Seewölfe - Piraten der Weltmeere 289

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 289
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-686-3

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Auf dem hellen Strand der Felseninsel Mordelles standen sich der Seewolf Philip Hasard Killigrew und der französische Pirat Yves Grammont mit gezückten Degen gegenüber.

Als Hasard den ersten Schlag abblockte, schien jedermann auf der Insel plötzlich den Atem anzuhalten. Die Seewölfe, die so überraschend in eine Falle gelaufen waren, ließen die Waffen sinken. Das Kampfgetümmel zwischen den beiden Gruppen erstarb, und viele Augen sahen zu den beiden ungleichen Männern hinüber.

Da stand der Seewolf, hochgewachsen, mit sonnenverbranntem Gesicht, aus dem eisblaue Augen blitzten. Ein Kerl wie ein Schrank, der den Degen locker und geschmeidig in der rechten Hand hielt. Der Wind, der von der Bucht über den Strand wehte, spielte mit seinen schwarzen Haaren.

Ihm gegenüber stand ein Mann wie aus dem Bilderbuch. Grammont, ein dunkelblonder athletischer Seeräuber. Der untere Teil seines Gesichtes wurde von einem Vollbart bedeckt. Er trug eine Augenbinde und darüber ein Kopftuch. Aus seinem bis zum Nabel offenen weißen Hemd quollen dichte Haarbüschel hervor.

Der erste Hieb, den Grammont geführt hatte, war sauber pariert worden. Jetzt starrten sich die beiden ungleichen Männer an, gegenseitig darauf lauernd, daß einer einen plötzlichen Ausfall unternahm.

Aus den Augenwinkeln sah der Seewolf, daß die beiden kämpfenden Gruppen immer noch wie erstarrt waren. Grammonts Leute waren in der Überzahl, während sie selbst nur acht Männer waren, die in den Hinterhalt der Felseninsel geraten waren.

Verdammt, dachte Hasard, die Sache sah übel für sie aus. Sie hatten zwei Schiffe in der Bucht liegen, die „Hornet“ und die „Fidelity“, aber weder Ben Brighton, der das Kommando zur Zeit über die „Hornet“ hatte, noch Jerry Reeves, der seit Easton Terrys Verrat die „Fidelity“ befehligte, konnten von Bord aus in den Kampf eingreifen.

Die Falle war zugeschnappt, und jetzt steckten sie mittendrin. Außerdem wimmelte es auf dem felsigen Eiland von immer mehr Piraten, die wie Schatten aus dem Nichts auftauchten.

Trotz dieser nagenden Sorge ließ sich Hasard keinen einzigen Augenblick ablenken, denn Grammont lauerte nur auf den kleinsten Fehler, um den Seewolf zur Strecke zu bringen.

Grammonts Degen flog in einer spielerisch anmutenden Bewegung hoch und wollte die Klinge des Seewolfs zur Seite fegen. Hasard parierte erneut und schlug zweimal hintereinander schnell und hart zu.

Diesmal parierte Grammont mit einem bösartigen Lächeln. Wieder blitzten die Klingen grell im Sonnenlicht auf. Ein leises Pfeifen war zu hören, dann das Klirren der Waffen.

Grammont griff nun ungestüm an. Seine Hiebe wurden immer wilder, immer schneller. Hart prallten die Klingen aufeinander. Der Sand spritzte unter den raschen Bewegungen nach allen Seiten. Als Hasard zurücksprang, bückte sich der Franzose blitzschnell. Seine linke Hand fuhr durch den warmen Sand und riß eine Fontäne hoch, die er dem Seewolf in die Augen schleudern wollte.

„Der Trick ist schon zu alt, Pirat!“ sagte Hasard verächtlich.

„Du bist so und so erledigt“, knurrte Grammont. „Und wenn du …“

Aber er konnte Hasard auch mit Worten nicht ablenken, denn noch während er sprach, stieß er vor, duckte sich und hieb von unten nach dem Seewolf Der Hieb ging nur ganz knapp vorbei, und für Sekunden leuchtete es fast triumphierend in Grammonts Augen auf.

Sofort darauf folgte tänzelnd und elegant der nächste Ausfall, den Hasard kühl und berechnend parierte.

Grammont war schnell, geschmeidig und ein furchtloser Kämpfer, der mit dem Degen umzugehen verstand. Er führte ihn fast so sicher wie Jean Ribault oder die Rote Korsarin, aber er konnte nicht kühl bleiben und seine Chancen abwägen. Mitunter wurde er wild und rasend, und dann schlug er mit aller Kraft.

