Das Geld von Escherich war ihm sicher, warum sollte er nicht versuchen, auch aus Enno Kluge ein bisschen Geld zu machen? Da hatte dieser Bursche einen Fünfzigmarkschein in der Hand gehabt, den er durch den Sieg Adebars auf über zweihundert Mark vermehrt hatte – nun, warum sollte nicht er, Barkhausen, nicht auch dieses Geld haben? Dem Escherich geschah kein Schaden dadurch, der bekam seinen Enno trotzdem, und Enno geschah auch kein Schaden, denn die auf der Gestapo nahmen ihm doch das Geld ab. Also?
Und dann war da diese dicke Frau, hinter der Enno so komisch auf den Knien gerutscht war. Diese feste Rübe hatte sicher Geld, vielleicht sogar eine ganze Menge. Das Geschäft sah gut aus, hatte noch viel Ware, und an Kunden schien es ihr auch nicht zu fehlen. Nein, diese Flennerei und Rutscherei Kluges sah nicht grade danach aus, dass die beiden schon in allen Dingen einig waren, das nicht, zugegeben, aber wer liefert denn grade einen Liebhaber, und sei es auch ein abgewiesener, der Gestapo aus? Die Tatsache, dass die Alte den Enno trotz der Abweisung noch bei sich duldete, dass sie ihm ein Nachtlager auf dem Sofa bereitet hatte, bewies, dass ihr noch was an Enno lag. Und lag ihr noch was an dem alten Graukopf, so würde sie auch zahlen, vielleicht nicht viel, aber doch etwas. Und dieses Etwas wollte Barkhausen sich keinesfalls entgehen lassen.
Wenn Barkhausen so weit mit seinen Gedanken gekommen war – und er kam auf diesem Heimweg und in der Nacht, neben seiner Otti liegend, noch mehrfach so weit –, so fasste ihn immer ein leichter Schreck, denn dann fiel ihm ein, dass er ein ziemlich gefährliches Spiel vorhatte. Dieser Escherich war bestimmt kein Mann, der Eigenmächtigkeiten duldete, alle diese Herren bei der Gestapo waren nicht so, und es war die einfachste Sache von der Welt für ihn, einen Mann ins KZ zu schicken. Vor dem KZ aber hatte Barkhausen eine gewaltige Angst.
Immerhin aber war er so weit von all den Verbrechergedanken und ihrer Moral angesteckt, dass er sich hartnäckig sagte, ein Ding, das zu drehen war, müsse auch gedreht werden, das gehörte sich nun einmal so. Und dieses Ding Enno ließ sich unzweifelhaft drehen. Barkhausen würde die ganze Sache erst noch einmal beschlafen, und wenn es dann Morgen war, würde er wissen, ob er gleich zu Escherich ging oder erst bei Kluge vorschaute. Jetzt wollte er schlafen …
Aber er schlief nicht ein, sondern er überlegte, dass einer in dieser Sache zu wenig war. Er, Barkhausen, musste ein wenig Beweglichkeit haben. Er musste zum Beispiel rasch zu Escherich, und so lange war der Enno Kluge ohne Bewachung. Oder wenn er die Dicke in die Zange nahm, lief unterdes der Enno womöglich fort. Nein, einer war zu wenig. Aber es gab keinen Zweiten, dem er vertrauen konnte, und außerdem würde dieser Zweite seinen Anteil an dem Geschäft verlangen. Und für Teilen war Barkhausen gar nicht.
Schließlich fiel Barkhausen ein, dass unter seinen fünf Gören doch auch ein Sohn von dreizehn Jahren war, unter Umständen sogar sein Sohn. Er hatte immer das Gefühl gehabt, dass dieser Bengel mit dem piekfeinen Namen Kuno-Dieter vielleicht doch von ihm sein könne, trotzdem die Otti doch stets behauptet hatte, er sei von einem Grafen, einem Großgrundbesitzer aus Pommern. Aber Otti war immer eine Angeberin gewesen, wie schon der Vorname des Jungen – nach seinem angeblichen Vater – bewies.
