Loe raamatut: «Das sogenannte Alte Testament», lehekülg 3

Font:

Zwei zentrale Fragen

Die ersten Kapitel der Bibel beschreiben einen paradiesischen Zustand. Die Beziehungen sind in alle Richtungen intakt – zwischen den Menschen untereinander, zwischen den Menschen und Gott und zwischen den Menschen und Gottes Schöpfung. Die folgenden Kapitel der Bibel zeigen, wie diese Beziehungen auseinanderbrechen.

In 1. Mose 3,9 stellt Gott Adam die wichtige Frage: »Wo bist du?« Und in 1. Mose 4,9 ergeht eine zweite wichtige Frage an Kain: »Wo ist dein Bruder?« Diese Fragen werden im weiteren Verlauf der Geschichte der Menschheit immer wieder aufgegriffen. Wie ist unsere Beziehung mit Gott und wie kann sie wiederhergestellt werden? Wie ist die Beziehung der Menschen untereinander und wie können angegriffene oder zerstörte Beziehungen wiederhergestellt werden? Die Zehn Gebote, die Gott später gibt, drehen sich um diese Fragen, ebenso wie die beiden höchsten Gebote: Liebt Gott und liebt einander.

Der Weg zurück

Einen Aspekt von 1. Mose 3 haben wir bisher ausgelassen – einen wichtigen, aber häufig falsch verstandenen Aspekt. Es handelt sich um die Verse in 1. Mose 3,14–15, auf die wir jetzt näher eingehen und die wir im Kontext der gesamten Bibel betrachten wollen: Da sagte Gott, der Herr, zu der Schlange: »Verflucht sollst du sein wegen dieser Tat! Auf dem Bauch wirst du kriechen und Staub fressen dein Leben lang – du allein von allen Tieren. Und Feindschaft soll herrschen zwischen dir und der Frau, zwischen deinen Nachkommen und den ihren. Sie werden euch den Kopf zertreten, und ihr werdet sie in die Ferse beißen.«

In diesem Text geht es sich um viel mehr als nur eine bloße Erklärung dafür, warum Schlangen auf dem Boden kriechen. Es geht auch nicht um die Begründung dafür, warum Frauen sich (angeblich) besonders vor Schlangen ekeln würden.

Theologen nennen diesen Text das »Protoevangelium« – den ersten Hinweis darauf, dass Gott einen Weg zurück bahnen wird: Nach der Sünde des ersten Paares ist es nicht aus mit der Menschheit. Sie werden Nachwuchs bekommen. Der Kampf zwischen Gott und der Schlange, dazwischen irgendwie der Mensch, wird sich fortsetzen. Und eines Tages wird es zum Showdown kommen. Die Schlange wird angreifen und dabei die Ferse des Nachwuchses der Frau treffen. Die Schlange wird jedoch nicht siegen. Ihr Kopf wird von der Ferse zertrümmert. Das Böse, der Feind Gottes und des Menschen, wird letzten Endes den Kampf verlieren. Wir werden schlussendlich auf der Seite des Gewinners sein. Das ist wahrhaftig Evangelium, gute Nachricht!

Doch dieser Text wirft auch einige Fragen auf. Wo, wann und wie wird dieser letzte Kampf stattfinden? Was kommt danach? Und vielleicht am wichtigsten: Wer ist der Nachwuchs der Frau, der den entscheidenden Kampf gewinnen wird?

Wir beginnen mit der letzten Frage. Wer besiegt die Schlange? Die »Sonntagsschulantwort« kommt meistens wie aus der Pistole geschossen: Jesus natürlich. Jesus ist der Sieger. Jesus zertritt dem Teufel den Kopf. »Nachwuchs der Frau« könnte vielleicht sogar ein Hinweis auf die jungfräuliche Geburt von Jesus sein, so wird hier und da behauptet.

Es steht uns aber eine Überraschung bevor, wenn wir etwas genauer hinsehen, was die Bibel sagt.

