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Loe raamatut: «Die hölzerne Clara», lehekülg 6

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VII

Gewiß war der Graf aus seiner Wohnung entflohen, um unter dem offenen Himmel etwas Beruhigung zu suchen, denn nach wenig Augenblicken sah man ihn hinter den Stadtbefestigungen auf den Hospitaltristen spazieren gehen. Vielleicht hatte die Luft in der That sein Leid gemildert und seinen Zorn besänftigt, denn bald darauf schlug er wieder den Weg zu einer Wohnung ein und schien nach jenem Orte, wo ihn ein so bitterer Schlag getroffen, zurückkehren zu wollen. Indessen der Graf ging an einer Wohnung vorüber und klopfte an das Mägdehaus. Niemand konnte errathen, was er dort thun wollte, allein an dem mißgünstigen Ausdrucke seines Gesichtes hätte man fast vermuthen sollen, daß er nichts Anderes beabsichtige, als Clara mit feinem Zorn zu überschütten; allein dazu war der Graf wiederum zu rechtschaffen und edel. Vielleicht trieb blinde Eifersucht ihn an wenigstens die Ursache seines Unglücks und der Bitterkeit seines Lebens kennen zu lernen, vielleicht hatten ihn aufs Neue folternde Zweifel übermannt und ihn angespornt mit eignen Augen zu untersuchen, ob unter den Worten der Duena sich nicht ein schnöder Betrug verberge.

Wie dem auch sei, als die Schließerin ihm geöffnet, verlangte er in gebieterischem Tone die Mutter zu sprechen.

Die Schließerin führte ihn zum Sprachzimmer und eilte dann nach dem Hintergebäude, wo die Mutter beschäftigt war, Arbeiten unter den Mädchen auszutheilen. Sie ließ ihre Beschäftigung im Stiche und eilte nach dem Sprachzimmer, ohne zu vermuthen, wer dort ihrer warte. Als sie den Grafen erkannte, erschrak sie sichtlich, und eine ängstliche Blässe überflog ihr Gesicht.

– Frau, sprach der Graf d’Almata mit bitterem Lächeln, meine Gegenwart überrascht Euch und läßt Euch zittern, wie es scheint. Geht, ruft das Mädchen, die hölzerne Clara; ich will sie sehen!

Nun fing die bange Mutter in der That zu zittern an und murmelte eine unverständige Antwort.

– Wie? fuhr der Graf fort, ist es vielleicht nöthig, Frau, daß sich die Vorsteher des Hauses wegen der Sache bemühen? Verlangt Ihr ein ausdrückliches Gebot von ihnen?

– Ach, nein, nein! flehte die Mutter.

– Sputet Euch also und erfüllt mein Verlangen.

– Ja, ja, Herr Graf, stammelte die Mutter ganz verblüfft, ich glaube sie ist ausgegangen, ich will sehen!

– Ihr wollt mich hintergehen, Frau, rief der Graf zornig; Ihr möchtet es bereuen.

Seufzend verließ die Mutter das Zimmer und begab sich nach dem Hintergebäude, von wo sie bald darauf mit Clara zurückkehrte.

– Clara, sprach sie unterwegs zu ihr, da ist der Graf d’Almata, der Mann Deiner Beschützerin. Er sieht so verdrießlich aus und ist so zornig! Du mußt recht freundlich gegen ihn sein, hörst Du Kind!

– Ja, Mutter, meine Beschützerin hat es mir befohlen; allein sie hat gesagt, er sei so gut?

Die Mutter hatte nicht Zeit auf diese Bemerkung zu antworten, denn schon stand sie auf der Schwelle des Sprachzimmers. Sie führte Clara zu dem Grafen hin und blieb mit dem festen Entschlusse, weder der Bitte, noch der Gewalt zu weichen, wenn der Graf verlangen sollte, mit Clara allein gelassen zu werden, an der Thüre stehen; die bange Frau fürchtete, der Graf möchte das arme Kind mißhandeln.

