Seewölfe - Piraten der Weltmeere 179

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 179
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-515-6

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapital 1

Kapital 2

Kapital 3

Kapital 4

Kapital 5

Kapital 6

Kapital 7

Kapital 8

Kapital 9

1.

Eine unendlich sanfte Dünung hob ihn auf und nieder, und lauwarmer Wind streichelte sein Gesicht. Wenn er sich umblickte, sah er den fast weißen Strand mit den hohen Palmen, die fast nackten, braunhäutigen und ausgelassenen Eingeborenen und das flaschengrüne Meer, auf dem er mit dem kleinen Beiboot schaukelte.

Es war eine Lust, zu leben, fand Arie Vermeulen, der Kapitän der „Godewind“, wie sein dreimastiges Schiff hieß.

Doch immer wieder veränderte sich erschreckend schnell das Wetter.

So war es auch diesmal.

Die Dünung begann hart zu rollen, aus dem sanften Schaukeln wurden harte, knallende Schläge, und der lauwarme Wind blies jetzt eiskalt und wild über die See. Unter seiner Wucht bogen sich die schlanken Palmen, der weiße Strand wurde grau und schmutzig, und aus dem pechschwarzen Himmel schleuderte eine Riesenfaust zornige Blitze.

Der Donner, der den Blitzen folgte, ließ alles erbeben, brachte die See zum Kochen und dröhnte in den Ohren.

Der zweite, dritte und vierte Donnerschlag schien den Weltuntergang einzuleiten.

Vermeulen spürte einen harten Schlag, und damit rissen seine Träume von südlichen Inseln jäh ab.

Die rauhe Wirklichkeit sprang ihn erschreckend nüchtern an.

Eine harte See hatte ihn, den erfahrenen Seemann, aus der Koje geschleudert und auf die harten Dielen geworfen.

Das Krachen und Schmettern nahm kein Ende. Er hörte das hohle Brausen des Sturmes, das eigentümliche Schleifen und Schlurren und das überlaute Gebrüll seiner Männer.

„Verdammt!“ fluchte der Holländer laut und suchte nach einem Halt.

Das, was da eben zum Teufel gegangen war, konnte nur der Besanmast gewesen sein, den der Satan persönlich geholt hatte.

Vermeulen hatte, nachdem er mehr als zwanzig Stunden ununterbrochen am Ruder gestanden hatte, höchstens eine Stunde geschlafen. Und jedesmal träumte er diesen verdammten Traum von den Inseln der Südsee, von den Mädchen, von Sonne und Palmen, und jedesmal erlebte er das gleiche: Er erwachte in einem brüllenden Inferno, in Krachen und Donnern, Brausen und Heulen.

Er brauchte sich nicht anzuziehen, er hatte in den Kleidern geschlafen, wie sie alle schliefen, seit der Sturm sie in seinen Klauen hatte und nicht mehr losließ.

In der Finsternis griff er erneut nach einem Halt, denn das Schiff holte so stark über, daß er sich kaum auf den Beinen halten konnte.

Fluchend suchte er sich seinen vertrauten Weg an Deck.

Die „Godewind“ bewegte sich in einem tobenden Inferno und schien in einen pechschwarzen Kohlensack hineinzusegeln.

Knallharte Seen, pechschwarz mit kochenden weißen Kämmen, hämmerten von allen Seiten auf das Schiff ein. Sie türmten sich auf wie unüberwindbare Mauern, wichen zurück, gaben scheinbar den Weg frei und fielen dann brüllend und infernalisch kreischend über das Schiff her, um es systematisch zu zerschlagen.

Vermeulen krallte sich am Geländer des Niedergangs fest, als die schwarzen Reiter hohnlachend über den Bug jagten, die Kuhl überfluteten und sich ihren Weg nach achtern suchten.

Die Sturzsee riß ihm die Beine weg, zerrte an seinen verkrampften Fingern und peitschte seinen müden Körper.

Eiskaltes Wasser drang durch seine Kleider, er schluckte, hustete und würgte und hielt sich mit aller Kraft fest, um nicht über Bord gewaschen zu werden.

Auf dem Achterkastell brannte eine trübe blakende Lampe, die der Wind wild hin und her schwang. Sie hing so hoch, daß die kochende See sie nicht auslöschen konnte. Aber in ihrem schwachen, flackernden Schein sah alles nur noch schlimmer aus.

