Der Wanderer

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Der Wanderer
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Der Wanderer

Roman

H .G.GÖTZ

Inhaltsangabe

2016………………………………………………………………………………………………Seite 3

Im Nichts…………………………………………………………………………………Seite 13

Zweifelhafte Freiheit…………………………………………………Seite 26

Anfang ohne Ende………………………………………………………………Seite 41

Lange Nächte, Einsame Tage……………………………………Seite 68

Frau Dollein…………………………………………………………………………Seite 76

Schlaflos in Zwingendorf…………………………………………Seite 86

Feuchte Erde…………………………………………………………………………Seite 91

Magdas Gugelhupf………………………………………………………………Seite 99

Der Besuch bei Magda……………………………………………………Seite 107

Neuer Sinn in altem Leben………………………………………Seite 118

Einsamkeit………………………………………………………………………………Seite 131

Nachhilfe…………………………………………………………………………………Seite 141

Aller Anfang…………………………………………………………………………Seite 151

Das Geständnis……………………………………………………………………Seite 161

Mühe, Schmerz und Katzenliebe……………………………Seite 174

Freunde des Lebens…………………………………………………………Seite 188

Marties Besuch……………………………………………………………………Seite 204

Der Sprung ins kalte Wasser…………………………………Seite 215

Neues Leben, Alter Tod………………………………………………Seite 229

2016

Die Sonne schien ihm direkt in sein verschwollenes Gesicht.

Wieder hatte er „vergessen“, die Jalousien zu schließen. Dass es eigentlich daran lag, dass es seine, gut und gerne 1,8 Promille gewesen waren, die ihn daran gehindert hatten, verschwieg er geflissentlich.

„Blödheit rächt sich", fluchte er dennoch. Das Fluchen darüber, das schon wieder ein Morgen die Nacht vertrieben hatte, gehörte einfach dazu. Es war ihm so zur Gewohnheit geworden. So wie das allmorgendliche Urinieren.

Ächzend drehte er sich auf die andere Seite. In seinem Kopf begann es wie verrückt zu hämmern.

„Scheiße“, dachte er sich, wobei er sich an den Kopf fasste, der ihm jeden Moment zu explodieren drohte.

Er hatte keine Ahnung, wie spät es war.

In diesem Moment war es ihm auch egal.

Nachdem das Hämmern in seinem Kopf nachgelassen hatte, fragte er sich, was ihm wohl an diesem Tag den letzten Nerv rauben würde.

„Muss ich heute eigentlich arbeiten“, fragte er sich.

Ein Gedanke, den er augenblicklich wieder verscheuchte.

Langsam wandte er den Kopf, versuchte sich daran zu erinnern, wie er eigentlich ins Bett gekommen war.

„Verdammte Shots“, fluchte er.

Neben ihm regte sich etwas. Mühsam zog er das Kissen von seinem Kopf, dass seiner Meinung nach, viel zu schwer war, und zwang sich ein Auge aufzumachen.

Neben ihm lag jemand mit blonden Haaren.

„Ich hoffe, du bist eine Frau“, dachte er sich so leise es ging.

„Verdammt, was machst du denn noch hier“, dachte er sich.

Er hasste es, wenn er wach wurde und die Eroberung des letzten Abends, lag noch neben ihm.

Er schloss das Auge wieder, dass er so mühsam dazu gebracht hatte, sich zu öffnen.

Wissend, dass es nicht dabei helfen würde, dass dieser Mensch, wer immer es auch war, verschwunden sein würde, sollte es wider Erwarten gelingen, sein Auge noch einmal aufzubekommen.

Für Sekunden konnte er es unterdrücken. Dann, so

schnell er nur konnte, schlug er die Decke zur Seite, um seine Beine aus dem Bett zu schwingen. Kaum, dass er diese auf den Boden gesetzt hatte, spürte er, wie es seine Speiseröhre hochkam. Sich eine Hand vor den Mund haltend, stürzte er ins Bad, wo er seinen Mageninhalt in das Waschbecken leerte.

Nach mehreren Minuten, in denen er, alles ausgekotzt hatte, dass er in den letzten 24 Stunden zu sich genommen hatte, zog er sich einen Schemel heran und legte seinen Kopf, erschöpft auf den Rand des Waschbeckens.

Der ekelige Geruch, der vom Waschbecken aufstieg, veranlasste ihn dazu, blind nach dem Wasserhahn zu greifen. Er drehte daran und ließ kaltes Wasser in dasselbe fließen, wobei er eine Hand unter das fließende Wasser hielt, um den ehemaligen Inhalt seines Magens, in den Abfluss zu schwemmen.

