Loe raamatut: «Hans Fallada – Gesammelte Werke», lehekülg 110

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Die ver­wit­we­te Frau Pas­to­rin Flee­ge hat­te noch nie einen so net­ten Mie­ter ge­habt wie den Herrn Schau­spie­ler Ernst Le­de­rer, der seit Ende Ja­nu­ar bei ihr wohn­te. Nicht nur, dass er ein groß­zü­gi­ger Mie­ter war und von selbst er­klärt hat­te, fünf­zig Mark sei­en viel zu we­nig für solch schö­nes Zim­mer, auch noch mit Hei­zung, auch noch mit Früh­stück, er gäbe fünf­und­sieb­zig, nein, er war auch der frei­ge­bigs­te Mann in Blu­men­sträu­ßen, Kon­fekt­schach­teln, Thea­ter­bil­letts. Und das al­les für eine alte, sieb­zig­jäh­ri­ge Frau!

Aber das Schöns­te war doch, dass er ger­ne bei ihr saß und mit ihr plau­der­te. Sie war alt, ihr lie­ber Mann war nun schon über zwan­zig Jah­re tot, ihre Toch­ter oben im nun dä­ni­schen Flens­bur­ger Land mit ei­nem Guts­be­sit­zer ver­hei­ra­tet. Sie kam so sel­ten, und die alte Dame hat­te kei­ne Freun­de mehr, oder die Freun­de wa­ren eben­so alt und ge­brech­lich wie sie und konn­ten kei­ne Be­suchs­we­ge mehr ma­chen.

Sie hat­te schon so lan­ge al­lein ge­ses­sen in ih­rem Zim­mer­chen, und dazu noch hat­te sie sich vor ih­ren je­wei­li­gen Mie­tern oder Mie­te­rin­nen ge­ängs­tigt. Sie wa­ren laut und roh, zahl­ten schlecht, verd­ar­ben die Sa­chen, stell­ten im­mer neue An­for­de­run­gen … aber nun der Herr Schau­spie­ler Le­de­rer …!

Zu­erst hat­te er ihr nicht so über­mä­ßig ge­fal­len. Er war laut ge­we­sen und zu ver­trau­lich, als er mie­te­te, er hat­te grund­los viel ge­lacht, hat­te sie frech an­ge­se­hen und war dann plötz­lich still und wort­karg ge­wor­den.

Aber dann hat­te sie ihn bes­ser ken­nen­ge­lernt. Frau Pas­to­rin Flee­ge hat­te eine klei­ne grauschwar­ze Kat­ze »Pus­si«, eine ganz ge­wöhn­li­che Haus­kat­ze, die ihr ein­mal als jun­ges Tier halb ver­hun­gert zu­ge­lau­fen war. Sie hat­te sich an Pus­si ge­wöhnt, es war ein lie­bes, zu­trau­li­ches Tier, man konn­te im Schum­mern mit ihr spre­chen, und sie schnurr­te dann so nett, wie zur Ant­wort …

Doch was ein­mal eine Stra­ßen­kat­ze ge­we­sen ist, be­hält lei­der die­se Nei­gung, sie war eine Her­um­strol­che­rin, da­von konn­te sie nicht las­sen! Frau Flee­ge moch­te noch so sehr auf­pas­sen, ir­gend­wann ent­wisch­te Pus­si doch ein­mal durch ein of­fe­nes Fens­ter, schob sich un­ten bei ih­ren Bei­nen an der En­tree­tür durch, wäh­rend sie oben mit dem Milch­mann re­de­te – und fort war sie!

Da ka­men dann Stun­den, oft Tage des Kum­mers für Frau Pas­to­rin. So­weit es ihr ihre al­ten Bei­ne er­laub­ten, lief sie in den Nach­bar­häu­sern um­her und er­kun­dig­te sich. Aber so vie­le Leu­te wa­ren roh, sie lach­ten sie aus und nann­ten sie »ver­dreih­te Olsch« oder »Kat­zen­ma­dam«! Sie be­grif­fen nicht, wie sehr sie sich ängs­tig­te, es gab so vie­le böse große Hun­de in der Nach­bar­schaft. Sie wuss­te wohl, man soll­te sein Herz nicht an die un­ver­nünf­ti­ge Krea­tur hän­gen, aber wo ihr lie­ber Mann schon so lan­ge tot war und die Toch­ter Hete so weit weg wohn­te …!

