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Loe raamatut: «Geschichte des Grafen Hugo von Craenhove», lehekülg 3

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»Was sollte er anders sein, Albrecht?«

»Du bist jung, Bernhard, und weißt nicht, »was ich weiß. Wenn ich Dir sage, daß es Menschen gibt, die sich mit dem Teufel verbinden, und einen bösen Geist zum Sklaven und Diener erhalten? Wenn ich hinzufüge, daß diese Menschen oft zu spät diese fluchwürdige Verbindung bereuen, und dann von Gewissensbissen und von Furcht verfolgt, sich abschließen von den Menschen und das Sonnenlicht fliehen?«

»Nun, Albrecht, was willst Du damit sagen?«

»Daß es wenigstens nicht schwer zu begreifen, daß Graf Arnold von Craenhove seine Seele an den Teufel verkaufte und daß Abulfaragus ihm als Sclave von Lucifer beigegeben ist.«

Diese mit hohler Stimme gesprochenen Worte machten auf Bernhards Gemüth einen tiefen Eindruck; plötzlich aber hob er das Haupt empor und sagte, ungläubig lächelnd:

»Du täuschest Dich, Albrecht. Graf Arnold ging wie ein guter Christ zu Deurne in die Kirche, und was Abulfaragus betrifft, hatte der nicht ein Marienbild in seinem Zimmer gehabt, und sorgte er nicht dafür, daß frische Blumen seine Gottesfurcht bezeugten? Rief er nicht unsern Herrn Jesus an, während er vor dem Grabstein knieete? Nein, das ist nicht das unbekannte Geheimniß. Es liegt etwas Anderes verborgen in der Nacht der Begegnung bei der Gräfin de Merampré. Wer wüßte, wo die Leiche des Grafen Hugo von Craenhove begraben liegt, der hätte die Lösung des Räthsels.«

»Hat man nie die Gräfin de Merampré gefragt, Bernhard?«

»Wie sollte man sie gefragt haben, da sie seit dieser Nacht nicht mehr in Brabant gesehen wurde.«

»Ich verliere mich in Vermuthungen. Vielleicht hat die geheimnißvolle Nacht eine racheverlangende Missethat – einen schrecklichen Mord gesehen – aber wie dem auch sei, wir dürfen unsern Nächsten nicht durch Vermuthungen beschuldigen . . . Es wird spät, Bernhard. Die Sonne sinkt hinter dem Tannenwald; wir müssen unsere Schafe heimwärts treiben.«

Bei diesen Worten entfernten sich die Hirten von einander, um jeder auf seiner Seite die Heerde seines Herrn nach Hause zu treiben. Während Bernhard hiermit beschäftigt war, kam der alte Hirte mit leisen Schritten hinter ihm her, und sagte ihm mit dumpfer Stimme in’s Ohr:

»Bernhard, hast Du je den Wehrwolf gesehen?«

Der Jüngling erschrak und wandte ängstlich den Kopf nach allen Seiten der Haide; dann antwortete er:


»Nein, warum fragst Du mich das?«

»Sieh’ Dich still um; längs dem Saume des Waldes wirst Du ihn sehen.«

Bernhard bemerkte wirklich einen schwarzen Menschenschatten, der langsam und vorsichtig längs dem Walde hinzugleiten schien.

»Ha!« seufzte er, »das ist der Wehrwolf, von welchem man so viel spricht. Ich dachte, es sei ein reißend Thier, und sieh, es scheint von Ferne, daß es ein Mann; ist. Was ist denn ein Wehrwolf?«

»Weißt Du das nicht, Bernhard? Ein Wehrwolf ist ein Mensch, der um schrecklicher Sünden willen von Gott verurtheilt ist, bei Nacht in der Gestalt eines Wolfes umherzulaufen, ohn’ Aufhören, ruhelos. Solche Wölfe fliehen Dörfer und gebaute Häuser ans Furcht, man möchte die Thüren und Fenster ihrer Zimmer schließen. Denn wenn man dies thut und die Stunde des Wehrwolfes käme, so würde er sich den Kopf an Wänden und Kästen einrennen und gewiß noch dieselbe Nacht sterben müssen.«

