50 Meisterwerke Musst Du Lesen, Bevor Du Stirbst: Vol. 2

Tekst
Raamat ei ole teie piirkonnas saadaval
Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Der Baron schüttelte noch immer den Kopf; er, der in der Finanzwelt als kühner Geschäftsmann bekannt war, blieb in dieser Sache zweifelnd und eigensinnig.

»Ich verstehe schon«, sagte er. »Sie verkaufen billig, um viel zu verkaufen, und Sie verkaufen viel, um billig zu verkaufen … Aber verkaufen müssen Sie, und ich komme auf meine erste Frage zurück: wem werden Sie verkaufen? Wie wollen Sie einen so riesigen Umsatz aufrechterhalten?«

Mouret setzte zu einer Erklärung an, doch ein plötzliches Stimmengewirr aus dem Salon unterbrach ihn. Die Damen waren in eine lebhafte Auseinandersetzung geraten: abermals ging es um Spitzen, ihre Qualität und ihre Preise. Endlich wurden sie wieder leiser, die Stimmen gingen allmählich in ein Geflüster über.

»Glauben Sie mir«, sagte Mouret, als er wieder zu Wort kam, »man kann alles verkaufen, was man will, wenn man nur zu verkaufen versteht! Das ist eben unsere Kunst.«

Mit seinem südlichen Temperament setzte er dem Baron das Wesen des modernen Verkaufs auseinander. Da war vor allem die überwältigende Macht, die von einem riesigen, an einem Punkt konzentrierten Warenangebot ausging; niemals durfte es an etwas fehlen, jeder gewünschte Artikel mußte stets zur Stelle sein, die Kundin wurde von Tisch zu Tisch gezogen, kaufte hier einen Stoff, dort die Zutaten und wieder an einem ändern Tisch einen Mantel, sie kleidete sich ein, stieß abermals auf etwas Unvorhergesehenes und gab dem Wunsch nach allerlei überflüssigen, aber hübschen Dingen nach. Dann pries er die Einrichtung, die Waren für jedermann ersichtlich auszuzeichnen. Heutzutage spiele sich der Konkurrenzkampf sozusagen unter den Augen des Publikums ab, ein Spaziergang vor den Auslagen könne das künftige Preisniveau bestimmen. Man begnüge sich mit einem geringen Gewinn, Betrügereien gebe es nicht mehr; die Zeiten seien vorbei, da man sich an einem Artikel bereichert habe, indem man ihn um das Doppelte seines Werts verkaufte. Flotter Umsatz, ein angemessener Verdienst an allen Waren, geschickt veranstaltete Sonderverkäufe: darin lag das Geheimnis des Erfolgs. War das keine verblüffende Neuerung? Sie hatte den ganzen Markt auf den Kopf gestellt, ganz Paris umgewandelt und entsprach doch der Natur der Frau.

»Ich habe die Frau in meiner Gewalt – um den Rest brauche ich mich nicht zu kümmern!« sagte er in einem offenen Geständnis. Dieser Ausruf schien Baron Hartmann wankend zu machen. Sein Lächeln war nicht mehr spöttisch; er betrachtete den jungen Mann, der ihn durch seine Zuversicht allmählich gewann.

»Still!« sagte er leise in väterlichem Ton, »man könnte Sie hören.«

Doch die Damen sprachen jetzt alle auf einmal und waren dermaßen hingerissen von ihrem Thema, daß sie nicht einmal einander mehr zuhörten.

Flüsternd, als wollte er ihm eines jener Geständnisse machen, wie sie unter Männern zuweilen vorkommen, führte Mouret seine Erklärungen zu Ende. Alles lief auf die Ausbeutung der Frauen hinaus. Die Warenhäuser machten sich die Frauen durch ihre gegenseitige Konkurrenz streitig, verwirrten sie durch ihre Auslagen, lockten sie in die Falle ihrer Gelegenheitskäufe. Sie weckten neue Wünsche in den Frauen, sie bildeten eine ungeheure Versuchung, der jede zum Opfer fiel, ob sie auch anfangs als gute Hausfrau nur billig einzukaufen gedachte: sie wurde unfehlbar durch ihre Koketterie fortgerissen und zum Schluß betört. Wenn in diesen Warenhäusern die Frau als die Königin dastand, angebetet und umschmeichelt in ihren Schwächen, umgeben von aller Zuvorkommenheit, so herrschte sie doch nur als eine Königin der Liebe, deren Untertanen mit ihr ein Spiel treiben und die jede ihrer Launen mit einem Tropfen ihres Blutes bezahlt. Und unter Mourets liebenswürdigem Wesen verbarg sich die Mißachtung des Mannes der Frau gegenüber, die die Dummheit begangen hat, sich ihm hinzugeben.

