Loe raamatut: «Friedrich Wilhelm Nietzsche – Gesammelte Werke», lehekülg 25

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6

Ihr hö­he­ren Men­schen, meint ihr, ich sei da, gut zu ma­chen, was ihr schlecht mach­tet?

Oder ich woll­te für­der­hin euch Lei­den­de be­que­mer bet­ten? Oder euch Un­stä­ten, Ver­irr­ten, Ver­klet­ter­ten neue leich­te­re Fuss­stei­ge zei­gen?

Nein! Nein! Drei Mal Nein! Im­mer Mehr, im­mer Bes­se­re eu­rer Art sol­len zu Grun­de gehn, – denn ihr sollt es im­mer schlim­mer und här­ter ha­ben. So al­lein –

– so al­lein wächst der Mensch in die Höhe, wo der Blitz ihn trifft und zer­bricht: hoch ge­nug für den Blitz!

Auf We­ni­ges, auf Lan­ges, auf Fer­nes geht mein Sinn und mei­ne Sehn­sucht: was gien­ge mich euer klei­nes, vie­les, kur­z­es Elend an!

Ihr lei­det mir noch nicht ge­nug! Denn ihr lei­det an euch, ihr lit­tet noch nicht am Men­schen. Ihr wür­det lü­gen, wenn ih­r’s an­ders sag­tet! Ihr lei­det Alle nicht, wor­an ich litt. – –

7

Es ist mir nicht ge­nug, dass der Blitz nicht mehr scha­det. Nicht ab­lei­ten will ich ihn: er soll ler­nen für mich – ar­bei­ten. –

Mei­ne Weis­heit samm­let sich lan­ge schon gleich ei­ner Wol­ke, sie wird stil­ler und dunk­ler. So thut jede Weis­heit, wel­che einst Blit­ze ge­bä­ren soll. –

Die­sen Men­schen von Heu­te will ich nicht Licht sein, nicht Licht heis­sen. Die – will ich blen­den: Blitz mei­ner Weis­heit! Stich ih­nen die Au­gen aus!

8

Wollt Nichts über euer Ver­mö­gen: es giebt eine schlim­me Falsch­heit bei Sol­chen, die über ihr Ver­mö­gen wol­len.

Son­der­lich, wenn sie gros­se Din­ge wol­len! Denn sie we­cken Miss­trau­en ge­gen gros­se Din­ge, die­se fei­nen Falsch­mün­zer und Schau­spie­ler: –

– bis sie end­lich falsch vor sich sel­ber sind, schiel­äu­gig, über­tünch­ter Wurm­frass, be­män­telt durch star­ke Wor­te, durch Aus­hän­ge-Tu­gen­den, durch glän­zen­de falsche Wer­ke.

Habt da eine gute Vor­sicht, ihr hö­he­ren Men­schen! Nichts näm­lich gilt mir heu­te kost­ba­rer und selt­ner als Red­lich­keit.

Ist diess Heu­te nicht des Pö­bels? Pö­bel aber weiss nicht, was gross, was klein, was ge­ra­de und red­lich ist: der ist un­schul­dig krumm, der lügt im­mer.

9

Habt heu­te ein gu­tes Miss­trau­en, ihr hö­he­ren Men­schen, ihr Be­herz­ten! Ihr Of­fen­her­zi­gen! Und hal­tet eure Grün­de ge­heim! Diess Heu­te näm­lich ist des Pö­bels.

Was der Pö­bel ohne Grün­de einst glau­ben lern­te, wer könn­te ihm durch Grün­de Das – um­wer­fen?

Und auf dem Mark­te über­zeugt man mit Ge­bär­den. Aber Grün­de ma­chen den Pö­bel miss­trau­isch.

Und wenn da ein­mal Wahr­heit zum Sie­ge kam, so fragt euch Mit gu­tem Miss­trau­en: »welch star­ker Irr­thum hat für sie ge­kämpft?«

Hü­tet euch auch vor den Ge­lehr­ten! Die has­sen euch: denn sie sind un­frucht­bar! Sie ha­ben kal­te ver­trock­ne­te Au­gen, vor ih­nen liegt je­der Vo­gel ent­fe­dert.

Sol­che brüs­ten sich da­mit, dass sie nicht lü­gen: aber Ohn­macht zur Lüge ist lan­ge noch nicht Lie­be zur Wahr­heit. Hü­tet euch!

Frei­heit von Fie­ber ist lan­ge noch nicht Er­kennt­niss! Aus­ge­käl­te­ten Geis­tern glau­be ich nicht. Wer nicht lü­gen kann, weiss nicht, was Wahr­heit ist.

