50 Meisterwerke Musst Du Lesen, Bevor Du Stirbst: Vol. 2

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Raamat ei ole teie piirkonnas saadaval
Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

In den langen Stunden des Stillschweigens gab sie sich gar seltsamen Träumereien hin. Ihre Tage in dem Gemüsegarten verbringend, von aller Welt getrennt, wuchs sie in Widerspenstigkeit heran und bildete sich Meinungen, die die braven Leute des Vorortes gar sehr erschreckt haben würden. Vornehmlich beschäftigte sie das Schicksal ihres Vaters. Sie erinnerte sich aller schlimmen Worte Justins und nahm schließlich die Mordbeschuldigung als wahr hin, indem sie sich sagte, ihr Vater habe recht gehandelt, den Gendarm zu töten, der ihn töten wollte. Sie kannte die wahre Begebenheit aus dem Munde eines Erdarbeiters, der im Jas-Meiffren gearbeitet hatte. Seit jenem Augenblicke wandte sie nicht einmal den Kopf mehr um, wenn bei einem ihrer seltenen Ausgänge ein Gassenjunge in der Vorstadt ihr nachschrie:

Seht da, die Chantegreil!

Mit zusammengekniffenen Lippen und wütenden Blicken beschleunigte sie dann ihre Schritte. Wenn sie heimgekehrt das Torgitter hinter sich geschlossen hatte, warf sie einen einzigen und langen Blick auf die Bande der Gassenjungen. Sie wäre schlecht geworden, sie wäre zur grausamen Wildheit der Parias herabgesunken, wenn nicht zuweilen ihre ganze Kindheit in ihr Herz wieder eingekehrt wäre. Ihre elf Jahre warfen sie in kindliche Schwächen zurück, die sie trösteten. Dann weinte sie; sie schämte sich ihrer selbst und ihres Vaters. Sie verbarg sich in einem Stalle, wo sie nach Herzenslust weinen konnte, weil sie begriff, daß sie noch mehr gequält würde, wenn man sie weinen sähe. Und wenn sie genug geweint hatte, wusch sie sich in der Küche die Augen aus und nahm wieder ihre ruhige, stille Miene an. Nicht bloß ihr Interesse war es, was sie antrieb, sich zu verbergen; sie trieb den Stolz ihrer frühreifen Kräfte so weit, daß sie nicht mehr ein Kind scheinen wollte. Wenn dies so fortging, drohte mit der Zeit ihr ganzes Wesen zu verbittern. Glücklicherweise ward sie gerettet, weil sie die Zärtlichkeit ihrer liebevollen Natur wiederfand.

Im Hofe des Hauses, das Tante Dide und Silvère bewohnten, stand ein Brunnen, der auch von den Bewohnern des Jas-Meiffren benutzt wurde. Die Mauer teilte ihn. Ehe der Krautgarten der Fouque mit der großen Nachbarbesitzung vereinigt wurde, benützten die Gärtner täglich diesen Brunnen. Seitdem der Grund aber verkauft war, kamen die Leute nur selten mehr hierher, weil sie im Jas-Meiffren große Wasserbassins hatten und weil der Brunnen von den gemeinsamen Wohnungen auch zu weit entfernt lag. Jenseits der Mauer jedoch hörte man jeden Morgen den Brunnenschwengel kreischen; Silvère schöpfte für Tante Dide das im Hauhalte notwendige Wasser.