Vermeulen war entsetzt über das, was er erblickte.

Tatsächlich, seine schlimmste Befürchtung war eingetroffen. Den Besan hatte eine See erwischt und kurz und klein geschlagen.

Vier Männer waren fluchend dabei, das laufende und stehende Gut zu kappen, damit der außenbords hängende zersplitterte Mast das Schiff nicht noch mehr beschädigte.

Bei jeder See hob er sich träge aus dem Wasser und donnerte wie ein Rammbock gegen die Planken.

„Cap! Bist du an Deck?“ schrie eine Stimme.

Cap – so nannten sie ihn, Cap, die Abkürzung für Captain.

Am Kolderstock standen zwei Männer, durchnäßt bis auf die Knochen.

„Ja, ich bin’s!“ schrie er zurück. „Warum habt ihr mich nicht früher geweckt, verdammt!“

„Du hättest auch nichts daran geändert, Cap!“

Vermeulen griff nach einer Axt, drängte sich zwischen die Männer seiner Besatzung und begann wie ein Wilder auf Pardunen, Fallen und Holz herumzuhacken, bis ihm der Schweiß ins Gesicht lief.

Aber dann waren sie den nachschleppenden Mast endlich los, und er verschwand achteraus in der kochenden See, über die der eisige Wind pfiff und orgelte.

Anstelle des Besans stand jetzt nur noch ein zersplitterter, etwas mehr als yardhoher Stumpen an Deck, ein nutzloses Stück Holz, höchstens noch als Brennholz zu verwenden.

Das letzte Sturmsegel an der Fock war schon vor Stunden in lange Streifen zerfetzt worden, die der Wind davongetragen hatte. Die „Godewind“ lenzte wieder einmal vor Topp und Takel, ließ sich von der See knüppeln und schlagen und vom Sturm beuteln wie ein Sklave, der alle Schikanen demütig ertrug, aber bei dieser Behandlung allmählich vor die Hunde ging, bis er ganz kaputt war.

„Cap“, sagte der Bootsmann, ein breitschultriger blonder Holländer mit langen, klatschnassen Haaren. „Pit ist über Bord, niemand hat es gesehen, aber er ist nicht mehr auf dem Schiff. Wir haben alles abgesucht.“

Vermeulen zuckte zusammen und blickte traurig in die kochende See, die sich den Teufel darum scherte, was aus ihnen und dem Schiff wurde, die sich einen Mann nach dem anderen holte, ihn gierig verschlang und mit ihren nassen Tüchern zudeckte.

Pit war der dritte Mann innerhalb von vierzehn Tagen, den die tobende See geholt hatte. Hilflos hatten sie jedesmal mitangesehen, wie der erste und zweite Mann verschwunden waren.

Helfen – retten? No, Mijnheer, da blieben nur noch das hilflose Zuschauen und eine ohnmächtige Wut. Da gab es nichts zu helfen. Wer bei diesem Wetter über Bord ging oder achtern abkantete, der kehrte nie wieder, der war für alle Zeiten verloren. Der kehrte ein in das Reich der ewigen Ruhe, sein Dasein war ausgelöscht für immer.

Vermeulen wandte sich mit hängenden Schultern ab und schluckte trocken.

Pit war weg, dachte er immer wieder, Pit war weg. Das eisige Wasser hatte ihn geholt, umarmt und in die Tiefe gezogen, in diese endlose dunkle Tiefe unter ihnen, die so tief war, daß niemand sie ausloten konnte.

Er murmelte ein kurzes Gebet und stemmte sich dabei an die Balustrade, als wieder ein schwarzer Brecher heranfegte, durch die Kuhl schäumte und gurgelte und wie ein hinterhältiges dunkles Gespenst das Achterkastell erklomm.

Noch bevor das Wasser über ihnen zusammenschlug, lagen die Männer flach an Deck, krallten sich fest, hielten die Luft an und beteten.

War der Brecher vorüber, dann fluchten sie. Sie fluchten auf Gott und die Welt, wenn ihre Gebete nicht erhört wurden, und sie hofften doch immer noch, daß es endlich mal vorbei sein möge.

So lange konnte ein Orkan doch gar nicht dauern!

