Loe raamatut: «Mörderjagd in Mecklenbeck», lehekülg 2

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GASSI GEHEN MIT ANNA

Die Altenpflegerin Anna Halina Grabowska hatte mit ihren neunundzwanzig Jahren bereits einiges erlebt. Das meiste war eher unschön. Sie war das einzige Kind ihrer Mutter, die sie in einem kleinen polnischen Dorf unehelich zur Welt brachte. In den ländlichen Regionen dieses streng katholischen Landes, in denen sonntags die Kirchen voller waren als die Wirtshäuser, wurde dies als ein besonderer Makel angesehen. Ihren Vater hatte sie nie kennengelernt und ihre Mutter verstarb an Tuberkulose, bevor sie fünf Jahre alt war. Anna kam in das Waisenheim des nächstgrößeren Ortes Posen in Westpolen, welches von Nonnen nach dem straffen Reglement der Hohen Gesellschaft Christi geführt wurde. Ein Jahr später nahmen zwei ältere unverheiratete Schwestern, die entfernt mit ihrer Mutter verwandt waren und zusammenlebten, Anna auf. Sie hatte jetzt zwar ein Zuhause, aber Zuneigung, Wärme und Behütetsein erfuhr sie bei den beiden Jungfern ebenso wenig wie im Waisenhaus zuvor. Anna entwickelte sich zu einem hübschen Mädchen, dem allerdings Selbstvertrauen und Empathie fehlten. Mit sechszehn Jahren machte sie auf Drängen ihrer beiden Tanten eine Ausbildung zur Altenpflegerin. Das Kalkül der beiden älteren Damen war wohl, sich anschließend von Anna pflegen zu lassen. Anna hatte jedoch anderes vor. Sie verließ nach Beendigung ihrer Ausbildung sofort ihre Heimatstadt. Sie wollte weit weg von den Stätten ihrer unglückseligen Kindheit und ließ sich nach Deutschland vermitteln. Die ersten Jahre arbeitete sie in verschiedenen Städten in Brandenburg, dann wechselte sie ins Münsterland. Seit einem knappen Jahr war sie in der Seniorenresidenz fest angestellt.

Anna hatte eine besondere Liebe für die unterschiedlichsten Tierarten entwickelt. In Polen bei ihren Tanten versorgte sie eine Katze und einen Stallhasen, bis er zu ihrem Leidwesen geschlachtet wurde. Hunde nahmen bei ihr jenen Platz ein, auf den es keinen männlichen Anwärter gab. Vielleicht war dies den Enttäuschungen geschuldet, die sie in ihrer Kinder- und Jugendzeit von lieb- und freudlosen Zweibeinern erfahren hatte. Deswegen war sie mir immer sehr zugetan, wenn ich mit meinem Leinenhalter Gernots Mutter Christine im Altenheim besuchte und sie Dienst hatte. Intuitiv fand sie die richtige Stelle, um mich zu kraulen: am Ende des Rückens, direkt vor dem Schwanzansatz. Gernot hatte einige Jahre gebraucht, um diesen genussvollen Kraulpunkt bei mir zu entdecken und mich mit dem richtigen Druck zu massieren. Vor zwei Wochen, als wir dem Heim einen Besuch abstatteten, bemerkte sie beiläufig zu meinem Leinenhalter, dass sie mich gerne Gassi führen würde, wenn Gernot verhindert wäre. Mit dem Hinweis, er könne sie jederzeit anrufen, händigte sie ihm ihre Handynummer aus.

Am vergangenen Montag war es dann soweit. Gernot hatte kurzfristig einen geschäftlichen Termin bei seinem Verlag in Düsseldorf vereinbart, bei dem er mich aus mir unverständlichen Gründen nicht dabeihaben wollte. Eigentlich lasse ich ihn ungerne alleine. Schließlich bin ich für ihn verantwortlich und weiß nie, was er alleine so anstellt. Als er vor einigen Wochen ohne mich mit seinem alten Tiguan unterwegs war, fiel sein Navi aus und er fand die Zieladresse erst Stunden später. Mit meiner Spürnase wäre dies sicherlich nicht passiert.