Eines Tages brach der Brunnenschwengel. Der junge Stellmacher zimmerte aus Eichenholz einen neuen und hängte ihn am Abend ein, als er von seinem Tagewerk heimgekehrt war. Zu diesem Behufe mußte er auf die Mauer steigen. Als er die Arbeit getan hatte, blieb er rittlings auf der Mauer sitzen, um auszuruhen, und betrachtete neugierig die weite Ausdehnung des Jas-Meiffren. Endlich blieben seine Blicke auf einer Bäuerin haften, die wenige Schritte von ihm entfernt Unkraut jätete. Man war im Juli und die Luft war schwül, obgleich die Sonne schon zur Rüste ging. Die Bäuerin hatte ihre Jacke abgelegt. Im weißen Mieder, mit einem buntfarbigen Tuche um die Schultern, die Hemdärmel bis zu den Ellenbogen aufgestreift, hockte sie in den Falten ihres Rockes von blauem Wollstoff, der von zwei rückwärts gekreuzten Schulterbändern festgehalten ward. Sie bewegte sich auf den Knien fort und jätete fleißig das Unkraut aus, das sie in einem Korb warf. Der junge Mensch sah nur ihre entblößten, von der Sonne gebräunten Arme, die bald rechts, bald links sich ausstreckten, um einen vergessenen Grashalm zu pflücken. Mit Wohlgefallen folgte er diesen hastigen Handbewegungen der Bäuerin, und es bereitete ihm ein Vergnügen, diese Arme so fest und so flink zu sehen. Sie hatte sich leicht aufgerichtet, als sie ihn nicht mehr arbeiten hörte, und hatte gleich wieder das Haupt gesenkt, noch ehe er ihre Züge hatte unterscheiden können. Diese scheue Bewegung fesselte seine Aufmerksamkeit. Er fragte sich, wer dieses Frauenzimmer sein könne und pfiff ein Liedchen vor sich hin, wobei er mit seinem Schnitzmesser den Takt schlug. Da entfiel ihm plötzlich das Schnitzmesser. Das Werkzeug fiel auf der Seite des Jas-Meiffren nieder, auf den Brunnenkranz und von da zu Boden. Silvère neigte sich hinab, um mit den Augen das Messer zu suchen, zögerte aber hinabzusteigen. Doch es schien, als beobachte die junge Bäuerin ihn von der Seite, denn sie erhob sich wortlos, nahm das Schnitzmesser und reichte es Silvère. Dieser konnte jetzt sehen, daß die Bäuerin noch ein Kind war. Er war überrascht und ein wenig eingeschüchtert. Im roten Lichte der Abendsonne erhob sich das Mädchen zu ihm. Die Mauer war an dieser Stelle niedrig, aber noch immer zu hoch für sie. Silvère beugte sich nieder, das Kind stellte sich auf die Fußspitzen. Sie sprachen nichts, sahen einander nur mit verlegenem Lächeln an. Der junge Mensch wünschte im stillen, das Kind möchte länger in dieser Stellung verbleiben. Sie erhob ein schönes Haupt zu ihm mit großen Augen und einem frischen Munde und alles dies setzte ihn in Erstaunen und bewegte ihn ganz seltsam. Noch niemals hatte er ein Mädchen in solcher Nähe gesehen; er wußte nicht, daß ein Mund und zwei Augen so lieblich zum Anschauen sein könnten. Alles schien ihm einen unbekannten Reiz zu haben, das bunte Tuch, das weiße Mieder, der Rock von blauem Wollstoff, von Achselbändern festgehalten, die bei der Bewegung der Schultern sich spannten. Sein Blick glitt den Arm entlang, der ihm das Schnitzmesser reichte. Bis zum Ellenbogen war der Arm wie mit goldbrauner Farbe belegt; aber weiter hinauf, im Schatten des aufgestreiften Hemdärmels, bemerkte Silvère eine nackte Rundung, so weiß wie Milch. Er ward verwirrt, neigte sich noch weiter hinab und griff endlich nach dem Schnitzmesser. Jetzt ward auch das Bauernmädchen verlegen. So verblieben sie, immer lächelnd, das Kind unten, das Antlitz aufwärts gekehrt, der junge Mensch halb sitzend, halb auf dem Mauerkamm hegend. Sie wußten nicht, wie sie sich trennen sollten. Sie hatten noch kein Wort gewechselt. Silvère hatte sogar vergessen zu danken.

Wie heißt du? fragte er endlich.

Marie, erwiderte das Bauernmädchen; aber alle Welt nennt mich Miette.

Sie erhob sich ein wenig und fragte mit heller Stimme:

Und du?

Ich heiße Silvère, erwiderte der junge Arbeiter.

Es entstand ein kurzes Stillschweigen, als wollten sie an dem Wohlklang ihrer Namen sich ergötzen.

Ich bin fünfzehn Jahre alt, begann Silvère endlich wieder. Und du?

Ich werde zu Allerheiligen elf Jahre alt, erwiderte Miette.

Der junge Arbeiter machte eine Bewegung der Überraschung.

Ach, das ist nicht übel! sagte er dann lachend. Ich hatte dich für ein Weib gehalten! Du hast ja dicke Arme!…

Nun lachte auch sie, indem sie ihre Arme betrachtete. Dann sprachen sie gar nichts mehr. Sie schauten einander noch eine Weile lächelnd an und da Silvère ihr nichts mehr zu sagen zu haben schien, ging Miette einfach weiter und machte sich wieder an das Unkraut jäten, ohne aufzuschauen. Silvère blieb noch einen Augenblick auf der Mauer. Die Sonne ging zur Neige, ein breites Feld von schrägen Strahlen ergoß sich über die gelben Beete des Jas-Meiffren; das Gartenland lag in einem feurigen Lichte da; man war versucht zu glauben, daß ein Brand sich am Boden hinwälze. Silvère betrachtete die inmitten dieses lodernden Feldes hockende kleine Bäuerin, deren nackte Arme ihr hurtiges Werk wieder aufgenommen hatten; ihr Rock von blauem Wollstoffe nahm eine weiße Färbung an und Streiflichter glitten über ihre gebräunten Arme hin. Schließlich fühlte Silvère eine Art Scham darüber, daß er noch immer da sitze, und stieg von der Mauer herunter.

