Loe raamatut: «Mit dem Wohnmobil durch die Welt — trotz Rollstuhls im Gepäck», lehekülg 9

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Über den Balkan auf zur Türkei

Das Ziel unserer nächsten größeren Auslandsreise mit dem Mobi war im Mai 1988 der vordere Orient, und zwar die TÜRKEI. Freitag, den 06.05. starteten wir nach wie immer umfangreicher Packerei gegen 17.00 Uhr, die Sonne hatte uns mit 20°C schon einen vorsommerlichen Tag beschert, genau das richtige Urlaubswetter. Auf schneller Autobahn durchquerten wir das herrliche Siebengebirge östlich des Rheins mit seinen bewaldeten Hügeln, romantischen Tälern und idyllischen Orten und den nicht minder schönen Westerwald, bis wir gegen 20.00 Uhr in dem kleinen Ort

- Camberg -

hübsch am Rande des Taunus gelegen, auf einem von weiß blühenden Hecken eingefassten Parkplatz neben einem Sportgelände unsere erste Bleibe fanden.

Weiter ging’s am Samstagmorgen bei ansteigenden Temperaturen wieder per Autobahn, durch den dunklen Spessart, vorbei an Würzburg, mitten durch den Naturpark Steigerwald, Erlangen und Nürnberg berührend, über die Höhen und Täler der Schwäbischen Alb, durch Regensburg, die Mündungsstadt von Naab und Regen in die Donau, dann auf herrlicher Strecke durch die Ausläufer des Bayerischen Waldes, bis wir kurz hinter Passau ohne großen Aufenthalt die Grenze nach

- ÖSTERREICH -

überfuhren.

Zunächst ein Stück am östlichen Ufer des Inn entlang, dann auf guter Durchgangsstraße durch das idyllische Innviertel. Nach etwa 60 Kilometern schlugen wir schließlich in der Bezirkshauptstadt

- Wels -

auf einem von alten Bäumen bestandenen Parkplatz neben dem Messegelände unser zweites Nachtlager auf, nachdem wir vorher in einem urigen Restaurant am Markt mit etwas schlechtem Gewissen ob der vielen Kalorien, doch gutem Appetit die leckere österreichische Küche genossen hatten, wie immer, wenn sich die Gelegenheit bot, kam ich an einem köstlichen Kaiserschmarren nicht vorbei.

Am Sonntag stand uns bei anhaltendem Sonnenschein eine herrliche Fahrt quer durch die österreichischen Alpen bevor, teils auf engen Serpentinen mit traumhaften Ausblicken auf himmelhohe schneebedeckte Gipfel, teils die Passhöhen mittels etlicher Tunnel unterquerend. Nach etwa 220 Kilometern Erreichen von Graz, der schönen Hauptstadt der Steiermark, im Zentrum beeindrucken die gut erhaltenen barocken Fassaden. Noch etwa 60 Kilometer und wir passierten nach halbstündiger Wartezeit und sehr gründlicher Passkontrolle die Grenze nach

- JUGOSLAWIEN -

diesem Vielvölkerstaat, in dem damals die große Zahl der verschiedenen ethnischen Gruppen noch friedlich nebeneinander lebte, bis der machtbesessene diktatorische serbische Präsident Slobodan Milosevic etliche Kriege anzettelte, in deren Verlauf der gesamten Bevölkerung unendliches Leid zugefügt wurde. In den Sommerferien 1973, also 15 Jahre zuvor, konnten wir zusammen mit unseren beiden Teenagertöchtern an der schönen jugoslawischen Adria noch in friedvoller Umgebung Sonne, Strand und Meer genießen, und auch als wir nach weiteren 140 Kilometern mit unserem Mobi in

- Zagreb -

die zweitgrößte Stadt des Landes, einfuhren, war von irgendwelchen Rivalitäten noch nichts zu spüren. Auf dem belebten pittoresken Marktplatz in der sehenswerten Altstadt mit mächtigem neugotischen Dom, dessen zwei spitze Türme schon von weitem aus dem Häusergewirr herausragen, ein friedliches Nebeneinander, in schöne alte Trachten gekleidete Menschen belebten das Stadtbild.

Waren die Straßen vorher schon nicht besonders gut ausgebaut, so wurden unsere Nerven von Zagreb aus auf eine ziemlich harte Probe gestellt, immer wieder schlecht gekennzeichnete Baustellen, manchmal nur durch aufgestellte Teerfässer, über die sich ein Wahnsinnsverkehr, beteiligt die unmöglichsten Fahrzeuge, die bei uns niemals durch den TÜV kommen würden, in langer Schlange dahinquälte. Unter Autofahrern ist diese quer über den Balkan verlaufende Strecke berühmt-berüchtigt und als Autoput bekannt.