10

Wollt ihr hoch hin­aus, so braucht die eig­nen Bei­ne! Lasst euch nicht em­por tra­gen, setzt euch nicht auf frem­de Rü­k­ken und Köp­fe!

Du aber stiegst zu Pfer­de? Du rei­test nun hur­tig hin­auf zu dei­nem Zie­le? Wohl­an, mein Freund! Aber dein lah­mer Fuss sitzt auch mit zu Pfer­de!

Wenn du an dei­nem Zie­le bist, wenn du von dei­nem Pfer­de springst: auf dei­ner Hö­he ge­ra­de, du hö­he­rer Mensch – wirst du stol­pern!

11

Ihr Schaf­fen­den, ihr hö­he­ren Men­schen! Man ist nur für das eig­ne Kind schwan­ger.

Lasst euch Nichts vor­re­den, ein­re­den! Wer ist denn eu­er Nächs­ter? Und han­delt ihr auch »für den Nächs­ten«, – ihr schafft doch nicht für ihn!

Ver­lernt mir doch diess »Für«, ihr Schaf­fen­den: eure Tu­gend ge­ra­de will es, dass ihr kein Ding mit »für« und »um« und »weil« thut. Ge­gen die­se falschen klei­nen Wor­te sollt ihr euer Ohr zu­kle­ben.

Das »für den Nächs­ten« ist die Tu­gend nur der klei­nen Leu­te: da heisst es »gleich und gleich« und »Hand wäscht Hand«: – sie ha­ben nicht Recht noch Kraft zu eu­rem Ei­gen­nutz!

In eu­rem Ei­gen­nutz, ihr Schaf­fen­den, ist der Schwan­ge­ren Vor­sicht und Vor­se­hung! Was Nie­mand noch mit Au­gen sah, die Frucht: die schirmt und schont und nährt eure gan­ze Lie­be.

Wo eure gan­ze Lie­be ist, bei eu­rem Kin­de, da ist auch eure gan­ze Tu­gend! Euer Werk, euer Wil­le ist eu­er »Nächs­ter«: lasst euch kei­ne falschen Wert­he ein­re­den!

12

Fragt die Wei­ber: man ge­biert nicht, weil es Ver­gnü­gen macht. Der Schmerz macht Hüh­ner und Dich­ter ga­ckern.

Ihr Schaf­fen­den, an euch ist viel Un­rei­nes. Das macht, ihr muss­tet Müt­ter sein.

Ein neu­es Kind: oh wie viel neu­er Schmutz kam auch zur Welt! Geht bei Sei­te! Und wer ge­bo­ren hat, soll sei­ne See­le rein wa­schen!

13

Seid nicht tu­gend­haft über eure Kräf­te! Und wollt Nichts von euch wi­der die Wahr­schein­lich­keit!

Geht in den Fus­stap­fen, wo schon eu­rer Vä­ter Tu­gend gie­rig! Wie woll­tet ihr hoch stei­gen, wenn nicht eu­rer Vä­ter Wil­le mit euch steigt?

Wer aber Erst­ling sein will, sehe zu, dass er nicht auch Letzt­ling wer­de! Und wo die Las­ter eu­rer Vä­ter sind, dar­in sollt ihr nicht Hei­li­ge be­deu­ten wol­len!

Wes­sen Vä­ter es mit Wei­bern hiel­ten und mit star­ken Wei­nen und Wild­schwei­nen: was wäre es, wenn Der von sich Keusch­heit woll­te?

Eine Narr­heit wäre es! Viel, wahr­lich, dünkt es mich für einen Sol­chen, wenn er Ei­nes oder zwei­er oder drei­er Wei­ber Mann ist.

Und stif­te­te er Klös­ter und schrie­be über die Thür: »der Weg zum Hei­li­gen,« – ich sprä­che doch: wozu! es ist eine neue Narr­heit!

Er stif­te­te sich sel­ber ein Zucht- und Flucht­haus: wohl be­kom­m’s! Aber ich glau­be nicht dar­an.

In der Ein­sam­keit wächst, was Ei­ner in sie bringt, auch das in­ne­re Vieh. Sol­cher­ge­stalt wi­der­räth sich Vie­len die Ein­sam­keit.

Gab es Schmut­zi­ge­res bis­her auf Er­den als Wüs­ten-Hei­li­ge? Um die her­um war nicht nur der Teu­fel los, – son­dern auch das Schwein.

