Ein Weilchen gehen sie auf der Straße stillschweigend nebeneinander.
Dann sagt Kufalt: »Wenn Sie mich der morgen noch mal vorführen, Herr Kriminalassistent, bin ich hops. Dann erkennt sie mich bestimmt wieder.«
Und, da der andere nicht antwortet: »Wo sie mich heute den ganzen Abend beglotzt hat.«
»So«, sagt Herr Brödchen nur.
Dann, nach einer Weile: »Sie haben schöne Begriffe von unserer Arbeit. Sie denken auch, Sie sind allein schlau.«
»Und was denken Sie?«
»Jetzt denk ich, Sie sind gar nicht ausgekocht, jetzt denk ich, Sie sind dumm. Und Dumme machen immer die meiste Arbeit.«
Pause. Sie gehen wieder schweigend nebeneinander.
»Wo gehen wir eigentlich hin?« fragt Kufalt.
Brödchen brummt nur.
»Sie lassen mich doch wieder laufen? Die Olle heute beweist doch gar nichts.«
Aber auch darauf antwortet Herr Brödchen nicht.
Sie gehen in das Zentrum der Stadt, über den Marktplatz, in das Rathaus, durch die Polizeiwache, in der auf Pritschen ein paar Stadtsoldaten liegen, eine halbdunkle Treppe hinauf – und Brödchen stößt die Tür zu einem schmalen kleinen Büro auf. Hier sitzt hinter einer Schreibmaschine ein Polizist, ein Oberwachtmeister, Kufalt kennt die Abzeichen.
»Setzen Sie sich!« sagt Brödchen zu Kufalt. Und ungeduldig: »Also setzen Sie sich schon! – Wrede, dieser Herr darf nicht …«
»Weiß Bescheid«, sagt der Oberwachtmeister Wrede gleichmütig und tippt weiter.
»Ich geh mal ’nen Augenblick zum Chef rein«, erklärt Brödchen und verschwindet durch eine Polstertür im Nebenbüro.
Eine Weile sitzt Kufalt dösend da. Er möchte gerne auf die Stimmen im Büro nebenan lauschen, aber die Polstertür ist zu dick, und die Maschine klappert zu sehr – so bleibt ihm nichts als das Dösen: Lassen sie dich raus? Natürlich lassen sie dich raus, ist ja gar kein Beweis da!
Es dauert lange Zeit, schließlich steht Kufalt auf und fängt an, hin und her zu gehen.
»Von der Tür weg! Setzen!« ruft der Mann an der Schreibmaschine scharf, und Kufalt setzt sich und döst weiter: Natürlich lassen sie dich raus. Da komm ich grade noch recht zu Hilde.
Wieder vergeht eine endlose Zeit, dann tut sich die Polstertür auf, und mit Herrn Brödchen erscheint ein großer gewichtiger Mann in Polizeiuniform.
Kufalt springt auf und nimmt seine Habachtstellung ein, die er im Kittchen gelernt hat.
Aber der Polizeioffizier betrachtet ihn nur flüchtig.
»Also vorläufig in Polizeigewahrsam«, sagt er.
»Aber …«, fängt Kufalt fast schreiend an.
»Abführen!« sagt der Offizier scharf und verschwindet durch die Polstertüre.
Der Oberwachtmeister ist von seiner Maschine aufgestanden und nimmt von einem Brett Schlüssel.
»Herr Assistent!« schreit Kufalt. »Sie wissen doch selbst, ich bin’s nicht gewesen. Lassen Sie mich doch raus, ich lauf Ihnen bestimmt nicht weg. Sie wissen doch, ich muss heute noch …«, sehr leise, »… zu meiner Braut. Machen Sie mir doch nicht alles kaputt!«
»Aber was sind denn das für Zicken, Kufalt«, sagt Brödchen. »Was macht Ihnen eine Nacht im Kittchen schon aus! Wenn Sie wirklich unschuldig sind, kommen Sie morgen wieder raus. Und für die Aufklärung ist es besser, Sie sind uns erst einmal aus dem Wege.«
Er verstummt, dann sagt er geschäftsmäßig: »Außerdem besteht Verdunkelungsgefahr und Fluchtverdacht. – Abführen, Wrede!«
»Mitkommen!« sagt Wrede. »Na, ein bisschen dalli! Ich habe heute Abend noch mehr zu tun.«
Sie gehen über einen dunklen Hof, eine Eisentür klirrt, der Wachtmeister knipst Licht an, ein Steinflur, die geliebten Gitterstäbe, eine Zellentür …
»Geheizt ist nicht«, sagt Wrede zögernd. »Na, die eine Nacht geht es schon mal. Ich gebe Ihnen eine Decke mehr. Wollen Sie noch etwas essen? Einen Kanten Brot kann ich Ihnen geben. Suppe ist schon verteilt. Legen Sie alles aus den Taschen raus. So. In fünf Minuten hole ich Hosenträger und Schlips und mache das Licht aus. Ein bisschen dalli also!«
Es ist nicht ganz dunkel in der Zelle, dieser Eisgruft. Die Hoflampe wirft einen fahlen Schein gegen die Decke. Kufalt hockt, vor Kälte am ganzen Leibe zitternd, auf seinem Lager und starrt gegen die graue Wand.
