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Loe raamatut: «Pfarre und Schule. Dritter Band.», lehekülg 8

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Zehntes Kapitel
Der Letzte der Strohwische

Ich habe übrigens einen unserer alten Bekannten fast zu lange unbeachtet gelassen, und es wird Zeit, daß ich ihn dem Leser noch einmal vorführe. Allerdings trägt Feodor Strohwisch dabei selbst großentheils die Schuld, denn als all' die Bewohner der Residenz mit ihren langweiligen Kaffeeklatschen und Theevisiten vor den rauhen Nordstürmen zurück in die wärmeren Mauern der Städte gezogen waren, blieb Feodor – wie ein flügellahmer Kranich am fernen Gestade – einsam in Horneck zurück und »büffelte«, wie er es selbst poetisch nannte, an einem Bande humoristischer Gedichte, die er bei seiner Rückkehr nach der Stadt »unterzubringen« dachte. So wenig er aber auch im Sommer gearbeitet, so fleißig schien er jetzt zu sein, wo ihn auch die holden Töne von oben nicht mehr störten (denn Anna Schütte war schon wieder der Schrecken aller der Bewohner der Residenz geworden, die einmal gehofft hatten, einen Nachmittag ungestört allein sein zu können) und das kalte Wetter ihn überdies in sein Zimmer bannte. Die poetischen Funken flossen ihm ordentlich elektrisch aus der Feder, und seine Gedichte mußten in der That humoristisch sein, wenn sein eigenes Urtheil nämlich auch nur im mindesten dabei angeschlagen werden konnte.

Feodor Strohwisch hatte nämlich die Eigenheit, sich jedesmal, wenn er einen Vers gemacht, denselben fünf oder sechs Mal hinter einander vorzulesen, und hatte darüber mehrere Male so gelacht, daß die Wirthsleute erschrocken in das Zimmer gestürzt waren, um zu sehen, ob ihrem Miethsmann vielleicht gar ein Unglück zugestoßen sei.

An diesem nämlichen Tage nun beendete Feodor wirklich das zu einem vollständigen Bande nöthige Gedicht, schrieb es sauber ab, legte es in seine Mappe und that, mit dem darüber auf's Aeußerste erstaunten Puppenkopf im Arme, drei von donnernden Hurrah's begleitete Freudensprünge. An dem nämlichen Abende lud er den Apotheker, den Schulmeister – der sich jedoch entschuldigte – den Gemeindevorstand und ein paar der reichsten Bauern in die Schenke ein – nicht etwa, um dort mit prosaischen Victualien ihre Magen zu überladen, nein, um ihnen bei einem Glas Bier – das sich die Bauern nicht nehmen ließen, abwechselnd für ihn zu bezahlen, was er aber in seiner Zerstreuung gar nicht bemerkte – seine unsterblichen Gedichte vorzulesen und sie theils zu stürmischem Beifall hinzureißen, theils ihre Lachmuskeln (ich glaube, dieselben Muskeln benutzt die wirthschaftlich waltende Natur auch zum Gähnen) bis zum Zerspringen anzustrengen.

Die kleine Gruppe, zu der sich noch ein paar zufällig dort durchpassirende Grünberger Weinreisende gesellt hatten, saß oben im »grünen Zimmer« bei einer ziemlich unbestimmten Anzahl von »Krügeln Bier« um einen großen runden Tisch herum, und Strohwisch, vor dem ein ganzer Haufen Papiere lag, führte das Präsidium mit Autorität.

»Meine Herren!« rief er nach einer kleinen Pause, in der er ebenfalls einen Toast in Versen auf den »Nährstand« ausgebracht – »meine Herren – aber nur nicht zu sehr dem Ernst sich hingegeben, nur die Humoristik nicht aus den Augen gelassen – es giebt im Menschenleben Augenblicke, wo man dem Schicksal näher ist als sonst, und eine Frage frei hat an die Götter – sie antworten Einem aber nicht – hahahahahaha.«

Der Schneider lächelte ebenfalls etwas dünn, die anderen saßen aber ziemlich verlegen um den Tisch her, lächelten nur, und hätten vielleicht sonst was darum gegeben, zu wissen, um was es sich hier eigentlich handele, bis endlich der Gemeindevorstand, der sich nun endlich doch überzeugt hatte, daß das jedenfalls ein Witz gewesen sein mußte, ganz urplötzlich, und zwar mit dem ernsthaftesten Gesichte von der Welt, laut herausplatzte.

