Seewölfe - Piraten der Weltmeere 172

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 172
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-509-5

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Die Suche nach der sagenhaften Nordwest-Passage wurde für die Seewölfe der „Isabella VIII.“ langsam, aber sicher zu einem entnervenden Alptraum. Kreuz und quer waren sie gesegelt, seit dieser lausige Sturm sie in nördliche Breiten verschlagen hatte. In dem guten Glauben, auf Südkurs endlich aus dieser Bai wieder herauszufinden, waren sie nur noch tiefer landeinwärts gesegelt, bis sich herausgestellt hatte, daß es nicht mehr weiterging.

Die Reise war zu Ende, und nachdem sie mit den Irokesen aneinandergeraten waren, hatte Hasard nach dem glücklichen Abschluß wieder Nordkurs steuern lassen.

Die Stimmung an Bord ähnelte dem Wetter. Sie war so grau wie der verhangene Himmel und so kühl wie das Wasser.

Seit langer Zeit wurde an Bord wieder einmal gemurrt, mehr oder minder versteckt, mitunter auch ganz offen.

Der hitzigste Bursche an Bord, Luke Morgan, stand frierend und schnatternd neben Carberry und Matt Davies an der Nagelbank, wo sie seit dem letzten Segelmanöver Taue und Fallen klariert hatten.

„Ich pfeif auf diese Scheiß-Passage“, sagte er giftig. „Die ist mir so gleichgültig wie sonst was. Du brauchst mich nicht so schräg anzustarren, Profos, ich sage meine Meinung ganz ehrlich.“

Der bullige Profos schob sein Rammkinn vor. Seine kalten Hände hatte er unter die Achselhöhlen geschoben und das Genick eingezogen. So wirkte er noch breiter und bulliger.

„Hier kann jeder seine Meinung sagen“, brummte er. „Das gilt auch für dich stinkenden Seeotter.“

Luke Morgan starrte den Profos Carberry an. Seine Augen funkelten, jedesmal, wenn er die Luft ausstieß, stand eine Wolke von Rauhreif vor seinem Gesicht. An der Stirn und an den Wangen zeigten sich noch immer die Narben von den Verbrennungen, die er bei dem Branderangriff auf die Armada davongetragen hatte. Die Haut war an jenen Stellen dünn und hell, und so würde sie aller Voraussicht nach auch bleiben, wie der Kutscher und Feldscher versichert hatte.

„Stinkenden Seeotter?“ wiederholte er gallig. „Das ist noch lange kein Grund, einen zu beleidigen, nur weil ich sage, was ich will.“

„Kannst du auch, du aufgedockter Wanderkrebs“, sagte Carberry gemütlich. „Du hast bloß Angst, daß dir dein Affenarsch eines Tages an Deck anfriert, und sonst nichts. Wenn der Kapitän sagt, er sucht die Nordwest-Passage, dann sucht er sie auch, und keiner wird ihn daran hindern. Und wenn dir das nicht paßt, du kalfaterte Seegurke, dann beschwere dich bei dem Seewolf oder laß dich an Land pullen und warte so lange, bis wir zurückkehren.“

„Sag bloß, du fühlst dich hier wohl?“ fragte Luke angriffslustig.

„Wohl fühlen würde ich mich an einem weißen Strand in der Karibik, wo die Sonne scheint, barbusige Mädchen um einen herumtändeln und einem die Südfrüchte in das aufgesperrte Maul fallen. Ja, dort würde ich mich wohler fühlen“, sagte der Profos und grinste infam, als in Lukes Augen richtige Gier aufblitzte. „Aber das hier, das ist was für wagemutige Männer, für Kerle, die sich etwas zutrauen. Hosenscheißer haben im hohen Norden nichts verloren, die haben Angst vor Kälte, Wind und Eis. Na, von dir kann man nun wirklich nicht behaupten, daß du Angst hast“, sagte Ed lauernd.

Luke Morgan räusperte sich. Seine Zornesfalte auf der Stirn glättete sich und verschwand. Trotzdem warf er Carberry noch einen drohenden Blick zu.

„Du – du bist der lausigste Profos, den ich kenne. Du verstehst es herrlich, einen immer an der Ehre zu pakken, was? Trotzdem ist und bleibt das eine Scheiß-Passage.“

Carberry grinste immer noch, und als jetzt seine Zähne sichtbar wurden, sah er mit seinem Narbengesicht zum Fürchten aus.

