Seewölfe - Piraten der Weltmeere 603

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 603
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-96688-017-6

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Fred McMason

Das Schiff aus dem Nebel

Der Nebel schluckt alle Geräusche – nur das Aufbrüllen der Kanonen nicht

April 1598 – norwegische Küste.

Die beiden Fischer Olaf und Knut Thorsten blickten irritiert von ihrer Arbeit auf und sahen sich um.

Nebelfetzen waberten über dem Wasser, bizarre Gebilde schoben sich über die Dünung, Gespensterköpfe tauchten auf, veränderten sich und verschwammen wieder zu unheimlichen anderen Gestalten, die nichts Menschliches an sich hatten.

Als Fischer waren sie an den Nebel gewöhnt. Er gehörte zu ihrer harten Arbeit wie Kabeljau und Hering, von denen sie bereits einen knappen Zentner gefangen hatten.

Aber diesmal war der Nebel anders – unheimlicher, denn er war an einer Stelle nicht grauweiß, sondern fast schwarz, obwohl es heller Vormittag war.

Da waren eigenartige Konturen in diesem dunklen Nebel, etwas langgestreckt Fließendes, das über die See kroch und sie ängstigte. Es war so ganz anders als sonst.

Nach einer Weile glaubten sie dumpfe Stimmen zu hören, dann ein heiseres Knarren und Ächzen, das Plätschern von Wasser.

Ein riesiger Körper kroch aus dem Nebel – ein Geisterschiff …

Die Hauptpersonen des Romans:

Thorfin Njal – der Wikinger wird von einer Karavelle zum Narren gehalten und erlebt eine unliebsame Überraschung.

Siri-Tong – die Rote Korsarin warnt den nordischen Portermann, aber der ist mal wieder auf beiden Ohren taub.

Cookie – das schmierige Köchlein auf „Eiliger Drache über den Wassern“ versucht seinen Kapitän zu beschummeln und hat die Folgen im Haar zu tragen.

Knut Thorsten – fischt mit seinem Bruder Olaf vor der norwegischen Küste, und sie begegnen einem Geisterschiff.

Philip Hasard Killigrew – der Seewolf erlebt auch eine Überraschung, als er einem Kerl, der nächtlich die Schebecke entert, die Faust unters Kinn hämmert.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Die beiden Fischer waren keine furchtsamen Naturen, aber sie waren abergläubisch wie die meisten Fischer und Seeleute. Daß die See ihre Geheimnisse barg, das wußten sie, aber mitunter wurde so ein Rätsel gelöst, wobei sich auch eine meist einfache Erklärung fand.

Diesmal schien es keine einfache Erklärung zu geben, denn das „Ding“ war zu unheimlich und zu fremd.

Dem vier Jahre jüngeren Olaf kroch eine Gänsehaut über den ganzen Körper, und er fühlte, wie sich seine Nackenhaare langsam aufzurichten begannen.

Knut, der ältere von beiden, schluckte hart und versuchte mit seinen Blicken den Nebel zu durchdringen. Sie sahen sich kurz und schweigend an und ließen sich dann vorsichtig auf der Ducht des kleinen Kahns nieder. Dabei tastete Knut nach einer Aalgabel.

Es kroch weiter aus dem Nebel auf sie zu, dieses schwarze, immer größer, immer verzerrter und unheimlicher werdende Gebilde, das monströse Ausmaße annahm.

Vor dem Ding wuchs eine helle Nebelwand in die Höhe, einer quellenden Rauchwolke vergleichbar. Dampf, der aus dem Meer brodelte wie aus einem gigantischen Kessel. Das alles verschmolz jetzt zu einem in den Himmel wachsenden Schatten, dessen Dimensionen man nicht mehr beurteilen oder abschätzen konnte.

Keiner der beiden rührte sich. Sie hockten nur da und starrten in die wallenden Vorhänge. Knuts Arm mit der Aalgabel war wie erstarrt.

Wieder waren die geisterhaften Stimmen zu hören, dann das entsetzliche Knarren und Ächzen, als wälze sich ein verwundetes Untier hilflos über das Meer.