»Einige famose Gedichte habe ich hier, meine Herren,« sagte Strohwisch jetzt, der den allgemeinen Tumult benutzt hatte, seines Nachbars Bier auszutrinken, worüber nachher ebenfalls wieder gelacht wurde – »meine Herren – ich bitte Sie um Gotteswillen, keinen solchen Spektakel zu machen – bedenken Sie – meine Herren – daß wir mit solchen Ausbrüchen jugendlicher Begeisterung Tageslicht verbrennen. – Also Sie erlauben mir vielleicht, meine Herren, daß ich Ihnen einen kurzen Bischofsextract aus diesem ›Wust der Wüste‹, aus diesem Chaos literarischen Geistes herauswüste – hier ist ein famoses, epigrammatisch gehaltenes Sinngedicht, was ein sehr guter Freund von mir einmal in einer heiteren Stunde gemacht hat – hören Sie mir aufmerksam zu. – Diese einzelnen kleinen Sachen sind übrigens, wie ich Ihnen hier vorher bemerken möchte, ebenfalls so – so unbedeutend sie Ihnen auch auf den ersten Anblick scheinen mögen – von einem sehr berühmten Componisten, Herrn Schultze, in Musik gesetzt, ich – nein ich habe es wohl nicht bei mir – das schadet Nichts, ich werde Ihnen nachher einmal die Melodie nur ganz kurz vorsingen. Also – mein Freund schreibt:1

 
Der Gutsherr starb und der Amtmann
Schrieb in das Dorf: Legt Trauer an!
Da schrie der ganze Bauernchor:
Hurra! jetzt kommen wir in Flor!
 

Hahahaha.«

Die Umsitzenden stimmten in das Gelächter ein und Feodor wandte sich erläuternd an sie.

»Ich muß nämlich, meine Herren, hier mit Ihrer Erlaubniß eine kurze Bemerkung einflechten – diese Gedichte sind, wohlverstanden, alle unter dem belebenden Einfluß der frischen herrlichen Landluft, der freien Berge niedergeschrieben – mein Freund hält sich den Sommer hindurch gewöhnlich auf dem Lande auf – hahaha – also weiter:

 
Brennt doch die Gaslaternen an,
Rief höchst ergrimmt ein Bettelmann,
Daß man – zum Betteln sehen kann!«
 

»Hahahahaha« – lachte der dankbare Chor.

 
»Weil Siegellack so spröde ist,
So nimmt man jetzt Oblaten
Zu Liebesbriefen, daß sie gleich:
Du bist geleimt! verrathen.
 
 
Wär Michels Kopf so spitz,
Wie seiner Mutter Zunge,
Dann wäre er fürwahr
Ein grundgescheiter Junge.
 
 
Wie kommt's, daß Veit so trocken ist,
Dies könnt Ihr nicht errathen?
Er brauchte nicht, so wie wir Beid',
Zu schwimmen und zu waten.
 
 
Wie? Clara, diesen kargen Fant
Zum Mann? – Mein Herz ist ganz beklommen;
Sie wollt' längst einen Knicker haben
Und – hat ihn endlich doch bekommen.«
 

Die Meisten lachten über die Verse, der Schuster aber, der wenig Sinn für Poesie hatte, sagte:

»Ei, so laßt das langweilige Gereime endlich einmal sein – Donnerwetter – erzählt uns ein paar von Eueren komischen Geschichten – die sind viel mehr werth. –«

»Schuster, Schuster,« warnte ihn Feodor – »gefährlich ist's den Leu zu wecken, gar grimmig ist des Tigers Zahn, doch ach, das schrecklichste der Schrecken, das ist ein Schuster in seinem Wahn.«

»Hahahahaha –« lachten die Uebrigen, Feodor aber seinen Sieg mit raschem Feldherrnblick überschauend und verfolgend, fuhr fort:

 
Die Schuster sollte Gott Merkur
Mit Ehr und Ruhm bedecken,
Weil es ihr Handwerk mit sich bringt,
Den Absatz zu bezwecken.
 

