50 Meisterwerke Musst Du Lesen, Bevor Du Stirbst: Vol. 2

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Raamat ei ole teie piirkonnas saadaval
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Kapitel Fünf­und­achtzig

Cécile kam spät zum Frühstück, und St. Arnaud, das Zeitungsblatt aus der Hand legend, sah auf den ersten Blick, daß sie wenig geschlafen und viel geweint hatte. Sie begrüßten sich und wechselten dann einige gleichgiltige Worte. Gleich danach nahm St. Arnaud die Zeitung wieder auf und schien lesen zu wollen. Aber er kam nicht weit, warf das Blatt fort und sagte, während er die Tasse beiseite schob: »Was ist das mit Gordon?«

»Nichts.«

»Nichts! Wenn es nichts wäre, so früg ich nicht, und du wärst nicht verwacht und verweint. Also heraus mit der Sprache. Was hat er gesagt? Oder was hat er geschrieben? Er schrieb in einem fort. Ewige Briefe.«

»Willst du sie lesen?«

»Unsinn. Ich kenne Liebesbriefe: die besten kriegt man nie zu sehen, und was dann bleibt, ist gut für nichts. Übrigens sind mir seine Beteuerungen und vielleicht auch Bedauerungen absolut gleichgiltig: aber nicht sein Auftreten vor Zeugen, nicht sein Benehmen in Gegenwart andrer. Er hat dich beleidigt. Der Hauptsache nach weiß ich, was geschehen ist: Hedemeyer hat mir gestern im Club davon erzählt, und ich will nur die Bestätigung aus deinem Munde. Das in der Loge mochte gehen, aber dich bis hierher verfolgen, unerhört! Als ob er den Rächer seiner Ehre zu spielen hätte.«

»Sprich dich nicht in den Zorn hinein, Pierre. Du willst von mir hören, was geschehen ist, und ich sehe, du weißt alles. Ich habe nichts mehr hinzuzusetzen.«

»Doch, doch. Die Hauptsache fehlt noch. All dergleichen hat eine Vorgeschichte und fällt nicht vom Himmel. Am wenigsten vom Himmel. Gordon ist ein Mann von Familie, von Welt und Urteil, und ein solcher Mann handelt nicht ins Unbestimmte hinein. Er befragt die Situation. Und diese Situation will ich wissen, will ich kennenlernen. Schildre sie mir; ich denke, daß du sie mir schildern kannst, und zwar ohne sonderliche Verlegenheiten und Verschweigungen. Ein paar Ungenauigkeiten mögen mit drunterlaufen, meinetwegen, ich ereifere mich nicht um Bagatellen. Im übrigen, ich gestatte mir, das vorläufig anzunehmen, kann nichts vorgekommen sein, was das Licht des Tages oder meine Mitwissenschaft zu scheuen hätte. Denn man fordert mich nicht heraus, niemand, am wenigsten meine Frau, die, soviel ich weiß, eine Vorstellung davon hat, daß ich nicht der Mann der Unentschiedenheiten und Ängstlichkeiten bin. Aber du kannst das uralte Frau-Eva-Spiel, das Spiel der Hinhaltungen und In-Sicht-Stellungen über das rechte Maß hinaus gespielt haben, gerad unklug und unvorsichtig genug, um mißverstanden zu werden. Liegt es so, so werd ich meine schöne Cécile bitten, in Zukunft etwas vorsichtiger zu sein. Liegt es aber anders, bist du dir keines Entgegenkommens bewußt, keines Entgegenkommens, das ihm zu solchem Eklat und Hausfriedensbruch auch nur einen Schimmer von Recht gegeben hätte, so liegt eine Beleidigung vor, die nicht nur dich trifft, sondern vor allem auch mich. Und ich habe nicht gelernt, Effronterien geduldig hinzunehmen. Über diesen Punkt verlang ich Auskunft, offen und unumwunden.«

Cécile schwieg. Aber wahrnehmend, daß es vergeblich sein würde, ihn durch halbe Worte von seinem Vorhaben abbringen zu wollen, sagte sie: »Was ich zu sagen habe, ist kurz. In Thale waren wir unter deinen Augen, und kein Wort ist gesprochen worden, das sich nicht gleichzeitig an alle Welt, an dich, an den Emeritus, an Rosa gerichtet hätte.«

St. Arnaud wiegte den Kopf und lächelte, während Cécile, die des Heimrittes von Altenbrak gedenken mochte, nicht ohne Verlegenheit vor sich hin blickte.