Hasard dagegen blieb kalt wie Gletschereis. Seine Augen waren jetzt schmale Schlitze. Er sah die schnellen Bewegungen seines Feindes schon im Ansatz und durchschaute auch die Tücken des Franzosen, der immer wieder fintete und dann erbarmungslos zuhieb.

Ein paar Klingenschläge lang ließ er Grammont in dem Glauben, der Überlegene zu sein, bis sich der Franzose in einen regelrechten Rausch hineinsteigerte. Die Klinge stach so schnell durch die Luft, als würden tausend helle Sterne blinken.

Keiner der eben noch kämpfenden Männer sprach. Selbst die Piraten nutzten augenblicklich ihre Überlegenheit nicht, sondern sahen fasziniert ihrem Anführer zu, der den Seewolf mit schnellen Paraden über den Strand bis dicht ans Wasser trieb.

Dicht vor Grammonts Stiefeln flog mit einem sirrenden Geräusch ein langes Messer in den Sand und blieb stecken. Einer seiner Kumpane hatte es geworfen, um dem Anführer eine zusätzliche Waffe zu geben. Grammont hieb weiter um sich, grinste bösartig, bis er in der Reichweite des Messers war, und riß es dann mit einem Ruck aus dem Sand. Jetzt kämpfte er leicht geduckt, in der linken Hand das Messer zum Zustoßen haltend, in der rechten den Degen, der dicht vor Hasard seine blitzenden Hiebe beschrieb.

Als der Seewolf dicht am Wasser war, begannen ein paar Kerle laut zu johlen. Grammont sprang vor, hieb zu, wich zurück, schlug von oben, zog den Degen wieder von unten hoch und versuchte verbissen, Hasard weiter zurückzutreiben.

Ein schneller Ausfall des Piraten folgte. Er wirbelte herum und schlug mit dem Messer zu. Dabei wehrte er gleichzeitig den Degen ab, trieb das Messer noch weiter vor und traf mit dem Degen. In seiner niederträchtigen Freude merkte er nicht, daß der Degen dem Seewolf unter der Achsel durch das Hemd gedrungen war und keinerlei Schaden angerichtet hatte. Ein Freudenschrei brach über seine Lippen. Während er den Degen aus der vermeintlichen Wunde zog, stach er von links erneut mit dem Messer zu.

Hasards Klinge pfiff scharf durch die Luft. Sie traf das Messer, das dem Piraten mit unglaublicher Wucht aus der Hand gerissen wurde. Die Klinge wirbelte hoch, pfiff an Grammonts Schädel vorbei und zerfetzte das weiße Hemd an der Brust.

„Du verdammter Hund!“ keuchte Grammont.

Zwischen den Haaren auf seiner Brust quollen ein paar Blutstropfen hervor, die Grammont in unberechenbare Wut versetzten. Er schlug mit dem Degen wie mit einer Handspake zu, die Klingen prallten zusammen, Grammont wurde hart zurückgeschleudert, taumelte über den Sand und fand gerade noch Halt, ehe Hasard heran war.

Wieder ein pfeifender Hieb. Grammont sah nur noch eine auf und nieder zuckende, hin und her schwingende Degenspitze, die ihn immer weiter zurücktrieb. Zweimal hintereinander strauchelte er, und zweimal traf ihn Hasards Degen und fetzte einen kleinen Streifen aus dem Hemd.

Das bösartige Grinsen verschwand aus dem Gesicht des Piraten. Jetzt lagen Haß und Wut darin, und seine Augen schossen Blitze. Vor und zurück springend versuchte er einen Hieb anzubringen. Dann nahm er den Degen in beide Hände und hieb wie mit einem Dreschflegel um sich, alles zerstörend, was sich vor ihm befand. Doch der Seewolf wankte nicht. Er parierte blitzschnell jeden Hieb, blockte ab, wich zur Seite aus und schlug zurück.

Grammont keuchte. Seine Wut, den Seewolf nicht zu treffen, wurde immer größer. Immer wieder schlug er ins Leere, weil sein Gegner blitzschnell die Position wechselte. Gleich darauf bezog Grammont eine Lehre, die er nie vergaß. Er sah, wie der Seewolf mit dem linken Stiefelabsatz auf die Klinge des Messers trat, das im Sand lag, wie sein Bein leicht zur Seite rutschte und wie er festeren Halt suchte. Grammonts Degen zuckte vor, das war die Chance, die sich ihm bot, die einmalige Chance, seinen Gegner endgültig zu erledigen. Die Klinge zielte nach Hasards Gesicht und wurde dann vorgestoßen.