»Wer die Frauen in der Hand hat«, sagte er leise, mit einem überlegenen Lächeln zu Baron Hartmann, »der kann die ganze Welt verkaufen.«

Jetzt begriff der Baron. Er zwinkerte verständnisinnig mit den Augen und betrachtete Mouret allmählich mit Bewunderung. Unbewußt gebrauchte er denselben Ausdruck wie Bourdoncle, ein Wort, das seine langjährige Erfahrung ihm eingab:

»Sie werden sich an Ihnen rächen.«

Doch Mouret zuckte in vernichtender Mißachtung die Achseln. Alle gehörten sie ja ihm, meinte er, und er lieferte sich keiner aus. Wenn er sein Vermögen und sein Vergnügen aus ihnen herausgeholt hatte, würde er sie sämtlich abschütteln und denen überlassen, die dann noch auf ihre Rechnung kommen könnten.

»Wie ist es, verehrter Baron«, fragte er zum Schluß, »wollen Sie mit mir gehen? Erscheint Ihnen das Grundstücksgeschäft so durchführbar?«

Obgleich halb besiegt, wollte sich der Baron noch immer nicht binden. Er war schon im Begriff, ausweichend zu antworten, als plötzlich ein dringender Ruf der Damen ihn dieser Mühe enthob.

»Herr Mouret, Herr Mouret!« ertönte es aus dem Salon.

Und als dieser, verdrossen über die Störung, so tat, als hörte er nicht, kam Frau von Boves zur Tür des kleinen Salons.

»Man verlangt nach Ihnen, Herr Mouret«, sagte sie. »Es ist gar nicht höflich von Ihnen, sich so in einen Winkel zu verkriechen und von Geschäften zu sprechen.«

Er machte gute Miene zum bösen Spiel, die beiden Herren erhoben sich und begaben sich in den Salon.

»Ich stehe Ihnen ganz zu Diensten, meine Damen«, sagte Mouret mit einem Lächeln auf den Lippen.

Lautes Rufen empfing ihn. Er mußte näher herankommen, die Damen machten ihm Platz in ihrer Mitte. Herr von Boves und Vallagnosc standen am Fenster und unterhielten sich, während Herr Marty, der eben erst gekommen war, offenbar äußerst bestürzt dem Gespräch der Damen über ihre Toilettensorgen folgte.

»Bleibt es dabei, daß der Sonderverkauf am nächsten Montag stattfindet?« fragte Frau Marty.

»Gewiß«, erwiderte Mouret mit schmelzender Stimme, einem Tonfall, den er immer annahm, sowie er mit Frauen sprach.

»Wir gehen nämlich alle hin«, bemerkte Henriette. »Man erzählt sich, daß Sie wahre Wunder vorbereiten.«

»Wunder?« meinte er mit geheuchelter Bescheidenheit. »Ich bin nur bestrebt, mich Ihres Vertrauens würdig zu erweisen.«

Nun drangen sie mit Fragen in ihn. Frau Bourdelais, Frau Guibal und selbst Blanche wollten Näheres wissen.

»Erzählen Sie uns doch etwas darüber«, wiederholte Frau von Boves eindringlich. »Wir sterben vor Neugierde.«

Sie umringten ihn, als Henriette bemerkte, daß er noch keinen Tee bekommen habe. Alle waren untröstlich; ihrer vier auf einmal wollten sie ihn bedienen, nur unter der Bedingung allerdings, daß er ihre Neugierde befriedige. Henriette goß den Tee ein, Frau Marty hielt die Tasse, während Frau von Boves und Frau Bourdelais sich um die Ehre stritten, ihm Zucker zu geben. Er weigerte sich, Platz zu nehmen, und trank seinen Tee stehend; sie nahmen ihn in die Mitte, er war gefangen im engen Kreis ihrer Röcke. Mit leuchtenden Blicken und lächelndem Mund sahen sie zu ihm auf.

»Was ist mit Ihrer Seide, mit Ihrem ›Pariser Glück‹, von dem alle Zeitungen sprechen?« fragte Frau Marty ungeduldig.