»Hast Du diesen Menschen in Gestalt eines Wolfes schon gesehen, Albrecht?«

»Ja, manchmal. Es ist nun schon mehr denn zehn Jahre her, daß er diesen Wald zum Schlupfwinkel auserkoren, seit dieser Zeit betritt ihn niemand, theils aus Angst, theils aus Ehrfurcht vor der Strafe Gottes. Des Nachts irrt der Wehrwolf umher, oder sitzt auf dem Kirchhof zwischen den Gräbern, da seufzt und heult er dann fürchterlich. Niemand hat ihn je sprechen hören; er ist stumm. Übrigens scheint der Wehrwolf so sanft, wie ein Lamm; wenn er an uns vorüber geht, wird er das Haupt bücken und mit niedergeschlagenen Augen, wie ein wandelnd Bild, sich entfernen. Niemand erinnert sich, daß er je Menschen oder Thier ein Unrecht zugefügt. Ja, er bot sogar mal einer armen Frau zwei Goldstücke an; die Frau erschrak, lief davon und nahm das Geld vom Wehrwolf nicht an. Aber dieß beweist doch, daß er kein böses Herz hat.«

Während dieser Erklärung hatte Bernhard sein neugierig Auge nicht von dem Wehrwolfe abgewandt, und da dieser mit raschem Schritte den Hirten näher kam, konnten sie bald seine Gestalt genauer unterscheiden. Er schien ein Mann von ungemeiner Große, und war von Kopf bis zu Füßen mit einem härenen Gewande bedeckt, das der Haut eines Thieres glich. In der rechten Hand hielt er einen Baumast und stützte sich auf ihn, wie auf einen Gehstock; den linken Arm drückte er an den Körper, als ob er etwas darunter trüge. Zweifelsohne hatte dieser Gegenstand Bernhards Aufmerksamkeit auf sich gezogen, denn er rief plötzlich:

»Was hält er unter dem Arm? Ist es nicht ein Buch?«

»Ich kann es nicht gut sehen,« bemerkte der alte Albrecht, fügte aber rasch hinzu:

»In der That, es ist ein Buch, viermal größer, denn das meine!«

Bernhard versank in tiefes Nachdenken und seufzte in sonderbarem Tone:

»Der Wehrwolf kann lesen!«

Als er das Auge wieder aufschlug, bemerkte er wie der Wehrwolf sich an dem Rand des Waldes bückte, unter dem Gesträuche durchkroch und verschwand. Schon zweimal hatte sein Kamerad ihn vergebens aufgemuntert, die Haide zu verlassen; schon war Albrecht weit weg mit seiner Heerde, und noch stand der junge Bernhard unverwandten Blickes nach dem Orte schauend, wo der Wehrwolf unter dem Gebüsche verschwunden war. Endlich gab er seinem Hunde ein Zeichen zum Abzug, und verließ die Haide unruhigen Gemüthes, in Träumereien versunken, während er von Zeit zu Zeit die Worte wiederholte:

»Ha! der Wehrwolf kann lesen!«

II
Der Wehrwolf

Alles schläft auf der Haide . . .

Die fühlenden Pflanzen halten ihre Blätter noch gefaltet; die Blumen haben ihre Kelche noch nicht geöffnet und gleichen beseelten Wesen, die mit geschlossenen Augen in süße Träume versunken sind.

Es ist nicht mehr Nacht, es ist noch nicht Tag.

Schwarz ist der westliche Horizont und undurchdringlich; der östliche, gleich einer durchsichtigen Wasserfläche, färbt sich mit zweifelhaftem Lichte.

Von allen Sternen glänzt nur noch ein Einziger; sein Name ist Lucifer, er ist der Vorbote der nahenden Sonne.

An dem Rande des Waldes hängt ein Vorhang von Nebel.

Aber er steigt in die Höhe, und hat schon die Wipfel der Bäume erreicht; bald wird er aufsteigen und verschwinden im Himmelsraum . . .

Wie eine demüthige Magd, die auf die stillen Befehle ihrer Herrin wartet, so umhüllt sich die Erde mit Stille, bis ihr Herr kommt.

Roth färbt sich die Lichtpforte; der Morgenstern erbleicht!

Da schüttelt ein Goldfinke die Wassertropfen von seinem glänzenden Federkleide.

Er verläßt seinen Ruheplatz, schwingt sich in die Luft und setzt sich auf den höchsten Baum des Waldes.

