Seewölfe - Piraten der Weltmeere 532

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 532
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-940-6

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Fred McMason

Unter Vollzeug in die Hölle

Sie sind ahnungslos – und segeln in die Falle der Piraten

Die Schiffe, die von der Banda-See in den Indischen Ozean segelten, nahmen meistens den Kurs, der zwischen den Inseln Timor und Pulau Alor vorbeiführte. So mußten sie auch Pulau Wetar und die Ilha de Ataúro passieren.

Die Inseln wirkten sehr friedlich und boten sich mit ihren Hütten und freundlichen Bewohnern in paradiesischer Schönheit dar. Palmen säumten den hellen Strand, kleine Boote lagen am Ufer.

Doch die Idylle war trügerisch. In Wirklichkeit lauerte in der Nähe der Inseln der Tod in vielfältiger Form.

Einmal waren da die natürlichen Riffe – scharf geschliffen wie die Schneidezähne von Sägen –, zum anderen gab es die unsichtbaren Riffe. Sie waren von den freundlichen Leuten künstlich angelegt worden, um Beute zu reißen. Denn wer nicht mit seinem Schiff in die natürlichen Riffe geriet, der wurde unweigerlich in die scharfkantigen Klippen getrieben, wobei die freundlichen Leute tatkräftig mithalfen.

Ihr Anführer war Selam, einhöflicher, zuvorkommender und immer hilfreicher Mann, der den ehrbaren Beruf des Lotsen ausübte. Doch Selam war der Teufel in Person

Die Hauptpersonen des Romans:

Selam – Ein sehr höflicher, sehr hilfreicher und stets freundlich lächelnder Mensch – nur ist das alles Maske.

Antonio Bengosa – Ein sehr gutgläubiger spanischer Kapitän – und darum durchschaut er die Maske Selams nicht.

Edwin Carberry – Der Profos unternimmt wieder einmal ein unfreiwilliges Bad in der See und kehrt mit einer neuen Kopfbedeckung zurück.

Mac Pellew – Auch der Zweitkoch taucht unter Wasser, aber seine Rückkehr ist in Frage gestellt.

Philip Hasard Killigrew – Der Seewolf kann nur froh sein, eine schnell und hart reagierende Crew zu haben.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Angefangen hatte es vor fast einem Jahr, und auch jetzt noch, im November 1596, war das „Geschäft“ recht einträglich. Es brachte den Inselbewohnern einen gewissen Luxus, ein angenehmes Leben, das sie in vollen Zügen genossen.

Diesmal war es ein kleines spanisches Handelsschiff, das ahnungslos in die teuflische Falle segelte.

Die „Estrellamar“, was soviel wie „Seestern“ bedeutet, war ein kleiner dreimastiger Segler vom Galeonen-Typ. Sie kam von den Philippinen und hatte Manilahanf, Perlen, Seide und Gewürze geladen. Die Gewürze stammten von den Molukken. Dort hatte Capitán Antonio Bengosa sein Schiff noch einmal verproviantieren lassen. Jetzt befand sich die kleine Handelsgaleone auf dem Weg nach Sevilla.

Ein endlos langer Törn lag vor ihnen – der Weg durch den Indischen Ozean, um Afrika herum, bis nach Spanien.

Bengosa war ein etwas einfältiger, gutgläubiger und dickbäuchiger Mensch mit einem glattrasierten Gesicht und dunklen Augen, die immer wieder erstaunt in die Welt blickten und alles musterten, als sähe er es zum ersten Male in seinem Leben. Dabei war er ein erfahrener Mann, der Schiff und Mannschaft zu führen verstand.

Allerdings hatte Bengosa eine kleine Macke, die ihm aber großzügig von der Mannschaft nachgesehen wurde.

Entdeckten sie irgendwo eine Insel, die Bengosas Idealen entsprach und möglicherweise unbewohnt war, dann pflegte er die Insel anzulaufen, vor Anker zu gehen und an Land zu pullen.