An sol­chen Ta­gen wein­te sie viel, die kla­ren großen Trä­nen lie­fen ihr laut­los über das Ge­sicht, sie schluchz­te nicht da­bei. Aber das Le­ben war schwer so al­lein, und der lie­be Gott hät­te sich ih­rer doch längst er­bar­men kön­nen.

Herr Le­de­rer wohn­te erst drei oder vier Tage bei ihr, als Pus­si wie­der ein­mal aus­riss. Erst woll­te sie ihm gar nichts er­zäh­len, Pus­si war ja noch im­mer wie­der­ge­kom­men, aber dann, als sie – er­schöpft von den ers­ten Nach­fra­gen – auf ih­rem Fens­ter­tritt saß, und ein Auto schrie so schrill drau­ßen, und sie war zu­sam­men­ge­fah­ren, weil sie dach­te, es sei Pus­si ge­we­sen, die so schrie – also dann war sie doch zu ihm ge­gan­gen.

Erst hat­te er wohl gar nicht recht be­grif­fen, er hat­te mit dem Kopf in den bei­den Hän­den am Schreib­tisch ge­ses­sen, dass sie dach­te, es sei ihm nicht gut … Aber dann, als er den Kopf hob, hat­te sie ge­se­hen, er hat­te Kum­mer. Sie hät­te nun ger­ne gar nichts ge­sagt, aber er hat­te schon ge­nickt und zu­ge­stimmt: »Ma­chen wir …«

Nun woll­te sie ihn zu­rück­hal­ten und hat­te ge­sagt, so sei es doch nicht ge­meint ge­we­sen, und der Herr Le­de­rer müs­se sich doch si­cher noch sei­ne Rol­le für den Abend auf­sa­gen …

Sie trug so ein ko­mi­sches schwar­zes Häub­chen auf dem Kopf, ein fla­ches Ding aus schwar­zen Glas­per­len, wie es kein Mensch heu­te mehr trug, dar­auf muss­te Herr Le­de­rer im­mer se­hen. Es war auch ver­rutscht …

Also, er ging jetzt so­fort su­chen!

Er kam wie­der zu ihr, alle vier­tel oder hal­be Stun­de mach­te er Be­richt. Da hat­te er Pus­si ge­se­hen, aber nicht ge­kriegt; jetzt hat­te er einen Bück­ling ge­kauft, um sie zu lo­cken, traf er sie noch ein­mal; und nun hat­te Frau Leh­mann, die Ge­mü­se­händ­le­rin, ge­sagt, sie habe Pus­si bei den Ab­fall­ton­nen auf dem Hof ge­se­hen …

Nun gut, sie, die Frau Pas­to­rin Flee­ge, hat­te ihn dar­an er­in­nern müs­sen, dass es höchs­te Zeit für ihn war, ins Thea­ter zu ge­hen. Er war ein ko­mi­scher Mensch, über­eif­rig, er hat­te die Ach­seln ge­zuckt und ge­sagt: »Ach was, Thea­ter!« – dann aber hat­te er sich be­son­nen und war doch ge­gan­gen.

Und war um halb zwölf – sonst war er nie so früh zu Haus – wie­der da­ge­we­sen und hat­te ge­gen ihre Türe ge­klopft – sie schlief noch nicht – und hat­te nur ge­sagt: »Ich hab Pus­si!«

Sie war her­aus­ge­kom­men, auf dem klei­nen, dün­nen wei­ßen Schei­tel saß nun eine Nacht­hau­be aus Spit­ze, in ei­ner wei­ßen Nacht­ja­cke und in ei­nem Un­ter­rock, so hat­te sie zum letz­ten Male ihr lie­ber Mann ge­se­hen, aber sie hat­te sich nicht ge­niert, nur die Trä­nen lie­fen wie­der.

