Loe raamatut: «Friedrich Glauser – Wachtmeister Studer», lehekülg 16

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Gas

Nach­dem Wacht­meis­ter Stu­der sei­nen ram­po­nier­ten Schweins­le­der­kof­fer in ei­nem Ab­teil des Nacht­schnell­zu­ges Pa­ris-Ba­sel ver­staut hat­te, ließ er im Gang das Fens­ter her­ab und nahm Ab­schied von sei­nen Freun­den. Kom­mis­sär Ma­de­lin zog mit Äch­zen und Stöh­nen eine in Zei­tungs­pa­pier ver­pack­te Fla­sche aus der Man­tel­ta­sche, Go­do­frey reich­te ein Päck­lein zum Wag­gon­fens­ter hin­auf, das ohne Zwei­fel eine Ter­ri­ne Gans­le­ber­pas­te­te ent­hielt, und lis­pel­te: »Pour ma­da­me!« Dann fuhr der Zug aus der Hal­le des Ost­bahn­ho­fes und Stu­der kehr­te in sein Dritt­klass-Ab­teil zu­rück.

Sei­nem Eck­platz ge­gen­über hat­te ein Fräu­lein Platz ge­nom­men. Pelz­jackett, graue Wild­le­der­schu­he, graus­ei­de­ne St­rümp­fe. Das Fräu­lein zün­de­te eine Zi­ga­ret­te an – aus­ge­spro­chen männ­li­che Rau­cher­wa­re, fran­zö­si­sche Ré­gie-Zi­ga­ret­ten: Gau­loi­ses. Sie streck­te Stu­der das blaue Päck­lein hin und der Wacht­meis­ter be­dien­te sich. Das Fräu­lein er­zähl­te, es sei Bas­le­rin und wol­le sei­ne Mut­ter be­su­chen. Über Neu­jahr. – Wo woh­ne die Mut­ter? – Auf dem Spa­len­berg. – So so? Auf dem Spa­len­berg? – Ja…

Stu­der be­gnüg­te sich mit die­ser Aus­kunft. Das jun­ge Meit­schi war zwei-, höchs­tens drei­und­zwan­zig­jäh­rig und es ge­fiel dem Wacht­meis­ter aus­neh­mend. Es ge­fiel ihm – in al­len Ehren. Schließ­lich hat­te man nicht das Recht als Groß­va­ter, als so­li­der Mann… Äbe!… Und es war an­ge­nehm, mit dem Meit­schi z’­brich­te…

Dann wur­de Stu­der müde, ent­schul­dig­te sein Gäh­nen, er sei sehr be­schäf­tigt ge­we­sen in Pa­ris – das Meit­schi lä­chel­te, un­ver­schämt ein we­nig, – was tat das? Der Wacht­meis­ter lehn­te den schwe­ren Kopf in die Ecke auf sei­nen grau­en Re­gen­man­tel und schlum­mer­te ein. Als er er­wach­te, saß ihm ge­gen­über im­mer noch das Meit­schi, es schi­en sich kaum be­wegt zu ha­ben. Nur das blaue Päck­li mit den Zi­ga­ret­ten, das in Pa­ris noch voll ge­we­sen war, lag als lee­res Pa­pier, zu­sam­men­ge­knäu­elt, in ei­ner Ecke. Und Stu­der hat­te Kopf­weh, weil das Kupée blau von Rauch war…

Er trug sei­nen Kof­fer und den sei­ner Mit­rei­sen­den bis an den Zoll, ver­ab­schie­de­te sich dann und stieß mit ei­nem Man­ne zu­sam­men, der auf dem Kop­fe eine Kap­pe trug, die aus­sah wie ein von ei­nem Töp­fer ver­pfusch­ter Blu­men­topf; eine wei­ße Mönchs­kut­te hüll­te sei­nen ma­ge­ren Kör­per ein und die Füße, die blut­ten, steck­ten in of­fe­nen San­da­len…

Wacht­meis­ter Stu­der er­war­te­te eine herz­li­che Be­grü­ßung. Sie er­folg­te nicht. Das Ge­sicht, mit dem Schnei­der­bärt­lein am Kinn, sah ängst­lich aus und trau­rig, der Mund –wie bleich wa­ren die Lip­pen! – mur­mel­te: »Ah, In­spek­tor! Wie geht’s?« Und ohne eine Ant­wort ab­zu­war­ten, wand­te sich Pa­ter Matt­hi­as dem jun­gen Mäd­chen zu, das mit Stu­der ge­reist war, und nahm ihm den Kof­fer ab. Vor dem Bahn­hof stie­gen die bei­den in ein Taxi und fuh­ren da­von.