Die Mannschaft mußte mit und am Strand Aufstellung nehmen. Bengosa pflegte dann eine stundenlange Andacht zu halten, die damit endete, daß er eine spanische Flagge samt Flaggenstock in den Sand rammte und die Insel für spanischen Besitz erklärte.

Auf diese Art und Weise hatte er eine Menge Inseln und kleine Eilande „gesammelt“, die nun alle der spanischen Krone gehörten. Die scherte sich allerdings den Teufel darum, denn auf Bengosas „gesammelten Werken“ gab es meist keine Eingeborenen, kein Trinkwasser, kein Gold und keine Heiden, die es zu bekehren galt. Es waren nur ganz gewöhnliche Inseln mit ein paar Kokospalmen, die nichts hergaben. Für Bengosa aber waren es Juwelen der Unberührtheit, Wunder im Meer, Paradiese der Ruhe und Beschaulichkeit, über die er genau Buch führte.

Das war seine Macke, und sie trug nicht gerade dazu bei, daß die Reise flott verlief. Es gab viele Aufenthalte, denn es gab viele kleine Inseln.

Die Mannschaft murrte nicht, die Männer waren nur heilfroh, daß sie ihr Kurs nicht durch den Pazifik führte, wo es unzählige Inseln gab. Sie wären sonst nie nach Sevilla gelangt.

Als der Ausguck Land voraus meldete, ging es wie ein Ruck durch die Männer. Der Erste Offizier, Tristan Romano, seufzte verhalten. Sie hatten jetzt fast sämtliche Molukken-Inseln annektiert, und die Inselwelt nahm immer noch kein Ende. Die Truhe mit den spanischen Flaggen war längst leer. Der Segelmacher fertigte immer wieder neue an.

„Ah, ein Juwel im Meer der Beschaulichkeit!“ ließ sich Bengosa erfreut vernehmen. „Eine sanfte Perle der Unberührtheit, jungfräuliches Land von erbaulicher Schönheit. Ist die Insel auf unseren Karten verzeichnet, Señor Romano?“

Der Erste konnte nichts finden, und so schüttelte er den Kopf.

„Nein, sie ist nicht verzeichnet, Capitán. Dazu ist sie viel zu klein und unbedeutend.“

„Unbedeutende Inseln gibt es nicht“, mußte er sich belehren lassen. „Jedes Stück Land hat seinen Zweck, und jede noch so kleine Insel ist ein ruhender Pol in den Meeren der Ewigkeit. Die spanische Krone kann gar nicht genug von diesen Juwelen sammeln. Wir werden die Insel, so es eine ist, anlaufen und sie erkunden. Der Allmächtige hat diese Wunder geschaffen, und es wäre unverzeihlich, sie einfach zu ignorieren.“

Der Allmächtige hat auch das Meer geschaffen, und trotzdem schöpfen wir es nicht aus, um jeden einzelnen Tropfen zu untersuchen und darüber in laute Jubelschreie auszubrechen – diese Worte hätte der Erste gern laut gesagt, aber er traute sich nicht. Er dachte sie nur, denn der Capitán hätte nicht das geringste Verständnis dafür aufgebracht.

Es war tatsächlich eine Insel, wie sich etwas später herausstellte. Und verdammt klein war sie auch, eben ein ruhender Pol in den Meeren der Ewigkeit.

Die Mannschaft, die sich an Inseln restlos satt gesehen hatte, schenkte dem Eiland daher auch nur einen flüchtigen Blick. Dieses Eiland war bestenfalls vier Kabellängen lang und eine Kabellänge breit. Ein schmaler Streifen Sand wand sich wie ein helles Band um die Insel. In der Mitte stand etwas erhöht ein Hain aus Kokospalmen. Die Flut überspülte die Insel regelmäßig bis dicht zu den Palmen hin.

Die „Estrellamar“ lief durch glasklares Wasser, das immer flacher wurde, bis der Erste den Befehl zum Ankern gab.

Capitán Bengosa nahm das gar nicht wahr. Er sah nur die winzige Insel und war wieder einmal entzückt, weil sie offenbar noch von keinem Menschen betreten worden war.

