Loe raamatut: «Friedrich Wilhelm Nietzsche – Gesammelte Werke», lehekülg 26

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Unter Töchtern der Wüste
1

»Gehe nicht da­von! sag­te da der Wan­de­rer, wel­cher sich den Schat­ten Za­ra­thustra’s nann­te, blei­be bei uns, es möch­te uns sonst die alte dump­fe Trüb­sal wie­der an­fal­len.

Schon gab uns je­ner alte Zau­be­rer von sei­nem Schlimms­ten zum Bes­ten, und sie­he doch, der gute from­me Papst da hat Thrä­nen in den Au­gen und hat sich ganz wie­der auf­’s Meer der Schwer­muth ein­ge­schifft.

Die­se Kö­ni­ge mö­gen wohl vor uns noch gute Mie­ne ma­chen: das lern­ten Die näm­lich von uns Al­len heu­te am Bes­ten! Hät­ten sie aber kei­ne Zeu­gen, ich wet­te, auch bei ih­nen fien­ge das böse Spiel wie­der an –

– das böse Spiel der zie­hen­den Wol­ken, der feuch­ten Schwer­muth, der ver­häng­ten Him­mel, der ge­stoh­le­nen Son­nen, der heu­len­den Herbst-Win­de,

– das böse Spiel uns­res Heu­lens und Noth­schrei­ens: blei­be bei uns, oh Za­ra­thustra! Hier ist viel ver­bor­ge­nes Elend, das re­den will, viel Abend, viel Wol­ke, viel dump­fe Luft!

Du nähr­test uns mit star­ker Manns-Kost und kräf­ti­gen Sprü­chen: lass es nicht zu, dass uns zum Nach­tisch die weich­li­chen weib­li­chen Geis­ter wie­der an­fal­len!

Du al­lein machst die Luft um dich her­um stark und klar! Fand ich je auf Er­den so gute Luft als bei dir in dei­ner Höh­le?

Vie­le Län­der sah ich doch, mei­ne Nase lern­te vie­ler­lei Luft prü­fen und ab­schät­zen: aber bei dir schme­cken mei­ne Nüs­tern ihre gröss­te Lust!

Es sei denn, – es sei denn – , oh ver­gieb eine alte Erin­ne­rung! Ver­gieb mir ein al­tes Nach­tisch-Lied, das ich einst un­ter Töch­tern der Wüs­te dich­te­te: –

– bei de­nen näm­lich gab es gleich gute hel­le mor­gen­län­di­sche Luft; dort war ich am ferns­ten vom wol­ki­gen feuch­ten schwer­müthi­gen Alt-Eu­ro­pa!

Da­mals lieb­te ich sol­cher­lei Mor­gen­land-Mäd­chen und andres blau­es Him­mel­reich, über dem kei­ne Wol­ken und kei­ne Ge­dan­ken hän­gen.

Ihr glaubt es nicht, wie ar­tig sie da­sas­sen, wenn sie nicht tanz­ten, tief, aber ohne Ge­dan­ken, wie klei­ne Ge­heim­nis­se, wie be­bän­der­te Räth­sel, wie Nach­tisch-Nüs­se –

bunt und fremd für­wahr! aber ohne Wol­ken: Räth­sel, die sich rat­hen las­sen: sol­chen Mäd­chen zu Lie­be er­dach­te ich da­mals einen Nach­tisch-Psalm.«

Also sprach der Wan­de­rer und Schat­ten; und ehe Je­mand ihm ant­wor­te­te, hat­te er schon die Har­fe des al­ten Zau­be­rers er­grif­fen, die Bei­ne ge­kreuzt und blick­te ge­las­sen und wei­se um sich: – mit den Nüs­tern aber zog er lang­sam und fra­gend die Luft ein, wie Ei­ner, der in neu­en Län­dern neue frem­de Luft kos­tet. Da­rauf hob er mit ei­ner Art Ge­brüll zu sin­gen an.

2

Die Wüs­te wächst: weh Dem, der Wüs­ten birgt!

– Ha! Fei­er­lich!

In der That fei­er­lich!

Ein wür­di­ger An­fang!

Afri­ka­nisch fei­er­lich!

