Mein Freund Theodor W. Adorno

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Mein Freund Theodor W. Adorno
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Mein Freund Theodor W. Adorno – Gedanken Diskurs über ästhetische Rezeption

Jedes Menschenbild ist Ideologie, außer dem negativen

 Ohnmachtsgefühle und Aggressivität, Konformismus und Asozialität schwankende Verhaltensweisen.

 "Auschwitz beginnt überall dort, wo jemand einen Schlachthof ansieht und denkt: Sie sind nur Tiere."

 Engagement ist vielfach nichts als Mangel an Talent oder an Anspannung, Nachlassen der Kraft.

 Rat an Intellektuelle: lasse dich nicht vertreten.

Sesam öffne dich! Ich möchte hinaus.

„Das Hegelsche Motiv von der Kunst als Bewusstsein von Nöten hat über alles von ihm Absehbare hinaus sich bestätigt.“ (Adorno 1973:35)

Theodor W. Adornos Kunstkonzeption nimmt die zentrale Stellung in seinem gesamten Werk ein. Neben der Philosophie und Soziologie ist es vor allem die Literatur und Musik, mit der sich Adornos Denken ausgiebig befasst. In ihr sieht er den noch einzig möglichen Wegbereiter zu einer gerechteren Gesellschaft. Nur die Kunst sei in der Moderne noch in der Lage einen herrschaftsfreien Zustand tendenziell herzustellen, sich also gegen die subjektive Zweck-Mittel Rationalität des Nutzens und der Herrschaft zu stellen. „Das waren noch gute Zeiten, als eine Kritik der politischen Ökonomie dieser Gesellschaft geschrieben werden konnte, die sie bei ihrer eigenen Ratio nahm.“ (Adorno 1987:284)

Adorno richtet sich mit seinem Kunstkonzept gegen jegliche Praxis an sich, die, ebenso auf marxistischer Seite, nicht zum gelobten Telos, sondern zu Totalitarismus und Massenmord geführt habe. Jenseits jeglicher Ideologie versucht Adorno daher in der ästhetischen Rezeption einen möglichen Weg aus der von Herrschaft durchtränkten Gesellschaft zu finden.

Ähnlich wie Habermas, der aufbauend auf Adornos kritischer Philosophie einen Ausweg aus der Subjekt Objekt Trennung in der zwanglosen Kommunikation sieht (Habermas 1988:346), sind die avantgardistischen Kunstwerke Adorno zufolge die Kommunikationsinstanz die Subjekt und Objekt miteinander vermittelt, ohne dass das Objekt vom Subjekt unterdrückt wird. Naturbeherrschung ließe sich durch das Reflexivwerden der Vernunft überwinden.

Hier lässt sich Adorno als Erbe Hegels lesen, da dieser bereits in der modernen Dialektik einen Ausweg aus der Entzweiung zwischen Subjekt und Objekt, die die Moderne am stärksten durch Kant vertreten kennzeichnete, zu finden versucht (Habermas 1988:27). Allerdings steht Hegel durch das Konzept des begrifflichen Denkens in der Kritik Adornos, da dieses Denken identifizierend sei und so eben nicht aus den Aporien der Moderne, also der Verdinglichung der Objekte (Natur) geführt habe, sondern diese sogar radikalisierte (Wellmer 1990:137).

Adorno entwickelt eine eigene neomarxistische ästhetische Theorie, die sich vor allem gegen die traditionelle des deutschen Idealismus richtet. Er bezeichnet sie als „materialistisch-dialektische Ästhetik“, da sie nur im Verhältnis zu ihrem Anderen, der empirischen Realität, zu bestimmen und zumal als Prozess aufzufassen sei (Adorno 1973:12). Ebenfalls tendiere bürgerliche Kunst dazu den gesellschaftlichen Aspekt nach außen, also ins außergesellschaftliche, unkritische zu verlagern (Adorno 1973:334).

Vereinzelte Textstellen des „Endspiels“ von Samuel Beckett sollen in dieser Arbeit zu einem tieferen Verständnis Adornos Kunstauffassung führen. Da ihr Rahmen jedoch begrenzt ist, wird auf eine nähere Interpretation des Stückes verzichtet. Dies war Beckett, nebenbei bemerkt, selber zuwider. Eher dienen fragmentarische Textstellen dazu Adornos Thesen zu verdeutlichen.