Doch der Seewolf war nicht mehr da. Aus dem Stand heraus schlug er eine genau berechnete Rolle nach vorn. Er überschlug sich, und während er noch auf den Knien im Sand saß, drückte sein hochgehaltener Degen schon an den Kehlkopf des Piraten.

Grammont erstarrte. Die Degenspitze berührte genau die Grube unter seinem Kehlkopf. Die kleinste Bewegung konnte ihn jetzt das Leben kosten, und so blieb er reglos stehen. Die Klinge zitterte nicht, eine sehr ruhige Hand hielt sie unerschütterlich fest.

Für jeden Ausfall war es zu spät. Grammont konnte auch seinen Degen nicht mehr einsetzen, denn dazu hätte er sich weiter vorbeugen müssen. Dabei aber wäre er aufgespießt worden.

Zwei Lidschläge lang herrschte eine unheimliche Ruhe am Strand, als hielte die Welt den Atem an.

Dann brach übergangslos die Hölle auf, und aus rauhen Piratenkehlen ertönte wildes Gebrüll. Jetzt zeigten sie, was sie von Fairneß hielten, nämlich gar nichts.

 

Eine Pistole wurde auf Hasard abgefeuert. Er sah das Aufblitzen und duckte sich instinktiv. Gleichzeitig hörte er auch das ekelhafte Sirren, mit dem das Bleistück dicht an seinem Schädel vorbeipfiff. Neben ihm stieg eine kleine Fontäne aus Sand auf.

Zwei weitere Schüsse krachten, Kerle mit zerschlagenen Visagen tauchten vor Hasard auf. Fünf oder sechs Männer fielen gleichzeitig über ihn her, entrissen ihm den Degen und prügelten von allen Seiten auf ihn ein. Sand flog ihm in die Augen, er taumelte, schlug zurück, und ein Kerl in seiner Nähe spie schreiend zwei Zähne aus.

Am Strand, hinter den Felsen und Schroffen entflammte der Kampf augenblicklich weiter. Immer noch stürmten Piraten aus sicherer Dekkung hervor, und erst jetzt ließ sich ermessen, wie raffiniert die Falle aufgebaut war, in die man sie hineingelockt hatte.

Ferris Tucker, der sich wieder seiner überschweren Axt als Waffe bediente und damit gerade einen zerlumpten Kerl niedergestreckt hatte, sah sich hastig um.

Das ist die Hölle, in die wir hier geraten sind, dachte er. Er erkannte den Verräter Easton Terry, neben ihm die blonde Hafenhure Lucille und die anderen Abtrünnigen der „Fidelity“, die sie in diese üble Lage gebracht hatten.

Überall krachte es jetzt. Männer stürzten sich wutentbrannt mit dem Degen auf die Seewölfe, Piraten brüllten auf und hieben mit Enterbeilen und Messern um sich. Dazwischen wurden immer wieder Pistolen abgefeuert.

„Paß auf, Ferris!“ brüllte eine Stimme. Es war Dan O’Flynn, der diesen Warnruf ausgestoßen hatte.

Der rothaarige Schiffszimmermann wirbelte auf dem Absatz herum. Gerade noch rechtzeitig, denn ein Mann rannte mit dem Messer auf ihn zu. Sein Gesicht war von Haß verzerrt, sein Mund nur ein verkniffener dünner Strich. Auf seiner linken Gesichtshälfte zeichneten sich noch deutlich die Striemen ab, die die Peitsche dort hinterlassen hatte. Halibut war einer der übelsten Kerle an Bord der „Fidelity“, ein hinterhältiger und skrupelloser Mann, plattnasig und grausam. Ferris Tucker war oft mit ihm aneinandergeraten, und so hatten beide Männer noch eine Rechnung miteinander offen.

Dicht vor dem Schiffszimmermann stieß Halibut einen gellenden Schrei aus und setzte zum Sprung an.

„Du Bastard!“ kreischte er voller Wut. „Diesmal bist du an der Reihe!“

Halibut sprang, das Messer erhoben, und noch während er sprang, schleuderte er das Messer kraftvoll nach Ferris Tucker. Ferris sah es aufblitzen, ließ sich fallen, hörte etwas dicht an seinem Ohr vorbeisirren und sah, daß Halibut noch im Sprung nach seinem zweiten Messer im Gürtel griff.

