheil brachte.

Khai Wang, der Pirat, den sie die Geißel des Gelben Meeres nannten, stand mit verschränkten Armen auf dem Mitteldeck der großen Dschunke. Sein Oberkörper war nackt, und jeder Mann an Bord sah die blaulila Tusche-Tätowierungen auf seiner Brust und dem Rücken.

Den Brustkasten zierte ein geflügelter Drachen, der Feuer aus den Nüstern schnaubte. Auf dem breiten Rücken sah man das Kunstwerk einer großen Schlange, die sich ringelte und wand, und deren aufgerissener Rachen gerade einen kleinen Vogel verschlang.

Zwei Jahre hatte es gedauert, ehe diese Tätowierungen komplett waren, und Khai Wang hatte manchen Schmerz ertragen müssen.

Aus diesem Grund trug er die Tätowierungen mit Stolz und genoß es, wenn andere sie staunend anstarrten.

Er warf einen flüchtigen Blick achteraus und registrierte zufrieden, daß das Drachenschiff in seinem Kielwasser folgte. Li-Cheng, der Kapitän des Drachenschiffes, war jetzt sein Verbündeter, nachdem er ihn aufgebracht hatte. Beider Ziel war es, das Schiff „Eiliger Drache über den Wassern“ aufzubringen, es in eine Falle zu locken und dann die Mumie des Mandarins zu rauben, die sich in einem geheimen Versteck an Bord des schwarzen Seglers befand.

Khai Wang traf jetzt die letzten Vorbereitungen.

Auf dem Mitteldeck stand ein großer Bambuskäfig, in dem mehrere silbergraue Tauben herumflatterten. Ihr angestammter Platz war der Verschlag einer kleineren Dschunke vor den Batan-Inseln. Wenn man sie aufließ, würden sie nach einem kurzen Orientierungsflug ihr Ziel sicher und genau anfliegen.

Ein riesiger, von der Statur her ungewöhnlich großer und breiter Chinese stand neben dem Bambuskäfig, in dem sich die Gin-Ling, die fliegenden Diener, befanden. Genauer bedeutete der Ausdruck: Sich durch die Lüfte schwingende Diener, wie Khai Wang sie genannt hatte.

Der riesige Chinese war kahlhäuptig, auf seinem Schädel befand sich nicht die Andeutung eines Haarwuchses. In seltsamen Kontrast stand dagegen der Lippenbart, der breit und wulstig über sein Kinn hing.

Fast jeder Mann an Bord trug einen solchen Bart, manche waren mehr oder weniger gepflegt, einige vernachlässigt und wuchsen ihren Trägern fast in den Mund, wieder andere waren dünnfaserig und sahen wie ausgefranste Tampen aus.

Auch der Steuermann Wu stand neben dem Käfig. Auf seinem Gesicht lag das übliche hinterhältige Grinsen. Wu war etwas untersetzt und die personifizierte Grausamkeit an Bord der Fei Yen, der „Fliegenden Schwalbe“.

Khai Wang hatte einmal lachend behauptet, daß Wu an Reue sterben würde, und zwar an Reue darüber, daß er nicht jede Jungfrau zwischen dem Südchinesischen und Ostchinesischen Meer geschwängert und nicht jeden Gefangenen eigenhändig gehängt hatte. Vielleicht klang das übertrieben, doch wenn man Wu genauer ansah, durfte man das unbesehen glauben.

„Hole einen fliegenden Diener heraus, Wu!“ befahl der gelbgesichtige Piratenkapitän.

„Zu Diensten, Herr!“ Wu verneigte sich, öffnete die Tür des Bambuskäfigs und griff blitzschnell nach einer Gin-Ling. Sie war von silbergrauer Farbe und schnell wie ein Pfeil.

Er hielt die Taube fest in der Hand und hätte gern ein bißchen zugedrückt, aber dann hätte auch Khai Wang, der keinen Spaß verstand, bei ihm ein bißchen zugedrückt, und das Endresultat wäre ein sehr dünner und langer Hals geworden.

„Dreh sie um!“

Der kahlköpfige Chinese öffnete seine riesige Pranke. Darin lagen drei zierliche kleine Windflöten, halb so lang wie ein kleiner Finger und sehr dünn und zerbrechlich aussehend.