»Oh, das ist etwas Außerordentliches!« erwiderte er. »Ein festes und doch überaus schmiegsames Gewebe … Sie werden ja sehen, meine Damen … Sie finden den Stoff nur bei uns, denn wir haben das Alleinverkaufsrecht erworben.«

»Wirklich? Eine schöne Seide zu fünf Franken sechzig!« rief Frau Bourdelais begeistert. »Es ist kaum zu glauben!«

Seit das Lob dieser Seide durch die Reklame in alle Winde getragen wurde, nahm sie im Leben der Damen einen bedeutenden Platz ein. Sie sprachen nur davon, und in der geschwätzigen Neugierde, mit der sie den jungen Mann bestürmten, zeigte sich jede einzelne von ihnen in ihrer unverwechselbaren Eigenart: Frau Marty, die in ihrer Leidenschaft fürs Geldausgeben im »Paradies der Damen« wahllos alles zusammenkaufte; Frau Guibal, die stundenlang darin herumspazierte, ohne etwas zu kaufen, schon zufrieden mit der Augenweide; Frau von Boves, die ewig in Geldverlegenheiten war und mit gierigen Blicken die Waren verschlang, die sie sich nicht leisten konnte; Frau Bourdelais mit ihrem bürgerlich vernünftigen und praktischen Sinn, die nur auf die günstigen Angebote losging und auch in den großen Warenhäusern die Besonnenheit und das Geschick der guten Hausfrau zur Geltung brachte; endlich Henriette, die in allen Dingen Wert auf höchste Eleganz legte und im »Paradies der Damen« nur bestimmte Dinge kaufte, wie ihre Handschuhe, Wollwaren und einfachere Wäsche und dergleichen.

»Wir haben noch andere erstaunlich schöne und billige Stoffe«, fuhr Mouret mit seiner einschmeichelnden Stimme fort; »so empfehle ich Ihnen unsere ›Goldhaut‹, einen Taft von unvergleichlichem Glanz; dann Phantasieseiden in reizenden Mustern, die unser Einkäufer mit besonderer Sorgfalt ausgewählt hat; und was die Samte betrifft, so finden Sie bei uns ein reiches Sortiment in allen Farben … Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß man in diesem Jahr sehr viel Wollstoffe tragen wird.«

Sie unterbrachen ihn nicht mehr. Sie hatten den Kreis um ihn fest geschlossen; mit einem Lächeln auf den halbgeöffneten Lippen standen sie da, das Gesicht gespannt, als strebe ihr ganzes Wesen dem Versucher zu. Er aber fuhr fort, zwischen seinen Sätzen immer wieder einen Schluck Tee zu trinken, und bewahrte die Ruhe eines Eroberers. Angesichts dieser Verführungskunst, die sich selbst zu beherrschen wußte, aber stark genug war, um dermaßen mit den Frauen zu spielen, fühlte Baron Hartmann, der Mouret nicht aus den Augen ließ, seine Bewunderung für den jungen Mann immer mehr wachsen.

Frau Bourdelais, die ihre Besonnenheit bewahrt hatte, meinte nun:

»Nicht wahr, der Resteausverkauf ist am Donnerstag? … Da will ich lieber warten, denn ich habe alle meine Kleinen anzuziehen.«

 

Sie wandte sich zu der Dame des Hauses und fragte:

»Läßt du noch immer bei der Sauveur arbeiten?«

»Mein Gott, ja«, erwiderte Henriette. »Die Sauveur ist sehr teuer, aber außer ihr gibt es niemanden in Paris, der ein anständiges Kleid zu machen versteht. Und Herr Mouret mag sagen, was er will: man findet bei ihr die schönsten Muster – Muster, die es sonst nirgends gibt. Ich mag es nicht, wenn ich meine Kleider bei allen Leuten wiederfinde.«

Mouret lächelte geheimnisvoll; dann gab er zu verstehen, daß auch Frau Sauveur ihre Stoffe bei ihm kaufe. Gelegentlich allerdings übernehme sie gewisse Muster, für die sie sich das Alleinverkaufsrecht sichere, direkt vom Fabrikanten; aber ihre schwarzen Seiden beispielsweise beziehe sie ausschließlich beim »Paradies der Damen«. Sie decke sich dort immer wieder erheblich ein und verkaufe ihre Vorräte dann zu doppelten und dreifachen Preisen weiter.

»Ich bin sicher«, schloß er, »daß ihre Leute auch unser ›Pariser Glück‹ aufkaufen werden. Warum sollte sie denn in der Fabrik für den Stoff mehr zahlen als bei mir? Mein Ehrenwort: wir verkaufen die Seide mit Verlust.«

Das war der letzte Schlag, den er gegen die Damen führte. Der Gedanke, etwas unter dem Einkaufspreis zu bekommen, stachelte in ihnen alle Leidenschaften der Frau auf, deren Genuß doppelt ist, wenn sie den Kaufmann zu übervorteilen glaubt. Er wußte, sie würden einem billigen Angebot nicht widerstehen können.