Mit einem schweren Seufzer entschloss Barkhausen sich, den Jungen als Reserveaufpasser mitzunehmen. Das würde nicht mehr als ein bisschen Krach mit der Otti und ein paar Mark für den Jungen kosten. Dann fingen Barkhausens Gedanken von neuem an, über alledem zu kreisen, wurden langsam undeutlicher, und schließlich war er doch eingeschlafen.
Es ist bereits berichtet worden, dass Frau Hete Häberle und Enno Kluge an diesem Morgen fast ohne Worte miteinander frühstückten und im Laden arbeiteten, beide blass von einer fast durchwachten Nacht und stark mit ihren Gedanken beschäftigt. Frau Häberle dachte daran, dass Enno morgen unbedingt aus dem Hause müsse, Enno, dass er sich keinesfalls fortschicken lassen würde.
In diese Stille trat als erster Kunde ein langer Mann und sagte zu Frau Häberle: »Hören Se mal, Sie haben da so ein paar Wellensittiche im Fenster. Was soll denn ein Paar von denen kosten? Es müsste aber ein Pärchen sein, ich bin immer für Pärchen gewesen …« Und Barkhausen fuhr herum, in gespieltem Erstaunen, in absichtlich schlecht gespieltem Erstaunen rief er den Kluge an, der sich eben sachte in die Hinterstube des Ladens verdrücken wollte: »Aber das bist du doch, Enno! Nanu, ich rede, ich kieke, ich denke, das kann doch nicht der Enno sein, was soll denn der Enno in so ’nem kleinen Tierzoo? Und nu bist du es doch, Kumpel! Na, was machste denn noch so, Kumpel?«
Enno war, die Klinke in der Hand, wie gebannt auf seinem Platz stehen geblieben, gleich unfähig, fortzulaufen und zu antworten.
Frau Hete aber starrte den langen Mann, der so freundlich auf Enno einredete, mit großen Augen an, ihre Lippen fingen an zu zittern, und die Knie wurden ihr weich. Da war sie also doch, die Gefahr, alles war also nicht gelogen, was Enno erzählt hatte von seiner Bedrängnis durch die Gestapo. Denn dass dieser Mann mit dem ebenso feigen wie brutalen Gesicht ein Spitzel der Gestapo war, daran zweifelte sie keinen Augenblick.
Aber als nun diese Gefahr wirklich geworden war, da zitterte nur der Körper von Frau Hete. Ihr Geist war ruhig, und dieser Geist sagte ihr: Jetzt, in dieser Gefahr, kannst du den Enno unmöglich im Stich lassen, er mag sein, wie er will.
Und Frau Hete sagte zu diesem Mann mit dem stechenden Blick, der immer wieder abirrte, sie sagte zu diesem Mann, der wie ein richtiger Achtgroschenjunge aussah: »Vielleicht trinken Sie eine Tasse Kaffee mit uns, Herr – wie ist doch Ihr Name?«
»Barkhausen. Emil Barkhausen«, stellte der Spitzel sich vor. »Bin ein alter Freund von dem Enno, Sportsfreund. Was sagen Sie nun, Frau Häberle, zu dem großartigen Coup, den er gestern auf Adebar gelandet hat? Wir haben uns in der Sportkneipe getroffen – hat er es Ihnen nicht gesagt?«
Frau Hete warf einen raschen Blick auf Enno. Da stand er noch immer, die Hand auf der Klinke, genau wie ihn die vertrauliche Ansprache Barkhausens überrascht hatte. Ein Bild hilfloser Angst. Nein, er hatte ihr nichts von diesem Treffen mit dem alten Bekannten gesagt, er hatte sogar behauptet, er hätte niemanden Bekanntes gesehen. Er hatte sie also wieder mal belogen – und sehr zu seinem eigenen Schaden hatte er das getan, denn nun war ja ganz klar, wie dieser Spitzel seine Zuflucht bei ihr gefunden hatte. Hätte er gestern Abend schon etwas von diesem Bekannten gesagt, so hätte man ihn noch fortschaffen können …
Aber dies war nicht der Augenblick, mit Enno Kluge zu hadern oder ihm seine Lügen vorzuwerfen. Dies war der Augenblick zu handeln. Und so sagte sie denn noch einmal: »Also trinken wir eine Tasse Kaffee, Herr Barkhausen. Jetzt kommt noch nicht so viel Kundschaft, Enno, du passt auf den Laden auf. Ich werde zuerst einmal mit deinem Freund reden …«
Jetzt war Frau Hete auch über das Zittern des Körpers hinaus. Sondern sie dachte nur daran, wie es damals mit ihrem Walter gegangen war, und diese Erinnerungen gaben ihr Kraft. Sie wusste, diesen Leuten gegenüber half kein Zittern, Klagen, Anrufen des Mitleids, sie hatten kein Herz, diese Henkerslieferanten von Hitler und Himmler. Sondern wenn eines half, so war es Mut, Nichtfeigesein, Nieangsthaben. Die glaubten, alle Deutschen seien feige, wie es jetzt der Enno war; aber sie war es nicht, Frau Hete, verwitwete Häberle, war es nicht.