Clara blieb schweigend vor dem Grafen stehen und blickte ihm mit ihrem gewöhnlichen sanften Lächeln in die Augen. Der Graf hatte das Kind anfangs mit finsterem Zorne betrachtet, kaum hatte er indessen den Eindruck dieses engelschönen Gesichts empfunden, als in seinem Herzen wie auf einem Antlitze eine plötzliche Verwandlung eintrat. Ergriffen und erstaunt starrte er auf die beiden himmelblauen Perlen, auf das zarte Mündchen, was ein unwiderstehliches Zauberlächeln umspielte. Er, der erzürnte, der beleidigte Gatte, mußte sich beugen vor der Macht eines Kinderauges!

Indessen war es Claras reine Schönheit nicht allein, die hier ein Wunder vollbrachte: etwas Anderes machte den Grafen vor Rührung zittern und ein Auge in Freude glänzen. Das Mädchen glich ihrem Vater: aus diesen reinen und edlen Zügen flehte der selige Lanceloot um Mitleid für ein Kind, um Gnade für seine Verlobte! Der Graf sah seinen Busenfreund vor sich stehen, es war eine theure Stimme, die in seinem Ohre wiederklang und nun war es ihm nicht mehr möglich, sein Auge von den Zügen abzuwenden, in welchen er, wie in einem offenen Buche, die schönsten und glücklichsten Stunden seines Lebens aufgezeichnet fand.

Nicht mächtig dem in seinem Herzen aufwallenden Gefühle länger zu widerstehen, gab er der Mutter ein Zeichen sich zu entfernen. Die aufmerksame Frau erkannte, daß jetzt alle Gefahr vorüber war; sie hatte innerlich gejauchzt über die Verwandlung des Grafen, den sie durch Clara’s süßen Zauber besiegt glaubte. Nun verneigte sie sich ehrerbietig und verließ das Zimmer.

Sobald Graf d’Almata sich allein befand, überließ er sich ganz dem Gefühl, was sich seiner bemächtigt hatte; er führte die rechte Hand an die Augen und mit der Linken die Hand Clara’s fassend, vergoß er in der Stille eine Fluth von Thränen, die seinen Busen von all’ dem Weh zu entlasten schienen, was sich darin aufgehäuft hatte. Unterdessen streichelte das Kind, in der augenscheinlichen Absicht, den leidenden Mann zu trösten, seine Hand.

Der Sturm im Herzen des Grafen beruhigte sich allmälig, Er betrachtete das Kind aufs Neue; allein diesmal war sein Gesicht von Freude erhellt und schien dem süßen Lächeln auf Clara’s Lippen zu entsprechen.

– Ach, liebes Kind, sprach er in ziemlich gutem Niederdeutsch, Du kennst mich also, daß Du mich so freundlich betrachtet?

– Seid Ihr nicht der Graf d’Almata? antwortete das Kind; meine Beschützerin liebt Euch so sehr und hat mir gesagt, daß Ihr so gut seid! Muß ich Euch da nicht gern sehen, Herr Graf?

Senor d’Almata hob das Kind auf seine Kniee und es freundlich liebkosend, fragte er:

– Kennst Du Deinen Vater?

– Mein Vater ist im Himmel, seufzte Clara, er bittet Gott für mich . . . ich habe ihn nicht gesehen.

Aber ich, antwortete der Graf seufzend. Ich habe ihn gesehen und gekannt, liebes Kind, er war mir ein theurer Freund und Bruder. Ich habe ihn geliebt, ach so sehr! Die Thränen, die ich jetzt vergoß, hast Du meinen Augen entlockt, denn Du gleichst ihm wunderbar!

Unter den Liebkosungen des Grafen war Clara schnell mit ihm vertraut geworden. Als sie hörte, daß der Senor ihren Vater geliebt hatte, da war alle ihre Schüchternheit verschwunden. Sie schlang ihre Aermchen um einen Hals und ihn auf die Wange küssend, sagte sie im schmeichelndsten Tone ihrer Stimme:

– Möge Gott Euch lohnen, daß Ihr meinen Vater geliebt habt . . . darum werde ich Euch auch stets gern sehen!