»Nicht, nicht, Frau Pas­to­rin«, hat­te er ge­sagt. »Da ist ja die Pus­si. Sie hat üb­ri­gens un­ter der Haus­tür ge­ses­sen. Ich hab nichts dazu ge­tan.«

Nein, von Dank woll­te er nichts wis­sen, nie. Er nahm ihr den Weg zur Po­li­zei­wa­che ab und mel­de­te sich selbst an (»die sind oft so grob zu ’ner al­ten Frau«), er be­stell­te Bri­ketts für sie und stand mor­gens um acht auf, als sie ab­ge­lie­fert wur­den, und zum ers­ten Mal be­kam sie ihr vol­les Quan­tum und lau­ter hei­le, er steck­te die Gar­di­nen an und trug den Ab­fall­ei­mer auf den Hof …

Und nie et­was von Dank. Nein, wenn sie ihm dan­ken woll­te und griff nach sei­ner Hand, dann wur­de er rich­tig ver­le­gen und ging ohne ein Wort in sein Zim­mer. Oder er wur­de auch böse und konn­te sa­gen: »Nichts zu dan­ken, Frau Pas­to­rin, dan­ken soll man im­mer erst am Ende …«

Und sie über­leg­te sich lan­ge, ob das be­deu­ten soll­te, dass er bald wie­der aus­zog?

Ja, er war ein ge­fäl­li­ger, stil­ler, fried­li­cher Mensch, aber am schöns­ten war es doch, dass er nach­mit­tags, wäh­rend es dun­kel wur­de, bei ihr saß und zu­hör­te, wenn sie von ih­rem Mann er­zähl­te und von der schö­nen Pfar­re in der Wils­ter­marsch, wo die Hete ge­bo­ren wur­de, wo sie ihre glück­lichs­te Zeit ver­lebt hat­te.

Er saß so still da oder ging auch ganz lei­se auf und ab und rauch­te eine Zi­ga­ret­te. (Sonst moch­te sie kei­ne Zi­ga­ret­ten, aber sei­ne Zi­ga­ret­ten, fand sie, ro­chen gut.) Er konn­te zu­hö­ren, es wur­de ihm nie zu viel, er frag­te auch so ver­stän­dig zwi­schen­hin­ein, und in al­lem wa­ren sie ei­ner An­sicht.

Sie er­zähl­te mit ih­rer hel­len ho­hen Alt­wei­ber­stim­me, die manch­mal wie Sin­gen klang, von der Pfar­rei, zu der auch Land ge­hört hat­te, sech­zig Mor­gen. Wohl hat­te ihr lie­ber Mann nichts von der Land­wirt­schaft ver­stan­den, aber das hat­te ihn doch so glück­lich ge­macht, den Bo­den selbst zu be­wirt­schaf­ten, na­tür­lich mit ei­nem Knecht. Er hat­te es sich nicht neh­men las­sen, selbst zu pflü­gen, und hin­ter­her hat­te er ganz er­schla­gen, aber un­end­lich glück­lich ge­sagt: »Hete« (sie wur­de auch Hete ge­nannt, ge­nau wie die Toch­ter), »Hete, jetzt kann ich ganz an­ders am Ern­te­dank­fest pre­di­gen als frü­her.«

»Hat­ten Sie auch Was­ser da?« hat­te Herr Le­de­rer ge­fragt.

»Aber na­tür­lich! Wir hat­ten al­les da.«

Und sie er­zähl­te, wie die klei­ne Hete ein­mal im Ja­nu­ar, sie war da­mals gra­de fünf Jah­re alt, in den Teich ge­fal­len war. Und ganz al­lein und ohne zu wei­nen war sie her­aus und in den Wa­gen­schup­pen ge­kro­chen, hat­te sich in den al­ten stau­bi­gen Lan­dau­er ge­setzt, sich split­ter­fa­ser­nackt aus­ge­zo­gen und ihre Sa­chen Stück für Stück sorg­fäl­tig zum Trock­nen auf­ge­hängt. Sie hat­te nicht eher ins Haus ge­hen wol­len, bis al­les tro­cken war.

»Und sie hat­te doch ihr schwar­zes Samt­kleid­chen an, das so in drei Wo­chen noch nicht tro­cken ge­we­sen wäre. Und kein Schnup­fen, kein Gar­nichts. – Jetzt freut sich Hete an ih­ren ei­ge­nen Kin­dern, sie müs­sen schon ganz groß sein … Da ist die Äl­tes­te, In­grid – wie fin­den Sie den Na­men In­grid? Es sind jetzt Dä­nen, die Kin­der le­ben in Ko­pen­ha­gen, ver­ste­hen Sie, Herr Le­de­rer?«

Ja, aber manch­mal be­sann sich Frau Pas­to­rin Flee­ge, dass sie im­mer nur von sich selbst re­de­te, und sie wur­de rot und ent­schul­dig­te sich, und nun soll­te Herr Le­de­rer be­rich­ten.

