Loe raamatut: «Die Vier-in-einem-Perspektive», lehekülg 4

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»Die freilich noch sehr rohe, latente Sklaverei in der Familie ist das erste Eigentum, das übrigens hier schon der Definition der modernen Ökonomie entspricht, nach der es die Verfügung über fremde Arbeit ist.« (MEW 3, 32)

Selbst die angeblich ganz und gar vernachlässigte Arbeit im Hause bei der Reproduktion der Ware Arbeitskraft fasst Marx an einer Stelle – wenn auch nur in einer Fußnote – begrifflich als »die für die Konsumtion nötige Familienarbeit« (MEW 23, 417, Fn. 20).

Die erste entwickelte Verkehrung geschieht durch die Produktion für den Markt, die die Arbeit vergesellschaftet und zugleich Quantität und Tauschwert der Produkte in den Vordergrund rückt. In diesem Zusammenhang sind die Arbeitenden beider Geschlechter zunächst gleich. Sobald die unmittelbare Subsistenzproduktion überschritten ist, arbeiten beide Geschlechter für sich und Überschüssiges für den Markt. Die besondere Stellung der Frauen rührt hier schon daher, dass ein großer Teil ihrer Produktion – Schwangerschaft, Geburt, Aufziehen der Kinder – nicht vermarktet werden kann. Hier deutet sich heute – in der Gestalt von Leihmüttern und Reproduktionstechnologie – ein Nachholen an: dies mit einer Gewalttätigkeit, wie wir sie aus der »Zivilisierung« von »Naturvölkern« kennen. Das Erstere hat mit irgendwelcher selbstbestimmten Regelung von Gesellschaft so wenig zu tun wie das Letztere.

Ist nicht der Rahmen, den Marx für die menschliche Gesellschaft und die in ihr lebenden Individuen skizzierte, so, dass die besondere Unterdrückung der Frauen mit ihren naturwüchsigen Momenten ebenso wie mit den Ergebnissen sozialer Herrschaft darin heute eine ungeheure Dynamik erhält? In der Arbeitsteilung von Lebens- und Lebensmittelproduktion und in der Letzteren noch einmal zwischen Arbeit und freier Tätigkeit, Genuss, ist die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern auf eine teuflische Weise festgeschrieben. Der Bereich des Lebens wird vom Standpunkt der gesellschaftlichen Lebensmittelproduktion randständig und mit ihm diejenigen, die ihn in erster Linie bevölkern. Zugleich wird die Tätigkeit im gesellschaftlich zentralen Bereich entfremdet, sodass Hoffnung auf Befreiung sich auf jenen lebendig randständigen Bereich richtet. Auf die Frauen kommt die unzumutbare Belastung zu, im Stadium der Unterdrückung die Hoffnung auf ein besseres Leben darzustellen, auf Genuss, Sinnenfreude.

Bei Marx finden wir die Anspielung, dass der Arbeiter in der Arbeit nicht zu Hause sei und wo er zu Hause ist, er nicht arbeite (vgl. MEW EB 1, 514). Mit einem gewissen Recht wurde auch dieser Satz vom feministischen Standpunkt für kritikwürdig befunden: Spricht nicht auch er vom Standpunkt des männlichen Arbeiters und übersieht die Lage der Hälfte der Menschheit, die sehr wohl zu Hause arbeitet und mithin zu Hause ist, wo sie arbeitet (vgl. Ivekovic 1984)? Bei dieser Kritik wird allerdings die in der marxschen Version angedeutete Blockierung übersehen. Es ist die doppelte Entzweiung, die Trennung der Sinnenfreude und des Lebenssinns von der Arbeit und die Teilung der Arbeit in solche, die einen Lohn bringt, und solche, die in dieser Hinsicht nichts gilt, die in der Metapher vom »nicht in der Arbeit zu Hause sein« ausgedrückt ist. In dieser Verkehrung besetzen die Frauen das Zuhause, den Randbereich, der gleichwohl Zuflucht ist, ein verkehrter Ort der Hoffnung. Die unterdrückende Überhöhung der Frauen wird überlebensnotwendig für die männlichen Lohnarbeiter. In der familiären Zusammenarbeit beider Geschlechter wird sie dauerhaft befestigt.

