Seewölfe - Piraten der Weltmeere 317

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 317
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-714-3

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

In der Nacht zum 22. März zeigte die Ostsee noch einmal ihre Krallen. Das Baltische Meer erhob sich fast übergangslos mit heftigen Grundseen und scharf peitschendem Wind.

Am Ruder stand der dunkelblonde Bill, als Rasmus sich erhob und das Deck wusch.

Zwei hammerartige Böen knallten in die Segel und ließen die „Isabella“ nach Steuerbord überkrängen. Die See rollte kurz und ruppig. Sie wirbelte den Grund auf und pochte hart und fordernd an den Rumpf. Es hörte sich an, als würden riesige Hämmer von unten her gegen einen dumpf klingenden Gong geschmettert.

Ben Brighton sprang zum Ruder und hielt es fest, weil es zu schlagen begann.

„Das geht hier immer verdammt schnell“, sagte er zu Bill. „Man denkt an nichts Böses, und schon pfeift eine Bö heran, die See erhebt sich und beginnt zu brüllen, als hätte man ein Untier aus dem Schlaf geweckt.“

„Scheint vorbei zu sein“, meinte Bill erleichtert, „jetzt bläst es wieder beständig aus Nord.“

„Verlaß dich lieber nicht darauf!“

Auf der Leeseite schäumte es wild auf. Zischend donnerte Rasmus an Deck, leckte mit seiner schaumigen Riesenzunge bis an den achteren Niedergang und verholte ins Meer zurück.

Auf dem Achterdeck befand sich außer den beiden Männern nur noch Big Old Shane. Im Großmars hielt Jan Ranse Ausguck, während die beiden Hakenmänner Matt Davies und Jeff Bowie Wache gingen.

Die anderen schliefen. Sie hatten in letzter Zeit ziemlich viel leisten müssen, und der harte Kampf gegen die Russen war kein Spaziergang gewesen. Jetzt aber war das Flaggschiff von Semion Marinesko versenkt, die Russen waren geschlagen.

Kurs Wiborg lag an, das man morgen vormittag erreichen würde, falls sich die See nicht weiterhin so ruppig benahm.

Rasmus stieg wieder hoch, übergangslos und wild jagte er mit ein paar hundert Tonnen Salzwasser heran und goß es über die Decks. Dazu donnerte er wieder seinen Riesenhammer unter den Bug, so daß die „Isabella“ hart nach oben stieg.

Klatschte der Bug wieder in die See zurück, dann begann es erneut gewaltig zu gischten, zu zischen und zu rauschen.

Diese kurzen üblen Grundseen schüttelten die Lady jedesmal hart durch, denn an ihnen konnte sie nicht gemächlich emporklimmen wie auf der Dünung des Atlantiks, die lang rollte. Hier erhielt sie einen gewaltigen Hieb vor den Bug, und wenn sie sich schüttelte und zur Seite neigte, erfolgte der nächste harte Schlag.

Der „Ententümpel“ und „Heringsteich“ hatte eben so seine kleinen Tücken.

Die Schläfer im Mannschaftslogis störte das jedoch nicht. Die schnarchten und sägten, daß die Schotten zitterten und einem himmelangst werden konnte. Auf ihrem Kontrollgang sah auch jedesmal Matt Davies oder Jeff Bowie kurz hinein, ob alles in Ordnung war.

„Das sind vielleicht ein paar Schnarchsäcke“, sagte Matt oben an Deck. „Da unten ist es lauter als an Deck. Kapier ich gar nicht, daß man so schnarchen kann. Das hört sich an, als würden auf einer Werft pausenlos Holzbalken gesägt.“

„Du müßtest dich erst mal hören“, sagte Jeff anzüglich. „Du wachst doch jedesmal bei deinem eigenen Geschnarche auf.“

„Ich schnarche nie“, behauptete der grauhaarige Matt. Und dann stritten sie sich eine ganze Weile darüber, bis jeder versicherte, er liege so ruhig wie ein Toter in der Koje.

Als Jeff später noch einmal nachsah, war der Kutscher schon wach und las beim Schein einer Ölfunzel in einem zerfledderten und nur noch lose zusammengehaltenen Buch. Hin und wieder zog er den Schädel ein, wenn die Lampe bedrohlich dicht an ihm vorbeischwang, aber das Geschriebene faszinierte ihn so, daß er es nicht fertigbrachte, ein Stück zur Seite zu rücken.

