In Gottes Gegenwart

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In Gottes Gegenwart
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Gerhard Tersteegen

In Gottes Gegenwart

Gedanken zum geistlichen Leben

Herausgegeben von Thomas Baumann


Klassiker der christlichen Spiritualität, Band 3

Dieses Buch als E-Book: ISBN 978-3-86256-718-8

Dieses Buch in gedruckter Form: ISBN 978-3-86256-012-7, Bestell-

Nummer 588 739

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen

Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet

über www.dnb.de abrufbar

Umschlaggestaltung: spoon design, Olaf Johannson Umschlagbilder: ShutterStock®

© 2011 Neufeld Verlag Schwarzenfeld

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Genehmigung des Verlages

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Inhalt

Zitate von Gerhard Tersteegen aus diesem Buch

Vorwort

I. Thomas Baumann: Gerhard Tersteegen

1. Ein stilles Leben?

Zur Biografie Gerhard Tersteegens

2. Zu diesem Buch

Lesehilfen

Zur Auswahl und zur sprachlichen Gestalt der Schriften

II. Gerhard Tersteegen: Schriften

1. Anhang eines Handbriefleins von der wahren Mystik

2. Kurzer Bericht von der Mystik

3. Schein und Sein, Gestalt und Kraft der Gottseligkeit oder des Gottesdienstes

4. Die wahre Klugheit oder Umgang mit Gott und sich selbst allein

5. Die Übung der liebreichen Gegenwart Gottes

6. Kurze Anleitung, Gott und dessen Angesicht zu suchen

7. Der vortreffliche Weg der wahren Liebe

I. Übung der Liebe

II. Völlige Überlassung der Liebe

III. Von der Bruderliebe

Zitate von Gerhard Tersteegen aus diesem Buch

Wir sind nur, weil du bist und weil du willst, dass wir sein sollen.


Ich bin nur eine Gestalt, ein armseliger Schatten, wenn du nicht in mir bist und ich in dir bin, wenn du nicht der Grund und das Wesen meines Wesens bist.


Bedenke, dass all dein Gut und dein bester Freund bei dir drinnen sei und sich mit dir unterreden will: Warum wolltest du denn ausgehen und ihn allein lassen?


Liebe auch diejenigen, die nicht in allem so wandeln wie du: Lass du einen jeden seinen Weg gehen, was geht’s dich an? Folge du Jesus nach.


Handle und wandle mit Gott von nun an gleichsam als unter vier Augen.


Es besteht aber diese Übung (der liebreichen Gegenwart Gottes) kurz darin: dass wir einfältig und andächtig glauben, dass Gott überall und auch in unseren Herzen gegenwärtig sei ...


Heilig sein und selig sein ist eins und eben dasselbe, nur dass in diesem Leben die Sache stufenweise unter Kreuz und Proben fortgesetzt, in jenem Leben aber in völligem und unwandelbaren Genuss und Glanz erscheinen wird.


Man setze vielmehr die Heiligung nach der Schrift in die wirkliche Reinigung von Unart und Verderben und in die Erneuerung des inneren Menschen von einer Klarheit zur anderen nach dem Bild dessen, der uns geschaffen hat; oder (welches einerlei ist) in die Gleichförmigkeit mit Jesus Christus.


Nicht nur ist es böse, wenn wir uns besser stellen, als wir sind, sondern es ist auch ein böses Affektieren (Verstellung und gemachtes Wesen), ja, vielfältig eine eitle Ehrsucht, wenn wir uns, es geschehe mit Worten oder auf eine andere Weise, elender, ärmer und böser darstellen, als wir sind, oder als wir glauben und fühlen, dass wir sind.


Wir sollen nur von unserem eigenen Tun ablassen, Jesus unser Herz wahrhaftig geben, bei ihm kindlich drinnen bleiben und ihn frei durch seinen Geist in uns wirken lassen.


Die Seele tue Gutes, so gebrechlich als es auch ist, und erwarte, dass der Herr es läutere und vollkommen mache. Niemand ist gut denn der einige Gott.