Ein Spaziergang mit Anna versprach eine schöne Abwechslung zu werden. Sie würde vielleicht mehr als mein Leinenhalter auf meine Wünsche eingehen und mir größere leinenlose Freiheiten ermöglichen. Mein Zweibeiner rief kurzerhand Anna an. Sie hatte dienstfrei und er verabredete mit ihr, dass ich um 12 Uhr zu ihrer Wohnung in Mecklenbeck gebracht würde. Er könnte dann direkt zu seiner Verabredung nach Düsseldorf weiterfahren. Vorausgesetzt, sein Tiguan war mit dieser Planung einverstanden. Das äußere Erscheinungsbild dieses Fahrzeuges aus dem ersten Produktionsjahr dieses Modells ließ erahnen, dass dem Halter gelegentlich viel Toleranz abverlangt wurde. Sonne und Regen hatten den Lack matt werden lassen und kleinere Dellen sowie auffällige Rostflecken beleidigten die Augen von Freunden deutscher Wertarbeit. Die Kupplung besaß eine erstaunliche Klangvielfalt. Gelegentlich verweigerten die elektrischen Fensterheber ihren Dienst, was bei plötzlichem Regen für den Wagen zu einer ungesunden Pfützenbildung in seinem Inneren führte. Zumeist half jedoch ein gleichermaßen gefühlvolles wie kräftiges Klopfen gegen die Autotür, um die Fenster zu schließen. Der Wagen passte zu meinem Leinenhalter. Beide waren unberechenbar. Diesmal sprang der Wagen an, aber es gab eine andere Verzögerung. Unsere Nachbarin, Frau Strullkötter, lief heftig winkend zu unserem abfahrbereiten Fahrzeug. Frau Strullkötter war eine Person, die es verstand, das nachbarschaftliche Verhältnis spannend und abwechslungsreich zu gestalten. Gernot hielt sie für grenzwertig dement. Als gelernte Hausfrau wurde sie erst in fortgeschrittenem Alter als Krankenschwester diagnostiziert, bevor sie in den vorzeitigen Ruhestand trat. Mit melonenrot geschminkten Lippen und gestylten Haaren eilte sie auf uns zu. Gernot schaltete den Motor wieder aus, vermied es, das Fensterglas der Fahrertür einzufahren und stieg daher aus.

»Guten Tag, Frau Strullkötter, ist etwas passiert, kann ich ihnen helfen?«

»Natürlich ist etwas passiert«, rief sie sichtlich echauffiert. »Ihr Hund hat in meinen Vorgarten gekotet.«

»Das kann ich mir gar nicht …«,

»Kommen Sie mit, sehen Sie sich das an«, unterbrach sie meinen Leinenhalter. Sie lief auf den Rasen vor ihrem Haus und zeigte triumphierend auf eine Stelle. Erst bei näherem Hinsehen war ein armseliges Würstchen zu erkennen. »Mein Grundstück ist doch keine Hundetoilette. Sie müssen auf ihren Hund besser aufpassen«, schalt sie.

»Frau Strullkötter, das ist bestimmt nicht von Chaka, eher von einer kleinen Katze, einem Igel oder wohnt vielleicht eine Ratte auf ihrem Grundstück?« Bevor die Nachbarin etwas entgegnen konnte, holte Gernot einen stets griffbereiten Kotbeutel aus seiner Hosentasche, schlüpfte mit seiner rechten Hand in den Beutel und stülpte ihn über die winzige Notdurft.

»Wenn Chaka sich löst, ist der Beutel voller.« Aber da war Frau Strullkötter bereits auf dem Rückweg in ihr Haus.