Strohwisch feierte einen glänzenden Triumph, der Schuster war, unter einem wahren Sturm von Applaus, vollständig vernichtet, und mußte, wollte er nicht ganz zu Grunde gehn, selbst mitlachen.

»Aber nu auch 'was erzählen,« sagte er endlich, als ob damit sein früherer Angriff vollkommen gesühnt sein müßte, »keene Versche mehr.«

»Ja, was erzählen, was erzählen!« riefen die Umsitzenden, und Einer des Gemeindevorstandes setzte hinzu:

»Was von's Deater, das kennt' er so schiane.«

»Ja, was von's Deater, was von's Deater,« stimmte der Chor ein.

»Hm, hm,« räusperte sich Feodor, und klappte vor allen Dingen einmal den Deckel seines leeren Kruges, wie ganz in Gedanken, an das Glas an – seine Zuhörer aufmerksam zu machen, daß es »am Besten« mangele. Der Wink blieb dann auch nicht unbeachtet – Einer der Bauern winkte mit einem – »holla Annegrethe« – das flinke Schenkmädchen herbei und sagte dann, über die Anderen hinüberrufend und auf Strohwisch zeigend:

»Geiht den Minschen do emol ä Glas Bier uf meene Kreide – verschtanden?«

Das Mädchen nickte lächelnd mit dem Kopfe und führte den Befehl rasch aus, Feodor aber, das eben erhaltene Glas erst einmal wohlgefällig gegen das Licht hebend, that einen langen, kräftigen Zug, wischte sich den Mund, worüber die ihm aufmerksam zuschauenden Bauern ebenfalls wieder lachten, und begann:

»Ihr wißt, daß ich früher sehr befreundet mit dem berühmten Devrient war« (allerdings hätte sich wohl Keiner der Anwesenden darüber können eidlich vernehmen lassen, um aber die erwarteten Anekdoten nicht aufzuhalten, nickten die Meisten schweigend mit dem Kopfe, als ob das eine allbekannte, sich von selbst verstehende Sache sei) – »also,« fuhr Feodor fort – »Devrient war ein verfluchter Kerl, Champagner immer die Hülle und Fülle – und auch immer Geld dazu, zu was Anderem aber gar Nichts – nicht die Probe – die Ellbogen sahen ihm manchmal zum Fenster heraus, aber den letzten Thaler wandte er an ächten Sillery oder Burgunder.«

»Sellerie?« frugen die Zuhörer erstaunt.

»Sillery,« berichtigte Feodor – »der Name eines famosen Champagners – hätten wir ein Glas davon – also, wo war ich stehen geblieben – ja. – Ich und Devrient saßen also auch einmal Abends in der Kneipe zusammen, denn er konnte gar nicht ohne mich sein, und sagte immer, es fehle ihm sogar etwas, wenn er Morgens aufwache und mich nicht da sehe – und Devrient, der das eine Bein unter dem Tische vorstreckt und den Fuß in die Höhe hebt, zeigt mir das höchst zweideutige Oberleder und die abgelaufenen Sohlen und versichert mich im Vertrauen, kein Schuster wolle ihm mehr auf Credit arbeiten, und er werde, wenn ihn nicht ein glücklicher Einfall oder ein ›Pump‹ zu ein paar neuen Stiefeln verhelfe, nächstens barfuß gehen müssen. Geld hatt' ich nie – von einem ›Pump‹ konnte also bei mir auch gar nicht die Rede sein – aber einen ›glücklichen Einfall‹ – das schlug in mein Fach – dafür war ich humoristischer Schriftsteller, einen Augenblick saß ich nur, stützte den Kopf auf den Tisch und dachte nach – dann streckte ich auf einmal die Hand gegen ihn aus und rief: »Topp!« Er sah mich ganz erstaunt an, und wußte gar nicht, was es zu bedeuten habe – ich riß ihn aber bald aus seinen Zweifeln. – ›Devrient,‹ sagt ich – ›Du sollst ein paar Stiefeln haben – straf mich Dieser und Jener – Du sollst sie haben!‹ ›aber wie?‹ ›gleichviel, Du kriegst sie‹ rief ich, nahm ihn unter den Arm führte ihn auf die Straße und theilte ihm hier mit wenigen Worten meinen Plan mit – er war entzückt davon – ›Strohwisch!‹ rief er, ›das werd ich Dir nie vergessen, das ist famos und wird ein capitaler Spaß.‹«

»Aber wie war's denn?« frug der Schuster neugierig, zu erfahren, wie es die beiden »liederlichen Stricke«, wie er sie nannte, gemacht hätten, um einen seiner armen Collegen hinters Licht zu führen.

