Loe raamatut: «Comanchen Mond Band 2», lehekülg 2

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Niemand erschien. Niemand wagte sich auch nur in die Nähe. Da setzte sich Icy-Wind in Bewegung. Langsam ritt er den Hauptweg hinunter, bis er etwa in Höhe von Light-Clouds Tipi war. Sein Pferd durch dichtes Gebüsch bis zum Fluss hinüber lenkend, kam er in Sichtweite von dessen Tipi. Er tat das mit einem Gesichtsausdruck, als gelte es, die ganze Welt umzubringen. Jetzt hielt er an. Im nächsten Moment galoppierte er direkt auf das Tipi zu, seine Herausforderung laut herausschreiend. „Komm schon, du Feigling, ich warte nicht länger!“ Er wollte diesen Kampf. Jetzt, sofort – nicht morgen, nicht am nächsten Tag, sondern jetzt! Und schon gar nicht wollte er sich Ort und Zeitpunkt von anderen bestimmen lassen.

Kurz vor dem Tipi riss er den Mustang zurück, ließ ihn steigen und wieder wenden; dann jagte er am Fluss entlang, einen schmalen Pfad einschlagend, zum Hauptweg zurück. Er schwang sein Kriegsbeil und stieß weiter seine herausfordernden Schreie aus. Er tat das bis zum Ende des Hauptweges, hielt dort, wo die Ebene begann, wendete und ritt wieder zurück. Zum zweiten Mal baute er sich vor Light-Clouds Zuhause auf.

Frauen hatten ihre vor den Tipis am Fluss spielenden Kinder aufgeregt hineingescheucht. Während dieser ganzen Aufregung gingen verschiedene Trockengestelle mit Fleisch zu Bruch. Kläffende Hunde stürzten sich gierig darauf und mussten weggezerrt werden. Einige Mustangs galoppierten zum Fluss hinunter. Das Durcheinander, das Icy-Wind mit seinem Auftritt angerichtet hatte, war zwar überschaubar, doch die Krieger, die jetzt auf der Bildfläche erschienen, warfen sich missbilligende Blicke zu. Es ging nicht an, dass ein einzelner Mann sich derart aufführte.

Plötzlich kam Bewegung in diejenigen, die sich inzwischen an der Flussbiegung, wo Großmutter und Light-Clouds Tipis standen, eingefunden hatten. Einige Frauen machten Platz für Old-Antelope, der aufgeschreckt, schwer atmend, von Gray-Wolf gestützt, auf der Bildfläche erschien. Der alte Häuptling trug seine besten Sachen als Zeichen der Würde. Einen Rundblick auf seine Leute werfend, erfasste er die Situation wie ein Feldherr. Er brauchte zwar etwas Zeit dazu, auch um seinen Atem wieder zu beruhigen; dann aber ging er ohne fremde Hilfe auf Icy-Wind zu.

Der erwartete ihn in hochmütiger, aufrecht sitzender Haltung. Auch einem Häuptling gegenüber musste man nicht klein beigeben. Das Recht war auf seiner Seite; alles andere zählte für ihn nicht. Beide Männer maßen sich mit herausfordernden Blicken: Icy-Wind mit erhobenem Kopf und tief heruntergezogenen Mundwinkeln; Old-Antelope mit gerunzelter Stirn, ansonsten völlig ruhig. Ohne jeden Zweifel hielt er sich nur mit Mühe zurück. Gespannt warteten alle auf das, was nun kommen würde.

Old-Antelope befand sich in einer verzwickten Lage. Um noch zwischen den beiden zu vermitteln, war es bereits zu spät. Den Mann vor ihm in die Schranken zu weisen für das, was er seiner Frau angetan hatte, kam nicht in Frage. Ihn wegen des Durcheinanders hier zur Rede zu stellen, ebenfalls nicht. Das war ohne Bedeutung. Was also sollte er tun? Machte er jetzt einen Fehler, konnte ihn das seine Häuptlingswürde kosten. Old-Antelope war ein Mann von Format. Ihn brachte so leicht nichts aus der Ruhe. Außerdem hatte Gray-Wolf ihn rechtzeitig informiert, und so hatte er Zeit gehabt, alles zu überdenken. „Du solltest dich an die Regeln halten“, rief er daher mit seiner gutturalen, wohlklingenden Stimme. Nicht böse, nicht laut, eher belehrend. Seine Augen hatten sich dabei zu Schlitzen verengt. Das gab ihm ein gerissenes Aussehen, genau so, wie er war. Sein nächster Satz traf es auf den Punkt. „Wenn du schon kämpfen musst, dann, bitte schön, nicht hier.“ Mit einer alles umfassenden Geste wies er den Fluss hinauf und hinunter. „Der Frieden darf nicht gestört werden. Such dir einen Platz außerhalb der Reichweite unserer Heimstätten.“ Damit hatte Old-Antelope Prioritäten gesetzt, ohne sich eine Blöße zu geben. Der schlaue Fuchs verstand es immer wieder, genau das Richtige zu tun. Red-Eagle, der wie die anderen gespannt zuhörte, atmete erleichtert auf. Klug gehandelt, dachte er. So etwas konnte nur Old-Antelope.