Der Wacht­meis­ter hob die mäch­ti­gen Ach­seln. Die Pro­phe­zei­un­gen des Hell­se­her­kor­po­rals, die ein Wei­ßer Va­ter drei Kri­mi­na­lis­ten in ei­ner Bei­ze bei den Pa­ri­ser Markt­hal­len auf­ge­tischt hat­te, schie­nen je­der Be­stä­ti­gung zu ent­beh­ren. Denn hät­te der Pa­ter ih­nen Glau­ben ge­schenkt, so wäre es sei­ne Pf­licht ge­we­sen, Wa­che zu hal­ten bei der… der… wie hieß sie nur? Ei­ner­lei!… bei der Frau auf dem Spa­len­berg, um sie zu schüt­zen ge­gen einen Tod, der ir­gend et­was mit Pfei­fen zu tun hat­te… Pfei­fen… Was pfiff? Ein Pfeil… Der Bol­zen ei­nes Blas­roh­res… Was noch? Eine Schlan­ge?… Das wa­ren al­les Erin­ne­run­gen aus den De­tek­tiv­ge­schich­ten des Herrn Co­nan Doy­le, der un­ter die Spi­ri­tis­ten ge­gan­gen war. – Es gab da eine Ge­schich­te… Wie hieß sie? Das ge­tupf­te… ge­tupf­te… Ja, das ge­tupf­te Band! Da wi­ckel­te sich eine Schlan­ge um eine Klin­gel­schnur. Nun, Herr Co­nan Doy­le be­saß Fan­ta­sie, aber Stu­der hat­te kei­ne Bris­sa­gos mehr. So lie­bens­wür­dig und gast­freund­lich die Fran­zo­sen auch wa­ren, Bris­sa­gos kann­ten sie nicht… Und dar­um ließ sich der Wacht­meis­ter sein läng­li­ches Le­de­re­tui am Bahn­hof­ki­osk frisch fül­len. Aber er ver­sag­te sich den Ge­nuss, so­gleich einen die­ser Sten­gel an­zu­zün­den, son­dern be­gab sich zu­erst ins Buf­fet, all­wo er z’Mor­gen aß, aus­gie­big und fried­lich. Und dann be­schloss er, einen Freund auf­zu­su­chen, der in der Mis­si­ons­s­tra­ße wohn­te.

Un­ter­wegs, zu­erst in der Frei­en Stra­ße, denn es war noch früh am Mor­gen und Stu­der mach­te einen Um­weg, um sei­nen Freund nicht zu früh auf­zu­stö­ren, schüt­tel­te er den Kopf. Das scha­de­te we­nig, denn es gab kei­ne Passan­ten, die sich über dies Kopf­schüt­teln und das nach­he­ri­ge Selbst­ge­spräch hät­ten auf­hal­ten kön­nen. Wacht­meis­ter Stu­der schüt­tel­te also sei­nen Kopf und mur­mel­te: »Er duzt die En­gel nicht.« Und Pa­ter Matt­hi­as schi­en ein Mann zu sein, der vol­ler Rän­ke war.

Auf dem Markt­platz schüt­tel­te er noch ein­mal den Kopf und mur­mel­te dann: »Das jun­ge Ja­kob­li lässt den al­ten Ja­kob grü­ßen.« Das Hedy war doch ein merk­wür­di­ges Frau­en­zim­mer!… Nun war es nah an den Fünf­zig, Groß­mut­ter dazu, aber es lieb­te eine ori­gi­nel­le Aus­drucks­wei­se. Frü­her hät­te sich Stu­der dar­über ge­är­gert. Aber nach sie­ben­und­zwan­zig­jäh­ri­ger Ehe wird man nicht mehr taub… s’He­dy!… Die Frau hat­te es nicht im­mer leicht ge­habt. Aber ein tap­fe­rer Kerl war sie… Und nun: eine tap­fe­re Groß­mut­ter…

Groß­mut­ter… Stu­der blick­te auf, blieb ste­hen, denn es ging berg­auf. Rich­tig: der Spa­len­berg! Und eine Num­mer leuch­te­te ihm ent­ge­gen…

Da flog das Hau­stor auf, ein Mäd­chen stürz­te her­aus, und da der Wacht­meis­ter der ein­zi­ge Mensch auf der Stra­ße war, pack­te es na­tür­lich ihn am Är­mel und keuch­te:

»Kom­men Sie mit!… Die Mut­ter!… Es riecht nach Gas!…«

Und Wacht­meis­ter Stu­der von der Ber­ner Fahn­dungs­po­li­zei folg­te sei­nem Schick­sal: dies­mal hat­te es die Ge­stalt ei­nes jun­gen Meit­schis an­ge­nom­men das ger­ne star­ke fran­zö­si­sche Zi­ga­ret­ten rauch­te und ein Pelz­jackett, graue Wild­le­der­schu­he und graue Sei­den­st­rümp­fe trug.

»Blyb uf dr Lou­be!«, sag­te Stu­der, nach­dem er keu­chend drei Stock­wer­ke er­stie­gen hat­te. Ohne Zwei­fel, der Gas­ge­ruch war deut­lich! Kei­ne Klin­ke, kein Schlüs­sel an der Tü­re… Tan­nen­holz – und ein schwa­ches Schloss…

Stu­der nahm sechs Schrit­te An­lauf, kei­nen ein­zi­gen mehr. Aber eine sim­ple Tan­nen­holz­tü­re ver­mag dem An­prall ei­nes Dop­pel­zent­ners nicht stand­zu­hal­ten. So gab die Türe ge­hor­sam nach – nicht das Holz, son­dern das Schloss – und eine Wol­ke von Gas ström­te Stu­der ent­ge­gen. Zum Glück war sein Nas­tuch groß. Er kno­te­te es im Na­cken fest, so­dass es Mund und Nase be­deck­te.

