General Franco

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Das natürlich entfremdete ihm den Sinn der „Weißen" mehr und mehr, aber nicht einmal eine Klage darüber durften sie laut werden lassen, denn überall hatte der kleine, mißtrauische General seine vortrefflich bezahlten Spione, und wehe dem Unglücklichen, der ihm gegründete Ursache zu Verdacht gab - er war rettungslos verloren und einem Kriegs- /16/gericht verfallen, das nur ans der unmittelbaren Umgebung des Generals selber bestand und eigentlich nichts als den Willen und Befehl des Dictators repräsentirte.

Viele Officiere bereuten deshalb jetzt den Schritt, der sie der Franco'schen Armee einverleibt hatte und sogar zwang, gegen ihre eigenen Quitener Freunde feindlich aufzutreten, aber - er war einmal geschehen und für jetzt wenigstens kein Rücktritt für sie möglich. Nur ein Ansuchen um Entlassung würde die schwersten und unberechenbarsten Folgen für sie gehabt haben, denn eine Anklage auf Hochverrath gegen sie wäre keincnfalls ausgeblieben.

In Furcht und Gehorsam hielt sie Franco damit - das ist wahr, aber ihre Zuneigung konnte er damit nicht gewinnen. Doch die verlangte er auch nicht. Sobald sie nur seinen Befehlen gehorchten, kümmerte ihn das Andere wenig genug, und in seinen aufgebauten Luftschlössern sah er sich schon, von seinen treuen Schaaren umgeben, im Palast von Quito, der ganzen reichen Republik Gesetze dictirend und indessen in den dort aufgehäuften und confiscirten Schätzen schwelgend. Er glaubte schon nicht einmal mehr an eine Schlacht, sondern da er Bodegas so leicht und ohne Blutvergießen genommen hatte, nur an einen Siegeszug durch das ganze Reich, der ihn mit leichter Mühe zum gefürchteten und mächtigen Präsidenten der Republik machte.

Bis dahin schien auch wirklich Alles zusammengetroffen zu sein, um seine kühnsten Pläne zu begünstigen und ihnen den Stempel des unbedingten Erfolgs aufzudrücken. Mit der Hülfe des peruanischen Präsidenten Castilla im Rücken, dessen Kriegsdampfer sogar vor Guajaquil lagen, von einer zahllosen Schaar von Stcllenjägcrn, die bei solchen Revolutionen nie fehlen, sondern sie meist Hervorrufen, umlagert und unterstützt, das meist aus Mulatten und Negern, aber durchschnittlich aus Gesindel bestehende Heer durch Aussicht auf Plünderung begeistert, schien in der That nichts seinen Siegeszug hemmen oder seiner rohen Willkür Einhalt thun zu können - nicht einmal seine Officiere.

Desto empörter waren aber deshalb gerade die besseren /17/ - unter ihnen durch den nutzlosen Blutdurst des kleinen Ungeheuers, das sich jetzt wieder ein neues Opfer ausersehen hatte, um dem gehaßten Quito seine Macht fühlen zu lassen, und wäre ihnen Zeit genug geblieben, wer weiß, ob nicht schon jetzt ein verzweifelter Widerstand sie vereinigt hätte. So aber drängte sich das ganze Ereigniß in wenige Stunden zusammen, eine Besprechung wurde zur Unmöglichkeit, und nur der Officier, dem die specielle Ueberwachung des Verurtheilten übertragen worden, sann einen kecken Plan aus, dem Gefangenen zu helfen und dem Usurpator das schon sicher geglaubte Opfer zu entziehen, ohne sich selber der Rache desselben preis zu geben. - Natürlich konnte dabei nichts mit Gewalt geschehen, nur allein die List mußte ihnen helfen.

José Fortunato war aber nicht der Mann, einen einmal gefaßten Plan wieder so rasch aufzugeben, und da ihn der Zufall noch so weit begünstigte, einen ihm gleichgesinnten Freund zugetheilt zu bekommen, lag ihm nur die Schwierigkeit ob, den dritten Kameraden sich ebenfalls geneigt zu machen, denn Villegas, der junge Officier und ebenfalls ein Quitener, oder doch aus der Nachbarstadt Jbarra stammend, haßte den Mulattengeneral wohl eben so viel wie sie, aber kannte auch dessen Macht und Grausamkeit, und zeigte anfangs nicht die geringste Lust, die Rache und den Zorn desselben auf sein eigenes, bisher noch ungefährdetes Haupt zu ziehen. Es liegt überhaupt nicht in dem Charakter der Ecuadorianer, irgend etwas für einen Andern zu thun, wo nicht der eigene Nutzen mit im Spiele ist und das Wagniß wenigstens einigermaßen lohnen könnte.

