Seewölfe - Piraten der Weltmeere 118

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 118
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-442-5

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

„Was ist denn mit Donegal los?“ fragte Smoky den Profos, der kopfschüttelnd auf den alten O’Flynn blickte, der bleich und verstört am Schanzkleid lehnte.

„Keine Ahnung, vielleicht fühlt er sich nicht wohl“, meinte Carberry.

„Dem alten Rauhbein geht es gut“, versicherte Smoky, „sonst würde er sich nicht ständig bekreuzen.“

Das alte Rauhbein benahm sich in der Tat sehr merkwürdig. Er hatte die Augen geschlossen, zitterte ein wenig und murmelte unverständliches Zeug vor sich hin. Vor ein paar Minuten, als er nach vorn aufs Vordeck gegangen war, hatte er noch ganz normal gewirkt, aber jetzt war er wie verwandelt.

„Ich werde ihn fragen“, sagte der Profos, der sich das merkwürdige Benehmen des Alten ebenfalls nicht erklären konnte.

„Ich habe es geahnt“, hörte er O’Flynn zähneklappernd murmeln, „ich habe es gewußt, das konnte nicht gutgehen.“

„Was, zum Teufel, konnte nicht gutgehen?“ fragte der Profos und stieß den Alten leicht an.

O’Flynn öffnete die Augen. Seine Stimme klang zittrig.

„Wir sind an einem Freitag in See gegangen“, sagte er matt, „das haben wir jetzt davon. Es wird ein Unglück geben.“

„Quatsch“, unterbrach Carberry grob. „Wir sind schon oft an einem Freitag in See gegangen, und nichts ist passiert. Und diesmal wird auch nichts passieren“, setzte er hinzu.

Aber damit kam er bei O’Flynn schlecht an.

„Glaubst du vielleicht, ich habe ihn nicht gesehen?“ fragte er. „Schau nur unter den Bugspriet, dann wird dir dein verdammtes Grinsen schon vergehen.“

Smoky, der sich den beiden genähert hatte, verstand gerade noch den letzten Satz.

Carberry deutete mit dem Daumen nach vorn.

„Er will wieder mal was gesehen haben“, erklärte er. „Bloß was es ist, das sagt er nicht.“

„Der Höllengeist ist es“, sagte Old O’Flynn heiser, „er hockt direkt unter dem Bugspriet, ich habe ihn mit meinen eigenen Augen gesehen, er hockt immer noch dort!“

Carberrys Stirn umwölkte sich. Gegen den Aberglauben war er auch nicht ganz gefeit, obwohl er wußte, daß Donegal manchmal mächtig übertreiben konnte.

„Wie sieht er denn aus?“ fragte er und schluckte.

„Er hat einen Fischkopf zwischen den Schultern“, flüsterte der alte O’Flynn, „und langes struppiges Haar, einen blutigen Rachen mit langen, fletschenden gelben Zähnen. Er wird uns mindestens schlechtes Wetter bringen, wenn nicht gar ein Unheil!“

Der eiserne Profos reckte unbehaglich das Rammkinn vor. Old O’Flynn sprach mit einer solchen Bestimmtheit, daß man an seinen Worten eigentlich gar nicht zweifeln konnte. Außerdem war der Alte um Mitternacht an einem neunundzwanzigsten Februar geboren, und der Profos wußte, daß diese Leute immer mehr sahen als andere.

Er gab sich einen Ruck und blickte Smoky an.

„Los, wir gehen nachsehen, Smoky!“ sagte er dann.

Dem Decksältesten wurde es ein wenig mulmig, aber das wollte er sich vor Carberry nicht anmerken lassen. Etwas mußte an dieser verfluchten Geschichte dran sein, und so entgegnete er: „Geh du schon vor, Ed, ich muß noch einmal nach achtern, etwas mit Ben besprechen.“

Carberry durchschaute den Decksältesten sofort.

„Deine Besprechung hat noch Zeit, Mann. Zuerst sehen wir uns den Wassergeist an.“

„Ein Höllengeist“, widersprach O’Flynn, „die sind viel schlimmer als die Meermänner und Wassergeister.“

Smoky lief übellaunig hinter dem Profos her, der entschlossen immer weiterging, bis er den Bugspriet und die Blinde erreichte. Mit einiger Überwindung beugte er sich vor, hielt aber vorsorglich ein paar Sekunden lang die Augen geschlossen.