»Werdet's gleich erfahren,« fuhr der Humoristiker fort – »Devrient beendete nämlich an demselben Tage sein Gastspiel in Wien, und verließ die Stadt am nächsten Morgen – darauf war mein Plan gebaut. Abends spät schickte er zu einem der berühmtesten Schuhmacher der Residenz und läßt diesen auffordern, mit einigen paar Stiefeln zu ihm zu kommen – der Meister erscheint augenblicklich und bringt einen Gesellen und sechs paar prachtvolle Stiefeln mit. Devrient lacht das Herz im Leibe, er läßt sich aber Nichts merken und probirt die Stiefeln an. Ein Paar paßt vorzüglich – nur der linke drückt etwas auf dem Ballen – ließe sich das wohl ändern? – Oh versteht sich – nichts leichter als das – nur die Nacht auf den Leisten stehn – gut – der Preis? – doch gleichviel, wir werden schon einig darüber werden. Der Meister ist entzückt – läßt den einen Stiefel da und rennt spornstreichs zu Hause, den anderen auf den Leisten zu schlagen. Was thut Devrient indessen, – der schickt nach einem anderen Stiefelleur und –«

»Ah –« schrie der Schuster und zeigte lachend mit dem Finger auf den verblüfft ihn ansehenden Strohwisch – »das ist eine alte Geschichte, die stand vor drei Jahren im Pirna'schen Kalender – die hab' ich selber zu Hause.«

»Im Pirna'schen Kalender?« frug Strohwisch entrüstet.

»Ja ja ja,« lachte der Schuster – »beim Monat März, aber der Schauspieler hieß nich Defrieng und es war auch gar kein Schauspieler, sondern ein Sänger.«

»Dieser verwünschte Redacteur des Pirna'schen Kalenders,« sagte Strohwisch, und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch – »man sollte doch wahrhaftig seinem besten Freund – seinem eigenen Bruder bald nicht mehr trauen.«

»Aber was ist denn?« frugen ihn die Weinreisenden und übrigen Gäste erstaunt – »was war denn?«

»Bin ich vor ein paar Jahren in Pirna,« erzählte Strohwisch, und seine Stirn hatte so viele Falten, wie der Rock einer Altenburger Bäuerin – »und komm da mit diesem Redacteur, dem Herausgeber des Kalenders, zusammen. Wir sind auch Abends heiter mit einander, und plaudern und erzählen Geschichten, und ich gutmüthiger Thor erzähle dem Menschen auch die Anekdote von meinem Freunde Devrient, und jetzt setzt sie mir der schändliche Kerl in seinen Kalender – nein das ist niederträchtig.«

Das Glas war wieder leer geworden und um den niederklappenden Deckel zu beschwichtigen, beschwor Einer vom Gemeindevorstand ein »neies Deppchen« herauf.

»Nun, erzählen Sie doch die Geschichte aus!« rief da Einer, der den Pirna'schen Kalender noch nicht gelesen hatte.

»Ah was,« sagte aber Strohwisch ärgerlich – »wenn einem der Stoff so förmlich weggestohlen wird.«

»Nu, denn was anderes,« ermunterte ihn einer der Grünberger – »irgend etwas anderes, Herr Doctor, Sie stecken ja voll davon.«

»Nun, meinetwegen,« tröstete sich Strohwisch, und sprach dem neugekommenen Biere, um vieles getröstet, wieder zu – »also hier kommts.«

»Sie haben doch von dem berühmten Schauspieler Rott gehört – es ist das einer meiner intimsten Bekannten und ich bin viele fröhliche Abende mit ihm zusammen gewesen. Rott trank so gern Malvoisier – doch das gehört nicht hierher – also Rott gastirte einmal in Wien, wo ich damals Dramaturg am Burgtheater war, und hatte sich zu seiner Haupt- und Glanzrolle ein Ritterschauspiel, ›die blutige Rache‹ hieß es, ausersehn, in dem er besonders auf eine Scene und einen Kraftmonolog seine ganze Hoffnung baute. Es war dies die folgende:

»Er, als Heldenvater, hatte eine Tochter, die mit dem Sohn seines ärgsten Todtfeindes einen Herzensbund geschlossen. Dieser entführt die Jungfrau bei Nacht und Nebel durch einen unterirdischen Gang. Kaum sind sie aber hindurch, so kommt er, der Ritter, wüthend und außer sich in das Gewölbe gestürzt, und trifft hier einen seiner Pagen, der ihm in Angst entgegenruft:

›Sie flohen durch den unterird'schen Gang.‹«

Der Schuster, dem das ungemein komisch vorkommen mochte, lachte laut auf – Strohwisch sah ihn von der Seite und zwar durch das Glas, das er eben zum Munde führte, an, und fuhr fort:

»Ihnen nach!« donnert da mit seiner Riesenstimme der Ritter.

»Sie haben Pferde, Herr!« flehte der Knappe.

»Was, Pferde!« ruft aber jener – »wenn sie nicht Flügel haben –

 
Die sie empor zu Duft und Wolken tragen,
So findet sie dies wackre Schwert – und dann,
Ha Dagobert, dann wehe Dir – die Schrecken
Der ganzen Hölle, die ein finstrer Geist
In mondenlangem Wahnsinn nicht im Stande,
Nicht fähig wäre, nur zu überdenken,
Die will ich Dir in furchtbar grimmer Lust
So Schlag auf Schlag auf Deine Seele häufen,
Daß dieser Qualen Last – u. s. w.«
 

»So etwa lautete der Monolog und hier concentrirte sich der Glanzpunkt des ganzen Stückes, denn diese Kraftrede mußte von fabelhafter Wirkung sein. In der Probe wurde deshalb auch besonderer Fleiß auf die Einstudirung der so bedeutenden Scene verwandt. Nur eine Schwierigkeit fand man in der Rolle des Pagen oder Dieners, den ein blutjunger, und durch das viele auf ihn Einreden eher noch verdutzter gemachter Anfänger gab. Er zeigte sich wenigstens die ersten Male sehr ängstlich, und konnte nur durch ziemlich fleißiges Einüben dahin gebracht werden, seine paar Worte: ›sie flohen durch den unterird'schen Gang;‹ und ›sie haben Pferde, Herr!‹ richtig zu sagen. Rott war denn auch unermüdlich, die Rede wieder und immer wieder zu probiren, und besonders konnte er die Stelle: ›sie haben Pferde, Herr‹ – Was Pferde, ha – wenn sie nicht Flügel haben – u. s. w. – nicht oft genug wiederholen – endlich ging es.«

»Der Abend kam – das Stück hatte sich bis zu dieser Scene vortrefflich gespielt – die Decoration des unterirdischen Gewölbes war ausgezeichnet, der Monolog, oder vielmehr der ›furchtbare Ausbruch des grimmen ritterlichen Gemüthes‹, mußte jetzt dem Ganzen die Krone aufsetzen, und der Burggraf stürzte mit blitzendem Schwert, während den oberen Galerien vor Angst und peinlicher Erwartung der Athem verging, auf die Scene. Er war ganz sicher, denn im Zwischenakt hatte er mit dem Pagen die Scene noch einmal durchprobirt. Also der Graf stürzte mit gezücktem Schwert auf die Bühne:

 
Hab ich dich endlich – beim allmächtgen Gott,
Hier sollst Du Rede stehn – ergieb Dich, Schuft
Ha – was ist das? – darf ich den Augen trauen.
Allein Du, Page, hier?
 

(Page in Todesangst):

 
O hoher Herr –
Sie flohen durch den unterird'schen Gang!
 

Der Schuster störte hier das Drama ein wenig, denn er hatte wahrscheinlich geglaubt, dies sei die Pointe des Stücks und fing wieder unmenschlich an zu lachen, so daß die Uebrigen endlich mit einstimmten.

»Ja aber, wenn Sie auch stets, und gerade an der wichtigsten Stelle unterbrechen,« sagte Strohwisch pikirt, und trank sein Bier auf einen Zug aus – »wie kann ich denn da erzählen.«

»Der Schuaster, lacht schtäte,« sagte der eine Bauer und stieß den also Erwähnten mit den Knöcheln in die Rippen – »bist doch ruhig – 's kummt ja erscht noch.«

»Ja, nun haben Sie mich ganz herausgebracht,« nahm Strohwisch die Erzählung wieder auf – »also der Ritter stürzt herein –

 
Ha – was ist das, darf ich den Augen trauen.
Allein Du, Page, hier?
 