»Bei uns wird alles zu Spottpreisen verkauft!« rief er vergnügt, während er den Fächer von Frau Desforges vom Tischchennahm.

»Sehen Sie diesen Fächer: ich weiß nicht, was er gekostet hat … «

»Die Chantillyspitze fünfundzwanzig Franken, das Gestell samt der Arbeit zweihundert«, sagte Henriette.

»Schön: die Spitze ist nicht teuer, obwohl Sie bei uns die gleiche für achtzehn Franken bekommen. Was aber die Verarbeitung betrifft, liebe gnädige Frau, so sind Sie abscheulich betrogen worden; ich mache mich anheischig, ein ganz ähnliches Stück um neunzig Franken zu beschaffen.«

»Ich sagte es ja!« rief Frau Bourdelais.

»Neunzig Franken!« murmelte Frau von Boves; »da muß man in der Tat eine Bettlerin sein, um sich das zu versagen.«

Sie nahm den Fächer und betrachtete ihn von neuem, und in ihrem regelmäßigen Gesicht, in ihren großen, schmachtenden Augen spiegelte sich die nur mühsam zurückgehaltene Begierde. Abermals machte der Fächer die Runde unter den Damen. Herr von Boves und Vallagnosc hatten inzwischen das Fenster verlassen. Der Graf war hinter Frau Guibal getreten und starrte mit undurchdringlicher Miene in ihren Ausschnitt. Als er den schmerzlichen Blick auffing, mit dem seine Frau dem Fächer folgte, hielt er es für gut, auch etwas zu dem Thema zu sagen.

»Diese Dinger sind gar zu zerbrechlich«, meinte er.

»Reden wir nicht davon«, warf mit geziert gleichgültiger Miene Frau Guibal ein. »Ich bin es schon überdrüssig geworden, meine Fächer immer wieder reparieren zu lassen.«

Ganz aufgeregt durch diese Unterhaltung, drehte Frau Marty schon seit einer Weile ihre rote Ledertasche fieberhaft auf den Knien hin und her. Sie hatte ihre Einkäufe noch immer nicht gezeigt und brannte darauf, sie auszukramen. Endlich konnte sie sich nicht länger beherrschen; sie vergaß ganz die Anwesenheit ihres Mannes, öffnete die Ledertasche und holte einige Meter schmale, auf einen Karton gerollte Spitzen hervor.

»Das sind die Valenciennes für meine Tochter. Drei Zentimeter breit. Köstlich, nicht wahr? Einen Franken neunzig der Meter.« Die Spitzen wanderten von Hand zu Hand. Die Damen waren ganz hingerissen. Mouret versicherte, daß er diese kleinen Garnituren zum Fabrikpreis abgebe. Frau Marty hatte inzwischen ihre Ledertasche wieder geschlossen, wie um Sachen darin zu verbergen, die man nicht vorzeigt. Als sie aber den Beifall sah, den die Spitzen gefunden hatten, konnte sie dem Verlangen nicht widerstehen, noch etwas hervorzuholen.

»Diese Taschentücher habe ich ebenfalls gekauft. Brüsseler Arbeit, meine Liebe! Rein geschenkt! Zwanzig Franken!«

Und nun erwies sich die Tasche als unerschöpflich. Frau Marty errötete vor Vergnügen, jedes Stück, das sie hervorholte, bereitete ihr sichtlich einen neuen Genuß. Da war vor allem ein Halstuch für dreißig Franken; sie hatte es gar nicht kaufen wollen, allein der Verkäufer hatte ihr geschworen, es sei das letzte und sie kämen nicht mehr nach. Dann tauchte ein Schleier aus Chantillyspitzen auf; ziemlich teuer: fünfzig Franken. Wenn sie ihn nicht tragen sollte, so konnte sie ihrer Tochter etwas daraus machen.

»Mein Gott: Spitzen sind gar so hübsch!« wiederholte sie immerfort mit nervösem Lachen. »Wenn ich einmal dabei bin, möchte ich das ganze Warenhaus leerkaufen.«

»Und was ist das?« fragte Frau von Boves und betrachtete ein großes Stück Gipüre.