Er fischte eine der zierlichen Windflöten heraus und seine klobigen Finger hefteten die Windflöte geschickt an das Schwanzende des fliegenden Dieners. Danach zupfte er ein bißchen daran und stellte fest, daß die Windflöte fest saß. Eine winzige Nadel hatte die Schwanzfeder durchbohrt.

An der Unterseite des Flügels wurde eine zweite Windflöte geheftet. Diese Flöten erzeugten beim Flug schrille heulende Töne und hielten Raubvögel davon ab, sich auf die Taube zu stürzen. Die Töne wirkten auf andere Greifvögel abschreckend.

Khai Wang selbst streifte der Taube einen kleinen Ring mit einer Hülse über den Fuß. Die Hülse enthielt eine Botschaft und genaue Positionsangaben.

„Laß den Diener in die Lüfte steigen, Wu!“

„Ergebenst, hoher Herr!“

Wu warf die Taube in die Luft. Sie zog ein paar Kreise um den Großmars, als wisse sie nicht, wohin sie fliegen solle. Dann aber hatte sie sich orientiert und flog pfeilschnell davon. Schon bald war sie als glitzernder Punkt über der Weite des Meeres verschwunden.

Khai Wang sah ihr versonnen nach.

„Ich wollte, ich könnte auch so schnell und sicher den Weg finden“, sagte er. „Sie braucht keine Instrumente, sie hat ihren Kompaß im Kopf und sie steuert auf direktem Weg ihr Ziel an, ohne Umstände. Die nächste, Wu!“

Dreimal hintereinander wiederholte sich diese Prozedur, die sich in allen Einzelheiten glich. Im Abstand von einer Viertelstunde schwangen sich die fliegenden Diener in die Lüfte, orientierten sich und flogen wie silberne Pfeile davon, einem Kurs folgend, den kein Mensch so exakt zu berechnen vermochte.

Khai Wang war zufrieden.

„Der Sohn des Himmels wird sie beschützen“, sagte er. „Und nun, Wu, soll jeder Mann eine Schale Reisschnaps erhalten. Der Koch soll nicht vergessen, ihn besonders stark zu erhitzen.“

„Es sei, wie ihr befehlt, hoher Herr“, erwiderte der Steuermann unterwürfig.

Knapp zwei Stunden später flog die erste Taube in ihren Verschlag, der sich auf dem Achterdeck einer Dschunke befand. Zwei weitere Dschunken und zwei große, besegelbare Bambusflöße lagen in einer Bucht vor den Batan-Inseln.

Die Dschunke, zu der die Tauben flogen, lag immer dort. Sie war hier fest stationiert.

Die anderen plünderten hauptsächlich nachts Schiffe aus, überfielen mitunter auch entferntere Küstenstriche und kehrten immer wieder zu den Batans zurück.

Sie alle gehörten und unterstanden Khai Wang. Ganz offiziell galten sie als harmlose Handelsfahrer, Gemüse- und Blumendschunken, die zwischen den Inseln Handel trieben oder Opium von Küste zu Küste brachten und sich mühsam genug ihren kargen Lebensunterhalt verdienten.

Der dicke Than-tau, dem die Tauben-Dschunke angeblich gehörte, lauerte Tag und Nacht auf fliegende Diener, und so entging ihm auch nicht die erste, die zurückkehrte. Khai Wang hätte ihm persönlich den Hals umgedreht, wenn er eine Taube verpaßt hätte. Zudem wurden immer drei auf Reisen geschickt, und so hatte man die Gewißheit, daß eine Botschaft mit Sicherheit eintraf.

Schnell fischte er den fliegenden Diener aus dem Verschlag, nahm ihm die Hülse ab und las die Botschaft.

Sein teigiges Gesicht mit Augen, die hinter dicken Fettpolstern lagen, erhellte sich schlagartig. Er eilte auf seinen kurzen stämmigen Beinen zu dem Bambusfloß hinüber, um die Nachricht des hohen Herrn zu verkünden.

Es verging keine Viertelstunde, da liefen zwei Dschunken und zwei Bambusflöße aus, zu jener Stelle, an die Khai Wang sie beordert hatte.

Die besegelbaren Flöße hatten es schwer, sich in der langen Dünung zu behaupten, immer wieder schlugen lange Wellen über sie hinweg. Doch die gelbgesichtigen Männer störte das nicht. Der hohe Herr hatte gerufen, die fliegenden Diener hatten die Meldung gebracht, und so stand natürlich auch noch eine Belohnung in Aussicht, denn Khai Wang war nie kleinlich. Das war es auch, was seine Macht immer mehr festigte, und weshalb so mancher Kuan beide Augen zudrückte, wenn er von einem Überfall hörte. Dann waren die Augen mit Tael gepflastert und die Ohren gestopft, und der Mund konnte nicht reden. Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen, das war ihre Devise, und sie lebten nicht schlecht damit.