Der Plattnasige war schlimmer als der Teufel. Er schrie und brüllte seinen Haß hinaus und stach blitzschnell zu. Mit dem letzten Schwung warf er sich auf Ferris. Seine Axt konnte der Zimmermann nicht mehr einsetzen, dazu war die Distanz zu groß.

Als die Klinge vor seinem Gesicht aufblitzte, gelang es ihm gerade noch, das behaarte Handgelenk zu packen und festzuhalten. Halibut versuchte, ihm das Knie in den Leib zu rennen, aber das hatte Ferris miteinkalkuliert, und so stieß er ihm den Ellenbogen in die haßverzerrte Fratze. Dann entwand er ihm das Messer, drückte das Handgelenk noch weiter von sich weg und zwang den brüllenden Halibut in den Sand.

Gerade als er zuschlagen wollte, sah er zweierlei: Gustave le Testu, der Hugenotte aus Marseille mit dem dünnen Bärtchen auf der Oberlippe, sank, von einer Kugel getroffen, zusammen und fiel mit dem Gesicht voran in den warmen Sand.

Das zweite, was Ferris sah, war ein kurzer gedrungener Schatten, der einen langen Gegenstand in der Hand hielt. Dieser Gegenstand, Ferris konnte ihn nicht mehr identifizieren, wurde ihm mit entsetzlicher Kraft über den Schädel geschlagen. Die Welt zerbarst für den Schiffszimmermann in einem Regen aus Funken und davonfliegenden Trümmern. Danach wurde es übergangslos finster.

Inzwischen waren auch einige Piraten zu Boden gegangen. Roger Brighton, Bens Bruder, nahm Hasards zweiten Radschloßdrehling auf und feuerte auf einen bärtigen Kerl mit blutrotem Kopftuch, der brüllend seinen Säbel schwang und auf Blacky zurennen wollte. Kurz bevor er ihn erreichte, krachte es zweimal hintereinander. Der Pirat warf die Arme hoch, stieß einen Schrei aus und fiel nach einer weiteren Drehung kraftlos in den Sand.

Damit war aber auch gleichzeitig Rogers Schicksal besiegelt, denn nun drangen gleich vier, fünf Kerle auf ihn ein und schlugen ihn zusammen.

Dicht neben dem getöteten Piraten ging er zu Boden.

Jetzt kämpften noch der Profos Edwin Carberry, Dan O’Flynn, Big Old Shane, der wie ein Berserker dazwischenschlug, Hasard und Blacky.

Doch so verbissen und hart sie sich auch zur Wehr setzen, ihre Zeit war abgelaufen. Zwischen den Felsen tauchten immer mehr Piraten auf, erst waren es ein gutes Dutzend, die da kämpften, jetzt hatte sich ihre Zahl schon mehr als verdoppelt, und immer noch stürmten Kerle hinter den Felsen hervor, wo sie gelauert hatten.

Der nächste, der aus dem Kampfgetümmel ausschied, war der riesige graubärtige Exschmied von Arwenack, Big Old Shane. Etwas später ging auch Carberry zu Boden, und Dan O’Flynn wurde von einer brüllenden Horde wilder Gestalten einfach überrannt.

Das Blättchen wendete sich überraschend schnell zuungunsten der Seewölfe.

Am Strand lagen Tote und Verletzte herum. In der Bucht befanden sich die beiden Schiffe, von denen aus keiner eingreifen konnte, ohne die eigenen Leute zu gefährden. Aber sie fierten Boote ab und bemannten sie, wie Hasard sehen konnte. In den Booten befanden sich Leute der „Fidelity“, in den anderen Seewölfe, die gar nicht schnell genug ablegen konnten. Auch Blacky sah so vertraute Gestalten wie Jeff Bowie, Matt Davies, den Schweden Stenmark, Smoky, Pete Ballie und den alten Segelmacher Will Thorne.

Wie es jetzt aussah, würden sie zu spät eingreifen und sich nur noch blutige Köpfe holen.

Da wischte auch Blacky ein gewaltiger Hieb von den Beinen, und zwei weitere Kerle sprangen ihm ins Kreuz. Blacky ging mit wirbelnden Fäusten unter. Nur den Seewolf hatten sie noch nicht. Hasard kämpfte immer noch, doch es war ein Kampt gegen eine Hydra, der immer wieder neue Köpfe nachwuchsen. So viele ließen sich einfach nicht mehr abschlagen. Er hoffte jetzt nur noch auf den Nachschub von den Galeonen. Doch er hatte die Rechnung ohne Grammonts Kerle gemacht.