Der Kutscher war im Besitz etlicher Bücher, die er sich überall dort zusammenkaufte, wo sich eine Gelegenheit dazu bot. Er las die Reiseberichte des Marco Polo und anderer verwegener Forscher und Kaufleute und verglich sie kritisch mit seinen eigenen Erfahrungen. Er las aber auch ebenso gern Bücher über Medizin, über die edle Kunst des Kochens und verschmähte auch nicht Unterhaltungslektüre.

Von seinem Wissen hatten die Arwenacks immer profitiert, und an Bord wurde der hagere und schmalbrüstige Mann bewundert. Allerdings brachten gewisse Kerle – ganz besonders der Profos – dafür kein Verständnis auf.

Auch Jeff Bowie kapierte das nicht so richtig und Paddy Rogers, der jetzt gerade erwachte, schon gar nicht. Daher war der Kutscher für ihn eine gelehrte Persönlichkeit.

„Was liest du denn da?“ fragte er verschlafen. Er gähnte laut und kletterte aus der Koje, um Matt abzulösen.

Gegen die „Isabella“ rannte gerade wieder eine kurze und sehr harte Grundsee an, und die feuerte Paddy mit einem Affenzahn wieder in die Koje zurück, daß es nur so krachte.

„Shakespeare heißt der Dichter“, erklärte der Kutscher. Aber das hörte Paddy schon nicht mehr, denn jetzt flitzte er sehr unsanft aus der Koje heraus. Es haute ihn durch den Gang, er versuchte sich noch festzuhalten, erwischte aber nur ein paar Blätter des Buches und sauste weiter, genau in Sam Roskills Koje hinein, die der seinen gegenüberlag.

Roskill war auch schon wach, da hatten sie alle eine innere Uhr, um Jeff Bowie abzulösen.

„He, in meiner Koje wird nicht gelesen“, sagte er fluchend. „Außerdem hast du da gar nichts drin zu suchen.“

„Das Buch heißt: ‚Die Komödie der Irrungen‘“, sagte der Kutscher grinsend. „Das paßt wieder mal prächtig, was?“

Roskill feuerte Paddy hinaus und mußte sich selbst festhalten, weil auch er noch etwas verschlafen war. Jetzt aber hatten alle beide wieder das richtige Gefühl für die Bewegungen der See und konnten sie ausgleichen.

Der Kutscher las weiter, ungerührt der brausenden und donnernden Wogen, die über die Decks wuschen.

Matt Davies und Jeff Bowie zogen ihre nassen Plünnen aus und hängten sie zum Trocknen über den Rand der Koje: Dann hauten sie sich hin, schliefen aber noch nicht, sondern fingen wieder ihren alten Streit an, wer am lautesten schnarchen würde.

Der Kutscher wurde zum Schiedsrichter ernannt, aber der hatte nach zehn Minuten bereits die Nase voll, denn die beiden Schnarcher sägten so übel, daß er auf seine „Komödie der Irrungen“ fluchend verzichtete und an Deck in die Kombüse ging, um dort für das Frühstück aufzuklaren und das Feuer im großen Herd zu entzünden.

Gegen Morgen ließ das Toben der See nach. Die verdammt ekelhaft einfallenden Böen waren einem gleichmäßig blasenden Wind gewichen, und die Ostsee hatte sich wieder beruhigt.

Wiborg lag an. Das Hafenstädtchen war ein paar Stunden später schon klar zu erkennen, und noch am Vormittag segelte die „Isabella“ vor den Hafen und ging, weil dort etliche Schiffe lagen, auf der Reede erst einmal vor Anker.

In der kleinen Jolle pullte Stenmark den Seewolf etwas später an Land.

Wiborg war ein sauberes und adrettes Hafenstädtchen mit kleinen Backsteinhäusern, ein paar Lagerhallen und Schuppen am Hafen.

Hasard hatte von dem Landeshauptmann des schwedischen Län Wiborg, Alvar Renquist, ein Empfehlungsschreiben erhalten. Das war der Dank für die Hilfe gegen die Russen, denen die Arwenacks das Fürchten beigebracht hatten.

