Seewölfe - Piraten der Weltmeere 578

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 578
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-985-7

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Fred McMason

Lagune des Todes

Als die Seuche ausbricht, ist in Venedig die Hölle los

Endlose Schlangen von Pilgern, die ins Heilige Land wollten, begaben sich auf die beiden Galeeren. Die Menschenmassen quirlten und brodelten wild durcheinander. Lautes Stimmengewirr erfüllte den Hafen von Venedig. Stadtgardisten durchsuchten die Pilger nach Waffen, als sie an Bord gingen. Die Pilger durften keine Waffen haben, damit es später zwischen Christen und Sarazenen im Heiligen Land nicht zu Streitigkeiten kam. Im Unterdeck der Galeeren wurden sie noch einmal von Feldschern in Empfang genommen, die sich jeden Pilger genau ansahen.

Einer der Ärzte griff nach einem Mann, der ein braunes, sackartiges Gewand trug. Sein Gesicht hatte er unter einer Kapuze verborgen. Nur die Augen und der Nasenrücken waren zu sehen. Er wollte sich an den Feldschern vorbeimogeln und strebte einen Platz im Unterdeck an, wo sich zahllose andere bereits hingekauert hatten.

Der Feldscher riß ihm mit einem Ruck die Kapuze herunter. Er schluckte hart, als er das Gesicht des Mannes sah. Das Gesicht war bläulich verfärbt, fast düsterblau. Kein Zweifel, der Mann hatte offenbar die Pest …

Die Hauptpersonen des Romans:

Luigi Batiste – auf einer Pilgerfahrt ins Heilige Land hofft er, von einer unbekannten Krankheit geheilt zu werden.

Luke Morgan – kauft zusammen mit Stenmark und Matt Davies kostbare Edelsteine weit unter dem Preis, was ihn nachträglich aber in Wut versetzt.

Old Donegal – gerät auf eine Lagunen-Insel, auf der er „Knochenmännern“ begegnet.

Philip Hasard Killigrew – wird mit einer äußerst ungewöhnlichen Situation konfrontiert, die viel Diplomatie verlangt.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Zweimal im Jahr segelten die beiden größten Galeeren Venedigs ins Heilige Land nach Jaffa, dem antiken Japu, der viel umkämpften Pilgerstadt und dem Hauptlandeplatz der Kreuzfahrer.

Für die Pilger gab es besondere Vorschriften, die jedoch nicht immer eingehalten wurden.

Vor dem Antritt der Reise ins Heilige Land hatte jeder Pilger sein Testament zu verfassen. Ferner mußte er einen Beutel mit etwa zweihundert Dukaten mitführen. Die Dukaten sollten nach Möglichkeit frisch geprägt sein, denn die Sarazenen akzeptierten nur höchst ungern abgegriffene Münzen.

Weiter wurden zahlreiche Kleidungsstücke empfohlen, „um Läuse, Flöhe und andere Unreinlichkeiten zu vermeiden“.

Eine weitere Empfehlung bestand darin, daß die Pilger ihre Reise über das Meer am besten von Venedig aus antreten sollten, denn von dort war die Reise bequemer und leichter zu organisieren als in jedem anderen Hafen der Welt.

Die Galeerenkapitäne waren auch zugleich Eigner der Schiffe und holten bei den Pilgerfahrten einen guten Schnitt heraus.

Der Festpreis für die Hin- und Rückreise nach Jaffa betrug fünfzig Dukaten. Einbegriffen war darin der Eselsritt von der Hafenstadt Jaffa nach Jerusalem, ebenso die zahlreichen Zölle und Tribute, die die Christen an die Sarazenen abführen mußten.

Im Durchschnitt dauerte die Reise vier bis sechs Wochen – und sie war nicht ungefährlich, denn Krankheiten, „Seeübelkeit“, Schiffbruch, oder Überfälle von Türken und Piraten waren durchaus an der Tagesordnung und stellten eine ständige Bedrohung dar.

Jetzt, im Januar 1598, drängten sich noch weitere Pilger um die Fahnen der Agenten. Sie standen auf der Piazetta San Marco und brüllten sich die Kehlen heiser, um eine Passage zu kaufen.

