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Loe raamatut: «Die hölzerne Clara», lehekülg 3

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III

Kaum hatte die Sonne einen geringen Theil ihrer Himmelsbahn durchlaufen, als die Gräfin d’Almata in Begleitung ihrer Duena schon ihre Wohnung verließ um zum zweiten Male das Mägdehaus zu besuchen. In ihren Augen glänzte die reinste Freude; seit sie selbst aus ihrer langjährigen, gefühllosen Trauer erwacht war, erschien ihr Alles in der Welt wieder schön und freundlich. Ihr Gemahl erblickte in ihrer Heiterkeit eine Quelle des Trostes, des Genusses; er war so gütig und zärtlich gegen sie, bewies ihr ein wirklich grenzenloses Vertrauen und sie war überzeugt, daß ferner kein Argwohn mehr in seinem Herzen wohnte! Sie konnte also die Kleine besuchen ohne fürchten zu müssen, daß das Auge eines Spähers sie verfolge.

Die Duena klopfte.

Ohne Zweifel hatte die Mutter der Schließerin besondere Befehle gegeben, denn als diese sah wer draußen wartete, riß sie die Thür weit auf, und sprach erfreut mit heiterer Gefälligkeit:

– Willkommen, willkommen, Gräfin d’Almata! Eure unterthänige Dienerin. – Geruht näher zu treten, Gräfin; ich werde unsere Frau Mutter augenblicklich rufen.

Die frische Maid schloß die Thür wieder zu und eilte dann schnell wie ein Reh nach dem Hintergebäude. Einige Augenblicke später erschien die Mutter mit der hölzernen Clara.

Als das Kind in das Sprachzimmer trat und die Gräfin bemerkte, eilte es auf sie zu und küßte ihr die Hand.

Ein Zittern durchlief die Adern der Gräfin, doch sie bezwang sich und mit Wollust blickte sie sprachlos in des Kindes blaue Augen. Sie auch hatte Claras Händchen gefaßt und streichelte ihr mit der andern Hand vertraulich Stirn und Schulter. Der unbestimmte und seltsame Blick der Gräfin erzeugte in dem Kinde ein unbegreifliches Gefühl; das Lächeln verschwand von seinen Lippen und fragend, als wenn es eine Erklärung erwartet hätte, blickte es der Senora in die Augen. Es schien zu sagen:

– Ich bin von Jedermann geliebt und bevorzugt, aber Ihr liebt mich anders. Wie kommt das? Und warum wünsche ich so sehnlich stets bei Euch zu sein?

Die Gräfin schien die stumme Frage der Waise zu verstehen:

– Du armes Kind! seufzte sie traurig.

Die Mutter hatte alle Gemüthsbewegungen, die sich auf dem Angesicht der Edelfrau abspiegelten, aufmerksam verfolgt und sie erkannte leicht etwas Gezwungenes, was in ihrem Zustande herrschte, während weder sie noch Clara Etwas zu sagen wußten.

– Gräfin, wandte sie sich daher an die Senora, laßt uns in das Zimmer gehen, wo die Clavecimbel steht. Ihr sollt hören wie Clara spielen kann. Ach es ist eine köstliche Perle von einem Kinde; Schwester Cathelyne im Falconskloster hat sie in der Musik unterrichtet und sie spielt so schön, daß man Tage lang ohne zu essen oder zu trinken dasitzen und ihr zuhören könnte.

Zwischen der Gräfin und Clara mußte bereits ein Band der Liebe und des Vertrauens entstanden sein, und ohne Zweifel trieb ein geheimes Gefühl das Kind an in dieser reichen und mächtigen Frau mehr als eine bloße Beschützerin zu erblicken, denn als die Mutter sprach: »laßt uns in das andere Zimmer gehen, hatte die Kleine die Senora bereits bei der Hand ergriffen, als wenn sie ihre Mutter gewesen. Diese Bewegung, wie einfach auch, ließ die Augen der Gräfin in Freude und Stolz erglänzen und sie führte Clara an der Hand, wie sie es mit ihrem eigenen Kinde gethan haben würde.

In dem Zimmer, wo die Clavecimbel stand, bot man der Gräfin einen Sessel an; die Duena setzte sich neben der Mutter auf einen Stuhl und Clara stellte sich vor das Instrument.

–Nun, sprach die Mutter, sing das Lied: »Mit Freude wollen wir singen,« das hat ein so schönes Vorspiel.