Bildersprache: unter den Füßen

Um dieses Bild ging es bereits im ersten Kapitel: Du hast ihm den Auftrag gegeben, über deine Geschöpfe zu herrschen. Alles hast du ihm zu Füßen gelegt (Psalm 8,7; Hoffnung für alle). Das Bild als solches ist universal. Wir haben ein Foto der Agentur Associated Press. Es wurde am 20. Mai 1997 aufgenommen, als Rebellen in Kinshasa, der Hauptstadt des Kongo (der heutigen Demokratischen Republik Kongo), Regierungstruppen gefangen nahmen. Auf dem Bild sieht man einen Soldat der Rebellen, in der Hand eine Maschinenpistole, den Fuß – genauer gesagt die Ferse – auf dem Kopf eines auf dem Boden liegenden Regierungssoldaten. Die Bildunterschrift lautet »Sieger und Besiegter« (»Victor and Vanquished«). Die Ferse trifft den Kopf. Der Rebelle unternimmt nicht den Versuch, den liegenden Mann mit seiner Ferse zu verletzen. Dafür wäre das Gewehr wesentlich effektiver. Stattdessen schreit die ganze Szene: »Schaut her, wer hier der Sieger ist!« »Ferse auf dem Kopf« heißt also »Sieger«. Und diese Position wird entweder friedlich angenommen (Psalm 8) oder gewalttätig erobert.

Psalm 8 zeichnet ein friedliches Bild, ein Bild, dass berücksichtigt, welche Rolle die Menschheit spielen sollte (1. Mose 1,28) und was es heißt, zu »unterwerfen und zu herrschen« (vgl. Psalm 72). Alles hat die richtige Rangordnung. Gott steht ganz oben (er ist die »Zehn«). Und die Menschheit ist beauftragt, als Gottes Vertreter so zu »herrschen«, dass der Schalom erhalten bleibt, dass die schwächeren Geschöpfe Gottes beschützt werden und die stärkeren daran gehindert, ihre Macht zu missbrauchen.

1. Mose 3,15 bietet ein feindseliges Bild. Die Schlange legt sich nicht freiwillig unter die Füße des Nachwuchses der Frau, sondern sie verliert bei dem vergeblichen Versuch, selbst Sieger zu sein. Es gibt leider nur allzu viele Bilder wie dieses Bild aus Kinshasa. Menschen kämpfen gegen Menschen, mit Maschinenpistolen und noch stärkeren Waffen. Oder aber Menschen beherrschen ihre Mitmenschen mit Angst und Machtmissbrauch und in ungerechten Beziehungen. Das Bild von der Ferse auf dem Kopf ist wahrhaftig universal.

Doch lassen Sie uns einmal genau betrachten, was die Bibel mit diesem Bild macht. Wir beginnen mit dem Text, in dem die Parallele zu 1. Mose 3,15 am deutlichsten wird, und zwar Römer 16,19–20. Paulus schreibt an die Gläubigen in Rom und lobt sie, dass sie durch ihren Gehorsam Gott gegenüber erfolgreich Fortschritte im Kampf zwischen Gut und Böse machen. Und dann kommt die wunderbare Verheißung: Der Gott des Friedens aber wird in kurzem den Satan unter euren Füßen zertreten (Rev. Elberfelder). Unter wessen Füße? Die von Jesus? Nein, unter die Füße der Gläubigen. Doch, der Sieg gehört Gott (Gott wird Satan zertreten), aber die Füße sind unsere! Der Gott des Friedens (des Schalom) gebraucht uns, um seinen Sieg über Satan mit unseren Füßen zu vollbringen.

An anderer Stelle im Neuen Testament lesen wir, wie Jesus seine Jünger aussandte. Auf ihrer Mission bekämpften sie tatsächlich böse Mächte und trieben Dämonen aus. Als sie voller Freude Jesus davon berichteten, antwortete er: Ja, es ist wahr: Ich habe euch Vollmacht gegeben, auf Schlangen und Skorpione zu treten und die ganze Macht des Feindes zunichte zu machen (Lukas 10,19). Jesus gab ihnen die Vollmacht. Es waren seine Vertreter, die die Schlangen tatsächlich zertraten.

Vielleicht am eindrucksvollsten wird dieses Bild in Offenbarung 12 verwendet. Ab Vers 7 ist von der Niederlage des Feindes Gottes die Rede: Der Drache … konnte nicht standhalten. … Er ist die alte Schlange, die auch Teufel oder Satan genannt wird … Eine himmlische Stimme macht jubelnd bekannt: »Jetzt ist es geschehen: Unser Gott hat gesiegt! Jetzt hat er seine Gewalt gezeigt und seine Herrschaft angetreten! Jetzt liegt die Macht in den Händen des Königs, den er gesalbt und eingesetzt hat!« (Vers 10a). Und was rechtfertigt diese Aussage? »Der Ankläger unserer Brüder und Schwestern ist gestürzt; er, der sie Tag und Nacht vor Gott beschuldigte« (Vers 10b).