Ei­nes Lö­wen wür­dig,

Oder ei­nes mo­ra­li­schen Brüll­af­fen –

– aber Nichts für euch,

Ihr al­ler­liebs­ten Freun­din­nen,

Zu de­ren Füs­sen mir

Zum ers­ten Male,

Ei­nem Eu­ro­pä­er, un­ter Pal­men

Zu sit­zen ver­gönnt ist. Sela.

Wun­der­bar wahr­lich!

Da sit­ze ich nun,

Der Wüs­te nahe und be­reits

So fern wie­der der Wüs­te,

Auch in Nichts noch ver­wüs­tet:

Näm­lich hin­ab­ge­schluckt

Von die­ser kleins­ten Oa­sis – :

– sie sperr­te ge­ra­de gäh­nend

Ihr lieb­li­ches Maul auf.

Das wohl­rie­chends­te al­ler Mäul­chen:

Da fiel ich hin­ein,

Hin­ab, hin­durch – un­ter euch,

Ihr al­ler­liebs­ten Freun­din­nen! Sela.

Heil, Heil je­nem Wall­fi­sche,

Wenn er also es sei­nem Gas­te

Wohl sein liess! – ihr ver­steht

Mei­ne ge­lehr­te An­spie­lung?

Heil sei­nem Bau­che,

Wenn er also

Ein so lieb­li­cher Oa­sis-Bauch war

Gleich die­sem: was ich aber in Zwei­fel zie­he,

– da­für kom­me ich aus Eu­ro­pa,

Das zwei­fel­süch­ti­ger ist als alle

Ält­li­chen Ehe­weib­chen.

Möge Gott es bes­sern!

Amen!

Da sit­ze ich nun,

In die­ser kleins­ten Oa­sis,

Ei­ner Dat­tel gleich,

Braun, durch­süsst, gold­schwü­rig, lüs­tern

Nach ei­nem run­den Mäd­chen­mun­de,

Mehr noch aber nach mäd­chen­haf­ten

Eis­kal­ten schnee­weis­sen schnei­di­gen

Beiss­zäh­nen: nach de­nen näm­lich

Lechzt das Herz al­len heis­sen Dat­teln. Sela.