Dann passierten zwei Dinge auf einmal: Zum einen öffnete sich der Eingang von Großmutters Tipi. Aber es kam nicht Light-Cloud heraus, sondern die alte Frau in ihrem besten Kleid. Sie verschränkte die Arme und starrte Icy-Wind von dort aus an. Der stieß seinem Mustang die Fersen in die Seiten und galoppierte hart auf sie zu. Zeitgleich erschien etwa 100 Pferdelängen entfernt – unterhalb des Geröllfeldes, direkt neben einer Senke – ein rotbraunes Pferd mit heller Mähne. Auf diesem Pferd, seine Lanze herausfordernd in die Luft haltend, saß Light-Cloud. Das kam für alle so überraschend, dass ein Raunen durch die Menschen, die sich inzwischen hier versammelt hatten, ging. Sie fragten sich, wie er das hatte fertigbringen können. Wann war er aus dem Tipi gehuscht? Wie war er für alle unbemerkt bis vor das Geröllfeld gekommen? Und wann hatte er sein bestes Kriegspony holen können? Jetzt schrie er etwas, aber der Wind verschluckte seine Worte.

Icy-Wind, der sein Pferd knapp vor Großmutter zum Stehen gebracht hatte, drehte sich ahnungslos um, den erstaunten Blicken der Umstehenden folgend. Ungläubig starrte er auf Light-Cloud. Im ersten Moment brachte ihn das etwas durcheinander; schließlich war er hier derjenige, der das Überraschungsmoment auf seiner Seite wusste, dann aber blickte er mit spöttischem Gesichtsausdruck auf die vor ihm stehende alte Frau. Absichtlich ließ er die Hufe seines Mustangs unmittelbar vor ihr in den Boden stampfen. Doch Großmutter wäre nicht Großmutter, wenn sie sich dadurch hätte einschüchtern lassen. Seinen Arm ausstreckend, schrie er sie an: „Du wirst mich nicht daran hindern, das zu tun, was ich tun werde. Dieser Mann dort sollte sich besser mit seiner ehebrecherischen Hündin in einer der Höhlen verkriechen, wie schon einmal. Wenn ich mit ihm fertig bin, dann bringe ich ihn dir – aufgespießt auf meine Lanze. Die Bussarde können ihn haben, ihn und diese mexikanische Hündin.“

Seine Rede machte nicht den geringsten Eindruck auf die alte Frau. „Ich habe nicht die Absicht, dich an etwas zu hindern. Und was Light-Cloud betrifft: Noch steckt er nicht auf deiner Lanze“, meinte sie mit herablassender Miene. „Wenn Dark-Night diese Nacht übersteht, will sie mit dir nichts mehr zu tun haben.“

Icy-Wind runzelte die Stirn. Diese Antwort war eine Frechheit. „Wenn sie glaubt, eine Wahl zu haben, irrt sie sich gewaltig.“ Die Wut kochte in ihm hoch, doch er sollte besser aufpassen, was er jetzt sagte.

Großmutter blickte ihn herausfordernd von unten herauf an. „Man hat immer eine Wahl – immer. Verstehst du? Sollte sie es überstehen, wird sie sie treffen. Und sicher nicht zu deinen Gunsten. Sie kommt nicht zu dir zurück.“

In Icy-Winds Gesicht begann es zu zucken. Belustigt betrachtete er die alte Frau, fühlte sich ihr überlegen.

Großmutter hob warnend einen Zeigefinger und schleuderte ihm ihre nächsten Worte entgegen: „Sie ist mit dir fertig. Du kannst dein Lager in Zukunft mit einer Klapperschlange teilen.“

Verhaltenes Gelächter erklang bei einigen in der Nähe stehenden Frauen. Sie hielten sich die Hände vor den Mund, damit niemand sehen konnte, dass sie heimlich grinsten. Was die alte Frau da eben gesagt hatte, war gegen jede Regel. Sie wagte etwas, was noch nie dagewesen war. Doch Großmutter war eine starke Persönlichkeit. Sie hatte sich noch nie von etwas abbringen lassen, was sie sich einmal vorgenommen hatte. Ihr eigentlich gutmütiges Gesicht sah auf einmal hart und unerbittlich aus. Forsch trat sie einen Schritt auf den Mustang zu. Ohne auf das Kommando seines Reiters zu warten, machte der Schecke einige Schritte rückwärts, um mehr Platz zwischen ihnen zu lassen.

