Loe raamatut: «Friedrich Glauser – Wachtmeister Studer», lehekülg 12

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Der Autodieb

Er sah aus wie eine Kreu­zung zwi­schen Da­ckel und Wind­hund. Vom Da­ckel hat­te er die X-Bei­ne und vom Wind­hund den nach vor­ne spitz zu­lau­fen­den Kopf. Üb­ri­gens hieß er Augs­bur­ger Hans, fünf­mal vor­be­straft. Ihm droh­te die Ver­sor­gung.

Stu­der kann­te ihn, ob­wohl Augs­bur­ger Hans mehr in an­de­ren Kan­to­nen sei­nem Be­ruf nach­ge­gan­gen war – er war Ein­bre­cher, aber ein vom Pech ver­folg­ter, ein klei­ner, mie­ser Di­let­tant – denn der Wacht­meis­ter hat­te ihn auf An­for­de­rung frem­der Be­hör­den schnap­pen müs­sen…

»Salü, Augs­bur­ger«, sag­te Stu­der. Er stand von sei­nem Platz an der Schreib­ma­schi­ne auf, ging auf den Ein­tre­ten­den zu, schüt­tel­te ihm die Hand. Der Po­li­zist an der Tür zeig­te ein leich­tes Er­stau­nen, aber Augs­bur­ger ließ sich durch die herz­li­che Be­grü­ßung nicht aus der Ruhe brin­gen.

»Eh, der Stu­der!« sag­te er. »Grüß-ech, Wacht­meis­ter!«

Dann zum Un­ter­su­chungs­rich­ter ge­wandt:

»Der Wacht­meis­ter ist näm­lich ein Gä­bi­ge«, sag­te der Augs­bur­ger. »Ei­ner, mit dem man re­den kann. Wacht­meis­ter, habt Ihr eine Zi­ga­ret­te?«

»Ja, wenn du uns nicht an­lügst!«

Und Stu­der blin­zel­te dem Un­ter­su­chungs­rich­ter zu, er sol­le ihn das Ver­hör füh­ren las­sen. Der Un­ter­su­chungs­rich­ter nick­te, such­te auf sei­nem Tisch nach dem Ak­ten­de­ckel »Augs­bur­ger Hans, Au­to­dieb­stahl« und reich­te ihn dann Stu­der hin.

Stu­der blät­ter­te. Nichts In­ter­essan­tes. »Bei ei­nem vor­ge­schrie­be­nen Pa­trouil­len­gang… vor dem Bahn­hof… Fah­rer an­ge­hal­ten… kein Fahr­aus­weis… han­delt sich um einen im Po­li­zei-An­zei­ger Aus­ge­schrie­be­nen… Leis­te­te kei­nen Wi­der­stan­d… ließ sich ab­führ…«

»Ist das Ver­zeich­nis der Ef­fek­ten, die dem Augs­bur­ger ab­ge­nom­men wor­den sind, auch bei den Ak­ten?« frag­te Stu­der.

»Doch, ich glau­be«, sag­te der Un­ter­su­chungs­rich­ter und spiel­te wie­der mit sei­nem Pa­pier­mes­ser.

»Ah, ja, hier«, und Stu­der las:

»Por­te­mon­naie mit 12,50 Fr. In­halt.

1 Nas­tuch

1 Hemd

1 Paar Ho­sen…«

Und dann stand da:

»1 Brow­ning­pis­to­le Ka­li­ber 6,5«…

Was war das?

»Du, Augs­bur­ger, das ist bös. Waf­fen­tra­gen? Seit wann hast du einen Re­vol­ver? Willst du le­bens­läng­lich er­wi­schen? Hä?«

Aber Augs­bur­ger schwieg.

»Ich möcht’ die Pis­to­le ger­ne se­hen«, sag­te Stu­der.

Der Po­li­zist brach­te sie.

»Sie ist ge­la­den«, sag­te er.

Stu­der nahm sie in die Hand, ent­lud sie. Im Ma­ga­zin wa­ren noch sechs Pa­tro­nen, eine im Lauf…

»Hast du eine ge­braucht, Augs­bur­ger?«

Augs­bur­ger schwieg an­dau­ernd. Nur die Haut auf der rech­ten Sei­te sei­nes Ge­sich­tes zuck­te wie bei ei­nem Pferd, das von den Brem­sen ge­plagt wird.