Er sieht freudigen Blickes gen Osten, und bald glänzt ein Theil der Sonnenscheibe ihm ins Auge; seine Kehle öffnet sich, und er singt mit seiner Silberstimme dem Tageslicht entgegen.

Glücklicher Vogel, der das Himmelslicht früher sieht, als wir!

Das Zeichen ist gegeben.

Tausend beflügelte Tonkünstler erwachen, und tausend Lobgesänge verherrlichen die Schöpfung.

Siehe, die Lerchen steigen immer höher und höher; sie wollen ihre Danklieder näher bei dem Throne ihres Gottes erschallen lassen.

Ha! da erhebt sich die lachende Sonne über dem Tannenwald.

Ihre Strahlenbüschel gleiten, wie eine unermeßliche Zauberruthe, über die Haide: Alles, was sie berühren, empfängt Leben und Glanz.

Höre, wie die Grillen und Heuschrecken ihr Morgengebet zum Himmel senden.

Sieh, wie die Blumen ihr Auge erschließen, ihre Kelche und Kronen öffnen, als ob sie einen Strahl der Weltgeliebten auffangen wollten!

Gegrüßt, gegrüßt seist du glänzendes Meisterstück des großen Schöpfers!

*                   *
*

Sprach Bernhards Mund diesen Lobgesang auch nicht, durch seine Seele wenigstens erklang in noch reicheren Tönen das Lob des Schöpfers, da er, seit einer halben Stunde auf der Haide niedergekniet, mit betenden Gemüthe das Erwachen der Natur betrachtete, während seine Schafe die nassen Kräuter zu fressen begannen.

Wie tief auch die Frömmigkeit in Bernhards Gebet war, so hatte er doch unaufhörlich den Blick nach der Stelle gerichtet, wo der Wehrwolf dem Tag zuvor verschwunden war. Plötzlich zitterte er an allen Gliedern: er sah den Wehrwolf auf Händen und Füßen unter dem Busche hervorkriechen, sich aufrichten und längs dem Rande des Waldes verschwinden; diesmal hielt er nichts unter dem Arme.

Das Buch war somit im Walde zurückgeblieben. Vielleicht lagen in der Höhle des Wehrwolfs noch andere Bücher! Aber, o Gott, wer wagte es, dem Lager des Wehrwolfes zu nahen, und als Spion bis in seine Wohnung zu dringen? Wird nicht ein schrecklicher Tod seine Strafe sein? Vielleicht wird der Wehrwolf ihn zerreißen und als Speise der Raben seine zerstümmelten Glieder im stummen Walde zerstreuen.

Armer Bernhard, da steht er auf der Haide, auf seinen Stab gestützt, er blickt verwirrt zur Erde, seine Stirne brennt, seine Beine wanken, eine unbegreifliche Anziehungstraft zwingt ihn, sich dem Walde zu nähern. Sieh’ da, er thut noch einen Schritt; – noch einen – noch mehr! aber er zittert und ist ängstlich; denn nun sieht er vor dem Gebüsche, der Grenze von Wehrwolfs Grundgebiet. Wird er vermessen genug sein, um sich zu bücken, wo der Wehrwolf sich bückt, und so den Fußpfad zu betreten, der nach der schrecklichen Höhle führt?

Eine Stunde vor Mittag stand Bernhard noch vor dem Gebüsche, gebeugten Hauptes, starren Blickes, in fieberhafter Aufregung. Wissbegierde und Todesfurcht kämpften in ihm einen schweren Kampf. Bald nahte das Ende des Streites; denn der Leib Bernhards krümmte sich langsam und plötzlich warf er sich auf seine Hände zur Erde und kroch, wie ein vierfüßig Thier, durch das Gebüsch. – Wissensdurst hatte die Furcht vor dem Tode überwunden!