Nach dieser kleinen Verzögerung standen wir dennoch pünktlich zur vereinbarten Zeit an der von Anna angegebenen Adresse. Es war ein Reihenhaus in der Walter-Stricker-Straße, nur wenige Meter vom Altenheim entfernt. Sie wohnte dort offensichtlich in einer Dachgeschosswohnung. Wenige Sekunden nach Gernots Klingeln an Annas Haustür erschien sie in voller Montur für einen längeren Gassigang. In hohen Stiefeln, mit Windjacke und langem Schal war sie für alle Wetterkapriolen gerüstet. Die halblangen blonden Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Das Wichtigste, das ich wahrnahm, war jedoch ein appetitanregender Geruch, der aus ihrer Jackentasche strömte. Es konnte sich nur um frische Leckerlis aus Bio-Lammfleisch und Öko-Pute vom Feinkosthändler handeln, die nach der Ausbeulung der Jackentasche zu schließen in opulenter Menge vorhanden sein mussten. Der Spaziergang versprach also, eine kulinarische Erlebnisreise zu werden. Anna wählte hierzu das weitläufige Wiesengelände des nahegelegenen Sportparks der DJK Wacker Mecklenbeck. Das kannte ich schon durch gelegentliche Besuche mit meinem Leinenhalter, aber diesmal verlief der Rundgang anders. Ich durfte nicht, wie erhofft, frei herumstöbern, Spuren folgen, Gerüchen nachgehen und den vierundzwanzigsten Grashalm in Ruhe zum dritten Mal untersuchen. Anna hielt mich vielmehr fest angeleint an ihrer Seite. Die blöde Leine behinderte uns ungemein. Irgendwie schafften Anna und ich es nicht, uns auf ein gemeinsames Tempo zu einigen. Zudem nutzte sie wie ein sonntäglicher Stadtspaziergänger ausschließlich die gepflegten Parkwege, die die frisch geputzten Stiefel nicht beschmutzen sollten.

Mit sichtbarem Stolz nahm sie die Blicke der anderen Zweibeiner auf, die uns begegneten. Sie schmolz förmlich dahin, wenn sie von entgegenkommenden Passanten Bemerkungen wie »Das ist aber ein schöner Hund« hörte oder Kinder zu ihren Müttern riefen: »Mama, so einen Hund möchte ich auch haben.« Mir gefiel das natürlich auch. So ungefähr müssen sich Models auf dem Laufsteg fühlen, dachte ich mir. Uns kamen einige ältere Leute entgegen, die mir nicht besonders kräftig erschienen, aber dennoch in der Lage waren, einen seltsamen Rollwagen vor sich her zu schieben. Es handelte sich um Bewohner der Meckmannsresidenz, von denen Anna die meisten kannte und höflich grüßte.

Vor dem Abzweig zur Sporthalle überholten wir Omnibus, den greisen Mischling, der stets zehn Meter hinter seinem Herrchen, Staatsanwalt Klagehorst, her trottete. Dieser spazierte langsam mit gesenktem Kopf, immerzu die große Herausforderung vor Augen, Recht und Unrecht zu trennen wie Öl und Wasser.

Zuweilen begegneten uns Jogger, die rhythmisch Atemwölkchen in die kühle Luft stießen und ein unterdrücktes Verfolgungsjucken durch meine Pfoten jagten. Wenn mein Leinenhalter mein gesittetes Verhalten an der Leine gesehen hätte, wäre er sehr verwundert gewesen. Aber es gab dafür einen Grund: den Inhalt in Annas Jackentasche. Unablässig sorgte ihre rechte Hand für Leckerli-Nachschub, während sie mit säuselnder Stimme auf mich einredete. Manchmal verstand ich ihre Worte nicht. ‚Moja księżniczka‘ zum Beispiel. Bei dem zärtlichen Klang in ihrer Stimme dürfte es wohl nichts Schlimmes gewesen sein. Die fortlaufende Wegzehrung ließ mich meine vierbeinigen Freunde Jumper und Einstein vergessen, die mich ansonsten oftmals begleiteten. Jumper mit Herrchen Peter wochentags am Aasee und Einstein mit Frauchen Jule, mit der mein Leinenhalter liiert war, am Wochenende. Wenn ich den beiden Artgenossen von diesem Spaziergang mit Anna erzählen würde, dann bekämen die vor Neid Haarausfall.