– Kennst Du wenigstens Deine Mutter? fragte der Graf.

Clara senkte das Haupt und antwortete nicht.

– Anbetungswürdiges Kind! rief d’Almata mit Entzücken; dieses Geheimniß willst Du nicht verrathen; aber lügen kann Dein reines Herz auch nicht. Nein, ein, sage es keinem Menschen auf der Erde!

– Ha! Du solltest unglücklich sein? Ich sollte die Stimme Deines Vaters überhören, seine Bitte verwerfen . . . mein Leben durch Gewissensbisse vergiften? Undankbar sein und Liebe mit Haß belohnen? . . . Kind, Kind danke Gott in Deinen reinen Gebeten. Dein süßes Lächeln hat zwei Menschen vom Tode errettet; zwei Menschen, von denen Einer Dir theuer ist und der Andere Dir theuer werden soll durch seine Wohlthaten . . . Fühlst Du in der That eine Neigung mich zu lieben, Clara?

– Ach, fragt das nicht, Herr Graf; seid Ihr nicht der treueste Freund meiner Beschützerin – muß ich Euch also nicht lieben? Und Ihr seid so gut und freundlich gegen sie, wie sie immer sagt! Darum werde ich Euch auch immer gern sehen.

Der Graf betrachtete das Kind schweigend. Ein unbeschreiblich seliges Lächeln glänzte auf einen Zügen, und er liebkoste das Kind nicht blos mit Freundschaft, sondern selbst mit Dankbarkeit. Den Trost, den er durch die Umwandlung einer Gedanken genoß, das Glück, das er in seinen edelmüthigen Entwürfen fand, die sein Leben in einen Himmel des Friedens und der Liebe umschaffen konnten – alle diese Gefühle ergossen sich wie ein erquickender Strom über sein Herz, und mit einer gewissen Bewunderung blickte er auf das einfache Kind, was diesen süßen Balsam in eine beklemmte Brust ergossen hatte.

Als wenn eine Stimme in einem Innern plötzlich gesprochen, stand er auf und sprach zu Clara:

– Man könnte sich Tage lang mit Dir unterhalten, strahlende Maid! Komm, damit ich Dir einen herzlichen Kuß gebe: vielleicht werde ich Dir Friede und Glück zu verdanken haben. – Aber Du wirst Nichts sagen von dem, was hier geschehen ist, nicht wahr? Komm, umarme mich noch einmal, hoffentlich wird es das letzte Mal nicht sein. Geh nun ruhig wieder an Deine Arbeit und sage Nichts: Du sollst glücklich werden, Clara.

Der Graf verließ das Zimmer und sprach noch einige geheimnißvolle Worte mit der Mutter des Mägdehauses, die nicht ohne Angst an der Thür wartete. Was der Graf ihr gesagt, mußte sie sehr erfreut haben, denn sie grüßte ihn lachend und fröhlich und eilte dann jauchzend zu Clara hin, die sie vom Boden aufhob und in höchster Freude mit Küssen bedeckte.

Graf d’Almata hatte sich unterdessen die Thüre öffnen lassen und eilte jetzt mit verdoppelten Schritten nach der Mitte der Stadt. Bald darauf befand er sich in der Klosterstraße; und später sahen eine Bekannten ihm die Treppe des Stadthauses hinaufsteigen. An diesem Tage mußte er gewiß an vielen Orten gewesen sein und eilige Angelegenheiten erledigt haben; er war zum zweiten Male im Mägdehause gewesen, gleichwohl aber noch immer nicht in seine Wohnung zurückgekehrt . . .

*                   *
*

Es war gegen vier Uhr Nachmittags; die Gräfin saß ganz abgemattet, ausgeweint und niedergedrückt in ihrem Sessel; die Duena betete in geringer Entfernung ihren Rosenkranz.