Wäre es nicht eine revolutionäre Tat, hier einiges durcheinanderzubringen, um eine neue Ordnung herbeizuführen? Um die Bereiche des Lebens aus ihrer Randständigkeit zu holen, müssten sie allgemein werden und damit aufgewertet. Und im gleichen Zug müsste der Bereich, der als gesellschaftliche Arbeit gilt, von den Frauen besetzt und zugleich in seiner Dominanz entkräftet werden. Wenn beide Geschlechter sich in alle Bereiche teilen, ist eine Dimension, die die bisherige, zerstörende Struktur bestätigte, ist ein Herrschaftsverhältnis aufgebrochen. Dies scheint mir eine Voraussetzung, um die Liebe zurück in die Arbeit zu bringen. Und die Bewegung der Frauen wird damit zentral für die Vermenschlichung der Gesellschaft.

Arbeitsforschung im Zeitalter der Mikroelektronik

Zum Bezug von Arbeitsforschung

Ungefähr 70 Prozent aller Arbeitsplätze sind in den späten 1980er Jahren schon irgendwie von Mikroelektronik betroffen. Daher ist es für Überlegungen zur Aufgabe von Arbeitspsychologie notwendig, die dadurch hervorgerufenen Veränderungen in den Arbeitsbedingungen grundlegend einzubeziehen. Sie betreffen das Verhältnis der Menschen zur Maschine, zur Natur, zur Wissenschaft und damit zu sich selbst und zu anderen. Ich stelle als These auf, dass die mikroelektronische Produktionsweise die Arbeitspsychologie erstmals tatsächlich als psychologische Wissenschaft fordert.

Ich nähere mich dem Thema von der Seite, vom Studium der Arbeitswissenschaften im engeren Sinn. Diese haben durch die Umbrüche in der Produktion und im Dienstleistungssektor einen unerhörten Aufschwung erlebt. Auf dem Weltkongress für Bildschirmarbeit (1986 in Stockholm) konnte man vom Ausmaß der auf diesen Gebieten geleisteten Arbeit eine Ahnung erhalten. 300 Wissenschaftler aus 30 Ländern stellten hier die Ergebnisse umfangreicher und mit großem Forschungseinsatz betriebener Studien in Zahlen- und Datenreihen vor. Die Aufarbeitung solcher Forschungsergebnisse ist von unschätzbarem Wert für kritisches Lernen.

Die Studien zeigen nicht nur schon auf den ersten Blick (vgl. Knave u. Wiedebäck 1987), dass sie die Menschen als Reiz-Reaktions-Mechanismus auffassen; immerhin bringt selbst eine solche Betrachtungsweise brauchbare Informationen über die Schäden einseitiger Nutzung von Menschen als Arbeitskraft. Man kann darüber hinaus die notwendigen Dimensionen kritischer Arbeitspsychologie herausarbeiten, wenn man prüft, was in den ergonomischen Forschungen – etwa über die schädlichen Folgen der Bildschirmarbeit – fehlt. In der Logik der Wirkungen, die im Reiz-Reaktions-Modell vorausgesetzt ist, sind folgende – für eine Forschung mit und über arbeitende Menschen – unerlässliche Dimensionen ausgespart: der Mensch selbst als tätiges Wesen und seine Erfahrungen; seine Stellung im Arbeitsprozess; sein Verhältnis zum Arbeitsmittel (Computer) – bedient er ihn oder sich seiner; der Inhalt der Arbeit; die Arbeitsorganisation; die Stellung in der Gesamtaufgabe und natürlich der gesellschaftliche Kontext, in dem diese Aufgabe steht. Aus den Auslassungen ist in geradezu einfacher Ausfüllung erschließbar, wie Arbeitsforschung vorgehen müsste. Darüber hinaus offenbart das Studium solcher internationaler Forschung ein weiteres interessantes Phänomen: Im Fall der Bildschirmarbeit sind die gemeldeten Schäden beim Einsatz gleicher Arbeitsmittel national und geschlechtsspezifisch verschieden. Sie betreffen überwiegend Frauen.