»Blyb dus­se, Meit­schi!«, rief Stu­der noch. Zwei Schrit­te – und die win­zi­ge Kü­che war durch­quert; eine Türe wur­de auf­ge­sto­ßen. Das Wohn­zim­mer war qua­dra­tisch, weiß­ge­kalkt. Der Wacht­meis­ter riss das Fens­ter auf und lehn­te sich hin­aus… Und das Nas­tuch ließ sich wie eine Fast­nachts­mas­ke ab­strei­fen…

Ein Ge­wirr von Dä­chern… Ka­mi­ne stie­ßen fried­lich ih­ren Rauch in die kal­te Win­ter­luft. Reif glänz­te auf den dunklen Zie­geln. Und über den höchs­ten First kroch lang­sam eine blei­che Win­ter­son­ne. Der ein­drin­gen­de Luft­zug nahm das gif­ti­ge Gas mit sich.

Stu­der wand­te sich um und sah einen fla­chen Schreib­tisch, eine Couch, drei Stüh­le; an der Wand das Te­le­fon. Er durch­quer­te den Raum, ge­lang­te in die kor­ri­dor­ar­ti­ge Kü­che. Die bei­den Häh­ne des Réchauds wa­ren ge­öff­net, das Gas pfiff aus den Bren­nern. Ge­dan­ken­los schloss Stu­der die­se Häh­ne. Es war nicht sehr ein­fach, denn ein Lehn­stuhl stand im Wege, mit grü­nem Samt über­zo­gen. In ihm saß eine alte Frau, son­der­bar fried­lich, ge­löst und schi­en zu schla­fen. Die eine Hand ruh­te auf der Arm­leh­ne, der Wacht­meis­ter er­griff sie, tas­te­te nach dem Puls, schüt­tel­te den Kopf und leg­te die kal­te Hand vor­sich­tig auf das ge­schnitz­te Holz zu­rück.

Win­zig war die Kü­che wirk­lich. An­dert­halb Me­ter auf zwei, ein Kor­ri­dor eher. Über dem Gas­réchaud hing an der Wand ein Holz­ge­stell. Blech­do­sen – ehe­mals weiß email­liert, jetzt ge­bräunt, die Gla­sur ab­ge­sto­ßen: »Kaf­fee«, »Mehl«, »Salz«… Al­les war ärm­lich. Und durch den leich­ten Gas­ge­ruch, der noch zu­rück­b­lieb, stach deut­lich ein an­de­rer: Kamp­fer…

Es roch nach al­ter Frau, nach ein­sa­mer, al­ter Frau.

Es war ein ganz be­stimm­ter Ge­ruch, den Stu­der kann­te; er kann­te ihn aus den win­zi­gen Woh­nun­gen in der Metz­ger­gas­se, wo es hin und wie­der ei­ner al­ten Frau zu lang­wei­lig wur­de oder zu ein­sam und sie dann den Gas­hahn auf­dreh­te. Manch­mal aber war es we­der Ein­sam­keit noch Lan­ge­wei­le; son­dern Not…

Stu­der trat vor die Woh­nungs­tür. Links am Tür­pfos­ten, un­ter dem wei­ßen Klin­gel­knopf, ein Schild:

Jo­se­pha Cle­man-Hor­nuss

Wit­we

Wit­we!… Als ob Wit­we ein Be­ruf wäre!…

Er rief dem Meit­schi, das am Ge­län­der der Lau­be lehn­te – g’spä­ßig war das Haus ge­baut: die Lau­be ging auf ein Gärt­lein, ob­wohl die Woh­nung im drit­ten Stock­werk lag, und das Gärt­lein war von ei­ner Mau­er um­ge­ben, in die eine Türe ein­ge­las­sen war; wo­hin führ­te die Tür?… wohl auf eine Ne­ben­gas­se – er rief dem Meit­schi und es kam nä­her.

Es war na­tür­lich und selbst­ver­ständ­lich, dass der Wacht­meis­ter das Meit­schi sanft zu dem Lehn­stuhl führ­te, in dem eine alte Frau fried­lich schlum­mer­te.

Aber wäh­rend die Toch­ter ihr win­zi­ges Nas­tuch zog und sich die Trä­nen trock­ne­te, fiel dem Wacht­meis­ter et­was auf:

Die alte Frau im Lehn­stuhl trug einen ro­ten Schlaf­rock, der mit Kaf­fee­fle­cken über­sät war. Aber an den Fü­ßen trug sie hohe Schnürs­tie­fel, Aus­geh­schu­he – nein! Kei­ner­lei Pan­tof­feln!

Dann such­te Stu­der nach dem Gas­zäh­ler: Er hock­te oben an der Wand, gleich ne­ben der Woh­nungs­tür, auf ei­nem Brett und sah mit sei­nen Zif­fer­blät­tern aus wie ein grü­nes und feis­tes und gri­mas­sie­ren­des Ge­sicht.