Das Gebüsch war nicht tief; bald konnte sich der junge Bernhard aufrichten und umhersehen, wo er sich befand. Nichts Fremdartiges zeigte sich seinem wild um sich blickenden Auge, als eine düstere und kahle Natur, von Todtenstille verschleiert, und von halber Dunkelheit umfangen. Wie ein Uebelthäter mit klopfendem Herzen und immer wachsender Angst schritt Bernhard umsichtig und langsam vorwärts. Von Zeit zu Zeit schreckte der Schrei eines Raubvogels sein Ohr und sein Gemüth, oder er blieb bestürzt stehen vor einem verdorrten Baume, der wie ein Mensch seine entfleischten Arme ausstreckte, um ihn zurückzuhalten. Aber der Wissensdurst zog ihn unwiderstehlich nach der Höhle, dem Pfade, den Wehrwolfs Füße gebahnt.

Endlich gelangte er zu einer Vertiefung, wo sich in einiger Breite keine Bäume zeigten und die mit einer Tapete von Gras und Blumen bedeckt war. Ein kleines, und beinahe unsichtbares Bächlein schlängelte sich durch diese natürliche Waide, gleich der Schlange, die sich fortwindet, um das Gebüsch zu erreichen, und den Strahlen der glühenden Sonne zu entfliehen.

Hier war alles lebendig und erquickend; das Tageslicht fiel gerade auf die schöne Walde, und breitete liebevoll tausend glänzende Blumen aus; Vögel sangen in Menge aus den nahen Bäumen; mit einem Worte: dieser kleine Platz glich einem Lusthof, den die grillenhafte Natur mitten in einer wüsten Schöpfung angelegt.

Ein anderer Wanderer, als Bernhard, hätte sich gewiß an diesem angenehmen Orte ergötzt; er hätte seinen Durst an dem Bache gelöscht, sein Auge mit Entzücken auf dem Blumenteppich ruhen, seinem Ohr vom Gesange der Vögel schmeicheln lassen; – aber in Bernhards Geist drängte sich nur die Frage aus: Wo liegen hier Bücher verborgen?

Nachdem er eine Zeit lang sich umgesehen, bemerkte er in der Ferne, am andern Ende der Waide einen hohen Sandhügel und in demselben, zwischen verwirrtem Gestrüppe eine Oeffnung, die vielleicht der Eingang zu Wehrwolfs Höhle war. Er wandte seine Schritte nach dieser Seite; doch je näher er zur Höhle kam, desto langsamer wurde sein Gang; seine Angst wuchs über die Maßen und erblich zitternd vor der seltsamen Wohnung des Wehrwolfes stehen.

Doch diese Höhle, oder wie man es nennen mag, bot an und für sich nichts Schreckliches dar; man bemerkte auf den ersten Blick, daß sie das Werk einer unbehilflichen Menschenhand war. Der, welcher sie gemacht, hatte erst eine tiefe Grube, wie eine Kammer, in die Tiefe des Sandhügels gegraben; über dieses viereckige Loch hatte er mit schweren Baumstücken ein Dach gemacht, und es mit einer dichten Lage von Ginster und Farrenkraut bedeckt. Die eine Seite dieses Daches war dicht und für Regen und Wind undurchdringlich. Auf der andern Seite war ein großes Loch gelassen, um als Fenster das Tageslicht in die Höhle zu senden. Klein war die Wohnung des Wehrwolfes nicht; denn ein großer Mann konnte bequem sich darin bewegen, ohne sich zu bücken.

Wie wenig Schreckliches denn auch die Höhle hatte, so wagte es Bernhard doch nicht, hineinzugehen; es mußte ihn eine ungemeine Angst ergriffen haben, denn er trat zurück und blickte ängstlich um sich, ob der Wehrwolf nicht nahe. Vielleicht wäre er nach der Haide zurückgekehrt; als er aber wieder vor dem Eingang der Hütte stand, sah er drinnen das große Buch aus einer Art Lesepult liegen. Da wurde ihm alle Ueberlegung unmöglich; das Buch zog ihn fort wie ein Magnet, und er wie ein wildes Thier auf seine Beute losspringend, fiel mit seinen zwei platten Händen auf die geöffneten Blätter des Buches.

Wie glücklich war nun der arme Bernhard! Ein selig Lächeln erglänzte aus seinem Antlitz, seine Augen funkelten mit dem Feuer der Wißbegierde, seine Brust hob sich, sein Herz pochte gewaltig, und seine Hände zitterten vor ungeduldiger Begierde. O, nun besaß er ein Buch, so groß und so schön!

Wäre Bernhard nicht in die Betrachtung der Buchstaben ganz versunken gewesen, so hätte er wohl noch mehr sonderbare Gegenstände bemerkt.