14

Scheu, be­schämt, un­ge­schickt, ei­nem Ti­ger gleich, dem der Sprung miss­rieth: also, ihr hö­he­ren Men­schen, sah ich oft euch bei Sei­te schlei­chen. Ein Wur­f miss­rieth euch.

Aber, ihr Wür­fel­spie­ler, was liegt dar­an! Ihr lern­tet nicht spie­len und spot­ten, wie man spie­len und spot­ten muss! Sit­zen wir nicht im­mer an ei­nem gros­sen Spott- und Spiel­ti­sche?

Und wenn euch Gros­ses miss­rieth, seid ihr sel­ber dar­um – miss­rat­hen? Und miss­rie­thet ihr sel­ber, miss­rieth dar­um – der Mensch? Miss­rieth aber der Mensch: wohl­an! wohl­auf!

15

Je hö­her von Art, je sel­te­ner ge­räth ein Ding. Ihr hö­he­ren Men­schen hier, seid ihr nicht alle – miss­ge­rat­hen?

Seid gu­ten Muths, was liegt dar­an! Wie Vie­les ist noch mög­lich! Lernt über euch sel­ber la­chen, wie man la­chen muss!

Was Wun­ders auch, dass ihr miss­rie­thet und halb ge­rie­thet, ihr Halb-Zer­bro­che­nen! Drängt und stösst sich nicht in euch – des Men­schen Zu­kunft?

Des Men­schen Ferns­tes, Tiefs­tes, Ster­nen-Höchs­tes, sei­ne un­ge­heu­re Kraft: schäumt Das nicht al­les ge­gen ein­an­der in eu­rem Top­fe?

Was Wun­ders, dass man­cher Topf zer­bricht! Lernt über euch la­chen, wie man la­chen muss! Ihr hö­he­ren Men­schen, oh wie Vie­les ist noch mög­lich!

Und wahr­lich, wie Viel ge­rieth schon! Wie reich ist die­se Erde an klei­nen gu­ten voll­kom­me­nen Din­gen, an Wohl­ge­rat­he­nem!

Stellt klei­ne gute voll­komm­ne Din­ge um euch, ihr hö­he­ren Men­schen! De­ren gol­de­ne Rei­fe heilt das Herz. Voll­komm­nes lehrt hof­fen.

16

Wel­ches war hier auf Er­den bis­her die gröss­te Sün­de? War es nicht das Wort Des­sen, der sprach: »Wehe De­nen, die hier la­chen!«

Fand er zum La­chen auf der Erde sel­ber kei­ne Grün­de? So such­te er nur schlecht. Ein Kind fin­det hier noch Grün­de.

Der – lieb­te nicht ge­nug: sonst hät­te er auch uns ge­liebt, die La­chen­den! Aber er hass­te und höhn­te uns, Heu­len und Zäh­ne­klap­pern ver­hiess er uns.

Muss man denn gleich flu­chen, wo man nicht liebt? Das – dünkt mich ein schlech­ter Ge­schmack. Aber so that er, die­ser Un­be­ding­te. Er kam vom Pö­bel.

Und er sel­ber lieb­te nur nicht ge­nug: sonst hät­te er we­ni­ger ge­zürnt, dass man ihn nicht lie­be. Alle gros­se Lie­be will nicht Lie­be: – die will mehr.

Geht aus dem Wege al­len sol­chen Un­be­ding­ten! Das ist eine arme kran­ke Art, eine Pö­bel-Art: sie sehn schlimm die­sem Le­ben zu, sie ha­ben den bö­sen Blick für die­se Erde.

Geht aus dem Wege al­len sol­chen Un­be­ding­ten! Sie ha­ben Schwe­re Füs­se und schwü­le Her­zen: – sie wis­sen nicht zu tan­zen. Wie möch­te Sol­chen wohl die Erde leicht sein!

17

Krumm kom­men alle gu­ten Din­ge ih­rem Zie­le nahe. Gleich Kat­zen ma­chen sie Bu­ckel, sie schnur­ren in­ne­wen­dig vor ih­rem na­hen Glücke, – alle gu­ten Din­ge la­chen.

Der Schritt ver­räth, ob Ei­ner schon auf sei­ner Bahn schrei­tet: so seht mich gehn! Wer aber sei­nem Ziel nahe kommt, der tanzt.

Und, wahr­lich, zum Stand­bild ward ich nicht, noch ste­he ich nicht da, starr, stumpf, stei­nern, eine Säu­le; ich lie­be ge­schwin­des Lau­fen.

Und wenn es auf Er­den auch Moor und di­cke Trüb­sal giebt: wer leich­te Füs­se hat, läuft über Schlamm noch hin­weg und tanzt wie auf ge­feg­tem Eise.