Renquist hatte hier in Wiborg seinen Hauptsitz, hielt sich aber zur Zeit noch in Wekkelaks auf, um dort die Aufräumungsarbeiten zu leiten, denn die Russen hatten die kleine Hafenstadt zusammengeschossen. Aus diesem Grund war Renquist auch mit der „Isabella“ nicht mitgesegelt, obschon er das liebend gern getan hätte.

Als Stenmark mit der Jolle an der hölzernen Pier anlegte, stand da schon der Hafenmeister, ein schlanker sehniger Mann, der ihnen wohlwollend entgegenblickte. Sein Blick ruhte auf Hasard, dann wanderte er weiter zu der Galeone hin, und er nickte unwillkürlich und anerkennend. Offenbar gefiel ihm das Schiff, denn so etwas wie die „Isabella“ kriegte er in Wiborg sicher kaum zu sehen.

Hasard sprang an Land und stellte sich vor. Stenmark spielte wieder den unerläßlichen Dolmetscher.

Schließlich zog Hasard das Empfehlungsschreiben von Alvar Renquist hervor und überreichte es dem Hafenmeister. Der las es genau durch, nickte ein paarmal dazu und schenkte den beiden Männern einen anerkennenden Blick. Dann reichte er ihnen spontan die Hand.

Das Empfehlungsschreiben hatte offenbar tiefen Eindruck beim Hafenmeister hinterlassen, denn der Mann behandelte sie mit zuvorkommender Höflichkeit.

„Ich werde ihnen gleich hier vorn einen Liegeplatz zuweisen“, sagte er freundlich. „Dann liegen Sie an der Hauptpier und haben günstige Gelegenheit zum Einkauf. Sie können hier alles ergänzen, was Sie wünschen. Trinkwasser ist natürlich kostenlos.“

 

„Vielen Dank“, sagte Hasard über Stenmark. „Dann werden wir gleich verholen.“

Er drehte sich um und warf einen Blick über den Hafen. Da, wo der Hafenmeister ihnen den besten Platz zugewiesen hatte, schien alles in quirliger und hektischer Bewegung zu sein. Weiter hinten wogten Menschen durcheinander, Rummelgeschrei war zu hören, und unsichtbar fidelten da ein paar Musikanten.

„Ein Fest?“ fragte der Seewolf.

Der Hafenmeister nickte und deutete weiter nach achtern.

„Der alljährliche Rummelplatz von Wiborg, Kapitän Killigrew. Jedes Jahr wird hier eine große Schau abgezogen, die die Leute magisch anzieht. Sie werden das noch sehen, der Marktplatz ist gleich da, wo das Volk herumläuft und Zerstreuung sucht.“

Hinter der Menge war ein Zelt zu erkennen, um das sich Leute drängten. Die Musik spielte noch immer, ein Köter kläffte laut und entnervend, und auf einem hochgebauten Podest sprang ein Possenreißer herum, der der Welt völlig neue Sensationen verkündete und mit seiner marktschreierischen Stimme mühelos alles andere übertönte.

„Na, das werden wir uns später einmal ansehen“, sagte Hasard. „Meine Söhne werden begeistert sein. Aber erst verholen wir einmal zur Pier. Wir sehen uns sicher noch.“

„Ich nehme die Leimen wahr“, versprach der Hafenmeister. „Ich gebe ganz ehrlich zu, daß ich neugierig auf Ihr Schiff bin. Ich kann einfach den Blick nicht davon abwenden.“

„Sie dürfen es sich in aller Ruhe ansehen“, versprach Hasard.

Mit einem freundlichen Kopfnikken stieg er zusammen mit Stenmark in das Boot. Sten ergriff die Riemen und pullte die kleine Jolle wieder zur Reede hinaus.

„Ein Volksfest ist immer eine tolle Abwechslung, Sir“, sagte Sten unterwegs. „Das letzte, was wir sahen, liegt schon eine Ewigkeit zurück. Es war in Tanger.“

„Ja, mit Zauberern und allen Schikanen, es war jedenfalls das größte seit langer Zeit.“

Als die Jolle anlegte, standen die Arwenacks ausnahmslos am Schanzkleid und blickten zum Land hinüber. Hasard enterte auf und wurde sogleich von Carberry empfangen, der wieder mal die Nase vorn und schon etwas gerochen hatte.