„Michael, gehts dir gut“, hörte er eine Stimme vom Schlafzimmer herrufen.

„Doch eine Frau. Wenigstens was.“

Er war versucht zu antworten, spürte jedoch das Brennen in der Kehle. Er nahm einen Schluck vom kalten Wasser, gurgelte damit und spuckte es wieder aus.

„Ja, alles gut, schlaf nur weiter“, krächzte er zurück.

Im Moment konnte er alles nur keine Blondine ohne Namen gebrauchen, die ihm fürsorglich den Kopf halten wollte, während er sich die Seele aus dem Leib kotzte.

Er hob den Kopf, sah in den Spiegel, um ihn sogleich

wieder sinken zu lassen. Seine Augen waren blutunterlaufen, dicke schwarze Augenringe gaben Zeugnis davon, dass er es, wieder einmal übertrieben hatte.

Nachdem er sich der ersten Selbstvorwürfe entledigt hatte …, etwas das schnell geschafft war, wusch er sich das Gesicht mit kaltem Wasser, fuhr sich mit feuchten Händen durchs Haar und überlegt dabei, ob er wieder ins Bett gehen sollte.

„Bloß kein Gekuschel jetzt“, warnte er sich selbst.

Als er, er hatte versucht es nicht zu tun, sich im Spiegel betrachtete, sah er einen Michael den er mittlerweile nur zu gut kannte. Keine Spur mehr von dem Michael, der gerade einmal die 35 angekratzt hatte. Dafür war es noch zu früh.

Nun gut, die vollen gewellten blonden Haare, gut getrimmt waren noch immer da, ebenso das gutgeschnittene Gesicht, die fast schon griechische Nase und der volle Mund.

Momentan jedoch sah dies alles aus, als würde es einem 50-ig Jährigen gehören!

Schließlich kam er zu der Einsicht, dass es ohnehin nichts bringen würde und schlurfte in die Küche, um sich einen Kaffee zu machen.

Das Mahlwerk sprang an, verursachte einen Krach, der ihm fast die Schädeldecke wegsprengte.

„Scheiß Gerät“, schimpfte er seinen teuren Vollautomaten.

Es kam ihm endlos lange vor, bis das Gerät endlich eine Tasse voll hergegeben hatte.

Als er die Tasse mit seinem liebsten Getränk, nach Wodka, in der Hand hielt, ging er auf die Terrasse, um sich dort auf einen der Korbsessel zu setzen. Zum Glück befand sich auf diesem noch die Polsterauflage. Jetzt diese noch suchen zu müssen, hätte zu viel Energieaufwand bedeutet.

„Schon besser“, dachte er sich.

Den Kaffee in kleinen, vorsichtigen Schlucken schlürfend, lehnte er sich zurück, um den Morgen langsam auf sich einwirken zu lassen. Er versuchte, am Stand der Sonne auszumachen, wie spät es sein mochte. „Neun, vielleicht zehn“, meinte er abschätzend.

In diesem Moment läutete sein Handy.

„Scheiße“, fluchte er erneut.

Nach dem sechsten Mal Klingeln gab der Anrufer auf. Der nachfolgende Piepton machte ihm klar, dass derjenige, der es darauf angelegt hatte, ihn schon am frühen Morgen mit einem Anruf den Tag zu vermiesen, eine Nachricht hinterlassen hatte.

Der Kaffee half. Nachdem er die erste Tasse ausgetrunken hatte, wissend, dass ihm eine Tasse bei Weitem nicht reichen würde, um ihn halbwegs auf die Beine zu bringen, raffte er sich auf, um zurück in die Küche zu schlurfen.

„Machst du mir auch einen Michael“, kam die Frage aus dem Schlafzimmer.

„Klar doch“ rief er zurück zu der Stimme der Person, deren Namen er vergessen hatte. Er drückte die Taste, stellte eine Tasse unter den Ausgabehahn und ging mit seiner wieder auf die Terrasse.

„Room Service is´ hier nicht.“

Am Weg auf die Terrasse kam er an dem Tisch vorbei, an dem er am Abend zuvor, sein Handy hingelegt hatte. Hin und hergerissen, ob er einen Blick darauf machen sollte, nahm er es schließlich doch in die Hand.

„Stefan“, sagte er.