»Nicht ein­mal ge­putzt, der Lauf?« Stu­der sprach im­mer ge­dehn­ter. Der Un­ter­su­chungs­rich­ter wur­de auf­merk­sam.

»Sechs Kom­ma fünf«, sag­te Stu­der und nick­te. »Das glei­che Ka­li­ber hat die Ku­gel auch, die in Wit­schis Kopf ste­cken ge­blie­ben ist…«

»Aber Wacht­meis­ter, wir wis­sen doch jetzt, dass es ein…«

»Gar nichts wis­sen wir, Herr Un­ter­su­chungs­rich­ter. Wir ha­ben von ei­nem Plan ge­hört, um auf mög­lichst ra­sche Wei­se zu Geld zu kom­men, aber der Plan ist schein­bar nicht so ge­lun­gen, wie er hät­te aus­ge­führt wer­den sol­len.« Da Stu­der sah, dass Augs­bur­ger ihm ei­nes sei­ner großen Ohren zu­ge­kehrt hat­te, sprach er so dun­kel als mög­lich.

»Ich den­ke im­mer an das, was mir der As­sis­tent im Ge­richts­me­di­zi­ni­schen vor­de­mons­triert hat. Die Stel­lung, die der se­li­ge Wit­schi hat ein­neh­men müs­sen, um sich ge­ra­de hin­ter das rech­te Ohr zu tref­fen… Das Feh­len von Pul­ver­spu­ren… zu­ge­ge­ben, dass es mög­lich war mit Zi­ga­ret­ten­blät­tern, ich glaub’ es nicht recht, es steckt mehr hin­ter dem Fall, als wir glau­ben.«

Stu­der schwieg un­ver­mit­telt. Augs­bur­ger hat­te die Au­gen ge­senkt.

»Wo warst du die letz­ten vier­zehn Tage?« frag­te er plötz­lich.

»In… in…«

»Da, nimm eine Zi­ga­ret­te«, sag­te Stu­der freund­lich. Es dau­er­te eine Wei­le, bis sie brann­te.

»Schau, Augs­bur­ger«, er­klär­te Stu­der mil­de. »Wenn du nicht nach­wei­sen kannst, wo du in der Nacht warst, in der ein ge­wis­ser Wen­de­lin Wit­schi er­mor­det wor­den ist, so kann ich dir nur ei­nes sa­gen: Ich… Aber nein, ich habe dann gar nichts mehr mit dir zu tun. Das Schwur­ge­richt wird dann schon wis­sen, was es zu tun hat. Es war näm­lich ein Raub­mord…«

»Aber den hat der Schlumpf doch ge­stan­den!« rief Augs­bur­ger.

»Und hat so­eben sein Ge­ständ­nis wi­der­ru­fen, viel­mehr, ich hab’ ihm be­wie­sen, dass er un­mög­lich den Mord hat be­ge­hen kön­nen. Und dann hat sich noch ein Zeu­ge ge­fun­den, der be­schwört, mit dem Schlumpf zur mut­maß­li­chen Zeit des Mor­des zu­sam­men­ge­we­sen zu sein.«

»Dann hat er mich an­ge­lo­gen!« sag­te Augs­bur­ger böse.

»Wer?«

»Der alte El­len­ber­ger.«

»So, und warum hast du in der Sams­tag­nacht das Auto vom Ge­mein­de­prä­si­den­ten ge­stoh­len?«

»Es war zu heiß in Ger­zen­stein«, sag­te Augs­bur­ger, aber die Un­be­küm­mert­heit klang ein we­nig ge­drückt.

»Und warum bist du ge­ra­de auf den Bahn­hof­platz ge­fah­ren, wo du doch ganz si­cher warst, dass ein Po­li­zist dich schnappt?«

»Ich hab mich ver­irrt, ich wollt nach In­ter­la­ken wei­ter­fah­ren…«

»Und da bist du durch die Stadt ge­fah­ren, wo doch je­des klei­ne Kind weiß, dass die Stra­ße oben durch­fährt?«

»Ich hab’ noch et­was trin­ken wol­len…«

Im­mer zö­gern­der die Ant­wor­ten.