„Da scheint ein Volksfest zu sein, Sir“, sagte er freundlich grinsend. „Wird mächtig viel los sein, was, wie?“

„Sieht so aus, Ed. Aber erst verholen wir zur Pier. Von dort aus könnt ihr alles ganz genau sehen.“

„Na fein“, sagte Ed grinsend. „Vielleicht läuft da wieder so ein Rübenschwein rum wie damals dieser – äh …“

„Kaliban und Baobab“, sagte Philip junior. „Das war an jenem Tag, als du die Eisenstange verbogen und den Baobab aufs Kreuz gelegt hast, Mister Profos.“

„Ja“, meinte Ed andächtig, „das war prächtig. Hier werde ich mal gleich richtig aufdrehen, daß …“

„Am Bratspill kannst du mächtig aufdrehen, Mister Carberry“, sagte Hasard sanft. „Da kannst du die Spillspaken nach allen Seiten verbiegen.“

„Heißt das, es gibt keinen Landgang, Sir?“ protestierte Ed.

„Natürlich gibt es Landgang, aber zuerst wollen wir doch an die Pier, oder nicht?“

Der Profos drehte sich um.

„Warum seid ihr noch nicht beim Ankerhieven, ihr Sturmsäcke?“ knurrte er. „Hopp auf, oder wollt ihr warten, bis der ganze Rummel wieder vorbei ist?“

Als Hasard nach achtern ging, entsann er sich beim besten Willen nicht, daß die „Isabella“ jemals so schnell verholt worden war. Anscheinend spielte der Profos heute den Zauberer, und so hatte er den Anker vermutlich freihändig aus dem Grund gerissen und an Bord gehievt.

Nur unter zwei Segeln lief die „Isabella“ dann an die Pier. Der Hafenmeister nahm die Leinen entgegen und vertäute sie. Dann bat ihn Hasard an Bord, weil der Mann darauf brannte, sich dieses herrliche Schiff einmal aus der Nähe anzusehen.

„Dieses Schiff ist wie eine Frau“, begann er zu schwärmen, „man kann sich in es verlieben.“

Die gefühlvollen Ausbrüche des Hafenmeisters juckten die anderen Arwenacks jedoch nicht, denn die hatten jetzt den Rummeplatz unmittelbar vor Augen, standen am Schanzkleid und stierten hinüber.

Inzwischen gingen der Kutscher und Mac Pellew an Land, um die Vorräte zu ergänzen. Da gab es wieder frische Eier, frisches Fleisch, Käse und Milch. Von letzterer behauptete der Profos allerdings, da vermisse er den brandyähnlichen Geschmack, und er habe mal einen gekannt, der sei vom vielen Milchsaufen ein Ochse geworden, und ein ähnliches Schicksal würde ihm ganz sicher nicht widerfahren.

„Mann, da ist ja wirklich was los“, sagte Luke Morgan begierig. „Das sollten wir uns mal direkt von der Pier aus ansehen.“

Fast alle enterten ab und standen dann auf der Pier. Neben ihnen lag eine kleine finnische Galeone, und von der rannten jetzt drei Kerle grölend in Richtung des Rummelplatzes.

Was sich in dem Zelt abspielte, war nicht zu erkennen, wahrscheinlich ging es da drin erst am Abend oder späten Nachmittag richtig los. Aber das aufgebaute Podest war interessant, um das sich eine dichte Menschengruppe scharte.

Vor den Stufen des Podestes stand ein ziegenbärtiger Possenreißer, der sich das Gesicht weiß angemalt hatte und aus dem Stand heraus immer wieder einen Salto rückwärts schlug. Grimassenschneidend sprang er dann unter die Leute, streckte die Hände aus und deutete auf das Podest.

Was da oben stand, ließ Carberrys Herz schneller schlagen, denn das war ein Urvieh, von dessem bloßen Anblick man schon schwere Alpträume kriegte.

„Mann, ist das ein kapitaler Elchbulle“, sagte der Profos.

Die anderen konzentrierten ihre Blicke jetzt ebenfalls auf den höllischen Koloß.