Händler versorgten die Pilger mit Gebäck, Wein, altbackenem Brot und lombardischem Käse, damit sie unterwegs den Schiffsproviant auf den Galeeren aufbessern konnten.

Auch an dem Kai herrschte ein unglaubliches Gedränge. Dort hatten die Pilger, die bereits eine Passage gekauft hatten, ihr persönliches Gepäck abgegeben, das jetzt in Gondeln verstaut wurde.

Es herrschte ein heilloses Durcheinander, und es sah nicht so aus, als würde das Gepäck in den Gondeln jemals wieder zu seinem Besitzer gelangen. Ein paar Kerle versuchten auch, sich unbemerkt auf die Galeeren einzuschleichen, doch sie wurden entdeckt, und dann hagelte es Fausthiebe und Tritte.

Luigi Batiste, ein kleiner Genuese, der seit ein paar Jahren in Venedig lebte, hatte ebenfalls eine Passage erworben und alle Bedingungen erfüllt, die man vorausgesetzt hatte. Er hatte fast zweihundert Dukaten, Reserveproviant und Kleidungsstücke bei sich. Und auch die fünfzig Dukaten für die Passage ins Heilige Land hatte er bereits bezahlt.

Luigi war zwar ein frommer Mann, doch das viele Geld hätte er allein nie zusammengekriegt, und so hatte er hier und da ein bißchen geklaut.

Das Klauen sah er in seinem Fall als guten Zweck an, denn er war ein kranker Mann, der an einer rätselhaften Krankheit litt.

Er hatte sämtliche Heiligen angerufen, sogar Judas Thaddäus, den Nothelfer für hoffnungslose Fälle, damit sie ihn von der Krankheit heilten, doch sie alle hatten sich abgewandt – St. Blasius, die heilige Cäcilie, Christopherus, Katharina, Margarete und Santa Barbara, obwohl die für ihn gar nicht zuständig war.

Schließlich hatte er sich einem „ausländischen“ Heiligen anvertraut. Das war San Antonio, der für verlorene Gegenstände zuständig war. Er wurde auch in liebevoller Verzärtelung Santito genannt.

Luigi war durch eine Wahrsagerin auf ihn aufmerksam geworden. Sie hatte ihm für ein Scherflein gesagt, welcher Heiliger ihm für seine ganz speziellen Geschäfte am günstigsten gesinnt sei, eben jener Santito, der bei Spitzbuben, Räubern, Einbrechern und sogar Raubmördern schon mal ein Auge zudrücke und seinen göttlichen Schutz nicht versage.

Allerdings wurde vorausgesetzt, daß man ihn genügend anbetete und ihm Kerzen und andere gute Opfergaben zu Füßen legte.

Luigi war das nur recht, und so hatte er sich mit seinem Heiligen schon recht bald angefreundet, denn der hatte einen ganz besonderen Vorteil. Er hielt sich vorwiegend in Mexiko auf, und so hatten die Opfergaben mehr symbolischen Charakter, denn Luigi konnte ja nicht wegen jeder Kerze nach Mexiko reisen. Er wußte auch gar nicht, wo das überhaupt lag.

Seine Kerzen spendete er dann zu Hause, und nach jedem Opfer war er sicher, daß er den geplanten Raubzug begehen konnte, selbst wenn drei Polizisten oder Gardisten in der Nähe herumstanden.

Anfangs brach er in die Palazzi reicher Bürger ein, doch viele von ihnen hielten scharfe Hunde, und gegen die richtete selbst Santito nichts aus, denn die Köter bissen schneller zu, als der Heilige seine Hand dazwischenschieben konnte.

Dann verlegte er sich auf Taschendiebstahl, und da paßte sein Heiliger scharf auf und war ständig um ihn herum. Luigi wurde nur zweimal erwischt – ein beachtlicher Umstand bei etwas mehr als tausend Diebstählen.