Sie erreichte durch ihr ruhiges Auftreten auch, dass die beiden Männer sich ihr widerspruchslos fügten. Im Abgehen zur Stube sagte sie noch: »Und keine Dummheiten, Enno! Kein sinnloses Fortlaufen! Denke daran, dein Mantel hängt in der Stube, und Geld wirst du auch kaum in der Tasche haben.«
»Sie sind ’ne kluge Frau«, sagte Barkhausen, indem er sich an den Tisch niedersetzte und zusah, wie sie ihm eine Kaffeetasse hinstellte. »Und energisch sind Sie auch, hätte ich gar nicht gedacht, wie ich Sie gestern Abend zum ersten Mal sah.«
Ihre Blicke begegneten sich.
»Na ja«, setzte dann Barkhausen schnell hinzu, »eigentlich waren Sie gestern Abend auch energisch, wie er da auf den Knien vor Ihnen rumrutschte, und Sie schlossen ihm die Tür vor der Nase ab. Sie werden sie ja wohl über Nacht nicht wieder aufgeschlossen haben – oder?«
Ein wenig Rot war bei dieser schamlosen Anspielung in Frau Hetes Wangen gestiegen, die beschämende, die ekelhafte Szene von gestern Abend hatte also sogar einen Zeugen gehabt, und solch widerlichen dazu! Aber sie fasste sich rasch und sagte: »Ich nehme an, Sie sind auch ein kluger Mann, Herr Barkhausen, wir wollen doch jetzt gar nicht von Nebensachen reden, sondern nur vom Geschäft. Ich nehme an, es kann ein Geschäft werden?«
»Vielleicht, vielleicht sicher …«, beeilte sich Barkhausen zu versichern, unwillkürlich eingeschüchtert von dem Tempo, das diese Frau vorlegte.
»Sie wollen also«, fuhr Frau Hete fort, »ein Paar Wellensittiche kaufen. Ich nehme an, um sie dann fliegen zu lassen. Denn wenn sie weiter im Käfig bleiben, haben die Sittiche doch nichts davon …«
Barkhausen kratzte sich den Kopf. »Frau Häberle«, sagte er dann, »das mit den Sittichen, das wird mir zu kompliziert. Ich bin bloß ein einfacher Mensch, wahrscheinlich sind Sie viel schlauer als ich. Hoffentlich legen Sie mich nicht rein.«
»Und Sie mich nicht!«
»Keine Ahnung! Ich will ganz offen mit Ihnen reden, nichts von Sittichen und so. Ich sage Ihnen alles, wie es ist, die ganze Wahrheit. Ich habe nämlich von der Gestapo den Auftrag, von dem Kommissar Escherich habe ich ihn, wenn der Ihnen ein Begriff ist?« Frau Hete schüttelte den Kopf. »Also ich hab den Auftrag, zu ermitteln, wo der Enno steckt. Weiter nichts. Warum und wieso, davon habe ich keine Ahnung. Ich will Ihnen was sagen, Frau Häberle, ich bin ein ganz einfacher, offener Mensch …«
Er neigte sich zu ihr hinüber; sie sah ihm in die Augen, die stechend waren. Sein Blick irrte ab, der Blick des einfachen, offenen Menschen.