Than-tau sah ihnen nach, bis sie am Horizont verschwanden. Dann kehrte er auf seine Bambusmatte zurück und rieb sich zufrieden die feisten Hände.

2.

Der Kerl, den sie an Bord von „Eiliger Drache über den Wassern“ Mißjöh Buveur nannten, war wieder einmal stark angetrunken. Diesmal hatte ihm das schmierige Köchlein seine gehortete Ration Rum abgetreten, gegen das Versprechen, er würde ihm dafür eine schwarze und zwei weiße Perlen geben.

 

Das Köchlein wunderte sich zwar, woher Mißjöh Buveur die drei Perlen hatte, aber er kriegte sie, und fragte nicht mehr nach dem Woher. Er hatte ein gutes Geschäft getätigt. Scheiß auf den Rum, dachte er, den zwackte er den anderen wieder ab, indem er den Vorrat ein wenig mit Wasser streckte.

Dem Boston-Mann fehlte jetzt zwar eine schwarze Perle aus seinem persönlichen Schatz, und Oleg und dem Stör je eine weiße, aber davon ahnten sie noch nichts. Sie sahen sich die versteckten Kleinode ja nicht jeden Tag an, und so würden sie es erst sehr viel später merken.

Hingebungsvoll lehnte Mißjöh Buveur an der Kombüsenwand, hielt die Flasche fest in den Händen und ließ genießerisch Schluck um Schluck seinen mageren Hals herunterrinnen.

„Ah, tut das gut“, seufzte er wohlig, „das ist das Elixier des Lebens, sage ich dir, Mißjöh Cookie. Du hast doch noch ’ne geheime Ration, nicht? Ich besorg dir wieder Perlen dafür, und – und wenn jemand nach mir fragt, sagst du ihm, ich muß dir beim Aufklaren helfen, Mißjöh, hä?“

Cookie, dessen Pfannen nicht immer die saubersten waren und dessen Kochtöpfe mitunter etwas klebten, sah den Saufkopf unschlüssig an. Dabei wühlte er mit der rechten Hand im offenen Mehlsack, fischte solange darin herum, bis er etwas Längliches fand, das ziemlich schwarz war, und zerdrückte es dann zwischen den Fingern.

„Ha, die Kakerlaken fressen mehr Mehl als wir“, sagte er. „Hast du schon mal so Riesenbiester gesehen?“

„Scheiß auf deine Kakerlaken, Mißjöh“, lallte der Franzose. „Ich hab dich was gefragt, Mißjöh.“

„Hm, hast du denn noch mehr Perlen, Mann?“ fragte der Koch begierig. „Du weißt, mit dem Rum ist das so ’ne Sache. Der wird verdammt knapp gehalten. Und wenn Madame dich erwischt, kann es sein, daß sie dich an der Rah aufhängt! Ich weiß von nichts.“

„Ha – hast du jetzt noch Rum, oder nicht, hä? Fff – für die nächste Buddel geb ich dir vier Perlen.“

„Zeig sie erst mal her!“

Mißjöh Buveur rülpste so laut, daß man es bis aufs Achterdeck hören mußte.

„Ich bring sie dir später, Ehrenwort. Ich hab sie versteckt, muß sie erst suchen, aa – aber erst holst du die Buddel!“

„Na, meinetwegen“, sagte der Koch widerwillig. So ganz wohl fühlte er sich bei dem Handel nicht, denn wenn die Korsarin das miese Geschäftchen bemerkte, dann ging es ihnen hart an den Kragen.

Aber die Gier nach den Perlen war übermächtig bei Cookie.

Er bückte sich, schaufelte mit beiden Händen das Mehl auf die Holzbohlen, schnippte die Kakerlaken mit den Fingern an die Wand, die eilig das Weite suchten, und brachte, als er auf dem Boden des Mehlsacks angelangt war, eine Buddel zum Vorschein, die er erst ein wenig abstaubte, bevor er sie dem Saufkopf gab.