Die Drei standen etwas abgesondert von den beiden wachthabenden Soldaten, einem Cholo oder Eingeborenen und einem Mulatten, und Fortunato hatte eben seine ganze Ueber- redungskunst aufgeboten, um den jungen Freund ihrer Sache zu gewinnen. Die Zeit drängte, und Franco konnte jeden Augenblick mit seinem Stabe erscheinen, ja hätte eigentlich schon lange aus dem Platze sein müssen, und dann war der Gefangene rettungslos verloren.

„Companeros," sagte da Villegas, indem er sehr bedenk-/18/lich mit dem Kopf schüttelte - „das ist ein ganz verzweifeltes Unternehmen. Sehen Sie die Banden da drüben? - ein einziger Wink Francos', und sie fallen mit derselben Wonne über uns her wie über jedes andere Schlachtopfer, das dieses kleine Ungeheuer ihnen bezeichnet. Wenn man uns« entdeckt!"-

„Aber es wird nicht entdeckt, Villegas," drängte Fortunato, „ich gebe Ihnen mein Wort, Alles, wobei ich betheiligt bin, sobald es nur nicht mich selber betrifft - glückt; artet- aber in das schmählichste Pech aus, sobald ich persönlich das geringste Interesse dabei habe. Das ist aber hier gerade nicht der Fall; ich kenne diesen jungen Espinoza gar nicht - habe ihn in meinem Leben nicht gesehen und weiß nur, daß er aus einer guten und achtbaren Familie stammt, und des ihm zur Last gelegten Verbrechens so wenig schuldig ist wie Sie und ich oder de Castro da."

„Aber es soll wirklich ein verkappter Spion gewesen sein," wandte Villegas noch einmal ein, vielleicht um sich selber glauben zu machen, daß er es mit einem Verbrecher zu thun habe, dessen Rettung er kein Opfer zu bringen brauche.

„Spion!" rief de Castro, „Espinoza ist so wenig Spion wie ich. Daß diese Erzkokette, diese Celita, ihr Netz nach ihm ausgeworfen und ihn gefangen hat, das ist sein Verbrechen. Das erbärmliche Geschöpf aber wendet den Tod des Unglücklichen, den sie selber dem Verderben geweiht, nicht einmal ab, sondern beginnt schon wieder ihr Spiel mit dem Mörder."

„Ist überhaupt eine liebe Familie, die Sippschaft Buscada, Mutter wie Töchter," sagte finster der Hauptmann Fortunato , „gnade Gott dem, der in ihre Schlingen fällt."

„Aber wie, im Namen aller Heiligen, können wir dem armen Teufel helfen?" frug Villegas wieder. „Das Todesurtheil ist gefällt, dort lagern die Vollzieher, hier liegt das Opfer gebunden, und sobald Franco eintrifft, was jeden Augenblick geschehen kann, dauert es keine fünf Minuten mehr, und die Hinrichtung ist vollzogen. Sollen wir ihn etwa um Gnade bitten?"

„Nein, Kamerad," erwiderte Fortunato, indem er den /19/ Blick vorsichtig umherschweifen ließ, „das wäre allerdings der verkehrte Weg und würde, wenn irgend etwas, gerade das Gegentheil von dem bezwecken, was wir zu erreichen wünschen. Aber wir haben einen andern Plan, und verlangen von Ihnen nicht einmal, daß Sie uns beistehen, sondern nur, daß Sie sich für kurze Zeit um nichts kümmern, was um Sie her vorgeht. Weniger kann man doch eigentlich kaum von seinem Verbündeten fordern!"

„Und darf ich nicht wissen, was Ihr vorhabt?"

„Sicher," lachte Fortunato, „denn daß Sie uns nicht verrathen, davon sind wir überzeugt. Sie werden dann aber auch selber einsehen, daß unser Plan so einfach wie gefahrlos ist. Von den neun Mann, die beordert wurden, den Verurteilten zu erschießen, sind glücklicher Weise acht aus meiner Compagnie und unterrichtet und gewonnen. Sie laden blind und werden Espinoza keinen Schaden thun. Nur der neunte ist ein von Franco selber angeworbener, frisch eingetretener Rekrut, den wir nicht wagen durften in das Geheimniß zu ziehen. Er war früher Bedienter bei dem General und Helfershelfer bei allen seinen liederlichen Streichen. Er würde uns augenblicklich an Franco verrathen."