Im Herzen der Senora wohnte jetzt zwar weniger Schreck, allein desto mehr Verdruß; sie hatte von Ines vernommen, daß der Graf der Wahrheit Glauben geschenkt hatte und daß er nun nicht mehr von dem peinlichen Gedanken verfolgt ward, daß sie ihm untreu gewesen, allein sie dachte, daß er sie verlassen und allein nach Spanien abreisen wolle. Da sie ihren Gatten feurig liebte und sowohl durch die Bande der Dankbarkeit, wie der Zuneigung an ihn gefesselt war, so war diese Gewißheit ihr ein harter Schlag, dessen sie mit duldender Angst harrte, wie Jemand, der sich zerschmettert unter das Schicksal beugt.

Während sie im Innern über den Verlust alles Dessen, was ihr theuer war, weinte und trauerte: den Verlust ihrer Ehre, ihres teuren Gatten, während sie bei dem Gedanken zitterte, daß er in seinem Zorne vielleicht Worte gesprochen haben könnte, die sie und ihr Kind der öffentlichen Schmach preisgeben könnten, während sie ganz in diese trüben Betrachtungen versunken war, öffnete sich plötzlich die Thür und Graf d’Almata erschien im Zimmer.

Mit einem lauten Schrei sprang die Senora von ihrem Stuhle auf, sank auf die Kniee nieder und rief mit erhobenen Händen:

– Gnade, Gnade, Graf d’Almata! Ich habe übel gehandelt, ich bin schuldig, verdiene Eure Rache, Euren Unwillen, Euren Haß. Ach! handelt mit mir nach Eurem Gutdünken. Aber, bei dem bitteren Leiden unters Herrn, entfernt mich nicht aus Eurer Nähe, laßt mich nicht so grausam sterben! Laßt mich Eure Magd, Eure Sklavin sein, nur erlaubt, daß ich Euern Fußstapfen folge! Calisto, Calisto, verstoßt mich nicht! Ich werde Euch mein Kind opfern . . . und, wenn Gott mir die Kraft dazu verleihet, so will ich es ganz vergessen, um meine Schuld zu büßen . . .

Der Graf ließ ihr nicht Zeit fortzufahren; er hob sie vom Boden auf und küßte sie schweigend auf die Stirn.

Dieser Beweis von Liebe überraschte die Senora so sehr, daß sie fast ohnmächtig an die Brust ihres Gatten sank.

– Ach, habt Mitleid mit mir . . . rief sie, ihm mit ungläubigen Erstaunen in die Augen blickend, . . . ich werde wahnsinnig . . . aber nein, Ihr seid es, Calisto . . . und Ihr haßt mich nicht, Ihr, lacht mir entgegen . . .

Beklemmt und von Seligkeit fast erstickt, hing sie am Halse ihres Gatten, der sie liebevoll betrachtete.

– Dank, Dank! seufzte sie. Ihr habt mir also verziehen? Ihr achtet mich noch Eurer Freundschaft würdig? Ich will Euch lieben – anbeten wie das Bild der göttlichen Güte. Ach, Calisto, seid gesegnet!

Der Graf faßte den Arm der Senora und sie mit zärtlichem Lächeln zum Fenster führend, deutete er dort auf einen Stuhl, nahm neben ihr Platz und ergriff aufs Neue ihre Hand.

Ich habe einen tödtlichen Kummer ausgestanden, es ist wahr, sprach er: ein gräßlicher Verdacht hat mir das Herz zerrissen – Niemand weiß was ich gelitten habe; denn ich liebe Euch, theure Catalina, und ich dachte . . . doch ich hatte Unrecht; sprechen wir nicht mehr davon. Es ist mir heute ein Glück wiederfahren, was mich auf den Gipfel der Freude erheben würde, wenn Euer eigener froher Blick dazu nicht hinreichend wäre.