»Und wo hast du den Brow­ning ge­stoh­len?«

»Den Brow­ning?« Augs­bur­ger be­gann die Fra­gen zu wie­der­ho­len, das war ein gu­tes Zei­chen, Stu­der wuss­te, nun hat­te er ihn bald. »Den Brow­ning?« Dann sehr schnell:

»Der ist beim al­ten El­len­ber­ger auf dem Schreib­tisch ge­le­gen, dort hab ich ihn ge­nom­men…«

»Hm.« Stu­der schwieg. Es schi­en zu stim­men. Der alte El­len­ber­ger hat­te vor vier­zehn Ta­gen in Bern einen 6,5 Brow­ning ge­kauft. War es die­ser? Den an­de­ren hat­te der Ar­min ver­ste­cken las­sen in der Kü­che der Frau Hof­mann, ver­ste­cken durch wen? Das war im Au­gen­blick gleich­gül­tig.

»Du hast beim El­len­ber­ger ge­wohnt?« frag­te Stu­der wie­der.

»Ja.« Augs­bur­ger nick­te ein paar­mal.

»In wel­chem Zim­mer?«

»Oben un­ter dem Dach.«

»Wa­rum hat dich der El­len­ber­ger auf­ge­nom­men?«

»Oh, nur so, aus Mit­leid.«

»Hast du die an­de­ren ge­se­hen?«

»Sel­ten. Der alte El­len­ber­ger hat mir im­mer das Es­sen ge­bracht.«

»Und er hat dir ge­sagt, du sollst das Auto vom Ge­mein­de­prä­si­den­ten steh­len, dich in Thun er­wi­schen las­sen und dann ver­su­chen, den Schlumpf zu be­stim­men, ein Ge­ständ­nis ab­zu­le­gen?«

»Wie? Was?« frag­te Augs­bur­ger. Er schi­en ehr­lich er­schro­cken, und doch kam es Stu­der je län­ger je mehr vor, als ob der Bur­sche ein ein­ge­lern­tes Thea­ter spie­le.

»Du hast doch dem Schlumpf ge­sagt, er sol­le sich ges­tern zum Ver­hör mel­den, und dann dem Un­ter­su­chungs­rich­ter sa­gen, er habe den Wit­schi um­ge­bracht. Und du hast ihm doch einen sehr zwin­gen­den Grund für die­ses Ge­ständ­nis an­ge­ben müs­sen. Ihm zum Bei­spiel sa­gen, man habe ent­deckt, dass mit dem Mord nicht al­les stim­me, dass man an einen Selbst­mord glau­be und dass die gan­ze Fa­mi­lie in Ge­fahr sei, we­gen Ver­si­che­rungs­be­trug ver­haf­tet zu wer­den. Und dass es des­halb am bes­ten sei, wenn der Schlumpf die Sa­che auf sich neh­me. War’s so? Das darfst du ru­hig zu­ge­ben, wenn’s so ge­we­sen ist. Wir brau­chen nur den Schlumpf zu fra­gen.«

»Das hät­ten wir vor­her ma­chen sol­len«, sag­te der Un­ter­su­chungs­rich­ter seuf­zend. »Aber Sie sind im­mer so stür­misch, mein lie­ber Stu­der, ich kom­me gar nicht zu Wor­te.«

»Sie ha­ben selbst gar nicht dar­an ge­dacht!« ant­wor­te­te Stu­der kurz. »Aber wir kön­nen den Schlumpf ja im­mer noch ho­len las­sen. Eine Kon­fron­ta­tion… Doch be­vor wir zu die­ser Kon­fron­ta­ti­on schrei­ten, habe ich dem Mann da noch ein paar Fra­gen zu stel­len.«

Er schwieg und dach­te nach.

»Der Re­vol­ver ist bei dir ge­fun­den wor­den, Augs­bur­ger, du wirst nie be­wei­sen kön­nen, dass du ihn vom Schreib­tisch des al­ten El­len­ber­ger fort­ge­nom­men hast. Das ist dir doch klar, oder? El­len­ber­ger wird es aber leug­nen. Du wirst nicht be­wei­sen kön­nen, dass du in der Nacht vom Diens­tag auf den Mitt­woch im Bett ge­le­gen bist. Oder wird der alte El­len­ber­ger dir das be­stä­ti­gen kön­nen?«

»Ich – ich glaub’ schon.«

»Gut. Also wer hat dir den Auf­trag für den Schlumpf ge­ge­ben? Red’ doch.«

»Der – der Ar­min Wit­schi…«

»Und du hast sa­gen sol­len, der Auf­trag käme von sei­ner Schwes­ter?«

»Ja.«

»Hast du al­lein mit ihm ge­spro­chen? Mit dem Ar­min mein’ ich?«

»Ja, es war nie­mand an­de­rer da­bei.«

»Wo­her hast du ihn ge­kannt?«

»Oh, so… Ich hab ihn ge­se­hen… Frü­her schon.«

»Ich hät­te ger­ne noch das ge­stoh­le­ne Auto ge­se­hen; aber viel­leicht hat es der Herr Ge­mein­de­prä­si­dent schon ge­holt?«

»Ja, ges­tern.« Der Un­ter­su­chungs­rich­ter nick­te.