Clara begann. Sie mußte für die Musik ungemein empfänglich sein; schon beim Anfang des Spieles schien sie von Begeisterung ergriffen zu sein. Während ihre Fingerchen auf den Tasten dahin liefen, lachte ihr Mündchen den süßen Tönen entgegen oder eine leichte Falte auf ihrer Stirn zeigte an, daß sie eine tiefere Saite berührt hatte.

Voll Bewunderung dieses zugleich prächtigen und bezaubernden Spieles, von einem Regen harmonischer Töne überladen, blickten die drei Frauen unverwandt auf die begeisterte Maid, die plötzlich den schlanken Hals emporrichtete, das blaue Auge zum Himmel wandte und unter Begleitung der Clavecimbel folgendes Lied sang:

 
Met vruechden willen wi singen
Ende loven die Triniteit,
Dat si ons wil bringhen
Ter eeuwigher salicheit,
Die eeuwelijc sal dueren,
Eeuwelijk sonder verghanck,
Och mocht ons dat ghebueren;
Och, eeuwelijk is so lanck!
 
 
Die bliscap is sonder eynde
Daer boven in Hemelrijck,
Die wi daer sullen vinden
En heeft egheen gelijck.
Daer is dat godlijk wesen, -
Het scenct ons goeden dranck,
Also wi horen lesen,
Och eeuwelijc is so lanck!
 
 
Die heylighen alle gader
Sy maken grote feest,
Sy loven God den Vader,
Den Soon, den heylighen Gheest.
Die goeden sullen scheyden
End singhen der engelen sanck
Tot eeuwelicken tijde
Och eeuwelijc is so lanck!
 
 
Maria, moeder ons Heeren,
Sij is van ons verblijt,
Wanneer wi ons bekeeren
In deser allendigher tijt.
Maria, maghet reyne
ô, Edel Wijngaertranck,
Bidt voer ons int ghemeyne.
Och, eeuwelijc is so lanck!4
 

So lange die Stimme der singenden Maid in perlengleichen Tönen das Ohr der Frauen erfüllte, so lange hatte weder die Mutter noch die Duena einen Blick von dem Kinde abgewandt. Als aber Clara ihren Gesang beendet hatte, da blickten Beide nach der Gräfin hin als wenn sie sagen wollten:

– Ist dies nicht himmlisch schön, nicht wahr? Die Gräfin indessen saß da mit gesenktem Haupte und ein Strom stiller Thränen rollte in ihren Schoos!

Clara, die dies nun auch bemerkte, stieß einen lauten Schrei aus und eilte auf die Senora zu. Sie betrachtete sie mit seltsamem Blick, fing dann gleichfalls an zu weinen, legte ihr Köpfchen auf das Knie der Gräfin als glaubte sie dadurch ihr Herz von dem trüben Mitgefühl zu entlasten.

Die Senora hob alsbald das Kind in die Höhe, schloß es in ihre Arme und benetzte eine Stirn mit ihren Thränen. Keine Klage, kein Seufzer entschlüpfte weder dem Kinde noch der Frau.

Diese Scene war so feierlich und so rührend, daß die Duena ihre Gebieterin ehrfurchtsvoll betrachtete und nicht zu sprechen wagte; was die Mutter betrifft, so war sie nun überzeugt, daß sie sich in ihrer ersten Vermuthung nicht getäuscht hatte. Sie fühlte was im Herzen der Senora jetzt vorging und mühsam bekämpfte sie das Mitleid, was sich bei ihr in Thränen Luft zu machen suchte; allein Pflichtgefühl und ein gewisser Edelmuth halfen ihr ihr Erstaunen zu bezwingen und gaben ihr selbst Kraft zu heucheln als wenn sie die Ursache dessen nicht zu errathen vermöchte, was hier geschah.

Nach einigen Augenblicken erwachte die Gräfin aus ihrer Selbstvergessenheit. Die Stille, die sie umgab, überraschte sie, sie hob das Haupt empor und sah die Augen der Mutter prüfend auf sich gerichtet. Sie begriff wie sehr sie sich blosgestellt hatte und suchte, wenn auch nur scheinbar, sich zu beruhigen. Sie trocknete zu wiederholten Malen die Thränen aus ihren Augen und liebkoste das Kind um ihre fortdauernde Rührung zu verbergen. Als sie endlich wieder zu sich selbst gekommen war, küßte die Clara und sprach mit scheinbarer Kaltblütigkeit:

– Deine Stimme, liebes Kind, hat mich ganz verwirrt . . . Du bezaubert förmlich durch Deinen schönen Gesang.

Das Kind jedoch fuhr fort zu weinen und antwortete schluchzend:

– Ja, es ist gut, nun singe ich auch nicht wieder . . . im ganzen Leben nicht mehr.