Icy-Wind starrte sie ungläubig an. Er war wütend auf die alte Frau und wütend auf seinen Hengst.

Jetzt hatte Großmutter ihn da, wo sie ihn haben wollte. Sie kannte den Mann vor ihr mit all seinen Schwächen. Wie ein Messer in eine Wunde, so stachen ihre nächsten Worte zu. „Du hast eben gesagt, Light-Cloud soll sich mit deiner ehebrecherischen Hündin in eine der Höhlen dort verkriechen? Wir haben das alle gehört. Nun ja, du willst also keine ehebrecherische Hündin in deinem Tipi haben? Das kann hier jeder verstehen“, legte sie seine Worte in ihrem Sinne aus. Sie wusste, er würde keinen klaren Gedanken mehr fassen können, denn spätestens jetzt hätte er ihr widersprechen müssen. Doch er saß nur völlig sprachlos auf seinem Mustang.

„Diese ehebrecherische Hündin wird sich ein anderes Tipi suchen – verlass dich drauf“, kam die nächste Frechheit ungerührt von Großmutters welken Lippen. Sie sprach mit erhobener Stimme, so dass jeder sie hören musste. „Alle wissen, dass du sie zum Sterben im Canyon zurückgelassen hast. Damit hast du sie ja bereits verstoßen.“

Icy-Wind wollte jetzt dagegen protestieren, sie zurechtweisen, ihr ihren Irrtum unter die Nase reiben. Außer sich vor Wut öffnete er bereits den Mund, da sah er aus den Augenwinkeln die Zustimmung in den Gesichtern der Umstehenden. Es war die Wahrheit, was Großmutter zuletzt gesagt hatte. Er verstand die Welt nicht mehr – die Alte hatte ihn übertölpelt. Wann war ihm dieser Fehler unterlaufen? Er kam sich vor wie jemand, der weder vorwärts noch rückwärts konnte. Kam er aus dieser vertrackten Situation überhaupt noch unbeschadet heraus? Diese Frage raste ihm durch den Kopf, während er beobachtete, wie Old-Antelope einen wissenden Blick mit Red-Eagle und Gray-Wolf wechselte. Jeder hier wusste, dass eine von ihrem Mann verstoßene Frau keinerlei Versorgungsansprüche mehr an ihn stellen konnte und auf sich selbst gestellt war. Im schlimmsten Fall musste sie verhungern.

Icy-Winds Gedanken überschlugen sich. Nie hatte er vorgehabt, Dark-Night zu verstoßen. Das wäre eine viel zu geringe Strafe für sie gewesen; er wollte sie leiden sehen, jeden Tag, und damit Light-Cloud treffen. Noch immer hielt er sein Kriegspony auf der Stelle. Krampfhaft suchte er nach den richtigen Worten. Zurechtweisung, Beleidigung oder gar Richtigstellung, was auch immer – er fühlte sich völlig missverstanden. Schließlich war er hierher gekommen, um Light-Cloud zum Kampf herauszufordern. Auf keinen Fall hatte er vor, dieser Alten seine Frau zu überlassen – oder dieser eine Wahl. Doch darauf schien das hier hinauszulaufen. Erbost, ungeduldig, völlig aus dem Konzept gebracht blickte er sich um. Zu seinem Verdruss kam Old-Antelope zu ihm heran. Wenn der jetzt auch noch mit dem Finger auf ihn zeigte, würde er die Beherrschung vollends verlieren. Alle schauten ihn an und schienen auf seine nächsten Worte gespannt zu sein. Er war in die Falle getappt, in die Großmutter ihn so geschickt hineingeführt hatte.

Sich in die Brust werfend, hochmütig bis in die Zehenspitzen, den schmallippigen Mund herablassend verzogen, sagte er schließlich genau das, was sie erwartet hatte. Es blieb ihm ja auch gar nichts anderes übrig.