In Australien geht eine plötzliche Lähmung der Arme um wie eine mittelalterliche Seuche. Diese die Frauen befallende Krankheit wurde zunächst Tendosinovitis genannt, später – allgemeiner – RSI – repetitive strain injury. Die Symptome sind eine oft Monate bis Jahre dauernde Lähmung der Arme; sie sind auf Australien beschränkt; ganze Heerscharen von Wissenschaftlern sind unterwegs, um Erklärungen zu finden. Die betroffenen Frauen haben die »Krankheit« in ihre Zeitrechnung aufgenommen: »Das war, bevor ich RSI hatte …«. Anders in Schweden: Hier werden Fehlgeburten und Missbildungen diskutiert; aus anderen Ländern wird von Hautallergien berichtet. In Finnland scheinen die Augen am meisten betroffen. Auch Schultern und Nacken zeigen sich als Austragungsorte von Unverträglichkeiten. Es wäre sicher von Bedeutung, die methodischen Voraussetzungen kritisch zu überprüfen, die solchen Ergebnissen zugrunde liegen. – So kann man z. B. in einer weiteren Studie zu den Folgen von Bildschirmarbeit aus Schweden lesen, dass die Häufigkeit der Fehlgeburten, deren Veröffentlichung die schwedische Diskussion alarmiert hat, weniger der Bildschirmarbeit als der Berufstätigkeit von Frauen überhaupt geschuldet sei. – Ich möchte an dieser Stelle eine andere Dimension hervorheben und vorschlagen, diese unterschiedlichen Ergebnisse, die nationalkulturellen Verschiedenheiten in der Austragung eines gleichartigen Wechsels in den Arbeitsbedingungen selbst als praktische und aufklärende Kritik an der herkömmlichen Arbeitswissenschaft zu fassen. Die Ergebnisse zwingen dazu, über den ergonomischen Ansatz hinauszugehen und Bildschirmarbeit – und so alle Arbeitstätigkeit – als gesellschaftliche Frage zu erforschen und dabei die Dimensionen der Kultur und des Geschlechts in die Forschung aufzunehmen.

Unsere Forschungsfrage im solcherart vorgegebenen Feld (Bildschirmarbeit) lautet zunächst: Welche Veränderung bringt denn der Computer (als dazugehöriges Arbeitsmittel) in den Arbeitsprozess und warum melden insbesondere Frauen Arbeitsschäden?

Dazu vorweg: In der Bundesrepublik Deutschland stieg der Anteil der Frauen in der Computerarbeit von 1970 bis 1982 um 64 %; seit 1982 sinkt er langsam, während der der Männer im gleichen Zeitraum zunimmt. – Die Dimension der kulturellen Unterschiede oder gar die der unterschiedenen Produktionsverhältnisse vergleichend zu untersuchen ist ein umfangreiches empirisches Projekt, welches den Rahmen der hier vorgetragenen Überlegungen sprengt. In meinen empirischen Berichten beschränke ich mich daher auf Fragen der Arbeitskultur in westdeutschen Betrieben/​Büros.

Krise der Arbeit

Es scheint mir angemessen, Veränderungen in den Handlungsbedingungen, die plötzlich hereinbrechen und deren Handhabung noch weitgehend unbegriffen ist, als Krise zu kennzeichnen. Die innere Arbeitskrise (im Gegensatz zur »äußeren« des Ausmaßes und der Verteilung von Arbeit und Arbeitsplätzen) bezieht sich im Wesentlichen auf vier Dimensionen: auf Verschiebungen im Verhältnis von geistiger und körperlicher Arbeit; auf Überschreitungen der Trennung von Arbeit und Freizeit; auf das Verhältnis von Männer- zu Frauenarbeit und auf das Lernen.

Geistige und körperliche Arbeit

Sobald Arbeit zu informationsverarbeitender Tätigkeit wird, ist die alte Trennung von Händen und Köpfen, von praktischer und theoretischer Arbeit in Produktion und Verwaltung unhaltbar. Damit stehen Hierarchien und Kooperationsverhältnisse in Frage ebenso wie Beziehungen zwischen einzelnen Arbeitergruppen. Inhaltlich gilt, zumindest in unseren Verhältnissen, der hierarchischen Anordnung eine Art Kompetenzentzug, ohne die Autorität der Vorgesetzten selbst anzutasten. In dieser Weise bildet sich ein neuer Widerspruch heraus: Die Untergebenen werden den Vorgesetzten überlegen und bleiben ihnen zugleich unterstellt. Aber Computerarbeit ist noch nicht ausreichend bestimmt, wenn wir wissen, dass sie Kopfarbeit, informationsverarbeitende Tätigkeit ist. Denn die Arbeitselemente treten den Einzelnen nicht nur als Informationen entgegen, sondern sie tun dies in Form einer Theorie über den Arbeitsprozess. Insofern wird die Distanz des Menschen zur eigenen Arbeit vergrößert. Wir sind daran gewöhnt, Distanz in der Arbeit spontan als etwas Negatives wahrzunehmen, als Vergrößerung von Fremdheit; dabei übersehen wir den umgekehrten Aspekt, dass allzu große Nähe den Überblick und die Kritik, notwendig für Entwicklung, verunmöglicht.1 Mit der größeren Distanz wird das Verhältnis zur Arbeit notwendig reflektierter. Dies gilt selbst für einfache Eingabetätigkeiten im Vergleich zur vorhergehenden Schreibmaschinenarbeit und selbstverständlich für Dialogsysteme und Systemanalyse. Die Logik der Computer ist ein bestimmter Zugriff auf Sprache und Information. Man kann sich dem unterwerfen und versuchen, die Befehle auswendig zu lernen mit der ständigen Angst und Hilflosigkeit, aus dem System geworfen zu werden. Man kann sich den Computer aneignen, d. h. seine Möglichkeiten austesten und das System ausbauen und weiterentwickeln. Das bedingt ein Verhältnis zur Arbeit wie zu einem Experiment. Die Arbeit ergreift einen und hält einen fest – dieser Umstand ist bekannt, wenn auch nicht begriffen als Faszinationsproblem.2