Der Kerl, ein riesiger Klotz, ein glatzköpfiges Ungeheuer mit tiefen Narben in der zerhauenen Visage, schritt auf dem Podest auf und ab. Dabei stieß er Grunzlaute aus wie ein Wasserbüffel, blieb alle Augenblicke stehen, winkelte einen seiner mächtigen Arme an und ließ die Muskelberge spielen. Sobald er den Arm anspannte, sprang ein Bizeps auf, der den 17-pfündern glich, die in die Culverinen gestopft wurden.

Dann nahm er seine Wanderung grunzend wieder auf, hob die Arme in Siegerpose hoch und zeigte seine Rücken- und Brustmuskeln. Stränge waren das, abnorme Wülste, die sich wie doppelt geholte Schlepptrossen auf seinem ungeschlachten Körper spannten.

„Den schaffst selbst du nicht, Ed“, sagte Matt Davies. „Der Kerl ist ein Gebirge aus Muskeln. Sieh mal, was der jetzt tut.“

Offenbar um seine irrsinnige Kraft zu demonstrieren, ging der Muskelprotz jetzt auf einen gewaltigen Hackklotz zu, der auf dem Podest stand. Der Possenreißer holte ein paar Nägel aus seiner Hosentasche, ließ sich einen Hammer geben und klopfte ein halbes Dutzend fast handlanger Kupfernägel leicht in den Hauklotz. Die Nägel ließen sich nur schlecht einschlagen. Darüber legte er ein Holzbrett, schlug wieder einen Salto rückwärts und deutete auf den glatzköpfigen Kerl.

Der stieß wieder ein paar Grunzlaute aus, rollte wild mit den Augen, stieß ein dumpfes „Uuaahhh“ aus und knallte seine rechte Pranke auf das Brett.

Das ganze Podest wackelte, als er zuschlug. Ein paar Frauen kreischten, einige Männer traten beeindruckt zurück.

Auf dem Podest erklang ein Knirschen, dann verschwanden die Nägel blitzartig in dem Hauklotz, und das Brett zersplitterte.

„Oh, Obergroßhochlord“, sagte Gary Andrews, „der hat vielleicht einen Schlag drauf! Da muß ich Matt recht geben, Ed: Diesen Kerl würdest auch du nicht schaffen.“

Carberry blickte finster auf den Glatzkopf mit dem übermächtigen Brustkasten und den Armen eines Riesengorillas.

„Pah“, sagte er nur verächtlich. Aber er war doch verdammt beeindruckt.

Trotz der Märzkühle trug das grunzende Ungeheuer nur eine Fellhose. Der Riesenlümmel war von oben bis unten eingeölt und glänzte wie die Speckschwarte eines Eisbären. Seine Augen waren klein, tükkisch und verkniffen. In seinem Gesicht standen tiefe Blatternarben, und es sah ganz so aus, als hätte da manch ein Messer seinen Weg in die höllische Visage gefunden. Genausogut war es aber auch möglich, daß sich der Kerl vor den Lauf einer mit Grobschrot geladenen Drehbasse verirrt hatte, gerade als sie abgefeuert wurde.

Sein Schädel war rund wie eine Kugel und völlig kahl. Nicht eine einzige Borste sproß darauf. Sein Hals bestand nur aus einer wulstartigen Ansammlung von Muskeln und verschwand übergangslos in den Schultern.

Der Hauklotz wurde weggetragen. Zwei Männer brachten eine stabile Bretterwand, die jeder prüfen konnte. Nacheinander kletterten vier ausgewachsene Männer auf das Podest, die sich neben dem Riesen wie lächerliche Zwerge ausnahmen. Diese vier Kerle hielten die Bretterwand jetzt fest.

Der Possenreißer sprang wieder seinen Salto rückwärts, lachte gellend und versuchte sich dann in einem Handstand. Gerade als er die Beine in der Luft hatte, griff der Muskelprotz zu. Mit Zeigefinger, Mittelfinger und Daumen schnappte er den Possenreißer am linken Schuh wie eine zu groß geratene Kakerlake, hob ihn am ausgestreckten Arm hoch, drehte sich herum und reichte den Possenreißer den anderen nach unten.