„Aber vier Perlen, vergiß das nicht, sonst erzähle ich jedem, daß du die Buddel aus der Kombüse geklaut hast.“

„Aye, aye, Ssssörrr. Du bist ein feiner Kerl, auch wenn du immer wie ein alter Hund stinkst!“

„Du riechst auch nicht besser, du taube Sau“, sagte der Koch. „Aber jetzt verhol dich mit der Buddel, hau ab! Und vergiß bloß nicht die fünf Perlen.“

„Vvvier“ nuschelte Mißjöh Buveur, „vvvier hab ich gesagt, und keine mehr.“

Er dachte jedoch nicht daran, die Kombüse zu verlassen, denn erstens war es hier gemütlich dreckig, und zweitens sah ihn niemand. Gekonnt schlug er mit der Handkante den Flaschenhals ab, setzte an, soff zwei längliche Glassplitter mit und ließ das Gesöff durch seine Kehle rinnen, daß es sich anhörte, als würde ein Faß auslaufen.

Er gluckste, schmatzte, rülpste und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten.

Cookie schaufelte unterdessen das Mehl von den Brettern wieder in den Sack zurück. Da es grob geschrotetes Mehl war, fiel es auch nicht weiter auf, daß ein bißchen Dreck dazu kam, und auch ein paar Kakerlaken ließen sich willig wieder einfangen, damit sie ihre Behausung nicht wechseln mußten.

So war wieder alles im Lot, bis mit einem Ruck das Schott zur Kombüse aufgerissen wurde. Der bullige Oberkörper des Bootsmannes Juan erschien.

„Sag mal, du verlauster Kombüsenhengst“, schrie er den Koch an, „hat sich bei dir dieser Schnapskopf versteckt, oder ist er über Bord gefallen? Der Kerl wird vermißt, seit zwei Stunden hat ihn keiner gesehen.“

Cookie zuckte zusammen, als die Donnerstimme des kreolischen Bootsmannes erklang. Juan verprügelte oft grundlos die Leute, und wenn er jetzt herausfand, daß der „Schnapskopf“ hier unten steckte, dann gab es ein Tänzchen.

Aber in seiner Trunkenheit beging Mißjöh Buveur einen entscheidenden Fehler. Er wurde stark, und das hatte der Bootsmann gar nicht gern.

„Blas dich nicht so auf, du vergammelter Tintenfisch“, schrie der Franzose hinauf. „Ich helfe dem Koch und nichts anderes.“

Der Kreole glaubte, sich verhört zu haben. Sein Denkprozeß lief in äußerst langsamen Bahnen, aber was der Kerl da sagte, das hatte er doch sehr schnell begriffen. An seinem bulligen Hals schwoll eine Ader an, die dick wie ein Tau wurde. Mit einem Satz sprang er in die Kombüse, setzte dem Koch die Faust in den Magen und drängte ihn an den heißen Herd.

Dann schnappte er sich Mißjöh Buveur, den langsam die Angst beschlich und der zu seinem eigenen Leidwesen plötzlich nüchtern zu werden drohte.

„Na warte!“ schrie der Kreole erbost. „Mit dir Drecksack wisch ich jetzt das Deck auf!“

Buveur gelang es gerade noch, die fast leergetrunkene Flasche Rum auf den heißen Herd zu stellen, dann fühlte er sich von mächtigen Fäusten angehoben, hörte die Englein singen und spürte eine Hand im Genick, die so hart zuschlug wie ein killendes Großsegel.

Juan brüllte, fluchte und tobte, stieß den Besoffenen an Deck und schleifte ihn zur Vorpiek. Ein schneller Blick überzeugte ihn davon, daß Siri-Tong nicht auf dem Achterkastell war. Vielleicht war sie gerade in ihre Kammer gegangen.

Er prügelte Buveur vor sich her, der immer wieder zusammenbrach, von den groben Fäusten jedoch gleich wieder hochgerissen wurde, bis ihm Hören und Sehen verging.

In der Vorpiek warf er ihn auf die Gräting, nahm ein dünnes Tau und band ihm Hände und Beine fest, nachdem er ihn noch einmal windelweich geklopft hatte.

„Dir geb ich’s von wegen vergammelter Tintenfisch!“ schrie er. „Du wirst jetzt vergammeln, du Säufer. Hier kannst du soviel Bilgenwasser saufen, wie du willst. Das Zeug ist besonders stark destilliert mit Ratten, Öl und Seewasser. So – und so – und so!“ brüllte er und zog ein Tauende mehrmals über Buveurs Hintern.