Silvère, der sein Abenteuer nicht vergessen konnte, befragte am Abend die Tante Dide. Vielleicht würde sie Bescheid wissen über diese Miette, die so schwarze Augen und frische Lippen hatte. Allein, Tante Dide hatte, seitdem sie das Häuschen in der Sackgasse bewohnte, keinen Blick mehr jenseits der Mauer des kleinen Hofes geworfen. Diese Mauer war gleichsam ein unübersteiglicher Wall, die ihre Vergangenheit abschloß. Sie wußte nicht, sie wollte nicht wissen, was jetzt jenseits dieser Mauer war, in dem alten Krautgarten der Familie Foucque, wo sie ihre Liebe, ihr Herz und ihren Leib eingegraben hatte. Bei den ersten Fragen Silvères betrachtete sie diesen mit einem fast kindlichen Schrecken. Wollte etwa auch er die Asche ihrer erloschenen Tage aufrühren und ihr Tränen erpressen, wie ihr Sohn Antoine?

Ich weiß nicht, erwiderte sie hastig, ich gehe nicht mehr aus und sehe niemanden …

Silvère erwartete den folgenden Tag mit einiger Ungeduld. Kaum in der Werkstatt seines Meisters angekommen, lenkte er bei seinen Kameraden des Gespräch auf den Gegenstand, der ihn beschäftigte. Er sagte nichts von seiner kurzen Begegnung mit Miette; er sprach nur in unbestimmten Ausdrücken von einem Mädchen, das er aus der Ferne im Jas-Meiffren gesehen hatte.

Ei, das ist die Chantegreil! rief einer der Arbeiter aus.

Und ohne daß Silvère es nötig gehabt hätte, sie zu befragen, erzählten ihm die Arbeiter die Geschichte des Wildschützen Chantegreil und seiner Tochter Miette mit dem blinden Hasse der großen Menge gegen die Parias der Gesellschaft. Besonders von dem Kinde redeten sie in einer unflätigen Weise; die Schmach der Tochter des Galeerensträflings kam ihnen immer wieder auf die Lippen wie eine Sache, gegen die es nichts zu erwidern gebe und die das liebe, unschuldige Kind für immer mit Schande bedecke.

Der Stellmacher Bian, ein braver und würdiger Mann, hieß sie endlich schweigen.

Still, ihr bösen Mäuler! rief er, eine Deichsel aus der Hand legend, die er eben besichtigt hatte. Schämt ihr euch nicht, ein Kind so hart zu verlästern? Ich habe die Kleine gesehen, sie hat ein sehr ehrbares Aussehen. Auch hat man mir erzählt, daß sie sehr fleißig sei und die Arbeit einer Dreißigjährigen verrichte. Es gibt hier Nichtstuer, die lange nicht so viel taugen wie sie. Ich wünsche ihr für später einen tüchtigen Ehemann, der all der schlimmen Nachrede ein Ende macht.

 

Silvère, den die Scherze und plumpen Schmähungen der Arbeiter erstarrt hatten, fühlte, wie ihm bei den letzteren Worten Vians die Tränen in die Augen traten. Übrigens öffnete er den Mund nicht. Er nahm seinen Hammer wieder zur Hand, den er weggelegt hatte, und begann mit aller Kraft auf das Rad loszuhauen, das er bereifte.

Am Abend aus der Werkstätte heimgekehrt, beeilte er sich, die Mauer zu erklimmen. Er fand Miette bei der gestrigen Arbeit. Er rief sie an und sie kam zu ihm mit ihrem verlegenen Lächeln, mit der liebenswürdigen Scheu eines Kindes, das unter Tränen aufgewachsen.

Du bist die Chantegreil, nicht wahr? fragte er sie geradeheraus.

Sie wich zurück; das Lächeln erstarb auf ihren Lippen; ihre Augen verdunkelten sich und nahmen einen Ausdruck von Trotz und Härte an. Will dieser Bursche sie beschimpfen wie die anderen? Sie wandte den Rücken, ohne zu antworten, als Silvère, betroffen von dem plötzlichen Wechsel in ihrem Antlitze, sich beeilte hinzuzufügen:

Bleib, ich bitte dich! Ich will dich nicht kränken … Ich habe dir so vieles zu sagen.

Sie kam zögernd zurück. Silvère, dessen Herz voll war und der den Vorsatz gefaßt hatte, es sich zu erleichtern, war jetzt stumm; er wußte nicht, wo er anfangen sollte, und fürchtete, eine neue Ungeschicklichkeit zu begehen. Endlich legte er sein ganzes Herz in einen Satz.

Willst du, daß ich dein Freund sei? fragte er mit bewegter Stimme.

Und da Miette ganz überrascht ihre jetzt wieder feuchten und lächelnden Augen zu ihm erhob, fuhr er lebhaft fort:

Ich weiß, daß man dir Kränkungen zufügt. Das muß aufhören. Ich werde dich von heute ab verteidigen. Willst du?