Etwas später ging das übliche Theater los. Die beiden Jollen wurden umständlich abgefiert und zu Wasser gelassen. Der Segelmacher enterte ab. Unter dem Arm trug er die spanische Flagge, die an einem kleinen Stock befestigt war.

Zwei Mann mußten an Bord bleiben, was der Capitán lebhaft bedauerte, denn so konnten sie das Wunder nur aus der Ferne genießen.

Die beiden Kerle bedauerten das jedenfalls nicht. Sie waren heilfroh, daß sie nicht an Land brauchten. Die Insel gab wirklich nichts her, und so hingen sie mit freundlichen Nasenlöchern am Schanzkleid und grinsten sich eins.

Die Jollen wurden zum Strand gepullt, wo dann die übliche Zeremonie begann, auf deren Einhaltung der Capitán streng achtete. Das lief immer nach dem gleichen Schema ab. Entfernt ähnelte er dann Kolumbus, als der fremdes Territorium betreten hatte.

Zunächst einmal, als sie noch ein Stück vom Strand entfernt waren, breitete er pathetisch die Arme aus, als wollte er die Insel umarmen.

„Seht diese Pracht“, flüsterte er bewegt, „schaut diese Herrlichkeit, diesen Liebreiz, diesen leuchtenden Saphir, der aus dem Grunde der See wächst. Ist sie nicht einmalig?“

Die anderen bestätigten mehr oder weniger ergriffen, daß die Insel einmalig sei. Ihretwegen hätte das Ding im Meer versinken können. Sie waren mehr daran interessiert, die Heimreise fortzusetzen und pfiffen auf die Palmeninsel.

Endlich liefen die beiden Boote auf den schmalen Strand.

Der Capitán sprang leichtfüßig, wie er meinte, an Land. Aber sein Bauch war schwer und dick, und so ähnelte sein Sprung eher der Landung eines alternden Albatrosses, der immer noch ein paar Schritte rannte, ehe er zum Stillstand kam.

 

In den Booten verkniffen sich die Kerle nur mühsam das Feixen.

Alsdann pflegte der Capitán feierlich niederzuknien und beide Hände in den Sand zu legen. Anschließend blinzelte er in die Sonne, warf einen bewundernden Blick in die Runde und verkündete, daß die Insel ab jetzt spanisches Territorium sei. Danach winkte er mit gekrümmtem Zeigefinger den Segelmacher herbei.

Der pflanzte mit mürrischem Gesicht die Flagge in den Sand, rammte sie fest und dachte an die mühselige Arbeit, gleich wieder neue „Lappen“ nähen zu müssen, was ihm mächtig stank.

Jetzt durften auch die anderen an Land, die viel lieber im Boot oder an Bord geblieben wären. Ihre Begeisterung war nur gespielt. Sie grinsten meist, bis ihre Ohren Besuch kriegten, um den Anschein der Freude zu wahren. Einige amüsierten sich ganz offen, doch das merkte Bengosa in seiner Freude nicht. Er hatte wieder eine Insel!

„Ausschwärmen, erkunden!“ befahl er.

Weit konnten sie jedoch nicht ausschwärmen, das ließ die Winzigkeit der Insel nicht zu. Außerdem konnte man sie überblicken. Aber sie schwärmten doch gehorsam aus und gaben sich ganz den Anschein, als seien hier geheimnisvolle Schätze versteckt.

Als sie die Insel umrundet hatten, trafen sie sich wieder an der Stelle, wo die Boote lagen.

Der Erste, der immer Meldung erstatten mußte, war sauer und ärgerte sich über die vertrödelte Zeit. Sie hätten längst zehn Seemeilen weiter sein können. Aber nein, sie mußten unbedingt diesen Sandfleck bejubeln!

„Keine Vorkommnisse, Señor Capitán“, meldete er verärgert. „Nichts als Sand und ein paar Palmen. Hier wächst nicht mal ein lausiger Grashalm“, fügte er boshaft hinzu. „Die Insel gibt nichts her, absolut rein gar nichts.“

Bengosa sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren.