3. Adornos Kritik der Kulturindustrie

Adornos dialektischem Denkmuster nach bestimmt die Kultur die Vermittlung zwischen Individuum und Gesellschaft, wobei vor allem die Bewusstseinsbildung der Subjekte von ihr beeinflusst oder sogar gesteuert wird (Adorno 1997b:163).

Das Charakteristikum des sich ausbildenden Spätkapitalismus der 40er Jahre sei es, alle Bereiche der Gesellschaft der Totalität des kapitalistischen Marktes zu unterwerfen (Adorno 1997b:157).

Zielte nach der ersten industriellen Revolution im 19.Jh. die Massenfertigung durch Maschinen noch auf Güter wie Eisenbahnen, Maschinen und Textilien ab (Fülberth 2005:149), war das spezifisch Neue der im Zuge der Fließbandproduktion des Fordismus durchgesetzten zweiten industriellen Revolution die maschinell erstellte Produktion von immateriellen Gütern der Kultur-, Nahrungsmittel- und Autoindustrie (Fülberth 2005:207f.). Die Einbeziehung immer neuer Bereiche der Produktion und Reproduktion in die kapitalistische Warenwirtschaft dient somit als Basis Adornos Analyse der Kunstwerke.

Der zentrale Begriff für die Analyse der Phänomene der Massenkultur, wie es anfangs noch hieß (Adorno 2003b:337), ist der der „Standardisierung“ (Adorno 2003a:142). Er bezeichnet die industrielle Massenproduktion von Kulturgütern, die, Adorno zufolge, nur noch als Tauschwert für den Markt existieren (Adorno 2003a:142). „Kultur heute schlägt alles mit Ähnlichkeit. Film, Radio, Magazine machen ein System aus.“ (Adorno 2003a:141) So ist „alle Massenkultur unterm Monopol […] identisch.“ (Adorno 2003a:141f.) Erst durch die fordistisch geprägte Warenproduktion seien den Gesellschaftsmitgliedern Kulturwaren als standardisierte Massengüter über den Markt zugänglich. Adorno versteht die bürgerliche Gesellschaft als von der monopolisierten „totalen Kapitalmacht“ (Adorno 2003a:141) gesteuert, wodurch alle Schichten und Milieus erfasst werden. Kritisches Bewusstsein werde durch die standardisierte Produktion der Konsumgüter ausgeschaltet. Adornos Auffassung zufolge richtet sich die Kulturwarenproduktion nicht nach Marktbedingungen, also etwa der Produktion der Waren nach der Konsumentennachfrage. Im Gegenteil, „Kulturindustrie ist willentliche Integration ihrer Abnehmer von oben.“ (Adorno 2003b:337) Das heißt, dass erst die Kulturindustrie die Bedürfnisse der Konsumenten forme. Es ist „der Zirkel von Manipulation und rückwirkendem Bedürfnis, in dem die Einheit des Systems immer dichter zusammenschießt“ (Adorno 2003a: 142), denn „die ganze Welt wird durch das Filter der Kulturindustrie geleitet“ (Adorno 2003a:147).

4. Kunst als Dissonanz

Im Gegensatz zu den standardisierten Produkten der Kulturindustrie oder den Theorien totalitärer Vernunft schreibt Adorno dem autonomen Kunstwerk die Fähigkeit zu, „richtiges Bewusstsein“ (Adorno 1973:134) beim Subjekt zu erzeugen. Die avantgardistische Kunst zeichne sich durch den Doppelcharakter von Autonomie und „fait social“ aus. (Adorno 1973:14)

Nach Adorno führe daher das bloße Konsumieren von hoher oder ernster Kunst nicht zur wirklichen Bildung, sondern erst das Bewusstsein der Möglichkeit wahrer Humanität und Emanzipation durch die „Einrichtung der menschlichen Dinge. Bildung, welche davon absieht, sich selbst setzt und verabsolutiert, ist schon Halbbildung geworden.“ (Adorno 1997a:95) In Bezug auf die Marxschen Analyse der kapitalistischen Warenform konkretisiert Adorno „Halbbildung (…) [als] der vom Fetischcharakter der Ware ergriffene Geist.“ (Adorno 1997a:108)

Adorno schreibt der Funktion des autonomen Kunstwerkes hingegen vor allem zwei Eigenschaften zu, die seiner Meinung nach zu einem Prozess der Aufklärung über die Aufklärung, also zum Reflexivwerden der Vernunft führen könnten(!). Die instrumentelle verdinglichende Vernunft könnte so überwunden werden.

