Ach, liegt Alles schon welk und grau, was noch jüngst auf dieser Wiese grün und bunt stand? Und wie vielen Honig der Hoffnung trug ich von hier in meine Bienenkörbe!
Diese jungen Herzen sind alle schon alt geworden, – und nicht alt einmal! nur müde, gemein, bequem: – sie heissen es »Wir sind wieder fromm geworden.«
Noch jüngst sah ich sie in der Frühe auf tapferen Füssen hinauslaufen: aber ihre Füsse der Erkenntniss wurden müde, und nun verleumden sie auch noch ihre Morgen-Tapferkeit!
Wahrlich, Mancher von ihnen hob einst die Beine wie ein Tänzer, ihm winkte das Lachen in meiner Weisheit: – da besann er sich. Eben sah ich ihn krumm – zum Kreuze kriechen.
Um Licht und Freiheit flatterten sie einst gleich Mücken und jungen Dichtern. Ein Wenig älter, ein Wenig kälter: und schon sind sie Dunkler und Munkler und Ofenhocker.
Verzagte ihnen wohl das Herz darob, dass mich die Einsamkeit verschlang gleich einem Wallfische? Lauschte ihr Ohr wohl sehnsüchtig-lange umsonst nach mir und meinen Trompeten- und Herolds-Rufen?
– Ach! Immer sind ihrer nur Wenige, deren Herz einen langen Muth und Übermuth hat; und solchen bleibt auch der Geist geduldsam. Der Rest aber ist feige.
Der Rest: das sind immer die Allermeisten, der Alltag, der Überfluss, die Viel-zu-Vielen – diese alle sind feige! –
Wer meiner Art ist, dem werden auch die Erlebnisse meiner Art über den Weg laufen: also, dass seine ersten Gesellen Leichname und Possenreisser sein müssen.
Seine zweiten Gesellen aber – die werden sich seine Gläubigen heissen: ein lebendiger Schwarm, viel Liebe, viel Thorheit, viel unbärtige Verehrung.
An diese Gläubigen soll Der nicht sein Herz binden, wer meiner Art unter Menschen ist; an diese Lenze und bunte Wiesen soll Der nicht glauben, wer die flüchtig-feige Menschenart kennt!
Könnten sie anders, so würden sie auch anders wollen. Halb- und Halbe verderben alles Ganze. Dass Blätter welk werden, – was ist da zu klagen!
Lass sie fahren und fallen, oh Zarathustra, und klage nicht! Lieber noch blase mit raschelnden Winden unter sie, –
– blase unter diese Blätter, oh Zarathustra: dass alles Welke schneller noch von dir davonlaufen! –
»Wir sind wieder fromm geworden« – so bekennen diese Abtrünnigen; und Manche von ihnen sind noch zu feige, also zu bekennen.
Denen sehe ich in’s Auge, – denen sage ich es in’s Gesicht und in die Röthe ihrer Wangen: ihr seid Solche, welche wieder beten!
Es ist aber eine Schmach, zu beten! Nicht für Alle, aber für dich und mich und wer auch im Kopfe sein Gewissen hat. Für dich ist es eine Schmach, zu beten!
Du weisst es wohl: dein feiger Teufel in dir, der gerne Hände-falten und Hände-in-den-Schooss-legen und es bequemer haben möchte: – dieser feige Teufel redet dir zu »es giebt einen Gott!«
Damit aber gehörst du zur lichtscheuen Art, denen Licht nimmer Ruhe lässt; nun musst du täglich deinen Kopf tiefer in Nacht und Dunst stecken!
Und wahrlich, du wähltest die Stunde gut: denn eben wieder fliegen die Nachtvögel aus. Die Stunde kam allem lichtscheuen Volke, die Abend- und Feierstunde, wo es nicht – »feiert.«
Ich höre und rieche es: es kam ihre Stunde für Jagd und Umzug, nicht zwar für eine wilde Jagd, sondern für eine zahme lahme schnüffelnde Leisetreter- und Leisebeter-Jagd, –
– für eine Jagd auf seelenvolle Duckmäuser: alle Herzens- Mausefallen sind jetzt wieder aufgestellt! Und wo ich einen Vorhang aufhebe, da kommt ein Nachtfalterchen herausgestürzt.
Hockte es da wohl zusammen mit einem andern Nachtfalterchen? Denn überall rieche ich kleine verkrochne Gemeinden; und wo es Kämmerlein giebt, da giebt es neue Bet-Brüder drin und den Dunst von Bet-Brüdern.