Wenn das Böse wesentlich oder gründlich in uns getötet und ausgerottet werden soll, so muss Gott solches tun und wir müssen’s leiden.


Es kommt mir eben so vor (ja noch unvernünftiger), als wenn einer, der nach Rom reisen wollte, sich einbildete, er müsste vorher alle Reisebeschreibungen, nicht allein nach Rom, sondern durch alle vier Teile der Welt durchlesen und von dem allen ein ordentliches Konzept ins Gedächtnis fassen, dabei aber sich nimmer auf die Reise begäbe und sich inzwischen doch einbildete, er wäre sehr weit in seiner Reise gefördert, ob er wohl nach wie vor stille in seinem Hause sitzen bliebe.


Ach! ich fürchte, dass mancher Gott und sich selber so unbekannt ist, dass er wegen solcher Leichtsinnigkeit besser weiß, was hundert andere machen, als was in seinem eigenen Herzen vorgeht und von Gott darin gewirkt wird. Noch ein anderer Griff des Tausendkünstlers, um gute Gemüter in dem einzig Nötigen zu hindern und aufzuhalten, ist, wenn er sie in eine übermäßige Wirksamkeit, Forschen und Spekulieren der vorwitzigen Vernunft führt, da man dann oft auf allerhand unnötige Streitfragen in der Theorie, auf äußere Umstände und Nebendinge oder auf Subtilitäten der Vernunft, auf diese oder jene Meinungen gerät.


Was dir auf deiner Reise zur Ewigkeit nicht beförderlich sein kann, lass dir auch ja nicht hinderlich sein.


Dein stetiges Werk sei, bei dir selbst zu bleiben und mit dem Herrn im Verborgenen deines Geistes so zu wandeln, als wenn du nur mit ihm allein in der Welt wärest.


Lass es dir sein, als wenn du in der Gesellschaft eines guten und lieben Freundes durch ein fremdes Land und eine wüste Einöde reistest.

 

Auf solche Weise der Welt und dir immer absterben und so mit Gott im Verborgenen leben, das heißt Jesus nachfolgen, darin besteht der Kern und das Wesen des Christentums.

Dies muss dein allein wichtiges, dein einziges und alltägliches Geschäft hier auf Erden sein, dies muss dein einziger Hauptzweck sein, den du bei allem stets im Auge haben und wozu du alles andere richten musst.


Alle seine Beschäftigung war nur, zu sein in dem, das seines Vaters ist (Lukas 2,49), ohne um fremde Dinge sich zu bekümmern, wozu er nicht in der Welt war.


Durch kein Mittel kann sich Gott des menschlichen Herzens besser bemächtigen als durch die Liebe, und durch kein Ding kann der Mensch Gott besser gefallen als durch die Liebe, denn sie ist des Gesetzes Erfüllung.


Er gewöhne sich daran, alles, was er tut, aus Liebe zu diesem Gott zu tun; alles, was ihm begegnet, in Liebe von diesem Gott anzunehmen; alles, was er zu leiden hat, in Liebe um dieses Gottes willen zu ertragen.


Liebe haben und Liebe fühlen, ist nicht allezeit beisammen.


Vorwort

In einer Reihe „Klassiker der christlichen Spiritualität“ darf Gerhard Tersteegen nicht fehlen. Aber gerade weil wir ihn zu kennen glauben und er vor allem durch seine Lieder „Gott ist gegenwärtig“ und „Ich bete an die Macht der Liebe“ auch heute noch weithin bekannt ist, ist es reizvoll und lohnend, sich mit seinen kleinen Schriften, die er zu verschiedenen Anlässen verfasst hat, zu beschäftigen. Die Tiefe seiner Gedanken erschließt sich erst, wenn man diese kurzen Texte in ihrer schlichten Sprache langsam und am besten mehrmals liest. Ganz bewusst wurde Tersteegens Sprache deshalb auch weitgehend belassen und nur da, wo es uns heute unverständlich oder missverständlich schien, eingegriffen. Wir sind so gleichsam „gezwungen“, die Texte aufmerksam, nachdenkend zu lesen und kommen so der inhaltlichen Tiefe eher auf die Spur. Und mit jedem Lesen werden Ihnen die Texte wertvoller werden.

