Der sündige Kurs der "TINA-THERESA"

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Der sündige Kurs der "TINA-THERESA"
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Hein Bruns

Der sündige Kurs der „TINA-THERESA“

Ein Roman über die frühere deutsche Küstenschifffahrt

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Ein Buch über die deutsche Küstenschifffahrt früherer Jahre

Hein Bruns

Zu diesem Buch:

Der Roman beginnt in einem Dorf im Obstanbaugebiet südlich von Hamburg und einem dort ansässigen Kapitän und Schiffseigner

Tina

Auf See

Schweden

Frankreich

Rotterdam

Nordafrika

Italien

Amsterdam

Finnland

Hamburg

Impressum neobooks

Ein Buch über die deutsche Küstenschifffahrt früherer Jahre

von Hein Bruns:


Der sündige Kurs der „TINA-THERESA“


Ein Roman aus der Seeschifffahrt

Alle Rechte beim Autor Hein Bruns

* * *

Dieses Buch kann auch auf Papier und gebunden für 21,99 € bei epubli.de online oder im Buchhandel unter ISBN 978-3-748578-43-7 bestellt werden

Hein Bruns


Hein Bruns (Jahrgang 1910) fuhr zur See. Er kannte die Seefahrt auf allen sieben Meeren. Er kannte sie als Kochsjunge, Decksjunge, Kohlentrimmer, Heizer und Schmierer.

Fuhr dann als Ingenieurs-Aspirant, Vierter, Dritter, Zweiter und Erster Ingenieur.

Hein Bruns ging durch viele und bunte Stationen seines Lebens. War Werft‑ und Hafenarbeiter, arbeitete in einem Torfwerk. Handelte mit Fisch, Südfrüchten und Pferdewürstchen.

Trampte durch Deutschland, die Schweiz und Italien. Schuftete in der Landwirtschaft.

Hein Bruns lebte dann nach seinen Reisen zu Wasser und zu Lande im Schnoorviertel zu Bremen, mitten zwischen Künstlern, schnurrigen Leuten und Sonderlingen als einer der ihren …

Stellen Sie sich eine Buddel Rum neben Ihren Sessel, lesen Sie Hein Bruns, und die weite Welt ist bei Ihnen.

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Weiter sind von Hein Bruns erschienen:

Ein Schmierer namens Valentin


In Bilgen, Bars und Betten

Weit unter dem Nullpunkt

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Zu diesem Buch:

Milieu: Norddeutsche Kleinstädte; an Bord eines Küstenmotorschiffes, Kümo genannt; in Häfen, Kneipen und Bordellen Schwedens, Frankreichs, Finnlands, Afrikas und des Mittelmeerraumes; auf der Brücke, im Maschinenraum, in der Kombüse und in den Offiziers‑ und Mannschaftsmessen.

Personen: Schiffseigner und Kapitän Friedrich Faller, seine Frau und seine Tochter, Schiffsingenieur Siebel, Schiffsoffizier Ahlers, Seeleute, Seemannsfrauen, Mädchen, Zufallspassagiere und Huren.

Tendenz: Hart und realistisch, kritisch und engagiert; mit einem pornographischen Einschlag, wenn man darunter die unverblümten Schilderungen von Erlebnissen in Häfen versteht. Der Roman vermittelt ein Bild der Seefahrt, wie sie fern aller Romantik sein kann und meistens auch ist.

Inhalt: Friedrich Faller hat es mit Hilfe hoher Kredite zum Schiffseigner gebracht, und er steht unter Erfolgszwang. Wenn er seine Schulden jemals tilgen will, dann muss er die TINA‑THERESA hart und mit den sparsamsten Mitteln fahren und muss auch versuchen, gesetzliche und tarifliche Bestimmungen zu umgehen. Seine Besatzung besteht folglich aus wenigen notwendigen Fachleuten und Personal, das froh sein muss, noch eine Heuer zu bekommen oder erstmals zur See fährt.

An Bord prallen Realisten, Zyniker und Idealisten aufeinander. Entsprechend unterschiedlich empfinden sie ihre Situation. Der Roman schildert die daraus resultierenden Spannungen und die Stationen ihrer Eskalation.

Die einzelnen Kapitel enthalten Rückblenden auf die Lebensschicksale der Besatzungsmitglieder. Sie sind eingefügt in ungeschminkte Darstellungen des Alltags auf einem Handelsschiff, das unter Bedingungen fährt, von denen nur Laien annehmen, dass es sich um Ausnahmebedingungen handelt. Es kommt zu bordüblichen und auch ungewöhnlichen Zwischenfällen. Sie gipfeln im Selbstmord eines jungen Besatzungsmitglieds, das dem seelischen und auch dem körperlichen Druck auf diesem Schiff nicht mehr gewachsen ist. Bei den Landgängen in den verschiedenen Häfen haben die Seeleute Liebeserlebnisse auf jedem finanziellen und menschlichen Niveau.