Wir hatten jedenfalls nach etwa 140 Kilometern die Nase restlos voll, zumal in der einsetzenden Dämmerung unbeleuchtete Gefährte eine zusätzliche Gefährdung darstellten. Also kam uns in dem kleinen Örtchen

- Nova Gradiska -

ein modernes Hotel mit etwas größerem Parkplatz gerade recht. Das etwas nüchterne Restaurant war wegen einer Folkloreveranstaltung recht gut besetzt; eine Gruppe junger Frauen und Männer in hübschen Trachten vollführte gekonnt flotte Tänze der Region, begleitet von einem begeistert in die Tasten hämmernden Klavierspieler. Ein freundlicher Ober schleppte noch ein Tischchen und zwei Stühle für uns herbei, so dass wir unsere inzwischen vernehmlich knurrenden Mägen während einer längeren Pause mit Spezialitäten des Landes beruhigen konnten, wie Cevapcici, pikante Hackfleischwürstchen, bzw. Raznjici, leckere Fleischspieße, dazu Unmengen Djuwetschreis und knackiger Krautsalat, ein offener trockener Weißwein, natürlich aus jugoslawischem Anbau, mundete sehr gut dazu. Der Wirt hatte ganz und gar nichts gegen eine Übernachtung auf seinem Parkplatz einzuwenden, so dass wir uns zu später Stunde in unser inzwischen einsam in der Ecke stehendes Mobi zurückzogen.

Gut ausgeschlafen brachen wir am Montagmorgen auf, die Sonne lachte wie gehabt vom wolkenlosen blauen Himmel und brachte es auf angenehme 25°C. Wir reihten uns in den wieder sehr starken Verkehr ein, erst kurz vor

- Belgrad -

nach etwa 140 Kilometern, entspannte sich die Lage ein wenig durch autobahnähnlichen Ausbau.

Die an der Mündung der Save in die Donau gelegene Hauptstadt mit über eineinhalb Millionen Einwohnern zeigte sich als sehr lebendige Großstadt mit überwiegend modernem Stadtbild, breiten Geschäftsstraßen und schönen Parkanlagen. Im Laufe ihrer wechselvollen Geschichte wurde sie mehrfach zerstört, so dass nur wenige historische Bauten erhalten geblieben sind, so wie das Wahrzeichen der Stadt, der auf einem Kalksporn über Save und Donau thronende riesige Festungskomplex, dessen Gründung bis ins 5. Jahrhundert v. Chr. zurückreicht; der größte Teil der noch stehenden Befestigungen stammt aus dem Jahre 1717, als Prinz Eugen, ein österreichischer Feldmarschall, als der „Edle Ritter“ in die Geschichte eingegangen, in einer dramatischen Schlacht gegen eine Übermacht die damalige Hauptstadt des alten SERBIENS von türkischer Herrschaft befreite.

An diesen grandiosen Sieg erinnert das barocke Prinz Eugen Tor, das 1719 unterhalb der Festung erbaut wurde. Sehenswert auch die mächtige Kathedrale St. Michael (1837-45), die mit ihrem spätbarocken Turm oberhalb des Saveufers die modernen Bauten überragt. Auf unserer langsamen Fahrt durch die Stadt, soweit möglich bei dem dichten Verkehr, überquerten wir auch ihren wohl schönsten Platz, den Platz der Republik, eingerahmt von gut erhaltenen alten Gebäuden mit kunstvoll gestalteten Fassaden, herausragend das schneeweiße Nationaltheater von 1868, der Mailänder Scala nachempfunden, im zurückspringenden mittleren Eingangsbereich ein schmaler Balkon mit dekorativer Balustrade, geschmückt mit weißen Kugelleuchten auf schmiedeeisernen Ständern, die Fassade, ganz besonders um die Fenster herum, stuckverziert, gekrönt wird die Pracht von grünen Kupferdächern in verschiedenen Ausführungen. Die Längsseite des Platzes wird eingenommen vom Nationalmuseum, ein Palast aus dem Jahre 1903, die Fassade rotbraun gemauert, die Fenster ebenfalls stuckverziert, auf dem flachen Dach drei auffällige hellgrüne Kuppeln. Mitten auf dem Platz thront als bronzene Reiterstatue auf in Stufen ansteigendem weißen Sockel, eingerahmt von vier mehrarmigen Laternenpfählen mit gleichfalls weißen Kugelleuchten, der serbische Fürst Mihailo Obrenovic, der während seiner Regierungszeit Mitte des 19. Jh. die endgültige Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich erreichte.