Sie sitzen lange Abende bei einander und sprechen: lasset uns wieder werden wie die Kindlein und »lieber Gott« sagen!« – an Mund und Magen verdorben durch die frommen Zuckerbäcker.
Oder sie sehen lange Abende einer listigen lauernden Kreuzspinne zu, welche den Spinnen selber Klugheit predigt und also lehrt: »unter Kreuzen ist gut spinnen!«
Oder sie sitzen Tags über mit Angelruthen an Sümpfen und glauben sich tief damit; aber wer dort fischt, wo es keine Fische giebt, den heisse ich noch nicht einmal oberflächlich!
Oder sie lernen fromm-froh die Harfe schlagen bei einem Lieder-Dichter, der sich gern jungen Weibchen in’s Herz harfnen möchte: – denn er wurde der alten Weibchen müde und ihres Lobpreisens.
Oder sie lernen gruseln bei einem gelehrten Halb-Tollen, der in dunklen Zimmern wartet, dass ihm die Geister kommen – und der Geist ganz davonläuft!
Oder sie horchen einem alten umgetriebnen Schnurr- und Knurrpfeifer zu, der trüben Winden die Trübsal der Töne ablernte; nun pfeift er nach dem Winde und predigt in trüben Tönen Trübsal.
Und Einige von ihnen sind sogar Nachtwächter geworden: die verstehen jetzt in Hörner zu blasen und Nachts umherzugehn und alte Sachen aufzuwecken, die lange schon eingeschlafen sind.
Fünf Worte von alten Sachen hörte ich gestern Nachts an der Garten-Mauer: die kamen von solchen alten betrübten trocknen Nachtwächtern.
»Für einen Vater sorgt er nicht genug um seine Kinder: Menschen-Väter thun diess besser!« –
»Er ist zu alt! Er sorgt schon gar nicht mehr um seine Kinder« – also antwortete der andere Nachtwächter.
»Hat er denn Kinder? Niemand kann’s beweisen, wenn er’s selber nicht beweist! Ich wollte längst, er bewiese es einmal gründlich.«
»Beweisen? Als ob Der je Etwas bewiesen hätte! Beweisen fällt ihm schwer; er hält grosse Stücke darauf, dass man ihm glaubt.«
»Ja! Ja! Der Glaube macht ihn selig, der Glaube an ihn. Das ist so die Art alter Leute! So geht’s uns auch!« –
– Also sprachen zu einander die zwei alten Nachtwächter und Lichtscheuchen, und tuteten darauf betrübt in ihre Hörner: so geschah’s gestern Nachts an der Garten-Mauer.
Mir aber wand sich das Herz vor Lachen und wollte brechen und wusste nicht, wohin? und sank in’s Zwerchfell.
Wahrlich, das wird noch mein Tod sein, dass ich vor Lachen ersticke, wenn ich Esel betrunken sehe und Nachtwächter also an Gott zweifeln höre.
Ist es denn nicht lange vorbei auch für alle solche Zweifel? Wer darf noch solche alte eingeschlafne lichtscheue Sachen aufwecken!
Mit den alten Göttern gieng es ja lange schon zu Ende: – und wahrlich, ein gutes fröhliches Götter-Ende hatten sie!
Sie »dämmerten« sich nicht zu Tode, – das lügt man wohl! Vielmehr: sie haben sich selber einmal zu Tode – gelacht !
Das geschah, als das gottloseste Wort von einem Gotte selber ausgieng, – das Wort: »Es ist Ein Gott! Du sollst keinen andern Gott haben neben mir!« –
– ein alter Grimm-Bart von Gott, ein eifersüchtiger vergass sich also:
Und alle Götter lachten damals und wackelten auf ihren Stühlen und riefen: »Ist das nicht eben Göttlichkeit, dass es Götter, aber keinen Gott giebt?«
Wer Ohren hat, der höre. –
Also redete Zarathustra in der Stadt, die er liebte und welche zubenannt ist die bunte Kuh.’ Von hier nämlich hatte er nur noch zwei Tage zu gehen, dass er wieder in seine Höhle käme und zu seinen Thieren; seine Seele aber frohlockte beständig ob der Nähe seiner Heimkehr. –
Oh Einsamkeit! Du meine Heimat Einsamkeit! Zu lange lebte ich wild in wilder Fremde, als dass ich nicht mit Thränen zu dir heimkehrte!