„Die Insel gibt nichts her?“ wiederholte er gedehnt. „Ja, ich muß mich doch sehr wundern, Señor Romano. Wo gibt’s denn das, daß eine Insel nichts hergibt?“

„Jedenfalls ist sie unbewohnt“, knurrte der Erste.

„Unbewohnt? Ja, jetzt muß ich mich doch gleich zum zweitenmal ganz erheblich wundern, mein Lieber. Es gibt keine unbewohnten Inseln, merken Sie sich das gefälligst.“

„Aber wir haben niemand gesehen“, widersprach Romano.

„Weil ihr schlafend durch die Gegend lauft, ihr Schafe. Natürlich ist diese Insel bewohnt.“

„Aha“, sagte der Erste aggressiv. „Sie ist also bewohnt. Merkwürdig, daß ich immer noch keine Leute gesehen habe. Glauben Sie, daß sich die Eingeborenen versteckt haben, Señor Capitán?“

„Vielleicht hocken sie in den Palmen“, meinte der Segelmacher mit einem niederträchtigen Blick zu dem Palmenhain. „Oder sie haben sich Bunker gegraben.“

Bengosa funkelte die beiden wütend an. Er ging zum Strand und drehte einen Stein um, der halb im Wasser lag. Er hatte ihn noch nicht richtig umgedreht, als eine winzige Krabbe in aller Eile zum Wasser rannte und darin verschwand. Eine zweite blinzelte noch verstört ins Sonnenlicht. Dann verschwand auch sie.

„Sind das etwa keine Kreaturen Gottes?“ fragte Bengosa. „Seht die beiden Vögel dort. Auch sie leben auf dieser Insel. Und hier“, er rannte weiter und zeigte auf ein paar Löcher im Sand, „… alles bewohnt, alles hat seinen Zweck und Nutzen. Und wenn ein Schiffbrüchiger hier strandet, dann findet er Kokosnüsse und kann damit lange Zeit überleben, weil sie ihm das Trinkwasser ersetzen. Und er hat Fruchtfleisch. Er kann sich aus den Blättern eine Behausung bauen und schließlich aus den Stämmen ein Floß. Aus den spitzen Wedeln kann er sich scharfe Speere fertigen, die er mit den Schalen der Nüsse zuspitzt. Und damit wiederum kann er Fische jagen. Und ihr Schafe behauptet immer noch, diese Insel gäbe nichts her. Diese Eilande hat Gott in seiner großen Güte geschaffen, und alle erfüllen einen Zweck. Seht die Krabben und Krebse im Sand, die Fische dicht bei der Insel, die Vögel und die vielen anderen Bewohner, die ihr gar nicht wahrnehmt. Ihr seid mit Blindheit geschlagen, und blind irrt ihr durch die Welt!“

Die anderen blickten Bengosa etwas nachdenklich an. Selbst der Erste hüstelte verlegen.

Es stimmt schon, was Bengosa sagt, dachte er. Man muß sich eben nur mal die Zeit nehmen, um über alles ein wenig nachzudenken. Aber trotzdem wollte er jetzt gern fort.

Bengosa hielt unterdessen den anderen einen Vortrag über die Nützlichkeit von Inseln, und seien sie noch so abgelegen. Die Kerle hörten sich das auch alles nickend an und taten ganz erstaunt und verwundert. Aber es ging bei ihnen zum einen Ohr hinein und zum anderen wieder hinaus, weil es immer das gleiche war.

Bengosa war in ihren Augen eben ein Besessener, über den es wie ein Rausch kam, wenn er eine Insel entdeckte.

„Wie lange wird es wohl noch dauern, bis wir in Spanien sind, Tristan?“ fragte der Segelmacher den Ersten. „Wir vertrödeln unglaublich viel Zeit. Ich weiß gar nicht, wie er da noch seine Kosten herausschlagen will, vom rein Kaufmännischen her gesehen.“

„Wie lange? Hm, vielleicht zehn Jahre, vielleicht auch zwanzig“, erwiderte der Erste leise. „Wir haben noch verdammt viele Inseln vor uns. Wenn das so weitergeht, ist unsere Ladung längst vergammelt, bevor wir in Sevilla sind.“

Bengosa hatte seine erbaulichen Monologe mittlerweile beendet. Er zupfte die Flagge im Sand zurecht, betrachtete sie und betrachtete auch die Fußspuren, die sie hinterlassen hatten. Jetzt war die Insel spanischer Besitz, sie gehörte der Krone.