Als Kontrast zu diesen Szenen seemännischer Triebbefriedigung kommt es an Bord zu einer echten Liebesbeziehung zwischen der mitreisenden Tochter des Eigner‑Kapitäns und einem Schiffsoffizier. Die Verbindung scheint am Widerstand des besitzerstolzen und von seiner sozialen Ausnahmestellung überzeugten Vaters zu scheitern. Mit der schließlich vollzogenen Verbindung zwischen den beiden jungen Menschen zeichnet sich auch eine Verbesserung der Zustände an Bord des Frachters ab.

* * *

Der Roman beginnt in einem Dorf im Obstanbaugebiet südlich von Hamburg und einem dort ansässigen Kapitän und Schiffseigner

BREIT, SATT, DUNKEL drückt sich das Wasser der Elbe seewärts. Beidseitig Deiche. Graue Deiche. Grüne Deiche. Grüne Deiche, wie es die Jahreszeit diktiert. Jetzt sind die Deiche weiß, vom Schnee geweißt. Wie Strauchdiebe geduckt, die Häuser hinter dem Deich. Spitzenlauernd ihre Giebel. Tags blinzeln sie und sind neugierig wie alte Kaffeeziegen. Blinzeln neu‑ und altgierig den Schiffen nach. Schiffe, die see‑ oder hamburgwärts fahren. Lassen sich nachts von Richt‑ und Leitfeuern betasten und begeilen und sind doch schon längst in den Wechseljahren. Der rote Himmel Hamburgs ist auch zu sehen.

DAS GANZE DORF Leeste liegt so hinter dem Deich. Bestrohte Häuser sind es meistens noch. Hart an den Deich geklemmt das Haus des Schiffseigners und Kapitäns Friedrich Faller, auch Stroh auf dem Kopf und ein neugieriger Giebel. Kopfsteinpflastrig hoppelt die Straße am Haus vorbei ins nahe Dorf. AN GOTTES SEGEN IST ALLES GELEGEN ‑ diese ins Holz eingestemmte Inschrift ziert noch heute den Querbalken der einstigen Dielentür. Fenster sind modernisiert, von zwei mach eins. Blumen und Grüngewächse. Dralonstores verwehren den Steinen der Straße und den sonst Neugierigen den Blick in die „Innereien". Dort stand dreißig Jahre lang ein Birnbaum, dort steht seit gestern eine Garage. Dort neben der Diele standen Pferde und Kühe, dort neben der Diele sind seit gestern Zimmer. AN GOTTES SEGEN IST ALLES GELEGEN, soweit und gut war das mit dem Segen des Herrn auch nicht, nicht allzu weit her.

Friedrich Faller, seine Frau Theresa, seine Tochter Tina, sie leben in diesem Haus. Friedrich Faller nun weniger, er lebt die wenigste Zeit drin, denn er fährt ja zur See. Und wenn er nicht drin lebt, dann hat das Haus erst Leben, zumindest Frieden. Dann lebt in Frieden die Frau Theresa und die dreiundzwanzigjährige Tochter Tina. Leben in Frieden zwischen Nippfiguren, Porzellan‑ und Stoffpuppen. Kitsch aus Norwegen und Holland, Schweden und Finnland. Kitsch von nahen Küsten. Da sind Aschenbecher, die Scharlachberg, Underberg und Balle‑Rum anbieten. Es raucht niemand im Hause der Fallers.

Holzgeschnitzte Rentiere ‑ ‑ ‑ und ihr Geweih ist bestaubt. Bilder aus Birkenrinde, in den Klebritzen sitzt der Staub und der Holzwurm. Rot wie Himbeersaft ist die Tischlampe, der Schirm. Der Fuß ist ein holländischer Holzschuh. Wirklicher Frieden, so der alte Faller mit seinem Schiff an nahen Küsten herumgurkt, ist dann im Giebelhaus und es hat sich das Donnern, Pöbeln, Schnauzen und Schimpfen aufs Schiff verlegt. Mutter und Tochter haben jetzt ihre Hühner, auch ein Schwein, den Apfelhof, so ihren Frieden.