»De­sto bes­ser!« mein­te Stu­der. »So­bald ich Neu­es weiß, be­rich­te ich Ih­nen. Üb­ri­gens, Sie kön­nen den Schlumpf wie­der in eine Ein­zel­zel­le tun. Er wird nicht mehr pro­bie­ren, sich auf­zu­hän­gen… Wie­der­lue­ge mit­enand!«

Das ›Mi­ten­an­d‹ be­rei­te­te Stu­der eine be­son­de­re Freu­de.

Er lach­te noch still, als er den Gang ent­lang­ging, um Son­ja ab­zu­ho­len.

Besuche

Son­jas Hän­de la­gen auf Stu­ders Schul­tern. Er fand die­se Berüh­rung an­ge­nehm. Auch hat­te es auf­ge­hört zu reg­nen, der Him­mel war weiß. Die Bri­se weh­te kalt, aber Stu­der fuhr mit dem Wind, da scha­de­te es nicht viel. Ein gu­ter Kar­ren, den sich der Land­jä­ger Mur­mann da zu­ge­legt hat­te. Er mach­te nicht viel Lärm. Wenn Stu­der auf die schwar­ze As­phalt­stra­ße her­nie­der­sah, wur­de sie von wei­ßen Stri­chen ge­mus­tert. Es wäre al­les gut und schön ge­we­sen, aber der Wacht­meis­ter fühl­te sich nicht im Blei. Der Kopf schmerz­te ihn, au­ßer­dem mach­te sich auf der rech­ten Sei­te der Brust, ziem­lich weit un­ten, ein ste­chen­der Punkt be­merk­bar. Bei der ers­ten Wirt­schaft stopp­te Stu­der, trat ein und be­stell­te einen Grog. Es war sei­ne Uni­ver­sal­me­di­zin.

»Von wo ist schon die Saal­toch­ter?« frag­te er, und die Wor­te ka­men ein we­nig schlep­pend aus sei­nem Mund.

»Wel­che Saal­toch­ter?« frag­te Son­ja.

»Die vom ›Bä­ren‹. Die Freun­din von dei­nem Bru­der.«

»Von Zä­ger­schwil. Wa­rum Wacht­meis­ter?«

»Zä­ger­schwil? Ist das weit?«

»Nicht ge­ra­de sehr weit«, sag­te Son­ja. »Aber die Wege sei­en schlecht. Es sei so ein Kra­chen im Em­men­tal. Auf ei­nem Hü­gel…«

– Wo­her sie das wis­se? – Ar­min habe ein­mal da­von er zählt, er sei mit der Saal­toch­ter an ei­nem ih­rer frei­en Tage oben ge­we­sen. – Ja, ob der Ar­min denn das Meit­schi hei­ra­ten wol­le, es sei doch viel äl­ter als der Bru­der. Oder? – Das schon, aber die El­tern hät­ten Geld – und das Ber­ti habe Er­spar­tes. Ar­min sei schon ein paar­mal bei den El­tern ge­we­sen.

»Wol­len wir die El­tern be­su­chen ge­hen?« frag­te Stu­der und be­stell­te noch einen Kaf­fee-Kirsch. Man muss­te sich stär­ken. Der ste­chen­de Punkt ver­schwand lang­sam, das Kopf­weh hob sich ab und schweb­te durch die Luft da­von wie eine leich­te Kap­pe, die der Wind fort­weht.

»Was wollt ihr dort?« frag­te Son­ja.

»Du Dumms! Den Ar­min be­su­chen. Ich muss ihn doch ein paar Sa­chen fra­gen.«

»Meint ihr, er sei…«

»Wo soll er sonst sein? Ei­nen Pass hat er nicht, er ist nicht ins Aus­land, vor der Stadt hat er Angst, stimm­t’s?«

Son­ja nick­te schwei­gend.