– Ein Glück? fiel die Gräfin ihm in das Wort, ein Glück, Euch, Calisto? o dafür sei Gott gedankt!

– Hört, fuhr der Graf mit geheimnißvollen, doch fröhlichem Tone fort; Ihr wißt wohl, Catalina, daß mein Bruder mit seiner Gattin an blutigem Tage der panischen Furie in einem Hause verbrannte. Ihr Kind war nach der Aussage einiger Nachbarn gleichfalls in den Flammen umgekommen; allein Ihr erinnert Euch wohl, daß Andere behaupteten, daß ein spanischer Soldat das Kind aus den Flammen gerettet habe?

Bei dieser Frage schüttelte die Gräfin das Haupt als wenn sie sagen wollte: – Ich erinnere mich dessen nicht.

Vielleicht habt Ihr es vergessen, fuhr der Graf fort. Ihr wißt, Catalina, wie ich meinen Bruder geliebt habe, daher werdet Ihr auch begreifen, welche Freude mich erfüllt, da ich heute durch einen Zufall das Kind meines Bruders entdeckt habe.

– Das Kind Eures Bruders? rief die Gräfin als ob sie an der Wahrheit dieser Nachricht zweifelte.

– Das Kind Senor Alonzo’s? wiederholte die erstaunte Duena.

– Ja, ja, antwortete der Graf, das Kind Don Alonzo d’Almata’s, meines seligen Bruders – und kein Zweifel bleibt mir übrig: ich habe das Zeugniß des spanischen Soldaten durch Schöffenbriefe bestätigen lassen, und bin zudem im Besitze anderer unwiederleglicher Beweisstücke. Und nun, hört aufmerksam auf das, was ich sagen werde, Catalina. – Der Himmel hat unsere Ehe mit keinen Kindern gesegnet; die Tochter meines Bruders . . . – Es ist eine Tochter? rief die Gräfin.

– Ein allerliebstes Kind, schön und lieblich wie ein Engel! antwortete d’Almata. Sie ist nach Recht und Gesetz meine einzige Erbin. Da sie nun bisher nicht die Sorgfalt genossen hat, welche dem letzten Sprossen der d’Almata geziemt, so bin ich Willens das Kind in meinem Hause, unter einen Augen zu erziehen. Ich habe auch bereits gehörigen Ortes eine Adoptionsurkunde ausfertigen lassen. Sie wird mein Kind und meine Erbin . . . Oeffentlich und mit dem größten Geräusche will ich sie in ihre Familie zurückführen, von welcher ein trauriges Unglück sie getrennt hat: so soll Jeder sie ehren nach ihrer hohen Geburt. Ich hoffe, theure Catalina, daß ihr gestatten werdet, daß sie Euch als Mutter liebe; was mich betrifft, so will ich, daß sie mir stets den Vaternamen gebe . . . Nicht wahr, Ihr werdet das arme Kind um meinetwillen lieben?

– Ach, daß es komme! antwortete die Gräfin, jedoch nicht ohne eine gewisse Niedergeschlagenheit; ich werde es lieben weil es von Eurem Blute ist.

– Catalina, sprach der Graf leise, ich weiß welcher Gedanke Euch betrübt; doch dafür soll auch Rath geschafft werden: ich werde Euch helfen. Wir ollen gemeinschaftlich für das Glück Derer wirken, die Einem von uns Beiden theuer sind. So ist es gut, nicht wahr?

– O habt Dank, habt Dank! seufzte die Gräfin während ihre Augen voll Freude glänzten.

– Wohlan, sprach der Graf aufstehend mit feierlicher Stimme, dies sei das Pfand unserer Versöhnung und unserer Liebe. Ich schenke Euch das Kind meines Bruders. Werdet seine Mutter, wie ich sein Vater sein will; es ist ein schönes Band zwischen uns, Catalina.

Bei diesen Worten reichte er der Gräfin ein Pergament, an welchem große, rothe Siegel hingen.