„Ich werde sie joya del mar nennen“, murmelte er. „Sie sieht wahrhaftig wie ein prachtvolles Juwel des Meeres aus.“

„Ich werde es nachher eintragen“, versprach der Erste. Dabei dachte er schaudernd an das dicke Buch, das so unendlich viele Inseln enthielt und immer mehr anschwoll. Er fragte sich nur, woher der Capitán ständig die vielen Namen nahm. Offenbar verfügte er über einen endlosen Vorrat.

Nach einem letzten Rundumblick pullten sie wieder an Bord zurück.

Bengosa fragte die beiden Wachen, ob sie nicht auch noch einen Fuß an Land setzen wollten, um das Juwel des Meeres zu schauen. Schließlich sollten alle Männer daran teilhaben.

Aber mit den beiden war es schon seltsam genug, fand er. Der eine hatte ganz jämmerliche Zahnschmerzen, und dem anderen taten alle Knochen weh, weil er angeblich von den Stufen des Niederganges gefallen war. Sehr heuchlerisch bedauerten sie, an der Exkursion nicht teilgenommen zu haben, aber leider, leider, der verehrte Señor Capitán wisse ja, weshalb.

Einen Augenblick erwog Bengosa ganz ernsthaft, die beiden Kerle an Land pullen zu lassen, doch die hatten sein Vorhaben anscheinend erraten. Der eine jaulte los, weil seine Zahnschmerzen immer schlimmer wurden, und der andere schlich wie ein geprügelter Hund über Deck. Mindestens zwanzig Rippen habe er sich angeknackst, behauptete er, wenn nicht noch mehr, vielleicht sogar dreißig.

Da mußte selbst der Feldscher hart schlucken, daß das dem Capitán so glatt runterging, denn der nickte sehr besorgt. Vielleicht war er auch nur so besorgt, weil der Kerl so viele Rippen hatte.

Eine halbe Stunde später ging die „Estrellamar“ ankerauf und setzte die Segel.

Nach einer weiteren Stunde wurde wieder eine Insel gesichtet – und natürlich auch angelaufen.

Die Männer mochten ihren Capitán, weil er sie immer anständig behandelte, aber an diesem Tag wäre es fast zu einer Meuterei gekommen, und sie verfluchten alle Inseln der Welt, ganz besonders aber die Marotte ihres Kapitäns, der ständig Neuland entdeckte.

Jetzt lag schon wieder ein „herrliches Gestade voll üppiger Pracht“ vor ihren müde gewordenen Augen.

2.

Zu Bengosas lebhaftem Bedauern gab es zwei Tage lang keine einzige Insel zu sehen. Aber das war eben gottgewollt. Schließlich konnte der Herr in seiner großen Güte nicht überall Inselchen wachsen lassen. Dann wäre ja kein Platz mehr für das Wasser übrig gewesen.

Die anderen Kerle erfüllte die Weite der See mit Schadenfreude, denn jetzt ging es unter Vollzeug weiter. Auch der Segelmacher freute sich. Jetzt hatte er keine rotgeweinten Augen mehr und brauchte nicht ständig neue Flaggen anzufertigen. Die letzten hatten sie schon aus Seide hergestellt, die man von der Ladung nahm.

Wenn das so weiterging, war die „Estrellamar“ am Ende ihrer Reise bereits um einige Tonnen geleichtert.

Zu allem Unglück sichteten sie bald darauf wieder eine Insel. Da diese völlig von der Norm abwich, mußte sie natürlich auch angelaufen werden.