Er­hebt eure Her­zen, mei­ne Brü­der, hoch! hö­her! Und ver­ge­sst mir auch die Bei­ne nicht! Er­hebt auch eure Bei­ne, ihr gu­ten Tän­zer, und bes­ser noch: ihr steht auch auf dem Kopf!

18

Die­se Kro­ne des La­chen­den, die­se Ro­sen­kranz-Kro­ne: ich sel­ber setz­te mir die­se Kro­ne auf, ich sel­ber sprach hei­lig mein Ge­läch­ter. Kei­nen An­de­ren fand ich heu­te stark ge­nug dazu.

Za­ra­thustra der Tän­zer, Za­ra­thustra der Leich­te, der mit den Flü­geln winkt, ein Flug­be­rei­ter, al­len Vö­geln zu­win­kend, be­reit und fer­tig, ein Se­lig-Leicht­fer­ti­ger: –

Za­ra­thustra der Wahr­sa­ger, Za­ra­thustra der Wahr­la­cher, kein Un­ge­dul­di­ger, kein Un­be­ding­ter, Ei­ner, der Sprün­ge und Sei­ten­sprün­ge liebt; ich sel­ber setz­te mir die­se Kro­ne auf!

19

Er­hebt eure Her­zen, mei­ne Brü­der, hoch! hö­her! Und ver­ge­sst mir auch die Bei­ne nicht! Er­hebt auch eure Bei­ne, ihr gu­ten Tän­zer, und bes­ser noch: ihr steht auch auf dem Kopf!

Es giebt auch im Glück schwe­res Gethier, es giebt Plump­füss­ler von An­be­ginn. Wun­der­lich müht sie sich ab, ei­nem Ele­phan­ten gleich, der sich müht auf dem Kopf zu stehn.

Bes­ser aber noch när­risch sein vor Glücke als när­risch vor Un­glücke, bes­ser plump tan­zen als lahm gehn. So lernt mir doch mei­ne Weis­heit ab: auch das schlimms­te Ding hat zwei gute Kehr­sei­ten, –

– auch das schlimms­te Ding hat gute Tanz­bei­ne: so lernt mir doch euch selbst, ihr hö­he­ren Men­schen, auf eure rech­ten Bei­ne stel­len!

So ver­lernt mir doch Trüb­sal-Bla­sen und alle Pö­bel-Trau­rig­keit! Oh wie trau­rig dün­ken mich heu­te des Pö­bels Hans­würs­te noch! Diess Heu­te aber ist des Pö­bels.

20

Dem Win­de thut mir gleich, wenn er aus sei­nen Berg­höh­len stürzt: nach sei­ner eig­nen Pfei­fe will er tan­zen, die Mee­re zit­tern und hüp­fen un­ter sei­nen Fus­stap­fen.

Der den Eseln Flü­gel giebt, der Lö­win­nen melkt, ge­lobt sei die­ser gute un­bän­di­ge Geist, der al­lem Heu­te und al­lem Pö­bel wie ein Sturm­wind kommt, –

– der Dis­tel- und Tif­tel­köp­fen feind ist und al­len wel­ken Blät­tern und Un­kräu­tern: ge­lobt sei die­ser wil­de gute freie Sturm­geist, wel­cher auf Moo­ren und Trüb­sa­len wie auf Wie­sen tanzt!

Der die Pö­bel-Schwind­hun­de hasst und al­les miss­rat­he­ne düs­te­re Ge­zücht: ge­lobt sei die­ser Geist al­ler frei­en Geis­ter, der la­chen­de Sturm, wel­cher al­len Schwarz­sich­ti­gen, Schwär­süch­ti­gen Staub in die Au­gen bläst!

Ihr hö­he­ren Men­schen, euer Schlimms­tes ist: ihr lern­tet alle nicht tan­zen, wie man tan­zen muss – über euch hin­weg tan­zen! Was liegt dar­an, dass ihr miss­rie­thet!

Wie Vie­les ist noch mög­lich! So lernt doch über euch hin­weg la­chen! Er­hebt eure Her­zen, ihr gu­ten Tän­zer, hoch! hö­her! Und ver­ge­sst mir auch das gute La­chen nicht!

Die­se Kro­ne des La­chen­den, die­se Ro­sen­kranz-Kro­ne: euch, mei­nen Brü­dern, wer­fe ich die­se Kro­ne zu! Das La­chen sprach ich hei­lig; ihr hö­he­ren Men­schen, lernt mir – la­chen!