»Ich hab mich eigentlich über den Auftrag gewundert, Frau Häberle, das will ich Ihnen ehrlich sagen. Denn wir beide wissen doch, was der Enno für ein Mensch ist, nämlich ein Garnichts, nur mit ein bisschen Rennwetten und Weibergeschichten im Kopf. Und nach diesem Enno jagt jetzt die Gestapo, und sogar noch die Politische Abteilung, wo alles Hochverrat und Kohlrübe-ab wird. Ich versteh das nicht – verstehen Sie das?« Er sah sie erwartungsvoll an. Wieder begegneten sich ihre Blicke, und wieder geschah es wie vorhin: er konnte sie nicht ansehen.
»Erzählen Sie ruhig weiter, Herr Barkhausen«, fuhr sie fort. »Ich hör zu …«
»Kluge Frau!«, nickte Barkhausen. »Verdammt kluge Frau und energisch. Das gestern Abend mit der Knierutscherei …«
»Wir wollten nur vom Geschäft reden, Herr Barkhausen!«
»Na gewiss doch! Ich bin nämlich ein braver, richtig offener deutscher Mensch, und da werden Sie sich vielleicht wundern, dass ich bei der Gestapo bin. Das denken Sie vielleicht. Nee, Frau Häberle, ich bin nicht bei der Gestapo, ich arbeite nur manchmal für sie. Der Mensch will leben, nicht wahr, und ich habe fünf Gören zu Haus, der Älteste grade erst dreizehn. Alle muss ich sie ernähren …«
»Das Geschäft, Herr Barkhausen!«
»Nee, Frau Häberle, ich bin nicht bei der Gestapo, ich bin ein ehrlicher Mensch. Und wie ich das da hörte, dass die meinen Freund Enno suchen und sogar hohe Belohnungen auf ihn aussetzen, und ich kenne doch den Enno von früher und bin sein richtiger Freund, wenn wir uns auch mal gestritten haben – da habe ich also gedacht, Frau Häberle: Kieke da, den Enno suchen sie! Den kleinen Garnichts. Wenn ich ihn nur fände, hab ich gedacht, verstehen Sie, Frau Häberle, dann könnte ich ihm vielleicht einen Wink geben, dass er abhaut, solange es noch Zeit ist. Und ich hab zu dem Kommissar Escherich gesagt: ›Wegen dem Enno machen Sie sich man keine Mühe, den schaff ich Ihnen, weil er nämlich ein alter Freund von mir ist.‹ Und da habe ich denn den Auftrag gekriegt und mein Spesengeld, und nun sitze ich hier bei Ihnen, Frau Häberle, und der Enno wirtschaftet im Laden, und es ist alles eigentlich in bester Butter …«
Eine Weile schwiegen beide, Barkhausen abwartend, Frau Häberle nachdenklich.
Dann sagte sie: »Die Gestapo hat also noch keine Nachricht von Ihnen bekommen?«
»I wo, mit denen habe ich es doch nicht eilig, mir das ganze Geschäft zu vermasseln!« Er verbesserte sich: »Erst wollte ich meinem alten Freund Enno doch mal einen Wink geben …«
Und wieder schwiegen sie. Und wieder fragte Frau Hete schließlich: »Und was hat Ihnen denn die Gestapo für eine Belohnung versprochen?«
»Tausend Mark! Ist ’ne Masse Geld für so einen Garnichts, gebe ich zu, Frau Häberle, ich war selbst ganz verblüfft. Aber der Kommissar Escherich hat zu mir gesagt: ›Bringen Sie mir mal den Kluge, und ich zahle Ihnen tausend Mark.‹ Das hat der Escherich gesagt. Und hundert Mark Spesen hat er mir auch bewilligt, die habe ich schon gekriegt, die kämen zu den tausend Mark Belohnung noch dazu.«
Sie saßen lange nachdenklich da.