„Nimm das Ding weg“, flüsterte Olaf mit zuckenden Lippen und deutete auf die Aalgabel. „Es ist besser, wir sind unbewaffnet. Dann tut es uns vielleicht nichts.“

„Es“ schob sich noch näher heran. Die verzerrten Geräusche waren deutlicher zu hören. Das Untier schien zu schmatzen und zu keuchen. Es zerteilte das Wasser mit mächtigen Armen. So wie die Nebel den schattenhaften Umriß vergrößerten oder verzerrten, schien es direkt auf sie zuzugleiten.

Knuts Arm mit der Aalgabel senkte sich langsam. Vielleicht war es wirklich besser, das unbekannte Etwas nicht mit einer Art Waffe zu provozieren. Die Aalgabel war außerdem ein lächerliches Ding, mit dem er nicht viel ausrichten konnte.

Der schwarze Nebel ragte jetzt wie ein Turm vor ihnen auf. Zwischen der unheimlichen Schwärze waberten weiße Riesenköpfe, die immer wieder ihre Form veränderten.

Ihre Blicke saugten sich angstvoll an dem Ding fest. Sie starrten so angestrengt in den Nebel, daß sich rote Kreise vor ihren Augen bildeten.

Dann war das Ding urplötzlich weg, verschwunden in einer quirligen Wolke aus Dampf, der alles mit sich nahm.

„Was war das?“ fragte Knut tonlos. „Ich glaube, es stieg von ganz tief unten aus dem Meer auf. Aber ich habe es nicht erkennen können.“

„Es war der Satan persönlich“, hauchte Olaf. „Unser Großvater hat gesagt, daß er alle zehn Jahre erscheint. Er reitet auf einem riesigen Schwefelfaß und verschlingt alles, was in seiner Nähe ist. Los, wir setzen die Fock und verschwinden schnell.“

Die Angst und das Grauen vor dem Unbekannten stand immer noch in ihren Gesichtern, als sie die Fock klarierten. Knut übernahm die Pinne, dann segelten sie in aller Eile weiter, so schien es jedenfalls. Der Wind wehte jedoch nur schwach, und nach einer Weile, die ihnen wie eine Ewigkeit erschien, wurde das Segel schlaff.

Sie hatten nicht die geringste Ahnung, wie weit sie von dem „Ding“ entfernt waren.

Mit angespannten Sinnen lauschten sie weiter angstvoll in den Nebel, der immer dichter wurde.

„Es – es taucht wieder auf“, flüsterte Knut. „Ich spüre es ganz deutlich. Es ist wieder in unserer Nähe. Wir können vor dem Teufel nicht fliehen.“

Ja, da war es wieder, das anfangs ferne Raunen und Ächzen, das jetzt fast unmerklich anschwoll. Alles schien sich zu wiederholen. Das Ding kreuzte erneut ihren Kurs, oder sie trieben darauf zu.

Zuerst wollten sie nach den Riemen greifen, um aus der Gefahrenzone zu pullen. Dann unterließen sie es, denn der Riemenschlag würde in dieser entsetzlichen Stille nur Aufsehen erregen. Sie blieben auf der Ducht sitzen und hofften, daß das Ding endlich vorbeiglitt, ohne daß sie jemand bemerkte.

Es kam jedoch alles ganz anders, als sie dachten.

Der Nebel verfinsterte sich wieder und wurde fast pechschwarz. Auch die riesige Wand war wieder da. Ein Poltern war zu hören, dann verzerrte Stimmen, die der Nebel zerfaserte.

Knut und Olaf Thorsten wurden immer kleiner. Die Fischer hockten wie verängstigte Kinder auf der Ducht und starrten leichenblaß in den fürchterlichen schwarzen Nebel. Seine Ausmaße wurden noch gewaltiger.

Vier schwarze Säulen schoben sich aus dem Nebel. An den Säulen hingen gewaltige Rahen, und an diesen Rahen bewegten sich schwach Tücher, von denen feuerspeiende Drachenköpfe stierten. Diese monströsen Drachenschädel spien gewaltige Flammenzungen nach allen Richtungen. Das alles war wie ein Spuk, aber dieser Spuk zog keinesfalls lautlos an ihnen vorbei. Da waren Stimmen, Flüstern, ein unheimliches Raunen, das sich mit Knirschen, Ächzen und Knarren vermischte. Außerdem war da noch das unheimliche Gurgeln und Schmatzen von Wasser.