Aber der Haup­t­hahn stand schief!…

Er stand schief. Er bil­de­te, woll­te man ge­nau sein, einen Win­kel von fünf­und­vier­zig Gra­d…

Wa­rum war er nur halb ge­öff­net? Wa­rum nicht ganz?

Im Grun­de ging einen der gan­ze Fall ja nichts an. Man war Wacht­meis­ter bei der Ber­ner Fahn­dungs­po­li­zei, da soll­ten die Bas­ler se­hen, wie sie zu Schlag ka­men. Üb­ri­gens, es schi­en ein Selbst­mord zu sein, ein Selbst­mord durch Leucht­gas – nichts Un­ge­wöhn­li­ches. Und nichts Un­ge­wohn­tes…

Stu­der ging in den Wohn­raum, der zu­gleich Schlaf­zim­mer war – die Couch in der Ecke! – und such­te nun nach dem Te­le­fon­buch. Es lag auf dem Schreib­tisch, ne­ben ei­nem aus­ge­brei­te­ten Kar­ten­spiel. Wäh­rend er nach der Num­mer der Sa­ni­täts­po­li­zei such­te, dach­te der Wacht­meis­ter ver­schwom­men, wie un­ge­wöhn­lich es ei­gent­lich war, dass eine Selbst­mör­de­rin vor dem Frei­to­de noch Pa­ti­encen leg­te… Da fiel ein Blatt Pa­pier aus dem Te­le­fon­buch zu Bo­den, Stu­der hob es auf, leg­te es ne­ben das aus­ge­brei­te­te Kar­ten­spiel – merk­wür­dig, oben in der Ecke links, die Kar­ten wa­ren in vier Rei­hen aus­ge­legt, lag der Pi­que­bub, der Schuf­le­bu­ur… Stu­der stell­te die Num­mer ein. Es summ­te, summ­te. Der Sa­ni­täts­po­li­zist hat­te wohl aus­gie­big Sil­ves­ter ge­fei­ert. End­lich mel­de­te sich eine tei­gi­ge Stim­me. Stu­der gab Aus­kunft: Spa­len­berg 12, drit­ter Stock, Jo­se­pha Cle­man-Hor­nuss. Selbst­mord… Dann häng­te er an.

Er hielt das Pa­pier noch in der Hand, das aus dem Te­le­fon­buch zu Bo­den ge­flat­tert war. Es war ver­gilbt, zu­sam­men­ge­fal­tet, die un­be­schrie­be­ne Sei­te nach au­ßen. Stu­der öff­ne­te es. – Eine Fie­ber­kur­ve…

HÔPITAL MILITAIRE DE FEZ.

Nom: Cle­man, Vic­tor Alois. Pro­fes­si­on: Géo­logue.

Na­tio­na­lité: Suis­se.

En­trée: 12/7/1917. – Pa­lu­dis­me.

Ins Deut­sche über­tra­gen hieß dies, dass es sich um einen ge­wis­sen Cle­man Vic­tor Alois han­del­te; sein Be­ruf: Geo­lo­ge; sein Hei­mat­land: die Schweiz; das Da­tum sei­nes Ein­trit­tes: zwölf­ter Juli neun­zehn­hun­dert­sie­ben­zehn. Und er­krankt war der Mann an Sumpf­fie­ber, an Mala­ria.

Die Fie­ber­kur­ve hat­te stei­le Spit­zen, sie lief vom 12. bis zum 30. Juli. Und hin­ter dem 30. Juli hat­te ein Blau­stift ein Kreuz ge­zeich­net. Am 30. Juli war also der Cle­man Alois Vic­tor, Geo­lo­ge, Schwei­zer, ge­stor­ben.

Cle­man?… Cle­man-Hor­nuss?… Spa­len­berg 12?…

Stu­der zog sein Ring­buch. Da stand es, auf der ers­ten Sei­te des Weih­nachts­ge­schen­kes!…

»Meit­schi!«, rief Stu­der; das Fräu­lein im Pelz­jackett schi­en über die An­re­de nicht über­mä­ßig er­staunt zu sein.

»Los, Meit­schi«, sag­te Stu­der. Und es sol­le ab­ho­cken. Er hat­te sein Ring­buch auf den Tisch ge­legt und mach­te sich, No­ti­zen wäh­rend er das Mäd­chen aus­frag­te.

Und es sah wirk­lich aus, als habe Wacht­meis­ter Stu­der einen neu­en Fall über­nom­men.

»War das dein Va­ter?«, frag­te Stu­der und zeig­te auf den Na­men oben auf der Fie­ber­kur­ve.

Ni­cken.

