Lugege ainult LitRes'is

Raamatut ei saa failina alla laadida, kuid seda saab lugeda meie rakenduses või veebis.

Loe raamatut: «Geschichte des Grafen Hugo von Craenhove», lehekülg 4

Font:

III
Das Unwetter

Sobald Bernhard des andern Tages seine Schafe auf die Haide gebracht hatte, lief er nach dem Wald, kroch unter dein Gebüsche durch und eilte nach der Waide zu der Hütte des Wehrwolfes. Hier stellte er sich unter den Eichbaum und rief wie die Buscheule: »Uhl! Uhl! Uhl!«

Auf diesen Ruf kam der Wehrwolf aus der Hütte und näherte sich dem jungen Hirten mit freundlichem Gesichte; er lies ihn unter dem Baume niedersitzen und das Buch aufschlagend, begann er, ohne etwas Anderes zu sprechen, ihm die Buchstaben zu zeigen und ihre Namen zu sagen. Nachdem sie zwei Stunden an dieser Arbeit gesessen, stand der Wehrwolf auf, zog ein kleineres Buch hervor und dasselbe Bernhard gebend, sprach er:

»Mein Sohn, hier hast Du ein kleines Buch, das ich Dir zum Geschenke gebe, um Deine Lectionen zu wiederholen; lesen lernen ist nicht leicht, Du mußt alle Deine Geisteskräfte anspannen, um wohl zu behalten, was ich Dir sage, und wenn Du allein bist, mußt Du die Zeichen ohne Lehrmeister wieder zu erkennen suchen. Ich habe Vertrauen genug zu Dir, daß Du das Buch Niemanden zeigen werdest, und wenn man es entdeckte, Du nicht von dem Wehrwolf zu sprechen wagst.«

Bernhard drückte das Buch mit Entzücken an seine Lippen und antwortete:

»O fürchte nichts, Meister, ich werde einen Beutel von Schaffell machen und das Buch auf meiner bloßen Brust darein hängen. So wird man es gewiß nicht entdecken. Ich werde es auch nie herausziehen, ohne ferne von allen Menschen zu sein!«

»Bis morgen denn, mein Sohn!« sprach der Wehrwolf weggehend.

Bernhard verließ den Wald und ging zu seiner Heerde.

Hier warf er sich, das Herz voll seliger Freude, zu Boden, schlug das Buch auf seinen Knieen auf und begann mit tiefstem Selbstvergessen seine Lection zu wiederholen. Oft erheiterte ein helles Lächeln sein Gesicht: – Dann hatte er einen Buchstaben erkannt und lachte ihm entgegen, wie einer theuren Freundin. Oft aber auch überzog eine finstere Wolke sein Antlitz und er schlug sich mit der Hand vor die Stirne: – dann war ihm sein Gedächtniß untreu und weigerte sich, ihm den Namen eines oder des andern Buchstaben zu sagen.

So brachte Bernhard den ersten Tag seiner Lehrzeit zu und so verliefen auch die Folgenden.

Nicht immer konnte er die Heerde verlassen, um in den Wald zu gehen, denn oft mußte er sie ferne von da weiden. Nicht selten vergingen fünf bis sechs Tage, ehe er den Wehrwolf besuchen konnte; aber dann lernte er mit desto mehr Eifer in dem kleinen Buch, das er immer auf seiner bloßen Brust trug.

Seit Bernhard die Bekanntschaft des Wehrwolfs gemacht hatte, liebte ihn der Pächter nicht mehr, dessen Schafhirte er war. Diese Abnahme der Zuneigung hatte ihren Grund in Bernhards Nachlässigkeit. Statt die Schafe an die besten Weideplatze zu führen, war er beinahe immer in der Nähe des Waldes zu finden, ob für die Schafe etwas da zu fressen war oder nicht, und oft hatten die Vorübergehenden sich vergeblich nach dem Hirten umgesehen. Hierüber wurde Bernhard fast täglich gescholten; aber besserte er sich auch, so geschah es nur, um nach wenigen Tagen wieder auf die alte Weise zu leben.