»Dann blei­ben also nur die zu­künf­ti­gen Schwie­ger­el­tern. Wie hei­ßen sie?«

Sie hie­ßen Kräien­bühl. Wa­rum auch nicht? Ber­ta Wit­schi-Kräien­bühl, das klang gut, das klang so­lid. So­li­der als Wit­schi-Misch­ler. Es hing wohl sehr vie­les von den Na­men ab. Stu­der riss sich zu­sam­men. Was dach­te er da für sturms Züüg zu­sam­men. Er griff ver­stoh­len mit der lin­ken Hand an den Puls der Rech­ten. Ein we­nig Fie­ber si­cher. Aber jetzt konn­te man sich eben nicht zu Bett le­gen. Zu­erst muss­te der Tod die­ses Wit­schi Wen­de­lin auf­ge­klärt wer­den. Da gab’s ke Bi­re… Wit­schi-Kräien­bühl oder Kräien­bühl-Wit­schi. Ei­ner­lei! Nur los. Der Kaf­fee war gut, soll­te man noch einen trin­ken? Gut. Und Stu­der trank einen zwei­ten Kaf­fee.

Son­ja tunk­te ein Weg­g­li in ihr Glas, sie aß; na­tür­lich, so ein Meit­schi muss­te ja Hun­ger ha­ben.

Soll­te man sie zu­erst heim­fah­ren? Aber da­heim be­kam sie doch kein war­mes Mit­ta­ges­sen.

»Hast Hun­ger, Son­ja?« frag­te Stu­der. »Wenn du was es­sen willst, sag’s nur! Ein Schin­ken­brot?« Son­ja schüt­tel­te den Kopf.

»Spä­ter«, sag­te sie.

Kräien­bühl-Misch­ler, Äsch­ba­cher-El­len­ber­ger, Ger­ber-Mur­mann… Halt! Wie hieß die Frau des Land­jä­gers mit dem Mäd­chen­na­men? Stu­der pro­bier­te so vie­le Kom­bi­na­tio­nen durch, dass ihm ganz sturm wur­de. Er stand auf.

»Los, ge­hen wir.« Er hat­te Mühe, das Wech­sel­geld von der Tisch­plat­te auf­zu­klau­ben. Aber Son­ja half ihm. Es ging.

Und es ging auch wei­ter gut, so­bald er auf dem Sat­tel von Mur­manns Kar­ren hock­te. Son­ja di­ri­gier­te. Es ka­men scheuß­li­che Wege, mit tie­fen Fur­chen, der Kar­ren hops­te wie bei ei­ner Spring­kon­kur­renz. Stu­der kam es vor, als fah­re er in ei­nem Traum.

End­lich, eine letz­te Stei­gung (von Ban­ger­ten aus hat­te sich Stu­der nach dem Weg er­kun­di­gen müs­sen) und sie wa­ren da.

Ein großes Ge­höft. Ein al­tes Ein­fahrts­tor. Es war still. Kein Mensch zu se­hen. Stu­der ging über den Hof, die Tür zur Kü­che war an­ge­lehnt, er klopf­te.

»Ja!« rief eine un­ge­dul­di­ge Stim­me.

»Grüeß di, Ar­min«, sag­te Stu­der freund­lich. »Die Son­ja ist auch mit­ge­kom­men.«

Er sah ein we­nig zer­zaust aus, der Ar­min Wit­schi. Die Wel­len sei­ner Haa­re schich­te­ten sich nicht mehr so tri­um­phie­rend über der nie­de­ren Stir­ne auf wie frü­her.

»Der Wacht­meis­ter!« stot­ter­te er.

»Pst!« mach­te Stu­der und leg­te einen Fin­ger auf die Lip­pen. »Es braucht nicht je­der­mann zu wis­sen, dass die Po­li­zei dich be­sucht. Es ist nur ein Freund­schafts­be­such, weißt, du kannst ru­hig da oben blei­ben, bis al­les sich be­ru­higt hat. Hört uns nie­mand?« frag­te Stu­der plötz­lich.

Ar­min schüt­tel­te den Kopf. Jetzt, da er al­lein war, schi­en er gar nicht mehr so frech. Kein höh­ni­sches Lä­cheln war auf sei­nen Lip­pen zu se­hen. Er war ein ge­wöhn­li­cher, ängst­li­cher Bub, der nur die eine Sehn­sucht zu ha­ben schi­en, eine un­an­ge­neh­me Ge­schich­te so bald als mög­lich los zu sein.