Es war noch nicht sehr hell. Am fernen Horizont verschwand die Dämmerung nur allmählich und wich einem trüben Grau.

Smoky prallte zurück, als der Profos einen Fluch zwischen den Zähnen zerbiß und zurückfuhr, als hätte ihn eine Natter gebissen.

„Was ist denn?“ fragte er beklommen.

„Sieh es dir selbst an!“

Auch Smoky kriegte im ersten Augenblick einen Schreck, doch dann sah er genauer hin und atmete erleichtert auf, ganz wie der Profos es vor ihm schon getan hatte.

Vorn, unter dem Bugspriet, knapp ein Yard über dem Wasser, hatte die Bugwelle des Schiffes einen langen zotteligen Bart aus Seetang angehäuft, in dem zu allem Unglück ein halbzerfetzter Fisch hing.

Sah man nur flüchtig hin, konnte man es ohne weiteres für einen alten Kerl mit zotteligem Bart und einem Fischkopf halten, der unter dem Spriet hockte.

Kein Wunder, daß dem alten O’Flynn daraufhin der Schrecken gehörig in die Knochen gefahren war.

„Na – habe ich recht?“ fragte O’Flynn zaghaft, als der Profos nach einem kleineren Bootshaken griff.

Carberry nickte ernst, legte dann den Zeigefinger auf die Lippen und blickte O’Flynn todernst an.

„Ja, dort unten hockt er“, sagte er leise, „er kämmt sich gerade seinen verlausten Bart und fletscht die Zähne.“

„Gott steh uns bei“, sagte Old O’Flynn stammelnd. „Willst du ihn etwa mit Gewalt vertreiben, Ed?“

„Nein, nur mit dem Haken hier“, sagte Carberry ernst.

O’Flynn wurde von Zweifeln und Ängsten gemartert.

„Du – du kannst einem Höllengeist nicht einfach mit dem Bootshaken zu Leibe rücken, Ed. Er ist unverwundbar, und er wird sich fürchterlich rächen. Du mußt ihn um Barmherzigkeit anflehen oder ihm etwas schenken, dann verläßt er uns wieder.“

„Ich werde ihm den Haken hier schenken“, erwiderte Ed und fletschte ebenfalls die Zähne, bis Old O’Flynn ein kalter Schauer nach dem anderen über den Körper rann.

„So, jetzt werden wir Donegal mal mit seinen Geistern kurieren“, sagte Ed zu Smoky, während er sich mit dem Oberkörper nach vorn lehnte und den Haken in die Hand nahm.

Der Haken verfing sich in dem dichten Gestrüpp, das jetzt, als es von weißem Schaum bespritzt wurde, wirklich so aussah wie der Bart eines alten Mannes.

Carberry packte zu, zerrte es hoch, faßte am Haken nach und riß das Zeug dann mit einem wilden Ruck an Deck. Mit dem gleichen Schwung schleuderte er es auf Old O’Flynn zu.

Der Alte stieß einen lauten Entsetzensschrei aus und sprang in die Höhe, als der Seetang mit dem zerfetzten Fisch direkt vor seinen Füßen landete. Er stand danach da wie erstarrt, unfähig zu der kleinsten Bewegung.

„Da hast du deinen verdammten Höllengeist!“ rief Carberry und begann dröhnend zu lachen. „Hoffentlich ist dir das endlich mal eine Lehre, Donegal, wenn du wieder Geister und Gespenster siehst. Das ist nichts weiter als Tang und darin steckt ein halbvergammelter Fisch. Und jetzt, verdammt noch mal, zeig mir mal die gelben, gefletschten Zähne und das blutige Maul, du Schellfisch!“

O’Flynn stieß ärgerlich mit dem Holzbein auf, nachdem er seinen ersten Schreck überwunden hatte.

„Das ist nicht nett von dir“, fluchte er laut, „einen alten Mann zu erschrecken. Ich habe schon Piraten gejagt, als du noch in den Windeln schwimmen gelernt hast, und ich sage dir trotzdem, daß auf dem Tang der Höllengeist hockte. Jawohl, was ich gesehen habe, das habe ich gesehen.“

Carberry starrte ihm verdutzt nach, als der Alte sich mit grimmigem Gesicht abwandte und zum Achterdeck humpelte.

„Da hört sich doch alles auf“, schimpfte er, „dem Burschen kann man erzählen und zeigen, was man will, er glaubt es einfach nicht! Er faselt weiterhin von seinen Geistern.“

Carberry packte das übelriechende Zeug mitsamt dem toten Fisch und schleuderte es ärgerlich über Bord.