Was macht Ihnen eine Nacht im Kittchen aus! – Was macht Ihnen schon eine Nacht im Kittchen aus! – Was macht Ihnen eine Nacht im Kittchen schon aus!
Eine unsägliche Wut erfüllt ihn. Nein, es ist nicht nur die Kälte, die ihn so zittern macht.
Wartet nur, wenn ich wieder raus bin, ihr sollt sehen …!
Und immer wieder: Was macht Ihnen eine Nacht im Kittchen schon aus!
Später hört er die Feuerwehr klingeln.
Ja, das wäre schon das Richtige, Bruhn hat ganz recht: Alles abbrennen … totschlagen muss man euch alle, ihr Speckjäger! Was macht Ihnen eine Nacht im Kittchen schon aus …
Die Feuerwehr, die Kufalt hatte klingeln hören, fuhr zur Holzwarenfabrik. Es brannte. Ja, nun brannte es – und einen langen, bitteren Weg hatte der kleine seehundsköpfige gutmütige Emil Bruhn gehen müssen, bis es zu diesem Brande kam, seinetwegen, aber nicht durch ihn.
Allerdings hatte er sich geirrt, damals, als er erzählte, die Werkleitung hielte ihn wegen seiner Äußerung über leicht brennbare Holzwarenfabriken. Nein, so etwas und Ähnliches hörte man dort nicht allzu selten, Hunde, die bellen, beißen nicht, und für den schlimmsten Fall war man ausreichend versichert.
Nein, man hielt ihn allein darum, weil er wirklich ein außergewöhnlich tüchtiger Arbeiter war, dazu noch ein Wühler, Roboter, wie er sich selbst genannt hatte. Einen Antreiber wie ihn – noch dazu einen so billigen – fand man in zehn Jahren nicht wieder!
Bedenklich wurde die Sache erst, als sein Saal wirklich anfing, schlecht abzuliefern, als man auf die von Bruhn organisierte Sabotage der Arbeit stieß.
Damals hatte Bruhn wirklich direkt vor einem Hinauswurf gestanden. Aber immer wieder hemmte der Gedanke an den wirklich unersetzbaren Arbeiter. Es musste doch möglich sein, diesen Kerl kleinzukriegen!
Es war ein Buchhalter, ein galliger, gelber älterer Lohnbuchhalter, der den Vorschlag machte, Bruhns Lebenslauf seinen Arbeitskollegen bekanntzugeben, ihn dadurch zu isolieren und auf die Werkleitung als seinen einzigen Schutz zu verweisen. Zur Ehre der Firma Steguweit muss gesagt werden, dass dieser Vorschlag abgelehnt wurde. Man kannte den Buchhalter, der, niedrig bezahlt, von einem grimmigen Hass gegen jeden gut verdienenden Arbeiter, dessen Lohn er auch noch errechnen musste, erfüllt war. Man amüsierte sich über ihn und behielt ihn, weil man bei ihm vollkommen sicher war, es wurde kein Pfennig zu viel ausbezahlt. Aber so etwas wollte man nun doch nicht.
Stattdessen besann man sich auf einen gewissen polnischen Wanderarbeiter Kania, der an der Hobelmaschine ein nicht völlig ausgenutztes Dasein führte. Kania, gegen Vorgesetzte schmeichlerisch, devot, zu jedem Dienst und jeder unbezahlten Überstunde bereit, hasste niemanden so sehr wie seine eigenen Arbeitskollegen, die er als dumm, nicht strebsam und untüchtig verachtete. Immer bereit, sie zu denunzieren, ihnen Schaden zuzufügen, war er der geborene Vorarbeiter, der an nichts als an seine Fabrik und damit an sein Vorwärtskommen denkt, bis er dermal einst sein Ideal einer Zweizimmerwohnung mit Radio und Plüsch erreicht hat.