(Page in Todesangst):

 
O hoher Herr!
Sie flohen durch den unterirdschen Gang.
 

Graf:

 
Fort, ihnen nach. –
 

(Page todtenbleich und an allen Gliedern zitternd):

 
Sie haben – F – Flügel, Herr!
 

Der Burggraf stand entsetzt – das Furchtbare war geschehn, und seine Rede ihm an der Wurzel abgeschnitten – Sie haben Flügel, Herr.

›Dann hol' sie der Teufel!‹ schrie da der Graf in resignirender Wuth, stieß sein Schwert klirrend in die Scheide zurück, und verließ unter dem donnernden Bravoruf des Publicums die Bühne.«

Die Zuhörer saßen alle still und schweigend da – keiner sprach ein Wort – selbst der Schuhmacher wagte nicht zu lachen – fand auch gegenwärtig keinen Grund – nur der eine Gemeindevorstand frug nach einer ziemlich langen feierlichen Pause:

»Un wie wurd's denn nu nachens – kriggt er se?«

Die Zuhörer schienen sich besonders dafür zu interessiren. Strohwisch aber hob sein Töpfchen an die Lippen, that einen langen, langen Zug und trommelte dann, als er endlich gezwungen war, abzusetzen, einen zweihändigen Generalmarsch auf der Tischplatte. Weitere Fragen von Seiten der Gesellschaft sollten da ziemlich plötzlich durch einen Lärm von außen abgeschnitten werden. Die Thür wurde aufgerissen und einer von den Knechten des benachbarten Bauergutes steckte den Kopf herein und schrie:

»'S brännt im Gute drungen!«

Rasch schlug die Thüre wieder zu und die Gäste fuhren Alle erschreckt von ihren Sitzen auf. Nur Strohwisch und die beiden Weinreisenden blieben sitzen und meinten, es würde nicht so bedeutend sein. Da nicht Sturm geläutet wurde, schien die Sache auch nicht so gefährlich, der Gemeindevorstand mußte sich aber doch an Ort und Stelle überzeugen, ihm folgten die meisten der Anwesenden, und das Kleeblatt war auf einige Zeit fast im alleinigen Besitz der Schenke – die Wirthin hinter dem Ofen und ein alter Bauer, der an einem Tischchen in der Ecke sitzen geblieben war, natürlich nicht mitgerechnet.

Strohwisch, der sich Trost in einem frischen Töpfchen holte, recitirte:

 
Der Feuerlärm so in der Nacht
Hat doch was zu bedeuten,
Denn er versammelt tausende
Von – aufgeweckten Leuten – hahahaha.
 

»Nu hiaren Se, Herr Strohwisch,« sagte da der alte Bauer – »iber so'n Feier is nu gerade nich zu lachen – das missen Se nich duhn.«

»Hahaha,« lachte nichts destoweniger der Humorist, »das Feuer ist ein mir verwandter Geist, alter Freund, das sprudelt Feuerfunken, und ich sprudle Geistesfunken, und so fühle ich denn fast für jede auflodernde Gluth, die ich sehe, eine gewisse Art verwandtschaftlichen Interesses – verstanden?«

Der alte Mann schüttelte sehr bedenklich mit dem Kopf, und trank sein Bier, und Strohwisch ging mit seinen beiden neugewonnenen Bewunderern einmal vor die Schenke hinaus, um zu sehn, ob sie vielleicht von hier aus das Feuer erkennen könnten. Das war aber indessen schon wieder durch das rasche Hinzuströmen helfender Menschen unterdrückt und gelöscht worden, und als nach und nach die Leute von dem »Brande« zurückkehrten, füllte sich auch die Schenke mehr als vorher wieder, und die eben stattgefundene Brandstiftung, die hier nach all den Umständen jedenfalls vorlag, bildete natürlich die einzige Unterhaltung, so daß es Strohwisch, trotz unermüdlichen und zahlreichen Versuchen, nicht möglich fand, die Aufmerksamkeit der Versammelten wieder wie in einen Brennpunkt auf sich zu lenken. Er probirte Anekdoten – Witze – Verse – es blieb Alles gleich fruchtlos – die Männer nahmen fast gar keine Notiz von ihm, und selbst die Weinreisenden, der intelligentere Theil des Publicums, fingen an, die eingehenden Berichte interessanter zu finden, als seinen Humor.