Nach fast einer Stunde waren wir jedoch froh, dem Großstadtgewühl entfliehen zu können, zunächst auf von Baustellen gespickter Autobahn, die aber schon bald in eine verhältnismäßig schmale Straße überging. Hatte unser Weg uns bis Belgrad überwiegend durch von Flüssen gebildete fruchtbare Tiefebenen geführt, so durchquerten wir jetzt immer wieder gewaltige Schluchten, an beiden Seiten hoch aufragende, schroffe Felswände mit kargem Bewuchs, bis sie kurz vor der bulgarischen Grenze von sanften, dicht bewaldeten Hügelketten abgelöst wurden. Da die Dämmerung allmählich hereinbrach und unsere Mägen anfingen zu rebellieren, kam ein einsam am Fuße bewaldeter Hügel gelegenes, hell erleuchtetes Grillrestaurant, hübsch in Sternenform erbaut, gerade zur rechten Zeit. Die „Schnitzel Parisienne“, die sich als unpanierte Kalbsschnitzel mit Zitronenscheibengarnitur entpuppten, waren ganz passabel, der Krautsalat wie immer sehr lecker. Auf dem großen Parkplatz zu übernachten, war auch kein Problem, zumal später noch vier andere Wohnmobile die gleiche Idee hatten, eines davon war ein ausgebauter Bus, mit dessen Fahrer, der unser Mobi bewundernd umrundete, sich ein sehr nettes und interessantes Gespräch ergab. Es handelte sich um einen schwarzbärtigen Afghanen, der von Hamburg nach Kabul unterwegs war.

Schon kurz nach 9.00 Uhr am nächsten Morgen trafen wir an der bulgarischen Grenze ein. Im Gegensatz zu der wieder lachenden Sonne waren die Grenzbeamten weniger freundlich, mit bärbeißigem Gesicht wurden wir aufgefordert, für die etwa 240 Kilometer durch

- BULGARIEN -

102,00 DM Transit zu entrichten. Erst dann und nach gründlicher Passkontrolle durften wir passieren.

Keine 40 Kilometer weiter, und wir fuhren auf großzügigem sechsspurigen Boulevard in die moderne, sehr lebhafte Hauptstadt Bulgariens,

- Sofia -

(seit 1878 nach Beendigung der Türkenherrschaft) ein, moderne Bauten rechts und links, dazwischen viel Grün. Auf kurzer Sightseeingtour kreuz und quer über breite, sehr saubere Straßen, vorbei an gepflegten Parkanlagen, stießen wir auch auf einige sehenswerte Kirchen. Ganz besonders schön die Alexander Newski Kathedrale, errichtet 1904-14, als Dank an das russische Volk für die Befreiung von der osmanischen Herrschaft dem russischen Nationalheiligen geweiht; die mehrfach gestaffelte, sich nach oben verjüngende, fast 50 m hohe Hauptfassade kunstvoll gestaltet mit Reliefs, gemauerten Rundbögen, dazu passend hohe schmale abgerundete dunkle Fenster, trägt den mit 12 Glocken ausgestatteten Turm, durch einen umlaufenden offenen Bogengang und eine vergoldete Kuppel, verziert mit einem ebensolchen Kreuz, wie eine große Krone wirkend. Dahinter blitzt die ebenso gestaltete etwas niedrigere mächtige Hauptkuppel in der Sonne; diese ist wiederum umgeben von ein wenig tiefer liegenden Halbkuppeln, deren grüne Kupferdächer sich sehr schön von dem hellen Sandstein abheben, das Gesamtbild orientalisch anmutend. Dank nahem Parkplatz konnten wir dieses Kleinod, das als bedeutendstes Kunstwerk des 20. Jahrhunderts auf der Balkanhalbinsel gilt, auch von innen bewundern; die Ausstattung mit Marmor, wunderbaren Wandmalereien, Mosaiken und Ikonen ist von historischem Prunk geprägt.

Nach weiteren 120 Kilometern auf hügeliger Strecke durch abwechslungsreiche Landschaft landeten wir in der zweitgrößten Stadt des Landes, das sehr schön auf sechs Hügeln zu beiden Seiten der Maritza gelegene

- Plovdiv -;

davon steht die sich auf drei dieser Erhebungen ausbreitende Altstadt, durch die wir uns natürlich wieder hindurchzwängen mussten, unter Denkmalschutz. Die kopfsteingepflasterten Gassen, eindrucksvollen Fassaden mit Erkern und Bögen und romantische Winkel bieten ein sehenswertes Stadtbild.