Aber das wur­de nicht viel, er hat­te nicht viel zu be­rich­ten. Er war eben Schau­spie­ler, je­den Abend ging er ins Thea­ter, und hin­ter­her prob­ten sie noch die hal­be Nacht. Nein, er war kei­ne große Num­mer, so gra­de noch in der Mit­te, sie hat­te ihn ja auf der Büh­ne ge­se­hen …

Ja, das hat­te sie, er schenk­te ihr öf­ter Kar­ten. Sie hat­te ihn zu­erst gar nicht er­kannt, aber das er­klär­te er ihr, dass das gra­de die Kunst sei, sich voll­kom­men un­kennt­lich zu ma­chen. Ein­mal war er ein Ge­ne­ral ge­we­sen und ein­mal, in ei­nem Mär­chen­stück, ein Was­ser­mann, ein Ni­ckel­mann – da war es ja klar, dass er ganz ver­schie­den aus­se­hen muss­te und dass sie ihn nicht er­kann­te, ihre Au­gen wa­ren ja auch nicht mehr gut. Sein Name, Ernst Le­de­rer, hat­te rich­tig auf dem Thea­ter­zet­tel ge­stan­den, und sie war sehr stolz auf ih­ren Mie­ter und schloss je­des Pro­gramm sorg­sam weg.

Ku­falt aber …

Ku­falt war nicht gleich, als er in Ham­burg an­ge­kom­men war, zu der ver­wit­we­ten Frau Pas­to­rin Hete Flee­ge ge­zo­gen: Das war erst ei­ni­ge Tage spä­ter ge­we­sen, als er schon einen fes­ten Plan hat­te, und die welt­frem­de Frau Pas­to­rin war eben auch ein Teil die­ses Pla­nes ge­we­sen.

Nein, zu­erst war er in ei­nem klei­nen, ziem­lich un­sau­be­ren Ho­tel ab­ge­stie­gen und hat­te da ein paar Näch­te ge­schla­fen. Am Tage aber war er weit um­her­ge­lau­fen und hat­te ge­grü­belt und sich über­legt, was er nun ei­gent­lich mit sei­nem Le­ben an­fan­gen soll­te.

Er hat­te das letz­te Drei­vier­tel­jahr, seit er frei ge­wor­den war, Re­vue pas­sie­ren las­sen, und gut wa­ren sie nicht ge­we­sen, die­se neun Mo­na­te. Kei­ne Stun­de gut, kei­ne Stun­de! Er hat­te sich Mühe ge­ge­ben, er hat­te sich ge­duckt, er war fei­ge ge­we­sen und schmeich­le­risch, aber er war auch flei­ßig ge­we­sen – zu nichts nut­ze!

Nein, das sah er ein, es hat­te nicht nur an den an­de­ren ge­le­gen, an den Ted­dy, Jauch, Mar­ce­tus, Maack, Hil­de und so wei­ter – es hat­te an ihm ge­le­gen. Eine Wei­le schi­en im­mer al­les glatt zu ge­hen, aber re­gel­mä­ßig kam dann et­was da­zwi­schen. Er konn­te kei­nen ru­hi­gen Weg ge­hen, er spiel­te sich selbst Strei­che, er duck­te sich dut­zend­mal und war fei­ge, wo es gar nicht nö­tig ge­we­sen wäre, aber plötz­lich be­gehr­te er un­sin­nig auf und gab an und zer­schlug al­les, wo es wie­der gar nicht nö­tig war.

Wa­rum war er so? War er frü­her schon so ge­we­sen?

Nein, sag­te er, es ist nicht nur, weil ich et­was zu ver­ber­gen habe, das ist das We­nigs­te. Nein, weil ich mit et­was noch nicht fer­tig bin, ei­gent­lich bin ich im­mer noch im Kitt­chen. Und im­mer füh­le ich, wie leicht es ist, wie­der hin­ein­zu­kom­men.

Er hat­te mal ge­sagt zum Di­rek­tor, da­mals war er noch in Haft, er sei doch jetzt wie ein Mann ohne Hän­de. Der Di­rek­tor hat­te das be­strit­ten, aber es war doch so. Fünf Jah­re war ihm al­les ab­ge­nom­men, nicht ein­mal selbst­stän­dig den­ken durf­te er, er hat­te nur zu tun, was ihm be­foh­len wur­de, und nun soll­te er al­les al­lein tun … nein, es wur­de nichts, ohne Hän­de!