Dann sprang er zurück, denn als das Schiff in ein Wellental tauchte, sauste die hinten in der Piek angestaute Dreckbrühe wie eine Woge zurück und überschwemmte den Franzosen mit einem riesigen, übelriechenden Schwall. Die nächste Dünung ließ das Bilgenwasser wieder achteraus laufen, und so hatte der Franzose genug zu tun, um ab und zu mal nach Luft zu schnappen. Dabei blieb es natürlich nicht aus, daß der Franzose alle Augenblicke einen kräftigen Schluck nahm, aufstieß und das Bilgenwasser noch mit seinem Rum anreicherte, der ihm wieder hochstieg.

Er würgte und spuckte, verfluchte den Kreolen, weil der ihn aus lauter Bosheit mit dem Bauch nach unten an die Gräting gebunden hatte, und bedachte ihn mit den übelsten Ausdrücken.

„Du verfluchter Rattenpisser!“ schrie er, spie einen Schluck Brühe nach unten und fluchte weiter, sobald er Luft kriegte. „Die verlauste Hure von einer Mutter, die dich geworfen hat, soll die Pest kriegen. Sie war die übelste Hafenhure von ganz Tortuga, und dich Hurenbock haben vierhundert besoffene Seeleute gezeugt. Binde mich los, verdammt!“

Der Kreole schluckte die Beleidigungen wortlos. Dafür aber nahm er wieder den Tampen zur Hand und schlug in blinder Wut zu, bis Buveurs wüste Flüche in ein Wimmern übergingen.

Dann donnerte er das Schott zu und stieg an Deck.

Dort traf er auf den Boston-Mann, einen karibischen Piraten mit kühn geschnittenem Gesicht, an dessen linkem Ohr ein goldener, großer Ring baumelte.

„Wo hast du ihn gelassen?“ fragte der schweigsame Boston-Mann.

„In die Vorpiek gesperrt, er war wieder mal voll.“

„Gut, laß ihn eine Weile schmoren, und behellige die Korsarin nicht mit dem Mist. Die Stimmung an Bord ist nicht gerade die beste, seit wir die Insel verpaßt haben.“

„Seit wann hast du mir was vorzuschreiben?“ fing Juan an zu stänkern. „Noch bin ich der Bootsmann!“

Der Boston-Mann, ein Pirat wie aus dem Bilderbuch, lächelte knapp.

„Juan“, erwiderte er bedächtig, „reiß dein Maul nicht so weit auf, sonst muß ich es dir stopfen. Wenn dir etwas nicht paßt, kannst du es mir ruhig sagen!“

Das war eine der längsten Reden, die der schweigsame Boston-Mann gehalten hatte, aber sie verfehlte ihre Wirkung auf den Bootsmann in keiner Weise. Juan wußte genau, daß Siri-Tong den Boston-Mann schätzte, weil er ehrlich, aufrichtig und gradlinig war. Wenn sie etwas zu besprechen hatte, war der Boston-Mann ständig dabei, denn sie schätzte seine ruhige und besonnene Art. Da konnte er selbst zehnmal der Bootsmann sein, es änderte nichts. Dann hatte der Boston-Mann noch eine Eigenschaft: Er war unheimlich schnell und wendig, hart und kühl. Juan traute sich nicht, den Kerl auch nur zu reizen, denn dabei hätte er den kürzeren gezogen, und eine eingeschlagene Visage würde sein Ansehen bei den andern mächtig untergraben.

„Eines Tages, Boston-Mann“, sagte er ruhig, „eines Tages ergibt sich mal eine Gelegenheit, bei der ich es dir heimzahlen werde.“

Der Boston-Mann lächelte mit schmalen Lippen. „Dann vergiß nicht, mich zu töten, sonst bist du dran!“

„Du willst mich nur herausfordern, aber Rache soll man kalt genießen“, sagte Juan.

„Dann genieße sie und erstick nicht daran!“

Siri-Tong erschien jetzt auf dem Achterkastell. Ihr Gesicht war ernst und verschlossen. Ihr Blick wanderte kühl über das ganze Schiff. Sie prüfte den Stand der Segel und warf schließlich einen Blick auf den Kompaß. Danach blickte sie aus schmalen Augen direkt in die Sonne.