Dann fing Frau Hete wieder an: »Ich habe das vorhin mit den Wellensittichen nicht ohne Absicht gesagt, Herr Barkhausen. Denn wenn ich Ihnen nun tausend Mark zahle …«
»Zweitausend Mark, Frau Häberle, unter Freunden immer zweitausend Mark. Und dann kämen noch die hundert Mark Spesen dazu …«
»Nun also, selbst wenn ich Ihnen das zahlen würde, und Sie wissen doch, der Herr Kluge hat kein Geld, und mich bindet an ihn nichts …«
»Na, Frau Häberle, na! Sie, ’ne hochanständige Frau! Sie werden doch Ihren Freund, der auf den Knien zu Ihnen gerutscht ist, nicht um so ’n bisschen Geld der Gestapo ausliefern? Wo ich Ihnen extra gesagt habe, es ist alles da, Hochverrat und Kohlrübe-ab? Das werden Sie doch nicht tun, Frau Häberle!«
Sie hätte ihm ja sagen können, dass er, der schlichte, ehrliche deutsche Mann, grade das zu tun im Begriff war, was sie als hochanständige Frau keinesfalls tun durfte, nämlich den Freund verkaufen. Aber sie wusste es ja, derartige Bemerkungen hatten keinen Zweck, für so was besaßen diese Herren keinen Sinn.
Und so sagte sie denn: »Ja, also wenn ich selbst die zweitausendeinhundert zahlen würde, wer garantiert mir denn dafür, dass die Wellensittiche nicht doch im Käfig bleiben?« Sie entschloss sich, da sie sah, wie er schon wieder den Kopf verwirrt kratzte, auch ganz schamlos zu werden: »Also, wer garantiert mir dafür, dass Sie nicht meine zweitausendeinhundert nehmen und gehen dann doch zu dem Escherich und nehmen auch noch seine tausend?«
»Aber ich garantiere Ihnen dafür, Frau Häberle! Ich gebe Ihnen mein Wort darauf; ich bin ein einfacher, offener Mensch, und wenn ich was verspreche, dann halte ich das auch. Sie haben’s ja gesehen, ich bin gleich zu dem Enno gelaufen und habe ihn gewarnt, auf die Gefahr hin, dass er aus dem Laden einen Flitzer macht. Und dann ist das ganze Geschäft doch Essig.«
Frau Hete sah ihn mit einem schwachen Lächeln an. »Das ist ja alles schön und gut, Herr Barkhausen«, sagte sie dann. »Aber grade weil Sie ein so guter Freund von dem Enno sind, werden Sie verstehen, dass ich jede Sicherheit für ihn haben muss. Wenn ich das Geld überhaupt auftreiben kann.«
Barkhausen machte eine beschwichtigende Bewegung, die sagen sollte, dass es daran bei einer Frau, wie sie war, nie fehlen könnte.
»Nein, Herr Barkhausen«, fuhr Frau Hete fort, denn sie sah ja, für Ironie war er nicht empfänglich, sie musste schon ganz offen mit ihm reden, »wer steht mir denn dafür, dass Sie mein Geld jetzt nicht nehmen …«
Barkhausen wurde ganz aufgeregt bei dem Gedanken, er könne die schwindelnde, die nie gesehene Summe von zweitausend Mark jetzt gleich bekommen …
»… und vor der Tür steht ein Gestapoagent und nimmt den Enno fest? Da muss ich schon andere Garantien von Ihnen haben!«
»Es steht aber keiner vor der Tür, das schwöre ich Ihnen, Frau Häberle! Ich bin doch ein ehrlicher Mensch, wozu soll ich Sie denn belügen?! Ich komme direkt von Haus, da können Sie auch meine Otti danach fragen!«
Sie unterbrach den Aufgeregten: »Also überlegen Sie mal, was für eine Garantie Sie mir sonst noch geben können – außer Ihrem Wort?«
»Aber da gibt’s doch gar keine! Das ist doch so ’n Geschäft, das beruht ganz allein auf Vertrauen. Und Vertrauen werden Sie doch zu mir haben, Frau Häberle, jetzt, wo ich so offen mit Ihnen gesprochen habe?«
»Ja, das Vertrauen …«, antwortete Frau Häberle gedankenlos, und dann versanken sie beide in ein langes Schweigen, er einfach abwartend, was sie wohl beschließen würde, sie sich den Kopf zergrübelnd, wie sie wenigstens ein Minimum von Sicherheit erreichen könnte.