Das Kind strahlte vor Freude. Diese Freundschaft, die sich ihr darbot, verscheuchte alle ihre bösen, gehässigen Träume. Sie schüttelte den Kopf und erwiderte:

Nein, ich will nicht, daß du dich für mich prügelst. Du hättest zu viel zu tun. Und dann gibt es Leute, gegen die du mich nicht verteidigen kannst.

Silvère wollte ausrufen, daß er sie gegen die ganze Welt verteidigen werde; allein sie schloß ihm mit einer schmeichlerischen Gebärde den Mund und fügte hinzu:

Es genügt, daß du mein Freund seist.

Dann plauderten sie mit gedämpfter Stimme einige Minuten. Miette erzählte Silvère von ihrem Oheim und von ihrem Vetter. Für nichts in der Welt hätte sie mögen, daß sie ihn da rittlings auf der Mauer sitzen sähen. Justin wäre unerbittlich, wenn er eine Waffe gegen sie hätte. Sie lieh ihrer Angst und Furcht mit einem Schrecken Ausdruck, wie ein Schulmädchen, das eine Freundin getroffen, deren Umgang die Mutter ihr verboten hat. Silvère begriff von alle dem nur so viel, daß es ihm nicht leicht sein werde, Miette zu sehen. Das machte ihn sehr traurig. Indes versprach er ihr, nicht wieder auf die Mauer zu steigen. Sie waren beide damit beschäftigt, ein Mittel ausfindig zu machen, um sich wiederzusehen, als Miette ihn bat, sich zu entfernen. Sie hatte Justin bemerkt, der, quer über den Gartengrund kommend, seine Schritte nach der Brunnenseite lenkte. Silvère beeilte sich, die Mauer zu verlassen. Als er sich in dem kleinen Hofe befand, blieb er am Fuße der Mauer stehen und spitzte die Ohren, innerlich verdrossen über seine Flucht. Nach einigen Minuten wagte er, die Mauer von neuem zu erklimmen und einen Blick nach dem Jas-Meiffren zu werfen. Er sah Justin mit Miette sprechen und zog gleich wieder den Kopf zurück. Am folgenden Tage sah er seine Freundin nicht, selbst aus der Ferne nicht; sie schien in diesem Teile des Jas ihre Arbeit beendet zu haben. So vergingen acht Tage, ohne daß die beiden Gefährten Gelegenheit gefunden hätten, ein Wort auszutauschen. Silvère war trostlos und dachte schon daran, geradeswegs zu den Rébufat zu gehen und nach ihr zu fragen.

Der gemeinschaftliche Brunnen war ein großer, mäßig tiefer Brunnen. Zu beiden Seiten der Mauer lagen die Randsteine in breitem Halbkreise vor. Das Wasser stand in einer Tiefe von drei bis vier Metern. Dieses stille Wasser widerspiegelte die beiden Öffnungen des Brunnens, zwei Halbmonde, die der Schatten der Mauer wie ein schwarzer Strich trennte. Neigte man sich über den Brunnen, so hätte man glauben mögen, in dem unbestimmten Tageslichte zwei Spiegel von seltsamer Klarheit und eigenartigem Glänze zu sehen. An sonnenhellen Tagen, wenn nicht die von den Strängen herabfallenden Tropfen die Oberfläche des Wassers trübten, hoben diese Spiegel des Himmels sich weiß und schimmernd von dem grünen Wasser ab, mit einer Seltsamen Genauigkeit die Blätter der Efeustaude abzeichnend, die oberhalb des Brunnens aus der Mauer hervorgebrochen war. Als eines Morgens Silvère die Tante Dide mit Wasser versorgte und sich ein wenig hinabbückte, um den Strick zu ergreifen, bebte er zusammen und blieb unbeweglich in seiner gebeugten Haltung stehen. Er hatte auf dem Wasserspiegel des Brunnens das Haupt eines Mädchens zu erkennen geglaubt, das ihn lächelnd betrachtete; aber schon hatte er den Brunnenstrang geschüttelt und das hierdurch in Bewegung gebrachte Wasser bot nur mehr einen trüben Spiegel, in dem sich nichts mehr klar abzeichnete. Er wartete, bis das Wasser wieder ruhig würde; regungslos, mit stürmisch pochendem Herzen stand er da. In dem Maße, wie die Ringe des Wassers sich erweiterten und verloren, sah er auch das Bild wieder auf der Fläche erscheinen. Es schwankte lange in der Wellenbewegung des Wassers, die den Zügen des Kindes einen seltsam gespenstischen Reiz verliehen. Endlich zeichnete es sich fest und ruhig ab. Es war das lächelnde Gesicht Miettens mit ihrer Büste, ihrem bunten Tuche, ihrem weißen Mieder, ihren blauen Achselbändern. Jetzt bemerkte Silvère auch sein eigenes Bild in dem anderen Spiegel. Da jetzt beide wußten, daß sie sich sahen, grüßten sie sich mit Kopfnicken. Im ersten Augenblicke dachten sie nicht daran, einander anzusprechen. Doch nach einer Weile sagte das Mädchen:

Guten Tag, Silvère!