Man darf sich darüber nicht wundern, daß Bernhard in kurzer Zeit große Fortschritte machte und in weniger als einem Jahr sein Buch ganz lesen konnte, ja selbst die schönen Gebete, die darin stunden, auswendig gelernt hatte. Von Zeit zu Zeit ließ ihn der Wehrwolf in dem großen Buche lesen; dieß ergötzte Bernhard außerordentlich, da es eine Uebersetzung von Plinius Naturgeschichte war, welche die seltsamsten Thiere beschrieb.

Bis dahin hatte Bernhard nie an den Wehrwolf eine Frage gerichtet und auch dieser hatte nie das Verlangen ausgedrückt, zu wissen, wer sein Lehrling sei, selbst seinen Namen kannte er noch nicht. Dessen ungeachtet hatte ein tiefes Gefühl von Liebe und Dankbarkeit im Herzen Bernhards Wurzel gefaßt. Schon oft hatte er Thränen bei dem Gedanken an des Wehrwolfs Leiden vergossen. Dieß dankbare Gefühl des Mitleidens nahm aber noch zu, als der Wehrwolf nach dem ersten Jahre mehr und mehr abzumagern begann und dem Grabe zuzuwanken schien. Bernhard bemerkte endlich, daß der Wehrwolf nur mit Mühe noch aus der Hütte zu dem Baum kommen konnte, daß seine Augen ihren Glanz verloren und daß seine Stimme dumpf und beinahe unverständlich wurde.

Einst als der Wehrwolf ihm etwas in dem großen Buche erklären wollte, versagte ihm mitten in der Rede die Stimme den Dienst und endigte in einen Seufzer, der bewies, daß seine Brust keine Kraft mehr hatte, solch’ langes Sprechen zu ertragen. Das Gefühl Bernhards war stärker als sein Wille; er brach in Thränen aus und rief unter heftigem Schluchzen:

»O Herr Du bist krank, und thust nichts, um zu genesen. Du willst sterben!«

Statt aller Antwort nahm der Wehrwolf das Buch, wandte sich langsam nach seiner Hütte und sagte in traurigem Tone:

»Morgen, mein Sohn.«

Bernhard sah ihn fortwanken. Nachdem er einige Zeit geweint, kehrte er voll Schmerz und Angst nach der Heide zurück. Den ganzen Tag dachte er an die Krankheit seines Wohlthäters und weinte stille Thränen über sein beklagenswerthes Loos.

Am Abend trieb er seine Heerde heimwärts und zählte die Schafe in Gegenwart des Pächters, während sie in den Stall liefen.


Es fehlte ein Widder und vier Hämmel.

Nun brach die lang verhaltene Wuth des Pächters los; er verwies Bernhard seine Nachlässigkeit und überlud ihn mit Scheltworten. Dann ließ er ihn seine Sachen zusammenpacken und jagte ihn als einen ungetreuen Diener vom Hofe.

Am Abend, als sich die Dunkelheit auf die Erde senkte, lag Bernhard weinend am Boden, nicht ferne von dem Gebüsch., Der unglückliche Jüngling wußte nicht wohin und hatte sich da mit dem Kopfe auf seinen Pack gelegt, um den Tag abzuwarten und dann dem Wehrwolf sein Unglück zu klagen.

Trotz seines Schmerzes sank er endlich in den Schlaf. Kaum hatte er ein paar Stunden Ruhe genossen, als eine schwere, gewitterschwangere Luft sich wie eine bleierne Decke über ihm lagerte; er athmete mühsam, der Schweiß brach ihm am ganzen Körper aus und von Zeit zu Zeit legte er die Hand an die Brust, um sein Kleid zu lüften und sich gleichsam die mangelnde Luft zu verschaffen.