– Warum denn, Kind?

– Ja, weil es Euch weinen macht . . . Und gewiß singe ich nicht mehr, weder vor Euch, noch vor Anderen . . . denn ich bin mit mir selbst böse, daß ich Euch betrübt habe. Ich bin sehr unglücklich, daß ich singen kann.

Die Worte des Kindes waren gewiß nicht geeignet die Senora zu beruhigen. Sie unterdrückte die hervorbrechenden Thränen, denn noch war der aufmerksame Blick der Mutter auf sie gerichtet. Die Gräfin nahm das Kind liebevoll auf ihren Schoos und sprach schmeichelnd:

– Liebe Clara, es ist nicht darum, mein Kind; es sind Freudenthränen, die ich vergieße. Hast Du denn nicht geweint, mein Kind, als Du zum ersten Male ein schönes Lied hörtest?

– Wenn Schwester Cathelyne und Meister Huygens unter Begleitung der Clavecimbel zusammen singen, antwortete das Kind ganz betrübt, dann weine ich immer, Edelfrau; aber es ist doch so nicht.

– Ja wohl, mein Kind, es ist das Gefühl der Seele was in der Harmonie der Musik verschwimmt.

– Ja, die Seele verschwimmt; das Herz bebt . . . aber ich will doch nicht mehr singen . . . daß ich Euch betrübte das macht mich sicher krank und thut mir so weh, so weh!

– Armes Kind! weißt Du was Du thun mußt um mich zu trösten? Du mußt fröhlich sein und das Weinen lassen. Ein Lächeln Deiner Lippen wird mich schnell wieder fröhlich machen.

Clara hob das Köpfchen empor und zeigte der Senora ein noch ganz von Thränen benetztes Gesicht, auf welchem jedoch auch gleichzeitig ein süßes und bezauberndes Lächeln ergänzte. Dieser Beweis der Liebe und einer himmlischen Herzensgüte des Kindes rührte die Gräfin so sehr, daß sie einen Augenblick ihr Gesicht mit beiden Händen bedeckte und dann das Kind wiederum mit Uebertreibung küßte.

Die Mutter fühlte, daß ihre Gegenwart der Gräfin peinlich sein müsse. Sie war edel genug ihre Neugierde zu bemeistern und darum verließ sie mit folgenden Worten das Zimmer:

– Edelfrau, ich muß nach meinen Mädchen sehen, denn es ist keine kleine Sache so viele Waisen in Ordnung zu halten. Bleibt indessen, wenn es Euch gefällt, ruhig hier mit Clara: Niemand wird Euch stören. Ich werde schnell wiederkommen . . .

– Senora, sprach die Duena, als die Mutter das Zimmer verlassen, auf Spanisch zur Gräfin, sollte diese Frau Nichts vermuthen? Ich glaube im Gegentheil, daß die Alles errathen hat.

– Es ist wohl möglich, Ines, antwortete die Edelfrau ohne Schrecken; indessen fürchte ich Nichts. Sie liebt das Kind vielleicht so sehr als ich; sollte sie ihm also etwas thun können was ihm Schaden brächte?

– Die Zunge einer Frau, Senora, wird zuweilen wider Willen zum Verräther.

– Ach Gott! Ines, betrübe mich nicht; laß mich die Seligkeit genießen.

– Ich schweige, Senora; genießt immerhin Euer Glück: es ist bezahlt . . .

*                   *
*

Als die Mutter eine halbe Stunde später zurückkehrte, sprang Clara von dem Schoose der Gräfin, und eilte ihr entgegen um ihr ein Buch zu zeigen.

– Ach, Frau Mutter, jauchzte das Kind fröhlich, seht nur dieses schöne Gebetbuch mit goldnem Schloß und den vielen Bilderchen! Meister Jan van den Rozier, der Euch conterfeite, hat Blumen von Silber und Lafur hinein gezeichnet. Ach Gott, wie bin ich froh! Und morgen bekomme ich ein Liederbuch! Und ich habe auch noch Perlenschnuren in meiner Tasche . . . ach seht nur . . . sie sind selbst zu schön für ein Königskind!

Die Gräfin war von ihrem Sessel aufgestanden und schickte sich an das Mägdehaus zu verlassen. Sie ergriff die Hand der Mutter und drückte sie freundlich:

– Ich bin Euch sehr verpflichtet. Wenn ich Etwas thun kann um Euch meine Dankbarkeit zu beweisen, so wendet Euch an mich, meine Wohnung ist Euch zu jeder Stunde geöffnet. Laßt mich Euch nützlich werden – und ich werde Euch dafür noch dankbar sein.