Ihn dem Bruhn vor die Nase zu setzen und die beiden zu einem irren Wettstreit anzutreiben würde im Interesse der Arbeit das Bekömmlichste sein.
Leider kamen beide Pläne zur Ausführung, und zwar der des galligen Lohnbuchhalters noch eher als der der Werkleitung. Dem Zahlenknecht hatte es keine Ruhe gelassen, dass sein ausgezeichneter Vorschlag abgelehnt worden war. Heimlich hetzte er die Arbeiter gegen Bruhn. Der aber ergab sich nicht. Ja, es glückte ihm sogar, eine kleine Gruppe in der Werkstatt zu bilden, die auf seiner Seite stand und der größeren Partei der Lästerer alles zuleide tat, was nur möglich war. Die Stunden, die früher dem emsigen Zusammenschlagen von Fallennestern gewidmet waren, galten jetzt nur dann dieser Beschäftigung, wenn gerade das Auge eines Werkmeisters auf der Belegschaft ruhte. Kaum kehrte der Mann den Rücken, begannen die Feindseligkeiten neu, die bis zum Aufbrechen von Kleiderschränken und zum Verwüsten ihres Inhaltes gingen, bis zum Beschädigen der Transmissionsleitungen, damit der Gegner von einem schlagenden Riemen erwischt und ins Getriebe gezogen wurde. Hämmer flogen unversehens durch die Luft, und das Schimpfwort »Raubmörder«, halblaut gesagt, genügte, um eine Schlacht zu entfesseln.
Dazu kamen ständige Petitionen der stärkeren Gruppe an die Werkleitung, den »Raubmörder« sofort zu entlassen. Blessuren wurden gezeigt – er hatte sie hervorgerufen. Geld fehlte – er hatte es gestohlen. Anzüge waren von Säure zerfressen – er allein besaß eine Säureflasche.
Da erschien Kania in der Werkstatt. Kania war kein beliebiger Arbeiter, der bei den Fallennestern beschäftigt wurde, mit Kania hatte die Werkleitung etwas vor, das wusste der ganze Nestersaal sofort. Was – darüber gingen die Ansichten auseinander, aber dass es sich um Bruhn handelte, darüber waren sich alle klar.
Kania trat auf, und damit kam es vorerst einmal zu der von der Werkleitung lange ersehnten Beruhigung. Beide Parteien warteten ab. War Kania einfach ein Aufpasser, der alles, was gesagt und getan wurde, der Leitung melden würde? Oder war er mehr? Er war jedenfalls ein bescheidener Mensch. Er kam von der Hobelmaschine, er verstand nichts von Fallennestern, die Kunst, Nägel im Akkord in Bretter zu treiben, war ihm fremd. Er püttjerte so herum, schielte rechts, schielte links – »der macht pro Tag ein Fallennest«, schrie einer, und alle lachten. Kania lachte auch. Zur Mittagspause hatte Kania sein erstes Fallennest fertig. »Ausschuss, zurück!« sagte der Werkmeister, und Kania lächelte bescheiden.
Sofort war man sich einig, mit Kania war nichts los, und am nächsten Tage schon war er eine gewohnte Sache. Beim Regal für die Nägel gerieten Willi Blunck und Ernst Holtmann aneinander.
»Brauchst mir auch nicht auf die Zehen zu pedden!«
»Wer peddet auf die Zehen? Du oder ich?«
Und trat ihm auf die Zehen.
»Dreckiger Raubmörder!«
»Dreckiger Ehebrecher!« Denn Blunck war in einen Ehescheidungsprozess verwickelt, von dem er gerne und nicht sauber erzählte.
»Hallo, Bruhn!«
»Hallo, Stachu!«
»Lässt du den Willi los, ich schmeiß mit dem Hammer!«
»Wenn du meinen Hammer an deine Birne haben willst …!«
»Dreckiger Raubmörder!«
Etwas wie ein tierisches Gebrüll ertönte. In das Knäuel Streitender, schon sich Schlagender sprang Kania mit nackten Armen, nacktem Hals.
»Hach!! Wer hier Raubmörder?! Du? Du auch? Da hast du! Willst du noch! Da hast du auch! Gehst du, dreckiger Polacke!« (Das galt Stachu und sprach für die Überparteilichkeit des kommenden Vorarbeiters.) »Wer will noch schlagen? Ich mich immer schlagen! Komm her du, wie heißt du?«
In drei Minuten hatte er das Knäuel von zwanzig Balgenden aufgelöst. Blutige Gesichter, zugeschwollene Augen gab es genug. Stachu hatte einen Riss wie von einem Schlagring über die ganze Backe, Bruhn war unverletzt weggekommen.