„Was willst du denn um diese Tageszeit?“

Erst da sah er auf dem Display, die Uhrzeit, die ihm auf schockierende Weise klarmachte, dass es nicht nur halb Elf, sondern auch noch Donnerstag war.

„Ach nicht doch“, entkam es ihm.

„Na was solls. Jetzt ist es ohnehin schon zu spät“, beruhigte er sich selbst, schlurfte davon, um sich wieder auf den Stuhl zu setzen.

Nachdem er die Hälfte der zweiten Tasse Kaffee getrunken hatte, konnte er seinen Gewissensbissen nicht länger standhalten.

Stefan, der ihm unter all den Arbeitskollegen, die er hatte, der liebste war, hatte es nicht verdient, ignoriert zu werden. Er nahm sein Telefon zur Hand und wählte die Nummer seines Freundes.

„Mann, Michael du hast vielleicht Nerven“, hörte er die vorwurfsvolle Stimme Stefans sagen.

„Der Big Boss ist so was von verdammt sauer auf dich.“

„Wo bist du denn? Hast du die Abschlussbesprechung heute Morgen vergessen“, wollte dieser von ihm wissen.

Nachdem er ein erneutes „Scheiße“, losgeworden war, meldete sich augenblicklich sein Magen wieder.

Ja, er hatte sie vergessen!

„Warte … “, sagte er zu seinem Freund. Er musste Zeit gewinnen, um nicht den Kaffee, den er gerade erst getrunken hatte, wieder herzugeben.

Der weg von der Terrasse zum Badezimmer war eindeutig zu weit. Tief Luft holend, darum bemüht das bisschen Mageninhalt dort zu belassen, wo es hingehörte, schaffte er es. Am anderen Ende der Leitung hörte er Stefan etwas sagen, verstand ihn aber nicht, weil er das Telefon von seinem Ohr weggehalten hatte.

„Was hast du gesagt“, fragte er, als er sich endlich wieder sicher sein konnte, dass er Stefan nichts vorkotzen würde.

„Ich habe gesagt, dass der Chef sauer auf dich ist, weil du heute wieder nicht aufgetaucht bist! Der will dich sofort sehen, wenn du bei der Tür hereinkommst.“ „Mann, du hast uns ganz schön hängenlassen.“

 

Der Gedanke, dass er diesen Termin in seinem Suff tatsächlich vergessen hatte, ließ ihn erneut würgen.

„Hast du was gesagt“, hörte er Stefan fragen.

Michael ließ das Telefon erneut sinken.

„Durchatmen“, mahnte er sich.

„Immer schön durchatmen!“

Es half nichts. Sein Magen, auf Aufregungen dieser Art noch nicht vorbereitet, ließ sich nicht weiter besänftigen. Er warf das Telefon auf den Tisch, stürzte ins Badezimmer und gab die eineinhalb Tassen schneller wieder von sich, wie er sie getrunken hatte.

Nachdem er sich vergewissert hatte, dass nichts mehr kommen würde, ging er zum Tisch zurück, nahm das Telefon auf und hörte, dass Stefan in der Zwischenzeit aufgelegt hatte.

So sehr sich alles in ihm sträubte. Er musste in die Gänge kommen. Auch wenn sich sein Kopf anfühlte, als würde jemand versuchen seine Schläfen mit Hammer und Meißel bearbeiten.

Als er aus der Dusche kam, um sich aus dem Kleiderschrank etwas zum Anziehen zu holen, sah er, dass Blondie sich verdünnisiert hatte.

Ohne die benutzte Tasse in die Spüle zu stellen.

„Du kommst mir nicht mehr ins Haus“, dachte er sich. Er hasste Unordentlichkeit.

Er musste Stefan anrufen!

Mit angezogener Jeans und freiem Oberkörper ging er erneut auf die Terrasse, wo noch immer die halbe Tasse Kaffee stand. Mittlerweile kalt.

„Kalter Kaffee macht schön“, dachte er und nahm einen Schluck davon.

„So, wie ich heute Morgen aussehe, brauch ich jede Menge davon.“

Stefan nahm nach dem ersten Läuten ab.

„Sag mal Alter“, hast du dir gestern Abend wieder derartig den Rest gegeben, dass du das heutige Meeting vergessen hast?“ Unglaube schwang in seiner Stimme mit.

„Schuldig.“ Michael wusste nicht, ob der seichte Scherz angekommen war, wartete mit gekrauster Miene, wie Stefan reagieren würde.

„Du sitzt tief in der Scheiße!“

Mehr kam nicht.