Das Pult, auf welchem das Buch leg, war von Zweigen zusammengeflochten und im Boden befestigt; in einer Ecke der Hütte befand sich ein Bette, aus dieselbe Weise verfertigt, gefüllt mit Moos und halb bedeckt mit einer abgenutzten wollenen Decke; inmitten des Gemaches stand ein großes Kreuz; an dem einen Arm desselben hing ein Ritteranzug oder Keller, bedeckt mit schwarzbraunen Flecken, die vertrocknetem Blute sehr ähnlich waren. Daneben hing ein Schwert, gleichfalls mit Rostflecken bedeckt, wahrscheinlich von einer Flüssigkeit, die darauf gesprengt worden. An dem Fußende der Bettstatt lag ein geöffneter Reisesack und daneben einige goldne Geldstücke, die aus einem Sacke gestürzt waren. Weiter an der Wand hingen einige getrocknete Wurzeln von aller Art und Form; eine Geißelruthe und ein Gürtel, der Innen mit einer Menge eiserner Nägel versehen.

Diese Gegenstände bemerkte Bernhard nicht; er, ganz verloren in die Betrachtung des Buchs, schlug von Zeit zu Zeit ein Blatt um, ohne zu wissen, was er that. Und hätte sich seine Brust nicht bewegt, so hätte man ihn für ein leblos Bild halten können.

O Himmel! . . . was steht da plötzlich vor der Thüre der Hütte? Ist es ein Mensch? Ja, es ist der Wehrwolf, mit seinem schweren Wanderstabe und seinem braunen Kleid! – Sein tiefgesunken Auge schießt Feuerstrahlen, seine hohlen Wangen werden bleicher, sein Mund zuckt vor Aerger – doch er bleibt ruhig und schaut auf den jungen Hirten, dessen Antlitz er nicht ganz sehen kann.

Unglücklicher Bernhard, der Du so freudig und so verblendet, Dich an der Betrachtung des Buches ergötzt. Wüßte er, welch’ blitzende Augen auf ihn gerichtet sind.

Lange blickte der Wehrwolf mit ärgerlichem und zornigem Ausdrücke in die Hütte; nach und nach milderte sich sein Zorn und er wurde sogar sanft. Wahrscheinlich hatte der alte Hirte die Wahrheit gesagt, als er behauptet, der Wehrwolf könne nicht sprechen; denn statt eines Wortes löste sich aus seiner Brust ein hohler Seufzer, der wie ein Donnerschlag Bernhards Ohr traf. Kaum hatte der junge Hirte den Ton vernommen, als er aufsprang, und zitternd nach dem Eingang blickte, wo er das ausgehöhlte Antlitz des Wehrwolfs und seine blitzenden Augen auf sich gerichtet sah. Mit einem lauten Schrei flüchtete er an das andere Ende der Hütte und streckte ohne zu sprechen, seine Hände bittend nach dem Wehrwolf aus. Wie wankte der arme Bernhard auf seinen Füßen, wie bleich wurden ihm Stirne und Wangen!

Der Wehrwolf trat einen Schritt näher; aber der ängstliche Hirte, den Tod vor Augen sehend, warf sich aus den Boden, kroch aus beiden Knieen bis zu dem Wehrwolf, ergriff eine seiner Hände und rief, während er sie mit Thränen feuchtete:

»O, wer Du auch sein magst, habe Mitleid mit mir! Gnade, Gnade! Thu’ mir nichts Böses!l«

Ein Lächeln voll Liebe und Wohlwollen erleuchtete das Antlitz des Wehrwolfes; er nahm die beiden Hände Bernhards, hob ihn vom Boden auf, legte die knöcherne Hand schmeichelnd aus die blonden Haare und sprach, zur großen Verwunderung Bernhards, mit sanfter Stimme:



»Armes Kind, was fürchtest Du von mir? O, ich bin unglücklich und muß auf grausame Weise meine Sünden büßen; aber ich thue Niemanden etwas Böses. Beruhige Dich, mein Sohn, und habe keine Furcht vor mir.«

Der verwunderte Bernhard sah mit dankbarem Blicke in die Augen des Wehrwolfs und küßte im Entzücken seine Hände; er bemerkte plötzlich in seinem Innern ein Gefühl der Liebe für den unglücklichen Mann, der ihn so zärtlich behandelte, während er nur den Tod von ihm erwartet hatte.