2.

Auf der sonnenüberfluteten Insel Mordelles, zwanzig Meilen von der Küste von Concarneau entfernt, hockten sie in den Felsen. Von dort aus konnten sie die versteckten Buchten einsehen, ohne selbst bemerkt oder entdeckt zu werden.

Sie konnten aber auch die Kämpfenden sehen, die ohne Rücksicht auf Verluste aufeinander einhieben. Die Insel war ein Gewirr aus Felsen, versteckten Buchten und Hinterhalten. Segelte man auf sie zu, dann sah man das nicht, denn die felsigen Buchten reichten bis tief ins Innere. Hinter hochwuchtenden Felsen waren weitere Schiffe versteckt, die auch Hasard und Reeves nicht entdeckt hatten.

Die Ausgucks in den Felsen gaben Zeichen und grinsten sich eins, denn jetzt konnten sie den Engländern den Weg verlegen, ohne dabei das geringste Risiko einzugehen.

Ein Posten verständigte den anderen, und so erfolgten die verabredeten Zeichen an Pierre Servan, Saint Jacques und Jean Bauduc.

Gleich darauf setzte die „Louise“ Segel und rauschte aus der versteckten Bucht heraus. In ihrem Kielwasser folgte die „Coquille“. Dann segelten zwei Galeonen und eine zweimastige Karavelle los, und den Abschluß bildete eine große Schaluppe, bestückt mit vier leichten Minions.

Das war jedoch nur ein Teil von Grammonts Flotte. Weitere vier Schiffe waren vor ein paar Tagen ausgelaufen, um vor St. Nazaire englische Segler aufzubringen. Grammont erwartete diese restlichen vier Schiffe bald zurück.

Der Verband segelte langsam weiter und begann fast die halbe Insel zu runden, ehe die Bucht sichtbar wurde, in der die „Hornet“ und die „Fidelity“ lagen und Boote abfierten.

Saint-Jacques, Kapitän der „Coquille“, die als erstes Schiff auf die Bucht zusegelte, stand selbst am Ruder und grinste. Mit der rechten Hand fuhr er zufrieden über seinen drei Tage alten Bart.

„Das ist das Aus für die Bastarde“, sagte er zu einem kleinen krummbeinigen Kerl, der neben ihm stand und erwartungsvoll in die Bucht blickte. Die Mastspitzen der beiden Schiffe waren schon zu sehen, und das Gebrüll am Strand hörte man ebenfalls.

„Ja“, sagte der Krummbeinige händereibend. „Diesmal erwischt es die Engländer, endgültig und für alle Zeiten. Aus dieser Falle kommen sie nie mehr heraus.“

„Und der Seewolf bringt allen einen Batzen Geld ein, wenn do Velho ihn erst einmal in den Fingern hat.“

„Der ist uns so gut wie sicher. So dick wie heute saß er noch nie im Dreck.“

Auch auf den anderen Schiffen wurde gegrinst. Sie würden es diesen verdammten Engländern schon zeigen. Und zwei Schiffe kriegten sie auch noch dazu. Die Galeone und die zweimastige Karavelle, die in dem Verband fuhren, waren ebenfalls Prisen, die man Engländern abgenommen hatte.

Einer nach dem anderen segelte auf, bis alle sechs Schiffe endlich vor der Bucht auftauchten und sie abriegelten. Während zwei der Galeonen vor Anker gingen, begannen die anderen zu kreuzen. Damit war die Bucht dicht, und keine Maus konnte mehr hinaus. Grammont hatte einen Schachzug getan, der ihnen alle Engländer und beide Schiffe auslieferte. Es sah so aus, als hätte er diesmal auf der ganzen Linie gesiegt.

Hasard, der immer noch kämpfte und sich so darauf konzentrierte, daß er kaum noch sah, was um ihn herum vorging, merkte plötzlich, daß das Geschrei nachgelassen hatte. Vier oder fünf Gegner hatte er bereits mit dem Degen in den Sand gestreckt. Jetzt fiel ihm die Stille auf, und ein letztes Mal klirrte sein Degen an einen anderen.

Dann warf ihm sein Gegner, ein kleiner wendiger und ungemein schneller Kerl, den Degen grinsend vor die Füße. Die Klinge fuhr tief in den Sand und blieb zitternd darin stecken.