» Dann«, fuhr sie fort, »sahen wir uns hier. Es blieb, wie's gewesen. Er war voll Rücksicht und Aufmerksamkeiten, und nichts geschah, was den Respekt gegen mich auch nur einen Augenblick verleugnet hätte. Seine Konversation war leicht und gefällig, mitunter übermütig, aber trotz dieses Anfluges von Übermut hört ich aus jedem Wort eine große Zuneigung heraus, ein Gefühl, das mir wohltat und mich beglückte. So waren seine Worte; so waren auch seine Briefe.«

»Laß die Briefe.«

»Du darfst mich nicht unterbrechen. Ich sage, so waren auch seine Briefe. Dann kam das kleine Diner, wo wir Rossow und die Baronin zu Tisch hatten, und von dem Augenblick an war er ein andrer. Die Hergänge jenes Tages können ihn nicht umgestimmt haben, aber unmittelbar danach müssen Dinge zu seiner Kenntnis gekommen sein, ich brauche dir nicht zu sagen, welche, die sein Auftreten und seinen Ton veränderten.«

»Erbärmlich. Eine Infamie.«

»Nein, Pierre.«

»Gut. Weiter.«

»Ich empfand auf der Stelle diese Veränderung und wies in einem Gespräche, darin ich mich ihm offen gab und zugleich Scherz und Ernst zu mischen suchte, darauf hin, daß er diesen veränderten Ton nicht anschlagen dürfe, weder als Mann von Ehre noch als Mann von Welt, und ich hatte den Eindruck, daß er mir selber zustimmte. Wenigstens entsprach dem sein unmittelbares Tun. Er verabschiedete sich in ein paar Zeilen und verließ Berlin. Erst gestern ist er zurückgekehrt. Das andre weißt du. Du mußt es als einen Anfall nehmen.«

»Ich versteh, als einen Anfall von Eifersucht. In der Tat, er geriert sich, als ob er legitimste Rechte geltend zu machen hätte; Prätension über Prätension. Aber, mein Herr von Gordon, Sie sind in der falschen Rolle.«

Dabei schoß sein Auge heftige Blicke, denn er war an seiner empfindlichsten, wenn nicht an seiner einzig empfindlichen Stelle getroffen, in seinem Stolz. Nicht das Liebesabenteuer als solches weckte seinen Groll gegen Gordon, sondern der Gedanke, daß die Furcht vor ihm, dem Manne der Determiniertheiten, nicht abschreckender gewirkt hatte. Gefürchtet zu sein, einzuschüchtern, die Superiorität, die der Mut gibt, in jedem Augenblicke fühlbar zu machen, das war recht eigentlich seine Passion. Und dieser Durchschnitts-Gordon, dieser verflossene preußische Pionier-Lieutenant, dieser Kabelmann und internationale Drahtzieher, der hatte geglaubt, über ihn weg sein Spiel spielen zu können. Dieser Anmaßliche…

Cécile las in seiner Seele, und Angst und Sorge vor dem, was jetzt mutmaßlich kommen mußte, befiel sie. Sie nahm deshalb seine Hand, mit der er auf dem Tischtuch in nervöser Unruhe hin und her fuhr, und sagte: »Pierre, versprich mir eins.«

»Was?«

»… Dich nicht zu Gewaltsamkeiten fortreißen zu lassen. Alles, was geschehen ist, ist natürlich und, weil natürlich, auch verzeihlich. Es ist keine Beleidigung darin, wenigstens keine gewollte Beleidigung.«

»Ich werde nicht mehr tun als nötig, aber auch nicht weniger. An dieser Zusage mußt du dir genügen lassen.«