Irgendwann war Annas Jackentasche leer und mein Magen voll. Zudem wurde ich träge und sehnte mich nach einem Nickerchen. Da traf es sich ganz gut, dass der Rundgang beendet war und wir zum Ausgangspunkt, zu Annas Wohnungstür, zurückgekommen waren. Ihre Zweizimmer-Wohnung war klein und natürlich nicht hundegerecht. Es gab kein Hundekörbchen und keinen Napf. Dafür war der gesamte Wohnraum mit einem behaglichen Teppich ausgestattet, auf dem sich, in Ermangelung von ausreichenden Regalen, unzählige Bücher und Zeitschriften wie vor einem Umzug stapelten. Einige Titel der Publikationen waren für mich unverständlich, egal, von welcher Seite ich versuchte, sie zu lesen. Es musste sich wohl um polnische Exemplare handeln. Bei der deutschsprachigen Lektüre war die Palette breit gefächert. Neben belletristischen Erzeugnissen fielen mir Sprachführer sowie Sachbücher über katholische Nonnenklöster und Tiere auf. Auch ein Band über Ridgebacks war dabei.

Im Gegensatz zum vollgestellten Boden bildeten weiße Wände, die bar jeglichen Bildschmucks waren, einen harten Kontrast. Dort gab es für den Besucher nichts zu entdecken. Umso interessanter war es für mich, die Ecken und Nischen in der kleinen Wohnung zu untersuchen. Das Wohnzimmer mit durchgesessener Stoffcouch, zerkratztem Glastisch und Holzsideboard aus dritter Hand, das Schlafzimmer mit den bunten Bezügen des niedrigen Bettes – lagen die Matratzen gar auf dem Boden? –, die spärliche Miniküche und der briefmarkengroße Balkon, der einen befreienden Ausblick ins Grüne bot. Die Wohnung sah aus, als wenn Anna erst kürzlich eingezogen und noch nicht dazu gekommen wäre, ihr neues Zuhause wohnlich einzurichten. Es roch bei ihr nach Jasmin-Tee und bedrucktem Papier. Artgenossen von mir waren noch nicht hier gewesen. Aber es gab einen weiteren, sehr eigenartigen Geruch, der mir völlig fremd war. Eine Mischung aus Lakritz und faulem Holz. Er ging von einem Glaskasten aus, der seitwärts zu einem kleinen Schreibtisch auf einem halbhohen Schrank stand. Seltsam, erkennen konnte ich in dem Kasten nichts, er stand zu hoch. Meine Aufmerksamkeit wurde zudem von einem wohlbekannten Geräusch abgelenkt. Anna hatte einen Plastikbeutel aufgerissen und prompt stieg mir ein vielversprechender Geruch in die Nase, der eine leckere Zwischenmahlzeit versprach: Truthahn mit viel Soße, serviert auf einem tiefen weißen Porzellanteller auf einer Handtuchunterlage. Dem kann selbst ein gesättigter Hund nicht widerstehen. Es fehlte nur noch ein zweiter mit Primitivo gefüllter Napf. Am besten die Sorte, deren abgerundeter Geschmack nach Pflaumen, Nougat, saftigen Feigen und mediterranen Kräutern perfekt zum Fressen passen würde. Aber auch ohne diese flüssige Delikatesse war es dann soweit. Die Augenlider senkten sich gleichmäßig wie elektrisch betriebene Rollos. Ein Verdauungsschläfchen drohte mich zu überwältigen, und ich hatte nicht vor, mich dagegen zu wehren. Von jetzt auf gleich war ich eingeschlafen und träumte von weiteren zahlreichen Spaziergängen mit Anna, die einen Rollwagen, wie ihn die alten Leute nutzten, vor sich herschob, um die Beutel mit verschiedenen Spezialitätenleckerlis zu transportieren und mir unablässig zuzuwerfen. Als Gernot mich am frühen Abend abholte, hoffte ich auf einen baldigen erneuten Besuch bei Anna. Dann würde ich vielleicht auch das Geheimnis um den rätselhaften Glaskasten lüften können.

KOCHABEND

Der Diamantring kann doch nicht einfach verschwinden«, stellte Klaus kopfschüttelnd fest und sammelte mit der Gabel die letzten Risottoreste auf seinem Teller ein.