Es ist in unserer lauten und hektischen Welt nicht einfach, still zu werden, damit auch das „leise Säuseln“ nicht überhört wird, in dem schon der Prophet Elia Gott wahrgenommen hat. Das große Anliegen Gerhard Tersteegens war es, selbst in der Gegenwart Gottes zu leben und andere zu einem solchen Leben einzuladen.

Die in diesem Buch versammelten Texte spiegeln dieses Anliegen wider. Leitendes Motiv bei der Auswahl war die Aktualität der Gedanken für unsere Spiritualität heute. Es ging also nicht darum, das ganze inhaltliche Spektrum der Arbeiten Tersteegens abzubilden, sondern vielmehr das herauszugreifen, was uns besonders aktuell und inspirierend erschien für unser Leben und Glauben.

Thomas Baumann

I. Thomas Baumann: Gerhard Tersteegen
1. Ein stilles Leben?
Zur Biografie Gerhard Tersteegens

Wie geht das zusammen: Ein Mystiker, der jede Ablenkung und Zerstreuung fürchtet, der die Einsamkeit und die Stille sucht, und der doch ständig in Kontakt mit Menschen steht, die etwa brieflich und persönlich seinen Rat suchen, die ihn zu Predigtdiensten anfragen, sodass er schließlich sogar seinen Beruf aufgeben muss, um den Anfragen auch nur einigermaßen nachkommen zu können? Als er in jungen Jahren selbst sehr arm war, hielt ihn das nicht ab, das Wenige, das er entbehren konnte, mit den Armen in der Umgebung zu teilen, die er abends, wenn ihn niemand sah, in ihren elenden Behausungen aufsuchte. Er eignete sich im Lauf der Zeit umfassende medizinische Kenntnisse an und wendete diese vor allem bei Kranken an, die sich keinen Arzt oder Apotheker leisten konnten. Schließlich waren seine Arzneien so gefragt, dass er für ihre Zubereitung eine Hilfe einstellen musste!

Dass er „zu seinen Lebzeiten der einflussreichste Vertreter des reformierten Pietismus in Deutschland gewesen“ sei, werde wohl niemand bestreiten, stellte jüngst ein Pietismusforscher fest1. Man meint darin fast etwas wie göttliche Ironie zu sehen: Gerhard Tersteegen sucht die Abgeschiedenheit und hat doch ständig mit Menschen zu tun. Und es ist wichtig, diesen realen Lebenshintergrund zu kennen, damit die Gedanken Tersteegens zum geistlichen Leben nicht allzu einseitig als Einladung zum völligen Rückzug aus der Welt missverstanden werden.

Gerhard Tersteegen wurde am 25. November 1697 im niederrheinischen Moers geboren. Von 1703 bis 1713 besuchte er die 1582 im calvinistischen Geist von Graf Adolf von Moers gegründete Lateinschule. Die gründlichen Sprachkenntnisse, die er hier im Lateinischen, Griechischen, Hebräischen und Französischen erwirbt, werden ihm bei seinen zahlreichen Übersetzungsprojekten später gute Dienste leisten. Nach Abschluss der Schule ist an ein Studium aus Kostengründen nicht zu denken. Tersteegens Vater war schon 1703 gestorben, und so kommt Gerhard zu seinem Schwager, einem Kaufmann in Mülheim an der Ruhr, in die Lehre. Die vierjährige Lehrzeit war hart, zumal Tersteegen schnell klar geworden war, dass der Kaufmannsberuf, der viel Umgang mit Menschen bedeutet, nichts für ihn sein würde. Nach Beendigung der Lehrzeit wechselte er deshalb zur Leinenweberei, musste jedoch feststellen, dass er den Anforderungen dieses Berufs aufgrund seiner schwachen körperlichen Konstitution nicht gewachsen war. Er lernte das Bandweben und suchte als Bandwirker seinen bescheidenen Lebensunterhalt zu verdienen. Was darüber hinausging, bekamen die, die noch bedürftiger waren als er. Oft genug hatte er aber schwer zu kämpfen, selbst sein Auskommen zu erwirtschaften.