Frau Theresa ist keine Einheimische, stammt irgendwoher aus Bayern, war Dienstmädchen bei hochherrschaftlichen Leuten in Hamburg. Wurde wohl ausgebeutet, aber ist doch eine gute Hausfrau geworden. Das muss man ja sagen, der Schiffseigner Friedrich Faller hatte seinerzeit Mut, eine „Fremdländische" zu ehelichen, aber F.F. kümmert sich einen Scheißdreck um das Gerede der Leute. F.F. geht über Leichen, heute noch. Er half niemanden und ihm brauchte und braucht auch keiner zu helfen, von den Geldinstituten natürlich abgesehen. Aber je protziger und größer, (das größer bezieht sich auf seine Schiffe) um so mickeriger und dünner wurde seine Frau Theresa. Mit einem Klütenewer fing F. F. vor Jahren an und mit Schulden (der Apfelhof und das Haus fuhren zur See). Mit einem modernen Küstenmotorschiff, Werftnummer 491, geht es weiter und wiederum mit Schulden.

 

Tina

Vom Klütenewer zum Küstenmotorschiff ist ein weiter Weg. Und was die Tina ist, die Tochter, jetzt hatte sie sich ja langsam gemausert und wagte auch mal ein Widerwort dem Alten gegenüber. Ach Gott, bevor die in der Stadt war, ach Gottegott. Tina kam doch auch in das Alter, wo sie wohl schon einen Mann gebrauchen konnte. Wenn auch der Sommerwind ihre jungen Brüste streichelte oder der Mond, der über den Strom segelte, ihre sommerheißen Glieder ‑ das Richtige war das wohl doch nicht. Sie brauchte auch einen Mann, der sie aus der Fuchtel ihres Vater befreite. Dieser Mann war schon zu finden, denn Tina war recht ansehnlich, ja, ja, Tina war recht sexy, ja, ja, aber ‑ da lag der Knüppel beim Hund. F. F. war ein Faktor. Inwiefern F.F. ein Faktor war, davon später. Tina war auch anständig, wie man so sagt. Einen Mann, so richtig, hatte sie noch nicht gehabt. Dabei war sie nicht mehr unschuldig, nein, das war sie nicht. Aber das ist eine andere, an sich eine traurige Geschichte, die Geschichte mit dem Straßenbahner. Auch die steht jetzt nicht zur Debatte. Zur Debatte steht der Bäckergeselle aus dem Dorf Leeste hinter dem Elbdeich.

DAMALS WAR DER Deich grün. Tina war damals glatte siebzehn und die Daunen waren jünger, die gegen ihr Hemdchen stießen.

Viel älter aber als Tina war der Bäckergeselle Bruno. Er brachte Tina vom Erntefest nach Hause. Er hat sie auch geküsst, mehr nicht, mehr wirklich nicht. Es konnte ja auch nicht mehr werden, obwohl alle Voraussetzungen absolut gegeben waren, wie die Dinge so lagen und Tina so lag. Es konnte aber mit dem besten Willen nicht mehr werden, denn Friedrich Faller sprang in der langen Unterhose, mit einem Knüppel bewaffnet auf den Deich, über den Deich und hinter den Deich, wo die beiden, Tina und der Bruno, verschwunden waren und verwalkte beide, seine Tochter Tina und den Bäcker Bruno.

Das war doch traurig, zumal der Bäckergeselle Bruno es schon fertiggebracht hatte, Tinas baumwollene Unterhose auszuziehen und die als heller Fleck im Deichgras lag.

Damals war der Deich grün.

So waren auch Tinas Beine bloß und blank. Beides, Hose und Beine Tinas, sahen appetitlicher aus, als der Eigner in seinen langen Unterhosen.

„Un du geihtst int Hus, du Hurendeern ‑ ick will di helpen, hier Brötchen backen!"

Der Bäcker Bruno entfleuchte, rannte ein Stück, ein ganzes Stück auf dem Deich entlang, so, als sei der Leibhaftige hinter ihm her, verschwand im Dorf und wurde von Stund' an nie mehr gesehen. Verschwand ganz aus diesem Dorf am Strom. Sein Glück, denn F. F. war für ihn der Leibhaftige, getarnt in langen Unterhosen, bewaffnet mit einem Knüppel. So behielt Tina vorläufig ihre Unschuld und einen Schock. Bekam von ihrem Alten noch eine Tracht Prügel und hasste seitdem ihren Vater und auch Bäckerläden.