Bei diesen Worten erhob er sich von seinem Platze, ging in sein Arbeitszimmer und nahm hier, wie wenn er vorhabe, sich's bequem zu machen, zunächst eine Zigarre. Dann schritt er ein paarmal auf dem türkischen Teppich auf und ab, setzte sich an seinen Schreibtisch und malte langsam und mit sorglicher Handschrift die Adresse: »Sr. Hochwohlgeboren, Herrn von Leslie-Gordon… «

»Aber wo?« unterbrach er sich, während er auf einen Augenblick die Feder wieder aus der Hand legte. »Nun, er wird sich ja finden lassen… Wozu haben wir Zeitungen und die Rubrik ›Angekommene Fremde‹. Unterschlagen wird er sich doch nicht haben.«

Und nun schob er das Couvert zurück, nahm einen Briefbogen mit Wappen und Initiale und schrieb.

»Über den Doppelbesuch, den Sie, mein Herr von Gordon, gestern abend der Frau von St. Arnaud erst in der Loge, dann in der Wohnung derselben abgestattet haben, bin ich unterrichtet worden, übrigens nicht durch Frau v. St. Arnaud selbst, die vielmehr - wie mir gestattet sein mag, in pflichtschuldiger Berücksichtigung Ihrer Gefühle hinzuzusetzen - in einem eben mit mir gehabten Gespräche nicht Ihre Anklägerin, sondern Ihre Verteidigerin gemacht hat. Aber gerade diese Verteidigung richtet Sie. Daß Sie, mein Herr von Gordon, unmittelbar vor Ihrer Abreise von Berlin, einen Ton angeschlagen und ein Spiel gespielt haben, das Sie besser nicht gespielt hätten, verzeih ich Ihnen. Ich finde mich darin zurecht, denn ich kenne die Welt. Daß Sie dies Spiel aber trotz Abmahnung und Bitte wiederholten, und vor allem, wie Sie's wiederholten, das, mein Herr von Gordon, ist unverzeihlich. Frau von St. Arnaud, als sie rückhaltlos ihr Herz vor Ihnen offenbarte, begab sich dadurch in Ihren Schutz, und einer Frau diesen Schutz zu versagen ist unritterlich und ehrlos. Dies habe ich Ihnen, mein Herr v. Gordon, aussprechen wollen und gewärtige durch General v. Rossow das Weitere.

v. St. Arnaud«

Kapitel Sechs­und­achtzig

Gordon saß in dem Glaspavillon des Hotels, als St. Arnauds Brief eintraf. Er las und verzog keine Miene. Daß sich etwas der Art vorbereiten würde, war ihm von dem Augenblick an wahrscheinlich, wo der Geheimrat, um in den Club zu gehen, den Salon Céciles verlassen hatte. Das Wahrscheinliche war nun da. Nichts von Furcht überkam ihn, und wenn etwas davon ihn angewandelt hätte, so würd ihn der unendlich hochmütige Ton des Briefes dieser Anwandlung rasch wieder entrissen haben. War er doch selber ein Trotzkopf und von einem Selbstgefühle, das dem seines Gegners unter Umständen die Spitze bieten konnte. »Gemach, mein Herr Oberst; Sie halten nicht vor Ihrer Front, und ich bin nicht Ihr jüngster Lieutenant. Oder glauben Sie, daß ich devotest um Entschuldigung bitten und mich vor Ihnen klein machen soll, bloß weil Sie das Totschießen als Geschäft betreiben. Sie täuschen sich. Ich hab auch eine feste Hand und den ersten Schuß dazu, wenn die Gesetze der Ehre noch dieselben sind. Der Ehre. Was sich nicht alles so nennt! Nun, sei's drum … Aber wen schick ich an Rossow? Ich werde nach der Villa hinausfahren… Der Bruder der jungen Frau… «

 

Die Dinge regelten sich in der Tat innerhalb weniger Stunden, und weil beiden Parteien daran lag, allerlei Weiterungen und Hemmnisse vermieden zu sehen, wie sie nicht wohl ausbleiben konnten, wenn Cécile davon erfuhr, so kam man überein, an demselben Abende noch den Dresdner Schnellzug benutzen und am andern Morgen, in einem in der Nähe des Großen Gartens gelegenen Wäldchen, den Handel ausfechten zu wollen.