– Ihr seid zu gütig, Gräfin. Eure geehrte Freundschaft ist für mich eine schöne Belohnung. Verfügt über mich, betretet unser Haus wenn es Euch gefällt: Alles soll Euch zu Diensten stehen.

– Auf morgen also, gute Mutter. Wenn ich Euch einst gern sprechen möchte, würdet Ihr dann wohl die Güte haben einmal zu mir zu kommen?

– Gewiß, edle Frau; zu viel Ehre.

Clara stand da ganz betrübt und schien große Lust zum Weinen zu haben.

– Auf morgen also, kleine Nachtigall! sprach die Senora.

– Bleibt Ihr nicht hier? seufzte das Kind.

– Ich komme morgen wieder – und dann bringe ich Dir ein schönes Liederbuch. Komm, küsse mich noch ein- mal und vergiß Deine Freundin nicht.

– Nein, nein, ich werde auch diese Nacht wieder so fröhlich von Euch träumen.

– Du hast von mir geträumt? fragte die Gräfin verwundert. Und was träumte Dir denn, liebes Kind?

– Ach, es war so schön! Ich träumte Ihr wäret meine Mutter, ich ruhte in Eurem Bette in Euren Armen, Ihr küßtet mich . . .

– Auf morgen, auf morgen! rief die Gräfin mit gepreßter Stimme.

Sie ergriff die Hand der Duena und zog sie fort auf die Straße als wenn sie einer drohenden Gefahr hätte entfliehen wollen.

IV

– Ihr habt die Güte gehabt mich rufen zu lassen, Edelfrau, sagte die Mutter des Mägdehauses als sie in das Zimmer der Gräfin d’Almata trat. Hier bin ich zu Euren Diensten.

– Seid willkommen, Frau Mutter, rief die Senora. Setzt Euch zu mir auf diesen Stuhl: ich wünschte gern mit Euch zu sprechen. Ihr vermuthet ohne Zweifel worüber ich mich mit Euch unterhalten will.

– Ueber Clara, Edelfrau?

– In der That. Kennt Ihr die Geschichte dieses Kindes?

– Ich weiß nicht viel davon, edle Frau. Clara war bereits ungefähr ein Jahr im Mägdehause ehe ich als Mutter desselben angestellt ward.

Von den Vorstehern und Almoseniers habe ich vernommen, daß sie nach der Verwüstung eines Dorfes ganz elternlos geworden, von einem Soldaten aus Mitleid an Kindesstatt angenommen und verpflegt ward. Später ist sie auf Fürsprache eines Blutsverwandten des Stifters unseres Hauses bei uns aufgenommen worden. – Was mich betrifft, so glaube ich kein Wort von dieser Geschichte, die mir immer wie eine Erdichtung vorgekommen ist, erfunden um Claras wahre Abkunft zu verbergen.

– Weiß denn aber Clara selbst Nichts von ihren Eltern?

– Alles, dessen sie sich noch unbestimmt zu erinnern vermag, ist, daß sie in ihrer frühesten Jugend auf einem Dorfe in einem Bauernhause wohnte. Und was mich vermuthen läßt, daß sie niemals die Sorgfalt und Liebe einer Mutter genoß, ist, daß sie sich aus jener Periode nur mit Klarheit auf ein kleines, buntes Schäfchen, mit dem sie spielte, zu besinnen vermag. – Dies beweist meiner Meinung nach unumstößlich, daß das Kind entweder keine Mutter hatte oder von derselben verlassen worden war.

Die Gräfin versank unter dieser Erzählung in ein tiefes Nachsinnen und schien ganz von einem Gedanken beherrscht zu werden. Die Mutter sah es wohl und täuschte sich auch über die Ursache nicht. Die gute Frau war überzeugt, daß die Gräfin sie zur Vertrauten eines Geheimnisses machen wollte, und in diesem Glauben bemühte sie sich selbst der Senora Gelegenheit zu geben. Wohlwollen und Edelmuth hinderten sie indessen direkt auf ihr Ziel loszugehen. Sie fühlte, daß sie die Gräfin schonen und ihr kein Bekenntniß entreißen müsse, was sie zu machen vielleicht nicht geneigt war – wenn sie sich dennoch getäuscht hätte?

Sehend, daß die Senora schwieg suchte sie deren Aufmerksamkeit aufs Neue auf sich zu ziehen.

– Seht, Gräfin, sprach sie, daß ist Alles was ich von der hölzernen Clara und ihrer Geschichte weiß.

– Hölzerne Clara! Warum hindert Ihr denn Eure Mädchen nicht sich gegenseitig so häßliche Beinamen zu geben?