„Du heirots blot eenen Stürmann oder een Kaptein, mit wat anneres kummst du mi nich int Hus, mark di dat, Deern!" Allerdings bekam Tina doch keinen Steuermann und auch keinen Kapitän als Ehemann, sondern ‑ aber das ist eine lange Geschichte. Vorher kam noch der Straßenbahner der Hamburger Hochbahn. Er brachte es fertig, nicht ganz ohne Gewalt, Tinas Jungfernhäutchen zu zerfleddern ‑ und das kam so:

Friedrich Faller hatte nicht einen blassen Schimmer von Buchführung. Woher auch? Auf dem Holzschuhgymnasium des Dorfes Leeste an der Elbe lernt man so etwas nicht, nicht einmal die Grundbegriffe. Bankabrechnungen, Finanzamtssachen, selbst Heuerabrechnungen für seine Besatzung, das waren für F. F. „Böhmische Dörfer". Das schließt aber beileibe nicht aus, dass F.F. keine Nase für Geld hat. Was nun tatsächlich anfiel, das machte F. F., solange er noch seinen Klütenewer befuhr, so aus der „Lameng". Später nahm er sich einen Steuerberater aus dem Dorf, der muddelte das alles für ihn, und der konnte gut muddeln, nahm für die Muddelei klingende Münze. Jetzt, wo der Eigner F. F. keinen Sohn sein eigen nannte, der mal mit einem Steuermannspatent sein Schiff hätte fahren sollen, musste er mit seiner Tochter Tina vorlieb nehmen, sie quasi reedereimäßig einspannen. Und da Tina die Mittlere Reife überstanden hatte, sah F. F. hier die Möglichkeit, diesen verdammten Steuerberater einzusparen, dadurch einzusparen, dass Tina eine kaufmännische Lehre absolvierte. Das war gut und kaufmännisch gedacht und beweist auch die Bauernschläue des Schiffseigners Friedrich Faller.

So zuckelte Tina allmorgendlich mit dem Fährboot über den Strom und zuckelte dann weiter mit der Straßenbahn nach Hamburg‑Altona, hin zu jenem Schiffsmakler, bei dem Tina in der Lehre war.

Um nun an jedem Morgen den schneidigen, forschen Straßenbahnschaffner zu sehen und mit ihm zu sprechen, allein dafür lohnte es sich schon, allmorgendlich nach Hamburg‑Altona zu fahren.

Es war nun mal der Beschluss von F. F., im Verein mit der dürftigen Mutter Theresa, dass Tina in eine Kaufmannslehre ging, dieweil ja die Schiffe immer größer wurden und somit auch die Schulden. Man muss sagen, so dumm war F. F. nun doch nicht ‑ und „Was du ererbst von deinen Vätern ‑ ‑ ‑." Aber ganz gewiss war ein schneidiger, forscher Straßenbahnschaffner der Hamburger Hochbahn nicht mit einkalkuliert. Straßenbahnen fahren wohl immer, aber Schaffner haben auch Freizeit. Fähren fahren aber nicht immer, besonders zur Winterszeit nicht, dann nicht, wenn der Strom starken Eisgang hat. Nun war es so abgemacht und abgesprochen, dass Tina bei ihrer Tante in Övelgönne schlafen sollte. Nein, vom Schaffner war nicht die Rede.

Mittlerweile, seit der Bäcker‑Deich‑Episode hatte sich Tina ganz anständig gemausert, wenn man so sagen darf, denn das mit Baumwollhosen und handgestrickten Pullovern, das war vorbei. Tina zog sich jetzt großstädtisch an. Das muss man dem alten Faller ja lassen, gegen moderne Kleidung hatte er nichts einzuwenden, wie er auch nichts gegen moderne Schiffe hatte. Aber Lippenstift, Schminke, Puder und andere farbige Faxen, nee, die erlaubte er seiner Tochter nicht, und darin stimmte seine Frau Theresa, die dürftige, mit ihm überein. So traten diese farbigen Fasen erst auf dem Fährschiff bei Tina in Tätigkeit. So zog sich Tina morgens erst an, was „Faxen" anbelangt und abends wieder aus, und das auf dem Fährschiff.

So kam es, wie es kommen musste. Und einmal muss es ja sein, dass Tina mit dem Straßenbahnschaffner, just an dem Tag, wo die Elbe Eisgang hatte, ein Treffen vereinbarte, welches im möblierten Zimmer des besagten Straßenbahners ein „blutiges" Ende fand.

Die ersten Grogs tranken sie im Wartesaal I. Klasse des Altonaer Bahnhofs und die nächsten im traulichen Heim. Da war es auch, wo der Schaffner seine rechte Hand auf Tinas linke Knie legte, sich die Sinnenlust im Schaffner gewaltig regte und ihm schier die Hose sprengen wollte. Tina, die vom Grog und Händespiel benebelt war, dachte nun nicht mehr an ihre Tante in Övelgönne.