„Und der wird ihn todtschießen," rief Villegas.

„Wir haben allen Grund zu vermuthen, daß sein Gewehr versagen könnte," meinte Fortunato mit einem Seitenblick auf de Castro. „Sollte das aber doch nicht der Fall sein, nun so muß Espinoza der Gefahr dieser einen Kugel trotzen, die indeß nicht übermäßig groß ist, denn der Bursche hat vor wenigen Tagen das erste Gewehr in die Hand bekommen und weiß noch nicht damit umzugehen."

„Und welcher Zweck wird so erreicht?" sagte Villegas achselzuckend. „Wenn er auf die erste Salve nicht fällt, beordert Franco - wie das schon oft geschehen ist - neue Schützen vor, und eine oder die andere Kugel trifft ihn endlich sicher."

„Dafür ist gesorgt," versetzte Fortunato. „Dem Gefangenen werde ich schon einen Wink geben: sowie die Schüsse fallen, brecht er zusammen. Mein Cholo, der jetzt dort bei ihm Wache steht, ist treu wie Gold und mir ergeben. Aus /20/ ihn können wir uns fest verlassen - nur des pockennarbigen Mulatten sind wir nicht sicher, aber der wird durch irgend einen gleichgültigen Auftrag entfernt. Ein Sarg steht schon im Gebüsch bereit, und haben wir ihn erst einmal da drin, ist er auch gerettet. Wer bekümmert sich denn noch nach einer Execution um einen Erschossenen und Gerichteten!"

„Aber deshalb gerade wird der Sarg auffallen," zweifelte Villegas, dem der Plan noch immer zu gewagt erschien, wenn er auch die Möglichkeit des Gelingens für sich hatte.

„Vielleicht ja," sagte de Castro ruhig. „Doch eine Entschuldigung dafür ist leicht gefunden. Sollte Franco, was ich kaum glaube, dennoch fragen, so sagt man ihm einfach, man habe den Sarg nur als Bahre hierher geschafft, um den Leichnam in den Fluß zu tragen und zu verhindern, daß die quitenisch Gesinnten ihm ein ehrlich Begräbniß geben, und das wird ihn sogar freuen."

„Stehen Sie uns bei, Kamerad," drängte nun auch Fortunato. „Die Wirthschaft mit dem Mulattengeneral kann ja nicht lange mehr dauern, und wer weiß, ob uns in späterer Zeit ein also gerettetes Leben nicht vielleicht das eigene erhalten mag. Der Krieg bringt wunderliche Wechsel."

„Gott weiß es," sagte Villegas mit dem Kopse nickend. „Wenn's aber fehlschlägt, sind wir sofort um unsere Hälse."

 

„Doch nicht ganz," entgegnete Fortunato. „Dort drüben stehen unsere Pferde fertig gesattelt und mit festgezogenen Gurten. Müssen wir daher fliehen, so bringt uns die nächste Legua schon in Feindes Land, wohin uns Franco's Burschen nicht folgen dürfen. Es ist ja ein Kamerad, den wir retten wollen."

„Aber ich erfahre noch immer nicht," schalt Villegas, „was ich dabei zu thun habe, und beim Himmel! dort wirbelt der Staub schon auf - dort kommt Franco, und es bleiben uns keine zehn Minuten Zeit mehr. - Weiß denn der Gefangene von dem Plan zu seiner Rettung?"

„Noch nicht," sprach Fortunato, „aber zwei Worte genügen zur Verständigung für Jemanden, dessen Leben an einem Faden hängt. Gehen Sie dem General entgegen, de Castro, und überlassen Sie das Andere uns Beiden. Sie, Villegas, /21/ haben weiter nichts zu thun, als - eben nichts zu sehen und unberufene Neugierige, die uns gefährlich werden könnten, abzuhalten. Wollen Sie das?"

„Meinetwegen," sagte der junge Mann, „ein toller Plan bleibt's immer, daß wir unsere Köpfe riskiren keines einzigen vernünftigen Grundes wegen, als einem wildfremden Menschen das Leben zu retten! Aber es sei. Liegt doch auch ein eigener Reiz darin, dem kleinen Mulatten eine Nase zu drehen. Also frisch an's Werk, - da drüben kommt er eben angesprengt."