Diese Insel konnten sie allerdings nicht betreten, was Bengosa lebhaft bedauerte. Sie wuchs als Felsen aus dem Meer, der mit seinen schroffen Wänden absolut unbesteigbar war. Ganz oben wurde der Inselfelsen von einer Reihe Kokosnußpalmen gekrönt. Das sah aus, als wäre er besonders liebevoll garniert worden.

Bengosa ließ die Felseninsel runden, was jedoch keinerlei neue Erkenntnisse brachte, denn der garnierte Felsen sah von allen Seiten gleich aus. Er hatte keinen Strand und war mit Untiefen und kleinen Riffen gespickt.

Etwas verärgert darüber, daß dieses hochgewachsene Juwel nicht zu erklimmen war, taufte Bengosa die Insel auf den Namen tarta grande. Das hieß soviel wie Riesentorte und war direkt bezeichnend. Ob die spanische Krone mit dieser Riesentorte etwas anfangen konnte, wurde von jedermann an Bord stark bezweifelt. Nur in Bengosas Hirn spukte die Idee herum, daß man die Torte vielleicht zu einer uneinnehmbaren Festung ausbauen könne.

Wieder ging es ein paar Tage lang ohne Inselsichtung südwärts. Nur das Meer umgab sie und die samtene Bläue des Himmels.

Nochmals zwei Tage später erlitt der Ausguck fast einen Herzanfall, denn da tauchte erneut Land auf. Sehr stockend gab er die Meldung an Deck durch. Die anderen zuckten zusammen, nur Bengosa nicht. Der hatte verklärte Gesichtszüge und leuchtende Augen, in denen sich alle Freude dieser Welt widerspiegelte.

Immer wieder starrte er angestrengt durch das Spektiv. Was er sah, ließ sein Herz vor Freude hüpfen. Offenbar war es eine breite Insel, die vor ihnen lag. An Steuerbord war nochmals Land zu sehen und Steuerbord voraus zog sich ebenfalls Land hin.

Als sie näher heran waren, klatschte er begeistert in die Hände. Da waren Hütten zu sehen, Palmen, lange Strände und Menschen, die sich am Ufer bewegten und zu der heransegelnden Galeone blickten.

„Ein Bild des Friedens, der Ruhe und der Beschaulichkeit“, sagte Bengosa erfreut. „Diese Leute leben wahrhaftig im Paradies und sind zu beneiden. Nur schade, daß sie keine Christen sind. Aber sicher werden sie es gern werden wollen“, setzte er hinzu.

„Jetzt geht die Heidenbekehrung wieder los“, seufzte der Erste verhalten. „Womöglich werden wir auf dieser Insel endlos lange Tage verbringen müssen. Wo hat die Welt so was jemals gesehen!“

„Und das nennt sich nun ein Kauffahrer“, jammerte der Segelmacher. „Der segelt immer tiefer in die Schulden. Zum Schluß wird er nicht einmal mehr uns noch bezahlen können.“

Bengosa hörte nicht, was sie über ihn dachten. Er war nur von dem Wunsch beseelt, hier vor Anker zu gehen, den unbedarften Leutchen zu verklären, was wahrer Glaube sei, und die Insel in spanischen Besitz zu nehmen. Damit konnte die Krone ganz sicher etwas anfangen.

„Wir segeln zwischen den Inseln hindurch und gehen bei der an Backbord liegenden Insel vor Anker“, entschied er nach einem weiteren Blick auf die malerische Umgebung.

Der Erste spürte, wie sich sein Brustkorb zusammenzog.

„Wir werden sehr viel Zeit verlieren, Señor Capitán“, wandte er ein.

„Nur ein paar Tage“, sagte Bengosa, als sei das ein Klacks. „Wenn wir erst im Indischen Ozean sind, geht es unaufhaltsam weiter. Dort gibt es nicht viel Land. Aber diese Perle üppigster Pracht dürfen wir einfach nicht auslassen. Sehen Sie nur diese Harmonie in der Natur, diese unüberbietbare Friedfertigkeit, die freundlich winkenden Eingeborenen. Sicher haben sie noch nie ein Schiff aus unmittelbarer Nähe gesehen.“

Der Erste wollte das gerade bezweifeln, dafür bemerkte er etwas anderes, das ihm die Haare zu Berge stehen ließ.