Kania schrie wie ein Berserker: »Wenn einer schlagen, immer zu mir kommen! Hach! Ich immer schlagen! Wenn einer Raubmörder, zu mir kommen, ich ihn raubmorden! Wie heißt du, wie du kommst, Brustkind, ich dich zerschlagen.« Und ruhiger: »Mach, Bruhn. Was du arbeiten, mir zeigen. Was ich arbeiten – Scheiße! Du mir zeigen! Rrrichtje Arbeit, verstehen?!«
Das gab es einmal und nicht wieder. Es kam zu keiner neuen Massenschlägerei. Es brauchte nur eine kleine Reiberei, ein kurzer Wortwechsel zu sein, schon ertönte das fürchterliche »Hach!« Kanias, und sein Ruf erscholl: »Wie du heißen, Hundeblut? Zu mir kommen, ich dich schlagen!«, und es war ruhig. Das Wort »Raubmörder« verschwand aus dem Sprachschatz der Nestleute, die Sympathien zwischen Kania und Bruhn waren zu offensichtlich.
Kania war ein gelehriger Schüler Bruhns, und solange er das war, herrschte Friede. Vielleicht hatte Kania gehofft, Bruhn zu schlagen, wenn er erst einmal eingearbeitet war, und so glatt zum Vorarbeiter aufzurücken. Darin aber hatte er sich getäuscht. Hier entschied eben nicht nur Körperkraft, darin war Kania dem Bruhn sicher zwei-, dreimal überlegen, vor allem gehörten eine angeborene Geschicklichkeit, ein unfehlbares Auge, eine kluge Hand dazu.
Solange Bruhn den Kania anlernte, hatten sie ihre Arbeitsplätze nebeneinander gehabt, dann, als Kania merkte, es gab nichts mehr zu lernen, verlegte er seinen Arbeitsplatz ans andere Ende des Saales, er sagte, es sei ihm zu kalt am Fenster. Noch nannten sich die beiden weiter Josef und Emil und redeten miteinander während der Mittagspause, aber der Ton war kühler geworden. Bruhn spürte, dass ihn Kania nie aus den Augen ließ, er spürte, wie jedes Nest, das er zusammenschlug, ihm nachgezählt wurde, wie Kania mit Aufbietung aller Kraft arbeitete – und mit lächelnder Leichtigkeit schlug er Nagel um Nagel ein, half noch anderen, und doch kam Kania nie auch nur in die Nähe seines Pensums. Saß Bruhn noch beim Essen oder stieß er noch schnell eine auf der Toilette, so stand Kania längst wieder verbissen arbeitend an seinem Tisch. Schließlich kam Bruhn, quatschte noch was, sah dem Kania womöglich noch zu, griff endlich zum Hammer, und keine halbe Stunde, und Kania war eingeholt und hinten.
Nein, es gab nun nichts mehr von Schimpfworten und Schlägereien, aber eigentlich spürte jeder im Saal, dass etwas viel Schlimmeres im Gange war. Bruhn fühlte den Hass auch, aber er nahm ihn nicht wichtig. Er vertraute da auf Kania. Aber er hatte nicht begriffen, dass Kania die Angriffe gegen ihn nur darum gestoppt hatte, um der Werkleitung seine Autorität und damit seine Eignung zum Vorarbeiter zu beweisen. Für Kania war es eine Lebensfrage, Bruhn zu schlagen, er verstand ganz gut die Taktik der Vorgesetzten, sie beide gegeneinander auszuspielen. Er war sich klar darüber, dass er sich selbst helfen musste, und das nicht auf den früheren Wegen.
An einem Mittag ging Bruhn, kaum hatte er seine Brote verdrückt, wie gewohnt auf die Toilette, um eine Zigarette zu rauchen. Er hatte sich eingeriegelt und war im schönsten Rauchen, da hörte er Wispern an der Tür. Dann erschollen dröhnende Hammerschläge, und es war zu spät, als er sich gegen die Tür warf: Sie war vernagelt.
Zwei oder drei Stunden schrie er aus Leibeskräften, er hörte, holte er Atem, die Maschinen surren, die Treibriemen schlagen und das Süt-Süt der Sägemaschinen, ihn aber schien niemand zu hören. Schließlich verlor er die Geduld und warf sich mit seinem kurzen stämmigen Körper gegen die Türfüllung, die er auch zerbrach.