Das Geisterschiff – jetzt schwarz wie die Nacht – schob eine Welle vor sich her, die sich wie ein Rauschebart auftürmte und immer größer zu werden schien.

Olaf schloß für ein paar Augenblicke krampfhaft die Augen, um das entsetzliche Bild fortzuwischen. Als er sie wieder öffnete, war alles nur noch schlimmer geworden.

Dieses Satansschiff schien den Nebel mit sich zu nehmen, denn er zog in einem riesigen Schleier mit dem Schiff fort. Hin und wieder riß der Nebel jedoch an einigen Stellen etwas auf, und da sahen sie zum ersten Mal die grauenhaften Gestalten an Bord.

Einige von ihnen schienen ohne Leben zu sein – Verdammte, die dazu verurteilt waren, ruhelos über das Meer zu ziehen, oder Diener des Satans, die zur Bewegungslosigkeit erstarrt waren.

Sie wußten nicht einmal, ob sie von den Gestalten bemerkt wurden, denn niemand war neugierig oder starrte sie direkt an. Diese Diener des Teufels schienen leblose Marionetten zu sein.

Für die Thorsten-Brüder war das alles wie ein fürchterlicher Alptraum, aus dem es kein Erwachen gab. Ewigkeiten lang sahen sie das unheimliche Schiff und seine leblose Besatzung. Das schwarze Schiff zog in einer fließenden Bewegung ganz dicht vorbei und nahm dabei gewaltige Nebelmengen mit sich, oder aber der Nebel stammte direkt von dem Schiff, so genau ließ sich das nicht unterscheiden. Es ließ sich überhaupt nichts mehr unterscheiden, denn die ganze Welt war angefüllt von diesem grauenhaften Schiff.

 

Das Schlimmste folgte aber noch, als sie das Achterdeck des Geisterschiffes sahen. Den beiden Fischern setzte fast das Herz aus. Durch ihre Adern lief Eiswasser.

Auf diesem Achterdeck, wo ebenfalls alles in Schwarz gehalten war, hockte auf einem gewaltigen Thron oder Sessel der Teufel selbst. Es konnte niemand anderer sein, das stand für die Fischer fest.

Natürlich hatte er wieder eine seiner vielfältigen Verkleidungen gewählt, damit ihn niemand auf Anhieb erkannte. Auch davon hatte der Großvater der beiden Brüder immer zu berichten gewußt.

Seine Hörner hatte er geschickt unter einem gewaltigen Helm aus poliertem Kupfer verborgen, damit sie niemand sah. Und einen rötlich-grauen riesigen Bart hatte er sich ebenfalls zugelegt. Der Unheimliche war in rauchgraue Felle gehüllt und hatte die mächtigen Arme auf die Lehnen des Sessels gestützt. Er trug die gleichen Riemensandalen wie die alten Wikinger, und er hatte auch ein großes Schwert an seiner Hüfte.

Seine Augen blitzten wild, als er durch den Nebel blickte. Er schien das einzige Wesen an Bord zu sein, das sich bewegte. Aber das war schließlich auch kein Wunder.

Dieser Teufel in fast menschlicher Gestalt warf ihnen einen sehr nachdenklichen Blick zu, und es gab gar keinen Zweifel daran, daß er sie bemerkt hatte.

Die beiden krochen noch tiefer auf ihrer Ducht zusammen. Ihre Herzen schlugen wie ein Hammerwerk.

Noch zwei weitere Kerle standen bewegungslos und wie schwebend in dem Nebel herum. Sie glichen dem Satan in der Statur und hatten eine gewisse Ähnlichkeit miteinander, aber sie trugen keine Helme. Dann entdeckten sie noch einen dritten mit einem auffallend langen Gesicht.

Der unheimliche Spuk zog jetzt rasch vorüber. Die Drachenköpfe auf den Segeln spien noch einmal gewaltige Flammen und bewegten sich dabei.

Dann war nur noch der in schwarzen Rauch gehüllte Besanmast zu sehen und ein gewaltiges Heck, das sich brodelnd und schäumend aus der See hob.

Eine lange schwarze Nebelfahne verschluckte alles.