Der Profos kontrollierte den Stand der Segel, hob fröstelnd die Schultern und blickte zum Horizont, wo das Meer mit dem Himmel zusammenschmolz. Es will einfach nicht hell werden, dachte er.

Sie befanden sich jetzt ungefähr auf der Höhe von Tsingtao und segelten mit südwestlichen Winden in Richtung Shanghai. Peking lag weit hinter ihnen, der Empfang durch den Großen Chan, die feierliche Beisetzung der Mumie, der Tod Hungwans – das alles lag schon wieder weit zurück, obwohl es erst ein paar Tage her war.

Carberry ging in den Aufenthaltsraum, wo schon Batuti, Bob Grey, der junge Dan O’Flynn und sein Freund Ferris Tucker saßen. Der Kutscher hatte einen großen Topf voll Tee aus diesen grünen Blättern gekocht. Er war mit Sirup gesüßt und kochend heiß.

Carberry nahm eine Muck und trank in kleinen Schlucken.

„Je mehr man davon trinkt, desto besser schmeckt es“, sagte Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann. „Ich glaube, an das Zeug kann man sich gewöhnen.“

 

Carberry blickte in seine Muck und nickte.

„Wir kriegen Sturm“, sagte er, „und wenn mich meine Knochen nicht tauschen, einen verdammt knüppelharten Sturm. Wenn ihr ausgetrunken habt, wird das Deck klariert, alles verschalkt, die Boote nachgesehen und das Gut überprüft. Bill!“ wandte er sich an den Schiffsjungen, der etwas verschlafen eintrat und grüßte. „Du überprüfst nachher die Wasserfässer und zurrst sie fest.“

„Die Fässer sind festgezurrt, Mister Carberry“, sagte der Junge.

„Dann zurr sie noch fester!“

„Aye, aye, Sir!“

Ferris Tucker setzte seine Muck auf die Back zurück und stand auf.

„Lausekälte“, schimpfte er leise. „Ich bin froh, wenn wir das chinesische Meer hinter uns haben und weiter im Süden eine stille Bucht finden, wo wir die „Isabella“ endlich wieder einmal krängen können. Wir laufen nicht mehr so hart wie früher. Wenn es so weit ist, könnt ihr euch alle auf eine Heidenarbeit gefaßt machen.“

„Nichts Neues für uns“, sagte der junge O’Flynn. „Muscheln und Algen abkratzen, Teer drüber und fertig.“

Tucker grinste ihn an.

„Diesmal nicht, Söhnchen. Ich fürchte wir haben den Schiffsbohrwurm im Rumpf, von den Algen und Muscheln ganz abgesehen. Das bedeutet, daß wir den Rumpf ausbrennen müssen, kalfatern, schwefeln, mit Pech bestreichen. So einfach wird es diesmal nicht. Immerhin schwimmt die „Isabella“ jetzt schon ein paar Jahre im Wasser, und in den salzigen Meeren setzt der Schiffsbohrwurm dem Holz am meisten zu, auch dem härtesten.“

Tucker verließ den Raum, die anderen sahen sich freudlos an, als des Profos ausgestreckter Daumen sie ebenfalls an Deck scheuchte.

Schon an Deck spürte jeder, daß der Wind etwas Unangenehmes an sich hatte. Er war ekelhaft kühl, fiel mitunter in Böen ein und änderte leicht die Richtung.

Am Horizont verdeckten jetzt schwere graue Schichtwolken die Sonne. Immer mehr frischte der Wind auf, bis die „Isabella“ in der stetiger werdenden Dünung zu rollen begann.

Die Ladeluken wurden verschalkt, die Boote nachgesehen, fester gezurrt und überprüft. Die schweren Kanonen sicherten Al Conroy, Big Old Shane und Matt Davies ab, damit sie bei schwerer See nicht selbständig wurden und die Schanzkleide durchbrachen.

Gegen Mittag begann es dunkel zu werden.

Der Seewolf ließ die Schiffslampen anzünden und aufhängen.

Er, Ben Brighton, der junge O’Flynn und Pete Ballie befanden sich auf dem Achterdeck.

Hasard blickte aus schmalen Augen dorthin, wo er die Küste vermutete. Zu sehen war außer einer schwarzen Wolkenwand und schäumenden Wasserwirbeln nichts. Aber man hörte den Regen, der sich in einer breiten Front der „Isabella“ näherte.