Und wer besiegte diese Schlange? Ohne weiterzulesen, würden wir vielleicht annehmen: natürlich Gott und sein Gesalbter. Aber der Schreiber der Offenbarung behauptet etwas anderes: Unsere Brüder und Schwestern haben ihn besiegt, gerade diejenigen, die vom Feind beschuldigt worden waren. Und wie konnten sie das schaffen? Hier kommt der ausschlaggebende Punkt: »Unsere Brüder und Schwestern haben ihn besiegt durch das Blut des Lammes und durch ihr standhaftes Bekenntnis. Sie waren bereit, dafür ihr Leben zu opfern und den Tod auf sich zu nehmen« (Vers 11). Das Blut des Lammes ermöglichte den Sieg. Nicht sein Schwert, sondern sein Blut. Der Sieg kam nicht dadurch, dass er selbst tötete, sondern indem er selbst getötet wurde. Sie gewannen durch sein Blut. Sie werden nicht nur beschrieben als »unsere Brüder und Schwestern«, sondern auch als Menschen, die bereit waren, ihr eigenes Leben zu geben. Sie waren Nachfolger von Jesus bis in den Tod. Sie lernten von ihm, dass der wahre Sieg nicht durch Schwert und Blutvergießen errungen wird, sondern durch Selbstaufopferung.

Der Jubel, mit dem die himmlische Stimme diese Bekanntmachung begann, wird am Ende wiederholt: »Darum freue dich, Himmel, mit allen, die in dir wohnen! Ihr aber, Land und Meer, müsst zittern, seit der Teufel dort unten bei euch ist! Seine Wut ist ungeheuer groß; denn er weiß, er hat nur noch wenig Zeit!« (Vers 12).

Und so wird klar: Hier wird kein Sieg angekündigt, der erst am Ende der Weltgeschichte stattfindet. Der Sieg wurde bereits errungen – aber auf Erden wird noch gekämpft. Der Theologe Jürgen Moltmann und andere beschreiben es so: »Wir leben zwischen D-Day und V-Day.« Sie beziehen sich dabei auf den Sieg der Alliierten im besetzten Europa des Zweiten Weltkrieges. Nach der erfolgreichen Invasion der alliierten Truppen in der Normandie (D-Day) war der bevorstehende Triumph der Befreiungsmacht bereits sicher. Aber es mussten noch viele Kämpfe ausgefochten, viele Verluste erlebt und viele Leben verloren werden, bevor der V-Day (Victory Day, der Siegestag) gefeiert werden konnte.

Wie es in dem Lied »Die Gott lieben, werden sein wie die Sonne« von Peter Strauch heißt:

Viele Tränen werden noch geweint,

und der Mensch ist noch des Menschen Feind.

Doch weil Jesus für die Feinde starb,

hoffen wir, weil er uns Hoffnung gab.

Krieg und Terror sind noch nicht gebannt,

und das Unrecht nimmt noch überhand.

Doch der Tag, er steht schon vor der Tür.

Herr, du kommst! Wir danken dir dafür.

(Text & Melodie: Peter Strauch,

© 1981 SCM Hänssler, 71087 Holzgerlingen)

Das ist das Bemerkenswerte: Der Sieg in der himmlischen Welt wurde nicht alleine von Gott, nicht alleine durch den Tod von Jesus erlangt. Sie haben den Feind besiegt – sie, die Nachfolger des Lammes. Aber sie gewannen den Sieg keinesfalls alleine. Sie gewannen durch das Blut des Lammes (Offenbarung 12,11). Wir – die Nachfolger von Jesus (eine durch den »Zweiten Adam« erneuerte Menschheit) –, sind gemeinsam mit Gott Mitgestalter der Geschichte, Mitkämpfer im noch endgültig zu gewinnenden Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Gott mit seinem Schalom-Plan und den zerstörerischen Absichten seines Feindes.