Knut und Olaf starrten sich benommen an. Um sie her quirlte und brodelte es, dünte die See langgezogen, tanzten unheimliche Elfen und Kobolde ihren Reigen auf dem Wasser.

Noch einmal vernahmen sie das Ächzen und Knarren, dann herrschte eine beängstigende Stille.

Ein paar Minuten vergingen schweigend. Jeder versuchte, seine Gedanken zu ordnen und über das Gesehene nachzudenken.

„Es war wahrhaftig der Teufel“, sagte Knut schaudernd. „Großvater hatte recht, er reitet auf einem riesigen Schwefelfaß, und es hat aus allen Mäulern Feuer gespien.“

„Wollen wir zum Land segeln?“ fragte Olaf beklommen. „Dorthin wird es uns nicht folgen.“

„Wir sollten lieber abwarten, damit es nicht noch einmal unseren Kurs kreuzt oder wir den seinen. Bleiben wir lieber noch hier. Ich habe fürchterliche Angst, denn gegen den Teufel kann man sich nicht wehren.“

„Nein, das kann man nicht. Wohin mögen sie wohl segeln?“

„Sie segeln nicht, sie schweben über dem Wasser, das habe ich ganz deutlich gesehen.“

Jetzt, nachdem der Spuk vorbei war, ging ihre Phantasie mit ihnen durch. Das, was früher der Großvater zu sehen geglaubt hatte, sahen sie noch viel deutlicher, eindringlicher und ausführlicher. Und sie spannen noch mehr Garn hinzu.

Zwei Stunden später waren sie an Land und begaben sich eiligst in den nächsten Krug, um ihre erstaunliche und unheimliche Geschichte an den Mann zu bringen.

Sie fanden überall offene Ohren.

Im Krug hockten andere Fischer und Seeleute, die wegen des immer stärker werdenden Nebels nicht auslaufen konnten. Es dauerte nicht lange, dann hatten sich sämtliche Gäste um die beiden Thorsten-Brüder geschart und spitzten die Ohren. Auch der Wirt war natürlich mit dabei, und jeder wußte etwas anderes zu berichten.

Aus dem Viermaster war ein Geisterschiff geworden, mit dem Teufel an Bord, der jetzt die Küsten heimsuchen würde. An Bord hatte er Trolle, Dämonen und Kobolde, die zu Stein erstarrt waren.

Keiner der gespannten Zuhörer zweifelte an dem Schauermärchen, das immer abstraktere Formen annahm. Sie waren abergläubisch, und so wurde die Geschichte weidlich ausgeschlachtet, und jeder wußte noch etwas mehr zu berichten.

„Das Schiff aus dem Nebel war schon einmal hier, vor etlichen Jahren“, erzählte der Wirt. „Immer, wenn es nach einer gewissen Zeit wieder erscheint, gibt es ein Unglück. Ein Sturm sucht die Küsten heim und vernichtet alles, oder eine Krankheit bricht aus.“

„Oder es gibt eine Feuersbrunst“, sagte eifrig ein anderer, „wie damals, als es ganz überraschend auftauchte. Es erscheint immer in einer schwarzen Nebelwolke, und es hat so große Geschütze an Bord, daß es mit einem einzigen Schuß die ganze Welt vernichten kann.“

„Mit einem einzigen Schuß?“ fragte der Wirt entsetzt.

Die beiden Thorsten-Brüder bestätigten das sehr eifrig.

„Wir haben die Rohre gesehen“, sagte Knut. „Man kann hineinschauen wie in einen riesigen pechschwarzen Schlund. Ein ganzer Wal paßt mühelos in so ein Rohr hinein. Und ganz hinten brennt in dem Rohr ein gewaltiges Feuer.“

Auch das wurde geglaubt. Die beiden Fischer standen wegen ihres Erlebnisses im Mittelpunkt, und das schmeichelte ihnen. Natürlich erhoben sie sich auch selbst zu Helden, die unerschrocken mit der Aalgabel auf den Satan losgegangen waren.

Nach ein paar weiteren Schnäpsen und Bier war aus einem harmlosen Schiff ein weltbedrohendes Ungeheuer geworden, das die Küsten nach ahnungslosen Opfern abgraste und alles verschlang, was sich auf seinem Kurs befand.