Nach einer Pause, die Michael zu lange vorkam, fragte er: „Wie schlimm ist es?“

Stefan ließ mit der Antwort auf sich warten. Die Pause zog sich, so schien es ihm, endlos hin.

„Na komm schon“, wandte Michael ein.

„Er wird mich schon nicht gleich rausschmeißen“, meinte er.

Noch immer keine Antwort.

„Ich glaube, du solltest auf alles vorbereitet sein.“ Diese Antwort hatte er nicht erwartet.

„Was soll denn das heißen?“

Die Atmosphäre, die sich rund um diese Frage gebildet hatte, schien sich mit einem Mal geändert zu haben. Er spürte, dass da mehr im Busch war, wie nur der übliche Anschiss.

„Hör mal“, begann Stefan.

„Du sollst morgen früh sofort zu ihm kommen."

Ja, die Tonlage hatte sich geändert.

„Da ist wirklich was im Busch."

„Aber, er hat mich doch noch nicht mal angerufen“, warf

Michael ein.

„Hast du sie noch alle“, wollte Stefan von ihm wissen. „Was erwartest du denn“, gab Stefan zurück.

„Das der Chef dich anruft, um dich zum wiederholten Male darauf aufmerksam zu machen, dass du einen Job hast?“

„Beim letzten Projekt hast du mehr wie einmal einen Termin verbockt, weil du dir die Nacht davor die Birne zugeknallt hast. Ganz zu schweigen von den Ausfällen zwischendurch.“

Stefans Litanei schien kein Ende zu nehmen.

„Schon gut, schon gut“, protestierte Michael. „Ich weiß, ich weiß.“

Die erneute Pause zog sich wieder in die Länge. Sie fühlte sich wie etwas Endgültiges an. Nach einer Weile meldete sich Stefan wieder zu Wort.

„Hör mal“, begann er.

„Komm morgen früh so frisch und nüchtern wie möglich in das Büro des Chefs. Er erwartet dich.“

Michael glaubte, einen Seufzer durch den Hörer wahrzunehmen.

„Also, ruh´ dich aus. Wir sehen uns dann morgen!“

Stefan hatte aufgelegt.

„Das sieht nicht gut aus. Das sieht gar nicht gut aus“, hallte es in seinem Kopf.

Noch war nichts gesagt, nichts entschieden, versuchte er sich zu beruhigen. Offiziell hatte er seinen Job noch. Offiziell. Zumindest bis morgen früh!

„Du wusstest doch, dass es irgendwann einmal so weit kommen würde“, sagte er sich. Nur um sich im nächsten Moment zu sagen: „Was redest du denn da.“

„Du tust ja gerade so, als hättest du den Job so gut wie verloren!“

Er war durcheinander. Wusste nicht, was er denken sollte.

Er sah vor sich hin, sah auf den Rasen seines gemieteten Hauses. Sah wie sich der Goldregen, den irgendwer einmal an den Rand des kleinen Gartens gesetzt hatte, sich leicht im Wind bewegte.

So eigenartig es ihm ihn diesem Augenblick auch vorkam. Nach einer, wie es ihm schien, endlos langen Zeit empfand er so etwas wie Frieden.

Frieden der ihm, dem kurzen Gespräch zufolge, dass er gerade mit Stefan geführt hatte und dass nichts Gutes erwarten ließ, seltsam vorkam.

„So musste sich ein Delinquent vorkommen, der, wenige Stunden bevor er hingerichtet werden sollte, sich mit der Tatsache abgefunden hatte, dass er an dem was ihm bevorstand, nicht mehr ändern konnte.

Der seinen Frieden mit sich selbst und der Welt geschlossen hatte.

Und so ließ er es zu. Ließ es zu, dass egal was ihn morgen auch erwarten würde, er darüber seinen Frieden nicht verlieren würde!

Im Nichts

„Tut mir leid, aber ich kann sie leider nicht mehr halten“, war der Satz der Michael für lange Zeit in Erinnerung bleiben würde.

Er war am nächsten Tag, pünktlich um neun Uhr im Büro des Regionalmanagers angetanzt, um sich für sein wiederholtes Fehlverhalten, so wie dieser es ausdrückte, zu entschuldigen. Denkend, dass er auch diesmal wieder davonkommen würde.

„Du hast dir in den letzten 5 Jahren den

Arsch für die Firma aufgerissen. Die werden dich, nur weil du mal bei einer Besprechung gefehlt hast, nicht gleich rausschmeißen.“

Der Versuch, sich die Situation schön zu reden, wirkte nur solange bis er in dessen Büro kam.