Das Lied der Schwermuth
1

Als Za­ra­thustra die­se Re­den sprach, stand er nahe dem Ein­gan­ge sei­ner Höh­le; mit den letz­ten Wor­ten aber ent­schlüpf­te er sei­nen Gäs­ten und floh für eine kur­ze Wei­le in’s Freie.

»Oh rei­ne Gerü­che um mich, rief er aus, oh se­li­ge Stil­le um mich! Aber wo sind mei­ne Thie­re? Heran, her­an, mein Ad­ler und mei­ne Schlan­ge!

Sagt mir doch, mei­ne Thie­re: die­se hö­he­ren Men­schen ins­ge­sammt – rie­chen sie viel­leicht nicht gut? Oh rei­ne Gerü­che um mich! Jet­zo weiss und füh­le ich erst, wie ich euch, mei­ne Thie­re, lie­be.«

– Und Za­ra­thustra sprach noch­mals: »ich lie­be euch, mei­ne Thie­re!« Der Ad­ler aber und die Schlan­ge dräng­ten sich an ihn, als er die­se Wor­te sprach, und sa­hen zu ihm hin­auf. Sol­cher­ge­stalt wa­ren sie zu drei still bei­sam­men und schnüf­fel­ten und schlürf­ten mit ein­an­der die gute Luft. Denn die Luft war hier draus­sen bes­ser als bei den hö­he­ren Men­schen.

2

Kaum aber hat­te Za­ra­thustra sei­ne Höh­le ver­las­sen, da er­hob sich der alte Zau­be­rer, sah lis­tig um­her und sprach: »Er ist hin­aus!

Und schon, ihr hö­he­ren Men­schen – dass ich euch mit die­sem Lob- und Schmei­chel-Na­men kitz­le, gleich ihm sel­ber – schon fällt mich mein schlim­mer Trug- und Zau­ber­geist an, mein schwer­müthi­ger Teu­fel,

– wel­cher die­sem Za­ra­thustra ein Wi­der­sa­cher ist aus dem Grun­de: ver­gebt es ihm! Nun will er vor euch zau­bern, er hat ge­ra­de sei­ne Stun­de; um­sonst rin­ge ich mit die­sem bö­sen Geis­te.

Euch Al­len, wel­che Ehren ihr euch mit Wor­ten ge­ben mögt, ob ihr euch »die frei­en Geis­ter« nennt oder »die Wahr­haf­ti­gen« oder »die Büs­ser des Geis­tes« oder »die Ent­fes­sel­ten« oder »die gros­sen Sehn­süch­ti­gen« –

– euch Al­len, die ihr am gros­sen Ekel lei­det gleich mir, de­nen der alte Gott starb und noch kein neu­er Gott in Wie­gen und Win­deln liegt, – euch Al­len ist mein bö­ser Geist und Zau­ber-Teu­fel hold.

Ich ken­ne euch, ihr hö­he­ren Men­schen, ich ken­ne ihn, – ich ken­ne auch die­sen Un­hold, den ich wi­der Wil­len lie­be, die­sen Za­ra­thustra: er sel­ber dünkt mich öf­ter gleich ei­ner schö­nen Hei­li­gen-Lar­ve,

– gleich ei­nem neu­en wun­der­li­chen Mum­men­schan­ze, in dem sich mein bö­ser Geist, der schwer­müthi­ge Teu­fel, ge­fällt: – ich lie­be Za­ra­thustra, so dünkt mich oft, um mei­nes bö­sen Geis­tes Wil­len. –

Aber schon fällt der mich an und zwingt mich, die­ser Geist der Schwer­muth, die­ser Abend-Däm­me­rungs-Teu­fel: und, wahr­lich, ihr hö­he­ren Men­schen, es ge­lüs­tet ihn –

– macht nur die Au­gen auf! – es ge­lüs­tet ihn, nack­t zu kom­men, ob männ­lich, ob weib­lich, noch weiss ich’s nicht: aber er kommt, er zwingt mich, wehe! macht eure Sin­ne auf!

Der Tag klingt ab, al­len Din­gen kommt nun der Abend, auch den bes­ten Din­gen; hört nun und seht, ihr hö­he­ren Men­schen, wel­cher Teu­fel, ob Mann, ob Weib, die­ser Geist der Abend-Schwer­muth ist!«

Also sprach der alte Zau­be­rer, sah lis­tig um­her und griff dann zu sei­ner Har­fe.