Cécile, so gut sie St. Arnauds ungestümen Charakter kannte, gewärtigte keinen unmittelbaren Zusammenstoß und war deshalb nur verstimmt, aber nicht eigentlich geängstigt, als sie den andern Morgen hörte, der Oberst, dessen Unregelmäßigkeiten sie kannte, sei tags vorher nicht nach Hause gekommen.

»Er ist der Mann der Exzentrizitäten. Was wird vorgekommen sein? Ein Sport, eine Clublaune, vielleicht ein Wettritt neben dem Eisenbahnzuge her. Und dann Nachtquartier in einer Dorfschenke mit der Devise: ›Je schlechter, je besser.‹«

Sie nahm ein Buch zur Hand und versuchte zu lesen. Aber es ging nicht, und als auch ein Gespräch mit dem Papagei versagte, zog sie sich in ihr Schlafzimmer zurück, um hier früher als sonst Toilette zu machen.

»Ich will zu Rosa. Freilich am Ende der Welt. Aber seit Wochen hab ich ihr einen Besuch versprochen, und ich sehne mich nach einem guten Menschen.«

In ihrem Schlafzimmer war ein eleganter Kamin, vor dem die Jungfer sich eben beschäftigte. Diese warf Kohlen und Tannäpfel auf und suchte mit einem kleinen Blasebalg das halb ausgegangene Feuer wieder anzufachen.

»Ah, das ist gut, Marie. Mach es uns warm: ich friere. Du könntest mir noch den Shawl bringen.«

Während dieser Worte ging draußen die Klingel, und Cécile hörte, wie des Obersten Diener ein längeres Gespräch hatte.

»Sieh, was es ist.«

Marie ging und kam mit einem Briefe zurück, der eben abgegeben war. Er trug nur die Aufschrift: »Frau von St. Arnaud, Hafenplatz 7a.« Und Cécile sah, daß es Gordons Handschrift war.

»Geh, Marie… nein, bleib.«

Und mit zitternder Hand riß sie das Couvert auf und las.

»Verzeihung, gnädigste Frau, Verzeihung, liebe Freundin. Ich hatte wohl unrecht, nein, ich hatte gewiß unrecht. Aber der Sinn war mir gestört, und so kam es, wie es kam. Ein berühmter Weiser, ich weiß nicht, alter oder neuer Zeit, soll einmal gesagt haben, ›wir glaubten und vertrauten nicht genug, und das sei der Quell all unsres Unglücks und Elends‹. Und ich fühle jetzt, daß er recht hat. Ich hätte, statt Zweifel zu hegen und Eifersucht großzuziehen, Ihnen vertrauen und der Stimme meines Herzens rückhaltslos gehorchen sollen. Daß ich es unterließ, ist meine Schuld. Ich werde Sie nicht wiedersehen,nie, was auch kommen mag. Sehen Sie mich allezeit so, wie ich war, ehe die Trübung kam. Immer der Ihre. Wieder ganz der Ihre.

v. G.«

Das Blatt entglitt ihrer Hand, und ein heftiges Schluchzen folgte.

Marie sprang herzu, ließ die halb Ohnmächtige in den Fauteuil nieder und griff nach dem Kölnischen Wasser, das auf dem Kaminsims stand. Aber Cécile richtete sich mit Anstrengung wieder auf und sagte: »Laß. Es geht vorüber. Weißt du, Marie … Herr von Gordon … «

»Jesus Maria, gnädige Frau… «

»Da. Lies. Das sind seine letzten Worte.«

Und die Jungfer bückte sich nach dem auf den Kaminteppich gefallenen Brief, um ihn Cécile zurückzugeben. Aber diese schüttelte nur den Kopf und sagte, während sie nach der Konsoluhr zeigte: »Merk die Minute … Er ist erschossen … jetzt

Kapitel Sieben­und­achtzig

Am andern Morgen brachten alle Zeitungen folgende gleichlautende Notiz:

»Wie wir aus Dresden erfahren, hat gestern um neun Uhr früh, in Nähe des Großen Gartens, ein Duell zwischen dem Obersten a. D. von St. Arnaud und dem früher ebenfalls der preußischen Armee zugehörigen Zivilingenieur von Leslie-Gordon stattgefunden. Herr von Leslie-Gordon fiel, während von St. Arnaud nur leicht an der linken Seite verwundet wurde. Herr von Gordon wird, einer letztwilligen Verfügung entsprechend, nach Liegnitz, wo zwei seiner Schwestern leben, übergeführt werden. Herr von St. Arnaud hat Sachsen unmittelbar nach dem Rencontre verlassen. Über die Veranlassung zu dem Duell verlautet nichts Bestimmtes, da die Sekundanten jede Auskunft verweigern.«

Vier Tage danach traf unter der Adresse der Frau von St. Arnaud nachstehender Brief in Berlin ein:

» Mentone, den 4. Dezember

Meine liebe Cécile! Was geschehen ist, wirst Du mittlerweile durch Rossow erfahren haben, und über meinen persönlichen Verbleib gibt Dir der Poststempel Auskunft. Ich habe hier im ›Hotel Bauer‹ (es findet sich überall dieser Name) Wohnung genommen und genieße der Ruhe nach all den Vorkommnissen und unruhigen Bewegungen der nun zurückliegenden Woche. Selbst von einer gewissen Herzensbewegung darf ich sprechen, zu der ich mich, Dirgegenüber, gern bekenne. Der Ausgang der Sache machte doch einen Eindruck auf mich, und so bot ich ihm die Hand zur Versöhnung. Aber er wies sie zurück. Eine Minute später war er nicht mehr.

Ich hoffe, daß Du das Geschehene nimmst, wie's genommen werden muß. ›Tu l'as voulu, George Dandin.‹ Sein Benehmen war ein Affront gegen Dich und mich, und er hätte mich besser kennen müssen. Übrigens bin ich seinem Mute Gerechtigkeit schuldig und mehr noch seiner unsentimentalen Entschlossenheit, die mir beinah imponiert hat. Denn erwollte mich treffen, und seine Kugel, die mir die Rippen streifte, ging nur zwei Finger breit zu weit rechts. Sonst war ich da, wo er jetzt ist. Daß Du mit ein paar Herzensfasern an ihm hingst, weiß ich und war mir recht - eine junge Frau braucht dergleichen. Aber nimm das Ganze nicht tragischer als nötig, die Welt ist kein Treibhaus für überzarte Gefühle.

Daß ich mich den Langweiligkeiten einer abermaligen Prozessierung entzogen habe, wirst Du natürlich finden. Ich werde mit nächstem sechzig und fühle keinen Beruf in mir, abermals ein Jahr lang (oder vielleicht noch länger) um den Julius-Turm spazierenzugehen. So zog ich denn die Riviera vor.

Empfiehl mich Rossow. Er hat sich in der ganzen Affaire brillant benommen und teilte nach seinen Verhandlungen mit Gordon ganz meine Meinung über diesen. Gordon täuschte durch glatte Formen; anfangs auch mich. Im Grunde seines Herzens war er hochmütig und eingebildet, wie die meisten dieser Herren. Er überschätzte sich, weil ihm das Weltfahren zu Kopfe gestiegen war, und mißachtete die gesellschaftlichen Scheidungen, die wir, diesseits des großen Wassers, vorläufig wenigstens noch haben.

Wenn Deine Gesundheit es zuläßt, erwart ich Dich spätestens in nächster Woche. Die Luft hier ist entzückend, keine Spur von Winter, alles noch in Blüte oder schon wieder in Blüte. Komm also. Der Pflicht der Abschiedsbesuche sind wir ja Gott sei Dank überhoben; jede Situation hat ihre Meriten. Im übrigen wird es gut sein, wenn Dich Marie begleitet, die hier, was ihr den Abschied von Fritz vielleicht erleichtert, das Katholische näher und bequemer hat als in Berlin. Au revoir,

Dein St. Arnaud«

Drei Tage nach Eintreffen dieses Briefes richtete der Hofprediger Dörffel das folgende Schreiben an den Obersten von St. Arnaud:

»Mein Herr Oberst. Es liegt mir die Pflicht ob, Sie von dem am 4. dieses erfolgten Ableben Ihrer Gemahlin in Kenntnis zu setzen und mich dabei der mir seitens derselben gewordenen schriftlichen Aufträge zu entledigen.

