BGB-Schuldrecht Allgemeiner Teil

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IV. Formvorschriften

1. Grundsatz der Formfreiheit

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Für rechtsgeschäftliche Schuldverhältnisse besteht grundsätzlich Formfreiheit: Soweit keine gesetzlichen Formvorschriften eingreifen und auch keine vertraglich vereinbarte Formpflicht besteht, können Rechtsgeschäfte in beliebiger Form abgeschlossen werden. Ein Vertrag kann also grundsätzlich auch mündlich abgeschlossen werden. Auch können sich die für einen Vertrag erforderlichen Willenserklärungen aus konkludenten Handlungen ergeben (§§ 133, 157). So liegt es etwa, wenn A stillschweigend drei Euro und eine Süddeutsche Zeitung auf den Kioskschalter legt und Kioskverkäuferin B kurz nickt. Obwohl die beiden nichts miteinander gesprochen haben, liegt ein wirksamer Kaufvertrag über die Zeitung vor. Die rechtsgeschäftliche Formfreiheit ist Ausdruck der Vertragsfreiheit.[46] Sie findet jedoch ihre Grenze bei vertraglich vereinbarten Formvorschriften und bei Formvorschriften des Gesetzes.

2. Formarten, Regelungsorte und Beispiele, Zwecke gesetzlicher Formvorschriften

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Das BGB kennt eine ganze Reihe unterschiedlicher Formen, die jeweils passgenau in bestimmten Regelungssituationen zum Tragen kommen. Teilweise werden die Grundformen noch weiter spezifiziert. Im Groben unterscheidet das BGB aber zwischen der Schriftform (§ 126), der elektronischen Form (§ 126a), der Textform (§ 126b), der öffentlichen Beglaubigung (§ 129 iVm §§ 39 ff BeurkG) und der notariellen Beurkundung (§ 128 iVm §§ 6-35 BeurkG). Einzelheiten zu den jeweiligen Anforderungen werden in den Lehrbüchern zum Allgemeinen Teil des BGB dargestellt.

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Formvorschriften finden sich beispielsweise im Besonderen Teil des Schuldrechts, im Familienrecht, im Erbrecht, aber auch in ganz verschiedenen Gesetzen außerhalb des BGB. Im Besonderen Schuldrecht ist etwa für die Bürgschaftserklärung des Bürgen Schriftform vorgesehen (§ 766). Dadurch wird der Bürge vor übereilter Abgabe seiner Bürgschaftserklärung geschützt. Der Schenkungsvertrag bedarf der notariellen Beurkundung (§ 518 Abs. 1 S. 1); allerdings kann der Formmangel durch Bewirkung der versprochenen Leistung geheilt werden (§ 518 Abs. 2). Mietverträge über eine längere Dauer als ein Jahr müssen gem. § 550 schriftlich geschlossen werden, was vor allem der Beweissicherung dient.[47] Im Familienrecht ist das wichtigste Beispiel der Ehevertrag (§ 1408), durch den die Eheleute ihre güterrechtlichen Verhältnisse regeln. Er muss gem. § 1410 bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Teile zur Niederschrift eines Notars abgeschlossen werden. Auch ein Erbvertrag kann gem. § 2276 Abs. 1 nur zur Niederschrift eines Notars bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Teile geschlossen werden. Praktisch sehr bedeutsame Formvorschriften außerhalb des BGB finden sich beispielsweise oft im Gesellschaftsrecht, so § 2 GmbHG für den Abschluss des Gesellschaftsvertrags (notarielle Form) und § 15 Abs. 3 und Abs. 4 GmbHG für den Verkauf und die Abtretung von Geschäftsanteilen an einer GmbH.