Hasard hatte keinen Gegner mehr.

Er wollte zu einem letzten Stoß ausholen, doch da sah er das höhnische Grinsen des Piratenführers Yves Grammont, der ein paar Yards neben ihm stand, und begriff die ganze schreckliche Wahrheit.

Er blickte sich um und schluckte hart. Überall sah er verzerrte höhnische oder überlegene Gesichter, die ihn musterten. Augen, in denen Triumph blitzte.

Ja, er hatte eine Niederlage erlitten, das gestand er sich zähneknirschend ein. Daran gab es nichts zu rütteln. Da nutzten auch die Boote nichts mehr, die immer langsamer auf den Strand zupullten, als ahnten die Männer, daß jetzt ohnehin alles zu spät war.

„Sieh mal da hin“, sagte Grammont gehässig und überlegen. „Du bist erledigt, Seewolf. Kein lausiger Köter nimmt mehr ein Stück Brot von dir. Es ist aus. Streich die Flagge!“

Ein bitterer Zug erschien in Hasards Gesicht. Seine Männer hatten gekämpft wie in alten Zeiten, aber jetzt lagen sie im Sand und rührten sich nicht mehr, und er wußte nicht, ob sie noch alle lebten oder einige von ihnen den Kampf mit dem Leben bezahlt hatten.

„Wirf den Degen weg!“ forderte Grammont laut. „Wirf ihn in den Sand, oder deine Kerle müssen dran glauben. Oder kapierst du immer noch nicht, was du hier siehst?“

„Wenn auch nur einer tot ist“, sagte Hasard leise, „dann wirst du den Tag deiner Geburt verfluchen, Grammont.“

Ein höhnisches Lachen war die Antwort. Buntgekleidete Piratengestalten drängten sich in Hasards Nähe und starrten ihn an. Grammont selbst stand breitbeinig im Sand, die Arme in die Hüften gestemmt, lachend, absolut überlegen.

„Wirf den Degen weg!“ brüllte Grammont noch einmal. Gleichzeitig gab er den weiter hinten stehenden Kerlen mit der Hand ein Zeichen. „Wenn nicht, lasse ich deine Kerle abstechen, einen nach dem anderen!“

Was Hasard sah, war absolut hoffnungslos.

Da lag Ferris Tucker, eine Degenspitze am Hals. Er lebte, denn er funkelte vor hilfloser Wut mit den Augen. Nicht weit von ihm hockte der Profos Edwin Carberry, ebenfalls eine Degenspitze am Hals. Zwei weitere Kerle mit Pistolen umstanden ihn.

Blacky und Big Old Shane wurden bewacht. Le Testu lag blutend und reglos im Sand, ebenfalls umringt von etlichen Kerlen. Zwischen ihnen stand die blonde Lucille, amüsiert, frech und arrogant, als hätte sie allein den Sieg davongetragen.

 

Das war aber noch nicht alles. Aus den Augenwinkeln, Hasard hielt immer noch unschlüssig den Degen in der Hand, sah er, was da alles vor der Bucht aufgekreuzt war.

Zu allem Überfluß erschien Easton Terry. Sein Gesicht war vor Haß verzerrt. Er hielt in der rechten Hand einen zum Schlag erhobenen schweren Säbel, und diese breite Klinge zielte genau auf Roger Brighton, der entwaffnet ebenfalls im Sand lag. Terry brauchte nur den Arm zu senken, dann war Roger ein toter Mann.

Hasard stieß tief die Luft aus. Mit einer wütenden und gleichzeitig resignierenden Bewegung wollte er den Degen in den Sand werfen, denn er wußte, daß er das Spiel endgültig verloren hatte. Aber noch zögerte er und sah Grammont an.

„Wer garantiert mir, daß meine Leute nicht umgebracht werden, wenn ich mich ergebe?“ fragte er heiser.

Wieder lachte Grammont laut und stoßartig.