„Hoffentlich stimmt unser Kurs, Tammy“, sagte sie zu dem Rudergänger, einem stiernackigen Kerl mit einer Hasenscharte, die sein ganzes Gesicht verunstaltete. Tammy war ebenfalls Kreole, schnell mit dem Messer und wendig. Die Spanier suchten ihn, weil er einen Alkalden umgebracht hatte. Damals war er nur ganz knapp dem Hängen entgangen.

„Ich glaube schon, Madam“, erwiderte er. „Ich steuere den Kurs, den Sie befohlen haben.“

„Der muß nicht unbedingt richtig sein“, sagte die Korsarin knapp.

Sie war in leicht gereizter Stimmung. Jeder sah es, spürte es und jeder ging ihr aus dem Weg, verrichtete seine Arbeit, hielt hier und da mal ein Schwätzchen mit einem anderen und bemühte sich darum, alles richtig zu tun.

Sie fragte nicht nach Mißjöh Buveur, von dem sie annahm, daß er wieder mal irgendwo besoffen herumlag. Es interessierte sie nicht. Sollten die anderen Kerle mit ihm tun, was sie wollten, für solche Kleinigkeiten hatte sie jetzt nichts übrig.

Ihre Sorge galt dem Schiff und dem Kurs, den sie steuerten. Sicher, „Eiliger Drache über den Wassern“ lief prächtig dahin, aber er segelte über die Teufelssee, ein dunkles Wasser, ein unglaublich tiefer Abgrund, der nicht auslotbar war. Diese Tiefe war es vermutlich, die die Navigation beeinflußte, den Kompaß verrückt spielen ließ und sie aus dem Kurs brachte.

Siri-Tong ahnte zwar, daß sie die Insel verpaßt hatte, auf der sie Hasard und seine Crew treffen wollte, aber sie war sich ihrer Sache immer noch nicht ganz sicher. Sie hoffte, daß der Ausguck jeden Augenblick Land melden würde. Dann erst hatten sie einen Anhaltspunkt und waren in der Lage, sich zu orientieren.

Der Blick aus ihren mandelförmigen Augen wanderte weiter in die Wasserwüste hinaus, die sie von allen Seiten umgab. Diese Wasserwüste war trügerisch wie kein anderes Meer. Wegen der entsetzlich großen Tiefe gab es hier kalte und warme Meeresströmungen, die zusammenflossen, unterseeische Wirbel erzeugten und starke Abdriften verursachten, die Schiffe sehr weit aus ihrem Kurs warfen. Viele waren spurlos verschwunden – Opfer des geheimnisvollen Meeres und seiner unbekannten Strömungen.

So jedenfalls nahm sie das an, und sie wußte es von anderen, die ähnliche Vorfälle berichtet hatten.

 

Wieder klopfte sie ungeduldig gegen das Kompaßgehäuse, bis der Wikinger sie stirnrunzelnd musterte.

„Der Kompaß geht falsch, Thorfin“, sagte sie bestimmt. „Ich beobachte ihn jetzt seit zwei Tagen, und er zeigt immer stur nach Norden, ganz genau nach Norden.“

Tammy, der das Schiff steuerte, sah die Korsarin an, dann den Wikinger. Endlich räusperte er sich mehrmals, bis es Siri-Tong auffiel und sie ihn scharf ansah.

„Wolltest du etwas sagen?“ fragte sie ungeduldig.

„Äh, Madam, ich wollte nur sagen, äh – ein Kompaß zeigt immer genau nach Norden, Madam!“

Sie maß ihn mit einem fast verächtlichen Blick.

„Dann sieh nur zu, daß du nicht in die Hölle segelst, wenn ein Kompaß immer nach Norden zeigt. Er weicht leicht von Norden ab, merk dir das endlich. Das war schon den Portugiesen bekannt, als sie die Karten zeichneten.“

„Das – das wußte ich nicht, Madam“, sagte Tammy schluckend.

„Dann weißt du es jetzt.“

Thorfin kratzte mit Daumen und Zeigefinger sein Kinn. Sein Blick war düster auf den Kompaß gerichtet.

„Nördlich der Karibischen See hat der Seewolf einmal das gleiche beobachtet. Auch da zeigte der Kompaß stur nach Norden. Das ist wirklich seltsam, ja, man sieht es an dem Markierungsstrich“, gab er dann zu.

Siri-Tong begann wieder zu rechnen, verglich die Karten, prüfte den Stand der Sonne und nahm den Jakobsstab zu Hilfe.