Den ge­nann­ten Süd­früch­ten

Ähn­lich, all­zu­ähn­lich

Lie­ge ich hier, von klei­nen

Flü­gel­kä­fern

Um­tän­zelt und um­spielt,

Ins­glei­chen von noch klei­ne­ren

Thö­rich­teren bos­haf­te­ren

Wün­schen und Ein­fäl­len,

Um­la­gert von euch,

Ihr stum­men, ihr ah­nungs­vol­len

Mäd­chen-Kat­zen,

Dudu und Su­lei­ka,

ums­phinx­t, dass ich in Ein Wort Viel Ge­füh­le stop­fe: (Ver­ge­be mir Gott Die­se Sprach-Sün­de!) – sit­ze hier, die bes­te Luft schnüf­felnd, Pa­ra­die­ses-Luft wahr­lich, Lich­te leich­te Luft, gold­ge­streif­te, So gute Luft nur je Vom Mon­de her­ab­fiel – Sei es aus Zu­fall, Oder ge­sch­ah es aus Über­mu­the? Wie die al­ten Dich­ter er­zäh­len. Ich Zweif­ler aber zie­he es In Zwei­fel, da­für aber kom­me ich Aus Eu­ro­pa, Das zwei­fel­süch­ti­ger ist als alle Ält­li­chen Ehe­weib­chen. Möge Gott es bes­sern! Amen! Die­se schöns­te Luft trin­kend, Mit Nüs­tern ge­schwellt gleich Be­chern, Ohne Zu­kunft, ohne Erin­ne­run­gen, So sit­ze ich hier, ihr Al­ler­liebs­ten Freun­din­nen, Und sehe der Pal­me zu, Wie sie, ei­ner Tän­ze­rin gleich, Sich biegt und schmiegt und in der Hüf­te wiegt, – man thut es mit, sieht man lan­ge zu! Ei­ner Tän­ze­rin gleich, die, wie mir schei­nen will, Zu lan­ge schon, ge­fähr­lich lan­ge Im­mer, im­mer nur auf Ei­nem Bei­ne stand? – da ver­gass sie darob, wie mir schei­nen will, Das and­re Bein? Ver­ge­bens we­nigs­tens Such­te ich das ver­miss­te Zwil­lings-Klein­od – näm­lich das and­re Bein – In der hei­li­gen Nähe Ihres al­ler­liebs­ten, all­er­zier­lichs­ten Fä­cher- und Flat­ter- und Flit­ter­röck­chens. ja, wenn ihr mir, ihr schö­nen Freun­din­nen, Ganz glau­ben wollt: Sie hat es ver­lo­ren! Es ist da­hin! Auf ewig da­hin! Das and­re Bein! Oh scha­de um die­ses lieb­li­che and­re Bein! Wo – mag es wohl wei­len und ver­las­sen trau­ern? Das ein­sa­me Bein? In Furcht viel­leicht vor ei­nem Grim­men gel­ben blond­ge­lock­ten Lö­wen-Unt­hie­re? Oder gar schon Ab­ge­nagt, ab­ge­knab­bert – Er­bärm­lich, wehe! wehe! ab­ge­knab­bert! Sela. Oh weint mir nicht, Wei­che Her­zen! Weint mir nicht, ihr Dat­tel-Her­zen! Milch-Bu­sen! Ihr Süss­holz-Herz- Beu­tel­chen! Wei­ne nicht mehr, Blei­che Dudu! Sei ein Mann, Su­lei­ka! Muth! Muth! – Oder soll­te viel­leicht Et­was Stär­ken­des, Herz-Stär­ken­des, Hier am Plat­ze sein? Ein ge­salb­ter Spruch? Ein fei­er­li­cher Zu­spruch? – Ha! Her­auf, Wür­de! Tu­gend-Wür­de! Eu­ro­pä­er-Wür­de! Bla­se, bla­se wie­der, Bla­se­balg der Tu­gend! Ha! Noch Ein Mal brül­len, Mora­lisch brül­len! Als mo­ra­li­scher Löwe Vor den Töch­tern der Wüs­te brül­len! – Denn Tu­gend-Ge­heul, Ihr al­ler­liebs­ten Mäd­chen, Ist mehr als Al­les Eu­ro­pä­er-In­brunst, Eu­ro­pä­er-Heiss­hun­ger! Und da ste­he ich schon, Als Eu­ro­pä­er, Ich kann nicht an­ders, Gott hel­fe mir! Amen! Die Wüs­te wächst: weh Dem, der Wüs­ten birg­t!

Die Erweckung
1

Nach dem Lie­de des Wan­de­rers und Schat­tens wur­de die Höh­le mit Ei­nem Male voll Lär­mens und La­chens; und da die ver­sam­mel­ten Gäs­te alle zu­gleich re­de­ten, und auch der Esel, bei ei­ner sol­chen Er­muthi­gung, nicht mehr still blieb, über­kam Za­ra­thustra ein klei­ner Wi­der­wil­le und Spott ge­gen sei­nen Be­such: ob er sich gleich ih­rer Fröh­lich­keit er­freu­te. Denn sie dünk­te ihm ein Zei­chen der Ge­ne­sung. So schlüpf­te er hin­aus in’s Freie und sprach zu sei­nen Thie­ren.

»Wo ist nun ihre Noth hin? sprach er, und schon ath­me­te er sel­ber von sei­nem klei­nen Über­drus­se auf, – bei mir ver­lern­ten sie, wie mich dünkt, das Noth­schrein!

– wenn auch, lei­der, noch nicht das Schrein.« Und Za­ra­thustra hielt sich die Ohren zu, denn eben misch­te sich das I-A des Esels wun­der­lich mit dem Ju­bel-Lärm die­ser hö­he­ren Men­schen.

»Sie sind lus­tig, be­gann er wie­der, und wer weiss? viel­leicht auf ih­res Wir­thes Un­kos­ten; und lern­ten sie von mir la­chen, so ist es doch nicht mein La­chen, das sie lern­ten.

Aber was liegt dar­an! Es sind alte Leu­te: sie ge­ne­sen auf ihre Art, sie la­chen auf ihre Art; mei­ne Ohren ha­ben schon Schlim­me­res er­dul­det und wur­den nicht un­wirsch.