Zum einen führt es um Ein gedenken der Natur im Subjekt (Adorno 1973:104), also zur Versöhnung des Subjekts mit dem Objekt durch die Darstellung des Nichtidentischen, das sich dem identifizierenden begrifflichen Denkens Entziehende (Adorno 1973:119). Dies ist vor allem in Adornos zweitem Hauptwerk, der „Negativen Dialektik“ Thema und wird hier nur am Rande besprochen, obwohl es die zentrale Stelle in der Philosophie Adornos einnimmt. „Ästhetische Identität soll dem Nichtidentischen beistehen, das der Identitätszwang in der Realität unterdrückt“ alles dem allgemeinen Begriff unterzuordnen (Adorno 1973:14). Kunstwerke stellen demnach das Allgemeine im Besonderen dar (Adorno 1973:130), während es bei Hegels Begriff um die Darstellung des Besonderen im Allgemeinen geht!

Theodor W. Adorno zum hundertsten Geburtstag von Rolf Vegas Haus.

Im Sommer 1950 fand auf der Mathildenhöhe in Darmstadt die Ausstellung Das Menschenbild in unserer Zeit statt. Die Eröffnung war begleitet vom ersten Darmstädter Gespräch. Zu den Referenten der sich über drei Tage erstreckenden Veranstaltung gehörte der österreichische Kunsthistoriker Hans Sedelmayer. Als einst aktiver Nationalsozialist war er um diese Zeit noch Zwang emeritiert. Gleichzeitig war er weithin bekannt durch seinen zwei Jahre zuvor erschienenes Buch Verlust der Mitte Der rasch zum Schlagwort gewordene Titel stand für die Diagnose einer zynischen Herabsetzung des Menschen, eines Verfalls in Gleichmacherei und Anarchie, für die der Autor die kulturelle Moderne verantwortlich machte.

Als beeindruckendsten Gegenspieler Sedelmayer und andere Redner, die der modernen Kunst eine Überforderung des Publikums durch grässliches und Chaotisches vorwarfen, erwies sich nicht einer der anderen Referenten, sondern ein beredter. Bei aller Leidenschaftlichkeit und Schärfe wohlüberlegt formulieren der Diskussionsteilnehmer Theodor W. Adorno.

Er war erst im Jahr zuvor aus dem US amerikanischen Exil nach Frankfurt am Main zurückgekehrt und wenige Wochen vor seinem Darmstädter Auftritt zum außerplanmäßigen Professor für Philosophie und Soziologie ernannt worden.

Er war Co-Autor der 1947 in Amsterdam erschienenen Dialektik der Aufklärung und Autor der 1949 erschienenen Philosophie der Neuen Musik. In dem 1949 erschienenen Buch über die Entstehung des Doktor Faustus hatte Thomas Mann die zentrale Rolle Adornos für die musikalischen Partien seines Romans über das Leben des deutschen Tonsetzer Adrian Leverkühn hervorgehoben.

 

Eines von ihm als Deutung des deutschen Schicksals gemeinten Romans über einen Komponisten, der in der Epoche der beiden Weltkriege der Gefahr künstlerischer Sterilität durch einen Pakt mit dem Teufel zu entgehen sucht.

Dennoch war Adorno damals höchstens Insidern und Experten ein Begriff. Der Auftritt des 46-Jährigen EU-Migranten während der Darmstädter Schloss Diskussion zeigte aber, dass er das Zeug zum herausragenden und eingreifenden Philosophen und Kulturkritiker hatte, das in der gegenwärtigen Kunst eine Krise der Rezeption herrscht in dem Sinne, dass die Breite des Publikums von der modernen Kunst abgespalten ist.

Das ist wahrscheinlich etwas, was kein vernünftiger Mensch bestreiten wird. Und es ist mir nur unverständlich, dass man unter anderen Tattoos daran verwendet, diese erstaunliche Tatsache aufs Neue unter Beweis zu stellen.

Ich glaube, ich glaube, das, worauf es hier wirklich ankäme, wäre doch diese Tatsache selber einmal zu begreifen, anstatt nur in einer nicht ganz fairen Weise aus dieser Tatsache selber ein Werturteil über die moderne Kunst abzuleiten.