Seit vierzehn Tagen ging das schon so. Seit vierzehn Tagen orgelten und brausten sie durch eine Hölle, die sie hohnlachend immer weiter herumschlug, die sie peinigte und trieb – wohin, das wußten nicht einmal die Götter.

Ab und zu flaute der Orkan ein wenig ab, das war meist am Tage, aber dafür ging es nachts dann immer schlimmer los.

Sie trieben nach Norden, oder jedenfalls in nördlicher Richtung, das wußten sie, obwohl sie keinen Kompaß mehr hatten, und nach Norden wollten sie auch, aber nicht auf diese Weise, und vor allem immer an der Küste entlang, nicht inmitten einer teuflisch brodelnden See, in der sie nicht den geringsten Anhaltspunkt fanden.

Captain Arie Vermeulen hatte diesen Seeweg gesucht. Wenn sie ihn fanden, sparten sie Tausende von Meilen, denn der Weg „obenrum“, wie sie ihn nannten, existierte mit größter Wahrscheinlichkeit. Es war der Weg über das sibirische Rußland, eine Strecke voller Eis und Kälte, aber sie war zu schaffen.

Den Erzählungen nach hatten schon Spanier und Franzosen diese Ecke angeblich befahren.

Vermeulen hatte errechnet, daß dieser Seeweg annähernd zwei Jahre Zeit einsparte, zumindest aber eineinhalb Jahre, und neue Erkenntnisse würde er vermutlich auch bringen.

Eine dieser Erkenntnisse hatten sie bereits gewonnen, dachte er voller Bitterkeit und Wut. Nämlich die Erkenntnis, daß hier ein ganz anderer Wind wehte, der mitunter wochenlang anhielt, und daß die See dann alles kurz und klein schlug, was sich auf ihr bewegte.

 

Aber daran ließ sich jetzt nichts mehr ändern. Jetzt bestimmten nicht mehr sie selbst den Kurs, das Ruder hatte der Teufel persönlich übernommen, und er würde sie dorthin führen, wo er selbst zu Hause war: in die Hölle nämlich!

Auf den Inseln, ja, da hatten sie noch wie im Traum gelebt. Und in ihren Laderäumen hatten sie Gewürze, Kokosnüsse, seltsame und eigenartige Pflanzen, Tabak und andere Kostbarkeiten.

Obwohl die Ladung gut und sorgfältig gestaut war, ging es in den beiden Laderäumen drunter und drüber. Es rollte und stampfte, und mitunter glukkerte und gurgelte es auch leise.

Aber sie konnten nicht nachsehen, nicht bei diesem Wetter, das war einfach unmöglich.

Vielleicht war der ganze Kram längst verdorben, vergammelt oder verfault, dachte Vermeulen, und keinen Copper mehr wert. Statt einen ordentlichen Gewinn herauszuschlagen, konnten sie drauflegen und das Schiff nach der Reise, wenn es noch so lange durchhielt, verkaufen.

Das war sein Risiko, und es war nicht kalkulierbar. Mancher wurde steinreich, mancher bettelarm.

So wie er es sah, begannen für ihn jetzt die sieben mageren Jahre.

Selten nur sprach einer der Männer. Sie waren ohnehin wortkarge Gesellen, die sich die Zeit nicht mit Spiel und Tand, Erzählen und Klönen vertrieben.

Hier ging es einzig und allein um ihr Leben, um ihr Schiff und die Ladung.

Längst war der zersplitterte Besan weit achteraus verschwunden und nicht mehr zu sehen, als sich vor ihnen eine gewaltige Wand erhob.

Man sah sie eigentlich nur an der gewaltigen weißen Schaumkrone, einem gigantischen Wirbel, der aus dem Himmel zu fallen schien.

Alle Männer, die sich an Deck aufhielten, spürten die Gefahr rein instinktiv. Das, was da auf sie zurückte, war eine jener Wellen, die man in einem Orkan als Kaventsmann bezeichnete, vier, fünfmal höher als alle anderen und mit elementarer Wucht heranjagend.

Die „Godewind“ benahm sich, als hätte sie ein besonderes Gespür dafür, und sie reagierte fast wie ein lebendes Wesen.