Es kam, wie es kommen musste und einmal muss es ja sein.

Tina lag schon breitbeinig auf der Couch und ihr Seidenhöschen bildete einen Fleck auf dem imitierten Orientteppich, wie seinerzeit die Baumwollhose auf dem Rasenteppich des Deiches einen hellen Fleck bildete. Sonst trug Tina noch volle Montur, wollte sich doch von einem Straßenbahnschaffner der Hamburger Hochbahn nicht ganz austakeln lassen.

Was sollte der wohl von ihr denken.

Aber als der Straßenbahnschaffner der Hamburger Hochbahn seine Kurbel herausdrehte und sie in Tina eindrehen wollte, da kniff sie ihre Beine fest zusammen, denn Tina dachte jäh an Tante und Eisgang. Da wallte des Straßenbahners Blut und er haute der Tina, Tochter eines Reeders eine runter und noch eine, dass Tina bereitwillig ihre schlanken Beine wieder auseinander nahm und somit die Kurbel ihr blutiges Werk bewerkstelligen und zu Ende bringen konnte. Seitdem hasst Tina auch Straßenbahnen.

Wer kann es ihr übel nehmen?

SEELEUTE MOCHTE TINA aber auch nicht besonders, aus dem einfachen Grund schon nicht, weil Seeleute ein reichlich verworrenes Familien‑ und Liebesleben führen. Familienleben ohne Ordnung und ohne System, bedingt durch die unregelmäßigen Reisen und die kurzen Hafenliegezeiten der Schiffe. Tina hatte noch normale Vorstellungen über Familienleben, von Kindern und Kochen, vom Glück im „trauten Heim", vom Feierabend des Mannes. Und ihn für die Nacht an ihrer Seite und alles, was sonst dazu gehört. Und all das war bei und mit einem Seemann als Mann reichlich rar und oftmals gar nicht.

Heute ist Tina dreiundzwanzig Jahre alt und schmeißt praktisch den ganzen Laden, was das Kaufmännische der Reederei betrifft. Kümmert sich auch noch um den Apfelhof, um die Hühner und manchmal auch um das Schwein. Steht wohl noch weiter unter der Fuchtel ihres Vaters, denn, „Wess' Brot ich ess', dess' Lied ich sing'," aber sonst hat sie sich ihre eigene Welt geschaffen. Gebraucht natürlich, so der alte Faller zu Hause ist, noch keinen Lippenstift, keinen Puder und keine Schminke, hat aber Bücher und Schallplatten und jetzt, wo sie den Mercedes haben, fährt sie einmal im Monat nach Hamburg ins Theater.

Mit ihrem Vater kommt sie jetzt leidlich aus. Ihr Vater, das ist so einer, beliebt nie und nirgends. An Bord nicht, im Dorf nicht, leider auch in der Familie nicht. So erinnert Tina sich an ein Weihnachtsfest, das sie an Bord erlebt hat. Damals war sie noch ein Kind. Dachte an den Sauerbraten an Bord des alten Küstenschiffes, der alten TINA‑THERESA.

Sie waren auf der Reise von Kopenhagen nach Antwerpen. Acht Mann an Bord und ein kleines Mädchen, die Tochter vom Alten. Für jeden Tag, den der Herrgott werden ließ, schnitt Friedrich Faller für den Tagesverbrauch das Fleisch, den Speck, die Wurst und den Käse zurecht. Alles wurde aufs Gramm genau gewogen ‑„wat de Seelüd tosteiht, dat sollen sie auch haben", und beschiss sie dann doch noch. Außerdem traute er dem Kochsmaaten nicht. F. F. traute seinem eigenen Arsch nicht. Der Proviantraum war so ein kleiner Verschlag, irgendwo an Bord in eine Ecke gedrückt, hatte eine bombensichere Tür mit einem gewaltigen Hängeschloss. In diesem Kabuff wirkte der Alte täglich fast eine Stunde. Jetzt um diese Zeit war es, da warf Kapitän und Schiffseigner Friedrich Faller einen zärtlichen und wohl auch verfressenen Blick auf den zukünftigen Weihnachtsbraten, der in Essig gelegt, mit Lorbeerblättern, Pfeffer und Senfkörnern garniert, stichig seiner Vollendung entgegensäuerte. Was gut werden soll, muss eben langsam reifen. Dabei war nicht ganz von der Hand zu weisen, dass dieser Braten schon einen hauchdünnen Stich ins Verderbliche hatte.