Ein anderer Kerl tauchte vor dem Podest auf, ein dicklicher, trommelbäuchiger Bursche mit wabbeligem Doppelkinn und einem Vollmondgesicht, der nun angeberisch auf den Koloß deutete und verzückte Worte in die staunende Menge brüllte.

„Was sagt er?“ fragte der Profos begierig, weil keiner der Männer ihn verstand.

Stenmark übersetzte wieder. Das Gegröle von dem feisten Mann war mühelos zu verstehen.

„Er preist seine Stärke. Der Klotz da ist Ringer und angeblich der stärkste Mann der Welt.“

„Pah“, sagte Ed wieder, und es klang etwas muffig. „Und was labert er sonst noch?“

„Dieser Kerl wird der Bulle von Wiborg genannt“, übersetzte Sten, „er ist noch nie in einem Kampf besiegt worden. Wer es schafft, ihn auf die Bretter zu legen, erhält zehn Goldstücke. Und jetzt wird der Bulle von Wiborg die Bretterwand einschlagen, nur so, damit die anderen sehen, wie stark er ist.“

„Pah“, sagte Ed zum dritten Male, „die Bretter schlage ich auch durch.“

Der Bulle von Wiborg schlug sie allerdings anders durch, als Ed das erwartete.

Er stand wieder grunzend da, mit pendelnden Armen. Den runden Schädel hatte er noch tiefer eingezogen, so daß jetzt nicht einmal mehr der Hals als Andeutung zu erkennen war. Aus seinen Schultern wuchs nur noch eine mächtige, zernarbte und eingeölte tückische Riesenkugel hervor.

„Uuuaahhhh!“ brüllte er langgezogen. Dann rannte er los, den bulligen Schädel nach unten gesenkt.

Die vier Männer stemmten sich in die Bretterwand und hielten sie mit aller Kraft fest.

Das lebende Muskelpaket rannte – mit dem Schädel voran – wild durch die Bretterwand. Es waren beileibe keine Brettchen, wie Ferris Tucker sah, sondern starkes Holz, wie es beim Bootsbau verwendet wurde.

Krachen und Splittern. Holzstücke flogen nach allen Seiten, als der Schädel durch die Wand stieß. Die vier Männer riß es ausnahmslos um. Sie hatten nur noch Holzsplitter in den Händen.

Hasard und Philip junior nickten anerkennend über den Kraftakt. Dieser Rummel erinnerte sie nur allzu lebhaft an Kalibans Gauklertruppe im fernen Tanger, der sie einst angehört hatten.

„Junge, Junge“, sagte Hasard, „der ist ja noch wilder als dieser Baobab. Der haut alles kurz und klein.“

Auch Philip war von diesem Monstrum und dem ganzen Drumherum fasziniert.

„So übertrieben scheint das gar nicht zu sein, von wegen stärkster Kerl der Welt und so“, meinte er. „Aber der Mister Profos hat dem anderen Kerl in Tanger ja auch das Fürchten beigebracht, obwohl der auch behauptete, der stärkste Mann zu sein. Dieser hier sieht aber noch fürchterlicher aus.“

„Ein glatzköpfiger Affenarsch ist das“, sagte der Profos. „Dem sieht man die Gemeinheit schon auf eine Meile an. Ich hätte nicht übel Lust, es dem eingeölten Eierkopf mal ordentlich zu zeigen.“

„Nun werd‘ mal nicht gleich hysterisch“, sagte Ferris. „Der Kerl scheint dir ja mächtig gegen den Strich zu gehen.“

„Tut er auch. Ich wette, der kämpft auch nicht ehrlich, sondern mit Haken und Ösen. Aber leider findet sich ja keiner, der den Lümmel mal kräftig massiert.“

„Sieht aber doch so aus, als würde es einer tun“, meinte Stenmark, der dem marktschreierischen Gebrüll wieder lauschte. „Er bietet wieder seine zehn Goldstücke für den, der den Bullen von Wiborg aufs Kreuz legt.“

Auch der Hafenmeister sah jetzt interessiert zu, als sich einer der Finnen vom Nachbarschiff meldete. Es war ein breitschultriger gedrungener Mann mit kräftigen Fäusten, der offenbar ganz begierig auf die zehn Goldstücke war. Seine beiden Kameraden hieben ihm auf die Schulter und feuerten ihn an.