„Plüschenlogisch nennt man das“, sagte er. „Oder so ähnlich hat es der Kutscher genannt.“

„Und was soll das heißen?“ fragte Luke etwas versöhnlicher.

„Das muß was mit der Seele zu tun haben. Aber wie das zusammenhängt, ist eine Wissenschaft, die man Plüschendings nennt.“

Der Kutscher und Feldscher, der mit einer Kanne heißer Getränke gerade nach achtern ging, blieb stehen, zuckte zusammen und verzog peinlich berührt das Gesicht.

„Du hast nicht zufällig Hagelkörner in den Ohren, wie?“ fragte er den verdutzten Profos.

„Hagelkörner?“ wiederholte Ed. „Du spinnst wohl, du lausiger Portionenschwenker.“

„Du scheinst dich dauernd zu verhören“, sagte der Kutscher ungerührt. „Wenn Fachausdrücke schon nicht in deinen knorrigen Schädel gehen, dann wende sie auch nicht an. Sir Freemont wäre jetzt schon an einem Schock gestorben, hätte er das gehört. Das heißt psychologisch, du Plattfisch, und hat mit Plüsch nicht das geringste zu tun.“

Der Kutscher zog ein hoheitsvolles Gesicht, ließ den verdatterten Profos stehen und ging weiter nach achtern.

„Daß diese gelehrte Kombüsenwanze immer alles besser weiß“, knurrte Ed sauer. „Den muß ich wohl wieder mal auf Vordermann bringen, damit er weiß, wer ich bin!“

Davies und Morgan grinsten jetzt ebenfalls. Der Kutscher nahm kein Blatt vor den Mund, und er geriet mit dem Profos wegen solcher Kleinigkeiten oft aneinander. Dann brüllten sich beide an, aber ein paar Minuten später war alles wieder vergessen.

„Wie weit gehen wir denn nach Norden hinauf?“ fragte Matt Davies und kratzte mit seiner Hakenprothese am Schädel herum.

„Nicht sehr weit“, versicherte Ed. „Denn wenn wir oben sind, segeln wir schon wieder nach Süden.“

Er schlug dem verblüfften Matt auf die Schulter, grinste die beiden Männer, an und ging ebenfalls nach achtern.

„Das ist die blödeste Antwort, die er je gegeben hat“, sagte Luke empört.

Matt winkte ab. „Laß mal, es war auch eine reichlich saudumme Frage von mir. Wie soll Ed das schließlich wissen? Aber du hast recht, Luke, ich würde auch gern darauf verzichten, die Passage zu suchen. Vielleicht gibt es sie gar nicht, und selbst wenn wir sie finden, was haben wir davon?“

„Auf alle Fälle einen kalten Hintern. Der Seewolf hat gesagt, wenn es diese Nordwest-Passage wirklich gibt, braucht man nicht mehr um das Kap der Stürme zu segeln und spart Monate an Zeit dadurch. Er vermutet, daß wir dann wieder in den Pazifischen Ozean gelangen.“

„Das kann ich mir nicht vorstellen“, sagte Matt zweifelnd.

„Ich mir auch nicht, aber an Hasards Vermutungen ist immer etwas dran. Trotzdem finde ich es beschissen.“

„Beschissen ist geprahlt“, sagte eine tiefe Stimme hinter ihnen. Es war der riesenhafte Neger Batuti, der seine klammen Hände rieb. Er trug eine Mütze, die ihm weit über die Ohren reichte, und war so vermummt und eingepackt, daß man nur noch seine rollenden Augen und die Nase sah.

„Batuti frieren, immer sich frieren“, sagte er in seinem immer noch nicht einwandfreien Englisch. „Wenn morgens waschen, frieren Wasser an Körper, und Batuti wandelndes Eiszapfen. Batuti lieber zurück nach warmes Land, nach warme Brüder, wo Sonne scheint.“

Luke Morgan und Matt Davies begannen schallend zu lachen. Sie hieben sich auf die Schenkel und konnten sich nicht beruhigen, weil der Neger sich wieder einmal unglücklich ausgedrückt hatte.

Das hob ein wenig die düstere Stimmung, und als ein paar andere Seewölfe erschienen und sich nach dem Grund des unbändigen Gelächters erkundigten, mußte sich der Gambianeger eine ganze Menge anhören.