– Ja, edle Frau, wollen und können ist zweierlei. Wir haben auf wichtigere Dinge aufzupassen. Seid versichert, daß ein Fähnlein Soldaten leichter denn so viele Mädchen in Ordnung zu halten ist.

– Seht, Mutter, ich habe Euch ersucht zu mir zu kommen um von Euch zu erfahren, was Jemand, der die kleine Clara gern beschirmen und begünstigen möchte, für sie zu thun vermag.

– Ich nehme an, daß diese Gönnerin die Gräfin d’Almata sein wird? Sie kann erstens: das Kind aus dem Mägdehause nehmen und es im eigenen Hause erziehen; denn alle Waisen sind bestimmt als Arbeiterinnen oder Mägde irgendwo in Dienste zu treten, wenn sie nicht, was auch wohl zuweilen geschieht, das Haus in Folge einer anständigen Verheirathung verlassen.

Die Mutter schwieg und schien eine Antwort von der Gräfin zu erwarten, diese jedoch machte nur eine ungeduldige Bewegung als wenn sie sagen wollte:

– Und weiter! Weiter!

– Zweitens erhält jede Waise einen Antheil vom Ertrage ihrer Arbeit; dieser unbedeutende tägliche Verdienst wird für Jede besonders gespart. Wenn sie sich dann außer dem Hause verheirathen, so dient ihnen das Ersparte als Brautschatz; verlassen sie hingegen das Haus um in Dienste zu treten, so dient ihnen das Ersparte als Nothpfennig zum Schutze gegen Mangel und Laster. Eine Wohlthäterin kann also, Geld in die Sparbüchse einer Waise legend, deren Zukunft erleichtern oder sichern.

– Ist dies Alles, Mutter?

– Ich weiß kein anderes Mittel, edle Frau; denn so lange eine Waise im Mägdehause bleibt, trägt sie die Kleidung des Institutes; sie ißt an der gemeinschaftlichen Tafel, darf, eine Kleinigkeit ausgenommen, kein Geld besitzen, darf ohne besondere Erlaubniß nicht ausgehen und auch dieses nur um in den Häusern achtbarer Bürger zu arbeiten.

An den unruhigen Bewegungen der Gräfin war leicht zu erkennen, daß die Worte der Mutter sie bekümmerten.

– Gott! was soll denn aus Clara werden? seufzte sie leise im Tone des Schmerzes.

– Das, edle Frau, ist nicht schwer zu prophezeien. Sie soll im Mägdehause meine Dienstmagd werden, muß dann freilich auch ihre Genossinnen bedienen, scheuern, waschen, kochen . . .

– Sie, Clara? rief die Gräfin fast erzürnt, sie soll die Magd der andern Waisen werden?

– Ja, gewiß, edle Frau.

– Das darf nicht geschehen, Mutter; ich will es nicht!

– Es ist aus Liebe zu dem Kinde, daß ich dies beschlossen habe, Gräfin; nehmt an daß sie meine Dienstmagd, das heißt die Dienstmagd unseres Hauses nicht werde. Dann ist sie sicher noch viel schlimmer daran, denn dann muß sie sich als Dienstmagd in ein anderes Haus vermiethen, und Barschheit, Sklaverei und vielleicht Mißhandlungen ertragen. Dem zu entgehen bliebe nur das Kloster übrig, allein es wäre grausam und unmenschlich in diesem Sinne über die Zukunft eines zwölfjährigen Mädchens zu beschließen, da Niemand wissen kann wie es bei ihr mit Herz und Geist stehen wird, wenn erst die rechte Zeit dazu gekommen ist.

Gerührt faßte die Gräfin der Mutter Hand.

– O Dank, daß Ihr das Kind so edelmüthig liebt, sagte sie; eine Mutter könnte nicht sorglicher sprechen. Ihr seid eine gute und verständige Frau. Aber, sagt an, wäre es nicht möglich die kleine Clara ihrem niederen Loose zu entziehen?

– Ich begreife nicht recht, edle Frau.

– Wenn man ihr zum Beispiel Lehrer gäbe um sie im Spanischen wie in allen Dingen zu unterrichten, die ein gebildetes Mädchen wissen muß?

– Ach, edle Frau, dies würden die Herren Vorsteher nicht zulassen. Solche Dinge passen für keine Dienstmagd oder Arbeiterin; es wäre dies nur eine Ursache zur Eitelkeit und Untugend.

– Dienstmagd! Dienstmagd! seufzte die Gräfin sich erhebend. Nein, nein, es soll nicht sein, o Gott!