3

Bei ab­ge­hell­ter Luft, Wenn schon des Thau’s Trös­tung Zur Erde nie­der­quillt, Un­sicht­bar, auch un­ge­hört: – Denn zar­tes Schuh­werk trägt Der Trös­ter Thau gleich al­len Trost-Mil­den –: Ge­denkst du da, ge­denkst du, heis­ses Herz, Wie einst du durs­te­test, Nach himm­li­schen Thrä­nen und Thau-Ge­träu­fel Ver­sengt und müde durs­te­test, Die­weil auf gel­ben Gras-Pfa­den Bos­haft abend­li­che Son­nen­bli­cke Durch schwar­ze Bäu­me um dich lie­fen, Blen­den­de Son­nen-Gluth­bli­cke, scha­den­fro­he.

»Der Wahr­heit Frei­er? Du? – so höhn­ten sie – Nein! Nur ein Dich­ter! Ein Thier, ein lis­ti­ges, rau­ben­des, schlei­chen­des, Das lü­gen muss, Das wis­sent­lich, wil­lent­lich lü­gen muss: Nach Beu­te lüs­tern, Bunt ver­larvt, Sich sel­ber Lar­ve, Sich selbst zur Beu­te – Das – der Wahr­heit Frei­er? Nein! Nur Narr! Nur Dich­ter! Nur Bun­tes re­dend, Aus Nar­ren-Lar­ven bunt her­aus­schrei­end, Her­um­stei­gend auf lüg­ne­ri­schen Wort-Brücken, Auf bun­ten Re­gen­bo­gen, Zwi­schen falschen Him­meln Und falschen Er­den, Her­um­schwei­fend, her­um­schwe­bend, – Nur Narr! Nur Dich­ter!

Das – der Wahr­heit Frei­er? Nicht still, starr, glatt, kalt, Zum Bil­de wor­den, Zur Got­tes-Säu­le, Nicht auf­ge­stellt vor Tem­peln, Ei­nes Got­tes Thür­wart: Nein! Feind­se­lig sol­chen Wahr­heits-Stand­bil­dern, In je­der Wild­niss hei­mi­scher als vor Tem­peln, Voll Kat­zen-Muthwil­lens, Durch je­des Fens­ter sprin­gend Husch! in je­den Zu­fall, Je­dem Ur­wal­de zu­schnüf­felnd, Süch­tig-sehn­süch­tig zu­schnüf­felnd, Dass du in Ur­wäl­dern Un­ter bunt­ge­fleck­ten Raubt­hie­ren Sünd­lich-ge­sund und bunt und schön lie­fest, Mit lüs­ter­nen Lef­zen, Se­lig-höh­nisch, se­lig-höl­lisch, se­lig-blut­gie­rig, Rau­bend, schlei­chend, lü­gend lie­fest: –

Oder, dem Ad­ler gleich, der lan­ge, Lan­ge starr in Ab­grün­de blickt, In sei­ne Ab­grün­de: – – Oh wie sie sich hier hin­ab, Hin­un­ter, hin­ein, In im­mer tiefe­re Tie­fen rin­geln! – Dann, Plötz­lich, ge­ra­den Zugs, Ge­zück­ten Flugs, Auf Läm­mer stos­sen, Jach hin­ab, heiss­hung­rig, Nach Läm­mern lüs­tern, Gram al­len Lamms-See­len, Grim­mig-gram Al­lem, was blickt Schaf­mäs­sig, lam­m­äu­gig, kraus­wol­lig, Grau, mit Lamms-Schafs-Wohl­wol­len!

Also Ad­ler­haft, pan­ther­haft Sind des Dich­ters Sehn­süch­te, Sind dei­ne Sehn­süch­te un­ter tau­send Lar­ven, Du Narr! Du Dich­ter!

Der du den Men­schen schau­test So Gott als Schaf –: Den Gott zer­reis­sen im Men­schen Wie das Schaf im Men­schen, Und zer­rei­send la­chen

Das, Das ist dei­ne Se­lig­keit! Ei­nes Pan­thers und Ad­lers Se­lig­keit! Ei­nes Dich­ters und Nar­ren Se­lig­keit!« – –

Bei ab­ge­hell­ter Luft, Wenn schon des Monds Si­chel Grün zwi­schen Pur­pur­rö­then Und nei­disch hin­schleicht: – dem Tage feind, Mit je­dem Schrit­te heim­lich An Ro­sen-Hän­ge­mat­ten Hin­si­chelnd, bis sie sin­ken, Nacht-ab­wärts blass hin­ab­sin­ken:

So sank ich sel­ber einst­mals Aus mei­nem Wahr­heits-Wahn­sin­ne, Aus mei­nen Ta­ges-Sehn­süch­ten, Des Ta­ges müde, krank vom Lich­te, – sank ab­wärts, abend­wärts, schat­ten­wärts: Von Ei­ner Wahr­heit Ver­brannt und durs­tig: – ge­denkst du noch, ge­denkst du, heis­ses Herz, Wie da du durs­te­test? – Dass ich ver­bannt sei Von al­ler Wahr­heit, Nur Narr! Nur Dich­ter!