Im Laden wirtschaftete unterdes der Enno Kluge. Er bediente die nun schon reichlicher strömende Kundschaft rasch und nicht ungeschickt, sogar zu Witzchen verstieg er sich schon wieder. Der erste Schreck, den er bei Barkhausens Anblick empfunden, war schon wieder verflogen. Die Hete saß in der Stube und sprach mit Barkhausen, sie würde die Sache schon in Ordnung bringen. Aber dass sie die Sache in Ordnung brachte, das bewies, dass es ihr gar nicht ernst gewesen war mit der Drohung, ihn fortzuschicken. So war er nur erleichtert jetzt, und darum reichte es auch schon wieder zu Witzchen.
Hinten in der Stube brach Frau Häberle das lange Schweigen. Sie sagte entschlossen: »Also, Herr Barkhausen, ich habe mir das so überlegt. Ich will das Geschäft unter folgenden Bedingungen mit Ihnen abschließen …«
»Ja …? Sagen Sie doch!«, drängte gierig Barkhausen. Er sah seinen Lohn jetzt schon nahe.
»Ich gebe Ihnen zweitausend Mark, aber ich gebe sie Ihnen nicht hier. Ich gebe sie Ihnen in München.«
»In München?« Er glotzte dämlich. »Ich komm doch nie nach München! Was soll ich denn in München?«
»Wir gehen«, fuhr sie fort, »jetzt zusammen auf das Postamt, und ich zahle eine Postanweisung auf zweitausend Mark an Sie ein: hauptpostlagernd München. Und dann bringe ich Sie auf die Bahn, und Sie fahren mit dem nächsten Zug nach München weiter und holen sich dort das Geld. Auf dem Anhalter Bahnhof werde ich Ihnen noch zweihundert Mark für die Reise geben außer der Fahrkarte …«
»Nee!«, rief Barkhausen erbittert. »So was mache ich nicht! Auf so was lasse ich mich nicht ein! Nachher fahre ich runter nach München, und Sie haben sich Ihre Anweisung von der Post zurückgeholt!«
»Ich werde Ihnen bei der Abfahrt die Einzahlungsquittung geben, dann kann ich das nicht tun.«
»Und München?«, rief er wieder. »Wozu denn München? Wir sind doch ehrliche Menschen! Warum denn nicht hier, gleich jetzt hier im Laden, und es hat geschnappt! Nach München und zurück, da brauche ich doch mindestens zwei Tage und eine Nacht, und unterdes ist der Enno hier natürlich getürmt!«
»Aber, Herr Barkhausen, das hatten wir doch abgemacht, deswegen gebe ich Ihnen doch das Geld! Der Wellensittich sollte doch nicht in seinem Käfig bleiben. Ich meine, der Enno soll sich doch verstecken können, dafür zahle ich Ihnen doch die zweitausend Mark!«
Mürrisch sagte Barkhausen, der darauf nichts Rechtes zu entgegnen hatte: »Und hundert Mark Spesen kriege ich auch noch!«
»Die kriegen Sie auch noch. In bar. Auf dem Anhalter.«
Aber auch diese Zusage konnte Barkhausens Stimmung nicht verbessern. Er blieb mürrisch. »München, ich hab noch nie so ’n Quatsch gehört! Es wäre alles so schön einfach gewesen – und nun München! Ausgerechnet München! Warum sagen Sie nicht gleich London – da kann ich ja dann nach dem Kriege hinfahren! Und alles vermasselt! Es ginge so schön einfach, aber nee, es muss kompliziert sein! Und warum? Weil Sie kein Vertrauen zu Ihren Mitmenschen haben, weil Sie ein misstrauischer Mensch sind, Frau Häberle! Ich bin so ehrlich zu Ihnen gewesen …«
»Und ich bin ehrlich zu Ihnen! So mache ich dies Geschäft und anders nicht!«
»Na denn!«, sagte er. »Denn kann ich ja gehen.« Er stand auf, nahm seine Schiebermütze. Aber er ging nicht. »München kommt für mich gar nicht in Frage …«
»Es wird eine ganz interessante kleine Reise für Sie sein«, redete ihm Frau Häberle zu. »Die Fahrt ist hübsch, und in München soll es noch sehr gut zu essen und zu trinken geben. Sehr viel stärkeres Bier als hier bei uns, Herr Barkhausen!«
»Ich mach mir nichts aus Trinken«, sagte er wieder, aber nicht so sehr mürrisch wie gedankenvoll.