Die „Isabella“ fuhr Sturmsegel, denn es stand außer Frage, daß der Wind immer stärker wurde und sie bald in einen lausigen Sturm geraten würden, einen Sturm, wie sie ihn in diesem Meer wahrscheinlich noch nicht erlebt hatten.

2.

Der Regen näherte sich blitzschnell in breiter Front und durchnäßte den Schweden Stenmark, der im Ausguck hockte, bis auf die Knochen. Wer an Deck nichts zu tun hatte, verzog sich nach vorn oder hielt sich in einem anderen Deck auf.

Der Wind blies immer heftiger und peitschte die See zu beängstigender Höhe auf.

Der Schiffsjunge Bill, der einmal kurz an Deck erschien, starrte furchtsam und erschrocken in die wütende See, die sich immer heftiger gegen den Schiffsrumpf warf. Wirbelnde weiße Kronen schäumten hoch, gischteten über Deck und überschwemmten alles mit brüllendem salzigen Wasser.

Bevor er wieder unter Deck verschwand, warf er einen schnellen Blick in den Großmast. Der Schimpanse Arwenack und der Ara-Papagei Sir John, der so ordinär fluchen konnte, befanden sich längst nicht mehr an Deck. Irgend jemand hatte sie in Sicherheit gebracht.

Der Bengel Bill hatte auf der „Isabella VIII.“ schon so manchen harten Sturm abgeritten, aber als er jetzt in diesen Wellengang blickte und sah, wie sich die Wasserberge immer höher auftürmten und zu riesengroßen Gebirgen anschwollen, verließ ihn fast der Mut, und er ahnte, daß das Ärgste vermutlich noch bevorstand, denn bis jetzt hielt sich das Schiff hervorragend.

Die kochende See griff mit langen gewaltigen Armen nach dem Rahsegler, hob ihn spielerisch in schwindelnde Höhen, aus denen man in finstere tiefe Abgründe blicken konnte, und warf ihn dann voller Wut in die Täler hinunter. Gleich darauf wuchs die nächste Gigantenmauer vor dem Schiff auf, das eilig versuchte, an dem Berg aus Wasser emporzuklimmen. Doch das schaffte das Schiff nicht, und so schlug ein brüllender, sich überschlagender Wasserberg wild über den Segler, um ihn unter sich zu begraben.

Die „Isabella“ schüttelte sich trotzig, warf die Wassermassen von sich wie ein schnaubendes Pferd und stieß in den nächsten Wellenberg hinein, bereit, das gefährliche Spiel zu wiederholen und den Kampf mit den tobenden Wassermassen wieder aufzunehmen.

Das Heulen der kochenden See steigerte sich zu einem ohrenbetäubenden Gebrüll, aus dem ein Höllenlärm wurde. Die Sicht war gleich Null, man sah vor überkommenden Wassermassen nicht mehr vom Vorbis zum Achterschiff.

Dort kämpften jetzt drei Mann am Ruder, das durch eine von Ferris Tucker erbaute Holzhütte einigermaßen geschützt war. Dennoch donnerten die tosenden Brecher auch hier hinein. Es gab nichts, was sie aufzuhalten vermochte.

Etwas später gab es keine normalen Wellen mehr, und von einer starken Dünung konnte längst keine Rede mehr sein. Es gab nur noch turmhohe schäumende Wellen, die unablässig von allen Seiten auf das Schiff einhämmerten, das sich ächzend und stöhnend wie ein krankes Tier immer wieder hart zur Seite legte.

Die „Isabella“ wirkte, als würde sie in einem kochenden Hexenkessel von einem erzürnten Riesen umhergeschleudert werden.

In eins der aufgegeiten und durch Zeisinge gesicherten Segel fraß sich der Wind fauchend und brüllend hinein und zerrte so lange daran, bis es den ersten Riß gab.

Carberry, ebenfalls auf dem Achterdeck, hatte es gesehen. Er stieß die Tür auf und wollte hinaus.

Eine eisenharte Hand umklammerte sein Handgelenk. Zwei eisblaue Augen blickten ihn an.

Der Seewolf mußte laut brüllen, um in dem Tosen und Heulen, Pfeifen und Brüllen verstanden zu werden.

„Laß das verdammte Segel davonfliegen, Ed! Du kannst nichts mehr retten, es würde dich über Bord reißen!“.