Jetzt trennten uns nur noch etwa 80 Kilometer von unserem Hauptziel, der

- TÜRKEI -.

Die Straßenverhältnisse ließen zwar zu wünschen übrig, aber durch das fruchtbare Tal der Maritza kamen wir einigermaßen zügig voran. Erst nach sehr langer Grenzkontrolle, auch das Mobi wurde außen wie innen genauestens untersucht, durften wir endlich einreisen. Zunächst einmal hieß es die Uhren umzustellen, denn in der Türkei war man uns um eine Stunde voraus. Die Sonne war schon lange untergegangen, und es wurde sehr schnell dunkel, also dringend Zeit für einen Übernachtungsplatz.

Als ein langsam dahintrottender Eselskarren, völlig unbeleuchtet, ein gewagtes Bremsmanöver erforderte, reichte es uns, und wir nahmen die nächste sich bietende Gelegenheit wahr, von der inzwischen in voller Dunkelheit liegenden Straße herunterzukommen. Eine hell erleuchtete Tankstelle mit Grill und dahinter etwas verborgen liegendem Parkplatz erschien uns in dieser Situation als Rettungsanker. In dem kleinen Restaurant nur Männer, einige laut palavernd, aber als wir uns an einem der Tische niederließen, freundlich herüber grüßend, ganz besonders herzlich ein in der Ecke mit zwei Jungen sitzender Gast, den wir dann als den Türken aus Köln wieder erkannten, den wir mit seiner Familie bereits auf einem Parkplatz an der deutschen Autobahn getroffen hatten auf dem Weg in seine Heimat. Nachdem ich in die Männergesellschaft eingebrochen war, holte er seine bescheiden draußen im Wagen wartende Frau herein, inzwischen in einen schwarzen Tschador gekleidet. Hätte sie sonst ihr Abendessen unter Umständen im Auto verzehren müssen?

Wir aßen jedenfalls mit gutem Appetit eine pikante Reissuppe, Sis kebap und Sis köfte, gegrillte Lammstückchen am Spieß bzw. Fleischbällchen, dazu kräftig gewürzten Reis mit Rosinen. In der äußersten Ecke des dunklen Parkplatzes schliefen wir dann unserem Abenteuer Türkei entgegen.

Petrus spielte mit, unser Außenthermometer zeigte bereits wieder 25°C, als wir am nächsten Vormittag schon nach etwa 20 Kilometern durch die ehemalige Sultansresidenz

- Edirne -

rollten. Aus dem Gewirr der für uns zu engen Gassen der verwinkelten Innenstadt ragen sehr eindrucksvoll die Kuppeln und schlanken Minarette einiger Moscheen empor, besonders großartig die Selimiye Moschee mit ihren vier 80 m hohen schlanken Türmen. Weiter ging’s durch freie Natur, von einigen kleinen ärmlichen Örtchen abgesehen; rechts und links der Straße weites Sumpfgebiet und feuchte grüne Auen, auf hohen Beinen stakten Störche und Kraniche auf Futtersuche durch das für sie ideale Revier.

Nach etwa 152 Kilometern erreichten wir das Nordufer des Marmarameeres, mit etwa 200 km Länge und bis zu 80 km Breite ein beachtlicher Binnensee, im Nordosten durch den Bosporus, eine 30 km lange und bis zu 3 km breite Meerenge, mit dem Schwarzen Meer und im Südwesten die 65 km langen, rund 2 bis 6 km breiten Dardanellen mit dem Ägäischen Meer verbunden. Nur ein kurzer Blick auf das smaragdgrün schimmernde Wasser, dann nahmen die sich lang hinziehenden Vorstädte des aus allen Nähten platzenden Istanbul uns auf; zu beiden Seiten riesige unpersönliche Wohnblocks, Gewerbebetriebe und Einkaufszentren.