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Die gesetzlichen Formvorschriften verfolgen verschiedene, oft jedoch auch zusammenhängende Zwecke, die je nach Regelungskontext und mit Blick auf die jeweilige Formart unterschiedliches Gewicht haben. Die jeweiligen Zwecke müssen durch Auslegung der jeweils in Rede stehenden Formvorschrift ermittelt werden. Oft sind Geschäfte betroffen, die für einen der Beteiligten typischer Weise mit besonders hohen Gefahren einhergehen – so etwa Bürgschaftsverträge oder Grundstückskaufverträge. Das zeigt sich etwa in § 311b Abs. 1 und Abs. 3, aber auch in § 766. Durch die Form des Rechtsgeschäfts werden die Betroffenen vor dem Abschluss besonders riskanter Geschäfte gewarnt (Warnfunktion) und vor übereilten Entscheidungen geschützt (Übereilungsfunktion). Daneben stellen Formvorschriften oft sicher, dass Einzelheiten eines Geschäfts angemessen dokumentiert werden und dienen so auch der Beweiserleichterung in denkbaren Streitsituationen (Informationsfunktion, Dokumentationsfunktion, Beweisfunktion).

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Auch im Allgemeinen Schuldrecht finden sich praktisch wichtige und prüfungsrelevante Formvorschriften, die typischer Weise bedeutsame und regelmäßig riskante Rechtsgeschäfte in den Blick nehmen. Nur diese Formvorschriften werden im Folgenden in ihren wesentlichen prüfungsrelevanten Inhalten dargestellt.

3. § 311b Abs. 1 (Grundstücksverträge)

a) Praktische Bedeutung

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§ 311b Abs. 1 betrifft eine der wohl praktisch bedeutsamsten Formvorschriften überhaupt: Den Grundstücksvertrag. Täglich werden in Deutschland viele solcher Kaufverträge in den Amtsstuben (oder Besprechungszimmern) der Notare geschlossen. Dass sie nicht etwa schlicht am heimischen Küchentisch oder gar per Handschlag geschlossen werden, liegt an § 311b Abs. 1: Verträge, durch die sich der eine Teil verpflichtet, das Eigentum an einem Grundstück zu übertragen oder zu erwerben, bedürfen gem. § 311b Abs. 1 S. 1 grundsätzlich der notariellen Beurkundung. Allerdings kann der Formmangel durch Auflassung und Eintragung in das Grundbuch geheilt werden (§ 311b Abs. 2).

b) Zwecke des § 311b Abs. 1

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§ 311b Abs. 1 berücksichtigt die meist hohe wirtschaftliche Bedeutung von Grundstücksgeschäften, die für beide Vertragspartner weitreichende Konsequenzen haben können. Die notarielle Beurkundung stellt zudem sicher, dass die Vertragspartner über die Folgen und die rechtlichen Hintergründe des Geschäfts aufgeklärt werden. Das ist gerade dann wichtig, wenn die Beteiligten solche Geschäfte nicht häufig abschließen. Die Abwicklung von Grundstückskaufverträgen geht oft mit Sicherungsgeschäften (Grundschulden oder Hypotheken) einher, die für Laien nur schwer verständlich sind. Warnfunktion, Übereilungsfunktion und Informationsfunktion sind für § 311b Abs. 1 bedeutsam. Aber natürlich werden viele Einzelheiten durch den notariell beurkundeten Vertrag auch sicher dokumentiert (Dokumentationsfunktion), so dass sie im Streitfall auch leichter beweisbar sind (Beweisfunktion).

In Fall 14 soll die notarielle Beurkundung beispielsweise A davor schützen, unüberlegt eine derart hohe Summe auszugeben, die möglicherweise langfristige Kredite o.ä. erfordert. Auf diesem Wege wird sie regelmäßig auch über bestehende Belastungen und deren Rechtsfolgen aufgeklärt, damit darüber im Nachgang kein Streit entsteht. Dass A und B angesichts der Höhe der entstehenden Kosten und eigener Gewinnvorstellungen die Entscheidung treffen, vor dem Notar einen falschen Kaufpreis anzugeben, ist vom Gesetz freilich nicht intendiert.