In Epheser 1 finden wir eine weitere wichtige Stelle, die wir in diesem Zusammenhang betrachten sollten. Paulus schreibt seinen Lesern, wofür er betet (Epheser 1,17–19): dass Gott ihnen den Geist der Weisheit und Offenbarung gebe, dass er ihre Augen erleuchte, sodass sie unsichtbare Realitäten erkennen. Dazu gehört auch die Tatsache, dass sie zu einer großen Hoffnung berufen sind und dass die Kraft und Stärke Gottes überragend groß ist. Und dann zeigt Paulus, wie die theologischen Themen dieses Textes zusammenpassen:

• Eine große Hoffnung wartet auf uns, auch wenn es gewagt scheint, daran zu glauben;

• unsere geistlichen Augen müssen erleuchtet werden, um dies zu erkennen;

• diese Hoffnung wird nur dann wahr werden, wenn Gott seine große Macht einsetzt;

• aber Gott hat seine Macht schon mitten in der Geschichte gezeigt: Gott hat Jesus von den Toten auferweckt.

Das Faszinierende ist, dass die Auferweckung von Jesus nicht nur ein Zeichen der Macht Gottes darstellt, damit wir auch an diese Macht glauben können. Durch die Auferstehung wurde die Hoffnung auf den endgültigen Sieg Gottes zur Realität. Jesus kam nicht, um seine Feinde mit Gewalt zu vernichten. Er kam als der Friedensstifter, gewaltlos in seiner Treue zu Gott; bereit, sich selbst töten zu lassen; und er tat dies, weil er nie die Hoffnung aufgab, dass Gott sogar die Macht des Todes durchbrechen würde. In dem Film »Der König von Narnia« (»Die Chroniken von Narnia«) erklärt der Löwe Aslan den verwunderten Menschenkindern: »Wenn sich einer, der nichts verbrochen hat, freiwillig für einen Schuldigen opfert, dann … weicht der Tod zurück.«

Paulus schreibt wortgewaltig und beflügelt von der Auferstehung von Jesus und was sie bewirkt. Dabei zeigt er, was dies alles mit unserem Thema zu tun hat – der Frage, wie und wann die Feinde Gottes am Kopf getroffen werden, und wer am Ende als Sieger dasteht, mit den Feinden Gottes unter seinen Füßen.

Ist es doch dieselbe Kraft, mit der er Christus von den Toten auferweckte und ihm den Ehrenplatz an seiner rechten Seite gab! Mit ihr hat Gott ihn zum Herrscher eingesetzt über alle Mächte und Gewalten, über alle Kräfte und Herrschaften dieser und der zukünftigen Welt. Alles hat Gott ihm zu Füßen gelegt und ihn zum Haupt seiner Gemeinde gemacht (Vers 20–22; Hoffnung für alle).

Die spontane Sonntagsschulantwort ist hier am Ende also doch richtig. Alles hat Gott Jesus zu Füßen gelegt, auch die Feinde Gottes. Gott erringt den Sieg durch Jesus und durch Jesus alleine. So sieht es jedenfalls aus, aber dann werden wir noch einmal überrascht.

Alles hat Gott ihm zu Füßen gelegt und ihn zum Haupt seiner Gemeinde gemacht. Sie ist sein Leib: Der Schöpfer und Vollender aller Dinge lebt in ihr mit seiner ganzen Fülle (Epheser 1,22–23; Hoffnung für alle). »Alles« wird von Jesus beherrscht, wird ihm zu Füßen gelegt – nur wir nicht. Wir, die wir seine Gemeinde darstellen, werden nicht unter seinen Füßen liegen. Wir werden seine Füße sein! Jesus ist »nur« das Haupt. Jesus und seine Gemeinde stellen gemeinsam den Sieger dar. Unter seinen Füßen heißt unter unseren Füßen, denn wir sind sein Körper.

Der Sieg gehört Jesus und deshalb auch uns. Kopf und Körper stellen zusammen den Sieger dar. Und was sind die Waffen unseres Kampfes? Nicht Schwert und Gewalt, sondern die Bereitschaft, uns selbst zu opfern, in der unsterblichen Hoffnung, dass Gott die Macht hat, sogar den Tod zu besiegen.

Das Protoevangelium von 1. Mose 3,15 findet seine Erfüllung in Jesus und in allen, die zu ihm gehören. Sie sind gemeinsam der Nachwuchs der Frau. Dies bedeutet jedoch nicht, die Kirche solle nun mit Gewalt und Macht ihren Vorteil suchen. Das hat sie leider nur allzu oft getan und manchmal tut sie es immer noch. Der Kampf gegen das Böse wird jedoch nur gewonnen, wenn wir, wie Jesus, selbstaufopfernd leben. Manchmal schließt das sogar den Tod mit ein.