Es war in der That keine Zeit zu verlieren, und Fortunato - nur noch einmal Villegas' Hand schüttelnd - schritt auf den Gefangenen zu. - Dieser hatte indessen, eben so gut wie die Officiere, die nahende Staubwolke bemerkt, womit der Augenblick seines Todes heranrückte, aber kein Zeichen von Schwäche prägte sich auf seinem Antlitz aus, das in der Erregung des Augenblicks nur um einen Schatten bleicher wurde. Fest biß er die Zähne, in tiefem Grimm zog er die Brauen zusammen, aber er regte sich nicht und schien entschlossen zu sein, seinen letzten Gang unerschüttert anzutreten.

„Companero," flüsterte da eine leise Stimme an seiner Seite, und rasch drehte er das Antlitz danach, denn der Ton klang wie der eines Freundes. Aber sein Blick begegnete einem vollkommen fremden Gesicht und traf auf die verhaßte Uniform des Usurpators. Was anders hatte er von dessen Kreaturen zu hoffen, als den Tod, und finster brütend starrte er wieder vor sich nieder.

Da berührte eine leichte Hand seine Achsel und die Stimme flüsterte wieder: „Guten Muth, Companero, so lange Athem da ist, so lange ist Hoffnung. Wollt Ihr leben?"

„Eine freundliche Frage an den, für den schon die Gewehre geladen sind," lautete die trotzige Antwort. „Seid Ihr gekommen, Euren Spott mit mir zu treiben?"

„Mir bleibt keine Zeit zu einer Erklärung," drängte aber Fortunato. „Glaubt also meinem Worte. Ihr habt Freunde in der Nähe. Hört schweigend, was ich Euch sage. Keine Silbe - und liegt still, daß man keinen Verdacht schöpft. Hunderte von Augen hängen an uns. Sowie die auf Euch /22/ abgefeuerten Schüsse fallen, von denen Euch keiner Schaden thun wird, werft Ihr Euch nach vorn über und zuckt nicht weiter. Das Andere überlaßt uns - habt Ihr mich verstanden?"

Der Gefesselte bejahte leise.

„Gut, und was auch kommen mag, Ihr brecht zusammen und rührt und regt Euch darauf nicht."

Ohne eine abermalige Antwort abzuwarten, winkte der Officier die beiden Wachen heran, hieß sie die Bande des Gefangenen lösen und hielt sich von da an von ihm entfernt.

Die in der Nachbarschaft gelagerten Mannschaften hatten allerdings den General heransprengen sehen, es aber nicht der Mühe werth gehalten, sich zu erheben und in Reih' und Glied zu treten. Die Sonne brannte heute furchtbar heiß von dem wolkenleeren Himmel nieder. Weshalb sich also ihren Strahlen früher als unumgänglich nöthig aussetzen! Franco selber verlangte einen solchen Zwang gar nicht. Er wußte, wozu er seine Banden treiben konnte, so lange er ihre Freiheit nicht zu sehr beschränkte, und war vollkommen mit ihnen zufrieden, wenn sie nur den gegebenen B e f e h l e n gehorchten.

Sobald sich übrigens der Staub des heransprengenden Trupps, der wie eine Wolke auf der Ebene lagerte, etwas verzogen hatte, rief ein Trompetensignal die Mannschaft auf die Füße, und nicht ohne Schwierigkeit wurde ein weites Viereck gebildet und nur von der Seite offen gelassen, wo der Verurtheilte jetzt zwischen seinen Wachen unter der alten Weide stand. Diesem Baume gegenüber, und etwa achtzig Schritt davon entfernt, hielt der General mit seinem Stabe und beschäftigte sich, während die Vorbereitungen zum Tode des Unglücklichen getroffen wurden, damit, eine Orange zu schälen und zu verzehren. Einer seiner Begleiter, ein riesiger Mulatte, schien dazu eine sehr pikante Anekdote erzählt zu haben - General und Gefolge lachten herzlich. Was kümmerte sie das Menschenherz da drüben, das in wenigen Minuten aufhören sollte zu schlagen.

Fortunato sah indessen, wie die neun Mann, die de Castro zu befehligen hatte, aufmarschirtcn, und wollte eben /23/ den Gefangenen niederknieen lassen - man durfte den General doch nicht zu lauge den heißen Sonnenstrahlen aussetzen - als ein junges Mädchen, eine Flasche mit klarem Wasser in der Hand haltend, scheu und doch entschlossen zugleich auf den Gefangenen zuschritt, ohne die rohen Scherzreden, die ihr die Soldaten zuriefen, zu beachten - vielleicht sie nicht einmal zu hören.