Nun drohe mir nur mit dem Finger, wie Mütter drohn, nein lächle mir zu, wie Mütter lächeln, nun sprich nur: »Und wer war das, der wie ein Sturmwind einst von mir davonstürmte? –
»- der scheidend rief: zu lange sass ich bei der Einsamkeit, da verlernte ich das Schweigen! D a s – lerntest du nun wohl?
»Oh Zarathustra, Alles weiss ich: und dass du unter den Vielen verlassener warst, du Einer, als je bei mir!
»Ein Anderes ist Verlassenheit, ein Anderes Einsamkeit: Das – lerntest du nun! Und dass du unter Menschen immer wild und fremd sein wirst:
»-Wild und fremd auch noch, wenn sie dich lieben: denn zuerst von Allem wollen sie geschont sein!
»Hier aber bist du bei dir zu Heim und Hause; hier kannst du Alles hinausreden und alle Gründe ausschütten, Nichts schämt sich hier versteckter, verstockter Gefühle.
»Hier kommen alle Dinge liebkosend zu deiner Rede und schmeicheln dir: denn sie wollen auf deinem Rücken reiten. Auf jedem Gleichniss reitest du hier zu jeder Wahrheit.
»Aufrecht und aufrichtig darfst du hier zu allen Dingen reden: und wahrlich, wie Lob klingt es ihren Ohren, dass Einer mit allen Dingen – gerade redet!
»Ein Anderes aber ist Verlassensein. Denn, weisst du noch, oh Zarathustra? Als damals dein Vogel über dir schrie, als du im Walde standest, unschlüssig, wohin? unkundig, einem Leichnam nahe: –
»- als du sprachst: mögen mich meine Thiere führen! Gefährlicher fand ich’s unter Menschen, als unter Thieren: – Das war Verlassenheit!
»Und weisst du noch, oh Zarathustra? Als du auf deiner Insel sassest, unter leeren Eimern ein Brunnen Weins, gebend und ausgebend, unter Durstigen schenkend und ausschenkend:
»- bis du endlich durstig allein unter Trunkenen sassest und nächtlich klagtest »ist Nehmen nicht seliger als Geben? Und Stehlen noch seliger als Nehmen?« – Das war Verlassenheit!
»Und weisst du noch, oh Zarathustra? Als deine stillste Stunde kam und dich von dir selber forttrieb, als sie mit bösem Flüstern sprach: Sprich und zerbrich!« –
»- als sie dir all dein Warten und Schweigen leid machte und deinen demüthigen Muth entmuthigte: Das war Verlassenheit!« –
Oh Einsamkeit! Du meine Heimat Einsamkeit! Wie selig und zärtlich redet deine Stimme zu mir!
Wir fragen einander nicht, wir klagen einander nicht, wir gehen offen mit einander durch offne Thüren.
Denn offen ist es bei dir und hell; und auch die Stunden laufen hier auf leichteren Füssen. Im Dunklen nämlich trägt man schwerer an der Zeit, als im Lichte.
Hier springen mir alles Seins Worte und Wort-Schreine auf: alles Sein will hier Wort werden, alles Werden will hier von mir reden lernen.
Da unten aber – da ist alles Reden umsonst! Da ist Vergessen und Vorübergehn die beste Weisheit: Das – lernte ich nun!
Wer Alles bei den Menschen begreifen wollte, der müsste Alles angreifen. Aber dazu habe ich zu reinliche Hände.
Ich mag schon ihren Athem nicht einathmen; ach, dass ich so lange unter ihrem Lärm und üblem Athem lebte!
Oh selige Stille um mich! Oh reine Gerüche um mich! Oh wie aus tiefer Brust diese Stille reinen Athem holt! Oh wie sie horcht, diese selige Stille!
Aber da unten – da redet Alles, da wird Alles überhört. Man mag seine Weisheit mit Glocken einläuten: die Krämer auf dem Markte werden sie mit Pfennigen überklingeln!
Alles bei ihnen redet, Niemand weiss mehr zu verstehn. Alles fällt in’s Wasser, Nichts fällt mehr in tiefe Brunnen.
Alles bei ihnen redet, Nichts geräth mehr und kommt zu Ende. Alles gackert, aber wer will noch still auf dem Neste sitzen und Eier brüten?