Später, als die beiden schon so viel gekümmelt hatten, daß sie kaum noch auf den Beinen stehen konnten, war aus dem Nebelschiff ein Dämon geworden, der zweifellos vorhatte, den gesamten Norden zu verschlingen.

Ein ganz Schlauer wußte auch zu berichten, daß die alten Wikinger nach jahrhundertelangem Schlummer wieder zum Leben erwacht wären. Natürlich hatte der Teufel das bewirkt, und Knut, der alles durcheinanderbrachte, entsann, sich jetzt auch, einen Wikinger an Bord gesehen zu haben.

Damit lag er, unbeabsichtigt, fast auf dem richtigen Kurs.

2.

„Eiliger Drache über den Wassern“, der viermastige Schwarze Segler, im Jahre 1560 in China unter dem Großen Chan aus Harthölzern erbaut, wirkte auf die meisten, die ihn zum ersten Male sahen, wie ein Schock.

Das Schiff, eine gelungene Kombination zwischen einer Dschunke und einer Galeone, war schwarz wie die Nacht. Schwarz war der Rumpf, pechschwarz die Masten und Rahen, und schwarz waren die Segel, auf die feuerspeiende Drachenköpfe und andere unheimliche Gestalten genäht waren.

Der nordische Riesenschrat, Thorfin Njal, hockte auf dem Achterdeck in seinem „Sesselchen“. So jedenfalls pflegte er in liebevoller Verzärtelung jenen thronartigen gewaltigen Sitz zu nennen, der in den Planken verbolzt war und einem nordischen Götterthron glich.

Auch sein sogenanntes „Messerchen“ hing an seinem Gürtel. Das Ding war über ein Yard lang und wog knapp einen Zentner. Dieses Messerchen, von den meisten anderen kaum zu handhaben, pflegte Thorfin bei einer Auseinandersetzung mit einer Hand zu schwingen.

Der Nordmann wischte mit einer Hand über seinen rötlichgrauen Bart. Der Bart war feucht wie ein großer Lappen, denn der Nebel hatte seine Feuchtigkeit darin hinterlassen, und so schimmerten immer wieder kleine Perlen in dem gewaltigen Gestrüpp.

Der Nebel war so dicht, daß er von seinem Sesselchen aus nicht einmal das Vorschiff sah. Sein Blick reichte gerade bis zur Kuhl, wo alles in bizarren Formen und Umrissen wie in einer Waschküche verschwamm.

Den Mann, den alle den Wikinger nannten, juckte der Nebel nicht. Von seinem Sesselchen aus gab er Ruderkommandos auf seine ganz besondere eigenwillige Art, die den Rudergänger schier zur Verzweiflung trieb.

Zur Zeit stand der Stör am Ruder. Er hatte den Steuermann Barba abgelöst und fühlte sich in der dicken Suppe höchst unbehaglich, zumal er absolut nichts sah.

Der Stör, einer der fünf Wikinger, wurde so genannt, weil er ein so endlos langes Gesicht wie ein Stör hatte. Er hieß nur der Stör. Seinen wirklichen Namen kannte keiner.

Der Stör hatte zur Zeit die traurige Aufgabe, auf Thorfins gewaltigen Daumen zu peilen, den der Nordmann augenblicklich senkrecht in die Höhe hielt. Senkrecht hieß soviel wie: Kurs so halten. Gut so!

Bewegte sich dieses gewaltige Ding von einem Daumen jedoch plötzlich nach links oder rechts, bedeutete dies einen Kurswechsel nach Backbord oder Steuerbord, der jedes Mal von einem kurzen energischen Pfiff begleitet wurde.

Wer bei Thorfin am Ruder stand, konnte also beruhigt eine Weile vor sich hindösen. Der Pfiff weckte ihn, denn er war durchdringend und grell, und dann sah er immer noch rechtzeitig die Daumenbewegung. Allerdings döste niemand bei der Ruderwache, denn darin verstand der Nordmann keinen Spaß.

Der Stör zuckte entnervt zusammen, als der schrille Pfiff erklang und der Daumen nach links zeigte. Er legte Backbordruder, bis der Daumen wieder nach oben wies.