c) Voraussetzungen des § 311b Abs. 1

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§ 311b Abs. 1 greift bei allen schuldrechtlichen Verträgen ein, die für eine Partei eine vertragliche Verpflichtung zur Übertragung oder zum Erwerb eines Grundstücks begründen. Es geht also um Pflichten, die auf Veränderung der bestehenden Eigentumsverhältnisse an einem Grundstück gerichtet sind. Paradigma ist der Kaufvertrag über ein Grundstück. Aber auch Schenkungsverträge oder Tauschverträge kommen in Betracht.[48] Gleiches gilt für den Aufhebungsvertrag, wenn der ursprüngliche Vertrag bereits vollzogen war, also bereits die Auflassung und die Eintragung in das Grundbuch erfolgt sind. Denn dann verpflichtet der Aufhebungsvertrag zur Rückübertragung eines Grundstücks.[49] Anders liegt es, wenn der Kaufvertrag noch nicht vollzogen war: Dann kann der Aufhebungsvertrag formfrei geschlossen werden.[50] Die Rechtsprechung hält den Aufhebungsvertrag auch dann für formbedürftig, wenn zwar noch kein vollständiger Vollzug stattgefunden hat, der Erwerber aber bereits ein Anwartschaftsrecht innehält. Das ist dann der Fall, wenn die Auflassung erklärt und ein Antrag auf Eintragung gem. § 13 GBO gestellt wurde.[51] Auch der „Kauf eines Hauses“ ist ein Kaufvertrag über ein Grundstück: Denn Häuser sind mit dem Grundstück fest verbunden und daher wesentliche Bestandteile des Grundstücks iSd §§ 94 Abs. 1, 93. § 311b Abs. 1 betrifft aber nur das Verpflichtungsgeschäft, nicht etwa auch das Verfügungsgeschäft. Für letzteres gelten vielmehr die §§ 925, 873. Keine Verpflichtung zur Übertragung oder zum Erwerb eines Grundstücks liegt vor, wenn lediglich die Nutzung eines Grundstücks Vertragsgegenstand ist, also bei Miet- oder Pachtverträgen.

 

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Wenn eine Vollmacht zum Erwerb oder zur Veräußerung eines Grundstücks erteilt wird, greift § 311b Abs. 1 seinem Wortlaut nach nicht ein. Gem. § 167 Abs. 2 bedarf die Vollmacht selbst nicht der Form, die für das Rechtsgeschäft bestimmt ist, auf das sie sich bezieht. Nach dem Gesetzeswortlaut könnte eine Vollmacht zum Erwerb oder zur Veräußerung eines Grundstücks also immer formfrei erteilt werden. Das ist jedoch mit Blick auf die Warnfunktion des § 311b Abs. 1 problematisch, wenn die Vollmacht schon zu einer ähnlich weitgehenden Bindung des Vollmachtgebers führt wie der Abschluss des Kaufvertrags selbst. § 311b Abs. 1 gilt deshalb auch für die Vollmacht, wenn schon die Vollmachtserteilung den Vollmachtgeber rechtlich oder tatsächlich bindet, also vor allem bei der unwiderruflichen Vollmacht.[52] Die unwiderrufliche Vollmacht zur Vornahme eines Grundstücksgeschäfts nach § 311b Abs. 1 S. 1 muss deshalb notariell beurkundet werden.[53] Nach wohl hM kann dagegen der durch einen vollmachtlosen Vertreter abgeschlossene Grundstückskaufvertrag vom Vertretenen formlos genehmigt werden.[54] Dafür wird § 182 Abs. 2 ins Feld geführt, wonach die Zustimmung nicht der für das Rechtsgeschäft bestimmten Form bedarf. Das steht freilich in einem gewissen Widerspruch zur Anwendung des § 311b Abs. 1 auf unwiderrufliche Vollmachten zu Grundstücksgeschäften – trotz § 167 Abs. 2.

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Das Beurkundungserfordernis aus § 311b Abs. 1 S. 1 erstreckt sich auf den gesamten Vertrag einschließlich etwaiger Nebenabreden. Das ergibt sich vor allem aus der Beweissicherungsfunktion der Norm. Ein Verweis in dem beurkundeten Vertrag auf etwaige Vertragsanlagen genügt nicht.[55] Allerdings genügt es, dass der rechtsgeschäftliche Wille in der Urkunde zumindest angedeutet ist (Andeutungstheorie).[56] Wenn versehentlich ein anderes als das wirklich gewollte Grundstück als Vertragsgegenstand bezeichnet ist, liegt eine unschädliche Falschbezeichnung vor (falsa demonstratio non nocet).[57] Für die Wahrung der Beurkundungspflicht kommt es nämlich nicht auf den objektiven Wortlaut, sondern – wie auch in Fällen außerhalb des § 311b Abs. 1 – auf das von den Parteien tatsächlich Gewollte an. Darin liegt zwar eine Einschränkung der Dokumentations- und Beweisfunktion. Schutz- und Informationsfunktion der Norm bleiben aber gewahrt.