Alles bei ihnen redet, Alles wird zerredet. Und was gestern noch zu hart war für die Zeit selber und ihren Zahn: heute hängt es zerschabt und zernagt aus den Mäulern der Heutigen.
Alles bei ihnen redet, Alles wird verrathen. Und was einst Geheimniss hiess und Heimlichkeit tiefer Seelen, heute gehört es den Gassen-Trompetern und andern Schmetterlingen.
Oh Menschenwesen, du wunderliches! Du Lärm auf dunklen Gassen! Nun liegst du wieder hinter mir: – meine grösste Gefahr liegt hinter mir!
Im Schonen und Mitleiden lag immer meine grösste Gefahr; und alles Menschenwesen will geschont und gelitten sein.
Mit verhaltenen Wahrheiten, mit Narrenhand und vernarrtem Herzen und reich an kleinen Lügen des Mitleidens: – also lebte ich immer unter Menschen.
Verkleidet sass ich unter ihnen, bereit, mich zu verkennen, dass ich sie ertrüge, und gern mir zuredend »du Narr, du kennst die Menschen nicht!«
Man verlernt die Menschen, wenn man unter Menschen lebt: zu viel Vordergrund ist an allen Menschen, – was sollen da weitsichtige, weit-süchtige Augen!
Und wenn sie mich verkannten: ich Narr schonte sie darob mehr, als mich: gewohnt zur Härte gegen mich und oft noch an mir selber mich rächend für diese Schonung.
Zerstochen von giftigen Fliegen und ausgehöhlt, dem Steine gleich, von vielen Tropfen Bosheit, so sass ich unter ihnen und redete mir noch zu: »unschuldig ist alles Kleine an seiner Kleinheit!«
Sonderlich Die, welche sich »die Guten« heissen, fand ich als die giftigsten Fliegen: sie stechen in aller Unschuld, sie lügen in aller Unschuld; wie vermöchten sie, gegen mich – gerecht zu sein!
Wer unter den Guten lebt, den lehrt Mitleid lügen. Mitleid macht dumpfe Luft allen freien Seelen. Die Dummheit der Guten nämlich ist unergründlich.
Mich selber verbergen und meinen Reichthum – das lernte ich da unten: denn jeden fand ich noch arm am Geiste. Das war der Lug meines Mitleidens, dass ich bei jedem wusste,
– dass ich jedem es ansah und anroch, was ihm Geistes genug und was ihm schon Geistes zuviel war!
Ihre steifen Weisen: ich hiess sie weise, nicht steif, – so lernte ich Worte verschlucken. Ihre Todtengräber: ich hiess sie Forscher und Prüfer, – so lernte ich Worte vertauschen.
Die Todtengräber graben sich Krankheiten an. Unter altem Schutte ruhn schlimme Dünste. Man soll den Morast nicht aufrühren. Man soll auf Bergen leben.
Mit seligen Nüstern athme ich wieder Berges-Freiheit! Erlöst ist endlich meine Nase vom Geruch alles Menschenwesens!
Von scharfen Lüften gekitzelt, wie von schäumenden Weinen, niest meine Seele, – niest und jubelt sich zu: Gesundheit!
Also sprach Zarathustra.
Im Traum, im letzten Morgentraume stand ich heut auf einem Vorgebirge, – jenseits der Welt, hielt eine Wage und wog die Welt.
Oh dass zu früh mir die Morgenröthe kam: die glühte mich wach, die Eifersüchtige! Eifersüchtig ist sie immer auf meine Morgentraum-Gluthen.
Messbar für Den, der Zeit hat, wägbar für einen guten Wäger, erfliegbar für starke Fittige, errathbar für göttliche Nüsseknacker: also fand mein Traum die Welt: –
Mein Traum, ein kühner Segler, halb Schiff, halb Windsbraut, gleich Schmetterlingen schweigsam, ungeduldig gleich Edelfalken: wie hatte er doch zum Welt-Wägen heute Geduld und Weile!