Das war unerträglich – Strohwisch, im Begriff Horneck zu verlassen, denn der nächste Morgen war dazu bestimmt, ihn wieder der Residenz zuzuführen, sollte also unbewundert, unbeklatscht scheiden? – Nein, das ging nicht – das unselige Feuer drohte ihm allerdings die Palme des Abends streitig zu machen, noch aber gab er den Kampf gegen das Geschick nicht auf, noch gab es ein Mittel, den Feind mit seinen eigenen Waffen anzugreifen, zu besiegen.

»Meine Herren!« rief er, und trat auf einen Stuhl, »meine Herren!« – der Lärm blieb noch immer ziemlich arg, nur die Gesichter der Meisten wandten sich ihm zu, und der alte Bauer, der vorher des Städters »gotteslästerliche Reden,« wie er sie nannte, mit angehört, erzählte den ihm nächst Stehenden unter vielem und bedenklichem Kopfschütteln, was der Fremde gesagt, und wie er über das Feuer im Dorfe gelacht und gespottet habe. Der affectirte Städter war im Ort überhaupt nicht beliebt, besonders hatten ihn die Bauerburschen auf dem Korn, weil er mit seinen faden und nicht selten zweideutigen Schmeicheleien ihre Mädchen verfolgte und ärgerte, und Strohwisch würde kaum mit so zuversichtlich lächelndem Angesicht auf dem Stuhl oben stehen geblieben sein, hätte er die keineswegs freundlichen Worte über sich hören können, die hier in der einen Ecke entstanden, und sich rasch von Mund zu Munde weiter pflanzten.

»Meine Herren!« rief der zähe Humorist noch einmal und mit immer gellenderer Stimme – »bitte, vergessen Sie Ihre Reden nicht – aber ich möchte nur ein paar – nur ganz wenige Worte an Sie richten – Hm – Was sind Sie so außer sich über ein Feuer? – Was liegt in einem Feuer so Entsetzliches? – Es zerstört – es vernichtet? – ja, ich gebe es zu – aber auch Zerstörung und Vernichtung ist manchmal gut, wo es gilt, das Böse von der Erde auszurotten, die Uebel mit der Wurzel zu vertilgen.«

»Nua? mer söllen uns doch de Haiser nich ibern Kopp anstäcken lassen?« sagte hier Einer – dort ein Anderer – »na, was schwätzt denn der do – der rädt den Brandschtiftern ooch wol noch das Wort?«

»Meine Herren!« rief aber Feodor, zu dem keins der drohend gemurmelten Worte drang, »meine Herren – wo es gilt der Freiheit eine hehre Bahn zu brechen, da lassen Sie uns selbst Feuer und Brand nicht scheuen, aber Sie werden verstehen, welches Feuer, welchen Brand ich meine – die Fackel des Geistes muß mit kräftiger Faust in die Gebäude der Tyrannei geschleudert werden, daß die Flamme lodernd und leuchtend zum Himmel emporglühe.«

»Was seggt der da?« riefen die Bauern verwundert unter einander, und glaubten ihren Ohren nicht trauen zu dürfen – »in die Gebaide sullen mer Fackeln wärfen, un de Flammen sullen in de Hehe giahn? ei, den Kärl, den sull ja en Dunnerwätter in den Erdboden verschlahn; schmeißt'en doch 'naus!«

»Meine Herren!« rief aber in diesem Augenblick Feodor Strohwisch mit noch erhöhter Stimme, und suchte dabei in aller Hast wieder nach den ewig versteckten, den unentgehbaren Gedichten – die Außenwelt war für ihn todt, er jauchzte nur in triumphirendem Selbstgefühl, daß er endlich wieder das Wort erhalten, die Aufmerksamkeit der Schaar gefesselt hatte, und seines Sieges gewiß, öffnete er das glücklich gefundene Papier, das er beim Schein der dicht hinter ihm herunterhängenden Lampe recht gut lesen konnte. »Erlauben Sie mir, Ihnen ein ganz kurzes wunderhübsches Gedicht vorzulesen, das auf unseren jetzigen Zustand vollkommen paßt, und dessen Sinn Sie gewiß billigen werden – ein sehr guter Freund von mir hat es verfaßt – bitte, hören Sie.«