Um eine solche Konstellation handelt es sich freilich bei Fall 14 nicht: Zum einen haben die Parteien nicht aus Versehen eine falsche Information zugrunde gelegt, sondern in vollem Bewusstsein gehandelt. Zum anderen wurde hier nicht ein falsches Grundstück bezeichnet, sondern die Summe des richtigen Grundstücks verfälscht.

d) Rechtsfolgen von Verstößen gegen § 311b Abs. 1

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Gem. § 125 S. 1 ist ein nicht notarieller Vertrag, der von § 311b Abs. 1 erfasst wird, nichtig. Wenn keine Heilung erfolgt ist (§ 311b Abs. 1 S. 2), können möglicherweise erbrachte Leistungen gem. § 812 Abs. 1 S. 1 kondiziert werden. Denkbar sind auch Schadensersatzansprüche aus § 311 Abs. 2 iVm § 280 Abs. 1, wenn der Käufer nutzlos gewordene Erwerbskosten aufgebracht hat (etwa zur Finanzierung oder für Grundbuchgeschäfte).

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Nur ausnahmsweise greift die strenge Nichtigkeitssanktion des § 125 S. 1 gem. § 242 nicht ein, wenn die Berufung auf den Formmangel treuwidrig ist. Dafür gelten strenge Voraussetzungen.[58] Die Nichtigkeitssanktion ist auch für den Schwarzkauf relevant, der in der Praxis nicht selten vorkommt (vgl Fall 14): In dieser Situation beurkunden die Parteien eines Kaufvertrags den Kauf zu einem geringeren als dem eigentlich gewollten Kaufpreis, um Steuern und Gebühren zu sparen. Der beurkundete Vertrag (simuliertes Geschäft) ist ein nichtiges Scheingeschäft (§ 117 Abs. 1). Der nicht beurkundete Vertrag (dissimuliertes Geschäft) unterfällt § 311b Abs. 1 S. 1 (vgl auch § 117 Abs. 2) und ist insoweit – vorbehaltlich einer Heilung gem. § 311b Abs. 1 S. 2 – formnichtig gem. § 125 S. 1.[59] Vom „Schwarzkauf“ sind Fälle zu unterscheiden, bei denen zwar eine unrichtige Beurkundung erfolgte (beispielsweise ein objektiv anderes als das tatsächlich gewollte Grundstück), die Parteien aber über das tatsächlich gewollte Grundstück einig sind. In diesen Fällen ist der Vertrag mit dem von den Parteien übereinstimmend gewollten Vertragsinhalt wirksam zustande gekommen (falsa demonstratio non nocet).[60]

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Der Formmangel wird gem. § 311b Abs. 1 S. 2 geheilt, wenn die Auflassung und die Eintragung in das Grundbuch erfolgen. Auflassung und Eintragung bedeuten den Vollzug des Geschäfts, so dass ein Übereilungsschutz nicht mehr geboten ist. Dazu kommt ein Verkehrsschutzgedanke: Sachenrechtlich abgeschlossene Vorgänge sollen im Interesse des Rechtsverkehrs aufrechterhalten werden.[61] Der Kaufvertrag wird also durch die Übereignung vollumfänglich wirksam. Im Fall des Schwarzkaufs bedeutet dies: Der eigentlich gewollte Vertrag (das dissimulierte Geschäft) mit dem regelmäßig höheren Kaufpreis wird durch Auflassung und Eintragung in das Grundbuch wirksam, so dass der Käufer nicht etwa lediglich den niedrigeren beurkundeten Kaufpreis zahlen muss, sondern den eigentlich gewollten höheren Kaufpreis.