»Wenn ihr das gesamte Zimmer auf den Kopf gestellt habt, müsste er ja aufgetaucht sein.«

Der ihm gegenübersitzende Peter nickte zustimmend und sprach das aus, woran Klaus dachte.

»Vielleicht wurde der Ring gestohlen!«

Gernot hatte seine beiden Freunde Klaus und Peter zum turnusmäßigen gemeinsamen Kochen eingeladen. Seit über zwei Jahren pflegten die drei Junggesellen diese liebgewordene Tradition. Alle drei Wochen trafen sie sich bei einem der Zweibeiner zum Schlemmen. Jumper und ich waren stets gerne mit dabei. Die Essensreste fanden in uns dankbare Abnehmer. Einstein, der Mischling von Gernots Freundin Jule, leistete uns diesmal Gesellschaft. Jule, die bei einem örtlichen IT-Unternehmen arbeitete, war auf einem Seminar und Einstein war daher an diesem Donnerstagmorgen für ein paar Tage zu uns gekommen. Einstein war übrigens der hübscheste und klügste Hund, den ich kannte. Der große Physiker, der zufällig genauso hieß, durfte froh sein, solch einen renommierten Namen zu tragen. Einstein konnte sogar das wahrnehmen, was jemand nicht sagen wollte oder zu verbergen trachtete. Er hörte die Worte zwischen den Buchstaben. Ich mochte den vierbeinigen Einstein nicht nur wegen seiner Intelligenz, sondern auch wegen seiner charmanten Art, seiner braunen Augen und seines ehrlichen Charakters. Offen gestanden war ich total verliebt in ihn. Im vergangenen Sommer war er zusammen mit Jule und einer ihrer Freundinnen gepilgert und hatte die beiden auf dem Jakobsweg nach Santiago de Campostella begleitet. Seitdem pflegte er ein neues Hobby: Bibelzitate, die er bei allen ihm passend erscheinenden Situationen rezitierte und oftmals eigenwillig auslegte.

»Suchet und ihr werdet finden, Matthäus 7,7, zweiter Satz«, kommentierte Einstein Peters Meinung über den verschwundenen Ring von Gernots Mutter.

Klaus, der Anfang des Jahres zum Professor für Physik an der Uni Münster berufen wurde, hatte übrigens auch einen Vierbeiner, allerdings von einer völlig anderen Fraktion: eine Katze! Nicht auszudenken, wenn er die mitbringen würde. Dann gäbe es für uns Fellpopos sogar eine Extraportion Frischfleisch.

Nachdem unsere Hobbyköche schon bei der Vorspeise in Stammtischmanier die dringendsten Probleme der Menschheit gelöst und beim Hauptgang, Risotto mit Garnelen, Jakobsmuscheln und Weißburgunder, über die Niederungen der Hundehaltung palavert hatten, widmeten sie sich der Nachspeise.

»Das Blaubeer-Trifle schmeckt wieder köstlich«, schwärmte Peter. »Hoffentlich haben wir genug davon da«, sorgte er sich.

»Ich denke, Du willst abnehmen«, foppte Gernot ihn und schaute auf seinen Bauch, der eingeklemmt zwischen Stuhl und Tischkante den Raum ausfüllte.

»Also, daran habe ich natürlich auch schon gedacht«, nahm Gernot den ursprünglichen Gesprächsfaden wieder auf. »Der Ring könnte vom Heimpersonal gestohlen worden sein. Da kämen viele Personen in Betracht, schließlich ist das Zimmer meiner Mutter nicht abgeschlossen.«

»Hast Du denn einen bestimmten Verdacht?«, fragte Peter und trank den letzten Schluck Weißwein aus seinem Glas.