»Wa­rum bist du fort­ge­lau­fen? Weißt, ich hab es gleich ge­wusst, schon ges­tern Nach­mit­tag, wie dir die Ber­ta ge­wun­ken hat, von der of­fe­nen Tür. Aber wozu hast du fünf­hun­dert Fran­ken ge­braucht? Hier kannst du doch nichts aus­ge­ben?«

– Er habe wei­ter wol­len, sag­te Ar­min. Weit fort. Er wäre schwarz über die Gren­ze ge­gan­gen nach Pa­ris; dort habe er einen Freund, der hät­te ihm dann schon einen Pass be­sorgt. – Wo denn die Krai­en­bühls sei­en? – Beim Boh­nen­set­zen, glau­be er, sag­te Ar­min. – Gut! mein­te Stu­der. Das, was er wis­sen wol­le, sei mit ein paar Wor­ten ge­sagt.

Der Wacht­meis­ter zog sein No­tiz­buch aus der Ta­sche. Da­bei fühl­te er, dass sein Herz hart und sehr schnell schlug – aber es war nicht der Fall Wit­schi, der dem Wacht­meis­ter Herz­klop­fen ver­ur­sach­te.

»Die Schwes­ter hat schon al­les er­zählt. Wir wol­len schau­en, ob wir das mit dem Ver­si­che­rungs­be­trug ein­ren­ken kön­nen, denn um einen sol­chen wird es sich wahr­schein­lich han­deln, wenn… Eben wenn. Aber du musst mir jetzt kla­re Aus­kunft ge­ben: Was hast du da­mals mit dei­nem Va­ter aus­ge­macht?«

Und Ar­min Wit­schi gab an­stands­los Aus­kunft. Er war sehr zahm, schier zu zahm. Aber das war eben im­mer so bei der­ar­ti­gen Cha­rak­teren, dach­te Stu­der. Sie trump­fen auf, wenn sie in Ge­sell­schaft sind, aber wenn man un­ter vier Au­gen mit ih­nen spricht, so ge­ben sie klein bei…

Der Va­ter habe sich lan­ge ge­wei­gert, einen Un­fall vor­zutäu­schen. Aber schließ­lich, als der El­len­ber­ger kein Geld mehr ge­ben woll­te, als ih­nen das Was­ser fast an den Mund ge­stie­gen war, da war schließ­lich der Va­ter ein­ver­stan­den ge­we­sen.

Er soll­te sich ins Bein schie­ßen, dann war­ten, bis er, Ar­min, den Re­vol­ver ver­steckt habe, und dann schrei­en. Si­cher wür­de je­mand kom­men, die Baum­schu­len vom El­len­ber­ger sei­en ganz in der Nähe des Plat­zes ge­we­sen, den sie aus­ge­sucht hät­ten, und dann sol­le der Va­ter be­haup­ten, er sei über­fal­len wor­den, be­raubt.

»Wir ha­ben ge­meint, am bes­ten wird es sein, die Sa­che« (›die Sa­che!‹ sag­te Ar­min) »am spä­ten Abend zu ma­chen. Dann kann der Va­ter sei­ne Ge­schich­te er­zäh­len und die Leu­te wer­den ihm auch glau­ben, dass er sei­nen An­grei­fer nicht ge­se­hen hat. Dann gib­t’s kein läs­ti­ges Ge­fra­ge, der Ver­dacht fällt auf alle Ar­bei­ter des El­len­ber­ger; und die sind ja vor­be­straft. Aber es kann ja kei­nen tref­fen, denn sie wer­den ihre Un­schuld be­wei­sen kön­nen; die Sa­che wird nie­der­ge­schla­gen, und die Ver­si­che­rung zahlt uns das Geld…«

»Hm«, brumm­te Stu­der. »Aber dann ist es an­ders ge­gan­gen?«

»Wir ha­ben einen Abend fest­ge­setzt, an dem der Va­ter mit et­was Geld hat heim­kom­men müs­sen und ha­ben so­gar da­von er­zählt, das heißt, der Va­ter hat beim El­len­ber­ger da­von ge­spro­chen, wäh­rend die Ar­bei­ter da­bei wa­ren. Das ha­ben wir so aus­ge­macht. Der Va­ter hat­te einen Brow­ning.«

»Von wem?«

»Der alte El­len­ber­ger hat ihn in der Stadt ge­kauf­t…«

»Ist das si­cher?«

»Ja. Der alte El­len­ber­ger hat um die Ge­schich­te ge­wusst. Auch der On­kel Äsch­ba­cher.«

»So?«

»Die Mut­ter hat’s ihm er­zählt. Er war doch ein Ver­wand­ter von ihr.«

»Und Ge­mein­de­prä­si­dent…«, sag­te Stu­der lei­se und wieg­te den Kopf hin und her, wie ein al­ter Jude, dem plötz­lich die Be­deu­tung ei­nes dunklen Tal­mud­satzes klar ge­wor­den ist.