„Die Mexikanerin interessiert mich nicht mehr. Sie ist weniger wert als ein Haufen Hundescheiße.“ Den Kopf den Umstehenden zuwendend, fixierte er einen nach dem anderen mit eng zusammenstehenden Augen. „Einen Haufen Hundescheiße spieße ich nicht einmal mit einem Stock auf. Soll sie doch verrecken. Und wenn du, alte Frau, denkst, dass ihr nach meinem Zweikampf mit Light-Cloud noch einen Versorger habt, dann täuscht ihr euch gewaltig. Sucht euch schon einmal einen Platz zum Sterben draußen in der Prärie, bei den Coyoten.“

Leicht mit den Fersen seinem Mustang gegen die Flanke tippend, drehte er ihn, jetzt triumphierend, weil ihm diese Antwort noch rechtzeitig eingefallen war, einmal um sich selbst. Doch ein bitterer Nachgeschmack blieb zurück. Er wusste, dass die alte Frau ihn hintergangen hatte, ja, mit äußerster Schläue überlistet. Wütend biss er sich auf die Lippe. Am liebsten hätte er sich auf sie gestürzt oder sie einfach mit seinem Mustang niedergeritten. Stattdessen stob er aus dem Stand heraus los. Grasbatzen stoben hinter ihm hoch. Nicht einen Augenblick länger hätte er es in der Gegenwart von Großmutter ausgehalten. Seine Hand war schon bereit gewesen, nach dem Schlachtbeil zu greifen, um ihr den alten Kopf damit zu spalten; seine Finger zuckten noch jetzt, als er an die eben erlittene Niederlage dachte.

Doch das wäre Mord gewesen – Mord, der mit seinem eigenen Ausschluss aus der Gemeinschaft geendet hätte. All das ging ihm durch den Kopf, während er auf das Geröllfeld mit dem auf ihn wartenden Light-Cloud zuritt.

Erst jetzt hörte er die Trommelschläge, die schon eine Weile von flussabwärts heraufklangen. Great-Mountain, ging ihm auf – er ruft die Geister. Kurz blickte er zurück, aber das Tipi des Friedenshäuptlings war von hier aus nicht zu sehen. Während er weiterritt – jetzt etwas langsamer, um zur Ruhe zu kommen – wippte sein nackter Rücken bei jedem Schritt, den sein Mustang machte. Seine schwarzen, schon mit grauen Strähnen durchzogenen Haare wehte ein sachter Windzug zur Seite. Er machte mit seinen einundfünfzig Wintern noch immer eine gute Figur. Unbestritten war er ein großer Krieger, voller Kraft – und hier und jetzt fest dazu entschlossen, die Schmach, die ihn schon seit vielen Wintern quälte, endlich mit Blut auszulöschen. Sun-In-The-Red-Hairs Sohn – sein Blut wollte er.

Großmutter, die unbeweglich, doch mit heftig klopfendem Herzen auf ihrem Platz ausgeharrt hatte, zog die Unterlippe nach innen und biss darauf. Sie wartete, bis sie Icy-Wind nicht mehr sehen konnte, dann verschwand sie rückwärtsgehend in ihrem Tipi. Inzwischen löste sich auch der Rest der Versammlung auf, um mit Old-Antelope zum Geröllfeld zu eilen. Großmutter atmete auf, während sie die Klappe hinter sich schloss. Wenigstens für Dark-Night, die Light-Cloud alles bedeutete, hatte sie etwas tun können. In ihrer unerschütterlichen Zuversicht glaubte sie fest, dass er sich gegen Icy-Wind behaupten würde. Und wenn nicht? Hatte er überhaupt einmal daran gedacht? Still in sich hineinlächelnd wusste sie, dass das überhaupt keine Rolle mehr spielte. Die Würfel waren gefallen. Sie war eine alte Frau – aber was würde aus Dark-Night werden? Sie brauchte ihn – jetzt noch mehr als jemals zuvor. Großmutter schaute kurz nach der Frau, die völlig apathisch auf weichen Fellen lag. Moon-Night war ebenfalls hier und kümmerte sich um sie. Sich davon überzeugend, dass sie nicht gebraucht wurde, huschte sie wieder hinaus. Eine in ihrer Nähe grasende Stute ergreifend, ritt sie in Richtung Geröllfeld.

In gebührendem Abstand zu dem von Light-Cloud ausgesuchten Kampfplatz sah sie schon von weitem eine große Anzahl älterer Männer stehen. Jüngere auf ihren Mustangs hatten sich in einem Halbkreis näher postiert. Darunter waren viele Freunde Light-Clouds. Weiter entfernt standen sogar einige jüngere Frauen um Dream-In-The-Day gruppiert – hinter Gebüsch etwas verborgen. Großmutter suchte sich einen Platz, von dem aus sie ihren Jungen beobachten konnte, sie jedoch selbst nicht zu sehen war. Plötzlich hörten die Trommelschläge auf. Auch Great-Mountain machte sich auf den Weg hierher.