Mit bittendem Lächeln antwortete er:

»Dank, Dank, Meister! Ich werde ewig Deiner Güte gedenken und schweigen, wie ein Grab, über meinen vermessenen Besuch bei Dir. Vergib mir, ich will eiligst den Wald verlassen.«

Dies sagend, warf er einen betrübten Blick auf das Buch, als er diesem Vorwurf seines brennenden Verlangens Lebewohl sagte. Dann sich umwendend, bemerkte er, daß sich der Wehrwolf auf die Ecke des Bettes niedergesetzt hatte und ihn aufmerksam betrachtete, während reichliche Thränen über seine Wangen liefen.

Dieser Anblick hielt Bernhard zurück; er sah mit bewegten Herzen auf den Unglücklichen und über seine eigenen Wangen rollte nun eine Thräne der Theilnahme.

»Meister,« sprach er mit seiner süßen Stimme, Meister, Dein Leiden durchschneidet mein Herz. Du bist so gut gegen mich gewesen, daß ich viel darum gäbe, wenn ich Dich trösten könnte; aber was vermag ein Kind, wie ich? Doch kann ich Dir dienen, so verfüge über mich!«

Langsam stand der Wehrwolf auf, nahm Bernhards Hand, und sagte, ihn aus der Hütte führend: »Komm’, mein Sohn, laß’ mich Dein Antlitz bei der Sonne sehen; es wird mir eine Wohlthat und ein Trost in meinen Schmerzen sein.«

Er führte den Hirten bis zu dem Bächlein, setzte sich aus das Gras nieder und sprach, vor sich auf den Boden zeigend: »Nun sitze nieder vor mir, Jüngling, und wundere Dich nicht über die Thränen, welche Dein Anblick meinen Augen entlockte. Es ist zehn Jahre her, mein Kind, daß kein menschlich Lächeln dem unglücklichen Wehrwolf entgegenstrahlte, daß kein freundlich Wort in sein Ohr tönte, und dann, soll ich es Dir sagen? und dann lebt Jemand auf dieser Welt, der mir theurer als mein Auge, der mich allein noch leben heißt. Dieser Jemand hat blaue Augen, wie die Deinen, blonde Haare, wie die Deinen, rothe Wangen, wie Du, und eine so sanfte Stimme, wie Deine Stimme. – Dieß ist das Geheimniß der Gewalt Deines Antlitzes auf mich. Vergib einem Elenden solch’ sonderbare und vielleicht lächerliche Leidenschaft.«

Bernhard faßte eine der magern Hände des Wehrwolfes, streichelte sie, um ihm seine Zuneigung zu beweisen und wenn es möglich, vielleicht einigen Trost über sein Schicksal auszugießen. Einige Zeit blieben sie sprachlos sitzen. Endlich fragte der Wehrwolf: »Wie wagtest Du es, in diesen überall gefürchteten Wald zu kommen, mein Sohn? Vielleicht hat Dich die Neugierde getrieben; und Du hattest Muth genug, ihr zu folgen!«

Die gefühlvollste Seite von Bernhards Herz war berührt, er wollte von dem verzehrenden Wissensdurst sprechen, welcher ihn quälte. Er drückte noch leidenschaftlicher die Hand des Wehrwolfes und antwortete:

»O Meister, ich darf es Dir kaum sagen. Doch Deine Güte ermuthigt mich dazu. Verwirf meine vermessene Bitte, wenn Du sie nicht erhören willst, aber werde nicht böse auf mich! – Es brennt in meinem Busen eine unbegreifliche Begierde, lesen zu lernen; ich kann und darf Sir nicht sagen, was der Grund dieser Leidenschaft; denn sie geht so weit, daß der Anblick eines Buches eine unwiderstehliche Gewalt für mich hat, meine Stirne brennen und mein Herz pochen und mich wie eine Ruthe zittern macht.«

»Ich habe es gesehen,« murmelte der Wehrwolf.