»Ach, das habe ich so nebenher gekauft, es sind sechsundzwanzig Meter Besatz, der Meter zu nur einem Franken, was sagen Sie dazu?«

»Sieh an!« bemerkte Frau Bourdelais überrascht. »Was wollen Sie damit anfangen?«

»Das weiß ich noch nicht … Aber das Muster war so entzückend.«

In diesem Augenblick schaute sie auf und erblickte ihren Mann, der mit versteinertem Antlitz dastand. Jedes neue Stück Spitze war für ihn ein Unglück, verschlang die Früchte langer Arbeitstage, bedeutete die Jagd nach neuen Privatstunden. Als sie das steigende Entsetzen in seinen Blicken las, wollte sie rasch alles wieder einpacken: die Taschentücher, den Schleier, das Halstuch; sie fuchtelte nervös herum und meinte mit verlegenem Lächeln:

»Sie werden es noch dahin bringen, daß mein Mann mich ausschilt … Dabei versichere ich dir, daß ich sehr vernünftig war. Da gab es eine große, wunderbare Spitze zu fünfhundert Franken je Meter!«

»Warum haben Sie sie denn nicht gekauft?« fragte ruhig Frau Guibal. »Sie haben doch den zuvorkommendsten aller Gatten.«

Herr Marty verneigte sich und erklärte, seine Frau sei in ihren Entscheidungen völlig frei. Allein beim Gedanken an die erwähnte große Spitze überlief ihn ein eiskalter Schauer. Und als er hörte, wie Mouret sagte, die Warenhäuser trügen ein gut Teil zum Wohlstand der mittleren Bürgerkreise bei, warf er ihm einen haßerfüllten Blick zu.

Die Damen betrachteten noch immer die Spitzen und fanden ihr Vergnügen daran. Die Stücke wurden auf- und zugerollt, gingen von Hand zu Hand. Sie überhäuften Mouret mit neuen Fragen. Da es langsam dunkel wurde, mußte er sich von Zeit zu Zeit zu ihnen niederbeugen, um eine Spitze zu begutachten, ein Muster zu erklären. Aber trotz des Entzückens, das er heuchelte, blieb er inmitten des warmen Dufts ihrer Schultern stets ihr Herr. Er schien selbst zur Frau zu werden, sie fühlten sich durchdrungen und hingerissen von dem Zartgefühl, mit dem er ihr innerstes Wesen erfaßte, und überließen sich ganz seiner Verführung.

Henrierte hatte sich zurückgezogen und sprach in der Fensternische leise mit dem Baron.

»Er ist ein reizender Junge!« versicherte Hartmann.

»Nicht wahr?« rief sie mit dem unwillkürlichen Ausdruck einer verliebten Frau.

Er lächelte und betrachtete sie nachsichtig. Es war das erstemal, daß er sie so sehr gefangen fand; zu überlegen, um deswegen gekränkt zu sein, bedauerte er vielmehr, sie in den Händen dieses so galant auftretenden und doch so kühlen Burschen zu sehen. Er fühlte sich verpflichtet, sie zu warnen, und murmelte scherzhaft:

»Nehmen Sie sich in acht, meine Liebe, er wird Sie alle verschlingen.«

Eine eifersüchtige Flamme blitzte in den schönen Augen Henriettes auf; sie begriff ohne Zweifel, daß Mouret sich ihrer nur bedient hatte, um mit dem Baron in Verbindung zu treten, und beschloß, ihn nun erst recht wahnsinnig vor Liebe zu machen.

»Oh«, erwiderte sie und schlug auch ihrerseits einen scherzhaften Ton an, »am Ende frißt doch noch das Lamm den Wolf.« Der Baron ermutigte sie mit einem Kopfnicken. Vielleicht war sie die Frau, die bestimmt war, die übrigen zu rächen.

Mouret hatte unterdessen Vallagnosc noch einmal eingeladen, doch einmal seine Firma zu besichtigen. Nun kam er heran, um sich zu verabschieden. Da hielt ihn der Baron in der Fensternische zurück. Er war endlich der Verführung erlegen, der Anblick des jungen Mannes inmitten dieser Damen hatte ihn überzeugt. Die beiden plauderten einen Augenblick mit gedämpfter Stimme. Dann erklärte der Bankier:

»Gut, ich will die Sache prüfen … Sie können das Geschäft als abgeschlossen betrachten, wenn Ihr Sonderverkauf am nächsten Montag wirklich ein solcher Erfolg wird, wie Sie hoffen.«

Sie drückten einander die Hand, und Mouret nahm mit entzückter Miene Abschied.

Kapitel Acht­und­neunzig

Am Montag, dem zehnten Oktober, brach die Sonne siegreich durch die grauen, regenschweren Wolken, die seit einer Woche Paris verdüsterten. Die ganze Nacht war ein feiner Regen niedergegangen, der die Straßen verschmierte; allein bei Tagesanbruch hatte ein scharfer Wind die Bürgersteige getrocknet, die Wolken vom Himmel verjagt und ihn in heiterem Frühlingsblau erstrahlen lassen.