Von der Wissenschaft

Also sang der Zau­be­rer; und Alle, die bei­sam­men wa­ren, gien­gen gleich Vö­geln un­ver­merkt in das Netz sei­ner lis­ti­gen und schwer­müthi­gen Wol­lust. Nur der Ge­wis­sen­haf­te des Geis­tes war nicht ein­ge­fan­gen: er nahm flugs dem Zau­be­rer die Har­fe weg und rief »Luft! Lasst gute Luft her­ein! Lass Za­ra­thustra her­ein! Du machst die­se Höh­le schwül und gif­tig, du schlim­mer al­ter Zau­be­rer!

Du ver­fährst, du Fal­scher, Fei­ner, zu un­be­kann­ten Be­gier­den und Wild­nis­sen. Und wehe, wenn Sol­che, wie du, von der Wahr­heit Re­dens und We­sens ma­chen!

Wehe al­len frei­en Geis­tern, wel­che nicht vor sol­chen Zau­be­rern auf der Hut sind! Da­hin ist es mit ih­rer Frei­heit: du lehrst und lockst zu­rück in Ge­fäng­nis­se, –

– du al­ter schwer­müthi­ger Teu­fel, aus dei­ner Kla­ge klingt eine Lock­pfei­fe, du gleichst Sol­chen, wel­che mit ih­rem Lobe der Keusch­heit heim­lich zu Wol­lüs­ten la­den!«

Also sprach der Ge­wis­sen­haf­te; der alte Zau­be­rer aber blick­te um sich, ge­noss sei­nes Sie­ges und ver­schluck­te dar­über den Ver­druss, wel­chen ihm der Ge­wis­sen­haf­te mach­te. »Sei still! sag­te er mit be­schei­de­ner Stim­me, gute Lie­der wol­len gut wie­der­hal­len; nach gu­ten Lie­dern soll man lan­ge schwei­gen.

So thun es die­se Alle, die hö­he­ren Men­schen. Du aber hast wohl We­nig von mei­nem Lied ver­stan­den? In dir ist We­nig von ei­nem Zau­ber­geis­te.«

»Du lobst mich, ent­geg­ne­te der Ge­wis­sen­haf­te, in­dem du mich von dir ab­trennst, wohl­an! Aber ihr An­de­ren, was sehe ich? Ihr sitzt alle noch mit lüs­ter­nen Au­gen da –:

Ihr frei­en See­len, wo­hin ist eure Frei­heit! Fast, dünkt mich’s, gleicht ihr Sol­chen, die lan­ge schlim­men tan­zen­den nack­ten Mäd­chen zu­sahn: eure See­len tan­zen sel­ber!

In euch, ihr hö­he­ren Men­schen, muss Mehr von Dem sein, was der Zau­be­rer sei­nen bö­sen Zau­ber- und Trug­geist nennt: – wir müs­sen wohl ver­schie­den sein.

Und wahr­lich, wir spra­chen und dach­ten ge­nug mit­sam­men, ehe Za­ra­thustra heim­kam zu sei­ner Höh­le, als dass ich nicht wüss­te: wir sin­d ver­schie­den.

Wir su­chen Ver­schied­nes auch hier oben, ihr und ich. Ich näm­lich su­che mehr Si­cher­heit, dess­halb kam ich zu Za­ra­thustra. Der näm­lich ist noch der fes­tes­te Thurm und Wil­le –

– heu­te, wo Al­les wa­ckelt, wo alle Erde bebt. Ihr aber, wenn ich eure Au­gen sehe, die ihr macht, fast dünkt mich’s, ihr sucht mehr Un­si­cher­heit,

– mehr Schau­der, mehr Ge­fahr, mehr Erd­be­ben. Euch ge­lüs­tet, fast dünkt mich’s so, ver­gebt mei­nem Dün­kel, ihr hö­he­ren Men­schen –

– euch ge­lüs­tet nach dem schlimms­ten ge­fähr­lichs­ten Le­ben, das mir am meis­ten Furcht macht, nach dem Le­ben wil­der Thie­re, nach Wäl­dern, Höh­len, stei­len Ber­gen und Irr- Schlün­den.