– Es ist schicklich daß eine Mutter weiß wie ihr Kind heißt, setzte er hinzu.

Mit Neugierde, doch ohne Hast entfaltete die Gräfin das Pergament; kaum hatte sie indessen einen Blick darauf geworfen, so entfloh ein lauter Schrei ihrer Brust.

– Clara! meine Clara soll Euer Kind sein! rief sie aus, indem sie vor dem Grafen auf die Kniee niedersank, Gott, es ist zu viel! . . .

Mehr konnte sie nicht sagen; kraftlos und ohnmächtig sank sie in die Arme ihres Gatten, der sie vom Boden auf gehoben hatte.

Die Duena stand neben dem Grafen und küßte weinend seine Hand.

VIII

Es war ein edler und glücklicher Gedanke des Grafen, Clara für das Kind seines Bruders auszugeben. Auf diese Weise entschlüpfte die Thatsache der Adoption allen Auslegungen, die Ehre seiner Gattin jedem Verdacht. Es war ihm auf diese Weise möglich geworden die Senora und ihr Töchterchen glücklich zu machen, dem Gedächtnisse eines Freundes Lanceloot ein dankbares Opfer zu bringen und in Catalinas grenzenloser Liebe selbst einen reichen Lohn zu finden. Nach zehnjährigem Kummer und Zweifel ging nun für ihn ein frohes und friedliches Leben auf, kein Geheimniß, wie eine unheilvolle Scheidewand, zwischen ihm und feiner Gattin, keine Trauer, keine Verzweiflung mehr: Liebe und Dankbarkeit sollten eine Bahn künftig mit Blumen einer zärtlichen Vertraulichkeit und der Lebensfreude schmücken. Zudem hatte der Himmel, ihm ein Kind geschenkt, was durch zarte Bande mit ihm verknüpft war, und was er in der That bereits wie ein Vater liebte. Der Graf war nicht der Mann um Etwas halb ausgeführt zu lassen, namentlich wenn Edelmuth und Güte dabei im Spiele waren. Er hatte Anna Canteels und ihrem Manne eine gute Leibrente geschenkt, um damit ihre zustimmende Erklärung wie ihre Verschwiegenheit zu erkaufen; diese Leibrente sollte nach Verlauf von zehn Jahren verdoppelt werden, wenn das Geheimniß von Claras Geburt bis dahin streng bewahrt geblieben sei. Uebrigens versteht es sich von selbst, daß diese armen Leute dem Grafen in allen Stücken zu Willen waren, um so mehr da das, was er von ihnen verlangte, allein die Ausführung einer guten That bezweckte. Demgemäß erklärten sie vor den Schöffen der Stadt Antwerpen, daß Clara das Kind Don Alonzo d’Almata’s sei und ließen darüber in Gegenwart des Grafen eine Urkunde aufnehmen, in welcher die Waise den Namen Brigita Clara Juana Condessa d’Almata empfing.

Dies Alles war indessen noch nicht genug. Um das Ereigniß dieser wunderbaren Wiederauffindung über jeden Zweifel und jede böswillige Auslegung zu erheben, hatte der Graf Sorge getragen, daß die Geschichte mit allen ihren Einzelheiten in der ganzen Stadt bekannt wurde. – Und hätten die hundert und aber hundert Stimmen, die diese Neuigkeit vom Mägdehause aus verbreiteten, nicht genügt die Geschichte zum Stadtgespräch zu machen, so würden die vom Grafen angewandten Mittel diesen Zweck schon allein erreicht haben.

Kein Wunder also, daß man in der ganzen Stadt von Nichts als von dem seltsamen Schicksal der hölzernen Clara sprach und daß Hunderte, und darunter Leute aus den höchsten Ständen, in der Hoffnung das Kind zu sehen, im Mägdehause einen Besuch abstatteten. Sie sahen sich indessen alle in ihrer Erwartung getäuscht, denn das Kind war bereits auf Befehl des Magistrates ihrem angeblichen Oheime, dem Grafen d’Almata übergeben worden.