Der Kampf hatte bereits begonnen. Light-Cloud, auf seinem besten Kriegspony, mit Beil und Lanze bewaffnet, schrie Icy-Wind, der ihn auf seinem Mustang in immer enger werdenden Kreisen umrundete, seine ganze Verachtung entgegen. Gerade wich er dem Schlachtbeil seines Gegners aus, indem er sich, sich nur mit einem Fuß in einer Schlinge am Pferderücken haltend, nach unten fallen ließ. Schnell kam er auf der anderen Seite wieder hoch. Das Manöver war schnell und gekonnt ausgeführt worden und brachte ihm die Bewunderung der Menge ein. Sein Kriegspony machte auf der Hinterhand kehrt und umrundete Icy-Wind, der seinem Gegner mit obszönen Handbewegungen zeigte, was er von ihm hielt. Hoch aufgerichtet im Sattel sitzend, wartete er auf eine Blöße Light-Clouds; immerhin besaß er eine größere Kampferfahrung als der Jüngere. Doch auch der konnte auf viele Kämpfe zurückblicken. Ruhig und besonnen, wenn auch innerlich völlig aufgewühlt, wartete auch er auf einen Fehler seines Gegners. Beide umkreisten sich weiter.

Etwa zwölf Schritte eine Böschung hinauf begann das Geröllfeld, auf dem Icy-Wind vor nicht allzu langer Zeit eine Blamage erlitten hatte. Dies wurmte ihn immer noch gewaltig. Johlend zeigte jetzt Light-Cloud nach oben, ihn daran erinnernd. Bisher erschien ihr Kampf eher wie ein Geplänkel zwischen Halbwüchsigen. Das änderte sich auch nicht nach dieser Provokation. Icy-Wind hatte nicht vor, sich zu einer unüberlegten Handlung hinreißen zu lassen. Das mit Großmutter hatte ihm vor Augen geführt, wie schnell man seinen Kopf verlieren konnte.

2. Kapitel

Jenseits der Senke begannen die Zuschauer inzwischen, Wetten abzuschließen. So ernst das auch alles war – davon ließen sich die wenigsten abhalten. Wetten abzuschließen, das war ein Vergnügen, dem sich kein Comanche so leicht entziehen konnte. Noch umkreisten die beiden Gegner einander und warfen sich gegenseitig Schimpfwörter zu. Es hagelte Beleidigungen der übelsten Art. Je einfallsreicher sie sich dabei anstellten, desto mehr Zustimmung erhielten sie von den Zuschauern. Noch immer machte es den Eindruck, als wäre das hier nur ein Schaukampf – ein Kräftemessen zweier Krieger, die gerade nichts Besseres zu tun hatten. Das Gegenteil war der Fall. Hier traf seit langem aufgestauter Hass auf unbezähmbare Wut. Da waren zwei Krieger, die sich nichts schuldig bleiben würden, denen es nicht nur darum ging, einander zu verletzen. Icy-Wind wollte Light-Cloud tot sehen, und auch Light-Cloud dachte nicht daran, Icy-Wind zu verschonen.

Great-Mountain drängte sich nach vorn neben Red-Eagle. Offen zeigte er seinen Zorn; alle konnten es sehen. Er missbilligte diesen Kampf aufs Schärfste. Nur mit größter Mühe gelang es dem neben ihm stehenden Kriegshäuptling, ihn daran zu hindern, nicht einfach auf den Kampfplatz zu stürmen – Regeln hin oder her. Immerhin waren sich beide darin einig, dass man das anders hätte regeln können. Great-Mountain machte sich jetzt Vorwürfe, den Einsatz der jungen Männer nicht unterstützt zu haben. Zu seiner Entschuldigung musste er sich zugute halten, dass er davon nichts gewusst hatte. Trotzdem – Great-Mountain war sehr, sehr aufgebracht.

Soeben tänzelte Light-Clouds rotbrauner Mustang auf der Stelle – ging rückwärts, dann wieder nach vorn. Mit gelangweilter Miene wog sein Reiter die Lanze in der Hand. Wachsamen Auges beobachtete er jede Bewegung des Gegners. Plötzlich – kaum dass die Zuschauer es wahrgenommen hatten – wich der gut trainierte Mustang bereits dem Ansatz eines Angriffs aus. Begeistertes Kopfnicken der umstehenden Männer folgte auf die Reaktionsschnelle des Pferdes und seines Reiters. Sie bekundeten damit Light-Cloud ihren Respekt, als ginge es hier um weiter nichts als eine Zurschaustellung seines Könnens. Erneut stürmten beide Gegner aufeinander los. Ihre Kriegsponys prallen hart zusammen, Schlachtbeile sprühten Funken. Das schabende Geräusch Stahl auf Stahl wurde nur durch das laute Schnauben der Pferde übertönt. Ein Raunen ging durch die zuschauenden Männer. In diesem Moment wurde auch dem Letzten klar, dass es sich hier nicht um ein bloßes Gerangel handelte.