Ihr Bug begann nervös zu tänzeln, als suche er sich die bestmögliche Stelle, um diesem Ungeheuer entgegenzutreten. Das Schiff zuckte wie unschlüssig vor und zurück, blieb auf der Stelle stehen und wurde dann von dem vorauslaufenden Sog unterseeisch erfaßt.

Dann schnellte der Bug nach oben, fast senkrecht, schien in den dunklen Himmel zu klettern und flog wie ein Korken durch die Luft.

Das war es vermutlich, was ihnen allen das Leben rettete.

Noch bevor mehr als tausend Tonnen Wasser brüllend niederstürzten und alles kurz und klein schlagen konnten, hatte die „Godewind“ den tobenden Berg aus Wasser zum größten Teil erklommen. Der Sog drehte sie kraftvoll halb um ihre Achse, und das Schiff geriet nicht mehr in den stürzenden Wasserfall.

Die „Godewind“ ritt in großer Höhe auf dem Kamm der Welle und erreichte eine beängstigende Geschwindigkeit, die sich mit jeder Sekunde noch steigerte.

Die Männer waren wie erstarrt, keines Gedanken fähig, denn jeder einzelne sah sich im Geist längst von den Massen begraben.

Am Achterschiff brach die Riesenwelle tobend, heulend, brüllend und donnernd in sich zusammen, doch der andere Teil lief weiter, und auf diesem Teil lief die „Godewind“ mit rasender Geschwindigkeit wie ein Geisterschiff der Hölle. Es war wie ein Ritt auf einer großen Eisscholle, die achtern immer wieder abbrach und krachend in sich zusammenfiel.

Immer schneller wurde die rasende Fahrt, immer wilder stürzten dicht hinter dem Schiff die Wassermassen infernalisch heulend zusammen, bis die Kraft der Riesenwelle langsam gebrochen wurde.

Bei diesem Ritt auf Leben und Tod ging es buchstäblich um den Bruchteil einer einzigen Sekunde. Nur ein Yard weiter achterlich versetzt, und das Schiff wäre in den Abgrund geschleudert worden, die stürzende Welle hätte es zerquetscht.

Vermeulen rief etwas, aber das Wort verließ nicht einmal seine Lippen. Es wurde sofort vom Sturm erstickt und drang nicht weiter. Aber die anderen wußten auch so, was er meinte.

Jetzt nämlich begann das „Absetzen“, eine sehr unangenehme Angelegenheit, bei der alles noch einmal hart auf der Kippe stand.

Schafften sie das Absetzen nicht einigermaßen sanft und gleitend, dann gerieten sie in den eintretenden Gegensog, in jene Stellen, wo die gefährlichen Kreuzseen entstanden und mit Brachialgewalt aufeinanderstießen.

Vermeulen hatte das ganz richtig gesehen. Verkrampft und bis auf den letzten Muskel angespannt, hatte er sich an der Balustrade verkrallt und wartete auf den donnernden Schlag, der gleich folgen würde, sobald die Welle auslief und mit den anderen zusammentraf.

Von den anderen Männern sah er nichts, aber sie lagen irgendwo an Deck und hielten sich fest.

Der Kolderstock schwang hin und her, fast sanft bewegte er sich mit dem Ruderblatt, als würde er von zarter Hand geführt.

Dann begann er zu schwingen, immer schneller, hieb wie ein Schwert rasend über die Köpfe der flach an Deck liegenden Männer und senste mit tödlicher Wucht über sie hinweg.

Sie konnten nichts tun, sie mußten warten und hofften darauf, daß der liebe Gott noch einmal seinen Daumen dazwischenhalten würde.

Die „Godewind“ lief jetzt fast auf Gegenkurs und wurde immer noch weiter herumgedreht.

Dann schien eine unsichtbare Riesenfaust sie anzuhalten. Sie stoppte fast auf der Stelle. Durch das Schiff lief ein ungeheurer Ruck, die Masten, die den Beharrungskräften nicht sofort folgen konnten, bogen sich hart durch.

Eine Rah donnerte unter Getöse an Deck und zerschlug die Aufbauten der Kombüse.

Vermeulen hatte die Augen geschlossen. Er fühlte überdeutlich, wie das schlagartig gestoppte Schiff rasend schnell nach unten fiel.