Das »Paradies der Damen« lag schon um acht Uhr im Glanz des großen Sonderverkaufs. Über dem Eingang flatterten Fahnen, der frische Morgenwind spielte mit den ausgehängten Wollwaren. Die lange Reihe der Schaufenster nach beiden Straßen mit ihren blankgeputzten Scheiben entfaltete die ganze Farbenpracht der Dekoration.

Doch zu dieser frühen Morgenstunde hatten sich erst wenige Käufer eingefunden: einige Kunden, die später keine Zeit hatten, Haushälterinnen aus der Nachbarschaft, ein paar Frauen, die sich dem Gedränge am Nachmittag nicht aussetzen wollten. Das mit Waren vollgepfropfte Geschäft war noch leer, aber sichtlich gerüstet. Die vorbeieilenden Fußgänger würdigten die Auslagen kaum eines Blicks. Nur die Bewohner des Stadtviertels, die kleinen Geschäftsleute vor allem, die durch diesen ungeheuren Aufwand an Fahnen und Dekoration in Aufruhr versetzt wurden, standen in Gruppen unter den Türen und auf der Straße und tauschten hier und da bittere Bemerkungen aus. Hauptsächlich erboste sie ein in der Rue de la Michodière vor dem Warenabgang haltender Wagen, einer jener vier, die Mouret in ganz Paris für sich Reklame machen ließ. Grün angestrichen, mit Rot und Gelb verziert, leuchtete er im hellen Sonnenschein wie Gold und Purpur. Auf beiden Seiten war der Name der Firma zu lesen, darüber eine auffallende Anzeige, die auf den heutigen großen Sonderverkauf hinwies. Nachdem der Wagen mit den restlichen Paketen vom Tag vorher vollgeladen war, preschte das prächtige Pferd im Trab davon. Baudu stand blaß auf der Schwelle seines Ladens und blickte haßerfüllt diesem Fahrzeug nach, das den verabscheuten Namen des »Paradieses der Damen« im hellen Sonnenlicht durch ganz Paris spazierenführte.

Mittlerweile waren einige Droschken angekommen und hatten sich hintereinander aufgestellt. Sooft eine Käuferin eintrat, entstand eine Bewegung unter den Laufburschen, die, in die Livree des Hauses gekleidet – hellgrüner Anzug, gelb und rot gestreifte Weste –, unter der hohen Eingangstür warteten. Der Inspektor Jouve, in Schwarz mit weißer Krawatte und allen Kriegsauszeichnungen, empfing die Damen voll ernster Höflichkeit, um sie nach den verschiedenen Abteilungen zu weisen. Dann verschwanden sie in dem Vorraum, der in einen orientalischen Saal umgewandelt war.

Schon von der Place Gaillon aus konnte man diesen Saal sehen. Decken und Wände waren mit den Schätzen des Orients verkleidet, türkischen, arabischen, persischen, indischen Teppichen in den sattesten Farben und üppigsten Mustern. Mouret selbst hatte diesen Gedanken gehabt, der alle in höchstes Erstaunen versetzte. Er hatte in der Levante zu ausgezeichneten Bedingungen eine Sammlung alter und neuer Teppiche angekauft, wie sie bisher nur bei Raritätenhändlern für teures Geld zu haben gewesen waren. Er wollte den Markt damit überschwemmen, gab sie fast zum Einkaufspreis ab und gedachte nur so viele zu behalten, wie er für die prächtige Ausstattung seines Hauses brauchte.