Was hat­te Ar­bei­ten, De­mü­tig­s­ein, Ent­beh­ren für einen Sinn, wenn man doch schei­ter­te?!

Er dach­te an den lan­gen Zug be­kann­ter Ge­sich­ter, die er ins Ge­fäng­nis hat­te zu­rück­keh­ren se­hen wäh­rend sei­ner fünf­jäh­ri­gen Haft. Sie ka­men wie­der, alle ka­men sie wie­der. Oder sie sa­ßen in an­de­ren Ge­fäng­nis­sen, oder sie ta­ten gra­de das, was sie ei­nes Ta­ges wie­der ins Ge­fäng­nis brin­gen wür­de. Batz­ke hat­te tau­send­mal recht, man muss­te et­was an­fas­sen, aber zur rech­ten Zeit, ir­gen­det­was Gro­ßes, dass es sich dann auch wirk­lich ge­lohnt hat­te, wenn man wie­der Knast schob.

Da war der Fall Emil Bruhn. Ku­falt wuss­te jetzt aus den Zei­tun­gen, er wür­de sei­nen al­ten Emil nie wie­der tref­fen in Ham­burg oder sonst wo, nie wür­de er in die Ver­su­chung kom­men, ihn in die Pfan­ne zu hau­en. Emil war mit ein­ge­klopf­tem Schä­del un­ter dem Brand­schutt ge­fun­den, und ir­gend­ein pol­ni­scher Wan­der­ar­bei­ter war ge­stän­dig, ihn tot­ge­schla­gen und die Fa­brik an­ge­steckt zu ha­ben.

Also Emil Bruhn: elf Jah­re Du­cken, im­mer freund­lich, ro­bo­ten wie ein Tier, klei­ne spär­li­che An­sprü­che ans Le­ben: Kino, ein Mä­del, eine Ge­sel­len­stel­le. Schief­ge­gan­gen, wur­de nichts draus. Vor­be­straft bleibt vor­be­straft. Die hum­an­s­te Stra­fe war: Man rich­te­te alle gleich hin.

Wann hat­te er sich so recht in sei­nem Fahr­was­ser ge­fühlt, wann ist er in die­sen Mo­na­ten oben­auf ge­we­sen und hat ge­nau ge­wusst, was er zu tun und zu sa­gen hat­te? Wo war Hei­mat?

Ja­wohl, der Herr Kri­mi­nal­se­kre­tär Specht hat sich über ihn beim Un­ter­su­chungs­rich­ter be­schwert, der Po­li­zei­of­fi­zier hat ihn raus­ge­pfef­fert, der Kri­mi­nal­as­sis­tent Bröd­chen ist vor Wut über ihn zer­platzt.

Als sie ihn wie einen rich­ti­gen Ga­no­ven nah­men, da war er wie­der zu Haus, da konn­te er re­den und frech tun, das lag ihm, das hat­te er nun ge­lernt.

Wenn es aber so war, wenn er wirk­lich ein Ga­no­ve ge­wor­den war wäh­rend sei­ner Straf­zeit, wenn er doch wie­der hin­ein­kam, dann hat­te er sich zu­sam­men­zu­rei­ßen für drei, vier Wo­chen, bis der große Coup ge­lan­det war. Dann hat­te er nicht mehr rum­zu­zit­tern an den Gren­zen der An­stän­dig­keit, dann hat­te er einen großen Coup mit al­ler Be­dacht­sam­keit vor­zu­be­rei­ten, so­lan­ge er noch Geld hat­te. Und das hat­te er nun noch. Schwer war das auch, sei­ne Feig­heit, sei­ne Un­ent­schlos­sen­heit wa­ren ihm auch da hin­der­lich, von Na­tur aus war er kein Ver­bre­cher, er war es nur ge­wor­den, er hat­te Ver­bre­chen ge­lernt.

Und Ku­falt ging da­hin, er ging bis in die Wald­dör­fer, er ging in die Vier­lan­de, er stieg auf den Süll­berg, er sah Elbe, Schif­fe, Dör­fer, win­ter­li­ches Land, er war ein Mensch wie alle, un­ter­schied­lich vom Äu­ßern aus nicht, er war kein Ver­bre­cher­typ, aber – mit­ge­fan­gen, mit­ge­han­gen. Nun schmie­de­te er also sei­nen Plan.