Nachdem er schon einen Beutel Dukaten zusammengeklaut hatte, ging er wieder zu der Wahrsagerin. Er fühlte sich schlapp und müde, ausgemergelt und krank, und jeder Dottore hatte nur mit den Schultern gezuckt, ihm drei Dukaten abgeknöpft und ihm dann eine Mixtur verschrieben, die gar nichts bewirkte, außer, daß sie einen Dukaten kostete und es dem Quacksalber immer besser ging und ihm, Luigi, immer schlechter.

„Dir hilft nur noch eine Pilgerfahrt ins Heilige Land, Luigi, sonst hilft dir gar nichts mehr. Wenn du aber erst in Jerusalem bist, wirst du sofort geheilt, das ist ganz sicher, so sicher, wie ich für meine Voraussage drei Dukaten erhalte.“

„Bist du ganz sicher?“ fragte Luigi.

Die Wahrsagerin deutete auf die Kugel vor ihrem Tisch, die in allen nur denkwürdigen Farben schillerte.

„Ganz sicher“, erwiderte sie. „Der magische Nebel lügt nicht. Du mußt ins Heilige Land reisen, nur dort wirst du Hilfe erfahren.“

Luigi kaufte sich ein sackartiges Gewand mit Kapuze, erwarb eine Passage nach Jaffa und stellte sich geduldig in der endlosen Schlange der Wartenden auf.

Vor ihm standen mindestens vierzig schweigsame Mönche, die ebenfalls geduldig warteten.

Bald wurde Luigi die Zeit zu lang, und er begann sich zu langweilen.

Mal sehen, was so ein Betbruder in seinen frommen Taschen hat, dachte er. Die können ja auch nicht blanko ins Gelobte Land reisen.

Es war erstaunlich viel, was er da unbemerkt zutage förderte. Einer der frommen Pilger trug seine Geldkatze recht sorglos mit sich herum. Ein zweiter hatte Dukaten lose in der Tasche. Ein anderer trug sie in einem Schnupftuch spazieren, und wieder ein anderer glaubte ganz schlau zu sein und hatte sie sich in einem Lederbeutel um den Hals gehängt.

 

Na, viel gelernt haben die frommen Pilger in ihrem Leben aber noch nicht, dachte Luigi. Jetzt werden sie um eine Erfahrung reicher sein.

Es waren schöne blitzende Dukaten, die mit heiligen Bildern geschmückt waren. Auf einer war der heilige Markus zu sehen, wie er dem knienden venezianischen Dogen Francesco Foscari, der vor weniger als zweihundert Jahren regierte, seine Standarte überreichte.

Etliche Dukaten trugen die Inschrift: „Sit tibi Christe datus quem te regis iste ducatus.“

Mit diesem erbeuteten Geld der frommen Brüder hätte Luigi ein paarmal ins Heilige Land reisen können, doch es kam alles anders, und ganz Venedig sollte wegen Luigi Batiste fast kopfstehen.

Das Gewimmel war beängstigend. Überall wurde geschubst, gestoßen und heimlich getreten, damit auch jeder nur rechtzeitig seinen Platz in der qualvollen Enge erreichte.

Luigi hielt sich mitten zwischen den Mönchen auf. Da fühlte er sich am sichersten. Denn wenn jetzt einer Zeter und Mordio schrie, daß man sein Geld entwendet habe, dann würde ihm das keiner zutrauen und auch keiner beweisen können. Der Lederbeutel des einen lag mittlerweile leer im Wasser, die Geldkatze schwamm ebenfalls irgendwo herum, und das Schnupftuch hatte Luigi dem Mönch wieder in die Kutte geschoben. Vielleicht brauchte er es ja noch, um seine Tränen zu trocknen.

Die Männer der Besatzung und auch einige Soldaten begannen jetzt damit, die Pilger nach Waffen zu durchsuchen. Bei einigen wurden lange Messer gefunden, obwohl vorher noch einmal ausdrücklich auf das Verbot hingewiesen worden war. Die Messer wurden auf einen Haufen geworfen, und der Träger erhielt eine Maulschelle oder einen Tritt.

Bei Luigi fanden sie nichts, und so wurde er weitergeschoben. In aller Ruhe sah er sich die Galeere an.