Alles, selbst die leblose Natur war erschreckt und bange harrend; kein Lüftchen, kein Athem bewegte die Blätter und die Haide schien ein unermeßlich Grab. Nur in der Ferne hörte man das leise Quacken der Frösche, die aus ihren Pfählen dem kommenden Regen einen Grußgesang entgegensandten.

Bald zeigte sich am fernen Horizonte ein schwarzer Vorhang, der sich langsam hob, gleich einem von Gottes Hand über das angstvolle Erdreich gespannten Trauerflor; – von Zeit zu Zeit zuckte ein Lichtglanz am Ende des Horizontes hervor; die Luft wurde noch schwüler und die Stille der Nacht noch unheimlicher . . . bis das drohende Feuergebirge der Wolken einen Boten voraussandte, gleichsam als wollte es sagen: »Ich komme!«

Ein Lüftchen spielte sanft durch das Laub und beugte leise die Spitzen der Kräuter. – Aber eben so rasch entwickelte sieh das Wetter: ein Feuerpfeil schoß durch die Ebene und ein rollender Donnerschlag machte Bernhards Lager unter ihm zittern. Erwachend und von dem Schlage noch betäubt, sprang der Hirte auf und schlug sein Auge zum Himmel! – Zwanzig Blitze zuckten zugleich aus dem Himmel, unmittelbar darauf brach ein wüthender Sturm über die Haide los, bog oder entwurzelte die Bäume und führte die Blätter in Wirbelwolken himmelwärts; der Himmel öffnete sich und der Regen entlud sich über die Erde, als sollte eine zweite Fluch die Menschen überströmen . . .

Bange und ängstlich sank Bernhard auf die Kniee und begann zu beten; das Wasser lief inzwischen in Strömen an seinem Leibe herab und kühlte seine beklemmte Brust. Dann stund er auf und eilte nach einer großen Buche, um dort einen Schlupfwinkel zu suchen; – aber ehe er sie erreichte, schlug ein flammender Blitz in den Stamm des Baumes, riß ihn, wie einen Strohhalm entzwei und stürzte seine Krone mit schrecklichem Krachen zu Boden.

Inmitten dieses schrecklichen Naturaufruhrs, umringt von Feuer, betäubt von den Donnerschlägen, erstarrt vom Regen, wurde der arme Bernhard beinahe wahnsinnig, – und als ob er den Wehrwolf als einzige Hilfe ansah oder seinem Schicksale gehorchte, er kroch durch dieß Gesträuche und eilte bewußtlos zur Hütte des Wehrwolfes. Unter dem Eichbaume angekommen, rief er:

»Uhl, Uhl, Uhl!«

Doch er sah nichts und je heller der Blitz auch die Haide erleuchtete, er sah den Wehrwolf nicht kommen. In diesem Augenblick erst erinnerte er sich, daß der Wehrwolf Nachts umherlaufen mußte, um die Strafe Gottes an sich zu vollziehen und nun bald in Wolfsgestalt zurückkommen werde.

Der Hütte durfte er nicht mehr nahen, aus Furcht vor dem Bruch seines gegebenen Wortes. Durch den Blitz als Wegweiser begleitet, kehrte er zurück und warf sich weinend bei dem Gesträuche nieder.

Das Gewitter zog nach Norden und eine entsetzliche Stille senkte sich über die Erde.

IV
Lösung

Glänzend stieg die Sonne am blauen Himmel auf; sie goß ihre warmen Strahlen aus Bernhard und trocknete rasch seine durchnäßten Kleider. Dann nahm er seinen Pack, kroch unter dem Gesträuch durch, drang in den Wald und rief unter der Eiche:

»Uhl, Uhl, Uhl!«

Sein Ruf blieb ebenso unbeantwortet, wie in der vergangenen Nacht; Niemand kam aus der Hütte. Bernhard wiederholte seinen Ruf mehr denn einmal, doch immer vergeblich. Nach und nach bemächtigte sich seiner eine bange Ahnung, die ihn an den Tod des Wehrwolfs denken ließ; vielleicht war er nur krank – und wie konnte er sich dann versorgen, da ihm wohl selbst das Gehen versagt war? Diese Gedanken ließen Bernhard den Entschluß fassen, zur Hütte zu gehen und sich selbst seiner edelmüthigen Gesinnung aufzuopfern.