Guten Tag, Miette!

Der sonderbare Klang ihrer Stimme setzte sie in Erstaunen. Diese Stimmen klangen in dem feuchten Loche seltsam dumpf und weich. Es schien ihnen, als kämen diese Stimmen aus weiter Ferne, mit dem leichten, singenden Tonfall der Stimmen, die man des Abends auf freiem Felde hört. Sie begriffen, daß sie nur ganz leise zu sprechen brauchten, um einander zu hören. Der Brunnen gab den leisesten Hauch wieder. Über den Randstein gebeugt und ihre Bilder im Brunnen betrachtend, begannen sie zu plaudern. Miette erzählte, wieviel Kummer sie seit acht Tagen gehabt habe. Sie arbeite jetzt am andern Ende des Jas und könne nur am frühen Morgen abkommen. Bei diesen Worten machte sie ein verdrossenes Mäulchen, das Silvère genau sehen konnte und mit einem gereizten Kopfschütteln beantwortete. Sie machten sich gegenseitig ihre Bekenntnisse, als ob sie einander gegenüber stünden, mit den Gebärden und Gesichtsausdrücken, die die gesprochenen Worte eben erheischten. Die Mauer, die sie trennte, kümmerte sie wenig, da sie sich jetzt in dieser verschwiegenen Tiefe sehen konnten.

Ich wußte, fuhr Miette mit pfiffiger Miene fort, daß du jeden Morgen zur nämlichen Stunde Wasser schöpfest. Ich höre von unserer Wohnung aus die Brunnenstange kreischen. Da ersann ich einen Vor wand: ich behauptete, daß das Wasser dieses Brunnens dem Wachstum der Gemüse zuträglicher sei. Ich dachte mir, ich würde jeden Morgen zur selben Stunde wie du hier Wasser schöpfen und dir so guten Morgen sagen können, ohne einen Verdacht zu erwecken.

Sie lachte vergnügt, wie um sich für ihre List zu belohnen und fügte hinzu:

Aber ich konnte nicht denken, daß wir uns im Wasser sehen würden.

In der Tat entzückte sie diese unverhoffte Freude. Sie sprachen nur, um die Bewegung ihrer Lippen zu sehen, so sehr ergötzte dieses neue Spiel ihren kindlichen Sinn. So versprachen sie einander in allen Tonarten, daß sie bei diesem Stelldichein am frühen Morgen niemals fehlen würden. Als Miette erklärt hatte, daß sie nunmehr gehen müsse, sagte sie zu Silvère, daß er jetzt seinen Wassereimer in die Höhe ziehen könne. Allein Silvère wagte nicht, den Strick zu berühren; Miette stand noch immer über den Brunnenkranz gebeugt; er sah ihr lächelndes Antlitz und konnte es nicht über sich bringen, dieses Lächeln zu zerstören. Als er den Eimer leise in Bewegung brachte, geriet auch das Wasser in zitternde Bewegung und Miettens Lächeln verblaßte. Von einer seltsamen Angst ergriffen hielt er inne; er bildete sich ein, daß er sie gekränkt habe und daß sie nun weine. Doch das Kind rief ihm zu: »Geh, geh doch!« mit einem Lachen, das der Widerhall noch länger und heller in seine Ohren dringen ließ. Da ließ sie selbst geräuschvoll einen Eimer hinab. Es gab ein wahres Gewitter im Brunnen; alles verschwand unter dem dunklen Wasser. Jetzt erst entschloß sich Silvère, seine beiden Krüge zu füllen, wobei er den Schritten Miettens lauschte, die jenseits der Mauer sich entfernte.