Warum sollten wir 1. Mose 3–11 lesen?

Ohne diese Kapitel wüssten wir zu wenig, warum die Welt so ist, wie sie ist, wie Gott seinen Plan trotz des Bösen zum Ziel bringen wird, und welche Rolle wir dabei spielen als Empfänger der großen Gnade Gottes, als Mitkämpfer im noch anhaltenden Krieg der Geschichte, in dieser Zwischenzeit, in der der D-Day bereits hinter uns liegt, der V-Day aber noch aussteht.

Weiterführende Fragen

1. Verstehen Sie den Bericht über den Sündenfall in erster Linie als ein einmaliges Geschehen von Adam und Eva im Garten oder als einen Hinweis darauf, dass alle in Versuchung kommen, Gottes guten Plan für die Menschheit abzulehnen?

2. »Wo bist du?«, »Wo ist dein Bruder?« (Seite 30). Wie werden diese beiden zentralen Fragen in der Bibel aufgegriffen, um uns unsere wichtigsten Verpflichtungen zu zeigen?

3. »Der Sieg gehört Jesus und deshalb auch uns. Kopf und Körper stellen zusammen den Sieger dar. Und was sind die Waffen unseres Kampfes? Nicht Schwert und Gewalt, sondern die Bereitschaft, uns selbst zu opfern, in der unsterblichen Hoffnung, dass Gott die Macht hat, sogar den Tod zu besiegen« (Seite 36f.). Wie reagieren Sie auf diese Aussage der Autoren?


Kapitel 3
Gesegnet sein – ein Segen werden: 1. Mose 12–36

Mit Abraham beginnt ein völlig neues Kapitel in der Weltgeschichte. Hier geht es um einen einzelnen Menschen, um ein Ehepaar, eine sehr langsam wachsende Familie und schlussendlich um ein semitisches Volk – eines der vielen im Nahen Osten. Es geht um einen kleinen Teil der ganzen Welt. Warum konzentriert Gott sich jetzt auf Einzelne … auf einzelne Menschen und auf ein einzelnes Volk? Weil es Gott um die ganze Welt geht. Dieses Paradox ist von größter Wichtigkeit.

Es geht Gott um die Welt

Es geht Gott immer um die ganze Welt. Das zeigt uns schon die Schöpfungsgeschichte (1. Mose 1–2). Die ganze Welt soll gerettet, erneuert und zu ihrem Ziel gebracht werden. Das wird an verschiedenen Stellen deutlich: in der Geschichte des Sündenfalls mit dem Protoevangelium (1. Mose 3), in der Geschichte der wachsenden menschlichen Gesellschaften (1. Mose 4–5), in der Geschichte über Gottes Gericht und den Rettungsakt in der Sintflut (1. Mose 6–8), in der Geschichte über den neuen Bund mit Noah und dessen Nachkommen (also wieder mit der ganzen Menschheit auf der Erde; 1. Mose 9) und im Stammbaum der verschiedenen Nationen (1. Mose 10). Sogar die Geschichte des Turmbaus zu Babel (1. Mose 11) zeigt, dass alle Nationen der Welt sich von Gott abwandten und nicht mehr in Gottes Gegenwart leben (genauso wie Adam und Eva nach ihrem Fall) – und deshalb wieder zu Gott zurückgeführt werden müssen. Die ersten elf Kapitel in 1. Mose berichten immer aus einer Sicht auf die ganze Welt. 1. Mose 12 stellt den Beginn einer neuen Strategie dar, indem Gott sich auf den Einzelnen konzentriert und so seinen Plan erfüllen will, die ganze Welt zurückzugewinnen.

Gott beschloss, ein neues Volk zu schaffen, ein Gottesvolk, das beispielhaft zeigen würde, wie die Menschheit wieder in Beziehung mit Gott leben und zu Verwaltern des treuen Gottes werden kann. Gott verlieh zunächst einem Einzelnen, dann einer Großfamilie und später einem ganzen Volk einen großen Auftrag. Sie sollten der Welt vorleben, was es heißt, zu Gott zu gehören, von Gott gerettet zu werden und wiederum andere zu retten. Die ganze Welt sollte von der Macht des Feindes gerettet werden.