Was die Kursänderungen sollten, war dem Stör absolut nicht klar, denn Thorfin sah in dieser Nebelsuppe auch nicht weiter als bis zur Kuhl. Dort war die Welt endgültig zu Ende, und es schien nicht mal ein Vorschiff zu geben. Der Wikinger aber bewegte sich in diesem zähen Brei so sicher, als sei die Sicht bis zur Kimm frei.

„Weiter so“, sagte der Poltermann mit seiner Donnerstimme. „Du bleibst jetzt auf diesem Kurs, bis du Land siehst. Verstanden? Und wenn du um Haaresbreite aus dem Kurs läufst, dann fliegt dir Thors Hammer ins Kreuz.“

„Fliegt dir Thors Hammer ins Kreuz“, wiederholte der Stör, weil es eine lausige Angewohnheit von ihm war, oftmals Thorfins letzten Satz nachzuquatschen.

„Dir“, brüllte der Wikinger erbost. „Nicht mir! Außerdem habe ich dir schon tausendmal gesagt, daß du nicht immer alles nachquasseln sollst, du gelabsalbter Stint. Ich will jetzt essen und dabei nicht gestört werden.“

Das Essen brachte Arne, der andere Wikinger. Zubereitet hatte es Cookie, das schmierig wirkende Köchlein an Bord. Er traute sich nicht, dem Poltermann das Essen aufs Achterdeck zu bringen, denn er hatte Angst davor, daß die Riesensandalen des Wikingers wieder in seinem Achtersteven landeten, wenn Thorfin mit dem Fraß nicht zufrieden war.

Arne schleppte eine riesige Platte herbei. Darauf lagen drei sehr knusprig gebratene Hühner, eine armlange Hartwurst, ein halber Laib Brot, ein halbierter Käselaib, eine große Kumme mit Butter und ein riesiges Speckstück.

„Mehr Hühner hatten wir leider nicht“, sagte Arne. „Hier ist auch noch etwas zu trinken.“ Er stellte die Kanne neben das monströse Sesselchen. Sie enthielt eine knappe Gallone Dünnbier.

„So ist es recht“, sagte der Nordmann.

Dann begann er genüßlich zu essen. Die Hühnchen riß er auseinander, von der Hartwurst schnitt er daumenstarke Stücke ab, ebenso vom Speck. Das Brot schnitt er in riesige Würfel, packte fingerdick Butter darauf und legte Käsescheiben darüber.

Der Stör stand weiterhin am Ruder und duckte sich, wenn die abgenagten Hühnerknochen heranflogen. Die meisten sausten haarscharf an seinem Kopf vorbei.

„Aufpassen!“ knurrte der Wikinger.

Der Stör bezog das auf die Knochen, und er gab acht, damit ihn ja keiner traf, denn sie flogen fast so schnell wie Musketenkugeln.

Aber dann traf ihn doch einer ziemlich schmerzhaft, und er verzog ärgerlich und beleidigt das lange Gesicht.

„Aufpassen, habe ich gesagt“, grollte Thorfin wütend. „Hast du keine Augen in deinem verdammten Schädel?“

„Ich kann nicht jedem Knochen ausweichen“, maulte der Stör.

„Ich sprach nicht von den Knochen. Du sollst auf den kleinen Kahn aufpassen und ihn nicht untermangeln.“

Der Stör sah keinen kleinen Kahn und starrte finster in den Nebel.

„Da drüben, an Backbord, du Blindfisch! Da hocken zwei Fischer in einem Torfkahn. Halte etwas weiter ab! Oder glaubst du, ich werfe dir die Knochen aus Spaß an den Schädel?“

 

Der Stör sah immer noch nichts. Erst als sich Thorfins Gesicht verfinsterte und er Anstalten traf, sich aus seinem Sesselchen zu erheben, erkannte der Stör etwas – einen kaum sichtbaren Schatten, der auf dem Wasser zu schweben schien.

Die anderen, die ebenfalls an Deck standen, der Boston-Mann, Juan, Mike Kaibuk, der Kreole Tammy und Pedro Ortiz, sahen ebenfalls nichts und stierten ausdruckslos in die zäh wabernden Schleier.

Dann sah der Boston-Mann das Fischerboot ebenfalls für einen winzigen Augenblick ganz deutlich. Auch der Stör entdeckte schließlich das Boot mit den zwei wie erstarrt wirkenden Männern. Aber schon wieder verschwand es im allesverschlingenden Nebel.