„Wenn ich richtig gerechnet habe, dann sind wir mindestens zwei Strich aus dem Kurs gelaufen. Kein Wunder, daß wir diese verdammte Insel nicht gefunden haben.“

Zorn blitzte in ihren Augen auf, ihre kleinen Hände ballten sich zu Fäusten, bis die Knöchel weiß hervortraten.

„Zwei Strich Backbord, Tammy“, sagte sie plötzlich.

„Aye, aye, Madam, zwei Strich Backbord“, wiederholte Tammy.

„Zwei Strich, Mädchen?“ fragte der Wikinger besorgt. „Weißt du, wie weit wir abdriften, wenn die Berechnung stimmt? Wir laufen an einem Tag unzählige Meilen aus dem Kurs, äh, auf die Entfernung gerechnet.“

„Natürlich auf die Entfernung gerechnet, was denn sonst? Wenn wir die zwei Strich abfallen, müßten wir ungefähr auf dem richtigen Kurs segeln.“

„Die Insel liegt trotzdem längst weit hinter uns“, murrte der Nordmann. „Ich freß meinen Helm, wenn das nicht stimmt.“

Ein paar Männer grinsten zaghaft, als sie das hörten. Vermutlich stellten sie sich das bildlich vor: Thorfin Njal, der verbissen an seinem Kupferhelm kaute!

Er hatte seinen Satz gerade zu Ende gesprochen, als aus dem Ausguck ein Schrei erklang. Es war ein Schrei, man konnte es nicht als Ausruf bezeichnen. Die Stimme des hellhäutigen Negers Hilo überschlug sich vor Aufregung.

„Land, Land! Drei Strich Steuerbord!“

Augenblicklich ließ jeder seine Arbeit sausen. Die Kerle enterten flink in die Wanten, um nach dem Stück Land Ausschau zu halten, das der Neger entdeckt hatte.

Nur Siri-Tong blieb ganz ruhig. Sie warf dem Wikinger einen spöttischen Blick zu.

„Guten Appetit, Thorfin“, sagte sie sarkastisch. „Soll ich deinen Helm vorher noch polieren lassen, oder magst du ihn gern etwas staubig?“

Thorfin verschlug es sekundenlang die Sprache.

„Das kann nicht sein“, knirschte er erbittert. „Das gibt es nicht. Verdammt, ich werde meinen Helm aufbehalten, und mir noch einen zweiten darüber stülpen. Es muß eine andere Insel sein.“

„Es ist bestimmt die Insel, die wir suchen“, erklärte sie.

Aber sie war es nicht, das ließ sich nach einer knappen halben Stunde erkennen. Man konnte es nur sehr schlecht als Insel bezeichnen, denn die öden kahlen Felsen waren nichts anderes als ein himmelhohes Massiv, das übergangslos aus dem Meer wuchs, und zwar an einer Stelle, wo das Wasser nicht so tief sein konnte wie hier. Vielleicht hatten unterseeische Vulkane diese Felsenkegel hochgeschleudert.

„Kurs auf die Felsen halten, Tammy. Wir segeln auf Steuerbord daran vorbei.“

„Aye, aye, Madam.“

Siri-Tong ließ sich ihre Enttäuschung nicht anmerken, und der Wikinger mußte seinen Speisezettel aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mit seinem Kupferhelm bereichern.

Wieder suchte die Korsarin in den Karten nach jenem kleinen Fleck, den sie gesichtet hatten. Es gab ihn nicht, er war nicht einmal andeutungsweise irgendwo verzeichnet.

Siri-Tong wurde durch den Anblick der aus dem Wasser wachsenden Felsen lebhaft an die Schlangeninsel in der Karibischen See erinnert. Auf der Südseite der Schlangeninsel türmten sich die Felsen genauso hoch auf. Doch je näher sie kamen, desto mehr verblaßte dieser Eindruck wieder. Man sah sie jetzt genauer.

Es mochten vier gewaltige Felsen sein, ein fünfter, kleinerer lag vermutlich noch dahinter, denn man sah einen gedrungen wirkenden Schatten daneben. Die Felsen waren grob geschätzt etwa dreihundert Fuß hoch. Es gab keine Palme, keinen Strauch, ja nicht einmal einen Grashalm, der dort wuchs.

Zwei der Felsen bildeten eine anscheinend durchlässige Passage, die auch wieder an die Schlangeninsel und damit an das Höllenriff erinnerte.