Frau Hete sah es ihm an, dass er seinen Kopf zergrübelte nach einem Ausweg, wie er das Geld nehmen und den Enno trotzdem ausliefern könnte. Sie prüfte nochmals ihren Vorschlag. Er schien ihr gut. Er schaffte den Barkhausen für mindestens zwei Tage aus dem Wege, und wenn das Haus wirklich nicht unter Bewachung stand (wovon sie sich schnell genug überzeugen würde), so war das Zeit genug, den Enno unterdes fortzuschaffen.
»Na ja«, sagte Barkhausen schließlich und sah sie an. »Sie tun’s nicht anders, Frau Häberle?«
»Nein«, sagte Frau Hete. »So sind meine Bedingungen, von denen gehe ich nicht ab.«
»Dann muss ich’s wohl tun«, sagte Barkhausen. »Ich kann doch nicht einfach die zweitausend Eier in den Wind schlagen.«
Das hatte er mehr zu sich, zu seiner eigenen Rechtfertigung vor sich selbst gesagt.
»Dann werde ich also nach München fahren. Und Sie gehen jetzt gleich mit mir aufs Postamt.«
»Gleich«, sagte Frau Häberle gedankenvoll. Nun, da er doch zugesagt hatte, war sie noch immer nicht zufrieden. Sie war ganz überzeugt, er plante eine neue Gemeinheit. Sie musste rauskriegen, welche …
»Ja, wir gehen gleich«, sagte sie noch einmal. »Das heißt: erst muss ich mich ein bisschen zurechtmachen und den Laden schließen.«
Er sagte rasch: »Wozu wollen Sie denn den Laden zumachen, Frau Häberle? Der Enno ist doch hier!«
»Der Enno geht mit uns«, sagte sie.
»Wozu denn das nu wieder? Der Enno hat doch mit dem ganzen Geschäft nichts zu tun!«
»Weil ich es so haben will. Es könnte sonst nämlich sein«, setzte sie hinzu, »dass der Enno grade in dem Augenblick verhaftet wird, wenn ich das Geld an Sie einzahle. Solche Versehen können vorkommen, Herr Barkhausen.«
»Aber wer soll ihn denn verhaften?«
»Na, zum Beispiel der Spitzel vor der Tür …«
»Ist ja gar kein Spitzel vor der Tür!« Sie lächelte. »Sie können sich überzeugen, Frau Häberle. Gehen Sie doch rum, sehen Sie sich alle Leute an. Ich habe keinen Spitzel vor der Tür! Ich bin ein ehrlicher Mensch …«
Sie sagte beharrlich: »Ich will den Enno bei mir haben. Es ist schon sicherer.«
»Sie sind hartmäulig wie ein oller Maulesel!«, entfuhr es ihm wütend. »Na, also schön, soll der Enno auch mitgehn. Aber nun machen Sie auch ein bisschen fix!«
»So große Eile haben wir nicht«, sagte sie. »Der Münchner Zug geht erst um zwölf herum. Wir haben alle Zeit. Und nun entschuldigen Sie mich für eine Viertelstunde, ich möchte mich ein bisschen zurechtmachen.« Sie sah ihn, wie er da am Tisch saß, immer das Auge aufmerksam auf die Glasscheibe gerichtet, durch die er den Laden beobachten konnte, prüfend an. »Und eine Bitte noch, Herr Barkhausen. Reden Sie jetzt nicht mit dem Enno, er hat reichlich im Laden zu tun, und überhaupt …«
»Was ich mit dem Idioten wohl reden soll!«, sagte Barkhausen ärgerlich. »Mit so ’nem Quatschkopp rede ich doch überhaupt kein Wort!«
Aber er setzte sich gehorsam anders, sodass er jetzt ihre Stubentür und das Hoffenster vor Augen hatte.