Er kam in den Saal, niemand schien ihn zu beachten, er ging an seinen Arbeitsplatz. Natürlich war sein Handwerkszeug verschwunden, der Werkmeister nicht aufzufinden, und als er ihn nach einer Stunde Suchen im Kesselhaus aufgetrieben hatte und mit ihm in den Saal zurückkam, lag das Werkzeug schön ordentlich an seinem Platz. Unterdessen war aber die Meldung eingelaufen, die Toilettentür sei zerbrochen. Bruhns Beteuerungen wurden nicht beachtet: Er hatte mit einem Wochenlohn die zerbrochene Füllung zu bezahlen.
Wenige Tage darauf hatte Bruhn etwas länger auf der Werkstatt gearbeitet als die anderen, sie waren alle längst fort. Als er durch den ziemlich dunklen Gang zwischen Maschinenhaus und Pförtnerei ging, fiel plötzlich von oben aus einem dunklen Fenster ein Holzklotz mit aller Wucht, die ihm ein kräftig schleudernder Männerarm geben kann, auf seinen rechten Arm: Er hätte einen schwächeren Knochen wie den Bruhns glatt zerbrochen. Drei oder vier Tage konnte er den Arm nicht bewegen, und auch als er wieder in die Fabrik kam, brauchte er noch zwei Wochen, ehe er seine alte Arbeitsleistung wieder erreichte.
In diesen zwei Wochen triumphierte Kania, fing wieder an, mit Bruhn zu reden, alles schien in Ordnung.
Aber dann begann es von Frischem. Es war sicher längst nicht mehr nur einer, der ihm nachstellte. Es mussten viele sein, vielleicht alle. Es war eine Hetzjagd; der Instinkt dieser Leute, zu jagen, war erwacht, von allen Ecken hetzten sie ihn.
Nirgends war er mehr sicher. Ob zu Haus, ob in der Werkstatt, im Kino, auf der Straße – überall geschahen ihm Dinge. Seine Fensterscheiben zerbrachen, ein Passant, den er sicher nie vorher gesehen hatte, schlug ihm den Hut in die Gosse, Nadeln stachen ihn im Dunkeln, seine Hemden verschwanden, der Hammerkopf war immer lose, Glatteis lag auf den Stufen, kam er nachts zurück. Er konnte in kein Lokal mehr gehen, eine dumpfe Mauer von Feindschaft umstand ihn. Jetzt hätte er Kufalt gebraucht, aber den hatte er sich verscherzt. Er erwog den Gedanken zu fliehen, nach Hamburg, nach Berlin, wo man nichts von ihm wusste, wo er untertauchen konnte, aber da war die Chance beim Direktor, die er nicht preisgeben mochte, da war der Ehrgeiz, diesen Kerlen nicht zu weichen.
Aber er war immer verzweifelt. Er wusste längst nicht mehr, wie er dies ertragen konnte. Er ging zusammengefallen, gelb durch den Tag, er schlief nachts nicht, ohne an seinem eigenen Geschrei schreckvoll zu erwachen. Die ganze Welt war sein Feind, und aufatmen konnte er nur, sicher war er nur die kargen Minuten, da er durch die Pforte der Gefangenenanstalt zum Besuch beim Direktor eingelassen worden war.
Dort wurde er vertröstet.
In der letzten Zeit hatte es damit angefangen, dass jeden Morgen, wenn Bruhn zur Arbeit kam, sein Werktisch mit Kot beschmutzt war. Er war richtig bestrichen damit, Bruhn hatte unter dem schreienden Protest der anderen jeden Morgen eine halbe Stunde Wasser zu tragen, zu wischen, zu scheuern, ehe er mit der Arbeit anfangen konnte.
Bruhn mochte so früh kommen, wie er wollte: Sein Werktisch war verdreckt.
Bruhn beschwerte sich bei der Leitung, man ließ ihm sagen, der Nachtwächter habe noch um halb sieben seinen Tisch sauber gefunden, er möge gefälligst pünktlich zur Arbeit kommen und im Übrigen sich so führen, dass zu solchen Bubenstreichen gegen ihn keine Veranlassung bestehe.
Bruhn war es klar, hier bestand ein Komplott, und es war nur möglich, es aufzudecken, wenn er nachts in der Fabrik den Täter selbst erwischte.
Eines Nachts stieg er ein in die Fabrik.