Die­ser Tag ist ein Sieg: er weicht schon, er flieht, der Geist der Schwe­re, mein al­ter Erz­feind! Wie gut will die­ser Tag en­den, der so schlimm und schwer be­gann!

Und en­den will er. Schon kommt der Abend: über das Meer her rei­tet er, der gute Rei­ter! Wie er sich wiegt, der Se­li­ge, Heim­keh­ren­de, in sei­nen pur­pur­nen Sät­teln!

Der Him­mel blickt klar dazu, die Welt liegt tief: oh all ihr Wun­der­li­chen, die ihr zu mir kamt, es lohnt sich schon, bei mir zu le­ben!«

Also sprach Za­ra­thustra. Und wie­der kam da das Ge­schrei und Ge­läch­ter der hö­he­ren Men­schen aus der Höh­le: da be­gann er von Neu­em.

»Sie beis­sen an, mein Kö­der wirkt, es weicht auch ih­nen ihr Feind, der Geist der Schwe­re. Schon ler­nen sie über sich sel­ber la­chen: höre ich recht?

Mei­ne Manns-Kost wirkt, mein Saft- und Kraft-Spruch: und wahr­lich, ich nähr­te sie nicht mit Bläh-Ge­mü­sen! Son­dern mit Krie­ger-Kost, mit Ero­be­rer-Kost: neue Be­gier­den weck­te ich.

Neue Hoff­nun­gen sind in ih­ren Ar­men und Bei­nen, ihr Herz streckt sich aus. Sie fin­den neue Wor­te, bald wird ihr Geist Muthwil­len ath­men.

Sol­che Kost mag frei­lich nicht für Kin­der sein, noch auch für sehn­süch­ti­ge alte und jun­ge Weib­chen. De­nen über­re­det man an­ders die Ein­ge­wei­de; de­ren Arzt und Leh­rer bin ich nicht.

Der Ekel weicht die­sen hö­he­ren Men­schen: wohl­an! das ist mein Sieg. In mei­nem Rei­che wer­den sie si­cher, alle dum­me Scham läuft da­von, sie schüt­ten sich aus.

Sie schüt­ten ihr Herz aus, gute Stun­den keh­ren ih­nen zu­rück, sie fei­ern und käu­en wie­der, – sie wer­den dank­bar.

Das neh­me ich als das bes­te Zei­chen: sie wer­den dank­bar. Nicht lan­ge noch, und sie den­ken sich Fes­te aus und stel­len Denk­stei­ne ih­ren al­ten Freu­den auf.

Es sind Ge­ne­sen­de!« Also sprach Za­ra­thustra fröh­lich zu sei­nem Her­zen und schau­te hin­aus; sei­ne Thie­re aber dräng­ten sich an ihn und ehr­ten sein Glück und sein Still­schwei­gen.

2

Plötz­lich aber er­schrak das Ohr Za­ra­thustra’s: die Höh­le näm­lich, wel­che bis­her vol­ler Lär­mens und Ge­läch­ters war, wur­de mit Ei­nem Male tod­ten­still; – sei­ne Nase aber roch einen wohl­rie­chen­den Qualm und Weih­rauch, wie von bren­nen­den Pi­ni­en-Zap­fen.

»Was ge­schieht? Was trei­ben sie?« frag­te er sich und schlich zum Ein­gan­ge her­an, dass er sei­nen Gäs­ten, un­ver­merkt, zu­sehn kön­ne. Aber, Wun­der über Wun­der! was muss­te er da mit sei­nen eig­nen Au­gen sehn!

»Sie sind Alle wie­der from­m ge­wor­den, sie be­ten, sie sind toll!« – sprach er und ver­wun­de­ne sich über die Maas­sen. Und, für­wahr!, alle die­se hö­he­ren Men­schen, die zwei Kö­ni­ge, der Papst aus­ser Dienst, der schlim­me Zau­be­rer, der frei­wil­li­ge Bett­ler, der Wan­de­rer und Schat­ten, der alte Wahr­sa­ger, der Ge­wis­sen­haf­te des Geis­tes und der häss­lichs­te Mensch: sie la­gen Alle gleich Kin­dern und gläu­bi­gen al­ten Weib­chen auf den Kni­en und be­te­ten den Esel an. Und eben be­gann der häss­lichs­te Mensch zu gur­geln und zu schnau­ben, wie als ob et­was Unaus­sprech­li­ches aus ihm her­aus wol­le; als er es aber wirk­lich bis zu Wor­ten ge­bracht hat­te, sie­he, da war es eine from­me selt­sa­me Li­ta­nei zur Lob­prei­sung des an­ge­be­te­ten und an­ge­räu­cher­ten Esels. Die­se Li­ta­nei aber klang also:

Amen! Und Lob und Ehre und Weis­heit und Dank und Preis und Stär­ke sei un­serm Gott, von Ewig­keit zu Ewig­keit!

– Der Esel aber schrie dazu I-A.

Er trägt uns­re Last, er nahm Knechts­ge­stalt an, er ist ge­duld­sam von Her­zen und re­det nie­mals Nein; und wer sei­nen Gott liebt, der züch­tigt ihn.

– Der Esel aber schrie dazu I-A.

Er re­det nicht: es sei denn, dass er zur Welt, die er Schuf, im­mer Ja sagt: also preist er sei­ne Welt. Sei­ne Schlau­heit ist es, die nicht re­det: so be­kommt er sel­ten Un­recht.

– Der Esel aber schrie dazu I-A.

Un­schein­bar geht er durch die Welt. Grau ist die Leib-Far­be, in wel­che er sei­ne Tu­gend hüllt. Hat er Geist, so ver­birgt er ihn; Je­der­mann aber glaubt an sei­ne lan­gen Ohren.

– Der Esel aber schrie dazu I-A.

Wel­che ver­bor­ge­ne Weis­heit ist das, dass er lan­ge Ohren trägt und al­lein ja und nim­mer Nein sagt! Hat er nicht die Welt er­schaf­fen nach sei­nem Bil­de, näm­lich so dumm als mög­lich?

– Der Esel aber schrie dazu I-A.

Du gehst ge­ra­de und krum­me Wege; es küm­mert dich we­nig, was uns Men­schen ge­ra­de oder krumm dünkt. Jen­seits von Gut und Böse ist dein Reich. Es ist dei­ne Un­schuld, nicht zu wis­sen, was Un­schuld ist.

– Der Esel aber schrie dazu I-A.

Sie­he doch, wie du Nie­man­den von dir stös­sest, die Bett­ler nicht, noch die Kö­ni­ge. Die Kind­lein läs­sest du zu dir kom­men, und wenn dich die bö­sen Bu­ben lo­cken, so sprichst du ein­fäl­tig­lich I-A.

– Der Esel aber schrie dazu I-A.

Du liebst Ese­lin­nen und fri­sche Fei­gen, du bist kein Kost­ver­äch­ter. Eine Dis­tel kit­zelt dir das Herz, wenn du ge­ra­de Hun­ger hast. Da­rin liegt ei­nes Got­tes Weis­heit.

– Der Esel aber schrie dazu I-A.

Das Eselsfest
1

An die­ser Stel­le der Li­ta­nei aber konn­te Za­ra­thustra sich nicht län­ger be­meis­tern, schrie sel­ber I-A, lau­ter noch als der Esel, und sprang mit­ten un­ter sei­ne toll­ge­wor­de­nen Gäs­te.

»Aber was treibt ihr da, ihr Men­schen­kin­der? rief er, in­dem er die Be­ten­den vom Bo­den em­por riss. Wehe, wenn euch Je­mand An­de­res zu­sä­he als Za­ra­thustra:

Je­der wür­de urt­hei­len, ihr wä­ret mit eu­rem neu­en Glau­ben die ärgs­ten Got­tes­läs­te­rer oder die thö­richts­ten al­ler al­ten Weib­lein!

Und du sel­ber, du al­ter Papst, wie stimmt Das mit dir sel­ber zu­sam­men, dass du sol­cher­ge­stalt einen Esel hier als Gott an­be­test?« –

»Oh Za­ra­thustra, ant­wor­te­te der Papst, ver­gieb mir, aber in Din­gen Got­tes bin ich auf­ge­klär­ter noch als du. Und so ist’s bil­lig.