»Wie hei­ßest?«

»Ma­rie… Ma­rie Cle­man.«

»Also, ich bin der Wacht­meis­ter Stu­der von Bern. Und der Mann, der dich heut mor­gen ab­ge­holt hat, der hat mich um Schutz ge­be­ten – falls et­was pas­sie­re in der Schweiz. Er hat mir ein Mär­li er­zählt, aber an dem Mär­li ist eins wahr: dei­ne Mut­ter ist tot.«

Stu­der stock­te. Er dach­te an das Pfei­fen. Kein Pfeil. Kein Bol­zen. Kein ge­tupf­tes Ban­d… Gas!… Gas pfiff auch, wenn es aus den Bren­nern ström­te… Item!… Und ver­tief­te sich in die Fie­ber­kur­ve.

Am 18. hat­te die Abend- und am 19. Juli die Mor­gen­tem­pe­ra­tur 37,25 be­tra­gen. Über die­sem Strich war ver­merkt:

»Sul­fa­te de qui­ni­ne 2 km.«

Seit wann gab man Chi­nin ki­lo­me­ter­wei­se? Ein Schreib­feh­ler? Wahr­schein­lich han­del­te es sich um eine Ein­sprit­zung und statt 2 ccm, was die Ab­kür­zung für Ku­bik­zen­ti­me­ter ge­we­sen wäre, hat­te ir­gend­ein Stof­fel »km« ge­schrie­ben.

Mi­ra…

»Dein Va­ter«, sag­te Stu­der, »ist in Marok­ko ge­stor­ben. In Fez. Er hat dort, wie ich ge­hört habe, nach Er­zen ge­schürft. Für die fran­zö­si­sche Re­gie­rung… Apro­pos, wer war der Mann, der dich heut am Bahn­hof ab­ge­holt hat?«

»Mein On­kel Matt­hi­as«, sag­te Ma­rie er­staunt.

»Stimmt«, sag­te Stu­der. »Ich hab’ ihn in Pa­ris ken­nen­ge­lernt.«

Schwei­gen. Der Wacht­meis­ter saß hin­ter dem fla­chen Schreib­tisch, be­quem zu­rück­ge­lehnt. Ma­rie Cle­man stand vor ihm und spiel­te mit ih­rem Nas­tuch. In das Schwei­gen schrill­te die Klin­gel des Te­le­fons; Ma­rie woll­te auf­ste­hen, aber Stu­der wink­te ihr zu: sie sol­le nur sit­zen­blei­ben. Er nahm den Hö­rer ab, sag­te, wie er es von sei­nem Büro im Amts­haus ge­wöhnt war: »Ja?«

»Ist Frau Cle­man da?«

Eine un­an­ge­neh­me Stim­me, schrill und laut.

»Im Au­gen­blick nicht, soll ich et­was aus­rich­ten?«, frag­te Stu­der.

»Nein! Nein! Üb­ri­gens weiß ich ja, dass Frau Cle­man tot ist. Mich er­wi­schen Sie nicht. Sie sind wohl von der Po­li­zei, Mann? Ha­ha­ha­ha…« Ein rich­ti­ges Schau­spie­ler­la­chen! Der Mann sprach die »Ha«. – Und dann knack­te es im Hö­rer.

»Wer war’s?«, frag­te Ma­rie ängst­lich.

»Ein Löli!«, sag­te Stu­der tro­cken. Und frag­te gleich dar­auf – war es die Stim­me, die ihn auf den Ge­dan­ken ge­bracht hat­te –: »Wo ist dein On­kel Matt­hi­as?«

»Die ka­tho­li­schen Pries­ter«, mein­te Ma­rie müde, »müs­sen je­den Mor­gen ihre Mes­se le­sen… Wo sie auch sind.

Sonst brau­chen sie, glaub’ ich, einen Dis­pens… Vom Papst – oder vom Bi­schof – ich weiß nicht…« Sie seufz­te, zog die Fie­ber­kur­ve zu sich her­an und be­gann sie eif­rig zu stu­die­ren.

»Was ist das?«, frag­te sie plötz­lich und deu­te­te auf das blaue Kreuz.

»Das?« Stu­der stand hin­ter dem Mäd­chen. »Das wird wohl der To­des­tag dei­nes Va­ters sein.«

»Nein!« Ma­rie schrie das Wort. Dann fuhr sie ru­hi­ger fort: »Mein Va­ter ist am 20. Juli ge­stor­ben. Ich hab’ selbst den To­ten­schein ge­se­hen und den Brief vom Ge­ne­ral! Am 20. Juli 1917 ist mein Va­ter ge­stor­ben.«

Sie schwieg und auch Stu­der hielt den Mund.

Nach ei­ner Wei­le sprach Ma­rie wei­ter: Die Mut­ter habe es oft ge­nug er­zählt. Am ein­und­zwan­zigs­ten Juli sei ein Te­le­gramm ge­kom­men, das Te­le­gramm müs­se noch bei den An­den­ken sein, dort im Schreib­tisch, in der zweit­un­ters­ten Schub­la­de. Und dann, etwa vier­zehn Tage spä­ter, habe der Brief­trä­ger die große gel­be En­ve­lop­pe ge­bracht. Nicht viel habe sie ent­hal­ten. Den Pass des Va­ters, vier­tau­send Fran­ken in No­ten der al­ge­ri­schen Staats­bank und den Bei­leids­brief ei­nes fran­zö­si­schen Ge­ne­rals. Lyau­tey habe der Mann ge­hei­ßen. Ein sehr schmei­chel­haf­ter Brief: Wie gut Herr Cle­man die In­ter­es­sen Frank­reichs ver­tre­ten habe, wie dank­bar das Land Herrn Cle­man sei, dass er zwei deut­sche Spio­ne ent­larvt ha­be…

»Zwei Spio­ne?«, frag­te Stu­der. Er saß auf ei­nem Stuhl in der Ecke beim of­fe­nen Fens­ter, hat­te die Ell­bo­gen auf die Schen­kel ge­stützt und die Hän­de ge­fal­tet. Er starr­te zu Bo­den. »Zwei Spio­ne?«, wie­der­hol­te er.