Planken begannen zu ächzen, im Schiff krachte und knackte es, und dann schlug eine donnernde See in die Backbordseite und ließ die „Godewind“ hart überkrängen. Oben, unten, an den Seiten, überall war Wasser, eisiges, kaltes Wasser, das schäumend und gurgelnd überall herumlief und sie fast erstickte.

Die „Godewind“ blieb so liegen, pausenlos überflutet von den eisigen Seen, immer weitergeschoben, geknüppelt und gepeinigt. Sie ächzte und stöhnte wie ein krankes Tier, und als sie sich später wieder etwas aufrichtete, geschah das langsam und schwerfällig.

Die Sturzsee hatte die Verschanzung zerschlagen, die Kombüse zu einem Teil eingedrückt und die Niedergänge zur Back zertrümmert.

Arie Vermeulen richtete sich mühsam auf. Er hatte das Gefühl, als wäre ihm jeder einzelne Knochen zerschlagen worden.

Mit schwacher Stimme rief er nach seinen Leuten.

Sie meldeten sich. Sie hatten Blutergüsse, Verstauchungen, Prellungen und blutende Wunden, und sie hatten soviel Salzwasser geschluckt wie nie zuvor in ihrem Leben.

Der Kaventsmann war vorüber, aber das Schiff sah aus wie ein Trümmerhaufen. Wie Strandgut trieb es in der wilden See.

Arie Vermeulen schickte ein kurzes Gebet in die Nacht. Es war ein Wunder, daß sie es noch einmal geschafft hatten. Aber sie lebten, und die „Godewind“ schwamm ebenfalls noch.

Nur ihre leichte Schlagseite behielt sie bei.

2.

Am siebzehnten Tag ihrer höllischen Sturmfahrt begann der eisige Wind ein wenig abzuflauen.

Die Wogen gingen immer noch haushoch, aber jetzt konnten sie wenigstens darangehen und einigermaßen aufklaren.

Die Fockmastrah wurde wieder angeschlagen und ein Sturmsegel gefahren.

Danach ging es in die beiden Laderäume.

Arie Vermeulen sah sich um und schüttelte den Kopf.

„Kaum etwas verdorben“, sagte er zu dem blonden Bootsmann de Jong. „Und das, obwohl das Wasser mehr als fußhoch in den Räumen steht.“

Fässer mit Gewürzen schwammen in der Brühe. Einige waren zerplatzt und hatten ihren Inhalt verstreut, aber die meisten waren heil geblieben und hatten den Sturm überstanden.

Mit einiger Mühe wurden die beiden Räume gelenzt und auf Lecks untersucht.

Vermeulen konnte es kaum fassen, als sie lediglich ein winziges Leck entdeckten. Wasser drang nur ganz schwach ein, sobald die Wellen hart dagegen schlugen.

Mit einem Stück Speck wurde das Leck abgedämmt. De Jong schlug ein Holzstück darüber und nagelte es mit Kupfernägeln in den Planken fest. Damit war das Leck abgedichtet.

Den Besan konnten sie nicht ersetzen, es gelang ihnen lediglich, einen Teil des zertrümmerten Schanzkleides provisorisch wieder zu erstellen. Auch das Kombüsendach wurde abgedichtet.

Dennoch war ihr Schiff schwer angeschlagen.

„Mehr können wir nicht tun“, sagte der Kapitän. „Es sei denn, wir finden irgendwo Land und können eine Bucht anlaufen. Ich bin froh, daß die Ladung nicht zerstört oder verdorben ist.“

„Wo sind wir, Cap? Was denkst du?“ fragte Conrad te Poel, einer der Rudergänger.

Vermeulen strich sich über den wuchernden Bart. Seit mehr als drei Wochen hatte er sich nicht mehr rasiert, und jetzt sah er ziemlich verwildert aus.

„Ich weiß nicht, verdammt, aber irgendwo ziemlich hoch im Norden stehen wir.“

„Aber nicht da, wo wir wollten, Cap!“

„Nein, wir sind nach Nordosten getrieben, und wir treiben immer noch in dieselbe Richtung.“

„Wenn wir kreuzen …“, sagte de Jong, aber Vermeulen unterbrach ihn mit einer kurzen Handbewegung.