Sie öffnete ein Kästchen, nahm eine schwere Börse heraus, die sie der Mutter überreichte.

– Seht, theure Freundin, hier ist eine Börse voll Gold; sie enthält eine ansehnliche Summe. Thut dies Alles in Claras Sparbüchse und verschönert damit ihr Leben; weigert Ihr Nichts, erfüllt ihre geringsten Wünsche, laßt sie Alles lernen, macht sie froh und glücklich, daß nicht der geringste Verdruß das theure Kind betrübe. Thut dies und seid überzeugt, daß ich Euch für Eure Güte ewig dankbar sein werde.

– Der Sparpfennig der Waisen steht unter der Verwaltung der Vorsteher, edle Frau; wenn diesen einmal das Geld übergeben ist, so kann nur aus triftigen Gründen Etwas davon genommen werden. Ich kann es also zu dem Zwecke, den Ihr mir anweist, nicht gebrauchen.

– Warum tritt doch Alles meinen Wünschen in den Weg? das ist wahrlich unheilvoll.

– Wenn Ihr, edle Frau, dagegen einwilligt, daß ich einen geringen Theil dieses Geldes zu meiner Verfügung behalte, so will ich so viel als möglich Euren liebevollen Wunsch erfüllen.

– Ja, ja, ich danke Euch Mutter, daß Ihr mir so edelmüthig zu Hilfe kommt!

– Das Uebrige soll ich in Clara’s Sparbüchse legen als eine Gabe . . . der Gräfin d’Almata? Die Senora erschrak bei dieser Frage offenbar; sie schlug die Augen nieder wie Jemand der nachsinnt oder beschämt ist.

– Soll ich sagen, daß ein Unbekannter mir dieses Geld übergeben hat? fragte die Mutter mit einem gewissen Nachdrucke.

– Ja, ja, ein Unbekannter, antwortete die Senora, eine Person die verschwunden ist und von der man weiter Nichts weiß. Ha! das ist gut!

Je länger diese Unterredung dauerte, um so fester wurzelte auch bei der Mutter die Ueberzeugung, daß sie sich in Bezug auf die zwischen der Gräfin und Clara herrschenden Beziehungen in der That nicht getäuscht hatte: sie bemerkte gleichfalls daß Etwas das Herz der Senora bedrückte und daß diese geneigt war ihr Leid in ihren Busen auszuschütten, sie schloß dies aus der geringen Sorgfalt, die sie anwandte um ihr Geheimniß zu verbergen. Die Mutter nahm sich vor den Weg der Erklärung, wenn diese überhaupt in der Absicht der Senora lag, abzukürzen und zu erleichtern. Die Gelegenheit dazu bot sich ihr unverweilt dar.

– Nicht wahr, sprach die Senora, Ihr werdet Clara im Spanischen unterrichten lassen? Ihr werdet ihr Alles lehren, was man wissen muß um mit Ehren in der Gesellschaft zu erscheinen?

– Nein, edle Frau, es darf nicht sein; zu viel Wissen ist für eine Frau niedrigen Standes fast immer eine Ursache des Unglücks.

– Ach Gott, Mutter, Ihr seid wahrlich unerbittlich. Aber Clara ist von edlem Blute, sag’ ich Euch.

– Ich weiß es noch ehe ich die Ehre hatte Euch zu kennen, Gräfin, antwortete die Mutter kaltblütig.

– Von wem wißt Ihr denn das? rief die überraschte Senora.

– Von Clara selbst.

– Wie? Clara sollte dies wissen.

– Nein, Gräfin, sie weiß es nicht und doch sagt sie es.

– Was ist das für ein Räthsel? Ich begreife es nicht.

– Es ist seltsam in der That. – Ihr, edle Frau, habt gewiß schon oft von einer Krankheit sprechen hören die man Mondsucht oder Schlafwandel nennt?

– Ja, und nun?

– Die kleine Clara leidet an dieser Krankheit.

– Ach, die Arme!

– Beruhigt Euch, Gräfin, sie leidet nicht dabei: es wird mit dem Alter vorübergehen. Sie ist auch nicht das ganze Jahr mondsüchtig, die Krankheit befällt sie nur im Mai, wenn die Knospen hervorbrechen, und das Blut heißer in den Adern gährt. Das dauert ungefähr drei Wochen oder einen Monat.

– Und was geht dann mit ihr vor? Um Gottes willen beruhigt mich, Ihr verursacht mir ein bitteres Leiden.