Seit jenem Tage unterließen es die beiden Kinder nicht ein einziges Mal, bei dem Stelldichein zu erscheinen. Das stille Wasser, diese weißen Spiegel, wo sie ihr Bild betrachteten, verliehen ihren Zusammenkünften einen unendlichen Reiz, der ihrer tändelnden, kindlichen Einbildungskraft lange Zeit genügte. Sie hatten kein Verlangen, sich von Angesicht zu Angesicht zu sehen; es schien ihnen viel ergötzlicher, einen Brunnen zum Spiegel zu wählen und ihren Morgengruß seinem Echo anzuvertrauen. Bald kannten sie den Brunnen wie einen alten Freund. Es war ihnen eine Freude, sich über die schwere, unbewegliche Fläche zu beugen, die flüssigem Silber glich. Im Brunnen unten sahen sie in dem geheimnisvollen Zwielichte grüne Lichter tanzen, die die feuchte Höhle in einen versteckten Winkel in der Tiefe eines Waldes zu verwandeln schienen. So sahen sie sich denn gewissermaßen in einem grünen, moosbelegten Neste inmitten von kühlem Wasser und schattigem Laub. Die ganze Fremdartigkeit dieser tiefen Quelle, dieses hohlen Turmes, über den sie – von einer seltsamen Macht angezogen – sich fröstelnd neigten, mengte in ihre Freude, sich zulächeln zu dürfen, eine uneingestandene und köstliche Angst. Es kam ihnen der tolle Einfall, sich auf die großen Steine zu setzen, die einige Zentimeter über dem Wasserspiegel eine Art Rundbank bildeten; da wollten sie ihre Füße ins Wasser stecken, stundenlang plaudern, ohne daß es jemandem einfiele, sie da zu suchen. Als sie sich fragten, was es da unten wohl geben möge, kehrte ihre unbestimmte Angst wieder und sie dachten, es sei schon genug, daß sie ihr Bild in die Tiefe sandten, in jene grünen Lichter, die die Steine so seltsam streiften, und in jene eigentümlichen Geräusche, die aus den dunkeln Winkeln aufstiegen. Besonders diese aus dem Unsichtbaren kommenden Geräusche beunruhigten sie; oft schien es ihnen, als würden auf ihre Stimmen andere Stimmen antworten; dann schwiegen sie und vernahmen tausend leise Klagen, die sie sich nicht erklären konnten; es war das dumpfe Walten der Feuchtigkeit, Seufzer der Lüfte, Wassertropfen, die auf die Steine glitten und deren Fall den tiefen Klang eines Schluchzens erzeugte. Um sich zu beruhigen, nickten sie einander freundlich mit dem Kopfe zu. Der Reiz, der sie so, auf die Randsteine gelehnt, festhielt, hatte denn auch seinen geheimen Schauder. Nichtsdestoweniger blieb der Brunnen ihr alter Freund. Er war ein so trefflicher Vorwand für ihre Begegnungen! Justin, der jedem Schritte Miettens nachspähte, fand niemals etwas Verdächtiges in der Hast, mit der das Mädchen am Morgen zum Brunnen eilte, um Wasser zu holen. Manchmal sah er aus der Ferne, wie sie sich überneigte und so verharrte, Oh, die Müßiggängerin! brummte er dann; sie vertreibt sich die Zeit damit, Ringe im Wasser zu machen! Wie hätte er vermuten können, daß jenseits der Mauer ein Freund war, der im Wasser das Lächeln des jungen Mädchens betrachtete und ihr sagte: Wenn dieser rohe Esel Justin dich schlecht behandelt, mußt du es nur mir sagen; dann soll er von mir hören!

Länger als einen Monat währte dieses Spiel. Man war im Juli. Schon am Morgen tauchte die Sonne die Landschaft in ein weißes Glühlicht, und es war eine Wonne, sich in diesen feuchten Winkel zu flüchten. Es tat wohl, den eisigen Hauch des Brunnens im Gesichte zu fühlen, sich im Wasser dieser Quelle zu lieben zu einer Stunde, da der Brand des Himmels sich entzündete. Miette kam über die Stoppelfelder atemlos dahergelaufen; im Laufe flatterten die Härchen an ihrer Stirne und ihren Schläfen; sie nahm sich kaum Zeit, ihren Krug niederzustellen, hochgerötet, mit losem Haupthaar, vom Lachen geschüttelt neigte sie sich über. Und Silvère, der fast immer zuerst zur Stelle war, hatte – wenn er sie mit ihrer heiteren und tollen Eile im Wasser erscheinen sah – das lebhafte Gefühl, das er empfunden haben würde, wenn sie sich plötzlich an einer Krümmung des Weges in seine Arme geworfen hätte. Rings um sie her sangen und klangen die Freuden des strahlenden Morgens; eine Flut glühenden Lichtes, vom hellen Summen der Käfer erfüllt, ergoß sich über die alte Mauer, die Pfeiler und die Randsteine. Doch sie sahen nicht mehr den Morgensonnenschein; sie hörten nicht die tausend Geräusche, die vom Erdboden aufstiegen. Sie waren in der Tiefe ihres grünen Verstecks, unter der Erde, in dem geheimnisvoll schaurigen Loche, wo sie sich dabei vergaßen, in fröstelnder Wonne sich der Kühle und des Zwielichtes zu freuen.

 

Miette, deren Temperament eine lange Betrachtung nicht ertrug, wurde manchmal mutwillig; sie schüttelte den Strick und ließ Wassertropfen hinabfallen, die auf den klaren Spiegeln Falten hervorriefen und die Bilder entstellten. Silvère bat sie dann, ruhig zu bleiben. Er, dessen Freundschaft mehr innerlich war, kannte kein lebhafteres Vergnügen, als das Antlitz seiner Freundin zu betrachten, das in der ganzen. Reinheit seiner Züge sich widerspiegelte. Aber sie hörte ihn nicht; sie trieb ihre Scherze weiter, sprach mit lauter Stimme, die das Echo im Brunnen mit einem seltsam rauhen Beiklang wiedergab.