Die Verschiebungen im Verhältnis von körperlicher und geistiger Arbeit bringen im Wesentlichen folgende Widersprüche und neuen Spannungen hervor: Die Bewegung, die schon in der Ersten industriellen Revolution begann, vollendet sich – die Arbeitenden stehen oberhalb und außerhalb des eigentlichen Produktionsprozesses, ohne jedoch zugleich die solcher Stellung angemessene Verfügungsmacht zu haben.

Die Inanspruchnahme wird mit der wachsenden Distanz zum Arbeitsgegenstand zugleich intensiver und konzentrierter und dabei auch engagierter. Empirischen Untersuchungen, die die Zunahme an Intensität und Konzentration anklagend erheben und sie als Beweis für eine besonders anspruchslose Arbeit behaupten, entgeht, dass engagierte, »motivierte« Arbeit immer mit wachsender, auch subjektiv so erfahrener Intensität verbunden ist. Die Formen der Arbeitsteilung sind weniger unmittelbar hierarchisch, ohne dass Hierarchie dabei tatsächlich verschwände. Die Vorgesetzten sind weniger kompetent in der Arbeit als ihre Untergebenen, ohne den Vorsitz zu verlieren.

Arbeit und Freizeit

Eine der wichtigen Trennungen im Leben der Lohnarbeitenden ist die von Arbeit und Freizeit. In der Freizeit sind sie zu Hause, Privatmenschen, die aus der Arbeit flüchten. Aber auch umgekehrt flüchten sie aus der privaten Enge in die Gesellschaftlichkeit der Arbeit. Mit dem Einsatz der Computer wird einiges verrückt. Indem Arbeit geistige Arbeit ist, kann sie vor den Fabriktoren und Bürotüren nicht haltmachen. Die Probleme werden mit nach Hause genommen. Sie durchsetzen die Freizeit. Computerarbeit ist auch Hobbyarbeit. Rechner fallen aus, und die meisten Firmen nutzen die angespannte Arbeitsmarktlage, um von den Beschäftigten einen flexiblen Umgang mit den Arbeitserfordernissen zu verlangen. Die ausgefallenen Zeiten müssen als Überstunden nachgeholt werden. Solche Praxen verändern das Familienleben, wenn sie allgemein werden. Die Arbeiten werden über die Grenzen von Bürozeiten gedrängt. Die Flexibilisierung der Arbeitszeit bringt die häusliche Ordnung massenhaft durcheinander. Wenn die betroffenen Büroarbeiter Frauen sind, können sie entweder den Überstunden nicht gehorchen und müssen einen Halbtagsjob annehmen oder ihre Partner ändern Haltung und Verhalten und übernehmen die zu Hause anfallenden Aufgaben – ein weiterer Schritt in Richtung Frauengleichberechtigung wäre getan? In unserer Untersuchung in computerisierten Büros (Brosius/​Haug 1987) berichteten Männer und Frauen einmütig, dass solche partnerschaftlichen Lösungen bei ihnen üblich seien. Allerdings stellte sich bei der Überprüfung ihrer tatsächlichen Praxen heraus, dass die befragten Frauen die Probe aufs Exempel nicht gewagt hatten: Sie machten keine Überstunden. Ihre Verankerung in den Firmen war entsprechend fragil. In allen bisher skizzierten Veränderungen im Verhältnis von geistiger und körperlicher Arbeit sowie zwischen Arbeit und Freizeit sind Aufweichungen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilungen enthalten. Dabei ist eine Hauptfrage in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung noch ganz unentschieden: Ist Computerarbeit eigentlich »männliche« technische Arbeit oder »weibliche« Schreibarbeit?