Gerade als Ed zur Bestätigung nickte, holte die „Isabella“ stark über. Wasser und Wind donnerten das Holzschott im Ruderhaus zu und warfen Carberry an die gegenüberliegende Wand. Das Steuerrad drehte sich wie rasend, als die Männer durcheinanderflogen. Fluchend und schimpfend rappelten sie sich auf.

Hasards Sorge galt den beiden Frauen, die sie noch an Bord hatten.

Siri-Tong und das chinesische Mädchen „Flüssiges Licht im beginnenden Sommer“ befanden sich achtern in der Kammer. Für die Rote Korsarin war das alles kein Problem, aber das junge Mädchen, die Flußbraut, die sie bei Xiapu an Bord genommen hatten, würde sich vermutlich zu Tode ängstigen, denn etwas Ähnliches hatte sie mit Sicherheit noch nicht erlebt.

Vom überkommenden Seewasser rötliche Augen sahen auf das Segel, das Sturm und See jetzt mit vereinten Kräften auseinanderfetzten. Carberry wußte, daß die Zeisinge und Bändsel so fest saßen, daß man sich daran aufhängen konnte, aber der brüllende und fauchende Wind zerrte und riß weiter, bis das Unterliek des Segels an einer Stelle hervorflatterte.

Es war Wahnsinn, etwas dagegen unternehmen zu wollen, aber den Profos juckte es schon wieder in den Fäusten. Draußen hätte er sich trotz der Mann-taue keine zehn Sekunden auf den Beinen halten können.

Immer länger wurde das Segel. Sein Knattern und Schlagen übertönte noch das Brüllen der See und das Heulen des Windes. Dann zerfetzte es mit einem peitschenden Knall. Die Reste flogen davon und verschwanden in der kochenden See.

Unermüdlich rannte die „Isabella“ gegen die brüllenden Wogen an. Die See rüttelte sie durch, stauchte sie zusammen, schlug tobend und fauchend nach ihr, um ihr alle Planken aus dem Rumpf zu reißen.

Vorn in der Kombüse, schrie der Kutscher Zeter und Mordio, verfluchte die See, den Wind und sein Geschirr, das ihm von allen Seiten um die Ohren flog. Die Kombüse sah aus, als wäre eine ganze Breitseite Siebzehn-Pfünder eingeschlagen. Der Kutscher, der das Feuer unter dem Herd schon lange gelöscht hatte, stand in einem Berg aus matschigem Unrat, schmieriger Holzkohle, ausgelaufenem zähen Sirup und einer hin und her rollenden Substanz, die er selbst nicht definieren konnte. Und immer wieder schleuderten ihn starke anrollende Seen von einer Ecke in die andere, bis er sich fluchend in sein Schicksal ergab und verzweifelt Halt suchte, den er doch nicht fand.

„Das hätte ich dieser lausigen Wasserlache gar nicht zugetraut!“ schrie Carberry, der durch den Sturz eine faustgroße Beule an der Stirn trug. „Dieser gottverdammte Fischteich wird sich doch wohl wieder einmal beruhigen!“

Insgeheim dachte er dabei an Old O’Flynn. Hatte der alte Bursche nicht doch wieder einmal mit seiner Unkerei recht gehabt?

Hasard, der bei Beginn des Sturmes erwogen hatte, näher an die Küste heranzusegeln, war froh, diesen Gedanken nicht in die Tat umgesetzt zu haben. Gerade auf dieser Höhe, auf der sie sich nun befanden, war es dicht unter Land klippenreich, gespickt mit tückischen kleinen Felsen, die kaum aus dem Wasser ragten der Wind, der jetzt fast auflandig wehte, hätte sie auf die Küste geworfen und zerschmettert. Dann war es schon besser, hier draußen auf See um sein Leben zu kämpfen.

Wieder trieb der brüllende Sturm eine Regenfront heran, die sich diagonal über das Schiff ergoß. Es ließ sich nicht mehr unterscheiden, ob es Seewasser oder Regen war, der auf die „Isabella“ niederging.

Zu aller Verwunderung stand immer noch das Sturmsegel, obwohl der Wind sich daran austobte, es unter Spannung hielt, und es jeden Augenblick so aussah, als würde es davonfliegen, in Streifen gerissen, zerfetzt. Der Sturm schaffte dieses Segel nicht.