Light-Cloud wich zurück. Seine braunen Haare flatterten lose im Wind. Er schüttelte sie sich flüchtig aus der Stirn. Der rechte Oberarm blutete, und aus einer Wunde in der Hüfte sickerte ebenfalls Blut. Auch Icy-Wind war verletzt. Blut rann ihm an der linken Schulter herunter und versickerte in seinem Lendenschurz. Ein erneuter Angriff Icy-Winds mit der Lanze brachte Light-Cloud ziemlich in Bedrängnis. Sein Gegner attackierte ihn dabei so heftig, dass er ihn verfehlte und seine Lanze zwei Pferdelängen hinter ihm in den Boden ging. Deckung suchend tauchte er unter dem Bauch seines Mustangs weg. Gleichzeitig wendete er das Tier, um wieder in die Nähe seiner Waffe zu gelangen. Noch im Hochkommen griff er nach ihr. Dieses Ausweichmanöver hatte ihn in eine bessere Angriffsposition gebracht. Dem Mustang mit den Schenkeln die Richtung gebend, in der linken Hand das Kriegsbeil, in der rechten seine Lanze, ritt er eine enge Wendung dicht an Icy-Wind heran. Der konnte nicht mehr ausweichen, sein Hengst musste vor dem Pferd seines Gegners stoppen, beide Tiere rangelten kurz miteinander, während ihre Reiter aufeinandertrafen.

Light-Clouds Beil blinkte kurz in der Luft, dann senkte es sich auf seinen Feind hinab und schlitzte ihm den Oberkörper vom Schlüsselbein bis zum Nabel auf. Die Lanze in der rechten Armbeuge, holte er erneut mit dem Beil aus. Die Schneide war rot. Icy-Wind keuchte, musste schwer atmend zurückweichen und stellte erleichtert fest, dass die Wunde nur oberflächlich war. Eng an den Hals seines Mustangs geduckt, schleuderte er mit aller Kraft seine Lanze gegen Light-Cloud. Diesem eine tiefe Wunde in der Seite zufügend, fegte die Waffe zu Boden und blieb zwischen hohem Gras stecken. Icy-Wind war schnell. Nur einen Herzschlag später hatte er sie bereits wieder in seiner Gewalt.

Light-Cloud schüttelte sich nur kurz, den Schmerz ignorierend, der ihm die Luft abzudrücken drohte. Vor allem ärgerte es ihn, dass er die gegnerische Lanze nicht eher zu fassen bekommen hatte. Seine eigene schob er, während er eine Kehrtwende machte, mit einem die Genitalien des Gegners betreffendem Wort fester unter die rechte Achsel. Sein Beil schwingend, drängte er sein Pferd dichter an Icy-Winds Schecken heran. Das nun folgende Manöver zeugte von Light-Clouds Talent, mit Pferden umzugehen. Sein Brauner griff den Hengst seines Gegners an. In dem Knäuel ineinander verbissener Pferde versuchte Icy-Wind, seinen Hengst wieder in seine Gewalt zu bringen, während Light-Cloud zu ihm hinübergriff, um ihm die Lanze aus dem Arm zu reißen. Auf einen einzigen Pfiff seines Reiters hin zog sich der Braune rückwärtsgehend, noch immer um sich beißend, Schritt für Schritt zurück. Triumphierend schwang Light-Cloud die erbeutete Lanze über seinem Kopf und ritt damit eine Ehrenrunde am äußersten Rand der Senke entlang.

Die bewundernden Blicke seiner Zuschauer waren ihm sicher. Das war mehr als ein Coup gewesen – das war eine tollkühne Demonstration des Zusammenspiels von Pferd und Reiter. Light-Cloud ließ sein Pferd stillstehen, dann warf er die Lanze seines Gegners mit einem kräftigen Schwung weitab in den Boden. Augenblicke lang vibrierend blieb sie dort stecken.