„Zurück, mein Kind," sagte Fortunato laut, aber nicht unfreundlich zu der Nahenden, „das ist kein Platz für Sie." Aber die Jungfrau achtete nicht auf die Warnung. Wie von einer innern, unwiderstehlichen Gewalt getrieben, schritt sie auf den Gefangenen zu und reichte ihm lautlos, aber mit zitternden Händen die Flasche.

„Jacinta," sagte Espinoza mit weicher, tiefbewegter Stimme, „Du also bist es, die noch an den unglücklichen Benito denkt?"

„Trinkt," sagte das junge Mädchen, und das Wort rang sich ihr mühsam zwischen den Lippen vor, ihre ganze Gestalt zitterte - ihr Antlitz ward todtenbleich, und sie wäre zu Boden gesunken, wenn sie nicht Fortunato gehalten und ihr mit ein paar freundlichen Worten Trost zugesprochen hätte.

Ein heiseres Gelächter der Soldaten, die in der Entfernung Zeugen der Zwischenscene waren, erscholl, und vom General Franco mußte die Unterbrechung unliebsam bemerkt worden sein, denn ein gellendes Trompetensignal mahnte an die Bedeutung des Augenblicks.

„Gehen Sie fort, Senorita," sagte Fortunato, „meine Pflicht verbietet mir, Sie länger hier zu dulden. Kniet nieder, Señor."

„Ich will mit ihm sterben, laßt mich!" flehte das Mädchen in Todesangst und suchte ihre zitternde Schwäche gewaltsam zu bekämpfen. De Castro war mit seinem kleinen Trupp Executoren vormarschirt und die Gewehre rasselten, als die Soldaten ihre Patronen hinunterstießen. „Bahn frei, Fortunato!" rief er dem Freunde neben dem Gefangenen zu. Fortunato war in der peinlichsten Verlegenheit. Das Mädchen hatte sich, als sie den dröhnenden Klang der Waffen vernahm, in verzweifelnder Selbstvergessenheit an den Hals Es-/24/pinoza's geworfen und hielt ihn fest umklammert. Dauerte das Hinderniß noch eine Minute länger, so wußte Fortunato, daß der ungeduldige General Leute abschicken würde, die er dann nicht wieder beseitigen konnte, und sein Plan mußte scheitern, ja die Entdeckung der beabsichtigten Täuschung konnte nicht ausbleiben. In seiner Bestürzung faßte er den Arm der Unglücklichen und suchte sie loszumachen.

„Oh, um der Wunden Christi willen, Señor, laßt mich mit ihm sterben - gönnt mir doch die Kugel, die meinem elenden Leben ein Ende macht."

„Fort von ihm, wenn Sie ihn nicht verderben wollen," raunte ihr aber der junge Officier zu. „Er soll leben - wir retten ihn - aber eben darum hinweg von ihm, oder Sie selbst werden seine Mörderin."

„Ich?" rief die Unglückliche entsetzt und ließ los. Im nächsten Augenblick zog sie Fortunato am Handgelenk auf die Seite, und wieder erscholl das Signal, diesmal als Kommando für den vorbeordcrten Trupp, um sich fertig zu machen und zu feuern.

„Excellenz," wandte sich in diesem Augenblick einer der den General begleitenden berittenen Officiere an diesen, „wie ich zu meinem Bedauern sehe, hat man versäumt, dem Gefangenen einen Geistlichen beizugeben und ihm dadurch den letzten Trost der Kirche entzogen. Wollen Sie nicht Befehl geben, daß die Execution -"

„Lieber Fereira," unterbrach ihn barschen Tones der General, „thun Sie mir den einzigen Gefallen und bekümmern Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten. Glauben Sie etwa, daß ich hier eine Stunde lang in der Sonne halten will, und zu warten, bis der Rebell unter geistlichem Beistand Gelegenheit gehabt hat, den lieben Gott um mein Verderben zu bitten? - Bah - die Sache hat schon viel zu lange gedauert, und wenn wir um jeden einzelnen Quitener so viel Umstände machen wollen, werden wir in zehn Jahren nicht mit ihnen fertig! Adelante!" und er hob dabei die Hand zum Zeichen, daß das letzte Commando gegeben würde. - „Was zum Teufel hatte die Mamsell bei dem Rebellen zu thun?" /25/

Noch während er sprach, erschallten die Commandoworte:

„Fertig zum Feuern! Legt an! Feuer!"