„Riffe an Steuerbord!“ warnte er. „Da sind Schaumwirbel! Wir dürfen nicht zu dicht heran.“

Der Ausguck meldete im selben Augenblick ebenfalls Riffe, die jetzt immer deutlicher zu erkennen waren. Wasser schäumte auf, brodelte und kochte. Untiefe neben Untiefe befand sich dort, ganz zu schweigen von den Korallenriffen, die dicht unter der Wasseroberfläche lagen und erst dann gesehen wurden, wenn es schon zu spät war.

 

Für ein paar Sekunden lang vergaß Bengosa die Idylle und Pracht, die ihn umgab.

Schaudernd blickte er auf die Riffe, die immer gewaltiger wurden. Auch auf der anderen Seite glaubte er Verwirbelungen im Wasser erkennen zu können.

Der Wind wehte mehr achterlicher als dwars und schob sie unter Vollzeug auf die Riffe zu. Für Manöver irgendwelcher Art war es bereits zu spät.

Verzweifelt hielten sie nach einer freien Fahrrinne Ausschau. Es war völlig ungewiß, ob es überhaupt eine gab.

Da entdeckte Bengosa das Fischerboot. Es war ein Auslegerboot, in dem zwei braunhäutige Männer hockten, und es befand sich ein paar Kabellängen voraus. Die Männer in dem Ausleger gestikulierten wild und näherten sich ihnen.

„Glück zu“, sagte Bengosa erleichtert. „Sie werden uns helfen und einen Weg durch die Riffe weisen. Die Fischer kennen sich hier aus. Wir werden sie anpreien.“

Aber das war nicht mehr nötig. Die braunhäutigen Männer hatten längst erkannt, daß das Schiff in großer Gefahr war und auf die Riffe zu laufen drohte.

Bengosa ließ in seiner Verzweiflung ein paar Segel wegnehmen, aber da waren die beiden Fischer zum Glück schon heran.

Selam war Malaie, ein kleiner, freundlich aussehender Mann mit einer Knubbelnase und tiefschwarzen Augen, die immer höflich in die Welt blickten.

In seiner freien Zeit fischte Selam gern, sonst diente er sich als Lotse bei Schiffen an, die von den Molukken kamen und Kurs auf den Indischen Ozean nahmen.

Seit Wochen schon hatten sie kein fremdes Schiff mehr gesehen, doch als jetzt am nördlichen Horizont Masten auftauchten, brandete Jubel auf, und das scheinbar freundliche Inselvölkchen rottete sich am Strand zusammen. Männlein, Weiblein und Kinder zeigten sich, und auch ein paar Hunde, die zwischen ihnen herumtollten.

Selam stand am Ufer und blickte durch einen kostbaren Messingkieker. Sie hatten mehr als zwei Dutzend davon. Mit einigen spielten die Kinder, ein paar andere lagen unbeachtet in den Hütten am Strand.

Die Strandhütten waren einfach eingerichtet, aber hinter einem Wall aus Büschen, Palmen und dichtem Verhau standen weitere Hütten, und die waren alles andere als spartanisch eingerichtet. Da gab es Kupferkessel, Eisenpfannen, eiserne Herde und Werkzeuge aller Art – eben alles das, was auf Schiffen zu finden war.

Diesen Reichtum hatten die Insulaner Selam zu verdanken, beziehungsweise seinem hellen und ausgefuchsten Köpfchen, und weil er der Teufel in Person war, der noch nie etwas von Skrupeln gehört hatte.

Selams ständiger Satz hieß immer: „Es gibt nur zwei Arten von Schiffen: Solche, die auf dem Riff liegen, und solche, die bald auf dem Riff liegen werden.“

Auf den Riffen lagen wahrhaftig genug, und auf den unsichtbaren Riffen würden demnächst noch mehr liegen, die die teuflische Falle nicht erkannten und ahnungslos hineinsegelten – oder von Selam hineingesegelt wurden.