Als Denise, die gerade an diesem Montag ihre neue Stelle antreten sollte, um acht Uhr morgens durch den orientalischen Saal kam, war sie ganz verblüfft. Sie erkannte den Eingang gar nicht wieder und betrachtete verwirrt diese Haremsdekoration am Portal. Ein Laufbursche führte sie ins Dachgeschoß hinauf und übergab sie Frau Cabin, die damit betraut war, die Kammern der Verkäuferinnen reinzuhalten und zu überwachen. Frau Cabin wies Denise nach Nummer sieben, wohin ihr Koffer schon vorgetragen worden war. Es war ein winziger Raum mit einer Luke auf das Dach, möbliert mit einem schmalen Bett, einem Nußbaumschrank, einem Toilettentisch und zwei Stühlen. Zwanzig solcher Mansarden lagen wie Klosterzellen an einem gelb angestrichenen Gang. Von den fünfunddreißig Verkäuferinnen schliefen hier diejenigen, die in Paris keine Familie hatten, während die übrigen auswärts wohnten, darunter einige bei angeblichen Tanten oder Kusinen. Denise zog rasch ihr Wollkleid aus, das durch das viele Bürsten fadenscheinig geworden und an den Ärmeln vielfach ausgebessert war; es war das einzige, das sie aus Valognes mitgebracht hatte. Dann legte sie den Arbeitsanzug ihrer Abteilung an, ein schwarzes Seidenkleid, das auf dem Bett bereitlag. Es war ein wenig zu lang und in den Schultern zu weit; allein in ihrer Aufregung sputete sie sich dermaßen, daß sie sich bei solchen Einzelheiten nicht aufhielt. Sie hatte noch nie in ihrem Leben Seide getragen. Während sie in ihrer festtäglichen Kleidung voller Unbehagen nach unten ging, fühlte sie sich gänzlich fehl am Platz.

 

Als sie ihre Abteilung betrat, brach eben ein Streit los; sie hörte Ciaire mit scharfer Stimme rufen:

»Ich bin vor ihr angekommen!«

»Das ist nicht wahr«, erwiderte Marguerite; »an der Tür hat sie mich gestoßen, aber ich hatte schon den Fuß drinnen.«

Es handelte sich darum, wessen Name früher auf die Tafel geschrieben werden sollte, die den Turnus beim Verkauf regelte. Die Verkäuferinnen mußten sich in der Reihenfolge, wie sie ankamen, auf einer Schiefertafel eintragen; nach jedem Verkauf löschten sie oben ihren Namen und setzten ihn als letzten unten wieder an. Frau Aurélie gab schließlich Marguerite recht.

»Immer Ungerechtigkeiten!« murmelte Ciaire wütend.

Doch der Eintritt Denises versöhnte die beiden. Sie betrachteten sie und lächelten einander spöttisch zu. Wie konnte man nur so geschmacklos herumlaufen! Das junge Mädchen trat linkisch zur Schiefertafel, wo sie sich als letzte eintrug. Mittlerweile betrachtete die Direktrice sie mit unruhiger Miene; sie konnte sich nicht enthalten zu bemerken:

»Meine Liebe, in diesem Kleid hätten ja zwei von Ihrer Sorte Platz! Es muß enger gemacht werden; außerdem verstehen Sie offenbar gar nicht, sich anzuziehen. Kommen Sie her, damit ich das etwas in Ordnung bringe.«

Sie führte sie vor einen der hohen Spiegel, die abwechselnd zwischen den Schranktüren angebracht waren. Der weite Raum mit den einheitlich gekleideten und abwartend herumstehenden Verkäuferinnen wirkte unpersönlich wie die Empfangshalle eines Hotels. Jedes der Mädchen trug zwischen zwei Knöpfen an der Brust einen großen Bleistift, aus den Taschen blitzte der weiße Kassenblock hervor. Einige von ihnen hatten bescheidenen Schmuck angelegt, Ringe, Broschen, Ketten. Ihr eigentlicher Luxus aber, in dem sie bei der erzwungenen Einförmigkeit ihrer Kleidung miteinander wetteiferten, war ihr Haar, das bei allen mit dem Aufwand der raffiniertesten Toilettenkünste frisiert war.

»Ziehen Sie den Gürtel etwas mehr zu«, fing Frau Aurélie wieder an. »So, jetzt haben Sie wenigstens keinen Buckel mehr. Und Ihre Haare! Wie kann man sie nur zu einem solchen Klumpen verunstalten! Sie wären prachtvoll, wenn Sie damit umzugehen wüßten.«

Das war in der Tat Denises einzige Schönheit. Ihre aschblonden Haare fielen ihr beim Kämmen bis zu den Knöcheln herab; sie waren ihr so im Weg gewesen, daß sie sie einfach zu einem Knoten zusammengerollt und mit einem Hornkamm festgesteckt hatte. Ciaire, die beim Anblick dieser Fülle vor Neid verging, tat, als müsse sie über die linkische Art lachen, wie sie gekämmt war. Sie rief mit einem Wink eine Verkäuferin aus der Wäscheabteilung herbei, ein Mädchen mit breiten, aber angenehmen Zügen. Die beiden aneinanderstoßenden Abteilungen lagen in ständiger Fehde; wenn es sich jedoch darum handelte, sich über andere lustig zu machen, verstanden die Verkäuferinnen sich gleich.