Lie­ber Gott also an­be­ten, in die­ser Ge­stalt, als in gar kei­ner Ge­stalt! Den­ke über die­sen Spruch nach, mein ho­her Freund: du er­räthst ge­schwind, in sol­chem Spruch steckt Weis­heit.

Der, wel­cher sprach »Gott ist ein Geist« – der mach­te bis­her auf Er­den den gröss­ten Schritt und Sprung zum Un­glau­ben: solch Wort ist auf Er­den nicht leicht wie­der gut zu ma­chen!

Mein al­tes Herz springt und hüpft darob, dass es auf Er­den noch Et­was an­zu­be­ten giebt. Ver­gieb das, oh Za­ra­thustra, ei­nem al­ten from­men Papst-Her­zen! –«

– »Und du, sag­te Za­ra­thustra zu dem Wan­de­rer und Schat­ten, du nennst und wähnst dich einen frei­en Geist? Und treibst hier sol­chen Göt­zen- und Pfaf­fen­dienst?

Schlim­mer, wahr­lich, treibst du’s hier noch als bei dei­nen schlim­men brau­nen Mäd­chen, du schlim­mer neu­er Gläu­bi­ger!«

»Schlimm ge­nug, ant­wor­te­te der Wan­de­rer und Schat­ten, du hast Recht: aber was kann ich da­für! Der alte Gott lebt wie­der, Oh Za­ra­thustra, du magst re­den, was du willst.

Der häss­lichs­te Mensch ist an Al­lem schuld: der hat ihn wie­der auf­er­weckt. Und wenn er sagt, dass er ihn einst ge­töd­tet habe: To­d ist bei Göt­tern im­mer nur ein Vor­urt­heil.«

– Und du, sprach Za­ra­thustra, du schlim­mer al­ter Zau­be­rer, was tha­test du! Wer soll, in die­ser frei­en Zeit, für­der­hin an dich glau­ben, wenn du an sol­che Göt­ter-Ese­lei­en glaubst?

Es war eine Dumm­heit, was du tha­test; wie konn­test du, du Klu­ger, eine sol­che Dumm­heit thun!

»Oh Za­ra­thustra, ant­wor­te­te der klu­ge Zau­be­rer, du hast Recht, es war eine Dumm­heit, – es ist mir auch schwer ge­nug ge­wor­den.«

– »Und du gar, sag­te Za­ra­thustra, zu dem Ge­wis­sen­haf­ten des Geis­tes, er­wä­ge doch und lege den Fin­ger an dei­ne Nase! Geht hier denn Nichts wi­der dein Ge­wis­sen? Ist dein Geist nicht zu rein­lich für diess Be­ten und den Dunst die­ser Bet­brü­der?«

»Es ist Et­was dar­an, ant­wor­te­te der Ge­wis­sen­haf­te und leg­te den Fin­ger an die Nase, es ist Et­was an die­sem Schau­spie­le, das mei­nem Ge­wis­sen so­gar wohl­thut.

Vi­el­leicht, dass ich an Gott nicht glau­ben darf: ge­wiss aber ist, dass Gott mir in die­ser Ge­stalt noch am glaub­wür­digs­ten dünkt.

Gott soll ewig sein, nach dem Zeug­nis­se der Frömms­ten: wer so viel Zeit hat, lässt sich Zeit. So lang­sam und so dumm als mög­lich: da­mit kann ein Sol­cher es doch sehr weit brin­gen.

Und wer des Geis­tes zu viel hat, der möch­te sich wohl in die Dumm- und Narr­heit sel­ber ver­nar­ren. Den­ke über dich sel­ber nach, oh Za­ra­thustra!

Du sel­ber – wahr­lich! auch du könn­test wohl aus Über­fluss und Weis­heit zu ei­nem Esel wer­den.

Geht nicht ein voll­komm­ner Wei­ser gern auf den krümms­ten We­gen? Der Au­gen­schein lehrt es, oh Za­ra­thustra, – dein Au­gen­schein!«

– »Und du sel­ber zu­letzt, sprach Za­ra­thustra und wand­te sich ge­gen den häss­lichs­ten Men­schen, der im­mer noch auf dem Bo­den lag, den Arm zu dem Esel em­por­he­bend (er gab ihm näm­lich Wein zu trin­ken). Sprich, du Unaus­sprech­li­cher, was hast du da ge­macht!