Ein Versuch, den er ohne die Unterstützung des Alkohols, nicht zuwege gebracht hatte.

„Ich brauche in dieser Position wirklich jemanden, der die Sache vorantreibt. Sie am Laufen hält.“

„Wenn ich mich auf diesen jemand, in dem Fall auf sie, nicht verlassen kann, weil er, verzeihen sie, ein Alkoholproblem hat, dann muss derjenige die Konsequenzen dafür tragen!“

Die Worte kamen klar, deutlich und durchdringend bei Michael an.

Fast wäre es den Sätzen gelungen, ihn nüchtern zu machen.

Bereits während der „Ansprache“ wusste er, dass er diesmal nicht mit einer Rüge davonkommen würde.

„Sie können mir nicht vorwerfen, dass ich nicht immer wieder ein Auge zugedrückt habe, wenn sie wieder einmal, nun, sagen wir mal, nicht ganz nüchtern dahergekommen sind. Oder, so wie gestern nicht zu einem Termin, einem wichtigen, wie sie wissen, erschienen sind. Sie haben sich in den letzten Monaten zu sehr gehen lassen“, fuhr er fort.

„Sich dann und wann einen hinter die Binde zu gießen, schön und gut, aber fast jeden Tag …!"

„Verdammt“, schoss es ihm durch den Kopf. „Der kleine Scheißer hat alles mitbekommen.“

Der Regionalmanager, mit dem Namen Weißbauer-Zipfler, dem er den einen oder anderen unschönen Reim beschert hatte, hatte sich in einen regelrechten Rügen-Rausch geredet.

„Wir alle wissen, dass der Stress in diesem Gewerbe überhandnehmen kann und das viele, dann und wann, ein Problem mit Alkohol bekommen.“

„Ich dachte allerdings, dass sie das eventuell unter Kontrolle halten könnten.“

Der Blick, mit dem er ihn musterte, empfand Michael

als abschätzend. So als wäre er enttäuscht von ihm. Dieser Weißbauer-Zipfler, ein Anfang Fünfziger, mit einem mehr als lächerlichen Namen, dünnem, schütterem Haar, dem er zu viel Haaröl zukommen ließ und einem schief, stehenden Zahn, der ihm, wenn er nicht darauf achtgab, aus dem Mundwinkel ragte.

„Seltsam“, dachte er sich. „Ich hab es gewusst. Hab es kommen sehen!“

War das der Grund warum er, seit dem gestrigen Anruf von Stefan diese Ruhe, diesen Frieden verspürt hatte? Weil er die Gewissheit hatte, dass er, einem Delinquenten gleich, der nicht mehr auf ein Pardon hoffen dufte, sich mit der Tatsache abgefunden hatte, dass das Urteil unumstößlich war?

Es machte ihm, zumindest nicht allzu viel aus, dass er gerade dabei war, gefeuert zu werden! Das Unangenehme bei der ganzen Sache war, dass er sich das Herumgezetere dieses Zipflers anhören musste. Den er, ohnehin noch nie leiden konnte.

Als es ihm schließlich reichte, beschloss er die einseitige Unterhaltung zu beenden. Bevor der Typ ihn mit noch mehr Gejammer in den Ohren liegen würde.

„Wissen sie was“, begann Michael.

„Sie haben vollkommen Recht. Machen sie mir einfach die Papiere, die Abrechnung, inklusive Urlaubs- und Weihnachtsgeld fertig und wir gehen getrennte Wege.“

Er war tatsächlich weder nüchtern noch betrunken genug, um sich dessen Litanei länger anhören zu können.

Damit stand er auf, knöpfte sich den mittleren Knopf

seines Sakkos zu und hielt Weißbauer-Zipfler, seine Hand zum Abschiedsgruß hin.

„Verstehen sie mich …“, setzte dieser nochmals an.

„Ich verstehe sie vollkommen“, entgegnete ihm Michael.

Michael, machte sich daran zu gehen.

„Ich darf mich für alles Bedanken und gleichzeitig verabschieden“, womit er ihm seine Hand geradezu zum Gruß aufzwängte, diesen seicht anlächelte.

Er wollte nur noch eines. Schnell aus diesem Büro raus, in dem ihm das Atmen zunehmend schwerfiel.

Verblüfft hielt ihm Weißbauer-Zipfler – diesen Namen würde er sein Leben lang nicht mehr aus dem Kopf bekommen – die Hand hin.