Sie hatte drei Masten mit großen Segeln und unglaublich viele Ruderbänke. Auf dem achteren Deck befand sich ein großer Baldachin, wo etliche Uniformierte herumstanden. Ganz vorn, an einem Flaggemast, war eine Fahne mit einem großen Kreuz befestigt.

Luigi wurde weiter nach vorn gestoßen. Er befand sich jetzt bereits auf dem Deck der riesigen Galeere, und damit in der Reihe derer, die ein Feldscher untersuchte.

Entsetzt sah Luigi, daß ein ziemlich dürrer Kerl mit Pockennarben im Gesicht sofort zurückgewiesen wurde.

„Kranke werden hier nicht befördert!“ schrie ihn der Feldscher an. „Zurück an Land mit dir, aber schnell!“

„Ich habe meine Passage bezahlt“, kreischte der Dürre.

Auf einen Wink des Feldschers griffen zwei andere Männer zu, und als sich der Pockennarbige verzweifelt wehrte, warfen sie ihn kurzerhand ins Wasser.

Luigi zog sich die Kapuze über das Gesicht. Ihm war ganz elend zumute. Ganz sicher bestand er die Untersuchung auch nicht, und er würde nie ins Heilige Land gelangen, denn ein guter Arzt würde ihm sofort ansehen, daß er krank war.

Was blieb also zu tun? Sich an den Feldschern vorbeimogeln?

Das war die beste Möglichkeit. Er trat unauffällig zwei Schritte aus der Reihe und gab sich ganz fröhlich.

„Hallo, Bruder Flavius!“ rief er. „Ich bringe dir das Brot!“

Da war natürlich kein Bruder Flavius, obwohl sich ein paar Kerle neugierig umdrehten, als Luigi mit strahlendem Lächeln auf sie zuging.

Der Feldscher, ein grauhaariger Mann, fiel jedoch nicht darauf herein. Er hatte wohl schon sehr üble Erfahrungen mit Pilgern hinter sich und ließ sich nicht mehr leimen.

„Halt!“ donnerte er Luigi an. „Hiergeblieben! Erst ist die Kontrolle fällig, Bruder.“

„Aber ich war doch bereits durch und bin nur noch einmal zurückgegangen“, sagte Luigi erstaunt. „Sie haben mich doch schon untersucht.“

Der Grauhaarige grinste dünn, und als Luigi weitergehen wollte und dabei entschuldigend grinste, griff er blitzschnell nach seinem Arm.

„Hiergeblieben!“ wiederholte er scharf.

Der schwächlich gebaute Luigi konnte sich aus dem harten Griff nicht befreien.

Der Feldscher griff nun auch mit der anderen Hand zu und riß Luigi mit einem Ruck die Kapuze herunter.

„Warum versteckst du dein Gesicht, Bruder?“ fragte er dabei.

Verzweifelt versuchte Luigi, die Kapuze wieder hochzuziehen. Es war zu spät, sie war schon herunter.

Der Feldscher wechselte die Gesichtsfarbe und wurde sehr blaß. Er schluckte hart, als er Luigis Gesicht sah und konnte den Blick nicht mehr abwenden. Fassungslos starrte er ihn an.

Das Gesicht war auf eine seltsame Art verfärbt. Es war bläulich, fast düsterblau, mit kleinen blutigen Beulen und dunklen Flecken übersät.

Der Feldscher wollte etwas sagen, brachte jedoch vor Entsetzen und Schreck keinen Ton heraus. Er hatte den Arm sinken lassen und starrte nur noch wie gebannt in dieses Gesicht, das mehr einer totenähnlichen Fratze glich.

Deshalb also hatte der fromme Mann sein Gesicht verborgen und wollte sich an der Kontrolle vorbeimogeln. Dem Feldscher ging ein Licht auf, als er aus seiner Erstarrung erwachte.

Kein Zweifel – dieser Pilger hatte die Pest! Innerhalb kürzester Zeit würde er alle anderen auf der Galeere anstecken. Sie würden Jaffa nur noch als Tote erreichen.

Alle anderen auf der Galeere? Wie betäubt sann der grauhaarige Feldscher seinen unausgesprochenen Gedanken nach.