„Mit einem lausigen Sturmsegel kreuzen wir bis in alle Ewigkeit, ohne uns von der Stelle zu rühren. Wir lassen uns in die Richtung treiben, in die der Wind uns jagt. Einmal werden wir wieder Land sichten.“

„Das kann dauern, Cap!“

„Einmal sichten wir trotzdem Land“, beharrte Vermeulen. „Und wenn es noch ein paar Wochen dauert.“

„Aber es wird immer kälter“, wandte de Jong ein. „Wie wir gehört haben, soll es ganz oben im Norden nicht einmal mehr Bäume und auch keine Lebewesen mehr geben.“

„Weißt du eine bessere Lösung?“

„Nein, Cap.“

„Also segeln wir mit dem Sturmsegel weiter, und zwar so lange, bis wir Land sichten.“

Bei den letzten Worten war Vermeulens Stimme hart und unnachgiebig geworden.

De Jong nickte hastig. Arie war der Cap, und wenn der sagte, sie segelten weiter, bis sie Land sichteten, dann, zum Teufel, würde Arie Vermeulen auch so lange segeln, bis er einen Landstrich sah. Und wenn es Jahre dauerte!

„Sag Visser, er soll versuchen, eine heiße Brühe zu kochen. Mein Magen hängt bis ins Kielschwein runter. Wir haben in den letzten Tagen nichts Warmes mehr gekriegt“, sagte Vermeulen zu de Jong.

Immer noch donnerten die Brecher über Deck, und die See schäumte wild. Vermeulen schätzte die Windkraft noch auf Sturmstärke, aber gegen den zwei Wochen andauernden tobenden Orkan war das hier schon fast ein Kinderspiel.

Er wunderte sich immer noch, daß sie alles fast heil überstanden hatten und die „Godewind“ nicht mit Mann und Maus untergegangen war. Immerhin – drei Männer mußten ihr Leben lassen, und das nagte und fraß innerlich an ihm. Nichts, rein gar nichts hatte er tun können, um sie zu retten!

Etwas später hatte Visser, der jetzt die Stelle des ertrunkenen Kochs einnahm, es tatsächlich geschafft, in der ramponierten Kombüse ein Feuer zu entzünden.

Die Fleischbrühe mit Einlage, die dann fertig war, erschien ihnen wie ein Geschenk des Himmels. Sie wärmte die Hände, den Magen, und sie sättigte.

„Danach fühlt man sich wie neugeboren“, sagte Visser, ein hagerer, drahtiger Mann mit einem Fuchsgesicht. „Allerdings werden wir künftig nur noch eine warme Mahlzeit am Tag haben.“

„Wir haben länger als zehn Tage nichts Warmes gehabt“, erwiderte Vermeulen verächtlich. „Aber wieso sagst du das?“

„Weil wir nicht mehr viel Holz haben“, erwiderte Visser lakonisch.

„Wir haben genügend Holzkohle an Bord“, protestierte Vermeulen.

„Wir hatten, Cap! Jetzt nicht mehr. Dort, wo wir sie aufbewahrten, hat das Wasser alles kurz und klein geschlagen und die Holzkohle über Bord gewaschen.“

Er zeigte mit der ausgestreckten Hand zur Kombüse, neben der früher ein hölzerner Kasten an Deck befestigt gewesen war. Jetzt ragten nur noch die zerfetzten Kanten einiger Bretter hervor. Alles andere hatte die See verschlungen.

Vermeulen stieß einen lauten Fluch aus.

„Wieviel haben wir noch?“

„Das, was in der Kombüse lag. Zwei oder drei kleine Säcke, mehr ist es nicht.“

 

„Dann gib nur acht, daß die nicht auch noch über Bord gehen, sonst können wir uns aufhängen.“

Zwei Stunden später flaute der Sturm etwas ab. Immer noch ging die See hoch, und die Dünung hatte Schaumkronen, aber die Wellen leckten nicht mehr über das Deck. Sie donnerten nur noch gegen die Bordwände.

Der Himmel war von einem trüben, naßkalten Grau, seltsam konturlos und deprimierend. Dunst hing in der Luft, kalter, dünner Nebel, der sich träge vom Horizont heranschob und alles in ein düsteres, trostloses Grau hüllte.

Irgendwie wirkte es unheimlich, fand Vermeulen nach einem langen Blick zum Horizont, so als würde sich das Wetter noch einmal verschlechtern. Außerdem war es kalt, und trotz des langsam aufkommenden Nebels herrschte ein eisiger Wind.