Ma­rie schloss das Fens­ter. Sie blick­te auf den Hof, ihre Fin­ger trom­mel­ten einen ein­tö­ni­gen Marsch ge­gen die Schei­ben und ihr Atem ließ auf dem Gla­se einen trü­ben Fleck ent­ste­hen: Tröpf­lein bil­de­ten sich, kol­ler­ten her­ab, bis der Fens­ter­rah­men sie auf­hielt.

»Ja, zwei Spio­ne.« Ma­ri­es Stim­me war ein­tö­nig. »Die Ge­brü­der Man­nes­mann… Mit dem Brief aber war es so: Wir wohn­ten da­mals an der Rhein­schan­ze und hat­ten eine große Woh­nung. Dann kam ei­nes Ta­ges der Brief. Ich hat­te Fe­ri­en… Der Brief­trä­ger brach­te die große En­ve­lop­pe, sie war re­kom­man­diert, und die Mut­ter muss­te un­ter­schrei­ben. Es fie­len zwei Trä­nen in das Büch­lein des Brief­trä­gers und die Schrift des Tin­ten­blei­stifts lief aus­ein­an­der. Der Va­ter hin­ter­ließ nicht viel, und nach sei­nem Tode ging es uns schlecht. Die Mut­ter wun­der­te sich spä­ter oft, dass so we­nig Geld zu­rück­ge­blie­ben war. Die Tan­te in Bern, die be­saß ein Ver­mö­gen…«

Stu­der blät­ter­te in sei­nem No­tiz­buch. Die ers­te Frau!… Hat­te der Mönch, der Wei­ße Va­ter, nicht von ihr ge­spro­chen? Da: »So­phie Hor­nuss, Ge­rech­tig­keits­gas­se 44, Bern.«

»Wie ist der Va­ter mit den zwei Spio­nen – mit den… wie hast du sie ge­nannt?… ah ja!… mit den Ge­brü­dern Man­nes­mann aus­ge­kom­men?«

»Gut. Ganz gut zu­erst. Ich weiß das al­les nur von der Mut­ter. Sie hat­ten Schür­fun­gen ge­macht, wie ich Ih­nen er­zähl­te. Be­son­ders im Sü­den von Marok­ko. Das heißt, der Va­ter hat­te das Vor­kom­men der Erze ent­deckt. Die Brü­der Man­nes­mann ga­ben sich als Schwei­zer aus; und dann, wäh­rend dem Krieg, ha­ben sie ei­ni­gen Deut­schen aus der Frem­den­le­gi­on zur Rück­kehr in die Hei­mat ver­hol­fen. Das hat der Va­ter er­fah­ren und dem Ge­ne­ral mit­ge­teilt. Und dann wur­den die bei­den ganz ein­fach an die Wand ge­stellt. Zum Dank für den Ver… für die Benach­rich­ti­gung ist der Va­ter bald nach­her von der fran­zö­si­schen Re­gie­rung an­ge­stellt wor­den…«

»So syg das gsy«, nick­te Stu­der. Er stand auf, beug­te sich wie­der über den Schreib­tisch. Die aus­ge­leg­ten Kar­ten hat­ten es ihm an­ge­tan.

»Und was habe es für eine Be­wandt­nis mit den Kar­ten?«

Ma­rie Cle­man stütz­te die Hän­de auf das Fens­ter­brett und saß leicht auf dem vor­sprin­gen­den Ab­satz, wäh­rend ihre Fuß­spit­zen den Rand des ab­ge­schab­ten Tep­pichs be­rühr­ten. Dün­ne Fes­seln hat­te das Mäd­chen!…

Die Kar­ten! Das sei eben das Elend ge­we­sen! Da­rum sei sie von der Mut­ter fort, er­klär­te Ma­rie. »Ach!«, seufz­te sie, »es ist nicht mehr zum Aus­hal­ten ge­we­sen, der gan­ze Schwin­del! Die Dienst­mäd­chen, die zehn Fran­ken zahl­ten, um zu wis­sen, ob der Schatz ih­nen treu sei; die Kauf­leu­te, die Rat woll­ten für eine Spe­ku­la­ti­on; die Po­li­ti­ker, de­nen die Mut­ter be­stä­ti­gen muss­te, dass sie wie­der ge­wählt wür­den… Und zum Schluss kam noch der Bank­di­rek­tor. Aber die­ser Herr kam we­gen mir. Und wis­sen Sie, On­kel Stu­der, ich glaub’, die Mut­ter schi­en nicht ein­mal et­was da­ge­gen zu ha­ben, dass ich mit dem Bank­di­rek­tor… Da bin ich ei­nes Ta­ges ab­ge­reist…«