Sprach ihm heimlich wohl meine Weisheit zu, meine lachende wache Tags-Weisheit, welche über alle »unendliche Welten« spottet? Denn sie spricht: »wo Kraft ist, wird auch die Zahl Meisterin: die hat mehr Kraft.«
Wie sicher schaute mein Traum auf diese endliche Welt, nicht neugierig, nicht altgierig, nicht fürchtend, nicht bittend: –
– als ob ein voller Apfel sich meiner Hand böte, ein reifer Goldapfel, mit kühl-sanfter sammtener Haut: – so bot sich mir die Welt: –
– als ob ein Baum mir winke, ein breitästiger, starkwilliger, gekrümmt zur Lehne und noch zum Fussbrett für den Wegmüden: so stand die Welt auf meinem Vorgebirge: –
– als ob zierliche Hände mir einen Schrein entgegentrügen, – einen Schrein offen für das Entzücken schamhafter verehrender Augen: also bot sich mir heute die Welt entgegen: –
– nicht Räthsel genug, um Menschen-Liebe davon zu scheuchen, nicht Lösung genug, um Menschen-Weisheit einzuschläfern: – ein menschlich gutes Ding war mir heut die Welt, der man so Böses nachredet!
Wie danke ich es meinem Morgentraum, dass ich also in der Frühe heut die Welt wog! Als ein menschlich gutes Ding kam er zu mir, dieser Traum und Herzenströster!
Und dass ich’s ihm gleich thue am Tage und sein Bestes ihm nach- und ablerne: will ich jetzt die drei bösesten Dinge auf die Wage thun und menschlich gut abwägen. –
Wer da segnen lehrte, der lehrte auch fluchen: welches sind in der Welt die drei bestverfluchten Dinge? Diese will ich auf die Wage thun.
Wollust, Herrschsucht, Selbstsucht: diese Drei wurden bisher am besten verflucht und am schlimmsten beleu- und belügenmundet, – diese Drei will ich menschlich gut abwägen.
Wohlauf! Hier ist mein Vorgebirg und da das Meer: das wälzt sich zu mir heran, zottelig, schmeichlerisch, das getreue alte hundertköpfige Hunds-Ungethüm, das ich liebe.
Wohlauf! Hier will ich die Wage halten über gewälztem Meere: und auch einen Zeugen wähle ich, dass er zusehe, – dich, du Einsiedler-Baum, dich starkduftigen, breitgewölbten, den ich liebe! –
Auf welcher Brücke geht zum Dereinst das Jetzt? Nach welchem Zwange zwingt das Hohe sich zum Niederen? Und was heisst auch das Höchste noch – hinaufwachsen? –
Nun steht die Wage gleich und still: drei schwere Fragen warf ich hinein, drei schwere Antworten trägt die andre Wagschale.
Wollust: allen busshemdigen Leib-Verächtern ihr Stachel und Pfahl, und als »Welt« verflucht bei allen Hinterweltlern: denn sie höhnt und narrt alle Wirr- und Irr-Lehrer.
Wollust: dem Gesindel das langsame Feuer, auf dem es verbrannt wird; allem wurmichten Holze, allen stinkenden Lumpen der bereite Brunst- und Brodel-Ofen.
Wollust: für die freien Herzen unschuldig und frei, das Garten-Glück der Erde, aller Zukunft Dankes-Überschwang an das Jetzt.
Wollust: nur dem Welken ein süsslich Gift, für die Löwen-Willigen aber die grosse Herzstärkung, und der ehrfürchtig geschonte Wein der Weine.
Wollust: das grosse Gleichniss-Glück für höheres Glück und höchste Hoffnung. Vielem nämlich ist Ehe verheissen und mehr als Ehe, –
– Vielem, das fremder sich ist, als Mann und Weib: – und wer begriff es ganz, wie fremd sich Mann und Weib sind!
Wollust: – doch ich will Zäune um meine Gedanken haben und auch noch um meine Worte: dass mir nicht in meine Gärten die Schweine und Schwärmer brechen! –
Herrschsucht: die Glüh-Geissel der härtesten Herzensharten; die grause Marter, die sich dem Grausamsten selber aufspart; die düstre Flamme lebendiger Scheiterhaufen.
Herrschsucht: die boshafte Bremse, die den eitelsten Völkern aufgesetzt wird; die Verhöhnerin aller ungewissen Tugend; die auf jedem Rosse und jedem Stolze reitet.
Herrschsucht: das Erdbeben, das alles Morsche und Höhlichte bricht und aufbricht; die rollende grollende strafende Zerbrecherin übertünchter Gräber; das blitzende Fragezeichen neben vorzeitigen Antworten.