 

Auf dem Rummelplatz wurde es für Augenblicke totenstill.

„Mut hat der Kerl, das muß man ihm lassen“, meinte Sam Roskill.

„Nur die zehn Goldstücke hat er noch nicht. Wenn der Bulle ihn so annimmt wie die Bretterwand, dann gnade ihm Gott. Der fliegt bis auf sein Schiff zurück.“

Der Seemann sah sich grinsend um, bevor er etwas schwerfällig und linkisch das Podest betrat. Der Kerl mit den Wabbelwangen, der den Bullen von Wiborg anpries, grinste süffisant, legte dem Seemann die Hand auf die Schulter und wandte sich der Menge zu.

„Keine Angst, Herrschaften“, verkündete er laut, „es gibt doch einen Mann, der den Kampf wagt. Zehn Goldstücke für ihn, wenn er den Bullen besiegt. Zehn blanke Goldstükke!“

Dann wandte er sich an den lauernd dastehenden Seemann und betrachtete ihn mit einem Ausdruck, als sei er längst geschlagen und nur noch ein Wrack.

„Viel Glück, junger Mann!“ schrie er. „Der Kampf kann beginnen. Der bessere Mann wird siegen. Zuvor aber wollen wir die Zuschauer doch noch um ihr Scherflein bitten.“

Der Possenreißer schnitt dämliche Grimassen, nahm seinen spitzgeformten Hut und verschwand in der Menge zum Abkassieren. Auch der Marktschreier sammelte Taler und andere Münzen ein und animierte die Leute zum Ausgeben. Wer nicht zahlte, den traktierte er und stieß ihn aus der Menge. Dabei würzte er seine Püffe mit derben Sprüchen, nannte die Zaungäste Parasiten, die sich auf Kosten ihrer zahlenden Nachbarn ergötzten und fand so den richtigen Ton für die unbedarfte Menge.

Auf dem Podest zog der Seemann bedächtig sein Hemd aus, bis er mit nacktem Oberkörper dastand.

Der Bulle von Wiborg musterte ihn tückisch, pendelte mit den Armen und grinste hinterhältig. Er glänzte vor Öl, stellte sich wieder in Positur und ließ seine fürchterlichen Muskelberge von allen Seiten spielen.

„Dem gebe ich keine drei Minuten“, sagte Matt Davies.

„Wir können ja wetten“, schlug der Deckälteste Smoky vor, der dafür schon immer einen Hang hatte. Aber die anderen wollten nicht.

„Ich glaube auch nicht, daß er den Bullen schafft“, urteilte Big Old Shane. „Das ist ein ausgefuchster Rummelplatzkämpfer, der hat schon so manche Schlacht hinter sich, das beweisen seine vielen Narben. Was sagt der Kerl jetzt, Sten?“ fragte er, als wieder das Geschrei losging.

„Er erklärt die Regeln, weil der Finne danach fragte.“

„Und wie sind die?“

„Es gilt für den Finnen, den Bullen aufs Kreuz zu legen. Wie er das schafft, spielt keine Rolle. Es gibt keine festen Regeln. Er muß ihn pakken, wie er ihn erwischt. Für den Bullen gilt das gleiche.“

Die beiden standen sich geduckt gegenüber. Der Finne suchte nach einem Ansatzpunkt. Der Bulle lauerte mit pendelnden Armen und eingezogenem Schädel.

„Sieh nur zu, daß du dir den möglichst weit vom Leib hältst“, murmelte Ferris Tucker, „wenn der dich erst einmal in den Klauen hat, Junge, dann bist du erledigt.“

Der finnische Seemann wußte nicht so recht, wie er beginnen sollte. Auch die Anfeuerungsschreie seiner Kameraden trieben ihn nicht vorwärts. Er zögerte noch. Der Mut hatte ihn zwar nicht verlassen, aber jetzt, aus unmittelbarer Nähe, sah das glatzköpfige Monstrum noch viel schlimmer aus als von weitem. Die Augen waren Schlitze wie bei einem Mongolen. Er stand so fest auf seinen mächtigen Säulenbeinen, daß der Eindruck entstand, nicht einmal ein Elefant könne diesen Koloß umwerfen.

Seine Arme pendelten jetzt schneller, und er rückte ein paar Schritte vor.