Nein, nein, brummte sie; heute liebe ich dich nicht; heute will ich das Gesicht verziehen; schau, wie häßlich ich bin!

Und sie ergötzte sich an den seltsamen Formen, die ihre übermäßig breiten, auf dem Wasser tanzenden Gesichter annahmen.

Eines Morgens ward sie ernstlich böse. Sie fand Silvère nicht beim Stelldichein und wartete auf ihn fast eine Viertelstunde, während der sie wiederholt vergebens die Brunnenstange kreischen ließ. Schon war sie im Begriff, in verdrossener Stimmung sich zu entfernen, als er endlich ankam. Kaum hatte sie ihn erblickt, als sie in dem Brunnen ein wahres Ungewitter entfesselte; mit zorniger Hand schüttelte sie den Eimer; das schwärzliche Wasser schlug mit dumpfem Klatschen an die Steine. Vergebens erklärte ihr Silvère, daß Tante Dide ihn zurückgehalten habe. Auf alle seine Entschuldigungen erwiderte sie:

Du hast mich gekränkt; ich will dich nicht sehen.

Vergebens spähte der arme Junge in das dunkle Loch, wo es jetzt so stürmisch herging und wo an anderen Tagen das helle Gesicht seiner Freundin ihn auf dem Wasserspiegel erwartete. Er mußte gehen, ohne Miette zu sehen. Am folgenden Morgen war er vor der Stunde des Stelldicheins am Platze und schaute trübselig in den Brunnen; es war still, er hörte nichts und sagte sich, daß das schlimme Köpfchen vielleicht nicht erscheinen werde, als das Kind, das jenseits der Mauer auf sein Kommen gelauscht hatte, sich plötzlich überneigte und hell auflachte. Alles war vergessen.

So gab es zwischen ihnen Ernst und Scherz, wobei der Brunnen Mitschuldiger war. Diese glückselige Höhle mit ihren weißen Spiegeln und ihrem wohlklingenden Echo förderte ganz eigentümlich ihre Zuneigung. Sie verliehen dem Brunnen ein eigenartiges Leben, sie erfüllten ihn dermaßen mit ihrer jungen Liebe, daß noch lange nachher, als sie nicht mehr hierherkamen, um sich auf die Randsteine zu lehnen, Silvere jeden Morgen beim Wasserschöpfen Miettens lachendes Gesicht in dem Zwielichte zu sehen glaubte, in dem die Freuden, die sie hier genossen, noch nachzuzittern schienen.

Dieser in froher Zärtlichkeit dahingehende Monat rettete Miette aus ihrer stummen Verzweiflung. Sie fühlte die liebevollen Regungen, die glückliche Sorglosigkeit des Kindes wieder erwachen, die die bittere Einsamkeit in ihr unterdrückt hatte. Die Gewißheit, daß sie von jemandem geliebt, daß sie nicht mehr allein in der Welt sei, machten ihr die Verfolgungen Justins und der Gassenjungen der Vorstadt erträglich. Es war jetzt in ihrem Herzen ein Singen, das das Gejohle übertönte. Mit zärtlichem Mitleide gedachte sie ihres Vaters; sie überließ sich nicht mehr so häufig ihren Träumen von unversöhnlicher Rache. Ihre erwachende Liebe war wie ein kühler Morgen, in dem sich ihre bösen Fieberanfälle milderten. Zugleich hatte sie einen schlauen Einfall, wie ihn nur ein verliebtes Mädchen haben kann. Sie sagte sich, daß sie ihre stumme und trotzige Haltung bewahren müsse, wenn sie wolle, daß Justin keinen Argwohn fasse. Allein, wenn dieser Bursche sie jetzt kränkte, behielt sie trotz aller Anstrengungen den sanften Ausdruck ihrer Augen; sie fand nicht mehr den finstern und harten Blick von ehemals. Er hörte sie auch manchmal am Morgen beim Frühstück ein Liedchen summen.

Ei, bist du aber aufgeräumt, Chantegreil! sagte er mißtrauisch und beobachtete sie mit seiner scheelen Miene. Ich wette, du hast irgendeinen schlimmen Streich verübt.

Sie zuckte mit den Schultern, aber schrak innerlich zusammen und entschloß sich dann schnell, die Rolle einer empörten Märtyrerin zu spielen. Obgleich er übrigens die geheimen Freuden seines Opfers witterte, mußte Justin lange forschen, bis er erfuhr, in welcher Weise sie ihm entkommen war.