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Die Heilung des § 311b Abs. 1 S. 2 bezieht sich lediglich auf die Formnichtigkeit gem. § 125 S. 1 iVm § 311b Abs. 1 S. 1. Andere Nichtigkeitsgründe bleiben von der Heilungsvorschrift unberührt. Wenn beispielsweise der Kaufvertrag auch wegen Geschäftsunfähigkeit einer Partei nichtig ist, führen Auflassung und Eintragung in das Grundbuch nicht zur Wirksamkeit des Vertrags.[62]

e) Fall 14 Lösung

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A könnte gegen B einen Anspruch auf Grundstücksübertragung gemäß § 433 Abs. 1 S. 1 haben.

I. Das setzt einen wirksamen Kaufvertrag voraus. Zunächst könnte ein wirksamer Kaufvertrag über das Grundstück zu einem Kaufpreis von 500.000 Euro bestehen. Ein solcher Kaufvertrag wurde unter Beachtung des § 311b Abs. 1 vor dem Notar geschlossen. Problematisch ist allerdings, dass A und B insgeheim den Vertrag in dieser Form gar nicht schließen wollten. Ihr Ziel war der Abschluss eines Vertrags zu einem Kaufpreis in Höhe von 1.000.000 Euro. Nach § 117 Abs. 1 sind diese vor dem Notar mit Einverständnis des anderen Teils abgegebenen Willenserklärungen daher nichtig. Bei solchen Scheingeschäften kommt es mithin zur Nichtigkeit des simulierten Geschäfts.

II. Jedoch könnte ein wirksamer Kaufvertrag über das Grundstück zu einem Kaufpreis in Höhe von 1.000.000 Euro bestehen. Eine entsprechende Einigung (Angebot und Annahme durch A und B) liegt vor. § 117 Abs. 2 stellt klar, dass die Nichtigkeit des simulierten Geschäfts sich nicht auf die Nichtigkeit des dissimulierten Geschäfts erstreckt. Der Vertrag ist auch nicht etwa gemäß § 134 iVm § 370 AO nichtig: Das ist nur dann der Fall, wenn die Steuerhinterziehung Hauptzweck des Geschäfts ist. A möchte aber auch Notarkosten sparen und B will den Verkaufserlös ihrer Familie teilweise vorenthalten. Der Vertrag könnte indes gemäß § 125 S. 1 nichtig sein. Nach § 311b Abs. 1 S. 1 sind Grundstückskaufverträge notariell zu beurkunden (§ 128). Dies gilt gem. § 117 Abs. 2 insbesondere auch für dissimulierte Geschäfte. Das dissimulierte Geschäft (Kauf zu 1.000.000 Euro) wurde hier jedoch gerade nicht notariell beurkundet. Auch die notarielle Beurkundung des simulierten Rechtsgeschäfts vermag den Formmangel des dissimulierten Rechtsgeschäfts nicht zu überwinden: Erstens sind weder A noch B schutzbedürftig. Zweitens sieht der Wortlaut des § 117 Abs. 2 eine gesonderte Behandlung beider Geschäfte vor, so dass auch die Formvorschriften jeweils gesondert einzuhalten sind. Eine Heilung gemäß § 311b Abs. 1 S. 2 ist bei dem dissimulierten Geschäft mangels Übertragung des Grundstücks nicht eingetreten. Daher liegt auch kein wirksamer Kaufvertrag über das Grundstück mit einem Betrag von 1.000.000 Euro vor.

Ergebnis: A hat gegen B keinen Anspruch auf Grundstücksübertragung gemäß § 433 Abs. 1 S. 1.