„Gibt’s ihm!“ brüllten die beiden Finnen.

Nach dem Motto: Angriff ist die beste Verteidigung, sprang der Seemann blitzschnell vor, hieb dem Bullen von Wiborg hart die Faust an den blanken Schädel und schlug gleich noch einmal nach.

Die beiden Treffer erzielten nicht die geringste Wirkung. Der Bulle schüttelte nicht einmal den Kopf. Er grunzte nur, wie er es bei seinem Rundgang vorher schon getan hatte. Vielleicht ließ er sich die beiden Brocken auch absichtlich an den Schädel schlagen.

„Nicht schlecht“, kommentierte Ben Brighton. „Aber er hat zuwenig Saft dahinter.“

Die Seewölfe konnten sich ein Urteil erlauben, denn im Faustkampf mangelte es keinem einzigen von ihnen an Erfahrung. Davon verstanden sie eine ganze Menge.

Der Bulle pendelte noch näher heran, und als der Finne zum zweiten Male angriff, klatschten die Leute Beifall und schrien sich die Kehlen heiser.

Das alles gehörte zur Schau, auch daß sich der Riese scheinbar vor Schmerzen krümmte. Hätte er den Finnen gleich auf Anhieb verprügelt, dann hätte sich wohl kein zweiter Mann bereit gefunden, den Kampf noch einmal aufzunehmen.

Wieder attackierte der Finne. Er erwischte den rechten ölglänzenden Arm, packte ihn mit hartem Griff, bog ihn herum und versuchte ihn umzudrehen, um den Bullen aufs Kreuz zu legen.

Die beiden Seeleute brüllten sich die Kehlen heiser, als sie den vermeintlichen Erfolg sahen und sich damit den zehn Goldstücken näher glaubten.

Noch zwei weitere Finnen verließen jetzt das Schiff und stürmten zu dem Podest hinüber, um ihren einsam kämpfenden Kameraden zu unterstützen.

Zum ersten Mal griff jetzt der Bulle zu. Fast mühelos wand er sich aus dem harten Griff heraus. Er glitschte dem Seemann unter den Fingern weg, packte mit den gewaltigen Pranken zu, umfaßte ihn am Hosenbund, stemmte ihn tückisch grinsend hoch und warf ihn dann auf die Bretter des Podestes. Wieder erzitterte unter dem Anprall die ganze Holzkonstruktion.

Doch der Finne gab noch lange nicht auf. Blitzschnell sprang er auf die Beine und ließ seine Fäuste fliegen. Mit wütendem Gebrüll drang er auf den Koloß ein und versuchte, seine Schläge anzubringen. Jeder Treffer, den er landete, wurde mit lautem freudigen Gebrüll quittiert.

Der Kerl mit dem Vollmondgesicht und den Wabbelwangen nickte dem Bullen unmerklich zu. Offenbar ging die Schau jetzt dem Ende entgegen. Die Leute hatten gezahlt und etwas gesehen, mehr war für das Geld nicht drin.

Der Bulle ließ sich unter dem Gejohle zwei harte Brocken in den Körper schlagen, dann schlug er zu, hart und unbarmherzig, hielt den taumelnden Seemann fest, packte ihn wieder und warf ihn erneut auf die Bretter. Noch während er versuchte, wieder auf den Beinen zu stehen, erwischte ihn der nächste Schlag. Der Bulle schlug zu wie ein riesiger Hammer, gab Ohrfeigen, teilte Tritte aus und warf den Finnen zum vierten Mal hart auf die Bretter.

Jetzt war das Gesicht des Seemannes vor Wut entstellt, und einige Körperstellen liefen dunkel an.

Er konnte keinen einzigen Schlag mehr anbringen, denn der Bulle hob ihn jedesmal aus, schmiß ihn krachend zu Boden und scheute sich auch nicht, gemeine und hinterhältige Schläge auszuteilen, die den Finnen total zermürbten.

„Verdammt noch mal!“ brüllte Ferris Tucker. „Das ist doch kein ehrlicher Kampf.“

„Eine Sauerei ist das“, sagte Ed empört. „Der Halunke kämpft mit drekkigen Tricks und schlägt auf die empfindlichen Stellen.“

Auch die anderen waren empört.

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