Er näherte sich der Hütte; – aber kaum hatte er einen Blick hineingeworfen, als er einen schmerzlichen Schrei ausstieß und zitternd stehen blieb.

Da vor dem Kreuze lag der Wehrwolf halbnackt ausgestreckt, wie eine Leiche; Blutstropfen rannen an seinem bloßen Rücken und seine schlaffe Hand hielt noch krampfhaft die Geißel fest, mit der er sich selbst so schrecklich geschlagen.

Nachdem er einige Augenblicke verstummt auf dieß schreckliche Bild gesehen, sprang Bernhard dem Wehrwolf entgegen, umarmte ihn herzlich und begann weinend zu rufen:

»Meister, Meister, erwache! Ich bin es, Dein Lehrling! o stirb nicht!«

Der Wehrwolf öffnete die matten Augen und betrachtete mit traurigem Lächeln den jungen Hirten, der ihn aufzuheben suchte.

»Mein Sohn,« sprach er, »ich vergebe Dir Deinen Wortbruch. Du hast eines der Geheimnisse meines bitteren Lebens entdeckt. Heute werde ich noch nicht sterben, aber ich hoffe, Gott werde mir bald ein Grab zum Ruheplatz schenken.«

Bei diesen Worten richtete er sich mit Gewalt auf, zog sein härenes Kleid an, und setzte sich auf den Rand des Bettes; er war ungemein blaß, hatte blaue Lippen und glanzlose Augen, Länger konnte Bernhard dieß Leiden nicht mit ansehen.

»O Meister!« rief er mit bewegter Stimme, »warum peinigst Du Dich so? Das kann Gott nicht wollen! Hast Du eine Sünde gethan, sie kann nicht so groß sein als die Strafe, die Du Dir auferlegst!«

Ueber das Antlitz des Wehrwolfs zog sich ein spöttisches Lächeln.

»Nicht so groß!« sprach er. »Höre, Jüngling, da mein Tod mir nahe bevorsteht, und Du doch nicht im Stande bist, Deinen Wohlthäter zu verrathen; so höre, ich werde Dir sagen, worin mein Vergehen besteht. – Du hast in dem Buche, das ich Dir gab, gelesen, wie Kain seinen Bruder Abel ermordete und wie Gott ihn in seinen Nachkommen verfluchte? Nun, mein Sohn, der Wehrwolf hat auch seinen Bruder ermordet und Gott hat ihn auch verflucht bis in seinen Tod. Siehst Du dort das Schwert? Damit zerspaltete ich das Haupt meines Bruders; da auf diesem Koller klebt sein unschuldig Blut! Die Flecken sind das Blut meines Bruders!«

Eine lange Stille folgte diesen Worten. Bald aber richtete der Wehrwolf seine Blicke wieder auf den verwunderten Bernhard und fuhr in unterbrochener Rede fort:

»Mein Sohn, ich will Dir mit kurzen Worten mein Vergehen erzählen; diese Geschichte ist vielleicht die letzte Unterweisung, die ich Dir geben kann. – Ich hatte einen Bruder, wir liebten einander feurig nach dem Gebote unserer verstorbenen Eltern. Wir hatten auch eine Schwester, deren Gesichtszüge wenig von den Deinen verschieden waren, darum ergötzt mich Dein Anblick. Lange lebten wir in Frieden und in Freuden, aber eine Frau brachte einen Liebesneid zwischen uns. Ich liebte diese Frau mit feuriger Inbrunst, mein Bruder liebte sie nicht minder; aber er war schöner, als ich, und schien wieder geliebt zu werden. Die Eifersucht verzehrte mein Inneres wie ein schleichend Gift, doch sie konnte die Bruderliebe nicht überwinden; ich zog mich zurück und litt im Stillen. Einstmals als ich von dieser Frau mit meinem Bruder und einem alten Diener zurückkam, begann er mich zu verhöhnen über meine unglückliche Liebe. Ein wildes Feuer flammte in meiner Brust auf; – er höhnte mich noch mehr! – Die Wuth machte mich blind; meine Hand griff wider meinen Willen an das Schwert, das an dem Sattel meines Pferdes hing; ich schlug zu und spaltete das Haupt meines Bruders, – seine Leiche fiel zu Boden; dann sprang ich jammernd vom Pferde, warf, mich über den Leichnam meines Bruders und begann ihn zu rufen; Blut spritzte auf mein Koller, ich riß mir die Haare aus, doch die Leiche blieb stumm.«

Hier holte der Wehrwolf etwas Athem. Bernhards Augen starrten bewegungslos vor sich hin; er zitterte sichtlich und seine ganze Haltung verrieth eine sonderbare Ungeduld, den weiteren Verlauf der Geschichte zu hören. Gewiß, seine Rührung verbarg gleichfalls ein Geheimnis.

Der Wehrwolf fuhr fort:

»Lange durfte ich bei der Leiche meines Bruders das Vergehen nicht beweinen; eiligst kam der alte Diener mit einem Reisesack herbeigelaufen und band diesen auf mein Pferd. Dann zog er mich von der Leiche weg, zwang mich mit unwiderstehlicher Gewalt, zu Pferd zu sitzen, und gab mir zu verstehen, daß ich flüchten müsse, wenn mein Haus nicht mit ewiger Schande befleckt werden solle. Blind und bewußtlos gab ich meinem Pferde die Sporen und ließ es die ganze Nacht laufen . . . Zwei Jahre lang irrte ich in fremden Landen umher; nach dieser Zeit beichtete ich einem Priester. Dieser legte mit als Strafe auf, mein ganzes Leben in Einsamkeit und Bußübungen zu verbringen. Ich habe dazu diesen Wald gewählt. Ein Wehrwolf bin ich nicht, mein Sohn; aber um mein Geheimniß sicherer zu bewahren, habe ich diesen Namen, den mir die Bauern gaben, angenommen und behalten! Nun kennst Du Deinen Wohlthäter!«

Man sah deutlich, daß Bernhard sprechen wollte, doch so groß war sein Erstaunen, daß er keine Worte finden konnte; endlich wurde seine Brust frei und er rief wie wahnsinnig:

»Abulfaragus! Aleidis! Arnold! o Meister, Du bist kein Mörder, und Dein Name ist Hugo von Craenhove!«

Unmöglich wäre es, den Ausdruck von Hugos Gesicht zu beschreiben. Seine Augen flammten auf und sein Haupt beugte sich herab zu Bernhard, als ob er ihn um Aufklärung bitte.

Der Jüngling rief auf’s Neue:

»Nein, Hugo, Du bist kein Mörder; Dein Bruder lebt!«

Mit lautem Schrei und einem Strom von Thränen fiel Hugo von seinem Bette, kroch bis zu Bernhard hin, faßte seine Hand und seufzte:

»Was sagst Du? ich habe meinen Bruder nicht ermordet? Ich bin kein Mörder? Er lebt? Da hast ihn lebend gesehen nach jener schrecklichen Nacht? O Gott, dürft’ ich es glauben! Aber Du irrst; ich habe ihn ermordet – dort klebt ja noch sein Blut? Sprich, sprich um Gotteswillen!«

»Nein, nein, Meister,« rief Bernhard, ich irre nicht. Arnold von Craenhove lebt, sage ich Dir. Er selbst gab mir die süße Aleidis zur Schwester! Ich habe acht Jahre meines Lebens auf dem Laternenhofe zugebracht, und ich kenne die Geschichte jener schrecklichen Nacht.