Die natürlichen Riffe waren aus Korallen gewachsen und scharfgeschliffen wie die Schneidezähne einer Riesensäge. Sie zogen sich über mehr als eine Meile hin. Manche von ihnen waren deutlich sichtbar. Andere waren unter Wasser verborgen und nicht zu erkennen. Vom Norden her gab es auf der linken Seite eine breite Durchfahrt, die dem Anschein nach frei von Riffen war.

Hier hatten die freundlichen Inselbewohner jedoch tatkräftig nachgeholfen und in mühevoller Arbeit Bollwerke unter Wasser angebracht.

Das war Selams Idee gewesen, seit sie von Java mit einer Horde Männer und Frauen herübergekommen waren. Sie hatten lange nach einer derartigen Inselpassage gesucht, die harmlos aussah und dennoch voller Tücken steckte, und hier hatten sie eine solche Passage endlich gefunden.

Anfangs hatten sie ein armseliges und karges Leben geführt und mußten sich mit dem begnügen, was die Inseln hergaben. Dann ging es ihnen immer besser, seit sie die künstlichen Riffe gebaut hatten und die ersten Schiffe in die Falle gelaufen waren.

In der scheinbar freien Durchfahrt waren kleine und größere Schiffe versenkt und mit Steinen gefüllt worden. Auch ein paar abgetakelte Galeonen waren dabei, die dicht unter der Wasserfläche lagen. Im Lauf der Zeit war das alles verfeinert worden. Etliche steingefüllte Wracks waren untereinander mit schweren Eisenketten verbunden. Masten waren bei Ebbe in den Sand gerammt worden, Pfähle steckten darin wie die Rammsporne von Galeeren. Es gab nur eine kleine schmale Durchfahrt zwischen den Inseln, die nur die Insulaner selbst kannten. Jeder Fremde segelte entweder auf die Korallen oder die künstlichen Bollwerke.

Es war eine mühevolle und harte Arbeit gewesen, aber sie trug Früchte, und sie bescherte ihnen ein sorgenfreies Leben.

Auf den heransegelnden Schiffen sah man von weitem nur ein paar alte und abgetakelte Wracks. Grund genug, bei diesem Anblick so schnell wie möglich zur anderen Seite auszuweichen.

Ein Portugiese hatte es auch einmal geschafft und war ihnen vor der Nase unbeschadet davongesegelt.

Seitdem halfen Selam und sein Freund Nusando immer nach, damit solche Zwischenfälle nicht mehr passierten. Dabei tarnten sie sich als harmlose Fischer, die ihre Hilfe als Lotsen anboten. Meist wurde das auch dankbar angenommen.

Selam hatte schon Portugiesen, Holländern, Spaniern und selbst seinen Landsleuten „geholfen“. Er verstand auch von jeder Sprache ein paar Brocken, die er geschickt anwandte.

Nach dem Anbieten der „Lotsenhilfe“ ging er oft selbst an Bord, ließ das fremde Schiff in die künstlichen Riffe laufen und verschwand dann beim Aufprall, als sei alles nur ein Versehen gewesen. Dann saß das Schiff hoffnungslos fest, und besorgte Insulaner halfen der verstörten Mannschaft beim Abbergen. Dabei packten auch die Frauen tatkräftig mit an. Sie verstanden es hervorragend, mit dem Kris umzugehen, jenem schlangenförmig gewundenen Dolch, der sich so gut in den Gewändern verbergen ließ.

Auf manchen Schiffen durfte Selam allerdings nicht an Bord. Dann segelten er und Nusando mit dem kleinen flachgehenden Fischerboot voraus, fuhren über die künstlichen Riffe und warteten in aller Ruhe ab, bis die großen Schiffe aufliefen.

Selam und Nusando bestiegen inzwischen ihr Boot und ruderten hinaus, als hätten sie die Absicht, Fische zu fangen.

„Ein schönes Schiff“, sagte der braunhäutige Nusando anerkennend. „Wieder mal ein Spanier, der auf Heimatkurs segelte und schwer abgeladen ist. Was mag er wohl an Bord haben?“

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