Lernen

Auch im Bereich des Lernens möchte ich nur einige Aspekte skizzieren. Sicher verändert sich durch die mikroelektronischen Arbeitsmittel das Verhältnis von Lernen und Arbeit, von Theorie und Erfahrung (der Praxisbezug ist selbst ein theoretischer). Zunächst gibt es eine Reihe von neuen Fragen:

Wie ist es möglich »auszulernen«, wenn Arbeit Weiterentwicklung einschließt? Welche »Ausbildung« wird überhaupt gebraucht, wenn Lernen Lebenstätigkeit ist? Kann Arbeit selbst so angeordnet werden, dass Lernen ein integraler Bestandteil wird, und was ist mit der gängigen Lernform des Learning by Doing?

Ich möchte thesenförmig zuspitzen, dass die Arbeit im mikroelektronischen Arbeitsprozess es zu einer Notwendigkeit macht, die Rahmenbedingungen des Arbeitens als entwickel- und veränderbar aufzufassen und sich selbst dafür zuständig und verantwortlich zu fühlen. Arbeitsteilungen, Arbeitsorganisation und vor allem die Produktionsverhältnisse blockieren den angemessenen Umgang mit den neuen Produktionsmitteln. Schließlich stehen mit dem Verhältnis zur Arbeit selbst auch Fragen der Arbeitskultur und der Arbeitsidentität zur Disposition.

Krise der Arbeitssubjekte

Wesentlicher Gegenstand von Arbeitspsychologie werden die Erfahrungen der Arbeitssubjekte mit den neuen Bedingungen und ihre Verarbeitung im alltäglichen Handeln. Schließlich bargen die alten Strukturen, Arbeitsteilungen, Arbeitsorganisationen, Ausbildungen, Trennungen und Lernarrangements sowohl Handlungsfähigkeiten und deren Stützen als auch Hindernisse und Fesseln (Letzteres insbesondere für die nicht-männlichen Nicht-Facharbeiter).

Beim Einbezug der Arbeitenden als Subjekte unserer empirischen Forschung lernten wir: Sie erfahren die neuen Bedingungen weitgehend als eine Art faszinierender Katastrophe (vgl. PAQ 1987, Kap. 11). Einerseits sind die Arbeiten verlockend wie ein Hobby, andererseits bedrohlich wie eine Beraubung. Im Großen und Ganzen kann man sagen: Computerarbeit ist mit der herrschenden Arbeitskultur unverträglich. Ich möchte diese Behauptung mit einigen Thesen verdeutlichen:

1. Arbeit wird als Nichtarbeit wahrgenommen – wie früher die Arbeit der Intellektuellen vonseiten der Arbeiter. Die Arbeit verändert ihren Charakter so, dass unklar wird, was eigentlich Arbeit ist. Die gewohnten Maße für die geübte Disziplin passen nicht mehr. Sind Lernzeiten Arbeitszeiten? Ist das Suchen nach Lösungen, das Herumprobieren Arbeit oder die Verhinderung derselben? Wie steht es mit den Passivzeiten? Ist Fehlersuche Arbeit?

2. Wenn körperliche Arbeit Kopfarbeit wird, wird die Haltung der praktischen Arbeiter zu den Intellektuellen problematisch.

3. Wenn nicht klar ist, was Männerarbeit, was Frauenarbeit ist, gerät die stark an die Arbeitstätigkeit gebundene Identität in Krise.

4. Kulturelle Gewohnheiten in und um Arbeit werden zerstört: das betrifft z. B. Alkoholgenuss bei der Arbeit, Spaß, Kraftgefühl, welches »Männlichkeit« absicherte und auf körperlicher Arbeit beruhte.

5. Die Art der Zusammenarbeit, das Verhältnis der Geschlechter, das Zueinander von Familie und Freizeit werden verändert. Die Bedrohungen, die mit der Flexibilisierung der Arbeitszeit erahnbar werden – die Reduktion von Freundschaften auf zufällige Gleichzeitigkeit von Arbeits- und Freizeit und die Reduktion des Sozialen auf die innere Organisation der Familienzeiten sind hier erst ein Anfang.