Etwas später war die Regenfront durchgezogen, und das wilde Brüllen des Sturmes mäßigte sich. Nur die Wellen waren immer noch haushoch und schaumig.

Hasard griff nach der Seekarte, die sie unlängst von den Chinesen erhalten hatten, und studierte sie. Bei den heftigen Schlingerbewegungen des Schiffes war das nicht einfach, denn immer wieder warf es ihn an die Wand des Ruderhauses.

„Hier befinden wir uns“, sagte er und wies auf die Karte, „weit abgetrieben können wir nicht sein. Das ist der südlichste Teil der Provinz Shandongbandao, und dort gibt es geschützte Buchten. Wir werden versuchen, eine dieser Buchten anzulaufen, um dort das Unwetter abzuwarten.“

„Und die Riffe?“ fragte Brighton.

Der Seewolf schüttelte den Kopf.

„Auf der Hinfahrt habe ich hier keine gesehen, sonst hätte ich sie markiert und in die Karte eingezeichnet.“

Er wollte noch etwas hinzufügen, doch in diesem Augenblick fegte ein riesiger Brecher heran, der sich brüllend auf das Vorschiff warf, es überflutete und die restlichen Wassermassen voller Kraft auf das Achterdeck schleuderte.

Sekundenlang sah es so aus, als würde das Ruderhaus unter dem gewaltigen Ansturm entfesselter Wassermassen davonfliegen. Salzige schäumende Brühe stieg im Ruderhaus auf. Instinktiv riß der Seewolf die Karte hoch und hielt sie schützend über seinen Kopf, damit das Reispapier nicht naß wurde.

Nur sehr langsam lief das Wasser wieder ab.

„Mann, war das ein Ding“, sagte der Profos stöhnend. „Viel mehr von der Sorte können wir nicht verkraften, dann fliegen uns die Spanten um die Ohren.“

Die kochende See nahm einen letzten brüllenden Anlauf, um die „Isabella“ hinwegzuwischen, und diesmal erwischte sie auch das standhafte kleine Sturmsegel. Mit einem häßlichen Knall flog es davon und verschwand in der See.

Sie lenzten jetzt vor Topp und Takel, und der Wind, der nur leicht gedreht hatte, trieb sie der Küste entgegen.

Unendlich langsam, dabei immer wieder von schweren Brechern halb unter Wasser gedrückt, legte sich die „Isabella“ gegen den Wind, was dem Profos ein frohes Grinsen entlockte.

„Nun sag noch einer, die alte Tante hat keinen Verstand!“ rief er. „Die weiß genau, in welcher Lage sie sich am wohlsten fühlt. Treibt achterlich auf die Küste zu und streckt den Kopf genau in den Wind. Dicht vor Land brauchen wir nur noch den Anker zu werfen, und alles ist in bester Ordnung.“

 

„Deinen Optimismus möchte ich haben“, sagte Pete Ballie, dessen riesige Fäuste das Ruder umklammerten, das bei jeder Bewegung wild hin und her schlug.

Der Sturm ließ auch weiterhin nach, und unmerklich wurden die Wellen kleiner.

Da es bei diesem Wetter im Großmast keinen Ausguck gab, suchte Hasard die See mit dem Spektiv ab.

Es dauerte nicht lange, bis er die Küste als feinen Strich entdeckte. Ziemlich schnell trieb der Wind die „Isabella“ dem Küstenstrich zu. Die Buchten waren noch nicht zu erkennen.

Während sie weiter dem Küstenstrich entgegentrieben, begann die „Isabella“ sich erneut langsam um sich selbst zu drehen, bis sie dwars vor den heranrollenden Wellen lag.

Carberry begann zu fluchen. Sein schöner Plan, achteraus in eine Bucht zu treiben und mit slippendem Anker einen ruhigen Platz zu finden, war beim Teufel.

Obwohl die See jetzt nicht mehr ganz so hoch ging, holte der ranke Segler noch härter über. Wie ein Spielzeug trieben ihn die Wellen weiter, warfen ihn vor sich her und hoben ihn ab und zu in himmelhohe Höhen.

Die Küste rückte näher, das harte Rollen des Schiffes mäßigte sich, und dann war auch die Bucht zu erkennen. Ein harter Regenschauer ging dort hinten nieder. Der Wind trieb den Regen in langen Schleiern blitzartig vor sich her.