Die Schüsse knatterten nicht auf einen Schlag, sondern unregelmäßig hintereinander drein, und der Knieende fiel, ohne eine weitere Bewegung, ohne einen Schrei auszustoßen, nach vorn auf den Boden.

„So sollen alle Verräther sterben!" schrie der riesige Mulatte, der auf einem Maulthier in Majors-Uniform neben Franco hielt. „Es lebe Seine Excellenz unser verehrter General und Präsident! El viva!"

„El viva!" brüllten die nächststehenden Soldaten, während sich der Ruf in den Reihen fortpflanzte. Franco nahm gravitätisch seinen schweren, dreieckigen Hut ab, wandte sein Pferd dann und sprengte, ohne auch nur einen Blick auf sein Opfer zu werfen, von den Officieren gefolgt, in die Stadt zurück. Die Soldaten dagegen wollten, wie sie das gewöhnlich thaten, in aufgelösten Gliedern zu dem Erschossenen hinüber laufen, um zu sehen, wie die Kugeln getroffen hätten. Hier aber sprang ihnen Villegas in den Weg und de Castro's Stimme commandirte in lautem, donnerndem Ton: „Halt! Richt' Euch! Schultert's Gewehr - Bataillon formirt - erster Zug rechts abgeschwenkt! Marsch!"

Es dauerte ein paar Augenblicke, ehe sich die Soldaten in den unerwarteten Befehl finden konnten und in Ordnung kamen. De Castro aber, der ihnen schon bei verschiedenen Gelegenheiten gezeigt hatte, daß er nicht mit sich spaßen lasse, gönnte ihnen keine Zeit, sich auch nur umzusehen, und wohl oder übel mußten sie seinem Befehl gehorchen. Ganz fort brachte er sie aber doch nicht gleich, denn unter den Büschen, wo der Schwarm vorher gelagert hatte, war noch eine Anzahl erst halbgeleerter Agua ardiente- und Tschitscha-Flaschen zurückgeblieben, und die Leute murrten, daß sie diese im Stiche lassen sollten. Es lag übrigens gar nicht in de Castro's Plan, sie verdrossen zu machen, nur ihre Aufmerksamkeit wollte er von dem Gefallenen ablenken, und während er die Leute jetzt vor den Büschen aufmarschiren ließ, beorderte er die vorzutreten, die noch irgend etwas dort liegen hätten. Dann aber mußten sie wieder in Reih' und Glied treten, und unter /26/ klingendem Spiel des Musikcorps, unter Trällern und Schwatzen der Soldaten, die das blutige Schauspiel lange vergessen hatten, oder doch so an derartige Scenen gewöhnt waren, um sie gar nicht mehr zu beachten, zog die Truppe in die Stadt zurück.

Nur Fortunato blieb mit vier Soldaten und ein paar Peons, die er jedenfalls dahin bestellt haben mußte, bei dem Leichnam, und während die Soldaten den Auftrag hatten, die neugierig herbeidrängenden Bewohner von Bodegas abzuhalten, brachten die Peons den bis dahin versteckt gehaltenen Sarg oder Kasten herbei, in welchem der Gefallene zum Fluß befördert und diesem so wie den darin hausenden Alligatoren übergeben werden sollte. Wer hätte sich in der Hitze damit quälen wollen, ein Grab für ihn zu graben!

3.

In Bodegas.

Wenn es unter den Städten Amphibien geben könnte, so müßte Bodegas eine von diesen sein, denn kein weiterer Platz der Welt theilt wohl seine Existenz so entschieden zwischen Wasser und festem Boden, wie dieser kleine betriebsame Ort, den aber jedenfalls nur die Noth an diesen wunderlichen Platz zwingen konnte. Nimmt man eine Specialkarte von Ecuador in die Hand - denn auf den gewöhnlichen Karten ist es nicht einmal angegeben, obgleich es den Schlüssel des ganzen ecuadorianischen Binnenhandels bildet -, so findet man es auf der Straße oder wenigstens in der Richtung zwischen Guajaquil und Quito, etwa einen halben Grad nordnordöstlich von Guajaquil an einem Strom oder Fluß, der das Wasser zahlreicher, noch nördlicher liegender Lagunen bei Guajaquil in den Strom gleiches Namens führt und durch voll- /27/ kommen niederes, außerordentlich fruchtbares Land seine Bahn schlängelt.