Subjektive Verarbeitungsweisen objektiver Umbrüche

Bei einer empirischen Untersuchung an 240 Büroarbeitsplätzen in der Dateneingabe, der Dialogbearbeitung und der Systemanalyse zerlegten wir das Verhältnis der Einzelnen zum Arbeitsprozess analytisch in einzelne Aspekte und versuchten so, spezifische Erfahrungen der Arbeitenden mit den neuen Produktionsmitteln ausfindig zu machen. Das ist sehr viel leichter gesagt als getan. Wir fragten nach der Qualifikation, der Vielfältigkeit der Arbeit, der Arbeitsteilung und Hierarchie, den Formen der Zusammenarbeit und der Solidarität unter den Arbeitenden und schließlich nach Lern- und Weiterbildungsstrukturen. – Wir stießen sogleich auf zwei Merkwürdigkeiten:

Zunächst auf eine relativ große Sicherheit der Betroffenen, dass die Computer weitgehend schlechte Folgen hätten, dass sie hauptsächlich monotone Arbeit hervorbrächten, die Arbeitsteilung sich eher verstärkt habe, Isolation die Folge sei und Lernen eigentlich nicht vorkäme. Allerdings träfe dies auf die anderen zu, die darum auch solidarisch untereinander seien, weil sie nichts zu verlieren hätten.

Und zweitens gab es eine fast ebenso große Sicherheit, dass der Einsatz der Computer in der eigenen Arbeit zu höherer Qualifikation, größerer Vielfalt in der Arbeit, integrierten Arbeitsaufgaben, verdichteter Kooperation und schließlich auch zu verbesserten Lernmöglichkeiten geführt habe. Die Sicherheit des Andersseins war begleitet vom Gefühl des selbstbewussten Alleinseins.

Dieser Befund verweist uns als ein erstes Ergebnis auf ein Problem, aus dem methodische Konsequenzen zu ziehen sind. Bei der Einschätzung der negativen Folgen der Computerisierung hatten die Befragten ganz offensichtlich von ihrer eigenen Erfahrung abstrahiert, sich selbst als Ausnahme begriffen. Die herrschende Auffassung setzt sich als Meinung gegen die eigene praktische Arbeitserfahrung durch. Ihre Nichtübereinstimmung mit eigener Praxis wird verarbeitet als Trennung des Ich von den Anderen. Nicht die herrschende Auffassung wird kritisiert, sondern die eigene Praxis wird selbstbewusst isoliert. Eine solche Verarbeitungsweise durch die betroffenen Subjekte lässt empirische Methoden, die sich mit der einfachen Antwort begnügen und die Ergebnisse als widerspruchsfreie Tatsachensammlung behaupten, sehr fragwürdig werden.

Immer wieder trafen wir auf Vereinzelungsstrategien und -phänomene. Die neuen Bedingungen werden als Bedrohung der Privatperson, der Privatsphäre, des Privaten schlechthin wahrgenommen. Wir können sicher davon ausgehen, dass in diesem Rückzug auch das gesellschaftliche Projekt, soweit es sich ankündigt, zusammen mit den Übergriffen der Unternehmer und den entfremdeten Arbeitsverhältnissen abgewehrt wird. Der Widerstand geht in die Befestigung der privaten Fluchtburg.

Auch solche Umbrüche, die schon heute objektiv als eine Bereicherung wahrgenommen und ergriffen werden könnten, werden unter dem Blickwinkel der alten Verhältnisse und der »alten Menschen« strukturiert und erfahren. Z. B. wird die autonomere Zeitverfügung von einer Gruppe von Programmierern als Entleerung und als Strukturmangel wahrgenommen und setzt ein Verlangen nach der alten Ordnung frei. Die Inkompetenz der Vorgesetzten wird zwar mit einem gewissen Stolz verkündet, jedoch die soziale Anerkennung, die mit diesem Kompetenzverlust von oben einhergeht, als fehlend eingeklagt. Ebendieser Mangel führte selbst bei arbeitsmäßig und politisch engagierten Programmierern zur »Verlagerung ihres Lebensmittelpunktes« in die Familie, um dort »soziale Anerkennung« an die Kinder zu vergeben, damit sie zu Menschen werden könnten. Und die Faszination, die die neue Arbeit auf die Einzelnen ausübt, wird schließlich als Verführung abgewehrt, als Versuchung, das Private zu vergessen (ebd.).

Allgemein können wir formulieren, dass eine Zunahme von Angst und Vereinzelung zu den Verarbeitungsmustern der neuen Produktionsmittel und -arrangements gehört.

Folgen für die Arbeitspsychologie

Eine Bestandsaufnahme über die typischen Aufgaben von Betriebspsychologen lehrt uns: Sie beraten die Arbeitenden in sogenannten persönlichen Fragen wie Ehe und Familie, Kindererziehung; hinzu kommen Fragen der Eignung für die Arbeitsplätze und die Herausbildung solcher Eignungstests; manchmal sind Fragen der angemessenen Ausbildung und der zumutbaren Belastung Aspekte ihrer Tätigkeit; ganz selten gehört auch die Arbeitsgestaltung dazu.