Die Bauern standen ganz ruhig – sie glaubten immer den »Burschen mit den langen Uahren un den Borschten,« wie er im Dorfe hieß, nicht recht verstanden zu haben, denn daß Einer hier mitten zwischen ihnen Brand und Feueranlegen predigen solle, ging ihnen doch fast über die Begriffe. – Sie wollten also noch einmal hören, was er eigentlich beabsichtige, und wenn das wirklich war – ei dann sollte ja dem »verdammten Federfuchser der Deibel das Licht halten.«

»Meine Herren!« – begann zum zehnten Mal mit einigem Räuspern der Humorist – er hielt in der linken Hand das Papier, zog den Kopf stolz zurück, streckte die rechte Hand gerade von sich, und sagte mit erhobener lebhafter Stimme –

 
»So werft der Freiheit Feuerbrand
In alter Herrschaft morsche Stützen,
Und kehrt den wüsten, faulen Tand
Zu Haufen – Röcke, Hosen, Mützen –
 
 
In Pech und Schwefel sterbe hin,
Was hier den freien Geist gehemmet,
In wilder Gluth soll untergehn,
Was uns den freien Will'n umdämmet.
 
 
Hoch lodre zu dem Himmelsdom
Die Flamme auf in lichter Lohe,
Und von Kopenhagen bis nach Rom
Verbreit' die Nachricht sich – die frohe –
 
 
In Brand und Flammengluth gestürzt,
Und unter Trümmern –
 

»Schmeißt den Kerl doch 'naus!« unterbrach da plötzlich eine gellende Stimme den Vortrag – »'naus mit em – 'naus!« tönte es aus allen Ecken heraus, und Strohwisch sah rasch auf, wem dieser drohende Ruf eigentlich gelte.

»Naus mit dem Brandstifter!« schrien in diesem Augenblick auch die ihm näher Stehenden, und griffen ihn an Arm und Rock an –

»Hallo da, Leute – was ist das?« sagte der Humorist, mehr erstaunt als erschreckt, denn er begriff noch immer nicht, was die Menge von ihm wolle, von ihm wollen könne.

»Naus mit 'em Hallunken – 'naus mit dem borschthärigen Dintenkleckser!«

»Aber Leute, seid Ihr denn des Teufels?« rief der sehr gute Freund des Dichters, und suchte sich den handgreiflichen Erklärungen der ihm Nächsten zu entziehen – »ich werde doch wahrhaftig« –

»Schlaht en hinger's Gehär!« schrie aus der Ecke einer vor, der sich noch die größte Mühe gab, zu dem Ziel seines Zornes hin zu gelangen – »haut en de Dohle 'nin.«

Strohwisch war von dem Stuhl getreten, und hatte seinen Hut, den er Anstands halber während er das Gedicht vorlas in der Hand gehalten, aufgesetzt – kaum hörte er den letzten Rath aber, so griff er rasch darnach, ihn wieder herab zu reißen – doch zu spät – ein kräftiger, vortrefflich gezielter Schlag trieb ihm die »Dohle,« wie sie in Horneck sagten, bis tief über Ohren und Augen, und jetzt in Stockfinsterniß von allen Seiten gestoßen und geschlagen, nicht einmal mehr im Stande sich mündlich zu vertheidigen, denn der Hut benahm ihm fast den Athem, wurde diese Parodie auf »Oeffentlichkeit und Mündlichkeit« im summarischen Gerichtsverfahren, mit abgetretenen Sporen und zerrissenem Rock zur Thür hinausgeknufft und geprügelt, und dort, als ob solch ein erbärmliches Menschenkind aus der Stadt gar keines weiteren Nachsehens werth sei, seinem Schicksal überlassen.

Was aus ihm geworden, hat man in Horneck nie erfahren – am nächsten Morgen war er spurlos verschwunden.

1.Die nachfolgenden Verse habe ich der interessanten Sammlung »humoristische Mondlichter« von Theodor Drobisch entnommen.