 

Bis zu dieser kleinen Stadt aber und noch weit darüber hinauf ist die Strömung des Bodegasflusses nur von Ebbe und Fluth des Meeres abhängig und dadurch außerordentlich geeignet, eine Handelsstraße zu bilden, da er die schwerfälligsten Fahrzeuge mit der nämlichen Schnelle und Leichtigkeit, sowohl von dem Hafenplatz Guajaquil nach Bodegas hinauf, wie von diesem Ort hinab trägt. In der Regenzeit aber können die Lagunen das von den Kordilleren rasch herabstürzende Wasser nicht alles fassen; die niederen Ufer füllen sich schnell, und nun tritt die Fluth über die ihr bis dahin gesteckten Grenzen und überschwemmt das flache Land auf riesige Strecken.

In dieser Zeit ist denn auch die Handelsverbindung zwischen Guajaquil und Quito - da überdies die Maulthierpfade über die Gebirge grundlos und unpassirbar werden, vollstän- ständig unterbrochen, und wer noch von Bodegas aus in die näher gelegenen Ortschaften des höheren Landes will, muß zu einem Canoe seine Zuflucht nehmen, mit dem er gezwungen ist, zwischen den vorstehenden Wipfeln der Weidenbüsche und Bäume hin seine ungewisse Bahn zu suchen. Dann steht aber auch Bodegas vollkommen im Wasser, und die Bewohner verkehren unter einander aus der ersten Etage heraus durch Canoes oder andere kleine Fahrzeuge.

Die Gebäude selber sind darauf eingerichtet, und stehen entweder auf starken Pfählen und Balken, die der eindringenden und durchquillenden Fluth nicht zu vielen Widerstand leisten und ihr freien Spielraum lassen, oder auch auf festen Mauern, denen nur der obere Stock aus Holz aufgesetzt und das ganze Jahr über von den Familien bewohnt wird, während man die unteren Räume nur in der trockenen Jahreszeit zu Waarenlagern benutzt. In diesem heißen Klima verdunstet ja auch jede Feuchtigkeit rasch, und sobald das Wasser nur erst einmal wieder gefallen ist, werden die Gebäude bald wieder trocken.

Aber nicht alle Bewohner von Bodegas haben feste Wohnungen, denn es gehört immer eine große Umsicht dazu, den /28/ rechten Moment zum Ausräumen zu erfassen, da die Wasser manchmal außerordentlich rasch steigen und oft den Waaren verderblich werden. Viele beziehen vielmehr für das ganze Jahr sogenannte Balsas, in denen sie mit großer Ruhe jede beliebige Veränderung der Muth erwarten können, denn sie steigen und fallen mit ihr.

Diese Balsas sind, ihrer Bauart nach, außerordentlich tragfähig, denn sie bestehen aus nichts als einer Anzahl mit einander fest verbundener Balsastämme, die ein so vollkommen korkartiges und fabelhaft leichtes Holz haben, daß ein Mann ohne Anstrengung einen ausgetrockneten Balsastamm von zwanzig Fuß Länge und zwei Fuß Dicke aus seiner Schulter trägt. Diese Balsaflöße, gehörig überbaut und bedacht, bilden nicht allein einen Theil der Wohnungen von Bodegas, indem sie am Ufer befestigt werden und zu Kaufläden und Hotels dienen, sondern man benutzt sie auch als geräumige Fahrzeuge für den Waarenverkehr zwischen Quito und Guajaquil.

Außerdem wohnen in Bodegas sehr viele Arrieros (Maulthiertreiber), die mit ihren Thieren den Binnenhandel vermitteln. Sobald die Regenzeit aufgehört und die Sonne die bis dahin bodenlosen Wege ausgetrocknet hat, füllen ihre Caravanen die ganze Straße nach Quito. In Bodegas ist und bleibt aber der Knotenpunkt, wo sich die Waaren und Producte auf dem Wege nach dem Meere kreuzen. Wie eine Art von Binnenhafen empfängt es und liefert es aus, und fast jeder dort wohnende Kaufmann ist ein Spediteur.