»Der Schlag, den Du Deinem Bruder beibrachtest, hast ihn nicht getödtet. Nichts hat er davon behalten, als eine tiefe Narbe, die er auf der Stirne trägt. Jetzt erst verstehe ich, warum Abulfaragus mich verbannte, nur um Dich zu Deinem Bruder Arnold, meinem Herrn, zurückzubringen.«

Nun zweifelte Hugo nicht mehr an der Wahrheit von Bernhards Worten. Er warf sich vor dem Kreuze nieder, und begann mit lauter Stimme ein Dankgebet zu Gott. Als er aufstand, schwebte das Lächeln der Seligkeit auf seinem Antlitze und er wiederholte mit unsagbarer Freude:

»Ach! ich bin kein Mörder, kein Mörder!«

Dann setzte er sich abgemattet auf den Rand des Bettes, während die Thränen des Glückes über seine Wangen strömten.

Eine Zeitlang hatte Bernhard sein Antlitz mit der Hand bedeckt, wie Jemand, der in tiefes Nachdenken versunken ist. Nach einigen Augenblicken näherte er sich Hugo und sprach:

»Herr, der gnädige Gott hat mich für einige Zeit unglücklich gemacht, um mich als Werkzeug seiner Beschlüsse zu benützen; meine Sache ist beinahe vollbracht. – Nun muß ich nach Abulfaragus’ Prophezeiung eiligst nach dem Laternenhofe zurück, um das Leiden Deines Bruders Arnold in Seligkeit zu wandeln.«

Ein trauriges Gefühl verdüsterte Hugos Gesicht.

»Mein Bruder!« sagte er nachdenklich, »mein Bruder! sollte ich vor ihm erscheinen dürfen? Wird er mich nicht mit Vorwürfen überschütten? Und doch, o Gott, ich muß ihn sehen, ihn um Vergebung bitten, einen Bruderkuß auf meiner Wange fühlen, meine Schwester Aleidis umarmen – und dann, dann sterben, sterben unter dem Schatten der Thürme meines väterlichen Schlosses . . . o Seligkeit!«

»Dein Bruder,« fiel ihm Bernhard in die Rede, wird Dich wie einen Engel empfangen, der ihm die Vergebung vom Herrn bringt. Er hat gelitten, wie Du; auch er ist abgemagert, auch er beugt sein Haupt unter der Reue. Wissen, daß Du lebst, und daß er durch seine Spöttereien Deinen Tod nicht verursacht hat! o das wird ihm wieder Kraft geben; er wird mich segnen, wie seinen Erlöser, glaub’ es, Meister.«

Nochmals folgte auf diese Worte ein tiefes Stillschweigen, nach welchem sich Graf Hugo aufrichtete, und dann die Hand Bernhards ergreifend, bittend zu ihm sagte:

»Mein guter Sohn, Du wirst Dich vielleicht über die Bitte wundern, die ich nun an Dich richten will; es ist vielleicht der letzte Dienst, den, Du mir erweisen kannst.«

»Alles, alles!« rief Bernhard. »Sprich, ich habe noch nichts gethan für den Wohlthäter, der mich lesen lehrte!«

»Nun, Jüngling, ich will mit Dir nach dem Laternenhofe gehen. Wirst Du den Muth und die Kraft haben, meine matten Glieder dorthin zu führen?«

»Du bist so schwach, Meister,« seufzte Bernhard. »Es ist zwei volle Stunden von hier entfernt! Werden Dir nicht die Kräfte schwinden? – Wenn Du hier bleibst, werde ich noch diesen Abend mit einem Wagen zurückkommen, um Dich zu holen.«