„Ihr kalte Brüder!“ schrie der Neger. „Ihr nix verstehen. Immer dumm grinsen, wenn Batuti was sagen. Ihr Krummhund, Trittarsch!“

Auf der Kuhl bogen sich die Männer vor Lachen, und als der Seewolf die grölende Meute vom Achterkastell aus sah, wie sie brüllten, lachten und sich amüsierten, mußte auch er lächeln, denn das Gelächter wirkte ansteckend. Außerdem entspannte es.

„Da hat unser guter Batuti wohl wieder mal was Falsches gesagt“, meinte er zu Ben Brighton, der dick vermummt neben ihm stand. „Aber ich bin froh, wenn sie wieder lachen können. Die Stimmung war ziemlich mies, und sie wurde immer schlechter, je höher wir nach Norden segelten.“

„Die gute Laune wird sich bald wieder legen“, prophezeite Ben. „Die meisten wollen nicht einsehen, daß wir immer höher in die kalten Zonen segeln.“

Hasards Gesicht blieb unbewegt. Sein Lächeln war verschwunden.

„Und wie denkst du darüber?“ fragte er seinen Bootsmann.

Ben Brighton war nicht der Typ, der herumdruckste. Wenn ihm etwas nicht paßte, sagte er es frei heraus.

„Mir gefällt es auch nicht so richtig, Sir.“

„Steck dir deinen Sir an den Hut!“

„Aber weshalb denn?“ fragte Ben gelassen. „Du bist doch zum Ritter geschlagen worden und demnach ein Sir. Also, ich finde die Idee nicht besonders gut.“

 

„Der Grund?“ fragte der Seewolf hart.

„Erinnerst du dich an das südliche Polarmeer? Dort begegneten uns nur Strapazen, Hunger, Durst und Krankheit. Und beinahe hätte uns das ewige Eis eingeschlossen. Allerdings haben wir da nichts gesucht, der Sturm hat uns verschlagen.“

„Diesmal suchen wir gezielt. Ich möchte einen neuen Seeweg finden, und ich bin sicher, daß es ihn hier gibt.“

„Vorteile haben wir kaum davon“, sagte Ben. „Das ist auch die Ansicht der meisten anderen. Für sie gibt es nichts zu holen, keine Spanier, keine Kämpfe, es dürfte ausgesprochen langweilig werden. Eine entbehrungsreiche Reise, die uns nichts einbringt. Das ist meine Meinung. Du wolltest sie ja hören, Sir.“

Der Seewolf nickte. Mit der Hand strich er sich die schwarzen Haare aus der Stirn.

„Viele andere vor uns haben auch Entbehrungen auf sich genommen. Wer nichts wagt, gewinnt auch nichts. Wenn jeder so denkt, wird die Welt nie erforscht werden. Dann können wir uns genausogut an Land niederlassen, Häuser bauen und Kinder zeugen. Aber da uns der Sturm hierhergeweht hat, will ich die Gelegenheit ausnutzen. Und ich werde die Passage finden, verlaß dich darauf, Mister Brighton. Und wem es nicht paßt, der soll es mir selbst ins Gesicht sagen.“

Seit langem hatte es keine Unstimmigkeiten an Bord der „Isabella“ mehr gegeben, dachte Hasard. Aber er konnte seinen Männern die Stimmung nicht verübeln. Sie hatten nicht vor, zu meutern. Er hatte sie um ihre Meinung gefragt, und sie hatten ehrlich geantwortet. Sie würden ihm geschlossen in die Eismeerhölle folgen, das stand fest. Und ihre Bedenken durften sie jederzeit äußern.

Er war sich selbst nicht sicher, ob er sich diesmal nicht etwas übernahm, denn freiwillig in die kalte Todeszone segelte so schnell niemand, der nicht vom Ehrgeiz gepackt war. Außerdem dachte er daran, daß er seine beiden Söhne und Siri-Tong an Bord hatte. Die Rote Korsarin hatte auch schon mit ihm über das Für und Wider dieser Reise debattiert – und gekuscht, als sie seine Argumente hörte.

„Lege den Männern das bitte nicht falsch aus“, sagte Ben. „Sie gehen für dich durchs Feuer, und die Borddisziplin wird unter dem bißchen Gemecker nicht leiden.“

„Das weiß ich, Ben“, erwiderte Hasard versöhnlich. „Mich regt es auch auf, wenn wir hier herumsegeln und aus der verdammten Bai nicht herausfinden. Die Karten zeigen hier ja nichts weiter an als trostlose Einöde, eben weil diese Ecke noch nicht erforscht worden ist. Es gibt jedenfalls kein genaues Material darüber, aber wir werden welches anfertigen.“

„Warum bist du eigentlich so sicher, daß es eine Passage gibt, die wieder in den Pazifik führt?“ wollte der Bootsmann wissen.