Daß diesen Leuten der Kriegszug des Usurpators eben keine große Freude machte, läßt sich denken. Ihr Geschäft blüht nur im Frieden, bei ungestörtem, ununterbrochenem Handel. So lange Franco in Guajaquil und die von hier nach Quito führende Straße frei blieb, war der Verkehr wenigstens nicht ganz unterbrochen, denn ober- oder unterhalb Guajaquil hatte man immer noch Gelegenheit gehabt, kleine Ladungen verstohlen auszuschiffen. Jetzt aber, da er selber nach Bodegas gekommen, hörte das Alles auf. Kein bepacktes Maulthier durfte seitdem mehr nach dem Innern aufbrechen, daher denn auch Eilboten nach der nächsten bedeutenden Speditionsstadt Guaranda, am Fuß des Chimborazo, abgeschickt worden waren, /29/ um die dortigen Kaufleute zu warnen und ihnen den baldigen Besuch von Franco's Armee anzukündigen.

Was Franco's Plan sei, wußte freilich Niemand, denn die Wenigsten glaubten, daß er in der That beabsichtige, gen Quito vorzurücken und das ganze Land sich zu unterwerfen. Die Idee klang zu abenteuerlich, um irgend eine Wahrscheinlichkeit zu haben, und doch bewies der kleine Mulatte bald darauf, daß er in der That nichts Geringeres beabsichtige, als den Hauptschlag gegen die Republik in deren eigenem Herzen und gegen ihren wundesten Fleck zu führen.

Franco selbst - wie er sich auch anders darüber gegen die Seinen aussprechen mochte - war keineswegs so fest von dem Sieg seiner beutegierigen Banden über die „quitenischen Rebellen" überzeugt, daß er es sofort gewagt hätte, die letzte Brücke - wozu er Bodegas rechnen mußte - hinter sich abzubrechen. Außerdem brauchte er den Ort und dessen Spedition für seine Truppenbewegung gegen das Innere, um den nöthigen Kriegsbedarf ungesäumt und mit allen zu Gebote stehenden Packthieren einzuholen und die Communication mit Guajaquil zu unterhalten. Daher hatten seine Leute strengen Befehl bekommen, sich ordentlich in Bodegas zu betragen und nichts zu nehmen, ohne dafür zu zahlen. Wie sehr er ihre Enthaltsamkeit damit aus die Probe stellte, das wußte jedoch Franco so wohl zu würdigen, daß er auch gleich an eine kleine Entschädigung seiner Soldaten gedacht hatte.

Drüben nämlich, über dem etwa sechzig bis achtzig Schritt breiten Strom, wo sich eine Menge Sand angeschwemmt und das Ufer dadurch mehr erhöht hatte, lag ein ziemlich großes und geräumiges Gebäude, eine Art Villa, die dem quitenischen General Flores, Franco's Erzfeind, gehörte. Diese bestand mit der Stadt in gar keiner Verbindung, es war nur ein Privatbesitz, und ihn beschloß Franco aus verschiedenen Gründen in Beschlag zu nehmen. Erstlich konnte er das große Gebäude vortrefflich gebrauchen, um es als Kaserne für seine Soldaten zu benutzen, und dann gab es diesen auch eine angenehme Beschäftigung, den Platz zu besetzen und nach Gutdünken darin zu wirthschaften. Als daher Franco von der Execution nach Bodegas zurückkehrte, nahm er sich kaum Zeit, /30/ eine Flasche Champagner - sein Lieblingsgetränk - zu leeren, dann ließ er sich, ohne zuvor in seinem Quartier zu erscheinen, an das andere Ufer übersetzen. Natürlich wollte er den Platz erst besichtigen, ob er nicht Eins oder das Andere selben brauchen könnte, ehe er den Soldaten freies Spiel ließ.

Flores schien aber eine starke Ahnung gehabt zu haben, daß sein Eigenthum bei einer Überrumpelung von dem Usurpator zu allererst würde in Beschlag genommen werden. Er hatte in Zeiten Alles, was nur irgend von Werth war, ausräumen und nach irgend einem Versteck hin in Sicherheit bringen zu lassen. Der kleine Mulatte sah darum seine Bemühungen keineswegs so belohnt, wie er gehofft hatte, denn die Ansiedelung zeigte ihm nichts, was seine persönliche Habgier hätte reizen können. Aber eine kleine Unterhaltung für seine Soldaten bot sie immerhin noch. Franco erklärte deshalb die Besitzung als sein - oder wie er sich ausdrückte: als Staatseigenthum, und schickte augenblicklich eine Ordonnanz zurück, um ,,die Armee" herüber zu beordern und ihr die Gebäude erst zur Plünderung und dann zur Wohnung zu übergeben.