Michael schüttelte diese brav – nichts lag ihm ferner, als sich als leidenden Scheidenden zu zeigen – und verließ das Büro.

Auf dem Weg nach draußen sah er Stefan, der ihm einen fragenden und zugleich ernsten Blick zuwarf.

Das mitleidige Lächeln seines, nunmehr ehemaligen Arbeitskollegen, verdrängte er so gut es ging.

Was er jetzt auf keinen Fall brauchen konnte, war ein „Ei-Ei-armer Junge“.

Michael warf ihm ein “Ich-ruf-dich-an“ Zeichen zu während er sich auf den Lift zubewegte.

Draußen an der frischen Luft, nahm er die, ohnehin lose

gebundene Krawatte ab, steckte sie in die rechte Tasche

seines Sakkos und blieb einen Moment lang stehen.

„So, Alter, jetzt hast du es geschafft“, sagte er zu sich selbst.

Seltsamerweise erregte ihn die Tatsache, dass er gerade

seinen Job verloren hatte, nicht besonders.

Irgendwie verspürte er sogar Erleichterung. Es kam ihm vor, als wäre ihm eine Riesenlast von den Schultern genommen worden.

Kaffee, das war es jetzt was er brauchte.

Keine 50 Meter von ihm entfernt war die Cafeteria, die zu dem gleichen Bürotower gehörte wie die Firma, welcher er bis vor Kurzem noch angehört hatte. Das Risiko, von den anderen, ehemaligen Kollegen gesehen zu werden, wie er dort seinen Kaffee trank, er der soeben Geschasste, ließ ihn von der Idee abkommen.

Unschlüssig wohin er gehen sollte, stand er einen Moment lang da.

Es war ein fast wolkenloser Tag, es würde wieder sehr warm werden. Er sah sich um, hob den Kopf, so als müsste er Witterung aufnehmen, um zu erschnuppern, wo er seinen Kaffee bekommen könnte, und hatte mit einem Mal eine Eingebung.

„Auf zu Marties“, schoss es ihm plötzlich durch den Kopf.

Marties, der eigentlich Martin hieß, betrieb eine der Bars, in die er zwei bis dreimal die Woche ging, um sich dort seine Wodkas ohne Ende reinzuziehen und sich eine der Büro-Tussies, wie er alle nannte, die zwei Beine, Brüste und alle anderen weiblichen Attribute besaßen, auszusuchen.

Ein Vorhaben, dass, abhängig von seinem Alkoholpegel, meistens gelang.

Von Martie wusste er, dass er vormittags immer in seinem Laden war, um all das zu erledigen, wofür er nachts keine Zeit oder Lust hatte. Es wäre nicht das erste Mal, dass er tagsüber bei diesem reingeschneit käme, um sich seine Dosis Büffelgras Wodka zu gönnen.

„Also, dann trinken wir einen auf die neu gewonnene

Freiheit“, rief er aus. Das ihn dabei die beiden

vertrockneten Bürotanten abschätzend beobachteten, die gerade an ihm vorbeigingen, kümmerte ihn wenig.

Als er, nach dem dritten Mal an die Tür der Bar geklopft hatte, schloss Martie, die Tür auf.

 

„Morgen Michael“, sagte dieser. Anscheinend wirklich erfreut diesen zu sehen.

„Solltest du nicht im Büro sein, um einer Sekretärin die Bluse auszuziehen!“

„Das mit der Bluse der Sekretärin hat sich momentan“,

erwiderte dieser nur.

„Obwohl das …, unter normalen Umständen tatsächlich das wäre, das ich jetzt tun würde.“

„Wie das“, fragte er Michael, der, kaum dass er eingetreten war und die Tür hinter ihm schloss.

„Ich hab meinen Job geschmissen“, gab er zurück. „Scheiße, wieso das denn.“

Die beiden kannten sich, seit Martie die Bar vor drei Jahren übernommen hatte. Damals, eine Bar die der Vorbesitzer an die Wand gefahren hatte, hatte Martie mit unermüdlichem Einsatz und dank seiner guten Kontakte innerhalb der Gastronomie, schnell zu einem Geheimeitipp gemacht.