„Ich fühle es einfach. Dieses endlose Inselgewirr hat mit Sicherheit einen Ausgang in ein anderes Weltmeer. Hier findet sich Insel an Insel, man muß nur wissen, wie man richtig hindurchlaviert. Und das werden wir feststellen.“

Brighton nickte nur. Gewiß, sie würden es zumindest versuchen. Männer wie Magellan hatten die Straße zwischen Südamerika und Feuerland gefunden und entdeckt, durch die man sich den beschwerlichen Weg um das Kap der Stürme ersparte. Weshalb sollte es ihnen nicht ebenfalls gelingen, die sagenhafte Nordwest-Passage zu finden?

„Land voraus!“ ertönte eine Stimme aus dem Großmars. Es war der Schwede Stenmark, der es rief und dick vermummt im Großmars seinen Posten als Ausguck ging.

Hasard hob die Hand zum Zeichen, daß er verstanden hatte.

Das Land voraus konnte nur die kleine namenlose Insel sein, eine von vielen, die sie auf der Herfahrt passiert hatten. Und gegenüber dieser trostlosen Insel lag eine weitere.

Das war der Ausweg. Hatten sie die Inseln passiert, mußten sie auf Ostkurs gehen. Nur so konnten sie wieder in den Atlantischen Ozean segeln. Von dort aus, so überlegte der Seewolf, ging es mit Nordkurs weiter, und später würde man in nordwestlicher Richtung auch die Passage finden – wenn es sie gab.

Gleich darauf meldete Stenmark noch einmal Land, diesmal zwei Strich an Backbord, und da hatte Hasard die Gewißheit, nicht länger in dieser verdammten Bai herumkrebsen zu müssen. Zumindest war jetzt wieder der Rückweg gefunden.

Er sah es an den Gesichtern der Seewölfe, die jetzt erleichtert wirkten.

Vom Achterkastell aus nickte er den Männern zu.

Die ernsten Gesichter lösten sich, und einige fingen an zu grinsen, bis die harten Kerle schließlich alle grinsten.

Carberry hob die Faust in die Luft.

„Auf die verdammte Passage!“ rief er. „Ar-we-nack!“

Damit war der Bann gebrochen, und die, Beklemmung wich, als die anderen in den Chor einfielen und den alten Schlachtruf der Seewölfe anstimmten.

Die „Arwenacks“ waren bereit, ihrem Kapitän in die Hölle zu folgen. In die Eishölle diesmal.

2.

Rauher, kalter Wind fegte über Deck, als sich die „Isabella“ mit Steuerbordhalsen auf Backbordbug liegend durch die Hudsonstraße wälzte und schob wie ein gigantischer Pflug, der das Wasser zerteilte, auftürmte und hinter sich herzog.

Es war kalt, um nicht zu sagen, saukalt. Der Atem gefror vor den Lippen, die Nasenflügel klebten, und in den Ohren war ein Prickeln, das von saftigen Ohrfeigen herrühren könnte, wie der Profos sagte.

Der Wind pfiff, heulte und toste von Südost und türmte die See immer höher auf. Hier, über dem sechzigsten Grad nördlicher Breite, war das Land karg und dürftig. Die Vegetation bestand aus ein paar armseligen dürren Sträuchern, Flechten und Moosen.

Hier blühte keine Blume, hier gab es keine weißen Sandstrände mit sanft geschwungenen Buchten. Das ferne Ufer war flach, großsteinig und kahl. Die nahende Polregion ließ sich bereits überdeutlich ahnen.

In den dunkelgrauen, schnell dahinjagenden Wolken erschienen ab und zu kleine Punkte, die vom Himmel fielen, weit entfernt von dem Rahsegler in die See klatschten, nach einem Fisch schnappten und wieder auftauchten.

„Die haben vielleicht einen sonnigen Humor“, meinte der Profos und wies auf die Seevögel, deren Namen sie nicht kannten. „Wenn ich fliegen könnte, würde ich mich in den Süden verziehen und nicht den Bauch ins kalte Wasser hängen. Die Viecher sind doch ausgesprochen dämlich.“

Dan O’Flynn, der jetzt am Ruder stand und Pete Ballie abgelöst hatte, lachte leise.