»Nicht wirklich«, antwortete Gernot. »Sie hat eine Pflegerin und einen Pfleger, die sich hauptsächlich um sie kümmern. Aber die werden wohl nicht so dreist sein, sie zu bestehlen. Ich tippe eher auf jemand anderen aus dem Heim, dem sich einfach die Gelegenheit bot, den Ring an sich zu nehmen. Meine Mutter ist seit einigen Monaten auch zunehmend tüttelig und würde es einem Langfinger ziemlich einfach machen. Jedenfalls ist sie nach dem Verlust des Ringes so richtig durch den Wind.«

»Wenn der Ring wertvoll ist und deiner Mutter so viel bedeutet, dann hefte doch eine Notiz ans Schwarze Brett im Heim und lobe eine ordentliche Belohnung für den Finder aus«, schlug Peter vor und überlegte gleichzeitig, ob sein Kalorienhaushalt einen weiteren Dessertnachschlag vertragen würde.

Wir Vierbeiner bekamen den Rest Risotto und jeder eine Garnele. Gernot goss uns sogar etwas Wein, ungefähr ein Fingerhutvolumen, in den Napf. Die Aromen umarmten einander wie ein frisch verliebtes Paar. Unverständlicherweise ließ Einstein diese Zugabe unberührt. Er war in Sachen Alkohol Abstinenzler. Manchmal ist Einstein wirklich ein schwacher Hund, der der Versuchung nachgibt, sich eines Genusses zu versagen.

»Oder du kaufst einen ähnlich aussehenden Ring im Internet. Vielleicht merkt deine Mutter den Unterschied gar nicht und ihre Welt ist wieder in Ordnung«, schlug Klaus vor.

Die Zweibeiner entwickelten mit zunehmendem Grappagenuss, den Gernot als Digestiv reichte, weitere nicht allzu ernst zu nehmende Vorschläge zum Wiederauffinden des Ringes. Meine Freunde und ich mussten uns das alles von unserem Liegeplatz aus anhören. Männer, die in fortgeschrittener Weinlaune labern, sind noch schlimmer als Frauen, die Florian Silbereisen Unterwäsche auf die Bühne werfen.

Neben dem Heizkörper auf dem Boden liegend, konzentrierten wir uns auf den Austausch unserer Erlebnisse. Jumper und Einstein erzählte ich von Anna, die Gernots Mutter pflegte und sich so viel Zeit für den Gassigang mit mir genommen hatte. Zeit ist für einen Hund die wertvollste Währung. Anna schien eine reiche Frau zu sein. Zudem war sie die Besitzerin eines unerschöpflichen Leckerlivorrats.

In Jumpers Kopf kullerte der Rotwein, als er mit offenen Augen träumte: »Mein Peter kann Gernot doch auf der nächsten Fahrt nach Düsseldorf begleiten, dann kommen wir alle zu Anna und fressen uns die Bäuche voll.«

»Lasst zuerst die Kinder satt werden; denn es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den Hunden vorzuwerfen, Markus 7,27«, erwiderte der stocknüchterne Einstein ernst.

»Nein, nein«, entgegnete ich mit entspannter Miene. »Anna hat keine Kinder, wir bräuchten mit niemandem zu teilen.«

Einen Moment malten wir uns in unserer Fantasie eine nimmer endende Fressorgie aus, bis mir wieder dieser seltsame Glaskasten in ihrer Wohnung einfiel. Ich erzählte meinen beiden Freunden davon und fragte:

»Habt ihr eine Ahnung, wozu so etwas gut sein kann?«

»Soso«, überlegte Einstein laut, legte seine Stirn in Falten und kaute intensiv auf seinem Golfball, was bei ihm immer ein Zeichen für angespanntes Nachdenken war. »Ein Glaskasten wie ein Aquarium, aber ohne Wasser und Fische.«

»Ja«, bestätigte ich, »nur mit Luft gefüllt. Ob etwas auf dem Boden lag, konnte ich allerdings nicht erkennen. Der Kasten stand einfach zu hoch.«

Jumper, noch im Fressmodus gefangen, meinte: »Vielleicht eine große Vorratskiste aus Glas, damit man immer sieht, wie viele Leckerlis noch da sind.«

Einstein sah den gerade aus der Pubertät entwachsenen Jumper mit Nachsicht an und sagte: »In Sprüche 10,3 heißt es: ‚Jahwe lässt keinen verhungern, der gottgefällig lebt, doch die Gier der Gottlosen stößt er zurück

Tasuta katkend on lõppenud.