Es waren drei Buchten, wie der Seewolf erkannte. Zwei waren von See her nicht einsehbar, die letzte bestand aus einem riesigen Halbkreis, der sich an einer Stelle zu einem schlauchartigen Gebilde verjüngte. Häuser schien es an der Küste der drei Buchten nicht zu geben, in dieser Provinz waren ohnehin weite Teile der Küstenregionen unbesiedelt.

„Verdammt starke Brandung vor der Bucht“, ließ sich Carberry vernehmen, „aber dahinter ist alles ruhig. Wenn wir da heil hindurchlenzen, liegen wir wie in Abrahams Schoß.“

Wieder drehte sich das Schiff ein wenig, Wasserwirbel schoben und zerrten an ihm, brachten es immer wieder in eine andere Lage.

Jetzt streckte es den Bug erneut in den Wind und trieb weiter.

Die beiden anderen Buchten sah man aus der jetzigen Position nicht. Dann hätte man weiter südlich segeln müssen, aber Wind und Wellen drückten die „Isabella“ genau in diese Bucht, und die Crew war über das Plätzchen heilfroh.

Nur die Brandung mußte noch genommen werden. Es waren nicht mehr als zwei, drei ständig wiederkehrende Wogen, die sich vor der Bucht gefährlich aufrichteten und dann mit Donnergetöse auf den Strand zuliefen. Noch weit davor, beruhigten sie sich und wurden sanft wie Lämmer.

Von einem Augenblick zum anderen befand sich die „Isabella“ in fast ruhigem Wasser. Der harte Wellenschlag hörte auf, das Schiff bewegte sich ächzend und stöhnend wie ein krankes Tier auf jene Stellen zu, die buchstäblich wie Türme aus dem Wasser wuchsen.

Die erste Brandungswelle hob die „Isabella“ sanft an, reichte sie weiter, bis sie in einen Abgrund glitt, aus dem sie nur schwerfällig wieder den Bug streckte.

Dann folgte das Schlimmste. Eine Riesenhand packte das Schiff, drehte es, als suche die Hand eine günstige Position und warf die „Isabella“ dann krachend in einen schäumenden, tobenden und brüllenden Abgrund hinunter. Die Verbände des Schiffes krachten, als würden sie bersten. Urplötzlich tobten sich furchtbare Gewalten aus, schmetterten das Schiff fast auf den Grund, rissen es im nächsten Moment wieder erbarmungslos hoch und schleuderten es der Küste entgegen. Dazwischen erklangen das schrille Heulen des Windes und das urweltliche Brausen und Dröhnen der kochenden Brandung.

Die letzte Hürde wurde mit Schwung genommen. Der Segler wurde zusammengestaucht, blieb auf der Stelle stehen und bewegte sich endlich viel zu schnell wieder weiter.

Der Rest war ein sanftes Abgleiten, die Schaukelbewegungen hörten abrupt auf, als sie seichtes Wasser erreichten.

Auf diesen Augenblick hatte der Profos gewartet, ebenso wie Ben Brighton. Sie hatten es geschafft, aber immer noch blies der Wind auflandig und trieb sie weiter.

Zum Tiefeloten blieb keine Zeit. Die beiden Männer hasteten nach vorn, und gleich darauf rauschte die Ankertrosse aus, lief durch die Klüse, und der schwere Anker donnerte in den Grund.

Ben Brighton ließ das Schiff noch ein wenig slippen. Dann grinsten die beiden sich an.

„Prächtig, prächtig“, sagte Carberry grinsend. „Jetzt kann sich der Orkan in Ruhe dort draußen austoben, hier sind wir so sicher, wie in – äh …“

„Abrahams Schoß“, half Ben aus.

„Du sagst es.“

Der Profos wies mit der ausgestreckten Hand nach vorn.

„Sieh nur, was da draußen los ist“, sagte er rauh. „Man sollte nicht glauben, daß wir das heil überstanden haben.“

„Oder fast heil“, ergänzte Ben.

Das, was sich auf See abspielte, war selbst für einen erfahrenen Seemann eine haarsträubende Angelegenheit.

Das Wasser schien zu kochen, die Berge, die da scheinbar aus der See wuchsen, waren höher als große Häuser. Es war ein Wirbel aus Wasser, Himmel und Hölle, der mit Urgewalt dahertobte und alles kurz und klein schlug, was sich in seiner Umgebung befand.