„Wie sollen die denn in den Süden finden, wenn sie keine Seekarten und keinen Kompaß haben, Ed? Vielleicht gefällt es ihnen hier im kalten Wasser besser.“

„Quatsch! Die wissen nur nicht, daß es überhaupt einen Süden gibt, sonst wären sie längst abgehauen“, sagte Ed bestimmt.

„Ja, so wie Arwenack und Sir John, die haben es ebenfalls vorgezogen, unter Deck zu bleiben.“

Der kälteempfindliche Papagei hockte schon seit einigen Tagen ziemlich lustlos und aufgeplustert herum. Deshalb hatte ihn der Profos in den von Ferris Tucker gezimmerten Vogelkäfig gesperrt und ihn in die achtere Kammer gebracht.

Der Schimpanse dagegen hielt sich ebenfalls unter Deck auf, nur wußte keiner, wo er sich gerade befand. Mal erschien er beim Kutscher in der Kombüse, mal im Vordeck, dann wieder achtern, und ab und zu verirrte er sich ins Ruderhaus, aber wenn ihn da die Männer nicht verscheuchten, trieb ihn die Kälte wieder unter Deck.

Der Ausguck wurde jede halbe Stunde abgelöst. Bei dem eisigen Wind hielt es keiner lange in der luftigen Höhe aus.

Immer weiter segelte die „Isabella“ durch die Hudsonstraße, bis sie Baffin-Land rundete und wieder Nordkurs steuerte.

Der Wind wurde böig und noch kälter. Mitunter fiel er so hart ein, daß der schlanke Rahsegler hart überkrängte. Dan O’Flynn nutzte die Böen aus, so gut es ging.

„Wir kriegen verdammt hartes Wetter“, sagte er zu Carberry, der sich ebenfalls im Ruderhaus aufhielt. „Und weißt du, was das bedeutet, Ed?“

„Glaubst du, ich renne mit geschlossenen Augen an Deck herum, was, wie? Klar weiß ich das. Aber das geht vorerst nicht.“

„Weißt du wirklich, was ich meine?“

„Klar!“ schrie Ed. „Wir hätten schon früher daran denken sollen. Du meinst die Schlechtwettersegel. Die brauchen wir hier oben, wenn wir nicht wollen, daß die anderen davonfliegen. Ich werde mit Hasard reden, vielleicht können wir eine Bucht anlaufen, vielleicht aber hält er die anderen Segel gar nicht für nötig.“

Er ging über das stürmische Deck zur Segellast, wo der alte Will Thorne, der Segelmacher und älteste Mann an Bord, ein relativ warmes Plätzchen hatte.

Beim Eintritt sah Ed den Alten inmitten der Segelleinen, Taue, Persenninge und Segelkleider hocken. Über seinem Kopf pendelte eine Öllampe und spendete milchig-warmes Licht.

Carberry wunderte sich immer wieder über den ruhigen, grauhaarigen und besonnenen Mann. Wenn andere mal faulenzten, fand Will Thorne das ganz natürlich, daß sie sich ausruhten, aber er selbst brachte es nicht fertig. Er war einer von denen, die immer beschäftigt sein mußten, sonst fühlte er sich nicht wohl.

Daher gab es auf der „Isabella“ in der Last auch keine stickigen, modrigen und dumpf riechenden Segel. Bei Will Thorne sah immer alles so aus, als wäre es frisch gewaschen.

Sie konnten froh sein, diesen Mann, dessen Existenz sich fast ausschließlich im Hintergrund abspielte, an Bord zu haben, denn der grauhaarige Mann verstand sich nicht nur aufs Segelmachen oder Schneidern, er war auch ein hervorragender Seemann.

Bei seinem Eintritt blickte Will hoch.

Der Profos kratzte sich sein unrasiertes Kinn. Es hörte sich wieder einmal so an, als schliche ein ganzer Hügel Ameisen knisternd davon.

„Will“, sagte er, „ich glaube, wir werden die Schwerwettersegel brauchen. Wie sieht es damit aus? Je höher wir nach Norden segeln, um so steifer und härter werden die anderen Segel. Es wird ja auch immer kälter.“

„Daran habe ich längst gedacht. Sie sind alle in den großen Segelsäcken verstaut, ich habe sie heute morgen kontrolliert. Wir haben sie seit langer Zeit nicht mehr gebraucht. Nur ab und zu haben wir sie zum Auslüften an Deck gebracht.“

„Ja, gut“, sagte Ed lahm. Er druckste herum, überlegte, kratzte sich wieder das Kinn und rang sich schließlich zu einem Entschluß durch.