Während er jetzt näher an den Hengst seines Gegners heranritt, hatte Icy-Wind sein eigenes Pferd wieder in der Gewalt. Im nächsten Moment überraschte er Light-Cloud. Blut spritzte über den Rücken des Braunen – Icy-Wind hatte mit seinem Schlachtbeil ausgeholt, kurz einen Hieb nach seinem Gegner angetäuscht, dann aber das Tier getroffen. Blitzschnell holte er noch einmal aus, diesmal traf er Light-Cloud an der Schulter. Erneut, sein Pferd zurückweichen lassend, wog er das Beil in der Hand, konnte aber keinen Treffer mehr landen. Light-Cloud hatte sich mit seinem verletzten Pferd rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Er machte ein Wendemanöver, sah, dass Icy-Wind sich nach seiner Lanze umblickte – doch sie war zu weit weg, lag zwischen ihm und seinem Gegner. Da tat Light-Cloud, was ein Light-Cloud eben tat. Warf, um Gleichstand der Waffen anzuzeigen, seine eigene Lanze neben die von Icy-Wind. Einige Male schwang sie dort hin und her; schließlich blieb sie ruhig stecken, während von Icy-Wind nur ein höhnisches Auflachen kam. Dumm, dachte er, einfach nur dumm.

Light-Cloud wendete sein Pferd, seinem Gegner den Rücken zudrehend, die leere Hand in den Wind haltend, damit die umstehenden Männer es sehen konnten. Noch während er das tat, ritt Icy-Wind ungerührt zu seiner im Boden steckenden Waffe, beugte sich hinunter, griff wie selbstverständlich danach und nahm sie wieder an sich. In seinem von Wut verzerrten Gesicht leuchtete das Weiße in den eng zusammenstehenden Augen. Sich aufrichtend bemerkte er die auf ihn gerichteten Blicke, und da zögerte er nun doch. Zwei Herzschläge lang wog er, die Folgen seiner Tat abschätzend, die Lanze in der Hand. Ihm war erst in diesem Moment bewusst geworden, dass man ihm ein solches Handeln übelnehmen würde. Sein Blut schrie nach Rache und er kämpfte mit sich selbst. Einen Light-Cloud mit einer Hinterlist zu besiegen, brachte keine Ehre.

Icy-Wind waren Ansehen und Ehre wichtiger als alles andere. Die Lippen fest aufeinandergepresst schleuderte er widerwillig die Lanze zurück. Im nächsten Moment stand er mit einem Satz auf dem Sattel seines Hengstes. Gekonnt führte das Pferd mit ihm eine Kehrtwende aus; dann ritt er wieder, das Kriegsbeil durch die Luft pfeifen lassend, auf Light-Cloud zu. Der Schecke rammte den verletzten braunen Hengst. Der ging vorn in die Knie, schlidderte mit dem Kopf auf dem Boden noch einige Schritte weiter, während Light-Cloud bereits auf dem Boden stand. Die blutige Waffe von einer Hand in die andere werfend, breitbeinig vor dem Pferd seines Gegners stehend, forderte er Icy-Wind mit einem winkenden Zeigefinger auf, sich doch herunter zu ihm zu trauen. Beleidigende Worte unterstrichen das noch.

Staub wirbelte auf, der Schecke sprang zur Seite, Light-Cloud rollte herum und wich so dem Beil aus, mit dem Icy-Wind nach ihm hieb. Hinter seinem Rücken stand der braune Hengst wieder auf. Man konnte das Keuchen der beiden Mustangs hören, das Scharren der Hufe. Icy-Wind war vom Rücken seines Mustangs geglitten und stellte sich Light-Cloud. Beide Männer standen vor ihren Pferden, die zur Seite wichen und dann stehenblieben – so, wie es ihnen beigebracht worden war.

Hoch über dem Geröllfeld stahl sich die Sonne zwischen den Felsen hindurch. Glühend, gleißend weiß und grell wie vergossenes Silber. Der breite Strahl suchte sich seinen Weg durch weitere Lücken, glitt über die Böschung dort oben hinweg und reichte bis hinunter zu den kämpfenden Männern. Ihre Waffen hatten sich ineinander verhakt, und sie mussten sie erst wieder trennen; dann gingen sie erneut aufeinander los. Die rasiermesserscharf geschliffenen Kriegsbeile hatten bereits tiefe Wunden bei beiden Männern hinterlassen und rissen weitere in ihre Körper hinein. Blut – überall war Blut. Blut, das wie Regen nach allen Seiten hin spritzte.

Noch war nichts entschieden, erbarmungslos ging der Kampf weiter. Wieder krachten die Schneiden aufeinander, beide stemmten sich dagegen, verhakten sich erneut ineinander. Das brachte nichts. Icy-Wind warf als Erster sein Beil zur Seite; es war ihm im Nahkampf nur hinderlich.