Von diesem Sauerbraten, saftigste, schiere Oberschale, konnte F. F. bildreich sprechen, sprach aber meistens davon, wie sündhaft teuer so ein Stück Fleisch sei. Weiß der Deubel, wie der Alte auf den ausgefallenen Bolzen gekommen war, gerade an einem Festtag, gerade Weihnachten, Sauerbraten essen zu wollen. Jedenfalls bezeichnete er Sauerbraten als den Adeligen unter den Fleischgerichten, daran könne kein Puter, keine Gans und kein Hase klingeln. Solche und ähnliche Vorträge hielt der dem Kochsmaat, gelernter Bäcker, der das Kochen mit Hilfe des alten Fallers leidlich erlernt hatte, erzählte, dass er einen fürchterlichen Traum gehabt habe. Er hätte eine Rinderherde gesehen, die mit Affenfahrt über die Prärie der Stadt zugejagd sei, in einer Essigfabrik gelandet sei und sich daselbst im Essig ertränkt habe.

Jedenfalls, ehrfürchtig schlich die Besatzung am Proviantraum vorbei und die Männer flüsterten sich zu: „Da ist er drin, da wird er langsam ‑ der Sauerbraten!"

Zu sehen gekriegt hat ihn keiner, den Sauerbraten, denn der Proviantraum war so eine Art Heiligtum für jeden Maat und tabu, auch für den Steuermann. In Provianträumen werden die ersten Fundamente für Schiffsneubauten gelegt, durch Geiz, Beschiss und Sparsamkeit.

Tabu für all hands, einschließlich des Steuermanns. F. F. traute eben seinem eigenen Arsch nicht, er könnte ihn vielleicht auch bescheißen.

 

Antwerpen! Der Heilige Abend verklang in langweiliger Harmonie. Der Baum brannte. Eine kümmerliche Tanne nur, die der Alte, so wurde gemunkelt, auch noch geklaut haben sollte.

Nun brannte der Baum und auch das Feuer im Kombüsenherd und es war in der Kombüse mollig warm. Hier wurde Weihnachten gefeiert. Mit stotternder Stimme sagte der Decksjunge ein Weihnachtsgedicht auf, verschluckte sich oft, wohl in Erinnerung an andere, bessere, schönere Weihnachten im Elternhaus. Tina piepste ein Weihnachtsliedchen und F. F. dachte an seinen Sauerbraten. Doch, doch, es war schon ein büschen feierlich. Auf dem Bunten Teller krümelten sich ein paar faltige Äpfel, aus F. F's. eigenem Garten selbstverständlich, kollerten einige Nüsse a la Ernte dreiundzwanzig, und lederte zum Schluss eine Tafel Schokolade ohne Verpackung. Schwarz wie eine Negerhaut und gallenbitter.

Nun waren die Kerzen fast runtergebrannt, genügt wohl für den Heiligen Abend. Einmal ist ja nur Weihnachten im Jahr. Wat'n Glück!

„Na, Jungens", so sagte der Alte, „morgen schall ober so richtig Wiehnachten sien, morgen Middag de Surbroten!"

Nahm Tina an die Hand, und Vater und Tochter verzogen sich in Kammer und Koje. Das arme Kind, es glaubte noch an den Weihnachtsmann.

Steuermann, made in Cranz (Unterelbe), und der Kochsmaat blinzelten sich zu.

„Lass uns man noch für eine Stunde an Land gehen, Koch. Das ist doch keine Weihnachten, wenn man keine Alte sieht, so einen Weihnachtsengel, verstehste?"

„Ja, ja, hast auch recht, Steuermann!"

So saßen sie wenige Zeit später in der Kneipe „Flandern Flaamsch", der Steuermann und der Smutje, wieder mal unter einem brennenden Baum. Saßen bei dampfenden Grogs und einsamen, müden Mädchen.

Soffen sich das Heimweh in die Knie und dachten an andere, schönere Weihnachten. Dachten und sprachen von Gänsebraten, gefüllt und zubereitet von Muttern, gebraten in der alten Backröhre.

Schauderten und schüttelten sich in Gedanken an den und über den Sauerbraten.

Und soffen! Das beste Mittel, um hohe und harte Hürden zu überspringen.

Sprachen auch von der armen, langarmigen Tina, die der brutale Vater an Bord geholt hatte, damit sie die Seefahrt kennenlernte. Nun, Tina ist doch kein Junge. Der Steuermann wusste zu berichten, dass Frau Theresa keine Eierstöcke mehr hat.