Du dünkst mich ver­wan­delt, dein Auge glüht, der Man­tel des Er­ha­be­nen liegt um dei­ne Häss­lich­keit: was tha­test du?

Ist es denn wahr, was jene sa­gen, dass du ihn wie­der auf­er­weck­test? Und wozu? War er nicht mit Grund ab­ge­töd­tet und ab­ge­than?

Du sel­ber dünkst mich auf­ge­weckt: was tha­test du? was kehr­test du um? Was be­kehr­test du dich? Sprich, du Unaus­sprech­li­cher?«

»Oh Za­ra­thustra, ant­wor­te­te der häss­lichs­te Mensch, du bist ein Schelm!

Ob Der noch lebt oder wie­der lebt oder gründ­lich todt ist, – wer von uns Bei­den weiss Das am Bes­ten? Ich fra­ge dich.

Eins aber weiss ich, – von dir sel­ber lern­te ich’s einst, oh Za­ra­thustra: wer am gründ­lichs­ten töd­ten will, der lacht.

»Nicht durch Zorn, son­dern durch La­chen töd­tet man« – so sprachst du einst. Oh Za­ra­thustra, du Ver­bor­ge­ner, du Ver­nich­ter ohne Zorn, du ge­fähr­li­cher Hei­li­ger, – du bist ein Schelm!«

2

Da aber ge­sch­ah es, dass Za­ra­thustra, ver­wun­dert über lau­ter sol­che Schel­men-Ant­wor­ten, zur Thür sei­ner Höh­le zu­rück sprang und, ge­gen alle sei­ne Gäs­te ge­wen­det, mit star­ker Stim­me schrie:

»Oh ihr Schalks-Nar­ren al­le­sammt, ihr Pos­sen­reis­ser! Was ver­stellt und ver­steckt ihr euch vor mir!

Wie doch ei­nem je­den von euch das Herz zap­pel­te vor Lust und Bos­heit, darob, dass ihr end­lich ein­mal wie­der wur­det wie die Kind­lein, näm­lich fromm, –

– dass ihr end­lich wie­der tha­tet wie Kin­der thun, näm­lich be­te­tet, hän­de-fal­te­tet und »lie­ber Gott« sag­tet!

Aber nun lasst mir die­se Kin­der­stu­be, mei­ne eig­ne Höh­le, wo heu­te alle Kin­de­rei zu Hau­se ist. Kühlt hier draus­sen eu­ren heis­sen Kin­der-Über­muth und Her­zens­lärm ab!

Frei­lich: so ihr nicht wer­det wie die Kind­lein, so kommt ihr nicht in das Him­mel­reich. (Und Za­ra­thustra zeig­te mit den Hän­den nach Oben.)

Aber wir wol­len auch gar nicht in’s Him­mel­reich: Män­ner sind wir wor­den, – so wol­len wir das Er­den­reich

3

Und noch ein­mal hob Za­ra­thustra an zu re­den. »Oh mei­ne neu­en Freun­de, sprach er, – ihr Wun­der­li­chen, ihr hö­he­ren Men­schen, wie gut ge­fallt ihr mir nun, –

– seit ihr wie­der fröh­lich wur­det! Ihr seid wahr­lich Alle auf­ge­blüht: mich dünkt, sol­chen Blu­men, wie ihr seid, thun neue Fes­te noth,

– ein klei­ner tap­fe­rer Un­sinn, ir­gend ein Got­tes­dienst und Esels­fest, ir­gend ein al­ter fröh­li­cher Za­ra­thustra-Narr, ein Brau­se­wind, der euch die See­len hell bläst.

Ver­ge­sst die Nacht und diess Esels­fest nicht, ihr hö­he­ren Men­schen! Das er­fan­det ihr bei mir, Das neh­me ich als gu­tes Wahr­zei­chen, – Sol­cher­lei er­fin­den nur Ge­ne­sen­de!

Und fei­ert ihr es aber­mals, die­ses Esels­fest, thut’s euch zu Lie­be, thut’s auch mir zu Lie­be! Und zu mei­nem Ge­dächt­niss!«

Also sprach Za­ra­thustra.

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9783962815295
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