Trotz aller Warnungen in den Reiseunterlagen des ADAC, sich mit dem Mobi in den Moloch des Verkehrs zu stürzen und der Empfehlung, sich unbedingt auf einem der vor der Stadt liegenden Campingplätze einzumieten, um dann mit einem Taxi auf Entdeckungsfahrt zu gehen, wollten wir es mit unserem eigenen Fahrzeug wagen. Unser Hauptanziehungspunkt war die Altstadt, gelegen auf einer Landzunge zwischen dem vom Bosporus abgehenden Goldenen Horn, einem lang gestreckten Naturhafen, und dem Marmarameer, auf deren Spitze in einem Gebiet von kaum vier Quadratkilometern sich fast alles befindet, was Istanbul sehenswert macht, diese faszinierende und zugleich eigentümliche Stadt, die sich in traumhafter Lage, über sieben Hügel verteilt, ausgebreitet hat und wohl als einzige auf der Welt auf zwei Kontinenten liegt, teils in Europa und jenseits des Südausganges des Bosporus in Asien. Gegründet wurde sie bereits um 658 v. Chr. vom sagenhaften dorischen Heerführer Byzas aus Megara und nach ihm zunächst Byzanz genannt. In ihrer wechselvollen Geschichte wurde sie im Jahre 330 n. Chr. vom römischen Kaiser Konstantin als Konstantinopel zur Residenz erhoben und nach der endgültigen Reichsteilung 395 n. Chr. Hauptstadt des Oströmischen (Byzantinischen) Reiches. Anfang des 13. Jahrhunderts von den Kreuzfahrern erobert, kehrte sie jedoch 1261 unter römische Herrschaft zurück, bis im Mai 1453 der osmanische Sultan Mehmed II. nach knapp zweimonatiger Belagerung in die Stadt einzog und sie zur Hauptstadt des Osmanischen Reiches erklärte.

Erst 1930, nach alliierter Besetzung (1918-23) und Verlust der Hauptstadtfunktion an Ankara, erhielt sie den heutigen Namen Istanbul. Im Oktober 1923 proklamierte Mustafa Kemal Pascha nach vierjähriger Revolution gegen das alte autokratische Herrschaftssystem und einem nationalen Befreiungskampf gegen die Siegermächte des Ersten Weltkrieges die Republik, an deren Spitze er bis zu seinem Tode im Jahre 1938 blieb, 1934 erhielt er den Ehrentitel Atatürk (Vater der Türken).

Doch jetzt genug der türkischen Geschichte, dank gutem Stadtplan und der weithin die Richtung weisenden sechs schlanken hohen Minarette eines der berühmtesten Sehenswürdigkeiten Istanbuls, der Sultan-Ahmet-Moschee, auch Blaue Moschee genannt, landeten wir nach einiger Zeit tatsächlich ohne eine einzige Schramme - der Verkehr ist wirklich mörderisch - unmittelbar vor diesem Wunderwerk der türkischen Baukunst, d.h. nach einigen Umrundungen des gegenüber liegenden gepflegten Parks gelang es uns sogar, direkt am Eingang in den Außenhof einen Parkplatz zu ergattern.

Kaum standen wir, wurden wir von einem jungen sympathischen Türken in fließendem Deutsch angesprochen, er hatte einige Jahre in Deutschland zugebracht und freute sich, wieder einmal deutsche Laute zu hören. Sein Angebot, uns die Moschee vorzuführen, nahmen wir natürlich sehr gern an. Durch ein breites Tor gelangten wir zunächst in einen von wunderschönen Laubbäumen beschatteten Außenhof, der in den von einer durchbrochenen Mauer umgebenen Innenhof führte, dominiert von einem überdachten, kunstvoll gestalteten Brunnen, um die vom Koran vor dem Gebet vorgeschriebenen rituellen Waschungen vornehmen zu können. Den äußerst imposanten Bau (1609-16) aus leicht verwittertem Sandstein genau zu beschreiben, ist schier unmöglich; rundum von durch Säulen getragenen hohen Arkaden umgeben, diese gekrönt von kleinen, dicht aufeinander folgenden flachen Kuppeln, erhebt sich darüber aus der Mitte heraus in drei großen Stufen, sich nach oben hin verjüngend, durchbrochen von bogenförmigen Fensteröffnungen, der gewaltige runde Hauptbau, dessen Abschluss wiederum eine mächtige Kuppel bildet, auslaufend in eine den türkischen Halbmond tragende Spitze. Rundherum steigen aus der Dachfläche noch eine Menge anderer verschieden großer runder und eckiger Türme empor, alle mit dekorativen Kuppeldächern. Eingerahmt ist der ganze Komplex von den sechs hohen schlanken, ihn noch um einiges überragenden, einzeln stehenden Minaretten.

Um dieses Heiligtum auch von innen bewundern zu können, mussten wir zunächst unsere Schuhe für ein geringes Entgelt bei einem Wächter hinterlassen, der bereits Herr über Hunderte verschiedener Schuhwerke war. Auf leisen Sohlen, um die große Anzahl der in Richtung Mekka knienden Gläubigen nicht zu stören, es war die Zeit des Nachmittagsgebets, schlichen wir über den fast ganz mit Teppichen ausgelegten Boden, einige davon recht kostbar; eine Reihe von Gebetsnischen und eine weiße Marmorkanzel unterteilen den großen Raum, die Wände sind rundherum mit wunderschönen blauen Fayencen-Kacheln verkleidet, daher ihr zweiter Name.