„Du hast doch mal für Hasards Söhne Hosen und Jacken geschnitzt, äh, geschneidert oder genäht, meine ich. Weißt du noch?“

„Klar, auch für die anderen schon. Brauchen sie Kleidung?“

Carberry dachte daran, daß sie sich schon bald alle die Knochen in den Polarzonen abfrieren würden, und er dachte dabei mehr an die anderen als an sich selbst.

„Ich habe doch das Eisbärenfell, weißt du! Ich hatte es fast vergessen, aber ich erinnere mich jetzt wieder, daß ich es versprochen hatte, als wir die Flaschenpost fanden. Unter uns gesagt, Will: Es ist ein schweres, dikkes Fell und ganz weiß, aber ich glaube nicht, daß es von einem Eisbären stammt. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es so große weiße Bären überhaupt gibt. Schon gar nicht hier, wo es so lausig kalt ist.“

„Hendrik Laas, der Däne, hat es aber gesagt, als er es dir damals schenkte.“

„Ja, schon, aber vielleicht hat er ein bißchen gemogelt mit den Eisbären. Egal, ob es nun welche gibt oder nicht, ich selbst zweifle ja daran, aber ich möchte dich um etwas bitten.“

„Ich weiß schon, was du willst, Profos.“

„Komisch, alle wissen immer schon, was ich will, und ich erfahre es meist als letzter“, sagte Ed. „Kannst du aus dem Fell für die beiden Rübenschweinchen nicht ein paar Klamotten nähen? Damit die Lausebengels nicht frieren, wenn sie mal an Deck gehen. Ich lasse es dir dann bringen, Will.“

„Natürlich kann ich das. Das Fell ist riesengroß, daraus lassen sich leicht zwei feine Kleidungsstücke nähen. Hosen und Jacken, und dann bleibt noch immer etwas übrig. Vielleicht eine Pelzmütze für Siri-Tong?“

„Das wäre sehr gut, Will. Ich bring dir dafür auch eine Flasche guten Karibik-Rum.“

„Darum geht es mir nicht, Profos. Aber wolltest du dir nicht selbst eine Hose aus dem Fell schneidern lassen? Für dich?“

„Mein Achtersteven hält Kälte aus“, versicherte Ed. „Der friert so schnell nicht an. Ja, dann hätte ich noch etwas. Du hast doch sicher alte Persenninge oder altes Segelleinen, das nicht unbedingt gebraucht wird, oder?“

„Ja, für alle möglichen Zwecke. Was willst du damit?“

„Damit könnten wir das Ruderhaus von innen auskleiden, damit der Wind nicht so durch die Ritzen pfeift und die Rudergänger es wärmer haben. Es wird noch so oder so lausig kalt.“

 

„Eine gute Idee“, sagte Will und stand auf. „Womit beginnen wir zuerst?“

„Mit dem Bärenfell.“

„Gut, mit dem Fell also. Und dann mit dem Ruderhaus.“

Der Profos grinste Will Thorne an, hieb ihm auf die Schulter und ging zurück. Etwas später brachte Bill das flauschige weiche Riesenfell zu Thorne, blieb gleich da und half ihm.

Unterdessen hatte der Profos wieder das Achterkastell geentert, wo Hasard stand und die See mit dem Kieker absuchte. Diesmal trug der Seewolf sein Hemd nicht mehr offen, denn hier oben pfiff und heulte der Wind noch stärker als unten an Deck. Über dem Hemd trug Hasard sein Lederwams und darüber eine schwere Jacke.

„Ein ödes, trostloses Land“, sagte er zu Ed. „Hier geht man ja vor lauter Monotonie zugrunde.“

„Ja, hier kann man schnell krank werden“, sagte Carberry. „Ist das so etwas Ähnliches wie Skorbut, Sir?“

Hasard lachte laut.