Da aber wur­de er der Schau­spie­ler Ernst Le­de­rer, mie­te­te sich bei dem ar­men Hau­ben­hühn­chen Frau Pas­to­rin Flee­ge ein, ging nächt­lich re­gel­mä­ßig über den Jung­fern­stieg und schick­te das Strich­mäd­chen Ilse auf die Su­che nach Batz­ke.

6

»Schick die Nut­te weg, Wil­li«, sag­te Batz­ke.

»Ist ein net­tes Mäd­chen, heißt Ilse«, ant­wor­te­te Ku­falt.

»Sie ver­mas­selt uns hier al­les«, sag­te Batz­ke.

»Habe nichts zu ver­mas­seln«, ant­wor­te­te Ku­falt.

Eine kur­ze Pau­se ent­stand. Batz­ke mus­ter­te ein­dring­lich das Zim­mer, dann ge­neh­mig­te er sich noch einen Ko­gnak.

»Schnaf­te wohnst du«, er­klär­te er.

»Geht«, ant­wor­te­te Ku­falt.

»Wie wir da­mals zum Bun­ker nach Fuhls­büt­tel fuh­ren, warst du mäch­tig ab­ge­brannt«, er­in­ner­te sich Batz­ke.

»Stimmt«, sag­te Ku­falt.

»Hät­test du dir sol­ches Zim­mer nicht mie­ten kön­nen.«

»Mie­ten kann man im­mer.«

»Aber?«

»Aber die Mie­te be­zah­len!«

»Und der Ko­gnak? Und der Rum? Und die Zi­ga­ret­ten?«

»Kann Sore sein, Batz­ke.«

»Aber die Vier­hun­dert hast du doch für mich?«

»Vi­el­leicht, Batz­ke.«

Eine kur­ze Pau­se, dann beug­te sich Batz­ke vor und sag­te wü­tend: »Du hast mich kom­men las­sen, Jun­ge­ken, we­gen der Vier­hun­dert. Hast du sie, oder hast du sie nicht?«

Ihre Ge­sich­ter, ein­an­der zu­ge­neigt, wa­ren nur einen Me­ter aus­ein­an­der. Batz­kes Au­gen fun­kel­ten in be­sin­nungs­lo­ser Wut, Ku­falts Ge­sicht war bleich und zuck­te, aber sein Blick hielt Batz­kes Blick stand.

»Sieh mal, Batz­ke!« sag­te er.

Er deu­te­te kaum merk­lich mit der Schlä­fe auf die Pis­to­le hin­un­ter, in der rech­ten Hand.

Batz­ke sah, dann stand er auf, schüt­tel­te die brei­ten Tisch­ler­schul­tern, von de­nen die eine durch das Ho­beln stär­ker ent­wi­ckelt war. Er ging im Zim­mer hin und her, er sag­te: »Mit dir ist was los, Ku­falt. Du hast dich mäch­tig ver­än­dert.«

Ku­falt sag­te: »Nimm das Zim­mer hier, schnaf­te, sagst du. Und die Sa­chen. Und Geld hab ich auch noch. Und die Vier­hun­dert für dich viel­leicht auch – viel­leicht, weil ich mir das al­les ver­schafft habe« – Ku­falt mach­te rund­um eine Hand­be­we­gung –, »viel­leicht bin ich dar­um an­ders.«

Batz­ke ging wie­der auf und ab.

»Also sag schon, was du von mir willst, denn um­sonst wirst du mich schon nicht von der Sch­nep­pe ha­ben su­chen las­sen.«

Das Mäd­chen kam her­ein mit dem Grog­was­ser.

Ku­falt sah sie ge­dan­ken­voll an, sah zu Batz­ke, wie­der zum Mäd­chen und er­klär­te: »Nur zwei Glä­ser. Du kannst nach Haus ge­hen, Ilse. Hier sind fünf Mark.«

Batz­ke schiel­te nach dem Geld, es kam aber nicht mehr zum Vor­schein als eben die­ses Fünf­mark­stück, das ent­schie­den schon in Be­reit­schaft ge­hal­ten wor­den war.