– Bauet auf mein Wort, edle Frau; es ist gar kein Grund zur Besorgniß dabei. Anfangs schlief Clara im allgemeinen Schlafsaal der Waisen, wenn sie dann die Krankheit überfiel, so jagte sie den andern Mädchen – obwohl diese Claras Krankheit kannten – oft einen solchen Schreck ein, daß das ganze Haus dadurch in Aufruhr gerieth. Zudem fürchtete ich, daß das Kind sich vielleicht einst tödtlich beschädigen möchte, und setzte darum ein Bettchen in das Vordergebäude über der Treppe in das hängende Kämmerchen. Anfangs hielt ich Claras Kämmerchen verschlossen; allein dies verursachte ihr ohne Zweifel großes Leid, denn wenn sie in der Nacht aufstand, so schlug sie ihre Händchen braun und blau am Schloß. Einmal verwundete sie sich selbst ziemlich stark indem sie die Fensterscheiben zerschlug. Meister Tyflynk, der Doktor unseres Hauses, befahl mir dann die Thür des Kämmerchens aufzulassen. Ihr wißt, edle Frau, es giebt bei uns im Vordergebäude nur zwei Thüren, von denen die eine auf die Straße, die andere auf den Hof führt. Clara kann also im Schlaf nur die Treppe heruntersteigen und in dem Platze zwischen den beiden verschlossenen Thüren, wo sich Nichts befindet was sie verwunden oder sonst beschädigen könnte, hin und her wandeln . . .

– Mutter, Mutter, um Gottes willen beeilt Euch – Eure Erzählung macht mich zittern wie Espenlaub.

Die Mutter warf der Senora einen forschenden Blick zu und fuhr dann fort:

– In der Zeit, wo Clara an der Mondsucht leidet, verläßt sie allnächtlich um Mitternacht ihr Bett, steigt vorsichtig die Treppe hinab und setzt sich auf der untersten Treppenstufe nieder. Dort sitzt sie ungefähr eine halbe Stunde, steigt dann wieder in ihr Kämmerchen hinauf und schläft ruhig bis zum Morgen. Aber nun kommt das Seltsame. Ihre Augen sind geöffnet, sie sieht in der Dunkelheit wie bei Licht, sie spricht, fragt und antwortet deutlich, aber dies Alles mit unendlich mehr Gefühl als bei Tage. Ihr Erinnerungsvermögen muß dann auch viel stärker als gewöhnlich sein, denn sie erzählt gewisse Umstände aus ihrer frühesten Kindheit deren sie sich bei Tage auch nicht im Entferntesten mehr zu erinnern vermag. Eine Frau muß ihr oft gesagt haben, aß ihre Mutter reich und von Adel ist; dies habe ich mehr als einmal in abgebrochenen Worten von Clara gehört. Bei Tage darf man ihr indessen nicht davon sprechen, denn sie weiß nicht das Geringste von dem, was sie in ihrer Nachtwandelung thut, ja sie würde selbst nicht wissen, daß sie das Bett erlassen, wenn man sie nicht zu weilen geweckt hätte, indem man sie beim amen ruft. – Wenn man sie nämlich bei ihrem Namen nennt, dann erwacht sie augenblicklich.

– Aber, Frau, ich höre nicht daß Ihr jemals versucht habt das arme Kind von seiner gefährlichen Krankheit zu heilen. Diese Gleichgültigkeit ist unverzeihlich. Wie kann man nur diesen kleinen Engel so leiden sehen ohne Himmel und Erde zu einer Genesung in Bewegung zu setzen? Wäre ich an Eurer Stelle!

– Ich weiß, Gräfin, daß dann hundert Aerzte von nah und fern zu Rathe gezogen sein würden. Aber wer sagt Euch denn, daß ich, die ich unbemittelt bin, nicht aus Liebe zu dem Kinde gethan habe, was eine Gräfin mit allem Gelde in der Welt nicht hätte thun können?

– Ach, vergebt mir meine Uebereilung; ich leide so sehr.

– Und doch muß ich fortfahren, edle Frau, denn das Sonderbarste habe ich Euch noch zu erzählen. Wenn Clara nun dort auf der Treppenstufe sitzt, dann antwortet sie, wenn man sie fragt, als ob ihre rechte Mutter vor ihr stände. Wenn man dem Zuge ihres Herzens nicht widerstrebt, so erglüht in ihr die Flamme der innigsten Liebe; sie liebkost und umarmt Euch, küßt und lacht; sie setzt sich auf Euren Schoos, streichelt Euch die Wangen und blickt Euch in die Augen, daß Eure Seele sich erschreckt; ergießt einen Strom bezaubernder Worte in Euer Ohr und durch eine unerforschliche und unbegreifliche Macht, die mich zuweilen zittern macht, reißt sie Euch bis zur Selbstvergessenheit hin.