Dass jener Mangel an gesellschaftlicher Folgsamkeit der modernen Kunst seltener Ausdruck eines gesellschaftlichen ist, wenn man schon die gesellschaftliche Forderung so ernst nimmt, wie man es nehmen muss, wenn das, was Herr Dr. Köhler gesagt hat, mehr sein soll als Demagogie, dann muss man genau darüber sich Rechenschaft ablegen.

Dass die moderne Kunst zu dem Bruch mit der Konsumption dadurch gestellt worden ist, gedanklich gedrängt worden ist, dass die Produktion in ihrer Breite, nämlich die Produktion, die über den Markt reproduziert wird, eben damit sie verkäuflich ist, die Mechanismen der Verdinglichung, die Mechanismen des Warencharakter, kurz alles, das verstärkt hat, was uns eigentlich das Leben unmöglich macht. Und die Sache ist in Wahrheit so, dass das Anliegen des Menschen, also das Anliegen des nicht von einem ihm fremd gegenüberstehenden ökonomischen Mechanismus, sondern das Anliegen der Lebendigkeit, heute nur von der Kunst vertreten wird, die sich weigert, nach den Konventionen, nach den wahren Klischees, nach dem Geist der illustrierten Zeitungen, des Radios und Fachmagazine sich in Folge dessen wahrscheinlich nur der Künstler die Sache der Gesellschaft vertritt, der sich nicht zu einem Mundstück derer macht, die patentieren, für die Gesellschaft reden zu dürfen, während sie in Wirklichkeit darauf ausgehen, die Gesellschaft zu beherrschen und an der Nase herumführt.

Das war Adorno in Hochform.

Ein mitreißender Verfechter der radikalen künstlerischen Moderne als Statthalter einer befreiten Gesellschaft. Adorno schätzte die Auseinandersetzung mit Kritikern moderner Kunst. das bot die Gelegenheit, anhand der Vorwürfe und Widerstände den spezifischen Charakter moderner Kunst zu klären und ihr Verhältnis zum Stand der gesellschaftlichen Entwicklung zu beleuchten.

Solche Kritiker und die Auseinandersetzung mit ihnen wirkten der Neutralisierung von Kunst entgegen, trugen dazu bei, dass sie nicht der Gleichgültigkeit und dem glatten Konsum verfiel. Schon die klassische und traditionelle Kunst hatte Adorno in der Dialektik der Aufklärung als eine Neutralisierung von Ekstase und Rausch charakterisiert.

In seiner Interpretation jener Szene, in der in der rumänischen Odyssee die Vorbeifahrt des Odysseus an den Sirenen geschildert wird, heißt es die Angst, das selbst zu verlieren und mit dem Selbst die Grenze zwischen sich und anderem Leben aufzuheben. Die Scheu vor Tod und Destruktion ist einem Glücksversprechen verschwistert, von dem in jedem Augenblick die Zivilisation bedroht war.

Ihr Weg war der von Gehorsam und Arbeit, über dem Erfüllung immerwährend bloß als Schein, als entmachtete Schönheit leuchtet. Der Gedanke, dass Odysseus gleich Feind dem eigenen Tod und eigenen Glück weiß, darum. Er kennt nur zwei Möglichkeiten des Eindringens. Die eine schreibt er den Gefährten vor, er verstopft ihnen die Ohren mit Wachs und sie müssen nach Leibeskräften rudern. Den Trieb, der zur Ablenkung drängt, müssen sie verbissen in zusätzliche Anstrengung sublimieren.

Die andere Möglichkeit wählt Odysseus selber. Der Grundherr, der die anderen für sich arbeiten lässt. Er hört aber ohnmächtig an den Mast gebunden. Und je größer die Lockung wird, umso stärker lässt er sich fesseln. So wie nachmals die Bürger auch sich selber das Glück umso hartnäckiger verweigerten, je näher es ihnen mit dem Anwachsen der eigenen Macht rückte. Die Bande, mit denen er sich unwiderruflich an die Praxis gefesselt hat, halten zugleich die Sirenen aus der Praxis fern.

Ihre Lockung wird zum bloßen Gegenstand der Kontemplation, neutralisiert zur Kunst. Der Gefesselte wohnt einem Konzertbühne, reglos lauschend wie später die Konzertbesuche und sein begeisterter Ruf nach Befreiung verhält. Schon als Applaus.