»Ja. Der Va­ter hat den Brow­ning pro­biert, Zi­ga­ret­ten­blät­ter in den Lauf ge­schoppt, bis er ge­wusst hat, wie man es zu ma­chen hat, dass es kei­ne Pul­ver­spu­ren gibt. Also, an dem Abend hab’ ich ihm ab­ge­passt. Von zehn Uhr an. Ich hab’ das ›Zehn­der­li‹ vom Va­ter ge­hört, er ist ab­ge­stie­gen, wie wir es ver­ein­bart hat­ten, er hat mich ge­se­hen, und mir noch zu­ge­wun­ken, hat ne­ben das Rad sei­ne Brief­ta­sche, sei­ne Uhr, sei­nen Füll­fe­der­hal­ter…«

»Par­ker Duo­fold«, sag­te Stu­der, mit der Stim­me ei­nes an­prei­sen­den Ver­käu­fers.

»Rich­tig. Und dann ist er in den Wald ge­gan­gen. Es hat lan­ge ge­dau­ert, bis ich den Schuss ge­hört habe. Und dann war es nicht ei­ner, son­dern zwei. Das hat mich ge­wun­dert. Denn die Schüs­se sind kurz hin­ter­ein­an­der ge­fal­len. Ich kam nicht recht draus. Wenn er sich mit dem ers­ten nicht ver­wun­det hat­te, so war es doch eine Dumm­heit, noch ein­mal zu schie­ßen, denn das zwei­te Mal hät­te er doch wie­der Zi­ga­ret­ten­blätt­li in den Lauf schop­pen müs­sen, und das ging doch eine Wei­le.«

Schwei­gen. Son­ja seufz­te kurz auf, zog ihr ver­knäu­el­tes Ta­schen­tuch her­vor und wisch­te sich die Au­gen. Stu­der leg­te sei­ne Hand über die Hand des Mäd­chens.

»Nicht wei­nen, Meit­schi«, sag­te er. »Es ist wie beim Zahn­arzt, nur wenn er die Zan­ge an­setzt, spürt man’s, nach­her geht’s von selbst.« Son­ja muss­te ein we­nig lä­cheln.

Im Kü­che­nofen knack­te das Holz, von dem De­ckel, der eine Pfan­ne be­deck­te, fie­len Trop­fen auf die Herd­plat­te und zisch­ten lei­se. Der Wachs­tuch­über­zug des Ti­sches, an dem die Drei sa­ßen, fühl­te sich spe­ckig und kalt an. Durch die of­fe­ne Tür sah man ein ein­sa­mes Huhn, das ver­ge­bens ver­such­te, die Pflas­ter­stei­ne weg­zu­krat­zen. Es war sehr em­sig, das klei­ne wei­ße Huhn, und sehr still…

»Ich ging dann in den Wald. Ich hab den Va­ter ge­sucht. Wir hat­ten den Platz aus­ge­macht, da­mit ich nicht zu lan­ge nach dem Re­vol­ver zu su­chen brauch­te. End­lich hab’ ich den Va­ter ge­fun­den. Er lag an ei­ner ganz an­de­ren Stel­le.«

»An ei­ner an­de­ren Stel­le? Bist du si­cher?«

»Ja, wir hat­ten eine große Bu­che als Treff­punkt aus­ge­macht, aber er lag etwa drei­ßig Me­ter da­von ent­fernt un­ter ei­ner Tan­ne.«

»Ja, un­ter ei­ner Tan­ne. Und das war ein Glück…« sag­te Stu­der lei­se.

»Wa­rum ein Glück?« frag­te Son­ja mit er­stick­ter Stim­me.