Diese Fragen haben auf den ersten Blick nicht allzu viel mit den oben diskutierten Veränderungen in den Produktionsbedingungen und den damit auftretenden Problematiken zu tun, bekommen aber in den Zeiten der Umbrüche eine neue Dimension. Es ist ja weder davon auszugehen, dass die Arbeitssituation so einfach und unumwunden die Familiensituation bestimmt, wie wir dies noch vor Jahren mit dem vereinfachten Modell der Weitergabe von Unterdrückung annahmen (der männliche Arbeiter wird im Betrieb unterdrückt und gibt diese Erfahrung sozusagen kompensatorisch an die Familie weiter). Auch die umgekehrte Behauptung, dass die Familie den Arbeitsfrieden störe, erscheint als zu einfach und gradlinig. Unsere empirischen Untersuchungen zeigten vielmehr, dass die Weise, wie privat Probleme angeordnet und gelöst werden – nämlich vereinzelt, hierarchisch und unter Eliminierung aller Widersprüche –, das Problemlöseverhalten auch im Betrieb bestimmt und unter den neuen Bedingungen dort scheitert.

»Arbeits-« und »Lebens«weise sind als ein Zusammenhang zu begreifen. Die dringliche Aufgabe einer »eingreifenden« Arbeitsforschung ist, dazu beizutragen, dass die Handlungsfähigkeit der Arbeitenden in schnellen Veränderungsprozessen auf höherem Niveau wiederherstellbar wird. Dabei können die Betroffenen nicht als Objekte solcher Forschung konzipiert werden, denn es geht nicht um arbeitsteiliges Diagnostizieren von Problemen, sondern die neue Weise zu produzieren ist solcherart, dass Handlungsfähigkeit der Arbeitenden nur erreichbar ist, wenn sie ihre eigene Arbeitssituation beherrschen. Dafür ist eine erste Voraussetzung die Analyse der Arbeitsprozesse durch die Handelnden selber. Die Zweifel über die eigene Identität und die damit verbundenen Probleme fehlenden Selbstbewusstseins bedürfen einer historischen Betrachtung der eigenen Arbeit und ihrer Bedeutung für die Gesellschaft. Wie lässt sich anders Sinn und Bedeutung finden, wenn etwa die Aufgabe als Versetzen eines Kommas oder eines Bindestrichs beschrieben wird (wie dies uns durch eine Gruppe von Programmierern nahegelegt wurde), in einem Feld allgemeiner Neudefinition von Arbeit und Beruf?

Die theoretisch-praktische Beherrschung des eigenen Arbeitsfeldes beinhaltet das Lernen des Lernens, ist bestimmt durch die Möglichkeit, verändernd eingreifen zu können, Alternativen zu entwerfen, Kritik zu üben. Wenngleich diese Dimensionen sich abstrakt und utopisch anhören mögen, sind sie doch Wirklichkeit auf den verschiedenen Niveaus computerisierter Arbeit und dort zu studieren. Statt um Anpassung an die gegebenen Arbeitsstrukturen muss es jetzt um deren Aneignung gehen.

Projektforschung

Lernen steht in jeder Weise im Zentrum der neuen Arbeit. Alle Umbrüche in den Arbeitsbedingungen verlangen neue Lernformen und aktive Anstrengungen, um einer Auslieferung zu entgehen, die ohnehin für den Umgang mit den neuen Technologien nicht tragfähig ist. Arbeitsforschung, die nicht bloß konstatierend, sondern eingreifend tätig sein und in den neuen Arbeitsstrukturen die Erforschten als Subjekte einschließen will, verlangt ebenfalls neue Formen des Herangehens. Unter den bisher möglichen Formen scheint mir das Projektstudium für dieses Unterfangen am geeignetsten zu sein. Es verbindet für die Studierenden forschendes Lernen als wesentliche Weise, in der Lernen überhaupt stattfindet, mit der Möglichkeit, in den erforschten Arbeitsbereichen die Arbeitenden selbst zur Analyse ihrer eigenen Bedingungen zu gewinnen. Für ein solches Vorgehen ist ein Zusammengehen von Wissenschaft und Gewerkschaften unerlässlich.