Das berühmteste Baudenkmal ist jedoch die gegenüberliegende, in eine gepflegte Parkanlage eingebettete Hagia Sophia. Sie war ursprünglich, und das 900 Jahre lang ein christliches Gotteshaus, das bedeutendste Bauwerk byzantinischer Kunst, bis sie Mitte des 15. Jahrhunderts von Sultan Mehmed II. in eine Moschee umgewandelt wurde und nach und nach ihre vier schlanken Minarette erhielt. Seit 1935 dient sie nur noch als Museum. Da dieses gerade renoviert wurde, konnten wir ihre Großartigkeit leider nur von außen bewundern. Die 56 m hohe riesige Zentralkuppel (32 m Durchmesser) überwölbt über einem Kranz von 40 hohen schmalen Fenstern den quadratischen Hauptraum, an den sich halbkreisförmige kleinere Räume mit Halbkuppeln anschließen, die in mehrere Geschosse gegliedert und durch Arkaden nach innen geöffnet sind.

Unser netter Führer hatte sich inzwischen von uns verabschiedet, einen Obolus als Dankeschön allerdings freundlich zurückgewiesen. Wir zogen uns zunächst einmal zu Tee und Kuchen in unser Mobi zurück, um uns dann in dem wunderschönen Park auf der anderen Straßenseite mit sprudelnden Brunnen und bunter Blütenpracht unter herrlichen alten Bäumen auf einer Bank niederzulassen. Sofort bekamen wir wieder Kontakt zu einem sehr netten Türken, der uns schließlich für den Abend ein gutes Fischrestaurant am Hafen empfahl, aber vorschlug, wegen der mangelnden Parkplätze mit der Taxe dorthin zu fahren. Einem jungen Schuhputzer, der mit einem großen Umhängekasten unterwegs war, gab mein Schatz die Chance, ein paar Münzen zu verdienen, mit Akribie und viel Schuhcreme machte er sich über seine Slipper her und versprach nach vollbrachter Tat drei Jahre Garantie.

Da wir beschlossen hatten, auch die Nacht vor der Blauen Moschee zu verbringen, unseren mit Mühe bekommenen Parkplatz also nicht aufgeben wollten, folgten wir gern dem erhaltenen Rat und winkten gegen 20.00 Uhr ein vorbeifahrendes Taxi heran, das uns dann in rasender Fahrt zu der angegebenen Adresse brachte. Es handelte sich um ein sehr gutes und wohl auch beliebtes Restaurant, der elegant eingerichtete, im 1.Stock gelegene Raum wirkte jedenfalls übervoll.

Durch einen glücklichen Zufall wurde gerade ein Tisch an einem der großen Fenster frei, so dass wir außer dem exquisiten, allerdings auch sehr teuren Essen, wir wählten natürlich frisch zubereiteten Fisch, auch den sich uns bietenden herrlichen Blick auf das Goldene Horn und die zum gegenüberliegenden modernen Stadtteil Beyoglu führende Galata-Brücke, ein traditionelles Wahrzeichen der Stadt, genießen konnten. Neben dem ununterbrochenen Verkehrsstrom, der sich langsam hinüber- und herüberwälzte, herrschte auf, neben und unter der Brücke reges Fußgängertreiben; alle möglichen Händler priesen ihre Waren an, auch Schuhputzerjungen waren unterwegs; auf dem Wasser ein stetes Hin und Her von behäbigen Dampfern, voll beladenen Schleppkähnen, bunten Fischerbooten und schneeweißen Fähren, die in alle Richtungen verkehren, das Goldene Horn hinauf, über den Bosporus und ins Marmarameer; dazwischen mit kräftigen Schlägen vorangetriebene Ruderboote.

Zu fortgeschrittener Stunde per Taxi zu unserem Mobi zurückgebracht, zog die uns hell angestrahlte Blaue Moschee magisch an. Leicht beschwingt durch den genossenen türkischen Rotwein schafften wir es bis in den durch die unendlich vielen Lichter noch schöneren Innenhof, man fühlte sich wie im Märchen aus 1001 Nacht. Am dunklen Himmel Tausende und Abertausende glitzernde Sterne und ein großer leuchtender, fast voller Mond. Die romantische Stimmung war jedoch mit einem Schlag verschwunden und machte fassungslosem Entsetzen Platz, als mein Schatz nach Durchsuchen sämtlicher Taschen vor der Tür unseres inzwischen einsam dastehendes Mobis verkündete, dass er unsere Wagenschlüssel irgendwo verloren haben müsste. Guter Rat war teuer!