„Du willst noch Garantien?“ fragte er höhnisch. „Ich gebe dir mein Wort, das ist die einzige Garantie.“

„Das Wort eines Halsabschneiders ist nicht viel wert.“

„Du hast weder Bedingungen zu stellen noch Garantien zu verlangen“, knurrte Grammont. „Und für jede weitere Beleidigung wird ab sofort einer der Kerle sterben. Gleich hier im Sand.“

„Und dieser wird der erste sein!“ brüllte Terry wutentbrannt. „Ein geschlagener Mann hat nichts mehr zu fordern, er hat nur noch zu gehorchen. Und du wirst dir, verdammt noch mal, noch viel mehr Bedingungen anhören müssen, die wir stellen. Meine letzte Aufforderung, Killigrew: Gib auf, oder ich töte zuerst diesen Mann. Du hast gehört, was Grammont gesagt hat.“

In Hasards Kehle hing ein dicker Kloß, als er den Degen von sich stieß, als hätte er glühendes Eisen in der Hand. Seine eisblauen Augen waren auf den Verräter Terry gerichtet, einen Kerl, dem er von Anfang an nie so richtig über den Weg getraut hatte, und der sich jetzt endgültig auf die andere Seite geschlagen hatte.

In Hasard stieg die Galle hoch. Er fühlte sich hilflos und verloren, und er konnte nichts mehr daran ändern.

„So ist es gut“, hörte er Grammonts Stimme, die ihn jetzt wieder verhöhnte und verspottete. „Du verstehst es doch noch, zu gehorchen, Killigrew. Es wird bitter für dich sein. Aber höre jetzt auch noch meine anderen Bedingungen. Wir sind noch nicht fertig miteinander, Bastard.“

Er zeigte mit der Hand auf die Boote, die jetzt dicht vor dem Strand waren und nicht mehr weitergepullt wurden. In den Booten hatte man erkannt, daß jede Hilfe zu spät kam. Am Strand befanden sich mindestens vierzig Schnapphähne, Piraten, Halsabschneider und Galgenstricke der allerübelsten Sorte, Kerle, denen es Spaß bereitete, zu töten, und die sich nicht scheuen würden, die am Strand liegenden wehrlosen Männer einfach umzubringen.

Also wartete man ab, was weiter geschah und wie sich der jetzt waffenlose Seewolf verhielt.

Hasard sah an den Gesichtern, daß es seine Männer mächtig juckte, die letzte Strecke zurückzulegen und sich auf die Halunken zu stürzen, doch sie waren auch so vernünftig, diesen Gedanken nicht mehr weiter zu verfolgen, denn er hatte keine Aussicht auf Erfolg.

Er ahnte bereits, welche Forderung Grammont jetzt stellen würde, denn das lag auf der Hand.

„Und jetzt“, sagte Grammont auch prompt, „wirst du deinen Kerlen auf den Schiffen und in den Booten den Befehl geben, ebenfalls zu kapitulieren, und zwar bedingungslos. Keine einzige Bedingung wird hier gestellt. Ich lasse dir drei Minuten Bedenkzeit. Aber das nur, weil ich heute einen besonders großmütigen Tag habe. Falls eins der beiden Schiffe es wagt, den Verband vor der Bucht anzugreifen oder auch nur das Feuer eröffnet, dann – schhht …“

Eine herrische Handbewegung folgte, die deutlich zeigte, wie Grammont dann vorgehen würde.

Daß Grammont den sieben- oder achtfachen Mord nicht scheute, war dem Seewolf klar. Vor der Bucht lagen sechs Schiffe, zwei vor Anker, während die anderen kreuzten. Am Strand gab es so viele Kerle, daß er sich nicht die geringste Chance ausrechnen konnte. Wie viele noch unsichtbar in den Felsen steckten, ließ sich nicht einmal abschätzen oder vermuten. Es konnten noch mal einige Dutzend sein.

Drei Minuten Bedenkzeit. Seit langer Zeit stand der Seewolf wieder einmal vor einer Entscheidung, die ihm ins Herz schnitt. Aber eigentlich gab es gar keine Entscheidung mehr zu treffen. Die Würfel waren längst gefallen.

Das Leben seiner Männer ging vor, das war oberstes Gebot. Allerdings blieb die Frage offen, ob Grammont sein Wort hielt, denn auf das Wort eines Piraten gab Hasard nicht viel. Dennoch, er mußte es riskieren.

Ein letzter Blick zu den Leuten im Boot. Sie hockten da mit leeren Gesichtern, Jack Finnegan, sein Freund Paddy Rogers, der schmalbrüstige Kutscher, Smoky, der düster an den Strand blickte, und all die anderen.

Und diejenigen, die im Sand lagen, waren von wüsten Kerlen umringt, die nur auf ein Wort ihres Anführers warteten. Dabei war Easton Terry noch einer der schlimmsten, der den Säbel immer noch zum Schlag bereit in der Hand hielt.