Light-Cloud folgte seinem Beispiel, riss ebenfalls sein Messer aus dem Gürtel, unterlief gebückt die Stöße, die Icy-Wind bereits nach ihm machte. Kurz sah er eine Lücke in dessen Deckung und stürzte sich mit vollem Risiko auf ihn. Beide prallten hart aneinander und fielen gemeinsam zu Boden. Icy-Wind kam aus dieser Umklammerung als Sieger hervor; Light-Clouds linke Seite war von der Brust bis hinunter zum Schenkel mit einem hässlichen, klaffenden Riss gezeichnet. Zugleich, den Schmerz nicht einmal spürend, versetzte er seinem Gegner von unten nach oben ansetzend längs über den Oberleib einen Hieb.

Icy-Wind taumelte kurz rückwärts, fing sich aber sofort wieder. Nur ein schmales blutiges Rinnsal sickerte an ihm herunter, sich mit der anderen Wunde dort vereinigend. Zu flach angesetzt, um ernsthaften Schaden anzurichten – nicht tief genug, um ihm den Leib aufzuschlitzen. Light-Cloud sah hin, erwartete herausquellende Gedärme, doch da war nichts, nur eine rote Linie. Aufkeuchend warf er sich wieder über seinen Gegner, unachtsam vor Enttäuschung und unglaublicher Wut. Was waren all seine erlittenen Verletzungen gegen die von Dark-Night?

Icy-Wind parierte geschickt, fing ihn ab, ging abermals mit ihm zu Boden. Niemand von ihnen fühlte Schmerzen; sie existierten nicht – nicht jetzt, nicht, während sie kämpften. Dann kniete Icy-Wind auf Light-Cloud und versuchte, ihm das Messer aus der Hand zu winden. Als das nicht gelang, rollten sie, ineinander verkrallt wie eine einzige Masse, die Senke ein Stück weit hinunter. Verbissen rangen sie, traten um sich, stemmten sich mit den Füßen ins Gras – so eng verschlungen, dass sich ihr beider Atem vermischte. Icy-Winds Augen glitten kurz zur Seite – lange genug, dass es Light-Cloud bemerkte: Sein vorhin von ihm zur Seite geworfenes Kriegsbeil lag in Reichweite. Ihre Köpfe berührten sich, doch dann stieß sich Light-Cloud ab, konnte sich losmachen, kam über Icy-Wind zum Stehen, jedoch nur einen Wimpernschlag lang. Mit einem gewaltigen Ruck riss ihm sein Gegner die Beine unter dem Körper weg und fast gleichzeitig das Messer aus der Hand.

Light-Cloud stürzte, rammte seine Ellbogen in den Boden, robbte zwei Armlängen nach hinten, wollte sich mit den Füßen abstemmen, um wieder hochzukommen, doch Icy-Wind schlug ihm zum zweiten Mal die Füße weg. Sich die Haare aus dem Gesicht schüttelnd, als könnte er dadurch klarer denken, erwartete Light-Cloud den nächsten Stoß. Er hatte ja noch seine Hände, um sich zu wehren. Blut rann ihm in die Augen, auf seiner Stirn klaffte eine Wunde, die Wulst über einem Auge hing lose herab. Fahrig, wie in Trance, wischte er sich mit der leeren Messerhand flüchtig das Blut aus den Augen. Jetzt hätte er sein Kriegsbeil brauchen können. Doch das lag irgendwo im Gras, genau wie das seines Gegners. Sein Atem ging stoßweise; der Blutverlust machte ihm zu schaffen, und er wusste das.

Icy-Wind blickte ruhigen Blutes auf sein und Light-Clouds Kriegsbeile, die in Reichweite lagen. Das gab ihm ein Gefühl der Überlegenheit. Er wollte seinen Gegner am Boden sehen, sich an seiner Niederlage weiden – und das hatte er erreicht. Blut, das ihm von der Stirn tropfte, mit dem Messer in der Hand wegwischend, ließ er Light-CLoud nicht aus den Augen. Entgegen den Erwartungen – und den Wetten – der Männer war er äußerst fair geblieben, genauso wie Light-Cloud, der im Gegensatz zu ihm dafür bekannt war. Da er zögerte, sah es aus der Sicht der sie beobachtenden Männer so aus, als wartete er auf etwas. Doch das täuschte. Er wollte diese Situation in sich aufnehmen, diesen Anblick, seinen Gegner in der Hand zu haben, genießen. Alle anderen sollten es auch sehen. Er war hier der Sieger – er, Icy-Wind. Er besaß jetzt Macht über diesen hier.

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