Applaus konnte also gerade kein Kriterium für die Wirkung von Musik, von Kunst überhaupt sein. Je rascher er einsetzt und je prasselnden er ist, desto näher liegt der Verdacht, dass dadurch das Gehörte gebannt und auf Distanz gehalten wird und nur die vertraut klingende Oberfläche goutiert wird. Wer der Neutralisierung der Kunst nicht in die Hände arbeiten wollte? Wem es um das Gespür für das Versprechen von Befreiung in der Kunst ging, der musste in Kauf nehmen, auf das Publikum befremdend zu wirken.

Ich befinde mich in der Diskussion, in einer etwas merkwürdigen Ich identifiziere mich, wie ich nicht zu sagen brauche mit der Sache der modernen Kunst, und zwar mit der modernen Kunst in ihrer extremen Gestalt. Ich habe allerdings das Gefühl, dass die moderne Kunst in dieser Diskussion ihrer eigenen Sache ein wenig schade, dass sie Apologetische verfehlt. Das heißt, dass sie von sich irgendwie doch sagt Es ist eigentlich alles gar nicht so schlimm, dass sie sich selber harmlos möchte. Und dem Gegenüber scheint mir die Sedelmayer. Sedelmayer selbst hat ja hervorgehoben, dass unsere Daten Anschauungen diametral entgegengesetzt sind. Aber dem Gegenüber scheint mir die Anschauung, dass man das Element der Negativität in der modernen Kunst sehr ernst und sehr schwer zu nehmen.

Das scheint mir dabei eigentlich etwas zu kurz zu kommen, und ich glaube, dass gerade wir, die wir für die Sache der modernen Kunst einstehen, uns im Grunde nicht dabei bescheiden sollten und hier die Verrennen differieren. Dass wir sagen Gebt uns nur genug Zeit. Und dann wird sich sozusagen zeigen, dass wir auch Raffaels und dass wir auch Beethovens und alters Limit.

Wir sind das nicht, wir können, müssen, und wir wollen es auch gar nicht sein.

Harmonie mit unserer eigenen Realität und mit dem, was uns erreichbar ist, unvereinbar.

Adorno beließ es aber nicht bei solchen allgemein gehaltenen Bemerkungen, wie sie einem Philosophen und Soziologen möglich waren. Er sprach auch als Künstler, nämlich als einer, der auf eigene Erfahrungen als Komponist und Pianist zurückgreifen konnte.

Seine Mutter war Sängerin. Seine mit im Elternhaus lebende Tante Pianistin gewesen.

Er hatte seit frühester Kindheit zuerst Geige und Bratsche, später Klavier gespielt. In den frühen zwanziger Jahren hatte er in Frankfurt Komposition Unterricht bei Bernhard Seglers erhalten, bei dem auch Paul Hindemith gelernt hatte. 1925 war er in Wien eine Zeitlang Schüler Alban Bergs und Eduard, Steuermann des maßgeblichen Pianisten der Schönberg Schule gewesen. Berg schätzte seine Kompositionen, ebenso sein Engagement als Musikkritiker für die Schönberg Schule, auch wenn er immer wieder mehr Verständlichkeit anmahnte. Er hatte aber schon früh die Befürchtung geäußert, dass bei Adorno über der Philosophie das Komponieren zu kurz kommen könnte.

Anfang 1926 hatte er demnach Frankfurt Zurückgekehrten geschrieben.

Es ist ja klar. Eines Tages werden sie sich, da sie doch einer sind, der nur aufs Ganze geht. Gott sei Dank für Kant oder Beethoven entscheiden müssen. Und nur in diesem Sinn könnte eine Bemerkung, die ich den Réthy gegenüber gemacht haben mag. Ich erinnere mich bei Gott nicht, dass ich mit ihm über sie gesprochen habe, zu verstehen sein. Ein Ausdruck der Befürchtung,

Sie möchten eines Tages trotz Ihres großen Talents, das Sie zu einem Komponisten ganz hohen Niveaus prädestinierte, endgültig sich zum philosophischen Schaffen hin gewandt haben? Einen Satz wie den, den Sie mir in Ihrem vorletzten Brief als von mir ausgesprochen zitieren, habe ich natürlich nie über die Lippen gebracht, dass ich an einem Komponisten je bemängeln könnte, dass ihm der Kopf einen Streich spielt. So lautete wohl die mir in den Mund gelegte Bemerkung werden Sie mir wohl selbst nicht zutrauen. Und das können Sie getrost dem Herrn Réthy und den anderen, die mit dem Gedärmen komponieren, überlassen.