Wie war Gerhard Tersteegens geistlicher Werdegang? Sein Vater muss ein frommer Mann gewesen sein, allerdings war die Prägung durch ihn durch seinen frühen Tod vielleicht nicht so stark. Einer seiner Brüder war Prediger. Wir können davon ausgehen, dass Gerhard früh mit den Fragen und Tatsachen des Glaubens in Berührung kam. Eine erste persönliche Glaubenserfahrung scheint er während der harten Zeit seiner Ausbildung gemacht zu haben2 und in Mülheim lernte er auch den Prediger-Kandidaten Wilhelm Hoffmann und dessen Gemeinschaft kennen. Die Begegnung mit diesem Pietisten gab Tersteegen wohl entscheidende Impulse für seinen Glauben und seine Spiritualität.

Er begann die Schriften der Mystiker zu lesen, deren Gedanken ihn sein ganzes Leben lang begleiten und prägen würden. Als junger Mann durchlebte er über mehrere Jahre zurückgezogen und in großer – teils erzwungener, teils selbst gewählter – Askese eine sehr schwere Zeit nicht nur äußeren Mangels, sondern auch innerer Leere und Dunkelheit. Schließlich erreichte ihn die befreiende Erkenntnis: „... die versöhnende Gnade Jesu Christi wurde ihm so gründlich und überzeugend bloßgelegt, dass sein Herz völlig beruhigt wurde.“3 In einer Art schriftlichem Gelöbnis, der sogenannten „Blutverschreibung“, weihte er sich am Gründonnerstag 1724 ganz Jesus. Dieses Datum markiert einen gewissen Wendepunkt auch in seiner äußeren Lebensgestaltung. Er lockerte seine bis dahin streng asketische Lebensweise etwas, gab seine Einsamkeit auf und eröffnete mit einem Geistesverwandten eine Wohn- und Arbeitsgemeinschaft. Er erteilte seinen Nichten und Neffen Religionsunterricht, schrieb erste Gedichte und begann die Schriften der Mystiker zu übersetzen, die ihm so viel bedeuteten. Auch der Beginn seiner seelsorgerischen Arbeit, die ihn bis zu seinem Tode zunehmend beschäftigen würde, liegt in diesen Jahren.

Von seiner Tätigkeit als Armenarzt und seiner Herstellung und dem Vertrieb von Arzneien war schon die Rede. So bietet sein Leben das interessante Bild eines Menschen zwischen Rückzug und Zuwendung, zwischen Einsamkeit und Gemeinschaft, zwischen Stille und unermüdlicher Wirksamkeit.

Gerhard Tersteegen starb am 3. April 1769.

2. Zu diesem Buch
Lesehilfen

Jedes Denken und jede Theologie ist immer auch zeitgebunden. Manches an Tersteegens Gedanken können wir heute hinterfragen. Die Schönheit der Schöpfung, die Freude und das Lachen etwa kommen in seinen Gedanken nicht zu dem Recht, das sie in einer ausgewogeneren Theologie hätten. Aber selbst wenn wir manches an seinen Gedanken zum geistlichen Leben als einseitig empfinden mögen, bleibt doch noch sehr vieles, was uns heute tiefgehende Impulse zu geben vermag für unser Leben und Glauben. Die Weite seines geistlichen Horizonts, die Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit seiner Nachfolge, die Radikalität seiner Liebe und vor allem seine Betonung eines Lebens in der Gegenwart Gottes beeindrucken und inspirieren uns heute noch.

Zur Auswahl und zur sprachlichen Gestalt der Schriften

Gerhard Tersteegens publizistische Arbeit bestand neben seiner geistlichen Dichtung, die er gesammelt im „Geistlichen Blumengärtlein“ schon 1729 veröffentlichte, vorwiegend in übersetzerischer Tätigkeit. Berühmt wurden seine Übersetzungen von Biografien vorbildlicher Christen, die unter dem Titel „Auserlesene Lebensbeschreibungen Heiliger Seelen“ in drei Teilen erschienen.