Silvère genoß seinerseits ein inniges Glück. Seine täglichen Zusammenkünfte mit Miette genügten, um die leeren Stunden auszufüllen, die er in der Behausung verbrachte. Sein einsames Leben, sein langes, stillschweigendes Alleinsein mit Tante Dide: sie dienten ihm dazu, daß er eine um die andere die Erinnerungen vom Morgen neu durchlebte, sie in allen Einzelheiten nochmals genoß. Er hatten seither eine Fülle von Empfindungen, die ihn noch mehr in dem klösterlichen Leben festhielt, das er sich neben seiner Großmutter eingerichtet hatte. Er liebte die versteckten Winkel, die Einsamkeiten, wo er ungestört mit seinen Gedanken leben konnte. Zu jener Zeit hatte er sich gierig in das Lesen all der zerfetzten Bücher versenkt, die er bei den Vorstadttrödlern fand und die ihn zu einer seltsamen Ansicht über die gesellschaftlichen Einrichtungen führten. Die schlecht verdaute Belehrung, der es an einer festen Grundlage fehlte, weckte in ihm über die Welt und besonders über die Frauen Regungen der Eitelkeit und der glühenden Wollust, die seinen Geist seltsam hätten verwirren müssen, wenn sein Herz ungestillt geblieben wäre. Da kam Miette, und er nahm sie anfänglich als Gespielin, später als die Freude und den Ehrgeiz seines Lebens. Wenn er am Abend in dem Gelaß, wo er schlief, die Lampe am Kopfende seiner Lagerstätte aufgehängt hatte, fand er Miettens Bild wieder auf jeder Seite des verstaubten Buches, das er auf Geratewohl von dem Brette, das über seinem Haupte angebracht war, herabgelangt hatte, und das er mit Inbrunst las. Wenn in seinen Büchern von einem Mädchen, von einem guten und schönen Geschöpfe die Rede war, setzte er sein Lieb an dessen Stelle. Dann brachte er sich selbst auf die Szene. Las er eine romantische Geschichte, so heiratete er zum Schluß Miette, oder starb vereint mit ihr. Las er hingegen ein politisches Spottgedicht oder eine ernste Abhandlung über Sozialökonomie – und er zog diese Bücher den Romanen vor infolge der seltsamen Vorliebe der Halbgebildeten für die schwierige Lektüre – fand er auch die Möglichkeit, sie mit den tödlich langweiligen Dingen, die er selbst kaum verstand, in Verbindung zu bringen. Er glaubte so die Art und Weise zu lernen, wie er gut und liebevoll zu ihr sein müsse, wenn sie einmal Mann und Weib wären. So mengte er sie in seine Träumereien. Durch diese reine Liebe gefeit gegen die unflätigen Darstellungen gewisser Geschichten aus dem vorigen Jahrhundert, die ihm in die Hände kamen, gefiel er sich hauptsächlich darin, sich mit ihr in jene menschenfreundlichen Träume zu versenken, die manche große Geister unserer Tage, für den Wahn des allgemeinen Glückes schwärmend, geträumt haben. In seinen Vorstellungen war Miette notwendig zur Abschaffung der allgemeinen Verarmung und zum endgültigen Siege der Revolution. Die Nächte vergingen mit fieberhaftem Lesen, während dessen sein angespannter Geist sich von dem Bande nicht losmachen konnte, den er zwanzigmal weglegte und wieder an sich nahm; es waren Nächte voll wollüstiger Aufregung, die er bis zum dämmernden Morgen genoß wie einen verbotenen Rausch, körperlich eingeschlossen zwischen den Mauern dieses engen Kämmerchens, der Blick getrübt durch die gelbe, schwache Flamme der Lampe, sich freudig dem Unbehagen der Schlaflosigkeit aussetzend, Entwürfe einer neuen Gesellschaftsordnung schmiedend, die unsinnig waren in ihrer Großmut – Entwürfe, in denen das Weib immer mit den Zügen Miettens von allen Nationen auf den Knien angebetet wurde. Durch gewisse ererbte Einflüsse war er vorzugsweise veranlagt zu solchen Schwärmereien, die nervösen Störungen seiner Großmutter wurden bei ihm zu steter Begeisterung für alles Großartige und Unmögliche. Seine einsame Kindheit, seine Halbbildung hatten die Neigungen seiner Natur seltsam entwickelt. Aber er war noch nicht in dem Alter, wo die fixe Idee ihren Nagel in das Gehirn eines Menschen treibt. Wenn er am Morgen seinen Kopf mit einem Kübel Wasser abgekühlt hatte, erinnerte er sich nur mehr verworren der Gespenster seiner schlaflosen Nacht und bewahrte von diesen Träumen nur eine gewisse Scheu voll einfachen Glaubens und unaussprechlicher Liebe. Er ward wieder zum Kinde und lief zum Brunnen mit dem einzigen Verlangen, das Lächeln seines Schatzes wiederzufinden, die Freuden des strahlenden Morgens wieder zu genießen. Und wenn im Laufe des Tages Gedanken an die Zukunft ihn träumerisch machten oder plötzliche Regungen ihm dazu drängten, küßte er die Tante Dide auf beide Wangen, die ihm dann in die Augen blickte mit einer gewissen Unruhe darüber, daß sie diese so hell und so tief sah in einer Freude, die sie zu erkennen glaubte.