Der Stör schluckte hart und wich dem „Torfkahn“ aus. Thorfin Njal aß in aller Seelenruhe weiter. Die drei Hühner waren verputzt, und jetzt war der schäbige Rest an der Reihe. Die Kanne mit dem Dünnbier war auch bereits zur Hälfte leer.

Etwas später, eine knappe halbe Stunde mochte vergangen sein, gab Thorfin erneut Daumenzeichen und stieß einen Pfiff aus.

„Da ist der Torfkahn schon wieder“, brummte er. „Krebsen hier herum, die Kerle, obwohl sie nichts sehen. Hoffentlich bist du bald auf dem anderen Kurs!“ fuhr er den Stör an.

Der Stör verzweifelte fast. Er hatte gute und scharfe Augen, und dennoch nahm er nur wieder einen winzigen Strich wahr und zwei kaum sichtbare Schatten, die sofort im Nebel wie ein Spuk verschwanden.

„Ha, die haben Angst, die Kerle“, sagte Thorfin und rülpste laut. „Das sieht man deutlich an ihren Gesichtern.“

Der Stör schluckte abermals. Er sah die Gestalten nicht mehr, so sehr er sich auch anstrengte. Dafür spuckten diese Nebelgebilde auf dem Wasser in seinem Schädel herum und verwandelten sich alle Augenblicke in neue monströse Figuren und Gestalten.

Er glaubte in den wabernden Fetzen Ägirs wilde und schreckliche Töchter zu sehen, die nicht nur abstoßend aussahen, sondern auch schreckliche Namen wie Heulerin und Raffgierige hatten.

Thorfin hatte dem Stör die nordische Mythologie so lange vorgequatscht, bis er sie endlich glaubte. Seitdem sah er sich im Nebel ständig von Odins Raben Hugin und Munin umlauert. Oder er sah Thor selbst, dem rothaarigen Gesellen mit seinem wilden aufbrausenden Temperament, der seinen gewaltigen Hammer schwang. Auch Ran war da, Ägirs Gattin, die ihm einen bösen Blick aus dem Wasser zuwarf.

Alle waren sie da, die nordischen Götter, die das Meer beherrschten, und selbst die riesige Weltesche Yggdrasil wuchs aus den Nebeln.

„Kurs halten!“ rief Thorfin. „Die Kerle sind verschwunden.“

Der Stör hielt Kurs, aber nicht lange, dann scheuchte Thorfins riesiger Daumen ihn wieder auf und nervte ihn, denn der nordische Poltermann hatte ständig was zu meckern.

„Du siehst doch in dem Nebel gar nichts“, maulte der Stör nach einer Weile. „Wir wissen nicht einmal, wie weit die Küste entfernt ist.“

„Du vielleicht nicht, aber ich weiß es. Ich kann die Küste sogar sehen.“

„Glaube ich nicht“, widersprach der Stör. „Der Nebel ist so dicht, daß ich nicht mal das Vorschiff sehe.“

„Was heißt hier: Das glaubst du nicht!“ brauste der Wikinger auf. „Was ich dir vorbete, hast du gefälligst zu glauben, du triefäugiges Sumpfhuhn. Noch bin ich hier der Kapitän, und mein Wort gilt. Wenn du noch einmal widersprichst, nagle ich dich an den Großmast.“

„An den Großmast“, murmelte der Stör entsetzt.

Thorfin runzelte schon finster die Stirn, und der Stör zog vorsichtshalber das Genick ein, denn er kannte seinen Herrn und Meister, der mitunter sehr übellaunig reagierte.

Aber da erschien die Erlösung, und für den Stör war es, als ginge in dem dichten Nebel strahlend die Sonne auf.

Siri-Tong, die Rote Korsarin, erschien an Deck. Sie trug ihre obligatorische Kluft, der sie auch den Beinamen Rote Korsarin verdankte – eine rote Bluse und blaue Hosen. Da es noch unangenehm kühl war, hatte sie sich eine Segeltuchjacke um die Schultern gehängt. Ihr langes, schwarzblau schimmerndes Haar fiel über den Kragen der Segeltuchjacke.