Seine zu verschiedenen Anlässen selbst verfassten kleinen Schriften fasste Tersteegen in einem Buch zusammen, dem er den Titel „Weg der Wahrheit“ gab. Aus der letzten von Tersteegen verantworteten vierten Auflage (1768), die 1968 bei Steinkopf in Stuttgart noch einmal nachgedruckt wurde, sind die Texte für unser Buch entnommen. Sie wurden lediglich geringfügig und im Wesentlichen orthografisch der heutigen Schreibweise angepasst. Die sprachlichen und stilistischen Eigentümlichkeiten Tersteegens wurden jedoch weitgehend belassen.

Den Herausgeber leitete bei der Auswahl der Schriften Tersteegens die Überlegung, das Herausfordernde der Spiritualität Tersteegens und zugleich ihre große Aktualität für unsere von Ablenkungsaufforderungen wimmelnde Zeit zu betonen.

1 Benrath, Gustav Adolf: Tersteegens Begriff der Mystik und der mystischen Theologie. In: Der radikale Pietismus. Perspektiven der Forschung. Hrsg. von Wolfgang Breul, Marcus Meier und Lothar Vogel. Göttingen 2010. S. 325.

2 Zumindest deutet das die „Lebensbeschreibung des seligen Gerhard Tersteegen“ an, die posthum von seinem engen Umfeld verfasst worden war. In: Gerhard Tersteegen, Wir sind hier fremde Gäste. Eine Auswahl aus seinen Schriften. Hrsg. von Walter Nigg. Wuppertal 21980. S. 4.

3 Nach Cornelius Pieter van Andel, Gerhard Tersteegen. In: Orthodoxie und Pietismus. Hrsg. von Martin Greschat. Stuttgart 21994. S. 332 (= Gestalten der Kirchengeschichte Bd. 7).

II. Gerhard Tersteegen: Schriften
1. Anhang eines Handbriefleins von der wahren Mystik

In der Gnade Jesu geliebter Bruder!

Eure beiden Brieflein habe ich erhalten. Die innige Neigung zum verborgenen Leben mit Christus in Gott macht, dass ich jederzeit einige Abneigung gehabt, in mehrere äußere Bekanntschaften und Briefwechsel zu geraten. Gott fügt es aber vielfältig wider meine Neigung. Ich kann und will auch seiner Hand in keinem widerstehen. Jetzt finde ich Freiheit, Euch einfältig zu bezeugen, dass ich Euch herzlich liebe und öfters grüße im Geist der Liebe Jesu und dass mir Eure Brieflein angenehm und erquickend gewesen sind.

Ich freue mich sehr, dass Gott Euch einen Geschmack und Zug zur Einkehr und zum inwendigen Leben geschenkt hat. Zu diesem köstlichen Leben berufen sein, ist eine große, aber auch unverdiente Gnade Gottes, welche mit vieler Treue beantwortet werden muss.

 

Gott lädt uns ein zu seiner Liebesgemeinschaft. Er will unseren Geist sich zur Wohnung und Tempel zubereiten; da sollen wir im inneren Heiligtum schauen seine schönen Gottesdienste. Ach, welche Barmherzigkeit!

Sind dann die Ausflüsse der Liebe Gottes gegen unsere unwürdigen Seelen so überschwänglich: so sollen wir denn auch recht milde sein und uns in keinem Stück diesem ewigen Gut vorenthalten, da er uns ganz allein für sich haben will.

Ganz für Gott sein, ist das wahre Geheimnis des inwendigen (mystischen) Lebens, ein Christenleben, wovon sich die Leute solche seltsame und fürchterliche Bilder machen. Und so leben wir, wenn Christus selbst unser Leben wird.