Um allen Antworten auf unbescheidene oder neugierige Fragen zuvorzukommen, gebrauchte man überdies die Vorsicht Clara niemals allein zu lassen.

*                   *
*

Seit drei Tagen bereits war Fest im Mägdehause. Auf Grund dieses sonderbaren Ereignisses sahen die Vorsteher Manches durch die Finger und gestatteten der Mutter in dieser Woche nicht allzusehr auf das Vollbringen der auf gegebenen Arbeit zu dringen. Jede Waise hatte vom Grafen eine Wohlthat oder von Clara ein Geschenk zum Andenken erhalten. Die Sparbüchse einer jeden Waise war mit einer bedeutenden Gabe bedacht worden; die Zukunft der Mutter und ihres Mannes war gleichfalls gesichert. Außerdem hatte man jede Waise noch mit einigen kleinen Gold- oder Silbersachen beschenkt, die sie entweder bei ihrer täglichen Arbeit oder später zu ihrem Putze benutzen konnte. Es war indessen nicht die Freude über diese Geschenke allein, die heute eine solche Lebendigkeit und selbst Ausgelassenheit unter den Waisen erzeugte.

Die Aeltesten und Geschicktesten, unter denen sich Trees durch ihr lautes Wesen bemerkbar machte, waren am frühen Morgen damit beschäftigt auch ihrerseits ein Andenken für Clara zu verfertigen; – die Freude und Neugierde der Anderen war Ursache, daß jetzt nicht gerade sehr viel Zucht im Arbeitssaale herrschte, denn alle Augenblicke standen sie auf um zu sehen wie weit die Arbeit schon gediehen sei.

Und in der That war es wohl der Mühe werth dieses bescheidene Pfand der Liebe und Dankbarkeit zu sehen, an welchem so viele arme Mädchen mit dem Schweiße der Hast arbeiteten. Trees hatte die Worte erdacht und Meister Jan van der Rozier den Patron gezeichnet. Es war ein Prachttuch in welchen neben einigen leichten Verzierungen folgende Worte in buntfarbiger Seide und Gold- und Silberdrath gestickt waren:

GEFERTIGT ZUR EHRE
DER DONA BRIGITA CLARA JOANNA GRÄFIN d’ALMATA
von
IHREN VORIGEN GENOSSINNEN UND NUN
UNTERTHÄNIGEN DIENERINNEN
DEN WAISEN AUS DEM MÄGDEHAUSE ZU ANTWERPEN
1589
GOTT GEBE IHR GLÜCK AUF ERDEN
UND NACHMALS DIE EWIGE SELIGKEIT
AMEN

Gegen zehn Uhr Vormittags rief Trees mit lauter Stimme:

– Heil, Heil! Schwestern, es ist gethan! Noch etwas ausbessern und säubern und wir trennen es vom Rahmen!

Ein allgemeines Freudengeschrei begrüßte diese frohe Kunde. Trees ließ die Anderen die letzte Hand an das Werk legen und eilte zur Thür.

– Ha, Ha! rief sie aus, da kommt der Gärtner von Terzieken zur guten Stunde! Seht nur, drei Körbe voll Blumen!

Die Blumen nun, die Blumen! Drei Körbe voll Blumen wurden in das Zimmer gebracht und man fing an eine Menge kleiner Sträußer zu machen, was keineswegs ohne Wortwechsel und Lärm geschah. Da es indessen nicht sogar ernstlich gemeint war, so kam die Mutter nicht dazwischen; im Gegentheil sah sie Alles das mit fröhlichem Lächeln . . .