Ich bitte, zunächst chronologisch berichten zu dürfen.

Ihre Frau Gemahlin war schwer leidend seit dem Tage, wo die Zeitungsnachricht eintraf; sie wollte niemand sehen, folgte widerwillig den Anordnungen des Arztes und sah von den Bekannten nur Fräulein Rosa und mich. Ich sprach täglich vor, in der Regel in den Mittagsstunden. Vorgestern, bei meinem Erscheinen, fand ich die Jungfer in Tränen und erfuhr, die gnädige Frau sei tot.

Als ich in das Zimmer trat, sah ich, was geschehen.

Frau v. St. Arnaud lag auf dem Sofa, ein Batisttuch über Kinn und Mund. Es war mir nicht zweifelhaft, auf welche Weise sie sich den Tod gegeben; ihre Linke hielt das kleine Kreuz mit dem Christuskopf, das sie beständig trug. Der Ausdruck ihrer Züge war der Ausdruck derer, die dieser Zeitlichkeit müde sind. Auf dem Tisch neben ihr lag ihr Gebetbuch, in das sie, zusammengeknifft und nach Art eines Lesezeichens, einen an mich adressierten Brief gelegt hatte. Dieser Brief, das Beichtgeheimnis eines demütigen Herzens, ist mir unendlich wertvoll, weshalb ich bitte, den Inhalt desselben Ihnen, mein Herr Oberst, nur abschriftlich und nur in seinem sachlichen Teile mitteilen zu dürfen. Es heißt in diesem Letzten Willen:

›Ich wünsche nach Cyrillenort übergeführt und auf dem dortigen Gemeindekirchhofe, zur Linken der fürstlichen Grabkapelle, beigesetzt zu werden. Ich will der Stelle wenigstens nahe sein, wo die ruhen, die in reichem Maße mir dasgaben, was mir die Welt verweigerte: Liebe und Freundschaft und um der Liebe willen auch Achtung… Vornehmheit und Herzensgüte sind nicht alles, aber sie sind viel.

Mein Vermögen erhält meine Mutter, mein Gut St. Arnaud. Nach seinem Tode fällt es an die fürstliche Familie zurück.

Über die Dinge, die mich täglich umgaben, bitt ich St. Arnaud, Verfügung treffen zu wollen, und bestimme meinerseits nur noch, daß die Konsoluhr und der türkische Shawl an Marie, das Gebetbuch mit den Aquarellinitialen an Rosa, das Opalkreuz aber, das mir beistehen soll bis zuletzt, an Sie, mein väterlicher Freund, fallen soll. Ihre hundertfach erprobte Milde wird nicht Anstoß daran nehmen, daß es ein katholisches Kreuz ist, und auch daran nicht, daß ich, eine Konvertitin, meine letzten Gebete an eben dies Kreuz und aus einem katholischen Herzen heraus gerichtet habe. Jede Kirche hat reiche Gaben, und auch der Ihrigen verdank ich viel; die aber, darin ich geboren und großgezogen wurde, macht uns das Sterben leichter und bettet uns sanfter.‹

So, mein Herr Oberst, die Bestimmungen der gnädigen Frau, denen ich meinerseits nur noch hinzuzufügen habe, daß in Gemäßheit derselben verfahren werden und heute nacht noch und zwar von mir persönlich begleitet, der Kondukt nach Cyrillenort stattfinden wird. Dort werden wir die Tote morgen um die zehnte Stunde zur Ruhe bestatten. Die Vorbereitungen dazu sind bereits getroffen.

Der Friede Gottes aber, der über alle Vernunft ist, sei mit uns allen.«