Sie blickte Thorfin aus ihren schwarzen mandelförmigen Augen etwas nachdenklich an. Ihr roter Mund verzog sich zu einem knappen Lächeln.

„Ist was?“ fragte der Nordmann grinsend.

„Man hört dich von vorn bis achtern und von morgens bis abends“, sagte sie. „Seit fast zwei Stunden meckerst du mit dem Stör herum. Muß das eigentlich sein? Er ist doch ein guter Rudergänger.“

„Ein guter Rudergänger“, wiederholte der Stör erfreut.

„Ein übler Nachquatscher ist das“, sagte Thorfin grollend. „Und als Rudergänger sieht er nicht einmal das Land, weil seine Klüsen zugewachsen sind.“

„Siehst du denn etwa das Land?“ fragte Siri-Tong noch einem kurzen Blick in den Nebel spöttisch.

„Ich – äh – manchmal schon“, sagte Thorfin etwas lahm. „Hauptsächlich dann, wenn …“

„… der Nebel aufreißt“, ergänzte sie freundlich, „und andere Schiffe in Sicht sind, die man rupfen kann.“

„Ich habe mich nur meiner Haut gewehrt“, brummte Thorfin unbehaglich. „Die Kerle von der ‚Ragnhylt‘ sind frech geworden, als ich sie freundlich etwas fragte. Dabei habe ich nur die Gelegenheit genutzt. Sie hätten sich ja besser wehren können.“

„Und die drei Holländer im Skagerrak?“ fragte die Rote Korsarin.

„Die Holländer?“ Thorfin tat so, als müsse er sich erst mühsam daran erinnern. Er hatte sowieso seine eigene Logik, der Schrat aus dem hohen Norden. „Die haben es nicht besser verdient“, knurrte er dann. „Sie haben nur ein bißchen Zunder gekriegt, mehr nicht.“

„Na ja, das sind deine Ansichten“, meinte Siri-Tong. „Bis wann, glaubst du, sind wir in Bergen?“

„In vier bis fünf Tagen etwa, falls der Nebel nicht so lange anhält. Sonst kann es mindestens eine Woche dauern.“

Die Rote Korsarin war von der Aussicht nicht gerade begeistert. Sie hatte die Reise in den Norden ohnehin nur aus einer spontanen Laune heraus angetreten. Aber dieser Wind war verdammt kalt, und lange nicht so angenehm wie der Wind in der Karibischen See. Sie wollte nur einmal hinaus, weiter nichts.

In Bergen wollte Thorfin eine Ladung Eisenerz oder Eisenbarren besorgen. Die eigentliche Idee dazu stammte von dem alten Schiffbaumeister Hesekiel Ramsgate, und diesen Gedanken hatte der Nordmann sofort und sehr begierig aufgegriffen. Eisen oder Eisenerz brauchten sie für die Werft im Stützpunkt Great Abaco auf den Bahamas. Sie wollten es selbst schmelzen und weiterverarbeiten, wie Hesekiel vorgeschlagen hatte, denn Eisenbarren oder Erze waren im karibischen Raum nur sehr schwer zu beschaffen.

Thorfin hatte sofort versprochen, die Reise anzutreten, zumal er geradezu „prädestiniert“ für den hohen Norden war, wie er selbst versichert hatte. Auf dieser Reise wollte er zugleich einen kleinen Abstecher nach Island unternehmen, um dort einmal nach dem Erbe seiner Frau Gotlinde, dem Thorgeyrschen Hof, zu sehen. Daß man dabei unterwegs, so ganz nebenbei, ein paar Handelsschiffe rupfte, war nur selbstverständlich.

Thorfin war allerdings nicht der Mann, der andere Schiffe hinterrücks überfiel und ausplünderte. Er tat das mehr auf die feine nordische Art, wie er es selbst nannte. Er fing meist ein bißchen Stunk an, und wenn die anderen dann voll aufgebraßt waren, ging es zur Sache. Die waren dann „frech“ geworden, wie jener Handelssegler „Ragnhylt“, dessen Kapitän ihm üble Drohungen zugerufen hatte. Hinterher sah der Däne dann ein bißchen gerupft aus. Seine Segel waren nicht mehr die besten, und auch das Holz des Schiffes war rußgeschwärzt.

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