Schon Scheiße mit einem männlichen Erben.

Soffen, bis der erste Weihnachtsmorgen seinen ersten fahlen Schein in die verräucherte Kneipe warf. Traten in den frostigen Morgen hinaus, schön schwankend und stinkbesoffen und wünschten sich „fröhliche Weihnachten." Wedelten Arm in Arm, wie Eisschnellläufer am Schelde Kai entlang und ließen „Die Kinderlein kommen", „Vom Himmel hoch", und „Oh Du Fröhliche" in dieser „Heiligen Nacht."

Je näher der „Dampfer" kam, der kleine „Dampfer", je stiller wurden sie, redeten sich ein, dass sie das Kind, das schmalbrünstige, mit ihrem Gegröle nicht stören wollten. Dabei hatten sie eine Scheißensangst vor dem alten Faller.

Der Steuermann dachte an seine Koje, der Smutje an seinen Sauerbraten. Jeder hat so seine Gedanken.

An Bord schlief natürlich noch alles. Für den Kochsmaaten war ja nun Dienstbeginn.

Mühsam kletterten beide über die Gangway, leise, wie Apachen auf dem Kriegspfad. Smutje zog sich um und kam in blütenweißer Kluft in die Kombüse. Für den Gang in die Koje rüstete sich der Steuermann, freute sich, dass der Kochsmaat so auf Draht war. Schärfte ihm aber noch eingehend und beschwörend ein, was heute für ein bedeutender Tag sei, nämlich, außer Weihnachten, zur Hauptsache Sauerbratenessen, und dass er, der Koch, bis weit in die Steinzeit verschissen hätte, wenn er mit dem Sauerbraten irgendwie Mist machen würde.

„Keine Sorge, Stürmann!"

„Un mi weckste um halwtwolf, sabby?"

Sprachs, ging, hing seine Kammertür auf den Haken, damit für Frischluft ein Spalt frei blieb, kroch in die Koje, sank mit lieblichen Weihnachtserinnerungen in sein blau kariertes Bettzeug made in Cranz (Unterelbe.)

Der Kochsmaat hielt sich gut. Konnte mit viel Papier, einem Schuss Dieselöl, Geduld, besoffenem Kopp und zitterigen Händen ein lustiges Feuerchen „inne Gang" bringen. Bloß leise, Makker, damit der Alte nichts hört und das Kind schlafen kann.

Nun setzte er den Sauerbraten an, der sah ja ein bisschen komisch aus, der Vogel, so blau und blass, wie erfrorene Füße. Appetitlich weiß Gott nicht!

Soll aber nichts besagen.

Nun, er setzte ihn an. Die ersten lieblichen Gerüche zogen durchs Achterschiff und in die Nase des Kochs. Jetzt zeigte sich das erste Braun ‑ tralala ‑ tralala ‑ so, nun wenden ‑ ja, so ‑ so, schön! Weiter braun braten lassen, braun werden lassen ‑ wenden ‑ ja, so ‑ so schön. Weiter anbraten, noch mal wenden, einen Klacks Schmalz dazu, eine Zwiebel, einen Schuss Wasser und noch einen Schuss. Prima, prima. Noch mal rum mit dem Oschi, auf den Rücken schmeißen, jawoll. Nun genügend Wasser. Deckel auf den Topf ‑ und gar werden lassen ‑ den Sauer‑ und Weihnachtsbraten.

Gott sei Dank, und nun ein bisschen verpusten. Kartoffeln müssen ja auch noch geschält werden. Backobst aufgesetzt, aber das geht ja schnell und wird auch rasch gar. Zeit genug, nur keine jüdische Hast.

Weiter geht klar und kalt der Weihnachtsmorgen durch die alte Scheidestadt. Die Kathedrale ruft zur Frühmesse. Der Hafen ist still wie ein Maulwurfshügel, und auf der Schelde treibt Eis der Nordsee zu.

MIT EINEM RUCK richtet sich der Steuermann erschreckt in seiner Koje auf, hustet, prustet, wird krebsrot. Tränen kommen, und er wischt sich die Augen. Donnerwetter, ich bin doch nicht blind. Starrt zur Tür. Seine Kammer ist gefüllt mit weißem, beißendem Rauch.

Kombüse Grabesstille.

Durch den Spalt der Steuermannskammertür wälzen, wallen sich giftgelbe Schwaden herein, hässliche Rauchwürste, Dünste der Hölle, zum Greifen nah.