Als ich in einem nahen eleganten Teppichgeschäft, das ,oh Wunder, noch geöffnet hatte, von unserem Missgeschick erzählte, lief sofort eine große Hilfsaktion an. Zunächst holte einer der drei jungen Verkäufer meinen am Mobi ausharrenden Schatz in den gemütlichen Laden herein, wo wir, in tiefen Sesseln versinkend, erst einmal mit je einem Glas heißen Tee bewirtet wurden. Dann erbot sich der sehr nette Juniorchef, der sich als Ali vorstellte und sich auch nach unseren Vornamen erkundigte, mit mir zusammen im Auto zum Restaurant zu fahren und dort nach dem verlorenen Schlüssel zu fragen. Er hatte einige Jahre in Deutschland studiert und beherrschte unsere Sprache einwandfrei.

In halsbrecherischer Fahrt ging es los, in falscher Richtung durch eine Einbahnstraße, natürlich zur Abkürzung des Weges; als er jedoch mit unverminderter Geschwindigkeit auf eine belebte Kreuzung zufuhr, die Ampel zeigte dickes Rot, und aus den Augenwinkeln sah, dass ich instinktiv Kupplungs- und Bremsfuß betätigte und mich in Erwartung eines unvermeidlichen Zusammenstoßes weit in meinen Sitz hineindrückte, legte er lachend seine Hand auf mein Knie und meinte: „Keine Angst, Gisela, bei Grün zu fahren, ist viel gefährlicher, in Istanbul fahren alle bei Rot!“ Nicht zu fassen! Jedenfalls kamen wir tatsächlich heil beim Restaurant an; leider war die Suche jedoch vergeblich. Auch die rasante Rückkehr überstand ich ungeschoren, nebenbei erfragte der äußerst scharmante Ali noch meine Meinung über die eheliche Treue, die ganz entschiedene Antwort schien ihn etwas zu enttäuschen.

Zurück im Geschäft hängte er sich sofort ans Telefon, und einige Zeit später, inzwischen war es immerhin 1.30 Uhr, also mitten in der Nacht, erschien tatsächlich ein Schlüsselexperte, dem es nach einigen Anstrengungen gelang, wenigstens die seitliche Tür zu öffnen. Dabei wäre er fast von zwei aufmerksamen Polizisten wegen Einbruchs verhaftet worden, wenn der ihn begleitende Verkäufer aus dem Geschäft nicht die Sachlage glaubwürdig erklärt hätte. Wegen des Zündschlüssels wollte er am nächsten Morgen um 8.00 Uhr wiederkommen. Wir hatten inzwischen nach etlichen Gläsern Apfeltee einen wunderschönen Wandteppich aus Seide erstanden, der noch heute einen Ehrenplatz an einer unserer Wände einnimmt und uns immer wieder an dieses ungewöhnliche Ereignis erinnert.

Um 2.30 Uhr sanken wir todmüde in unsere Kojen, um bereits um 4.00 Uhr aus tiefstem Schlaf wieder hochzuschrecken, vom nahen Minarett rief über Lautsprecher der Muezzin in durchdringendem Ton zum ersten Morgengebet. Das hat man davon, wenn man an einem solchen Platz übernachtet, aber es war auch irgendwie ein tolles Gefühl.

Drei knappe Stunden blieben uns noch, da um 8.00 Uhr der „Schlüsselexperte“ erscheinen wollte, der allerdings erst drei Stunden später eintrudelte, in seinem Gefolge ein weiterer Fachmann, mit dem zusammen er dann recht mühevoll das Lenkrad ausbaute und mit diesem auf der Schulter in seine entfernte Werkstatt zog. Ich ging in der Zwischenzeit auf Fotosafari, während mein Schatz in unserem immer noch nicht abschließbaren Mobi zurückblieb. Endlich nach 5 ½ Stunden tauchte das Gespann wieder auf, Ali aus dem nahen Teppichgeschäft hatte immer mal wieder mit 2 Gläsern dampfendem Apfeltee nach dem Rechten gesehen. Die Schlüssel klemmten zwar etwas, aber, nochmals oh Wunder, der Motor sprang auf Anhieb an.