Ein selbst gemachtes Christenleben, wovon nicht Christus im Inwendigen lebend der Ursprung und die Seele ist, ist nicht das, was es genannt wird, sondern eine tote Larve, eine äußere Gestalt ohne Leben und Kraft.

Wir sollen nur von unserem eigenen Tun ablassen, Jesus unser Herz wahrhaftig geben, bei ihm kindlich drinnen bleiben und ihn frei durch seinen Geist in uns wirken lassen.

Es ist nichts einfältiger, sicherer, lieblicher, fruchtbarer als dieses Herzensleben, welches nicht durch Lesen und Kopfanstrengen, sondern durch Sterben und Lieben gründlich erkannt und erfahren wird. Ist also mehr das Werk des Geistes Jesu in uns als unser eigenes Werk.

Auf die Wirkungen und Züge dieses Geistes acht haben, denselben zufriedenstellen und ihm folgen, macht uns zu eingekehrten und geistlichen Menschen. Dieser Geist der Liebe, wenn er wohl gewartet wird, flößet der Seele den Sinn Jesu Christi ein und bildet sie nach dessen Gestalt so unvermerkt, als fast ein Kind im Mutterleib gebildet wird; führt sie immer ein in das Loslassen aller Dinge und ihrer selbst und in die unbedingte Überlassung an Gott.

Er fordert dieses nicht mit gesetzlicher Strenge, sondern führt die folg-same Seele selbst hinein und gibt ihr übernatürliche Grundneigungen, dass sie es auch gern will (trotz ihrer Ichbezogenheit) und dem Lamme folgt, wo es mit ihr hingeht.

Je mehr wir inwendig aufgeräumt und in friedsamer Andacht uns befinden, desto besser und lauterer wandeln wir.

Die besondere Übung des Gebets oder der Einkehr dient hauptsächlich dazu, dass wir diesem zarten Führer kindlich aufwarten und er unserer recht mächtig werde.

Da gilt kein Selbstmachen oder Formen; es hindert nur. Man muss ein armer formloser Ton sein in der Hand des Töpfers. Diese Liebeshand formt uns nach ihrer Weise.

Sie führt ein in eine ungekünstelte Einfalt und süße Niedriggesinntheit, sie macht sanft und willenlos, sie lehrt allen eigenen Absichten nach und nach absagen und Gott lauter meinen. Sie setzt uns in eine gründliche Abgeschiedenheit von allem fremden und eigenen Leben, da Gott der alleinige und ganze Schatz der Seele wird und sich in ihr verklärt nach seinem Belieben. O wohl denen, die also ihr eigenes Haus immer mehr vergessen und im Hause Gottes wohnen; die loben ihn immerdar!

Dies sei denn hinfort unser Ganzes, lieber Bruder, blind und bloß dem zu folgen, der uns berufen hat mit einem so heiligen Ruf. Ich bin gewiss, dass Gott durch diesen Weg gesucht werden will und dass er wolle, dass man ihm auf diese Weise im Geiste und in der Wahrheit diene, ob ich wohl selbst elend genug bin.

Das wahre inwendige Leben ist keine besorgniserregende oder neue Sache. Es ist der uralte wahre Gottesdienst, das christliche Leben in seiner Schönheit und eigentlichen Gestalt. Recht innige Seelen machen keine besondere Sekte. Wenn ein jeder der Lehre und dem Leben Jesu durch dessen Geist folgte, so würden alle ohne Zweifel einig und innig und die Welt voller Mystiker werden, das heißt solcher Leute, die nicht einen bloßen Schein im Äußeren, sondern einen verborgenen Menschen des Herzens erlangten, der in dem unverderblichen Schmuck eines sanften und stillen Geistes so köstlich ist in dem Angesicht Gottes.

Ich weiß nicht, warum ich dieses schreibe, da der liebe Bruder schon genugsame Gewissheit vor dem Herrn in diesem Wege bekommen hat. Lasst uns dann nur bei dem Herrn bleiben und uns immer inniger ihm überlassen. Denn er ist sehr gut auch unter allen Prüfungen denen, die auf ihn warten. Er ist unserem Geiste ewig genug etc.