»Weil ich sonst nicht hät­te mer­ken kön­nen, dass auf der Kut­te des Va­ters kei­ne Tan­nen­na­deln wa­ren.«

Die bei­den blick­ten ihn er­staunt an, aber Stu­der wink­te ab. Der ste­chen­de Punkt in der Brust mel­de­te sich wie­der, sein Kopf war heiß. Nur jetzt kei­ne Er­klä­run­gen ge­ben müs­sen!…

»Er lag un­ter der Tan­ne und hat­te einen Schuss hin­ter dem rech­ten Ohr. Ich hab’s ge­se­hen, weil ich eine Ta­schen­lam­pe mit­ge­nom­men hat­te. Der Re­vol­ver lag ne­ben sei­ner Hand.«

»Der rech­ten oder der lin­ken?«

»Wart, Wacht­meis­ter, ich muss nach­den­ken. Die Arme wa­ren aus­ge­streckt, zu bei­den Sei­ten des Kop­fes, und der Brow­ning lag in der Mit­te…«

»Das bringt uns nicht wei­ter«, sag­te Stu­der.

»Ich hab die Waf­fe auf­ge­le­sen und bin heim. Un­ter­wegs hab ich mir dann über­legt, was wir ma­chen sol­len. Der Va­ter war tot. Vi­el­leicht war das bes­ser für ihn. Ich wuss­te, dass der On­kel Äsch­ba­cher nur eine Ge­le­gen­heit ab­pass­te, um den Va­ter nach Han­sen oder Witz­wil zu ver­sor­gen.«

»Hast du die Brief­ta­sche und die an­de­ren Sa­chen gleich auf­ge­ho­ben, nach­dem sie der Va­ter ab­ge­legt hat?«

»Nein, nicht gleich. Es ist näm­lich et­was da­zwi­schen­ge­kom­men, Ich hab ein Auto nä­her­kom­men hö­ren…«

»Von wo kam das Auto, vom Dorf oder von der an­de­ren Rich­tung?«

»Vom Dorf, glaub ich.«

»Glaub ich! Glaub ich! Weißt du das nicht si­cher?«

»Nein, denn wie ich’s ge­hört hab, bin ich tiefer in den Wald…«

»Bist du auf der Sei­te ge­stan­den, auf der dein Va­ter in den Wald ist oder auf der an­de­ren?«

»Auf der an­de­ren, ich hab dann noch die Stra­ße über­que­ren müs­sen.«

»Und da war kein Auto mehr da?«

»Nein. Aber es ist et­was Merk­wür­di­ges mit dem Auto los­ge­we­sen. Es ist ganz lang­sam ge­fah­ren, das hab ich am Geräusch vom Mo­tor ge­hört, die Schein­wer­fer ha­ben die Stra­ße be­leuch­tet, und auch den Wald, von weit­her, und ich hab mich auf den Bo­den ge­wor­fen, um nicht ge­se­hen zu wer­den. Die Stra­ße macht oben und un­ten von der Stel­le einen Rank, so­dass man nicht ge­nau wis­sen kann, aus wel­cher Rich­tung ein Kar­ren kommt«, füg­te Ar­min ent­schul­di­gend hin­zu.

»Und?«

»Ja, plötz­lich ist das Licht von den Schein­wer­fern aus­ge­gan­gen, ich hab den Mo­tor nicht mehr ge­hört. Ich hab ge­war­tet eine Zeit lang, dann bin ich lang­sam nä­her zur Stra­ße ge­kro­chen. Aber da war das Auto ver­schwun­den.«

Der alte El­len­ber­ger be­saß eine Ca­mio­net­te zum Trans­port sei­ner Hoch­stäm­me. Der El­len­ber­ger hat­te die Prä­mi­en der Le­bens­ver­si­che­rung be­zahl­t…

»Und dann hast du die Sa­chen, die dein Va­ter am Wald­rand nie­der­ge­legt hat­te, auf­ge­ho­ben und bist heim­ge­gan­gen?«

»Ja.« Ar­min nick­te.

»Willst du mich nach Bern be­glei­ten, Meit­schi?« frag­te Stu­der. »Ich glaub, wir ha­ben hier al­les er­fah­ren, was nö­tig war.« Er zog sei­ne Uhr. »Um Zwei wer­den wir wohl dort sein. Wir kön­nen dann bei mir da­heim es­sen. Und dann war­test du bei uns zu Hau­se auf mich. Ich führ dich dann heut abend wie­der heim. Apro­pos, wer hat den Re­vol­ver bei der Frau Hof­mann ver­steckt? Der Ger­ber? Ich hab’s ge­dacht…«

Žanrid ja sildid
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1151 lk 3 illustratsiooni
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9783962816315
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