Ich glaube, jeder Künstler, der im Ernstfall Mally Material gearbeitet hat, weiß, dass, wenn er ein Musiker ist und wenn er mit Dissonanzen operiert, dass dann diese Dissonanzen bei ihm nicht etwa einfach als schöne, glatte Wohlklang erscheinen. Sie erscheinen aber auch nicht etwa einfach als Abbilder dafür, dass unsere Welt so ist. Beide Dinge sind falsch, sondern es liegt hier ein sehr merkwürdiges Verhältnis vor, das man sehr subtil und sehr genau zu beschreiben hätte, nämlich ein Hingezogen sein, eine merkwürdige Attraktion, die gerade von diesen nicht harmonischen Dingen aufgeht. Gelockt werden davon, dass sich sowohl das Moment des Abenteuers, das Moment des Ungebundenen, des Unerwarteten hat wie zugleich auch das Moment eben darin, dass man sich dem überlässt, dem leichten Stand zu halten. Und ich glaube das nur, wenn man fähig wäre, wirklich in diesem Sinn und das Wort von Herrn Ebers aufzunehmen. Die Vielschichtigkeit der modernen Kunst zu erfassen und etwa zu sehen, was alles eigentlich in einer Dissonanz, in einem Musik Werk mitschwingt, was alles an zunächst miteinander unvereinbaren geschichtlichen Erfahrungen darin konzentriert ist, dass man nur, wenn man fähig wäre, alles das in seinem ganzen Reichtum zu fassen. Dass man dann die moderne Kunst, ja ich wollte Sachen retten würde, ohne in bloße Apologie zu verfallen und ohne sie damit zu verharmlosen, dass man sie mit der traditionellen auf einen gemeinsamen Nenner.

Adornos Diskussionsbeitrag über die Polyvalent der Dissonanz und die Vielschichtigkeit des modernen Kunstwerks konnte damals wie die vorweggenommene Erläuterung jenes Satzes von ihm wirken, der später am meisten Furore machte.

Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben ist barbarisch.

Die Fortsetzung des Satzes wurde und wird dabei meist unterschlagen.

Sie heißt und das frisst auch die Erkenntnis an, die ausspricht, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu schreiben.

Diese Fortsetzung relativiert allerdings nicht das Vorangegangene, sondern verstärkt es. Denn sie besagt Wer es bei der Feststellung beschließe, dass nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben barbarisch und unmöglich ist, wäre erst recht barbarisch, nämlich barbarisch im Sinne sich heraushalten der Distanz angesichts einer widersprüchlichen und unerträglichen, einer Aporie ethischen Situation.

Wer aber nach Auschwitz ein Gedicht schreibt, muss ein Gedicht schreiben, den man in irgendeiner sei es noch so verborgenen Schicht, anmerkt, dass es ein Gedicht nach Auschwitz ist. Er muss sich auf die Dialektik von Kultur und Barbarei einlassen. In diesem Sinne barbarisch sein. Der Ausdruck barbarisch ist vieldeutig wird von Adorno keineswegs nur negativ verwandt. Das Barbarossas der griechische Ausdruck für nicht Griechen für Ausländer war, bleibt immer gegenwärtig. In einem der vielen Beiträge, die Adorno im Laufe seines Lebens zu Gustav Mahler verfasste, in seiner 1960 gehaltenen Wiener Gedenkrede auf diesen von ihm besonders geschätzten Komponisten, wird die Vielschichtigkeit seiner Verwendung des Ausdrucks barbarisch besonders deutlich.

Sein Naturell war das eines Flow, eines Wilden, aber eines, der nicht die Auferstehung der Barbarei meint, wie sie vom Druck der Zivilisation ausgebrütet wird, sondern eine Menschheit oberhalb der gefügten Ordnung und ihrer Versagung, die sonst das Kunstwerk durch seine bloße Existenz nochmals wiederholt. Die Kunstwerke, die er produzierte, träumen von der Abschaffung der Kunst durch jenen erfüllten Zustand, den seine Symphonien unermüdlich abwandeln, beschwören.

 

Kunst hat, so suchte Adorno, die Vielschichtigkeit authentischer Werke zu verdeutlichen, eine Doppelfunktion zu sagen, wie es ist. Comments sei, hieß ein von ihm in diesem Zusammenhang gern zitierte Titel eines Becket Textes, und zu sagen, wie es sein könnte und sollte. Von Promis Bonheur sprach er mit einem Ausdruck Standards. Es ist die Verschränkung dieser beiden Aspekte, die einer Ästhetik des Standhaltens. Von einer Ästhetik des Schreckens unterscheidet. Sie stellt sich dem Problem Wie kann das moderne Kunstwerk zugleich unversöhnlicher und versöhnlicher als das traditionelle sein? Wie lässt sich die Kraft, den Schrecken der Gesellschaft ins Auge zu sehen, mit der Kraft verbinden, sich auf ungezähmte Klänge, auf das Unerforschte, das Andere, das nicht Identische einzulassen?