Un­zu­frie­den sag­te er: »’nen war­men Grog könn­test du ihr we­nigs­tens ge­ben, wo sie wie­der auf die Stra­ße muss. Über­trei­ben braucht man es auch nicht, Ku­falt.«

Ku­falt sah ihn an und grins­te. »Ach nee! Nicht mehr so ei­lig? Trink einen Ko­gnak, Ilse, und ab!«

»Wie­so Ku­falt?« frag­te das Mäd­chen zö­gernd über dem Trin­ken. »Ich den­ke Le­de­rer.«

»Habe ich Ku­falt ge­sagt?« höhn­te Batz­ke. »Wasch dei­ne Ohren. Ein­falt heißt er. Und so ist er auch.«

Das Mäd­chen sah arg­wöh­nisch mit ih­ren ei­li­gen, hu­schen­den Au­gen von ei­nem zum an­de­ren und er­klär­te: »Also, dann geh ich.«

»Trink man noch einen, Ma­rie­chen«, sag­te Batz­ke und zwin­ker­te Ku­falt zu.

Aber das Mäd­chen woll­te nicht mehr. Es sprach ei­lig und be­lei­digt da­von, dass es sich nicht so be­han­deln las­se, und sie gehe nicht für fünf Mark und einen Ko­gnak ins Kitt­chen, und au­ßer­dem hie­ße sie nicht Ma­rie­chen.

Batz­ke grins­te.

Ku­falt sag­te: »Also hör zu, Ilse, wir se­hen uns mor­gen wie im­mer.«

»Du kannst auch weg­blei­ben«, sag­te sie, »du mit dei­nem falschen Freund und dei­nen zwei Na­men.«

Da­bei blieb sie im Zim­mer ste­hen und sah die bei­den im­mer her­aus­for­dern­der an.

»Also nun mach schon«, sag­te Ku­falt un­ge­dul­dig.

»Ich gehe, wenn es mir passt«, sag­te sie im­mer wü­ten­der. »Von sol­chen wie dir las­se ich mir noch lan­ge nichts sa­gen. Und wenn ich jetzt zur Po­li­zei gehe … Ich habe gut ge­hört, was du von Mie­ten und Sore ge­sagt hast …«

Aber sie kam nicht wei­ter.

Mit ei­nem Satz war Batz­ke auf, um­fass­te sie mit sei­nen bei­den Ar­men, sag­te wü­tend: »Ma­rie­chen«, und drück­te sie so fest, dass sie vor Schmerz auf­schrie.

»Hau ab«, sag­te er. »Du kennst mich doch, was?!«

Er ließ sie los.

Sie stand noch einen Au­gen­blick da, un­ge­wiss, ob sie noch hier zu wei­nen an­fan­gen soll­te, und ging weg.

»Und wenn der La­den klap­pen soll«, sag­te Ku­falt, »kann ich mir jetzt eine neue Woh­nung su­chen. Bloß weil du nicht auf­pas­sen kannst.«

»Wel­cher La­den klap­pen soll?« frag­te Batz­ke. »Ich weiß noch von nichts.«

Wie hat­te sich die Lage ver­än­dert! Ku­falt war schon so schön oben­auf ge­we­sen, Batz­ke hat­te nur Feh­ler ge­macht. Und doch war Ku­falt, rät­sel­haft wie, plötz­lich der Schwä­che­re. (Bloß, weil der das Mä­del an­ge­fasst hat­te?)

»Ich habe eine An­non­ce, Batz­ke«, sag­te er.

»Wird schon eine fei­ne An­non­ce sein«, höhn­te Batz­ke. »Du kannst doch nicht bal­do­wern.«

»Also hier«, sag­te Ku­falt wü­tend, riss den Aschen­be­cher weg und leg­te das Häuf­lein Fünf­zig­mark­schei­ne bloß. »Nimm dein Geld und schieb ab. Mach ich es eben mit je­mand an­ders.«

Batz­ke sah das Geld, nahm es, zähl­te es ge­müt­lich, steck­te es in die Ta­sche und sag­te hoch­zu­frie­den: »Also, Wil­li, trink dei­nen Grog, ehe er kalt wird. Und dann er­zähl, was du raus­ge­kriegt hast. Wir al­ten Knast­schie­ber …«

Žanrid ja sildid
Vanusepiirang:
18+
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5251 lk 2 illustratsiooni
ISBN:
9783962813598
Õiguste omanik:
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