»Nun denn, fuhr Bernhard fort, »ich sah Dich gestern im Wald hier gehen und bemerkte mit Verwunderung, daß Du ein Buch unter dem Arme hieltst. Dieß war genug. Von diesem Augenblicke hatte ich keine Ruhe mehr; ich schlief diese Nacht nicht und fühlte mich von einer unwiderstehlichen Gewalt zu Dir gezogen. Ich habe verzweifelt mit dieser unbekannten Macht gerungen, denn ich hatte Angst vor Dir. Aber es half nichts. Mein Schicksal war entschieden, und ich würde das Buch gesucht haben, und hätte ich durch Feuersglut wandern müssen. Soll’ ich Dir sagen, Meister, welch’ vermessene Hoffnung meinen Busen durchdrang? Ich hoffte, der Wehrwolf werde mich lesen lehren!«

Es vergingen einige Augenblicke, während welcher Bernhard ängstlich in die hohlen Augen des Wehrwolfs sah.

»Nun, mein Sohn,« sprach dieser, »Deine Hoffnung soll nicht zu Schanden werden: der Wehrwolf wird Dich lesen lehren.«

Ein Freudenschrei erscholl über die Haide. Bernhard sprang auf, stürzte vor dem Wehrwolf auf die Kniee, schlang die Arme um seinen Hals und begann vor Freude zu weinen, während ihm Worte des Dankes über die Lippen rollten. Einen Augenblick später richtete er sich auf, sprang wie ein Wahnsinniger umher und rief fortwährende

»Ha, ha, ich lerne lesen! Dank! Dank! ich werde zu Gott für Dich beten, Deine Hände küssen als die meines Wohlthäters. Ha, ha, lesen, wissen! – wie schön!«

Der Wehrwolf stand auf und sich Bernhard nähernd, sagte er ihm mit ernster Stimme:

»Mein Sohn, ich muß unverbrüchliche Bedingungen an mein Versprechen knüpfen. Höre auf das, was ich Dir sagen will und merke es Dir wohl; denn wenn Du eine derselben vergißt, will ich Dich niemals wieder sehen.«

»O sprich,« rief Bernhard. Ich bin zu Allem bereit. Nie werde ich etwas thun, was Dir mißfallen könnte.«

»So merke auf: – Nie sollst Du einen Fuß in den Wald setzen, denn des Morgens, ehe die Sonne im Süden sich erhebt; nie sollst Du in die Hütte des Wehrwolfs treten, was auch dort geschehen möge; nie sollst Du den Wehrwolf etwas über seine Lebensweise und Büßung fragen; nie sollst Du ihm von Deinen Aeltern, von Deiner Schwester oder Deinem Bruder sprechen. Dieß letzte Wort komme überhaupt nie über Deinen Mund. Nimm Dich wohl in Acht, nie des Nachts in den Wald zu kommen! Du kennst die Plage, die mir Gott gesendet, sie ist schrecklich und gefährlich zu sehen. Verschweige die Geheimnisse des Waldes: ein unvorsichtig Wort von Dir könnte mir den Tod bringen. Dieß ist Alles, was ich zu sagen habe. Und, nun, mein Sohn, die Sonne ist beinahe im Süden: meine Stunde naht. Verlasse mich. Wenn Du morgen wieder kommst, stelle Dich dann unter jenen Eichbaum; ahme den Schrei der Eule nach, er wird bis zu mir dringen und ich werde mit dem Buche zu Dir kommen. Bis morgen, also, mein Kind!«

Bei diesen Worten drückte er nochmal die Hand des jungen Hirten, wandte sich um und ging langsamen Schrittes nach der Hütte. Bernhard nahm seinen Stab vom Boden auf und kehrte auf dem Wege zurück, den er gekommen war. Wie schön, wie herrlich erschien ihm nun die düstere Natur des Waldes! Wie glänzend das Licht der Sonne, die ihm auf das Haupt brannte, sobald er unter dem Gebüsche hindurch auf die Heide kam! Wie reizend, wie süß der Gesang der Vögel und das eintönige Gezirpe der Grillen. Mit eilenden Schritten kam er zur Heerde, rief seinen treuen Hund und erzählte ihm lachend, daß er nun lesen lernen werde. Dann holte er seinen Lieblingswidder unter den Schafen hervor und begann auf’s Neue seine Geschichte. Er sang alle seine Lieder und tanzte, bis die Abendsonne ihn nach Hause rief.