Die Bar zeigte sich von da an im coolen stylishen Lounge Stil. Klassische Ledermöbel standen in angenehmen Abstand zueinander, dazwischen kleine Tische in edlem Holz und Marmor gehalten. Die falschen Palmen hatte er gegen echte getauscht und das musikalische Hintergrundprogramm umgestellt. Das Personal, gut trainiert und alle, selbst die Männer gutaussehend und sexy, wussten was sie taten und behandelten die Gäste wie Freunde, die sie schon seit Langem kannten. Auch wenn sie diese erst zum ersten Mal zu Gesicht bekommen hatten.

Die Getränkeliste konnte mit den besten Bars der Stadt mithalten und wer es drauf anlegte, konnte hier auch seinen Bedarf an bestem weißen Pülverchen decken, dass einem selbst den beschissensten Tag, herrlich erscheinen ließ.

Michael, so er auch wusste das Martie nicht zu den

Plaudertaschen gehörte, wollte ihm nicht unbedingt beichten, dass er rausgeschmissen wurde, weil er in den letzten Monaten zu sehr Gas gegeben hatte, und so sagte er: „Ich hab´ einfach die Schnauze voll gehabt von diesem andauernden Stress!“

Für einen Tag lang, war es genug der Litaneien.

„Und ich hab´ immer geglaubt, dass du eines Tages die

Kündigung kriegst!“

Michael hielt kurz inne, versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass er den Nagel auf den Kopf getroffen hatte.

„Und was machst du jetzt“, wollte Martie von ihm wissen.

„Jetzt bekomme ich zuerst mal deinen besten kalten Wodka und ein paar gesalzene Erdnüsse! Und währenddessen ich den flüssigen Teil davon vernichte, überlege ich mir, was ich mit der neu gewonnenen Freiheit anfange.“

„Dein Wunsch ist mir Befehl“, gab Martie zurück, bewegte sich hinter die Bar und holt eine nagelneue, eiskalte Flasche Büffelgras-Wodka aus dem Eisfach, griff nach einem Glas das er vor Michael hinstellte und sagte: „Wohl bekomm’s!“

„Hör mal. Ich würde ja gerne mit dir auf die neu gewonnen Freiheit anstoßen …“; begann er.

„Aber Monatsbeginn steht an und ich muss noch einen ganzen Arsch voll Buchhaltung abarbeiten! Hast du was dagegen, wenn wir das ein andermal nachholen?“

„Klar doch“, sagte dieser nur.

„Ich hab´ ja alles, was ich brauche. Wenn ich Nachschub brauche, weiß ich, wo ich dich finde“, fuhr er fort.

„Ich setz mich dort auf die Couch“, sagte er nur.

„Mach es dir bequem“, erwiderte Martie.

„Willst du was Chilliges hören“, fragte Martie.

„Ja, das wäre nett. Aber schön leise bitte!“

„Dein Wunsch ist mir Befehl“, antwortete Martie, drückte daraufhin auf einen Knopf der B&O Anlage, woraufhin sanfte, melodische Chillout Musik ertönte.

„Bis dann“, hörte er Martie noch sagen und war auch schon wieder in Richtung seines Büros verschwunden.

„So lässt es sich leben“, dachte er sich als er auf der breiten, gemütlichen Ledercouch Platz nahm.

Erst jetzt fiel ihm ein, dass ihm ursprünglich mehr nach einem Kaffee zumute war. Martie jetzt aber schon wieder von seiner Arbeit abzuhalten, widerstrebte ihm.

„Was solls“, sagte er zu sich selbst.

„Der frühe Vogel, ertränkt sich früh“, wobei er sich das erste Glas des Tages einschenkte.

Es schüttelte ihn, als er den Wodka getrunken hatte.

Er sah auf das leere Glas in seiner Hand und würde mit einem Mal nachdenklich.

„Bist du jetzt schon so weit, dass du schon am hellen Vormittag mit Wodka anfängst?“

Normalerweise begann er den Tag mit etwas Sanfterem. Ein trockener Martini oder dergleichen, reichte gerade um ihn in die Gänge zu bringen und die Hände ruhig genug zu halten.

Er wusste, dass er damit zu weit ging. Es schon lange tat. Tief in seinem Innersten, so tief er dabei auch nicht graben musste, wusste er, dass er auf einem Weg war, auf dem er nichts Gutes finden würde.

In diesen Augenblicken der Einsicht, die immer dann kam, wenn seine Stimmung gedrückter war, wie sie hätte sein sollen, hatte es für ihn den Anschein, als würde er an einem Scheideweg stehen. An einer Weggabelung, an der er genau wusste, welchen Weg er zu gehen hatte.