Hier unterbrach die Mutter, eine Bemerkung der Gräfin erwartend, ihre Mittheilung; diese indessen saß da, bewegungslos, mit weit geöffneten Augen lauschend und sichtbar nach einer fernern Erklärung ängstlich verlangend. Die Frau fuhr fort:

– Ich bilde mir ein, edle Frau, daß Clara’s Mutter ihr Kind in einer frühesten Jugend oft Stunden lang geliebkost, geküßt und dabei Thränen vergossen hat; wenn zuweilen fängt Clara in ihrem Schlafe an zu weinen, weil sie glaubt daß ihre Mutter weint! Dann, edle Frau, ist das Kind ein so treffendes und schönes Bild der Zärtlichkeit und Liebe, daß kein Mensch auf Erden, und wäre ein Herz von Stein, dem Eindrucke ihrer Geberden und Worte zu widerstehen vermöchte. Wann ihre Mutter sie hören könnte! Gewiß, sie würde jede Gefahr verachten um ihr Kind mit ihrer Liebe zu laben, um es in seiner Trauer zu trösten . . . um es glücklich zu machen; denn leider leidet diese reine Seele schrecklich, vergeht unter dem Einflusse eines geheimen Schmerzes . . . Aber ihr weint, Gräfin; meine Erzählung hat Euch zu tief erschüttert. Verzeiht mir!

Die Senora saß da, ganz verwirrt, gedankenlos, stumme Thränen in den Augen. Sie antwortete nicht auf den Ausruf der Mutter und schien selbst deren Gegenwart vergessen zu haben, und regte sich selbst dann nicht als diese tröstend ihre Hand ergriff.

Zwischen den beiden Frauen herrschte eine ziemlich lange Stille. Plötzlich erhob sich der Busen der Senora, eine lebhafte Röthe überflog ihre Stirn, sie schlug die Augen wie beschämt zu Boden und mit fast unhörbarer Stimme seufzte sie:

– O, habt Mitleid mit mir! Clara ist mein Kind! Ich bin ihre Mutter! Mich ruft sie! Mich liebkost sie . . .

Eine Thränenfluth entstürzte ihren Augen und erstickte ihre Stimme.

Anfangs achtete die Mutter den Schmerz der Gräfin, dann aber fing sie an ihr allerlei tröstliche Worte zu spenden. Sie erzählte ihr noch mehr von Clara, zeigte ihr die Wege des Kindes Glück zu sichern und that Alles, was ihr edles Herz ihr eingab, um den Kummer der Senora zu lindern. Allmälig erreichte sie ihr Ziel; – und da das Herz der Gräfin jetzt von einem Geheimnisse befreit war, was sie so lange bedrückt hatte, so sprach sie auch viel freier und zuletzt selbst mit einer gewissen Heiterkeit des Geistes.

So unterhielten beide Frauen sich noch lange über das Kind, besonders aber über seine Krankheit, deren geringste Umstände die Gräfin zu erfahren wünschte.

Plötzlich erbleichte die Edelfrau und fing ängstlich an zu zittern.

Während die Mutter erschrocken nach dem Schlüssel dieser plötzlichen Aufregung suchte, riß die Gräfin hastig eine Lade auf und warf einige Stücke Spitzen auf die Tafel.

4.Auch dieses Lied ist ein altvlämischer Kirchengesang, der stark an die gleichzeitige deutsche Poesie, die Poesie eines Moscherosch erinnert. Wir lassen hier die Uebersetzung in Prosa folgen:
  Mit Freude wollen wir singen und loben die Dreieinigkeit, die uns wird bringen zur ewigen Seligkeit, die ewig währen soll, ewig ohne Ende. O möchte sie uns zu Theil werden, ach, ewig währt so lang!
  Endlos ist die Freude, die wir oben im Himmelreich finden sollen; sie hat nicht ihres Gleichen. Dort schenkt das göttliche Wesen uns einen guten Trank, während wir Horen lesen, ach, ewig währt so lang!
  Die Heiligen allesamt, die haben großes Fest, sie loben Gott den Vater, den Sohn, den heiligen Geist. Die Guten singen der Engel Gesang in alle Ewigkeit. Ach, ewig währt so lang!
  Maria, die Mutter unseres Herrn, ist über uns erfreut, wenn wir uns bekehren in dieser elenden Zeit. Maria, reine Jungfrau, Du edler Weinestrank, bitt für uns insgesamt. Ach, ewig währt so lang! D. Ueb.