Herrschsucht: vor deren Blick der Mensch kriecht und duckt und fröhnt und niedriger wird als Schlange und Schwein: – bis endlich die grosse Verachtung aus ihm aufschreie –,
Herrschsucht: die furchtbare Lehrerin der grossen Verachtung, welche Städten und Reichen in’s Antlitz predigt »hinweg mit dir!« – bis es aus ihnen selber aufschreie »hinweg mit mir!«
Herrschsucht: die aber lockend auch zu Reinen und Einsamen und hinauf zu selbstgenugsamen Höhen steigt, glühend gleich einer Liebe, welche purpurne Seligkeiten lockend an Erdenhimmel malt.
Herrschsucht: doch wer hiesse es Sucht, wenn das Hohe hinab nach Macht gelüstet! Wahrlich, nichts Sieches und Süchtiges ist an solchem Gelüsten und Niedersteigen!
Dass die einsame Höhe sich nicht ewig vereinsame und selbst begnüge; dass der Berg zu Thale komme und die Winde der Höhe zu den Niederungen: –
Oh wer fände den rechten Tauf- und Tugendnamen für solche Sehnsucht! »Schenkende Tugend« – so nannte das Unnennbare einst Zarathustra.
Und damals geschah es auch, – und wahrlich, es geschah zum ersten Male! – dass sein Wort die Selbstsucht selig pries, die heile, gesunde Selbstsucht, die aus mächtiger Seele quillt: –
– aus mächtiger Seele, zu welcher der hohe Leib gehört, der schöne, sieghafte, erquickliche, um den herum jedwedes Ding Spiegel wird:
– der geschmeidige überredende Leib, der Tänzer, dessen Gleichniss und Auszug die selbst-lustige Seele ist. Solcher Leiber und Seelen Selbst-Lust heisst sich selber: »Tugend.«
Mit ihren Worten von Gut und Schlecht schirmt sich solche Selbst-Lust wie mit heiligen Hainen; mit den Namen ihres Glücks bannt sie von sich alles Verächtliche.
Von sich weg bannt sie alles Feige; sie spricht: Schlecht – das ist feige! Verächtlich dünkt ihr der immer Sorgende, Seufzende, Klägliche und wer auch die kleinsten Vortheile aufliest.
Sie verachtet auch alle wehselige Weisheit: denn, wahrlich, es giebt auch Weisheit, die im Dunklen blüht, eine Nachtschatten-Weisheit: als welche immer seufzt: »Alles ist eitel!«
Das scheue Misstrauen gilt ihr gering, und Jeder, wer Schwüre statt Blicke und Hände will: auch alle allzu misstrauische Weisheit, – denn solche ist feiger Seelen Art.
Geringer noch gilt ihr der Schnell-Gefällige, der Hündische, der gleich auf dem Rücken liegt, der Demüthige; und auch Weisheit giebt es, die demüthig und hündisch und fromm und schnellgefällig ist.
Verhasst ist ihr gar und ein Ekel, wer nie sich wehren will, wer giftigen Speichel und böse Blicke hinunterschluckt, der All-zu-Geduldige, Alles-Dulder, Allgenügsame: das nämlich ist die knechtische Art.
Ob Einer vor Göttern und göttlichen Fusstritten knechtisch ist, ob vor Menschen und blöden Menschen-Meinungen: alle Knechts-Art speit sie an, diese selige Selbstsucht!
Schlecht: so beisst sie Alles, was geknickt und knickerisch-knechtisch ist, unfreie Zwinker-Augen, gedruckte Herzen, und jene falsche nachgebende Art, welche mit breiten feigen Lippen küsst.
Und After-Weisheit: so heisst sie Alles, was Knechte und Greise und Müde witzeln; und sonderlich die ganze schlimme aberwitzige, überwitzige Priester-Narrheit!
Die After-Weisen aber, alle die Priester, Weltmüden und wessen Seele von Weibs- und Knechtsart ist, – oh wie hat ihr Spiel von jeher der Selbstsucht übel mitgespielt!
Und Das gerade sollte Tugend sein und Tugend heissen, dass man der Selbstsucht übel mitspiele! Und »selbstlos« – so wünschten sich selber mit gutem Grunde alle diese weltmüden Feiglinge und Kreuzspinnen!
Aber denen Allen kommt nun der Tag, die Wandlung, das Richtschwert, der grosse Mittag : da soll Vieles offenbar werden!
Und wer das Ich heil und heilig spricht und die Selbstsucht selig, wahrlich, der spricht auch, was er weiss, ein Weissager: »Siehe, er kommt, er ist nahe, der grosse Mittag!«
Also sprach Zarathustra.