Eine Welt, wie sie trostloser nicht sein konnte, eine Welt mit einem schmutzigen Himmel, diesiger Luft und trübem Wasser, eine Ecke, die sich endlos weit ausdehnte und von Ewigkeit bis Ewigkeit reichte. Er schüttelte sich und ging in die Kombüse, um sich an dem schwachen Holzkohlenfeuer ein wenig die durchgefrorenen Finger zu wärmen. Außerdem wollte er die Kleidung wechseln, denn die nassen Klamotten, die er auf dem Leib trug, begannen bretthart zu werden, als die eisige Kälte sich darin festsetzte.

Er hatte die Hände noch nicht richtig aufgewärmt, als ihn ein lauter Ruf an Deck trieb.

„Land Steuerbord querab!“

„Na siehst du!“ sagte Vermeulen und grinste schwach. Mit einem Satz war er an Deck und stieg in die Luvwanten auf.

Daß er sich eben noch aufwärmen wollte, war vergessen. Land, mein Gott, dachte er, wie lange hatten sie darauf gewartet. Land bot Schutz vor der grimmigen Kälte, vor der rauhen See, und hier konnten sie endlich darangehen, auch die restlichen Schäden an ihrem Schiff auszubessern.

Auf halber Masthöhe sah er den Landstrich. Klein und hingeduckt lag eine graue Linie am Horizont. Er war sich nicht ganz sicher, ob es nicht doch der Nebel war, der sich dort zusammengeballt hatte und das Land nur vortäuschte.

Er stieg noch höher hinauf, bis er den Ausguck erreichte, wo der Jungmann stand und mit spitzen Lippen in seine klammen Hände blies.

„Wirklich Land?“ fragte er.

„Sicher, Cap! Ganz deutlich. Entweder sehe ich dahinten eine Bucht, oder das Land teilt sich. Könnten Inseln sein.“

Vermeulen ließ sich das Spektiv geben und zog es auseinander. Sehr lange blickte er hindurch.

„Du hast recht, Jungmann“, sagte er schließlich. „Das sind Inseln, mindestens drei Eilande, wie es den Anschein hat.“

„Laufen wir doch an, Cap, oder?“ fragte der Jungmann schnell.

„Darauf kannst du deinen Bart verwetten, deinen ausgefransten! Klar, die Inseln laufen wir an. Aber das wird sich erst entscheiden, wenn wir dichter dran sind.“

Der Jungmann blickte ebenfalls durch das Spektiv, klemmte es dann unter den Arm und blies wieder in seine kalten Hände.

„Trostlose Inseln scheinen das zu sein, Cap. Ich wette, daß auf denen nicht mal ein Grashalm sprießt.“

„Gras brauchen wir auch nicht unbedingt“, sagte Vermeulen ungerührt. „Hauptsache, wir finden eine geschützte Bucht. Ich mache mir Sorgen um das Schiff, wir müssen es gründlich überholen.“

Später waren deutlich drei Striche am Horizont zu erkennen. Der mittlere Strich war am weitesten entfernt, aber er wies ziemlich große Erhebungen auf. Ein grauer Berg schälte sich aus dem Dunst, und dieser Berg schien direkt in den Himmel zu wachsen.

„Welche Insel laufen wir an, Cap?“ fragte der Rudergänger.

Vermeulen hob unbehaglich die Schultern. Er gab keine Antwort und blickte wieder durch das Spektiv.

Er konnte sich nicht so richtig entscheiden, denn bisher sah er immer noch nicht viel von den Inseln. Er wußte nur, daß die mittlere einen ziemlich großen Berg hatte.

Als der Rudergänger ihn fragend ansah, sagte er: „Die mittlere laufen wir an!“

Diese fünf dahingesprochenen Wörter besiegelten das Schicksal der „Godewind“ und ihrer Besatzung.

Aber das ahnte niemand, denn sie alle hielten diese tristen, grauen Inseln für unbewohnt.

Immer weiter näherten sie sich der Insel, bis die Einzelheiten klar und deutlich zu erkennen waren.

Fast alle standen jetzt an Deck und blickten zu dem Land hinüber.

Der Wind drückte den Segler in eine trostlose, kahle Bucht mit einem grauen, steinigen Strand.