Dazwischen fielen immer wieder gewaltige Sturzbäche vom Himmel, Regen so dicht, daß man keine Luft mehr kriegte. Das Brüllen der aufgewühlten Wassermassen erstickte selbst hier noch in der Bucht fast jedes Geräusch.

„Dabei war es vorhin noch schlimmer“, sagte Ed andächtig.

Hinter ihm räusperte sich jemand. Carberry drehte sich um und blickte die Gestalt an, die an Deck stand.

Der Kutscher war bleich, aber das sah man unter seiner Dreckschicht nur an vereinzelten Stellen. Seine Haare hingen ihm wirr in die Stirn, seine linke Hand war blutig verkratzt, und auf seiner Wange schillerte ein blauroter Fleck, der zusehends anschwoll.

„Womit, zum Teufel, hab ich das bloß verdient!“ schrie er und fuchtelte mit den Armen. „In der Kombüse sieht es aus wie in der Vorpiek des schwarzen Seglers. Mann, da ist eine Menge zu Bruch gegangen. Da drin kann man nur noch schwimmen.“

Carberry musterte ihn immer noch grinsend.

„Wärst du bei dem bißchen Wind doch an Deck geblieben“, sagte er trocken. „Richtig gemütlich war es da. Wir haben in der Kuhl gewürfelt und uns köstlich amüsiert. Aber du mußt ja in deiner lausigen Kombüse hocken bleiben.“

Dem Kutscher verschlug es sekundenlang die Sprache, aber nicht wegen Eds Worten. Er brachte erst nach längerer Zeit einen Ton hervor, als er das aufgewühlte Meer und die Höllenbrandung sah, die mit unverminderter Kraft weiter tobte und brüllte.

„Da sind wir durchgesegelt?“ fragte er fassungslos.

„Nicht gerade gesegelt“, widersprach Ben, „schön gemütlich durchgelenzt oder getrieben. Na ja, ein paar kleine Schlingerbewegungen bleiben da wohl nicht aus. Zum Glück war es kein richtiger Sturm, stimmt’s, Ed?“

„Von Sturm kann sowieso keine Rede sein“, sagte Carberry verächtlich. „Richtigen Sturm hat der Kutscher noch gar nicht bei uns erlebt.“

„Jetzt hört aber mit eurer verdammten Untertreibung auf!“ schrie der Kutscher ärgerlich. „Unser Schiff ist angeschlagen, und verdammt noch mal, ich habe auch schon harte See erlebt, am Kap Hoorn, in der Karibik und überall! Und ihr wollt behaupten, das war ein bißchen Wind! Ihr spinnt wohl, was? Dann möchte ich wissen, was bei einem richtigen Sturm passiert.“

Carberry ließ sich nicht erschüttern. Er wußte, daß der Kutscher sich immer mächtig aufregte, wenn man alles als kleine Bagatelle abtat.

„In einem richtigen Sturm saufen die Schiffe ab, Kutscher. Sie kentern oder werden zerschlagen, bis sie untergehen. Uns fehlt aber nichts, wir sind auch nicht abgesoffen, also war es auch kein richtiger Sturm! Stimmt’s, Ben?“

„Natürlich stimmt das, Ed!“

Sie nervten den Kutscher weiter, der verzweifelt abwinkte, weil er wußte, daß er gegen die beiden Helden doch nicht ankam. Sie hatten nun einmal das bessere Argument, und das schlachteten sie auch weidlich aus.

Hasard, Tucker und ein paar andere Seewölfe erschienen auf dem Vordeck. Der Seewolf und Ferris Tucker hatten gerade einen kurzen Inspektionsgang hinter sich.

Auch der Bengel Bill gesellte sich zu ihnen. Sie sahen sein grünes Gesicht, seine rötlichen Augen und grinsten ihn an.

„Seekrank, Junge?“ fragte Carberry.

„Keine Spur, Sir!“ Der Bengel grinste frech. „Ich habe erst nur ein Stück Fisch gegessen, und das ist mir im Hals steckengeblieben.“

„Dann schluck es doch endlich runter“, riet Ed.

„Es hängt mir noch im Hals, Mister Carberry. Madame Siri-Tong hat mich geschickt, ob der Kutscher ein Medikament hätte. Sie sagt, das Chinesenmädchen habe Angst und ihr sei ganz schlecht.“

„Ist sonst alles in Ordnung?“ fragte Hasard.

„Ja, Sir! Auch Arwenack und dem Papagei geht es gut. Sir John fehlen ein paar Federn, sonst nichts.“

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