„Nein, das ist Eintönigkeit. Ich denke, wir werden heute nacht irgendwo ankern, wenn sich eine stille Bucht findet. Ich möchte ausgeruhte Männer für den harten Törn und keine halberfrorenen Gestalten. Mit frischen Kräften ist das besser zu packen, und die Nordwest-Passage läuft uns schließlich nicht davon.“

„Das trifft sich gut“, sagte Ed händereibend. „Dann tauschen wir die Segel gegen die Schlechtwettersegel, das wird nämlich verdammt nötig. Die Burschen werden noch einmal richtig ranklotzen können und wieder schwitzen. Wenn dann jeder anschließend noch einen ordentlichen Schluck erhält, dann sind wir wieder die Fürsten der See, Sir. Ich habe übrigens veranlaßt, daß wir das Ruderhaus mit alten Segeln von innen auskleiden. Was sagst du dazu, Sir?“

„Nur sechs Worte.“

„Und die lauten, Sir?“

„Daß du ein hervorragender Profos bist.“

Wenn Carberry sich jetzt im Spiegel gesehen hätte, dann wäre er erschrokken zurückgezuckt. So aber sah es nur der Seewolf.

Zunächst ging über das stoppelbärtige Gesicht ein Grinsen, das immer breiter wurde. Carberry entblößte eine Zahnlücke, die man sonst kaum sah, und die vielen Narben in seinem Amboßgesicht traten stärker und deutlicher hervor. Dazu reckte sich sein mächtiges Kinn vor, und er war jetzt mit Abstand einer der häßlichsten Profosse, die der Seewolf je gesehen hatte. Aber er war auch der beste, und das war entscheidend, und er hatte das Herz immer auf dem rechten Fleck, wenn er auch ein großer Sprücheklopfer war.

Was wäre die „Isabella“ ohne ihren markanten Profos? dachte Hasard und beglückwünschte sich noch heute dazu, ihn an Bord genommen zu haben – damals bei Francis Drake.

„Gut“, sagte der Seewolf schließlich. „Dann werden wir die nächste Bucht anlaufen, die hinter den Hügeln liegt. Da sieht es aus, als befände sich ein tiefer Einschnitt im Land.“

„Aye, aye, Sir!“ brüllte Ed. „Und jetzt werde ich die triefäugigen Kakerlaken an Deck treiben, daß sie ihre helle Freude haben.“

„Aber erst in der Bucht, Ed. Bei dem Wind können wir doch nichts unternehmen.“

Die Bucht fand sich am späten Nachmittag, und dann waren alle Seewölfe an Deck versammelt. Ed wurde von der ganzen Horde umringt.

„Ihr friert doch alle, was, wie?“ sagte er laut, und als zustimmendes Gemurmel laut wurde, hob er die Hand. „Das ist jetzt gleich vorbei. Sobald wir in die Bucht einlaufen, lasse ich die Sonne für euch scheinen, und euch wird allen verdammt warm ums Herz werden.“

Die meisten blickten ihn verständnislos an.

Der alte O’Flynn musterte den Profos aus verkniffenen Augen.

„Versündige dich bloß nicht!“ rief er. „Wie willst du denn die Sonne scheinen lassen, he? Wie soll uns denn warm werden?“

„Indem ihr die Rahen abfiert, die Segel abschlagt, schön verpackt und neue anschlagt“, erklärte Ed genüßlich. „Und das geht hopphopp und noch schneller, ihr lausigen Eisbeine. Und wer dann immer noch friert, den klopfe ich so lange durch, bis er es vor Hitze nicht mehr aushält. Ich werde mit der Sanduhr daneben stehen, und wenn sie umgedreht wird, dann hängt ein neues Schlechtwettersegel an der Rah. Und wenn ich sie wieder umdrehe, hängt das nächste dran und so weiter.“

„Und wenn du vergißt, sie umzudrehen“, schrie Smoky, „dann hängst du an der Rah, schön aufgegeit und angeschlagen!“

„Die Wette halte ich, Smoky. Euch tranäugige Seedisteln werde ich schon auf Trab bringen.“

Sie lachten alle, sie kannten ihren Profos, der ihnen die schlimmsten Strafen in Aussicht stellte, aber es nie so rauhbauzig meinte, wie er es sagte.

„Fallen Anker!“ brüllte Eds Stentorstimme etwas später über Deck. „Runter mit dem Hammer, oder sollen wir auf Land laufen, was, wie?“

Der Stockanker donnerte ins Wasser und faßte Grund. Die Segel waren aufgegeit. In einem weiten Bogen schwoite die „Isabella“ dem Land entgegen, bis sie endlich festlag.

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