Dunstiger Nebel stand über dem Boden. Eine langrollende Dünung lief auf den Strand, verlor sich zwischen den Steinen und schäumte kurz auf.

In dieser Bucht gab es tatsächlich keinen Baum und keinen Strauch. Nur ein paar handgroße, graugrüne Büsche standen vor den Felsen. Hinter dem Strand bildeten kahle Hügel eine Kette, die weit ins Land führte. Noch weiter entfernt befand sich der drohend aussehende Kegel eines vor Jahrtausenden erloschenen Vulkans. Annähernd dreitausend Yards stieg er in den Himmel, an seinem oberen Ende durch eine dunstige Nebelkrone und Schnee begrenzt.

Vermeulen spuckte enttäuscht über das Schanzkleid und zog ein mißmutiges Gesicht.

Er war sich nicht sicher, was er hier erhofft hatte, aber diese trostlose, graue, kalte und unfreundliche Einöde gefiel ihm überhaupt nicht. Hier wuchs wirklich kein Grashalm. Diese Insel hatte Mutter Natur einstmals erschaffen und sich dann nie wieder um sie gekümmert, dachte er beklommen.

Es wirkte alles so unwirklich, so unnahbar und abweisend, als hätte ein Maler eine besonders unfreundliche Landschaft auf die Leinwand gebracht.

Aber die Bucht bot Schutz vor dem Unwetter, und wenn sie weiter an den Strand liefen, lagen sie eigentlich ganz günstig da.

„Wenigstens haben wir kein Eis“, sagte Vermeulen zu seinem Bootsmann. „Und wenn die Insel bewohnt ist, dann möchte ich die Burschen sehen, die hier leben. Hier gibt es nicht einmal Ratten.“

Der Bootsmann erwiderte nichts. Stumm stand er da und suchte ebenfalls nach einem günstigen Platz zum Ankern, von wo aus sie später das Schiff an Land ziehen konnten.

„Da vorn sind Klippen, Cap, da, wo sich das Wasser kräuselt“, sagte er und zeigte mit der Hand auf eine Stelle, wo es leicht zu brodeln begann, als würde dort das Wasser kochen.

Vermeulen nickte. Ja, Klippen gab es hier genügend, aber man sah sie erst, wenn man ganz dicht heran war. Die langgezogene Dünung verbarg sie vor ihren Blicken.

Er ließ das Segel wegnehmen und noch einmal leicht den Kurs ändern. Dann hatte er die richtige Stelle gefunden. Es war der tiefste Einschnitt in der Bucht, links von einer natürlichen Steinwand begrenzt, die weit ins Meer ragte, und rechts durch steinigen Strand und die felsigen Hügel, die weit ins Land reichten.

Die Tiefe betrug noch fast zwanzig Faden, aber sie nahm sehr rasch ab. Als sie nur noch dreieinhalb Faden betrug, ließ Vermeulen den Anker fallen.

Die Trosse lief aus, der Anker berührte den Grund, glitt über Steine, Felsen und Sand und hakte sich fest.

Langsam schwoite die „Godewind“ um ihre Achse. Die immer noch hohe Dünung lief in mehr als zwei Kabellängen Abstand an ihr vorbei.

Ein zwar unangenehmes, aber sicheres Plätzchen, dachte Vermeulen. Vor allem würde sie hier niemand stören. Sie konnten in Ruhe darangehen, ihr Schiff auszubessern, ihre Position festzustellen und dann den neuen Kurs wiederaufzunehmen, der sie über die sibirische Strecke bis in die Nordsee führen sollte.

Aber zunächst ruhten sie sich gründlich aus. Sie hatten es bitter nötig nach der harten Sturmfahrt.

Nur Vermeulen und de Jong blieben an Deck, die anderen legten sich in die Kojen und schliefen sofort ein.

De Jong stand breitbeinig an Deck und starrte immer wieder in die Richtung der Felsen und Hügel, dorthin, wo sie ganz besonders wild zerklüftet waren.

Schließlich ging er wortlos nach achtern und holte das Spektiv.

Lange blickte er hindurch, bis Vermeulen ungeduldig wurde.

„Was, verdammt, suchst du denn da immer?“ fragte er.

De Jong setzte das Spektiv ab, drehte den Kieker um und kratzte damit seinen Schädel.

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