Die ganze Aktion schmälerte unsere Urlaubskasse lediglich um 100,00 DM, wenn man vom Erwerb des kostbaren Seidenteppichs absah. Um 17.30 Uhr endlich Aufbruch, versehen mit den besten Wünschen von unseren netten Helfern. Vorbei an dem von einer hohen mit Zinnen und Türmen bestückten Mauer umgebenen Topkapi Serail, eine prunkvolle Palastanlage, bis 1922 offizielle Residenz der Sultane, gelangten wir auf dem kürzesten Wege zur Galata-Brücke. Von dort an ging so gut wie gar nichts mehr, es war Rushhour, Stop-and-go-Verkehr, Zeit, sich die Umgebung noch einmal in Ruhe anzusehen. Auf beiden Seiten des Goldenen Horns und auch im asiatischen Teil auf der anderen Seite des Bosporus aus dem Häusermeer aufragend eine Unmenge verschieden hoher schlanker Minarette, es gibt etwa 700 Moscheen in der weitläufigen Stadt. Die gesamten historischen Bereiche Istanbuls wurden 1985 in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen.

Endlich am anderen Ufer des Hafens angelangt, quälten wir uns parallel zum Bosporus genau so langsam voran, und als dann schließlich hoch oben vor uns die äußerst imposante Europa-Brücke auftauchte, aufgehängt an zwei gewaltigen Pylonen und mit einer Spannweite von 1.074 Metern eine der größten Hängebrücken Europas (eröffnet am 29.Oktober 1973, dem 50. Jahrestag der Türkischen Republik), machten uns die in sechs Spuren fahrenden dichten Autoschlangen, die sich über ihre Fahrbahnen wälzten, nicht gerade hoffnungsfroher. Zu dieser Zeit schienen die meisten der 6.6 Millionen Einwohner unterwegs zu sein.

Aber es nützte nichts, wir mussten hinüber auf die asiatische Seite. Nicht zu fassen, in diesem irren Gewühl von Fahrzeugen aller Art, die sich auf engstem Raum fortbewegten, waren noch, sich überall durchquetschend, Zeitungs-, Nuss- und Sesamkringel-, Limonaden- und Wasserverkäufer unterwegs. Irgendwann gegen 20.00 Uhr gelang es uns, dem Moloch zu entkommen und Richtung Marmarameer zu entfliehen. Zu unserer großen Freude entdeckten wir ein sehr hübsches, hoch über dem Ufer gelegenes Motel, schneeweiß mit dunklen Holzblenden und kleinen Türmchen, in dessen gemütlichem Restaurant wir uns bei Muschelsuppe und Schwertfischwürfeln am Spieß mit Tomaten, Peperoni und Zitronenstückchen, dazu ein kräftiger türkischer Rosé, zunächst in aller Ruhe von dem Verkehrsstress erholten, dabei den weiten Blick auf das inzwischen im Mondschein glitzernde Marmarameer genießend. Mit freundlicher Genehmigung des Wirtes träumten wir dann auf dem oberhalb einer steilen Felswand gelegenen, von windzerzausten jungen Palmen gesäumten Parkplatz, dieses Mal völlig ungestört, dem nächsten Morgen entgegen.

Leichte Dunstschleier lagen über dem Wasser, als wir am Freitagvormittag bei angenehmen 20°C in bester Stimmung aufbrachen, wie immer begleitet von heimischen Klängen aus dem Kassettenrekorder. An das unangenehme Knarren der Lenksäule in scharfen Kurven hatten wir uns allmählich gewöhnt, offensichtlich war das Lenkrad von dem jungen Experten nicht optimal montiert worden, nun, er hatte sein Bestes gegeben und es funktionierte ja einwandfrei.

Wir umrundeten zunächst eine weit ins Landesinnere gehende Bucht des Marmarameeres, und nachdem wir die Industriestadt Izmit mit ihren Erdölraffinerien hinter uns gelassen hatten, folgten wir noch etwa 60 Kilometer dem Südufer der Bucht, um dann im Landesinneren den romantischen Iznik See zu berühren. Weiter ging’s auf einsamer Straße durch eine fruchtbare Tiefebene, von weitem grüßte majestätisch ein Tausender, auf den Feldern in der inzwischen brütenden Mittagssonne fleißig hackend Frauen im schwarzen Tschador. Auf schwankendem Eselsrücken langsam dahintrottend kam uns ein Bauer entgegen, das Gesicht sonnengegerbt, freundlich grüßte er herüber. Die Erfahrung machten wir auf unserer ganzen Rundreise durch die Türkei, überall natürliche Herzlichkeit, lachende winkende Kinder, häufig in adretter blau-weißer Schuluniform, fröhliche Erwachsene von einer umwerfenden Gastfreundschaft.