Mensch, was ist das? Feuer im Schiff? Schöne Scheiße.

Der Steuermann hüpft, hopst, wie ein Frosch aus seinem Scheißkorb.

Schießt zur Tür, reißt den Haken los, steht im Gang und im Normalhemd und sucht tastend die Kombüse. Auf der Bank der Kochsmaat, eben auszumachen und schläft friedlich wie das Kind in der Krippe. Es ist ja auch Weihnachten.

Steht der Steuermann erschüttert, mit hängenden Schultern und tieftraurigem Gesicht am glühenden Sarg des Sauerbratens. Sein tränendes Adlerauge gewahrt ein kleines, winzigkleines, schwarz verkohltes Häuflein Fleisch („Um ein Kleines und Ihr werdet es nicht sehen"). Die kläglichen Überreste des einst so hoffnungsvollen Sauerbratens. Unter diesem elenden Häuflein winden sich kackgelbe Rauchwürmer zischend hoch und kriechen säuisch stinkend in die Kombüse und in den Weihnachtsmorgen hinein.

Fröhliche Weihnachten nun und immerdar. Friede seiner Asche.

„Komm hoch, Mensch, Dein Sauerbraten ist im Arsch!" so schreit der Steuermann den Koch an. Tritt dann aber fix den Rückzug an, der Feigling, denn die Kammertür vom Alten knarrt und reißt den Rauch auseinander.

Wie ein zürnender Rachegott stand F. F. in der Kombüse, hinter ihm zitternd im Nachthemdchen, ein mageres Weinachtsengelchen, Tochter Tina.

Mit der einen Hand hielt der Alte seine Unterhose, die lange, weiße, über seinem Bauch zusammen, und die andere Hand glich mit ausgestecktem Zeigefinger, einmal auf den Koch weisend, dann auf den Herd zeigend, der Hand eines Schlachtenlenkers aus den Befreiungskriegen.

So ähnlich muss seinerzeit der Engel Gabriel, nur ohne Unterhosen, den Adam und die Eva zusammengefaltet haben, als sie vom Baum der Erkenntnis die Äpfel geklaut hatten.

Der Wald‑ und Wiesenkoch, eigentlich klingt das noch mild, glich mit abgeklappten Ohren einem Kurzhaardackel. Mona‑Lisa‑Augen und Knickebeine seine sonstigen Merkmale.

F. F. brüllte sich heiser.

Tina, dürftig und weiß und mager, in den Plüschpantoffeln ihres Vaters, weinte still und dünn in sich hinein. Gab als einzige weibliche Hinterbliebene des Sauerbratens ihre Kindertränen.

Grollend ging der Alte in seine Kammer, Tina schlurfte hinterher. Wie eine deutsche Eiche, die der Sturm gefällt, sank der Koch stöhnend auf seine Ruhebank zurück.

Ja, vor den Sauerbraten hatten die Götter den Grog gesetzt.

Och, Makkaroni mit Tomatensoße kann auch ein schmackhaftes Weihnachts‑ und Festgericht sein. Zu einem Strafgericht wurde es aber auch das saure, verbiesterte und wütende Gesicht des alten Faller.

DAS WAR EBEN alles damals, das war noch vor damals.

Heute ist der erste Februar und zehn Jahre später.

In Tinas Dachkammer rasselte der Wecker schon früh. Heute, wie fast an jedem Tag der vergangenen acht Wochen, musste Tina den Alten nach Bremerhaven in die Werft fahren. Heute kommen die ersten Leute der Besatzung. Was da wohl so alles angetanzt kommt. Tina war doch ein wenig neugierig.

„Wo bleibst Du denn, Tina? Wir müssen los! Los, los, een beeten dally!" brüllte der Alte schon wieder, dass Frau Theresa in die Knie ging.

„Ja, ja, ich komme ja schon, Vater!" rief Tina nach unten und zog ihre Wildlederjacke an. F. F. stand schon gestiefelt und gespornt und in Pantoffeln. Von Pantoffeln konnte er sich einfach nicht trennen, genauso wenig wie von Hosenträgern.

Hastig trank Tina eine Tasse Kaffee, im Stehen natürlich, denn der Alte war nervös, gramuselte herum.

Frau Theresa versuchte zu beruhigen: „Friedrich, du kommst schon noch hin, so eilig ist es doch nun wirklich nicht. Bist doch in der ganzen Werftzeit immer noch zurechtgekommen."

„Schnack nich, verstehste nix von. Hüt koomt de nejen Lüd und dor mut ick an Bord sin, so! To, to, Tina, drink dien Kaffee ut!"