»Fräulein Pauline, schauen Sie sich einmal diese Mähne an!« sagte Ciaire und stieß mit dem Ellbogen gleichzeitig Marguerite an. Sie tat, als müsse sie vor Lachen ersticken. Allein Pauline schien nicht zum Scherzen aufgelegt zu sein. Sie betrachtete Denise einen Augenblick und erinnerte sich, was sie selbst in den ersten Tagen ihres Eintritts auszustehen gehabt hatte.

»Ach was«, sagte sie, »nicht jedermann hat eine solche Mähne!« Damit kehrte sie in die Wäscheabteilung zurück und ließ die anderen verlegen zurück. Denise, die alles mit angehört hatte, sandte ihr einen dankbaren Blick nach, während Frau Aurélie ihr einen auf ihren Namen ausgestellten Kassenblock übergab und sagte:

»Jetzt machen Sie sich mit den Gewohnheiten des Hauses vertraut und warten Sie, bis Sie im Verkauf an die Reihe kommen; es wird heute heiß hergehen. Da werden wir ja sehen, was Sie können.«

Die Abteilung blieb indessen leer; es kamen in dieser frühen Morgenstunde nur wenige Kunden zur Konfektion herauf. Denise machte sich selber Mut, denn es galt, ihren Platz zu erobern. Man hatte ihr am Tag zuvor gesagt, daß sie kein festes Gehalt, sondern nur ihre Prozente bekommen werde, die übliche Provision nach jedem Verkauf. Sie hoffte dennoch, auf zwölfhundert Franken zu kommen, denn sie wußte, daß gute Verkäuferinnen es auf zweitausend brachten. Ihre Ausgaben standen fest: hundert Franken im Monat würden genügen, die Pension Pépés zu bestreiten und auch Jean etwas zuzustecken, der ja noch nichts bezahlt bekam; dabei würde ihr noch so viel übrigbleiben, daß sie selber leben und sich hier und da ein Wäsche- oder Kleidungsstück kaufen konnte. Allein um eine so hohe Summe zu erreichen, mußte sie fleißig und geschickt sein, sich die Mißgunst, die sie umgab, nicht allzu sehr zu Herzen nehmen, sich wehren und, wenn nötig, den ihr zukommenden Teil sich auch mit Gewalt erobern.

Während sie sich mit solchen Gedanken beschäftigte, ging ein großer junger Mann durch die Abteilung und lächelte ihr zu. Als sie Deloche erkannte, der am Tag zuvor in die Spitzenabteilung eingetreten war, erwiderte sie lächelnd seinen Gruß, ganz glücklich über diese Freundschaft, die ihr hier plötzlich begegnete; sie sah darin eine glückliche Vorbedeutung.

Um halb zehn rief eine Glocke zur ersten Mahlzeit. Dann wurde die zweite Schicht gerufen. Immer noch kamen keine Kunden. Frau Frédéric, die zweite Abteilungsleiterin, die in ihrer ewig verdrossenen Witwenstimmung von vornherein alles schwarz sah, versicherte, der Tag sei verloren; keine vier Katzen würden erscheinen; man könne ruhig die Schränke schließen und nach Hause gehen. Diese Prophezeiung verdüsterte das platte Gesicht Marguerites, die sehr geldgierig war, während Claire schon an eine Landpartie dachte, falls das Haus Bankrott machen sollte. Frau Aurélie ging stumm und ernst in der leeren Abteilung umher wie ein General, den bei Sieg und Niederlage gleichermaßen die Verantwortung trifft. Gegen elf Uhr erschienen einige Damen. Die Reihe zum Verkaufen war an Denise. Eben wurde eine Kundin gemeldet.

»Es ist die Dicke aus der Provinz, Sie wissen ja«, flüsterte Marguerite.

Es war eine Dame von fünfundvierzig Jahren, die von Zeit zu Zeit aus einem entfernten Winkel des Landes nach Paris kam. Zu Hause legte sie monatelang ihre Ersparnisse beiseite. Wenn sie dann in der Stadt war, galt ihr erster Weg dem »Paradies der Damen«, wo sie alles bis auf den letzten Sou ausgab. Selten machte sie eine briefliche Bestellung, sie wollte sehen, was sie kaufte, wollte die Freude genießen, die Ware zu befühlen. Das ganze Geschäft kannte sie, man wußte, daß sie Boutarel hieß und in Albi wohnte; um das übrige kümmerte sich niemand.

»Es geht Ihnen hoffentlich gut, gnädige Frau?« fragte Frau Aurélie, die ihr höflich entgegenging. »Was darf es sein? Wir stehen ganz zu Ihrer Verfügung.«