Nur war diese Passage dunkel und wuchs oben bogenförmig zusammen. Man konnte bei einigem seemännischen Geschick also schon hindurchsegeln.

In einer Stunde würden sie die Felsen erreicht haben, aber bis dahin würde auch die Dämmerung das Meer eingehüllt haben. Schon jetzt tanzten neblige Spinnenarme auf dem Wasser, die der leichte Wind jedoch immer wieder auseinandertrieb.

Thorfin starrte sich die Augen aus.

„Wer weiß, wo wir sind“, sagte er finster, und warf einen Blick auf die drei Wikinger Eike, Arne und den Stör, die am Schanzkleid standen und miteinander tuschelten. Pedro sin obras war auch noch dabei und ließ wieder heldenhafte Sprüche vom Stapel.

Des Störs langes Gesicht war umschattet. Der mißtrauische Nordmann deutete auf die kahlen Felsen und hob abwehrend die Hand.

Er wartete, bis auch der vierte heran war, Olig, dem das alles nicht geheuer war.

„Ja, beim rotznasigen Meergott“, sagte der Stör flüsternd. „Warum segeln wir nicht einen großen Bogen um diese Felsen? Seht doch nur, wie die Nebel sie umtanzen. Bald sieht man gar nichts mehr, wenn die Korsarin nicht den Kurs ändert. Und, bei Odin und seinem achtbeinigen Pferd, jetzt wird es auch noch bald dunkel. Kann so was nicht am hellen Tag passieren?“

„Das ist immer so“, wußte Arne zu berichten. „In der Saga erschien auch immer Nebel, wenn die Alten über das Meer fuhren und die Götter sahen. Ich behaupte, daß in diesen verdammten Felsen auch Götter hausen. Einen besseren Ort kriegen sie ja gar nicht.“

Die Fürsten der Meere hatten selbst vor dem Teufel keine Angst, und vor einer Horde wilder Piraten erst recht nicht. Den Teufel konnte man am Schwanz zupfen, wenn er sich blicken ließ, und die Piraten nahm man auseinander.

Aber Meergötter? Unbekannte Dämonen, die im Nebel hausten und die nicht zu fassen waren? Das war etwas ganz anderes, man kannte sie nicht, sah vielleicht nur ihre Umrisse, und außerdem waren sie immer im Vorteil, weil sie sich hier auskannten, groß und mächtig waren und mit den Seeleuten ihren Schabernack trieben.

„Das ist ein Dom des Teufels, sage ich euch“, flüsterte Olig. „Der hat sich hier seine Behausung aus Feuer und Schwefel gebaut und läßt sie so aussehen wie Felsen. Schaut nur, diesen gewaltigen Eingang in den Teufelsdom! Ganz schwach dahinter erkennt man ein Licht. Da geht es direkt in die Hölle.“

„Meinst du wirklich?“ fragte Pedro sin obras, angesteckt von der Spökenkiekerei seiner Kumpane.

„Aber ganz sicher.“

Olig hatte zwar die Hölle noch nicht gesehen, aber er wußte wie sie aussah. Jeder wußte das, der lange zur See fuhr.

„Dann sollten wir die Korsarin warnen“, schlug Pedro vor.

„Geh du doch“, sagte der Stör zu ihm.

„Sicher, natürlich, ich werde ihr sagen, daß sie so schnell wie möglich den Kurs ändern muß. Oh, sie wird auf mich hören“, sagte Pedro, den sie den Mann ohne Taten nannten, weil er alles mögliche versprach aber nie etwas hielt.

Er dachte auch jetzt nicht daran, aufs Achterkastell zu gehen. Er hatte immer wieder neue Ausreden.

„Nun geh doch endlich“, drängte Arne, „sonst segeln wir genau in den Höllenschlund hinein!“

Pedro sin obras nickte.

„Ich werde das verhindern, verlaßt euch auf mich“, sagte er.

Dann schlich er sich davon, aber nicht, um der Korsarin einen Vortrag zu halten, sondern um sich in irgendeinen stillen Winkel des Schiffes zu verdrükken.

Wieder ertönte Hilos Stimme aus dem Großmars.

„Gedrungene Schiffe voraus. Vier oder fünf und etwas, das wie ein Floß aussieht.“

Er wiederholte seinen Ruf noch einmal, doch Siri-Tong hatte ihn gleich verstanden. Sie blickte durchs Spektiv. Als sie es wieder absetzte, war sie ruhig und gefaßt.

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