*                   *
*

Eine halbe Stunde später fanden die Waisen, jede mit einem Blumensträußchen in der Hand, in der Hausflur in Reihen geordnet; sie hatten ihre besten Kleider angezogen und glänzten in Reinheit; ihre Herzen klopften, das Verlangen hatte ihre Wangen geröthet, ihre Augen funkelten in Lebensfreude. Fürwahr, die Blumen erbleichten vor diesen lebendigen Rosen, denn der schönste Strauß, den ein menschliches Auge sehen konnte, war gewiß diese Schaar junger Mädchen, deren natürlicher Zauber durch keinen fremden Schmuck vermindert oder verdüstert ward.

An der Spitze des Zuges standen die vier ältesten Waisen des Mägdehauses:– Lange Mie, Trees, Geertruid de Kwezel und Anna Moeyal, die gemeinschaftlich ein rothes Sammetkissen trugen, auf welchem das für Clara bestimmte Geschenk ausgebreitet war.

Während die Waisen des Zeichens zum Aufbruche harrten, vernahm man in der Gasthuisstraße das Rollen der Kutschen und das Stampfen unruhiger Pferde. – Der Vater des Mägdehauses warf jetzt beide Thüren weit auf. Langsam und gemessen zogen die Mädchen unter dem Zuströmen einer großen Volksmenge, die einen guten Theil der Gasthuisstraße anfüllte und mit Gewalt vordrang um den Zug so nahe wie möglich vorüber ziehen zu sehen, zum Hause hinaus. In demselben Augenblicke war auch die Thür des nebenstehenden Hauses geöffnet, und Clara trat, wie ein Edelfräulein in die köstlichsten Stoffe gekleidet, an der Hand des Grafen und der Gräfin d’Almata heraus. Ihr folgten unter andern Bekannten und Freunden Schwester Cathelyne aus dem Falconskloster und Meister Huygens, der Organist der Hauptkirche. Man führte Clara zu den vier Mädchen, die ihr das Geschenk der Waisen überreichen sollten. Während das Kind mit klopfendem Herzen das glänzende Tuch betrachtete, wollte Trees im Namen ihrer früheren Gespielinnen eine Art Anrede an die richten; allein schon bei den ersten Worten versagte ihr die Stimme und sie brach in eine Fluth von Thränen aus. Diesem Beispiele folgten nicht nur die drei anderen Geschenkträgerinnen, auch Clara selbst fing an zu weinen. Die Gräfin dankte den Mädchen für ihr freundliches Geschenk und dachte durch Trostgründe ihrer Trauer ein Ende zu machen. Indessen glückte es ihr nicht, denn man weiß, daß unter Frauen Nichts ansteckender ist als Thränen. Zudem hatte Clara schluchzend Trees umarmt, und die anderen Waisen hatten dieses Schauspiel mit tiefster Rührung betrachtet. Auch sah man im ganzen Zuge bald Nichts mehr als Schürzen, die langsam nach den Augen geführt wurden. Alle Waisen hatten ihr Angesicht verborgen und weinten im Stillen.


Nach einigen Augenblicken glaubte der Graf, daß es Zeit sei diesen traurigen Liebesbezeugungen ein Ende zu machen. Er sprach einige Worte zu Clara, führte sie dann zum Wagen, der einige Schritte entfernt ihrer wartete, stieg mit der Gräfin gleichfalls ein, die Lakaien sprangen hinten auf, der Kutscher fuhr mit der Peitsche knallend durch die Luft . . . und die Reisenden verschwanden in der Richtung des Kaiser- oder Sent-Joristhores auf der Heerbahn nach Brüssel.

Arme Waisen! sie hatten mit so viel Freude an dem Geschenke und den Blumensträußen gearbeitet! Sie waren so froh in Aussicht auf die Freude, welche Clara bei diesem Beweise ihrer dankbaren Liebe finden würde . . . und nun gehen sie einsam dahin, das Herz voll Trauer, die Schürze vor den Augen! Nun kehren die schweigend und niedergeschlagen nach Hause zurück, um ihren Kummer im Mägdehause zu verbergen und in Freiheit über den Verlust ihrer engelgleichen Gefährtin zu trauern!