Keiner aus dem Kreis um Max Horkheimer, dem Leiter des 1933 in die Schweiz.

Im Jahr darauf in die USA emigrierten Frankfurter Instituts für Sozialforschung sehnte sich so nach Europa zurück, war so ergriffen bei der ersten Wiederbegegnung mit dem alten Kontinent, sprach auch in späteren Jahren so emphatisch über seine Eindrücke und Gefühle dabei wie Theodor W. Adorno.

Ich habe zunächst auch diese Tatsache der Heimkehr unendlich stark erfahren.

So stark, dass ich dabei Erschütterung gefühlt habe, wirklich bis zu dem physischen Modell. Denn dieses Wort hat also, wie ich mit einem alten Taxi zum ersten Mal über die Plaste la Concorde knattert bin, muss man wohl schon sagen. Denn er hat wirklich nicht nur das Taxi mit seiner schlechten Federung erschüttert, sondern ich habe darunter diesen Boden gefüllt. Aber das hat nun doch eine sehr spezifische Bedeutung, gerade wenn man aus Amerika kommt. Man hat nämlich das Gefühl, dass man in das Unerforschte, das noch nicht Geronnene, noch nicht Verdinglichung Leben zurückkommt. Es gibt hier den Satz aus dem Amerika Müden, der das Leben liebt.

Man hat das Gefühl oder wenigstens die Erwartung, wenn man mit Europa wieder in physischen Kontakt kommt, dass das Leben eben doch noch lebt, so Adorno im Januar 1958 in einer Sendung des Abends Studios des Hessischen Rundfunks, in der er und Erika Mann über ihre Erfahrungen bei der Rückkehr nach Europa berichteten. Solche hohen Erwartungen keineswegs selbstverständlich. Angesichts jener zwölf Jahre, in denen Deutschland nach einem Wort Alfred Kantorowicz die Verbrechen von 1000 Jahren angehäuft hatte, werden verständlich, wenn man sich vergegenwärtigt, was die zwanziger und frühen dreißiger Jahre für Adorno bedeutet hatten. Der 1903 geborene Sohn eines Frankfurter war ein Großhändler und war zum Zeitpunkt der nationalsozialistischen Machtübernahme Privatdozent für Philosophie an der Frankfurter Universität gewesen. Er hatte sich im zweiten Anlauf bei dem Philosophen und evangelischen Theologen Paul Tillich mit einer Arbeit über Kierkegaard habilitiert.

Die Buch Fassung der Habilitationsschrift Kierkegaard Konstruktion des ästhetischen widmete er Siegfried Kracauer meinem Freunde. Die akademische Antrittsvorlesung, die er 1931 über die Aktualität der Philosophie hielt, wollte er bei der Publikation Walter Benjamin widmen.

Dazu kam es nie Kracauer und Benjamin Frankfurter der eine, Berliner der andere das waren die beiden Mentoren und Freunde aus früher Zeit, denen Adorno ein methodologische Selbstverständnis und Denk Motive verdankte, von denen er ein Leben lang zehrte.

Dem 14 Jahre älteren Krakauer lernte Adorno bereits als Gymnasiast kennen.

Über viele Jahre hindurch las er mit mir regelmäßig Samstagnachmittag. Die Kritik der reinen Vernunft nicht. Im Leisesten übertreibe ich, wenn ich sage, dass ich dieser Lektüre mehr verdanke als meinen akademischen Lehrern. Pädagogisch ausnehmend begabt, hat er mir Kant zum Sprechen gebracht. Von Anbeginn erfuhr ich unter seiner Anleitung das Werk nicht als eine bloße Erkenntnistheorie, als Analyse der Bedingungen gültiger Erkenntnis, sondern als eine Art Chiffriert das Schiereck, aus der der geschichtliche Stand des Geistes herauszulesen war.