Nur um am Ende wieder die falsche Richtung einzuschlagen.

„Was mach´ ich hier nur“, fragt er sich. Er sah sich um, sah die Bar, die jetzt so verlassen, so einsam wirkte. Sah den Raum, der abends voller, gut gelaunter attraktiver Menschen war. Menschen die alle auf der Suche nach …, etwas waren. Wovon, so glaubte er zu wissen, die meisten keine Ahnung hatten, was dieses Etwas eigentlich war.

Es war gegen Mittag, als Martie ihn weckte. Zuerst ungehalten, weil ihn jemand bei seinem Nickerchen störte, beruhigte er sich augenblicklich wieder, als er durch halb geöffnete Lider sah, dass er nicht Zuhause war.

Früh hatte er herausgefunden, dass es von Vorteil sein konnte, dass man sich ungehalten sein nur dann erlauben konnte, wenn man sich in den eigenen vier Wänden befand.

„Mann, wir kennen uns ja schon eine ganz Weile, aber dass du die ganze Flasche Wodka in so einer kurzen Zeit wegkippst, hätte ich auch von dir nicht erwartet.“

Martie hatte sich auf die Lehne des Couchsessels gesetzt, eine Tasse Kaffee in der Hand und sah auf ihn hinunter.

„Wie spät ist es denn“, fragte Michael ihn.

„Na ich schätze so um Mittag herum. Hab meine Uhr im Büro“, erwiderte Martie kurz.

„Verdammt“, stöhnte Michael.

„Ich hätte mir vielleicht doch nicht die ganze Flasche reinziehen sollen.“

„Zu spät Alter!“

Er lehnte sich wieder zurück, legte seine Hände über sein Gesicht, weil der einzige Sonnenstrahl, der durch das Fenster drang, ausgerechnet den Weg zu seinem Gesicht gefunden hatte.

„Hör mal“, fing Martie an.

„Ich will hier ja nicht wie deine Tante Emma rüberkommen. Abgesehen davon das ich nicht einmal weiß, ob du eine solche Tante hast. Aber denkst du nicht das du vielleicht ein wenig langsamer mit dem Alkohol machen solltest?“

Michael ließ sich mit der Antwort Zeit.

Welche Antwort sollte er auch auf eine Frage geben, von der er wusste, dass sie ihn so oder so, schlecht aussehen ließ?

„Du willst doch nicht deinen besten Kunden verlieren, oder“, versuchte Michael einen Scherz.

Eigentlich ging ihm die Bemerkung Marties auf den Geist, beherrschte sich aber.

Außerdem war ihm nicht danach, an ein und demselben Tag Job und Freund zu verlieren.

„Kannst du mir bitte ein Taxi rufen“, bat er Martie.

„Klar“, sagte dieser.

„Hier, ich habe dir einen doppelten Mokka gemacht“, wobei er ihm eine Tasse hinhielt.

„Danke“, bekam er gerade noch heraus, bevor sein Magen heftig zu rebellieren begann. Martie schien es mitbekommen zu haben und warnte ihn.

„Wenn du mir jetzt hier auf den Boden kotzt, wischt du die Scheiße weg.“

Eine Warnung und Aussicht, die Michael davon Abstand nehmen ließ, sein Mageninneres von sich zu geben.

„Du solltest zwischendurch auch mal was essen“, hörte er Martie sagen, der schon auf dem Weg ins Büro war, um ihm einen Wagen zu rufen.

„Echt Mann, du hast gut und gerne 10 Kilo abgenommen.“

Michael gab ein „Ja, Tante Emma zurück“; dass ihm einen Stinkefinger von Martie einbrachte.

Nach einer knappen Minute kam Martie wieder aus dem Büro zurück.

Michael hatte sich in der Zwischenzeit aufgesetzt, versuchte, sich an die aufrecht sitzende Position zu gewöhnen.

„Der Wagen ist in ungefähr 5 Minute da, haben sie gesagt“, sagte Martie zu ihm.

„Danke“, erwiderte Michael, wobei er dankend seine Hand hob.

„Geh am besten nach Hause und schlaf dich mal so richtig aus. Du siehst aus, als hättest du seit einer Woche nicht mehr richtig geschlafen“, ermahnte er ihn.

Nach wenigen Minuten klopfte es an der Tür der Bar.

„Das wird dein Taxi sein“, sagte Martie.

„Warte mal, ich muss dir noch den Wodka zahlen“, fiel Michael ein, der begann in seinen Taschen nach Geld zu suchen.

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