Und nicht die Füh­rer aus der Ge­fahr ge­fal­len euch am bes­ten, son­dern die euch von al­len We­gen ab­füh­ren, die Ver­füh­rer. Aber, wenn solch Ge­lüs­ten an euch wirk­lich ist, so dünkt es mich trotz­dem un­mög­lich.

Furcht näm­lich – das ist des Men­schen Erb- und Grund­ge­fühl; aus der Furcht er­klärt sich jeg­li­ches, Erb­sün­de und Erb­tu­gend. Aus der Furcht wuchs auch mei­ne Tu­gend, die heisst: Wis­sen­schaft.

Die Furcht näm­lich vor wil­dem Gethier – die wur­de dem Men­schen am längs­ten an­ge­züch­tet, ein­sch­liess­lich das Thier, das er in sich sel­ber birgt und fürch­tet: – Za­ra­thustra heisst es »das in­ne­re Vieh.«

Sol­che lan­ge alte Furcht, end­lich fein ge­wor­den, geist­lich, geis­tig – heu­te, dünkt mich, heisst sie: Wis­sen­schaft.« –

Also sprach der Ge­wis­sen­haf­te; aber Za­ra­thustra, der eben in sei­ne Höh­le zu­rück­kam und die letz­te Rede ge­hört und er­rat­hen hat­te, warf dem Ge­wis­sen­haf­ten eine Hand voll Ro­sen zu und lach­te ob sei­ner »Wahr­hei­ten«. »Wie! rief er, was hör­te ich da eben? Wahr­lich, mich dünkt, du bist ein Narr oder ich sel­ber bin’s: und dei­ne »Wahr­heit« stel­le ich rucks und flugs auf den Kopf.

Furcht näm­lich – ist uns­re Aus­nah­me. Muth aber und Aben­teu­er und Lust am Un­ge­wis­sen, am Un­ge­wag­ten, – Muth dünkt mich des Men­schen gan­ze Vor­ge­schich­te.

Den wil­des­ten muthigs­ten Thie­ren hat er alle ihre Tu­gen­den ab­ge­nei­det und ab­ge­raubt: so erst wur­de er – zum Men­schen.

Die­ser Muth, end­lich fein ge­wor­den, geist­lich, geis­tig, die­ser Men­schen-Muth mit Ad­ler-Flü­geln und Schlan­gen-Klug­heit: der, dünkt mich, heisst heu­te –«

»Za­ra­thustra«! schri­en Alle, die bei­sam­men sas­sen, wie aus Ei­nem Mun­de und mach­ten dazu ein gros­ses Ge­läch­ter; es hob sich aber von ih­nen wie eine schwe­re Wol­ke. Auch der Zau­be­rer lach­te und sprach mit Klug­heit: »Wohl­an! Er ist da­von, mein bö­ser Geist!

Und habe ich euch nicht sel­ber vor ihm ge­warnt, als ich sag­te, dass er ein Be­trü­ger sei, ein Lug- und Trug­geist?

Son­der­lich näm­lich, wenn er sich nackend zeigt. Aber was kann ich für sei­ne Tücken! Habe ich ihn und die Welt ge­schaf­fen?

Wohl­an! Sei­en wir wie­der gut und gu­ter Din­ge! Und ob schon Za­ra­thustra böse blickt – seht ihn doch! er ist mir gram –:

– be­vor die Nacht kommt, lernt er wie­der, mich lie­ben und lo­ben, er kann nicht lan­ge le­ben, ohne sol­che Thor­hei­ten zu thun.

Der – liebt sei­ne Fein­de: die­se Kunst ver­steht er am bes­ten von Al­len, die ich sah. Aber er nimmt Ra­che da­für – an sei­nen Freun­den!«

Also sprach der alte Zau­be­rer, und die hö­he­ren Men­schen zoll­ten ihm Bei­fall: so dass Za­ra­thustra her­um­gieng und mit Bos­heit und Lie­be sei­nen Freun­den die Hän­de schüt­tel­te, – gleich­sam als Ei­ner, der an Al­len Et­was gutz­u­ma­chen und ab­zu­bit­ten hat. Als er aber da­bei an die Thür sei­ner Höh­le kam, sie­he, da ge­lüs­te­te ihn schon wie­der nach der gu­ten Luft da draus­sen und nach sei­nen Thie­ren, – und er woll­te hin­aus schlüp­fen.

Vanusepiirang:
18+
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5253 lk 6 illustratsiooni
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9783962815295
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