Er vergegenwärtigt mir die Vernunft Kritik nicht einfach als System des transzendentalen Idealismus. Vielmehr zeigte er mir, wie objektiv ontologische und subjektiv idealistische Momente darin streiken, wie die berühmtesten Stellen des Werkes die Wunden sind, welche der Konflikt hinterließ. Unter einem gewissen Aspekt sind die Brüche einer Philosophie wesentlich.

Denn die Kontinuität des Zusammenhangs, welche die meisten Philosophien von sich aus agieren, ohne dass ich mir davon hätte volle Rechenschaft geben können, erwarte ich durch Kracauer erstmals das Ausdrucks Moment der Philosophie sagen, was einem aufgeht. Dass diesem Moment konträre Stringenz des objektiven Zwanges im Gedanken trat dahinter zurück, wie ich erst im philosophischen Betrieb der Universität darauf stieß, so dünkte es mir lange genug akademisch, bis ich herausfand, dass unter den Spannungen, an denen die Philosophie ihren Lieben hat, die zwischen Ausdruck und Verbindlichkeit vielleicht die Zentrale ist.

Kracauer, seinerseits, ein hoch talentierter Schüler Georg Simmels, wurde 1921 Mitarbeiter des Feuilletons der Frankfurter Zeitung und führte Adorno praktisch vor, wie sich aus den unscheinbaren Oberflächen Äußerungen einer Epoche, deren Orte im Prozess schlagender bestimmen lässt. Als aus den Urteilen der Epoche über sich selbst. Vom Kunstwerk als geschichtsphilosophische Sonnenuhr oder unbewusster Geschichtsschreibung sprach Adorno später in Analogie dazu. Kracauers Diagnose lief darauf hinaus, dass in der kapitalistischen Epoche eine getrübte Vernunft, unfähig zur Selbstbesinnung, selbstherrlich und verblendet in einer nicht nur entzauberten und dämonisiert, sondern gleichzeitig sinnlos gewordenen Welt befangen und gefangen bleibt. Zum Vorbild für die Formulierung eines alternativen Rationalität des Begriffs wurde für Adorno die erkenntnistheoretische Vorrede aus dem Ursprung des deutschen Trauerspiels. Der acht Jahre ältere Walter Benjamin wollte sich mit dieser Arbeit habilitieren. Sie war aber von der Frankfurter Universität abgelehnt worden. In der Vorrede umriss Benjamin eine Form der Erfahrung, bei der nicht Einzelnes unter allgemein Begriffe subsumiert wird, sondern einzelne Elemente zu Konstellationen angeordnet werden, durch die sich eine Idee von ihrer Bedeutung ergibt.

In dem Essay Der Essay als Form und in der Negativen Dialektik legte Adorno später seine teils eingängige, teils akademische Formulierung einer Erkenntnis weise dar, die Ausdruck und Stringenz, Ungebundenheit und Verbindlichkeit zu kombinieren sucht. Vor 1933 bot Adorno so das Bild eines hochtalentierten jungen Mannes aus gutem Hause der Denkweisen, die auf der Höhe einer kulturell überaus produktiven Zeit waren, in den Bereich der Universität einführte und dem anders als dem aus bescheidenen Verhältnissen stammenden Kracauer und dem literarisch und gedanklich gänzlich unkonventionellen Benjamin eine Universität Karriere sicher zu sein schien. Doch die Abkunft von einem zum Protestantismus übergetreten jüdischen Vater reichte, damit ihm 1933 die Lehrerlaubnis entzogen wurde. Anfang 1935 wurde ihm als, wie es im Bescheid hieß, nicht Arier, der sich nicht aus der rassischen Gemeinschaft heraus seinem Volk verbunden und verpflichtet fühle und deshalb für die Verwaltung des deutschen Kulturgutes nicht geeignet sei, von der Reichsschrifttums Kammer die beantragte Aufnahme verweigert und die weitere Veröffentlichung schriftstellerischer Arbeiten verboten. Mitte der dreißiger Jahre unternahm Adorno dank der Zahlungen des Vaters finanziell gut gestellt und während der Termes in Oxford während der Ferien in Frankfurt lebend, den Versuch einer akademischen Karriere in England. Dies wenig aussichtsreiche Unternehmen konnte er aufgeben, als sich Ende 1937 für ihn die Chance ergab. Mitarbeiter teils eines Rundfunk Forschungsprojekts, Teils des emigrierten Instituts für Sozialforschung in den USA zu werden und frisch verheiratet mit seiner Berliner Freundin Gretel Karplus nach New York überzusiedeln.