Nein, dieser Kerl würde ganz Venedig mit der Pest anstecken. Eine Epidemie unvorstellbaren Ausmaßes würde über die Stadt hereinbrechen. Die tödliche Pestwolke würde weiter über das Land ziehen und Tausende und Hunderttausende dahinraffen.

„Was ist denn los?“ brummte einer der Mönche ungehalten, als es nicht mehr weiterging und der Feldscher wie gelähmt dastand.

Luigi hatte inzwischen den Augenblick genutzt und die Kapuze wieder über sein Gesicht gezogen. Er traute sich nicht, einfach davonzulaufen, wie er es im ersten Moment vorgehabt hatte.

„Gar nichts“, sagte er hastig. „Dem Mann ist nur schlecht geworden. So was kann schon mal passieren.“

Als sich die Aufmerksamkeit jetzt auf ihn und den Feldscher zu konzentrieren begann, kriegte er jämmerliche Angst und suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Auf der Galeere konnte er sich nicht mehr verstecken, zurück konnte er aber auch schlecht, denn da drängten sich unvorstellbare Massen von Pilgern, die ungeduldig schoben und drückten.

Er war eingekeilt in einer schiebenden, murmelnden und schwitzenden Menge, die wie eine Woge hin und her brandete.

Einem der Galeerenoffiziere ging es jetzt wohl auch zu langsam, als der Menschenfluß ins Stocken geriet. Mit beiden Ellenbogen bahnte er sich einen Weg durch die Menge, indem er die Pilger hart zur Seite stieß.

Luigi tauchte zwischen den Mönchen unter und wand sich wie ein Aal durch die vielen wogenden Leiber. Aber die Mönche, selbst verärgert über das Gedränge, schubsten Luigi mit ihren feisten Bäuchen erbarmungslos zurück, bis er wieder vor dem Feldscher landete, der sich jetzt dem Offizier zuwandte und offenbar seine Fassung zurückgewonnen hatte.

„Was ist denn hier los?“ fragte der Offizier ungehalten. „Warum gerät hier alles ins Stocken? Wir wollen nachmittags auslaufen, und bis dahin müssen alle ihre Plätze eingenommen haben.“

„Ich weiß, Signore, aber dieser Mann hier ist krank, sehr krank.“

Er griff erneut nach Luigi, der einen Fluchtweg anpeilte und keinen fand. Wieder fiel die Kapuze.

„Der hat die Pest!“ brüllte der Offizier voller Panik, kaum daß er einen Blick in das aufgedunsene und bläuliche Gesicht geworfen hatte.

Der Feldscher war verärgert über den Offizier. Er hatte sich absichtlich bei der Erwähnung der Krankheit zurückgehalten und wollte ganz diskret darauf hinweisen, aber dieser Trottel von einem Offizier geriet sofort in Panik und brüllte es laut in die Welt hinaus.

Aber er konnte ihn nicht tadeln, denn der Offizier war sein Vorgesetzter, der sich jegliche Einmischung verboten hätte. Außerdem hatte er als Vorgesetzter sowieso immer recht.

Auf der Galeere wurde es von einem Augenblick zum anderen totenstill. Köpfe fuhren herum, Gesichter starrten mit erschreckten Augen auf den Offizier, der die Hand wie anklagend gegen Luigi erhoben hatte.

Die Menge der Pilger ähnelte einer Woge, die ganz plötzlich zu Stein erstarrt war.

Das dauerte jedoch nur einige Augenblicke, dann begann sich schlagartig alles zu ändern.

Der Kapitän unter dem Baldachin des Achterdecks und weitere in bunte Uniformen gekleidete Gestalten ruckten wie Marionetten herum, deren Fäden wieder bewegt wurden.

Durch die Menge ging ein Raunen, dann ein heftiges Murmeln und endlich ein erschreckter Schrei.

Die Pest!

Einen schlimmeren Ausruf konnte es nicht mehr geben. Das Wort fuhr den Pilgern wie ein glühendes Messer in die Knochen, veränderte ihre Gesichter, ließ sie panikartig zusammenfahren.