Gott wollte das zurückerobern, was der Feind ihm weggenommen hatte. Er wählte jedoch kein bereits bestehendes Volk aus, sondern bildete ein neues. Volksgruppen (oder Völker) sind oft durch bestimmte Merkmale gekennzeichnet. Sie entstehen, wenn sich durch örtliche Bedingungen wie Geographie, Geschichte oder Verwandtschaften allmählich äußerliche Kennzeichen wie Dialekt und Musik, Kunst und Tanz, Kleidermode und Traditionen entwickeln und so zum Ausdruck bringen, ob jemand zu der einen oder einer anderen Volksgruppe gehört. Keine Volksgruppe konnte als Volksgruppe den Auftrag Gottes erfüllen.

Nein, ein Volk Gottes, das erneut den großen Auftrag, den Gott den Menschen gab, aufgreifen konnte, konnte nur durch ein Wunder, ja nur durch eine Reihe von Wundern, zustande kommen. Dieses Volk musste von anderen Merkmalen gekennzeichnet sein als nur durch die üblichen Äußerlichkeiten ethnischer Gruppen.

Beginnend mit Abram, der später Abraham genannt wurde, wollte Gott ein neues Volk schaffen, das als Volk Gottes den Auftrag erhalten sollte, anders als die übrigen Völker der Welt zu sein. Jedes Mal, wenn dieses Volk später versuchte »wie alle Nachbarvölker« (1. Samuel 8,5) zu sein, wurde es unfähiger, den Auftrag Gottes zu erfüllen. Nur ein Volk, das anders war, konnte die anderen Völker wieder für Gott zurückgewinnen.

Das neue Kapitel

Als mit 1. Mose 12,1–4 ein neues Kapitel der Weltgeschichte begann, wurde dies kaum bemerkt. Es gab damals, ähnlich wie heute, mächtige Imperien und Völker, deren Einflussgebiet über Meere und Berge reichte. An dem Tag, als Gott zu Abram sprach, änderte sich für die meisten Bewohner der Erde nichts. Jahreszeiten kamen und gingen, Produkte wurden vom Feld zum Markt und dann auf den Tisch gebracht. Kriege wurden geführt und Hochzeiten und Beerdigungen gefeiert. Für die meisten blieb alles so, wie es vorher war. Aber in einer kleinen Ecke der Welt hatte Gott begonnen, einen neuen Abschnitt der Weltgeschichte zu schreiben. Wir lesen in 1. Mose 12,1–4:

Da sagte der Herr zu Abram: »Verlass deine Heimat, deine Sippe und die Familie deines Vaters und zieh in das Land, das ich dir zeigen werde! Ich will dich segnen und dich zum Stammvater eines mächtigen Volkes machen. Dein Name soll in aller Welt berühmt sein. An dir soll sichtbar werden, was es bedeutet, wenn ich jemand segne. Alle, die dir und deinen Nachkommen Gutes wünschen, haben auch von mir Gutes zu erwarten. Aber wenn jemand euch Böses wünscht, bringe ich Unglück über ihn. Alle Völker der Erde werden Glück und Segen erlangen, wenn sie dir und deinen Nachkommen wohlgesinnt sind.« Abram folgte dem Befehl des Herrn und brach auf

An einem Tag lebte Abram mit seiner ganzen Verwandtschaft in der Stadt Haran. Und schon am nächsten Tag bereitete er sich auf eine ziemlich lange und unklare Reise vor – unklar aus seiner Sicht, aber nicht aus der Sicht Gottes. Gott hatte einen Plan, einen ganz neuen Plan.

»Verlass deine Heimat!« Das neue Volk, das Gott entstehen ließ, konnte sogar ein Volk sein, obwohl es landlos war. Es wurde nicht durch Landbesitz und Heimat definiert. Tausende Jahre später fasste ein anonymer Prediger die Geschichte so zusammen:

In solchem Vertrauen gehorchte Abraham, als Gott ihn rief. Er brach auf in das Land, das er als Erbbesitz bekommen sollte, und verließ seine Heimat, ohne zu wissen, wohin er kommen würde. Und in solchem Vertrauen lebte er in dem Land, das Gott ihm zugesagt hatte, als ein Fremder und in Zelten, zusammen mit Isaak und Jakob, die dieselbe Zusage bekommen hatten. Denn er wartete auf die Stadt mit festen Grundmauern, die Gott selbst entworfen und gebaut hat (Hebräer 11,8–10).