Es war kälter geworden. Jetzt, als die Sonne hinter einer Wolkenbank verschwand, wehte auch wieder ein leichter kühler Wind. Der nahende Winter ließ sich nicht mehr leugnen.

Hasard nickte und drehte sich um. Die Männer im Boot hatten mitgekriegt, welche Bedingungen Grammont stellte, und auch sie wollten ihre Kameraden am Strand keiner unnötigen Gefahr aussetzen.

„Pullt wieder zurück!“ sagte der Seewolf müde, doch die schneidende Stimme Grammonts durchschnitt die Stille.

„Das könnte euch so passen! Ihr kehrt an den Strand zurück, aber sofort. Ihr wolltet doch unbedingt an Land. Befiehl deinen Halunken, daß sie hier anlegen und sich ergeben, Killigrew. Und vergiß nicht, daß meine Worte kein leeres Geschwätz sind.“

„Verdammt! Kann der Kerl sich nicht endlich entschließen!“ brüllte Easton Terry voller Wut. „Der will wohl erst einen Kopf im Sand rollen sehen.“

Er unterstrich seine Worte mit einer noch kraftvolleren ausholenden Bewegung und schlug den schweren Säbel direkt neben Roger Brightons Kopf in den Sand. Eine Wolke aus feinen Körnern stob hoch. Roger zuckte zusammen, als die Säbelklinge haarscharf an ihm vorbeipfiff.

Da gab Hasard auf, endgültig, resignierend und geschlagen. Sein Gesicht war kantig, der unterdrückte Ärger ließ ihn hart schlucken.

„Pullt an Land!“ befahl er. „Ihr habt gehört, was diese Halunken wollen.“

Murren war die Antwort. Die Blikke der Seewölfe richteten sich auf Grammont und Terry, und wenn diese Blicke hätten töten können, dann lägen beide Männer jetzt tot im Sand.

„Ihr verdammten Rübenschweine!“ brüllte Carberry. Er wollte sich aufrichten, doch die Degenspitze zwang ihn hilflos wieder zurück. „Ihr werdet mich noch von meiner ganz üblen Seite kennenlernen“, versprach er düster, „so wahr ich Edwin Carberry heiße.“

„Wenn der Narbenkerl noch einmal das Maul aufreißt“, sagte Yves Grammont, „dann gib ihm eins drauf, aber anständig.“

Mit ein paar Handbewegungen dirigierte Grammont seine Piratenhorde an den Strand, damit sie die Boote empfangen konnten. Hasard stand mittlerweile scharf bewacht und eingekeilt da und konnte sich kaum bewegen. Pistolen und Tromblons waren auf ihn gerichtet, und jeder der Kerle schien nur auf eine Geste des Seewolfs zu warten.

„Dort rüber an die Wand!“ sagte Grammont scharf, als Smoky als erster das Boot verließ. „Ich warne euch noch einmal: Jeder, der auch nur versucht, sich zur Wehr zu setzen, ist ein toter Mann. Ihr stellt euch so hin, daß der Abstand zwischen euch mindestens zwei Armlängen beträgt.“

Smoky ging mit verbissenem Gesicht an ihm vorbei und nahm an der Felswand Aufstellung.

„Du hast nur im Moment gewonnen“, verkündete er. „Noch hast du uns nicht besiegt.“

„Zahnlose Köter“, erwiderte Grammont höhnisch, „können nur noch laut kläffen, aber nicht mehr beißen.“

Mit einem Ruck zog er Smoky die Pistole aus dem Hosenbund und gab sie an einen anderen Kerl weiter, der sie grinsend in Empfang nahm. Auch das Entermesser nahmen sie ihm ab.

Jack Finnegan war der nächste, der entwaffnet wurde. Dann folgte Paddy Rogers, dann der Kutscher, der eine kleine Kiste mit sich schleppte.

Jeder mußte an die Wand, die Beine spreizen und sich dann anlehnen. Und jeder einzelne wurde von etlichen Kerlen bewacht.

Als Hasard einmal hochblickte, sah er weiter oben zwischen den Felsen ebenfalls Kerle lauern, die ihre Musketen nach unten gerichtet hatten.

Nein, entschied er, hier war wirklich jeder Widerstand zwecklos. Noch waren sie nicht erledigt, denn noch lebten sie. Und sie hatten sich schon aus ganz anderen verteufelten Situationen herausgewunden. Vielleicht hatten sie auch diesmal Glück, und es bot sich ihnen irgendwann einmal eine kleine Chance.

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