Die Mönche bewegten sich aufgeregt, während ein paar andere, die noch auf der riesigen Stelling standen, sich sofort umdrehten und an Land flüchteten, als sei der Satan hinter ihnen her.

Luigi, dem der Feldscher die Kapuze herabgerissen hatte, stand ganz allein an Deck. Eine rücksichtslose Menge schlug um sich und entfernte sich von dem Pestkranken, um nur ja schnell aus dessen gefährlicher und lebensbedrohender Nähe zu gelangen.

Da stand Luigi Batiste mit seinem bläulich verfärbten, aufgedunsenen und schrecklich anzusehenden Gesicht, allein, ganz plötzlich isoliert von den anderen, die ihn eben noch wie eine schützende Mauer umgeben hatten.

Jetzt waren sie alle seine Feinde, Todfeinde, denn er war ein Aussätziger, einer, der den anderen auch den Tod brachte.

Rücksichtsloses Gedränge begann. Jeder wollte die Galeere so schnell wie möglich verlassen. Vielleicht hatte der Kerl die anderen ja noch nicht angesteckt, und so bestand einige Hoffnung, doch noch rechtzeitig zu entwischen.

Der Offizier schrie den Feldscher an. Der Feldscher schrie zurück, und dann wurden beide in dem Gedränge fast überrannt, und ihr Geschrei ging im wilden Gebrüll derer unter, die jetzt Angst hatten, ebenfalls die Pest zu kriegen.

Die Gruppe der Mönche begann sich um den Rückzug zu prügeln.

Der Offizier fuchtelte mit den Armen herum.

„Schießt ihn ab, den Bastard!“ brüllte er. „Bringt ihn um, sonst kriegen wir alle die Pest!“

Aber da war niemand, der schießen konnte, denn das Gedränge war viel zu groß.

Luigi rannte los, den Mönchen nach. Er hatte wahnsinnige Angst, denn Wut und Haß, Angst und Feigheit war um ihn herum, Getrampel, Geschiebe und Gedränge. Dazwischen lautes Lamentieren.

Zwei Mönche behinderten sich auf der Stelling, so daß sie aufeinanderprallten, das Gleichgewicht verloren und ins Wasser fielen. Mit einem lauten Aufklatschen und wildem Geschrei landeten sie dicht neben der Galeere im Wasser und brüllten um Hilfe.

Niemand kümmerte sich um sie.

Die ersten, die die Stelling überwunden hatten, rannten einfach los. Es war ihnen egal, wohin Sie rannten, sie wollten nur weg und so viele Meilen wie möglich zwischen sich und den Pestkranken bringen.

Es war erstaunlich, in welch kurzer Zeit sich der Vorfall am Hafen herumsprach, und es war noch erstaunlicher, wie die Stadtgarde darauf reagierte.

Als das Gebrüll von dem Ausbruch der Pest bis zur Piazza hinüberhallte, war bereits ein Trupp Bewaffneter unterwegs.

Die Flüchtenden wurden brutal zurückgetrieben. Die Stadtgardisten droschen ihnen die Kolben der Musketen ins Kreuz und jagten sie in Richtung der Galeere.

Ein zweiter Trupp erschien und riegelte innerhalb kurzer Zeit den Liegeplatz der Galeere ab. Gleich darauf erschien noch ein dritter Trupp Stadtgardisten. Sie hielten Pistolen in den Fäusten.

„Alle zurück auf die Galeere!“ schrie ein schlanker Mann in der Uniform eines Hauptmanns. „Wer nicht gehorcht und augenblicklich zurückkehrt, wird erschossen!“

Ein paar Warnschüsse bewirkten, daß die Flüchtenden wie angenagelt stehenblieben und unschlüssig wurden. Sofort drängten die Gardisten nach, hieben auf die Pilger ein und drängten sie ab, damit sie die Seitenstraßen nicht mehr erreichen konnten.

Die ersten Pilger stolperten schreckensbleich über die Stelling.