»Verlass deine Sippe und die Familie deines Vaters!« Das Volk, das Gott sich erschaffen wollte, sollte wie alle anderen Völker der Erde auch von Vorfahren und Urahnen abstammen. Doch zugleich würde es auch einen Bruch mit der Tradition darstellen. Nicht Abrams Vater Terah würde der Urahn dieser Familie sein, sondern Abrams Vater Gott. Von nun an sollte es im Volk Gottes nicht mehr allein um Blutsverwandtschaft gehen, sondern um Brüder und Schwestern in der Familie Gottes. Jahrtausende später würde Jesus es so formulieren: »Wer sind meine Mutter und meine Brüder?« Er sah auf die Leute, die um ihn herumsaßen, und sagte: »Das hier sind meine Mutter und meine Brüder! Wer tut, was Gott will, der ist mein Bruder, meine Schwester und meine Mutter!« (Markus 3,33–35).

»Zieh in das Land, das ich dir zeigen werde!« Gott wollte nicht, dass Abram alles genau im Voraus wusste und sich aufgrund dieses Wissens überlegte, ob und inwieweit er bereit war, sich mit Gott auf den Weg zu machen. Abram sollte Gott vertrauen und ihm gewissermaßen einen Blankoscheck ausstellen. Gott wollte von Abram ein uneingeschränktes Ja; die Bereitschaft, Gehorsamsschritte zu wagen, ohne immer genau zu wissen, wohin diese führen würden.

»Ich will dich zum Stammvater eines mächtigen Volkes machen.« Dieses Versprechen sah zunächst nicht sehr verheißungsvoll aus: Abram war bereits 75 Jahre alt und seine Frau Sarai, die später Sara genannt wurde, war fast genauso alt. Sie waren kinderlos und sollten jetzt ein großes Volk gründen. Wie denn?

»An dir soll sichtbar werden, was es bedeutet, wenn ich jemand segne. Alle, die dir und deinen Nachkommen Gutes wünschen, haben auch von mir Gutes zu erwarten.« Schon bei der Erschaffung von Adam und Eva hatte Gott seine neue Schöpfung, die Menschheit, seine Verwalter, gesegnet. Und sofort hatte er ihnen einen Auftrag gegeben. Das macht Gott immer so. Er geht selbst den ersten Schritt und beschenkt uns Menschen mit Zuwendung, Gnade, Segen und unverdienten Zeichen seiner Liebe. Gottes Segen ist jedoch nie Privatbesitz: Er muss weitergegeben werden. Wir werden gesegnet, um für andere zum Segen zu sein.

Gleich zu Beginn hat Gott Abram wissen lassen: Es geht nicht um dich, Abram, sondern um die anderen. Es geht nicht um das Volk, das aus deinen Nachkommen entstehen wird, sondern um alle Völker der Erde. Gott will ein Gottesvolk schaffen, eine Stadt auf dem Berge, die leuchtet, damit andere den Weg zum Licht finden. Später sagte Gott dann zu Abrams Nachkommen, zur treuen Minderheit der Israeliten: »Es ist zu wenig, dass du als mein Bevollmächtigter nur die Stämme Israels wieder zu Ansehen bringst und alle zurückführst, die von den Nachkommen Jakobs übrig geblieben sind. Ich mache dich auch zum Licht für die anderen Völker, damit alle Menschen auf der Erde durch dich meine rettende Hilfe erfahren« (Jesaja 49,6).

Und wieder später sagte Jesus denen, die bereit sind, den Auftrag Gottes aufzugreifen: »Ihr seid das Licht für die Welt. Eine Stadt, die auf einem Berg liegt, kann nicht verborgen bleiben. ... Genauso muss auch euer Licht vor den Menschen leuchten: Sie sollen eure guten Taten sehen und euren Vater im Himmel preisen« (Matthäus 5,14.16).

»Abram folgte dem Befehl des Herrn und brach auf.« Gott hatte jemanden berufen, mit dem er einen neuen Anfang machen wollte. Und dieser Mann war bereit, sich auf Gott einzulassen. Seine Nachbarn haben sich vermutlich sehr über ihn gewundert. Vielleicht hat ganz Haran ihn zurückhalten wollen. »Du bist verrückt, Abram. Ein Gott will dich wegschicken? Sei vernünftig!« Wir nehmen an, dass Abrams Auszug aus Haran eine Sensation darstellte. Wir nehmen aber auch an, dass niemand wusste, dass dieser Tag im Rettungsplan Gottes für seine Schöpfung einen riesigen Schritt vorwärts darstellte.

Tasuta katkend on lõppenud.