4. Verträge über das Vermögen (§ 311b Abs. 2 und Abs. 3)

a) Verträge über das gegenwärtige Vermögen (§ 311b Abs. 3)

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Besonders gefährlich und weitreichend ist die Verpflichtung des Schuldners, das gesamte Vermögen zu übertragen. Gem. § 311b Abs. 3 bedarf ein Vertrag, durch den sich der eine Teil verpflichtet, sein gegenwärtiges Vermögen oder einen Bruchteil seines gegenwärtigen Vermögens zu übertragen oder mit einem Nießbrauch zu belasten, daher der notariellen Beurkundung. Die Norm schützt den Schuldner dadurch vor allem vor einer übereilten Entscheidung und sichert seine fachgerechte Aufklärung und Beratung. Zugleich dient die Norm der Rechtssicherheit und verhindert, dass Formvorschriften über Verfügungen von Todes wegen umgangen werden. Dass – unabhängig von der Höhe – auch Bruchteile des Vermögens erfasst werden, soll darin begründet liegen, dass solche Verträge zu unabsehbaren Verwicklungen führen würden.[63]

 

In Fall 15 sind dementsprechend Zweifel dahingehend angebracht, ob die Übertragung der Fondsanteile von E an B gesetzlich gebilligt wird, schließlich würde im Todesfall normalerweise stattdessen A von der Erbmasse profitieren. Dass Verwicklungen drohen, belegt schon der Umstand, dass A sich nicht mit dem aktuellen Zustand zufriedengeben möchte und gegen B vorgeht.

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§ 311b Abs. 3 setzt einen schuldrechtlichen Vertrag voraus. Häufige Beispiele sind Kaufverträge und Schenkungsverträge. Entscheidende Voraussetzung ist, dass der Schuldner sich vertraglich zur Übertragung seines gegenwärtigen Vermögens oder eines Bruchteils davon verpflichtet. Mit Vermögen ist das gesamte Aktivvermögen gemeint.

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Die Übertragungspflicht muss auf das Vermögen oder einen Bruchteil des Vermögens bezogen sein. Wenn sich jemand dagegen nur zur Übertragung einzelner Gegenstände aus seinem Vermögen verpflichtet – etwa sein Auto, sein Fahrrad und seine Gemäldesammlung – greift § 311b Abs. 3 grundsätzlich nicht ein. § 311b Abs. 3 erfasst seinem Wortlaut nach eben nur Verträge, die sich auf das Vermögen als solches beziehen. Das gilt nach der Rechtsprechung des BGH selbst dann, wenn diese Gegenstände im Wesentlichen das gesamte Vermögen ausmachen.[64] Wenn die Auslegung aber ergibt, dass der Vertrag auf das Vermögen bezogen ist, greift § 311 Abs. 3 auch dann ein, wenn lediglich einzelne Gegenstände von der Veräußerung ausgenommen werden.[65]

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Wenn § 311b Abs. 3 verletzt ist, ist der Vertrag gem. § 125 S. 1 nichtig. Die Erfüllung des Vertrags bewirkt – anders als die Verletzung des § 311b Abs. 1 S. 1 (vgl § 311b Abs. 1 S. 2) – keine Heilung.[66] Das kann mit einem systematischen Argument e contrario § 311b Abs. 1 S. 2 begründet werden. Soweit auf den nichtigen Vertrag geleistet wurde, kann das Geleistete gem. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 zurückverlangt werden (Leistungskondiktion).[67]

b) Verträge über das künftige Vermögen (§ 311b Abs. 2)

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Wenn sich jemand dazu verpflichtet, sogar sein künftiges Vermögen zu veräußern, verliert er typischer Weise jede Motivation, sich am Erwerbsleben zu beteiligen. Denn alles, was er künftig erhält, muss er ohnehin abgeben. Formal verstandene Vertragsfreiheit würde freilich auch solche „selbstknebelnden“ Verträge ermöglichen. Schon der Gesetzgeber des BGB von 1900 sah allerdings in Verpflichtungen, das künftige Vermögen zu veräußern, eine Gefahr für die materiell verstandene Freiheit und schränkte diesen Freiheitsaspekt radikal ein: Gem. § 311b Abs. 2 sind Verträge, durch den sich der eine Teil verpflichtet, sein künftiges Vermögen oder einen Bruchteil seines künftigen Vermögens zu übertragen oder mit einem Nießbrauch zu belasten, nichtig. § 311b Abs. 2 erfasst regelmäßig nur das schuldrechtliche Geschäft. Erfüllungsgeschäfte sind daher wirksam; allerdings kann das Geleistete gem. § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. (Leistungskondiktion) zurückgefordert werden.[68]

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