Kapitän und Offiziere stellten sich den Gardisten entgegen. Der Galeerenkapitän, ein temperamentvoller schwarzhaariger Mann, fuchtelte mit den Armen in der Luft herum und versuchte, sich Gehör zu verschaffen.

 

„Zurück an Bord!“ befahl der Hauptmann. „Keiner verläßt das Schiff. Wer es doch tut, widersetzt sich der Anordnung. Ich habe Befehl, sofort das Feuer zu eröffnen.“

„Aber ich bin der Kapitän!“ schrie der Mann. „Ich dulde keine Pestkranken an Bord. Nehmt den Kerl mit, er muß sich noch irgendwo an Bord aufhalten.“

„Niemand verläßt das Schiff“, wiederholte der Hauptmann scharf. „Sobald alle Pilger an Bord sind, werden Sie auslaufen.“

„Ich denke nicht daran, mit einem Pestkranken an Bord auszulaufen!“ schrie der Kapitän. „Das ist mein Schiff, und ich bestimme …“

Der Hauptmann richtete seine Pistole auf ihn.

„Mein letztes Wort“, sagte er kalt. „Sie laufen sofort aus, sobald der letzte Mann an Bord ist, oder die Galeere braucht einen neuen Kapitän.“

Unter lautem Geschrei würden die Pilger an Bord geknüppelt. Der Kapitän mußte gehorchen, ihm blieb keine andere Wahl, denn jetzt richteten sich noch mehr Pistolen auf ihn.

„Keine Schwierigkeiten“, warnte der Hauptmann. „Es ist besser, wenn auf dem Schiff die Pest ausbricht, als wenn sie die ganze Stadt überschwemmt. Nicht auszudenken wäre das. Wo ist der Kerl?“

Der Kapitän zuckte verstört und verärgert mit den Schultern.

„Wahrscheinlich ist er längst an Land“, sagte er.

„Eben haben Sie das Gegenteil behauptet.“

Die beiden im Wasser zappelnden Mönche wurden aufgehievt und auf den Kai gezogen. Sie schnauften heftig und bestritten, als Pilger auf die Galeere gegangen zu sein.

Doch die Ausrede half ihnen wenig. Die frommen Brüder mußten an Bord, ob sie wollten oder nicht. Man zwang sie dazu. Ihr Lamentieren verhallte ungehört.

Vom Osten her, wo sich das gewaltige Arsenal befand, näherte sich unter langsamen Riemenschlag eine venezianische Kriegsgaleere, die dort in Bereitschaft lag. Sie war von den Stadtgardisten sofort alarmiert und in Marsch gesetzt worden.

Es war eine neuerbaute Galia sottil, eine schmale Galeere, die schnell und sehr wendig war. Sie trug einen eisenbeschlagenen Rammsporn und hatte eine weit ausladende Enterbrücke. Genau auf der Mittellinie des Vordecks war eine gewaltige, fast fünftausend Pfund schwere Kanone montiert. Das Geschützrohr war viereinhalb Yards lang und mit Eisenschrott geladen. Die Kanone wurde meist im letzten Augenblick und aus unmittelbarer Nähe abgefeuert. Die Wirkung war dementsprechend verheerend.

Sie trug aber auch noch kleinere Geschütze, bronzene Halbschlangen, mit langem schmalen Rohr, die zwölf Pfund schwere Eisenkugeln verschießen konnten. Hinzu kamen etliche Rohre auf Drehgabeln, und beiderseits des achteren Decks standen auf Pfosten montierte Moschettes, Hinterlader zur Abwehr von Feinden, die hier zu entern versuchten.

Das schwimmende Monstrum von annähernd vierzig Yards Länge und nur fünf Yards Breite war eine waffenstarrende schwimmende Festung. Sie wurde von Ruderern angetrieben, die in Dreierreihen nebeneinander auf den Bänken saßen. Genau zwölf Dutzend hervorragend ausgebildete Männer ruderten die Kriegsgaleere, die noch zusätzlich durch ein riesiges Lateinersegel bewegt werden konnte.

Dieses Monstrum glitt jetzt unaufhaltsam heran und nahm Kurs auf die Galeere der Pilger.