Stu­der war auf­ge­fah­ren. Er stand dem Meit­schi ge­gen­über. Wie hat­te ihn die Ma­rie ge­nannt? On­kel Stu­der? Das ver­schlug ihm den Atem… Aber, b’hüe­tis, was war da­bei? Er hat­te das Meit­schi ge­duzt, nach al­ter Ber­ner Ma­nier. Hat­te da die Ma­rie nicht eben­falls das Recht auf eine ge­wis­se Fa­mi­lia­ri­tät? On­kel Stu­der! Es wärm­te… Ex­akt wie Bät­zi­was­ser.

»Wenn du schon«, sag­te Stu­der, und sei­ne Stim­me klang ein we­nig hei­ser, »On­kel sagst, dann sag we­nigs­tens: Vet­ter Ja­kob. On­kel! Das sa­gen die Schwa­ben…«

Ma­rie war rot ge­wor­den. Sie blick­te dem Wacht­meis­ter ins Ge­sicht und sie hat­te eine be­son­de­re Art, die Leu­te an­zu­se­hen: nicht ei­gent­lich prü­fend, mehr er­staunt – ru­hig er­staunt, hät­te man es nen­nen kön­nen. Stu­der fand, die­se Art des An­schau­ens pas­se zu dem Mäd­chen. Aber er konn­te sich vor­stel­len, dass sie an­de­ren Leu­ten auf die Ner­ven fiel.

»Gut! Also!«, sag­te Ma­rie. »Vet­ter Ja­kob!« Und gab dem Wacht­meis­ter die Hand. Die Hand war klein, kräf­tig. Stu­der räus­per­te sich.

»Du bist ab­ge­reist… schön. Nach Pa­ris hat mir dein On­kel er­zählt. Mit wem?«

»Mit dem ehe­ma­li­gen Se­kre­tär mei­nes Va­ters. Kol­ler hieß er. Er kam uns ein­mal be­su­chen und er­zähl­te, er habe sich selbst­stän­dig ge­macht und brau­che je­man­den, zu dem er Ver­trau­en ha­ben kön­ne. Ob ich ihn be­glei­ten wol­le, als Ste­no­ty­pis­tin? Ich hat­te die Han­dels­schu­le be­sucht und sag­te ja…«

Pelz­jackett, sei­de­ne St­rümp­fe, Wild­le­der­schu­he… Lang­te das Sa­lär ei­ner Se­kre­tä­rin für so teu­re An­schaf­fun­gen? Stu­der ver­grub die Hän­de in den Ho­sen­sä­cken. Ihm war ein we­nig trau­rig zu­mu­te; dar­um run­de­te er den Rücken und frag­te:

»Wa­rum bist du jetzt auf ein­mal zur Mut­ter ge­fah­ren?«

Wie­der der merk­wür­dig prü­fen­de Blick.

»Wa­rum?«, wie­der­hol­te Ma­rie. »Weil der Kol­ler plötz­lich ver­schwun­den ist. Von ei­nem Tag auf den an­de­ren. Vor drei Mo­na­ten, drei­ein­halb. Genau: am fünf­zehn­ten Sep­tem­ber. Vier­tau­send Fran­zo­sen­fran­ken hat er mir zu­rück­ge­las­sen, und mit dem Geld hab’ ich ge­langt – bis Ende De­zem­ber. Da hab’ ich grad noch ge­nug ge­habt, um nach Ba­sel zu fah­ren.«

»Wa­rum bist du nicht mit dei­nem On­kel ge­fah­ren?«

»Er hat al­lein fah­ren wol­len.«

»Hast du das Ver­schwin­den an­ge­zeigt?«

»Ja. Auf der Po­li­zei. Sie hat die Pa­pie­re be­schlag­nahm­t… Ein ge­wis­ser Ma­de­lin hat sich um die Sa­che ge­küm­mert. Ein­mal hat er mich vor­ge­la­den…«

Ein Satz!… Ein Satz!… War er nicht zu er­wi­schen, der Satz, den Kom­mis­sär Ma­de­lin ge­spro­chen hat­te, an je­nem Abend, da Stu­der ihm das Te­le­gramm vom neu­en Ja­kob­li ge­zeigt hat­te? Was hat­te Ma­de­lin da zum le­ben­di­gen Kon­ver­sa­ti­ons­le­xi­kon Go­do­frey ge­spro­chen:

»… Es stimmt et­was nicht mit den Pa­pie­ren des Kol­ler…« Das war es. Han­del­te es sich um den glei­chen Kol­ler?

Stu­der frag­te:

»Wo hat dei­ne Mut­ter die An­den­ken an dei­nen Va­ter auf­be­wahrt?«

»Im Schreib­tisch«, er­wi­der­te Ma­rie und wand­te dem Rau­me wie­der den Rücken zu. »In der zweit­un­ters­ten Schub­la­de.«

In der zweit­un­ters­ten Schub­la­de…

Sie war leer. Doch das al­lein wäre nicht all­zu auf­fäl­lig ge­we­sen.