Methodische Überlegungen und erste Ergebnisse

Die Veränderung in den Arbeitsbedingungen wird vielfältig widersprüchlich erfahren. Lösungsformen für solche Widersprüche sind ihre Leugnung – was nur einen kurzen Aufschub bedeuten kann –, ihre partielle Auslöschung, der Rückzug aus solch widerspruchsgeladenem Feld. Gegen eine kollektive Bewältigung der Widersprüche nach vorn stehen die Bemühungen der Unternehmer und des Staates, die Vereinzelung, die Privatheit zu stärken – das selbstbestimmte Individuum hat in den neokonservativen Strategien Konjunktur –, und die subjektive Verarbeitungsform der Privatisierung3.

Weiter oben berichtete ich von unserem merkwürdigen Befund, dass die einzelnen Büroangestellten ihre eigenen Arbeitsplätze durch die Ausgestaltung mit Computern jeweils als interessant und verbessert erfuhren, im Ganzen aber unbeirrt an der Auffassung von den durchgehend negativen Auswirkungen der Computerisierung festhielten; dass sie die Methode verfolgten, beim Fällen von allgemeinen Urteilen von der eigenen praktischen Erfahrung zu abstrahieren, aber nicht von den herrschenden Meinungen über ihr eignes Arbeitsfeld. Dieses individuelle Widerspruchsverhalten brachte uns dazu, eine eigene Methode zu entwickeln, um die Einzelnen darin zu unterstützen, den Widerspruch als Bewegungsform zu entdecken.4 Wir gingen davon aus, dass die Notwendigkeit, in widersprüchlichen Situationen handlungsfähig zu werden, verlangt, Widersprüche zu explizieren, zu erkennen, zu artikulieren statt sie zu eliminieren. Zunächst hatten wir einzelne Arbeitende in Gruppen (gemischtgeschlechtlichen mit verschiedenen Positionen in der Arbeit) zusammengesetzt, mit dem Ziel, ihnen einige Themen zur Diskussion vorzulegen und in die Diskussion nur dann einzugreifen, wenn ein Monolog entstünde, der die anderen Gesprächsteilnehmer aus der gemeinsamen Gedankenproduktion ausschalten würde. Unsere Vorgabe fragte ausdrücklich nach einer Diskussion auf der Grundlage eigner Erfahrung, wenngleich wir zunächst gar nicht damit gerechnet hatten, dass alle Gesprächsteilnehmer sofort anfangen würden, über die gemutmaßten Erfahrungen der anderen zu sprechen. Sie teilten sich in überkommenen Ausdrücken so mit, dass es ihnen unmöglich wurde, sich selbst ins Allgemeine zu ziehen. Gegen unsere Entmutigung, solcherart über ein Biertischrunde nicht hinauszukommen, die wir uns fast auch selbst hätten ausdenken können, setzten wir jetzt die Methode, die Erfahrung der offiziellen Lesart ausdrücklich gegen die Arbeitserfahrung zu richten. Wir sprachen als widersprüchliches Faktum aus, was in ihren Köpfen als Nebeneinander vom je eignen guten und den fremden schlechten Arbeitsplätzen koexistierte. Wir richteten also die je offizielle Meinung gegen die Arbeitserfahrung und warfen diesen Widerspruchsballon in die Diskussionsrunde. Die Diskutanten nahmen den Ball auf, bearbeiteten aber nun den Widerspruch als solchen, nicht die Sache selbst, die so widersprüchlich artikuliert war. Der Widerspruch war ihnen eine Herausforderung, die es zu beseitigen galt. Die Diskrepanzen zwischen der je eignen Erfahrung und den gesellschaftlich durchschnittlich vermittelten Auffassungen führten in der Folge zu Äußerungen wie, dass unqualifizierte Computerarbeit (die der anderen) eben eine Charakterfrage sei, als eine Art Beruhigung der selbstpositionierten Elite über die Masse. Störend im Schwarz-Weiß-Gemälde blieb die Einsamkeit des qualifizierten Computerarbeiters gegenüber der heimelig solidarischen unqualifizierten Masse: »Es sind eigentlich diejenigen, die keine Chance haben zu einer steilen Karriere, die zusammenhalten und Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln« (Brosius/​Haug 1987, 88), sagte einer, durchaus ohne steile Karriere, mit Trauer in Bezug auf die von ihm als nur für seinen Fall angenommene Abwesenheit von Solidarität. Ist ein Widerspruch erst einmal selbstverständlicher Bestandteil einer solcherart forschenden Diskussion, so wird er durch die Bereiche getrieben, als führe er ein Eigenleben. Neue Dimensionen tun sich auf, die Gespräche gewinnen an Spannung für die Teilnehmer selbst. Sie haben den Eindruck, voranzukommen und selbst urbar gemachtes Neuland zu betreten.