Sofort legte sich die Panik, denn angesichts des gewaltigen Rohres wußte jeder sofort, was ihnen blühte, wenn sie die Befehle der Stadtgarde nicht befolgten.

Die letzten Pilger wurden an Bord getrieben. Sie stolperten mehr, als sie gingen, und zogen das Genick ein.

„Nehmen Sie die Stelling an Bord!“ rief der Hauptmann scharf. „Danach legen Sie sofort ab. Das Kriegsschiff wird Sie bis auf die See eskortieren.“

„Eskortieren?“ rief der Kapitän höhnisch. „Sie jagt uns aus dem Hafen, und wir können sehen, wie wir mit der Pest an Bord fertig werden, so ist es doch!“

„Keine Widerrede. Ablegen!“

„Meine Ruderer sind noch nicht alle an Bord“, sagte der Kapitän. „Sie werden erst in ein paar Stunden da sein. Unser Auslaufen war auf den Nachmittag festgelegt.“

„Sie haben genug Leute an Bord. Die paar Ruderer, die noch fehlen, können sie aus den Pilgern rekrutieren. Die Kerle sehen gesund und kräftig aus. Es wird ihnen nicht schaden, sich ein wenig zu betätigen.“

Zähneknirschend gab der Kapitän nach.

„Stelling einholen!“ schnappte der Kapitän.

Die große Stelling wurde von scheu und verschüchtert wirkenden Männern eingeholt, an Bord genommen und verzurrt.

Das Ablegen ging ebenfalls sehr schnell vonstatten. Ein paar Stadtgardisten halfen mit und warfen die Leinen los. Sie konnten die Galeere gar nicht schnell genug loswerden.

Erleichtert atmeten alle auf, als die Ruderer zu den Riemen griffen und das Pilgerschiff ablegte.

Die Stimmung an Bord war gedrückt. Keiner muckte auf. Manche hielten nur verstohlen Ausschau nach dem Pestkranken, doch der schien wie vom Erdboden verschwunden zu sein.

Die Kriegsgaleere folgte mit langsamem Riemenschlag dem Pilgerschiff. An der großen Kanone standen sechs Männer wie zufällig herum.

„Ein Glück für uns“, sagte der Hauptmann. „Die verdammten Pilger sind wir los. Hoffentlich hat dieser Kerl keine weiteren Leute mit seiner tödlichen Krankheit angesteckt.“

Er versammelte ein paar höhere Chargen um sich und hielt ihnen einen längeren Vortrag.

„Vor allem darf nichts durchsickern. Für den Handel unserer Stadt hätte das katastrophale Folgen, die in ihrer ganzen Tragweite nicht zu überblicken sind. Venedig wäre dem Untergang geweiht. Kein Schiff würde unsere Stadt mehr anlaufen. Es muß strengstes Stillschweigen über diesen Vorfall bewahrt werden.“

„Vielleicht breitet sich die Seuche inzwischen schon aus“, gab einer zu bedenken. „Es besteht auch die Möglichkeit, daß die Mannschaft irgendeines Schiffes die Krankheit eingeschleppt hat. Bei uns waren in den letzten Jahren keinerlei besorgniserregende Krankheitsfälle aufgetreten, schon gar nicht die Pest. Man sollte schleunigst den Hohen Rat unterrichten.“

„Man sollte auch die fremden Handelsfahrer einer genauen Kontrolle unterziehen“, sagte ein anderer. „Ich schlage vor, daß die Stadtgarde und die Miliz zusammen die Schiffe durchkämmen.“

„Das muß der Rat entscheiden.“ Sehr erleichtert blickten sie der Galeere nach. Was sich dort an Bord abspielte, interessierte den Hauptmann und seine Chargen nicht weiter. Sie hatten schnell und übersichtlich gehandelt, und der Hauptmann hatte das auf seine Verantwortung genommen. Niemand würde ihm etwas vorwerfen. Im Gegenteil – vielleicht konnte er sogar mit einer Beförderung rechnen, denn immerhin hatte er die Stadt vor dem Ausbruch der am meisten gefürchteten Krankheit gerettet. Davon war er selbst felsenfest überzeugt.

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