Auf­fäl­lig aber war, dass der Ein­bre­cher, der sie auf­ge­bro­chen hat­te, sorg­sam ein ab­ge­split­ter­tes Stück Holz wie­der ein­ge­setzt hat­te. Stu­der schob die lee­re Schub­la­de zu, dann folg­te er dem Bei­spiel sei­nes Vor­gän­gers und pass­te das Holz­stück­chen ge­nau an sei­nen Platz. Er rich­te­te sich auf, zog sein Nas­tuch aus der Ta­sche, beug­te sich noch ein­mal zur Schub­la­de her­ab und rieb dort al­les sau­ber. Dazu mur­mel­te er: »Man kann nie wis­sen…«

»Fin­den Sie et­was, Vet­ter Ja­kob?«, frag­te Ma­rie, ohne sich um­zu­wen­den.

»Die Mut­ter hat’s wohl an ei­nem an­de­ren Ort ver­räum­t…«, brumm­te Stu­der. Und lau­ter füg­te er hin­zu: »Die ers­te Frau dei­nes Va­ters wohnt also in Bern und heißt…« Stu­der schlug sein No­tiz­buch auf, aber Ma­rie kam ihm zu­vor:

»Hor­nuss heißt sie, So­phie Hor­nuss, Ge­rech­tig­keits­gas­se 44. Sie war die äl­te­re Schwes­ter mei­ner Mut­ter und ei­gent­lich mei­ne Tan­te, wenn Sie so wol­len…«

»G’spä­ßi­ge Fa­mi­li­en­ver­hält­nis­se«, stell­te Stu­der tro­cken fest.

Ma­rie lä­chel­te. Dann ver­schwand das Lä­cheln und ihre Au­gen wur­den dun­kel und trau­rig. – Das habe sie manch­mal auch ge­fun­den, mein­te sie, und Stu­der schalt sich einen Du­bel, weil sei­ne dum­me Be­mer­kung dem Meit­schi si­cher Kum­mer ge­macht hat­te…

Im Flur ka­men Schrit­te nä­her. Die auf­ge­spreng­te Tür kreisch­te in ih­ren An­geln und eine Stim­me er­kun­dig­te sich, ob hier je­mand Selbst­mord be­gan­gen habe. – Es müs­se wohl hier sein, sag­te eine zwei­te Stim­me, es ste­he ja am Tür­pfos­ten! Cle­man! Und füg­te hin­zu: »Äbe joo«, und da habe man die Be­sche­rung.

Stu­der kehr­te in die klei­ne Kü­che zu­rück und stieß dort mit ei­nem Uni­for­mier­ten zu­sam­men. Der Stoß war weich, denn der Sa­ni­täts­po­li­zist war dick, ro­sig und glatt wie ein Säug­ling. Er schi­en stän­dig ein Gäh­nen un­ter­drücken zu müs­sen, über­schüt­te­te den Wacht­meis­ter mit ei­nem Schwall von Fra­gen, die tap­fer mit »jä« und »joo« ge­würzt wa­ren. Au­ßer­dem gur­gel­te der Mann mit den »R« wie mit Mund­was­ser, an­statt sie or­dent­lich, wie sons­ti­ge Schwei­zer Chris­ten­menschen, mit der Zun­ge ge­gen den Vor­der­gau­men zu rol­len. Der Herr Ge­richts­arzt war alt und sein Schnauz vom vie­len Zi­ga­ret­ten­rau­chen gelb.

Stu­der stell­te sich vor, stell­te Ma­rie vor.

Die Tote in ih­rem Lehn­stuhl schi­en zu lä­cheln. Der Wacht­meis­ter blick­te ihr noch ein­mal ins Ge­sicht. Ne­ben dem lin­ken Na­sen­flü­gel saß eine War­ze…

Die Lei­che wur­de fort­ge­bracht, und zwar durch das Tür­lein in der Mau­er. Es dau­er­te lan­ge, bis man den Schlüs­sel zu die­sem Mau­er­tor auf­ge­trie­ben hat­te – in der Woh­nung der To­ten war kein ein­zi­ger Schlüs­sel zu ent­de­cken. Ein Mie­ter, vom Lärm her­bei­ge­lockt, half aus.

Stu­der war müde. Er hat­te kei­ne Lust, sei­nem Kol­le­gen von der Sa­ni­täts­po­li­zei die Merk­wür­dig­kei­ten des Fal­les auf­zu­zäh­len: den schie­fen He­bel am Gas­zäh­ler, die Aus­gehs­tie­fel der al­ten Frau im Schlafrock… Der Wacht­meis­ter stand und starr­te auf das Mes­sing­schild: »Jo­se­pha Cle­man-Hor­nuss. Wit­we.«

Dann lud er Ma­rie zu ei­nem Kaf­fee ein. Das schi­en ihm das Ver­nünf­tigs­te…

Žanrid ja sildid
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1151 lk 3 illustratsiooni
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9783962816315
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