»Meine Ungeduld ist zu groß,« antwortete Hugo, »und dazu, mein Sohn, verstehst Du nicht, es würden Diener und Waffenknechte mit dem Wagen zurückkommen! So will ich nicht wiederkehren!«

»Verfüge über mich,« sprach Bernhard, »ich bin bereit!«

Graf Hugo drückte dankbar die Hand des Jünglings und sagte:

»Mein Sohn, diese Wohnung des Wehrwolfs darf Nicht als ein Zeuge seiner trüben Geschichte stehen bleiben. Nimm ein Theil Moos und Blätter aus dem Bette, reiße die Aeste aus dem Boden, lege sie darauf und auch das Lesepult dazu.«

Als dies gethan war, faßte Hugo das blutige Koller und stellte dasselbe auf den Haufen.

Bernhard gehorchte, ohne zu sprechen, obwohl sich eine große Verwunderung auf seinem Gesichte malte. Er legte das Kreuz in einiger Entfernung nieder und ging in die Hütte zurück. Da fand er Hugo damit beschäftigt, vermittelst eines Kiesel, den er an sein Schwert schlug, Feuerfunken auf etwas Wolle fallen zu machen. Da erst begriff Bernhard seine Absicht. Er lief eilig zu dem großen Buche und nahm es unter den Arm, als einen Freund, den er aus dem Brande retten wollte. Zu dem Reisesack tretend, fragte er:

»Meister, dies Geld?«

»Willst Du davon nehmen?« antwortete Hugo, »so thue es.«

Bernhard nahm zwei von den Goldstücken und steckte sie zu dem kleinen Buch in seinen Sack! Nach seinem Gesichte zu urtheilen, nahm er das Geld nicht ohne Absicht.

Plötzlich faßte die Wolle Feuer und flammte bei Hugos Blasen wild auf. Dieser nahm Bernhards Hand, führte ihn zur Hütte hinaus, hieß ihn das Kreuz nehmen und ging mit ihm bis unter den Eichbaum. Als sie sich umkehrten sahen sie Rauchwolken über der Hütte aufsteigen; bald zerbrachen die Flammen das Dach und umringten in einem Augenblick des Wehrwolfs Aufenthalt.



»Nun, mein Kind,« sagte Hugo, »beten wir noch einmal in diesem Wald zu Gott.«

Dies sagend, kniete er langsam nieder, und hob seine seine Hände in die Höhe. Bernhard that ebenso und, während das Feuer die Hütte verzehrte, sandten beide in der Stille der Natur ein Gebet aus tiefem Herzen zu Gott, und sagten ein feurig Lebewohl der Einsamkeit, die der Wehrwolf so lange mit Thränen befeuchtet hatte. Nachdem die Hütte eingestürzt war, standen sie auf, stellten das hölzerne Kreuz als Denkzeichen vor den Eichbaum und schlugen langsamen Schrittes den Fußpfad ein. Etwas später waren sie auf der Haide.

Graf Hugo hatte zu viel auf seine Kräfte gebaut; kaum hatte er den Wald verlassen, als seine Füße erstarrten und er eine große Abmattung in allen seinen Gliedern fühlte; er setzte sich nieder und ließ traurig den Kopf sinken. Bernhard brach indeß den Ast einer Eiche ab, um sich als Gehstock desselben zu bedienen und kam dann zu Hugo zurück.

»Habe Muth, Herr,« sprach er, »ich werde Dich unterstützen, Dich tragen, wenn ich kann. Wir werden langsam fortgehen; habe nur Muth!«

Indessen half er dem schwachen Hugo sich aufrichten, er legte die Schulter unter seinen Arm, damit er darauf ruhen könnte. So gingen die zwei Reisenden langsam und wankend über die Haide und unterbrechen ihre Wanderung durch wiederholtes Ausruhen.

Lange Zeit herrschte ein reinliches Schweigen zwischen beiden; doch begannen sie nach und nach ein tröstendes Gespräch. Ohne Zweifel erzählte Bernhard die Geschichte seines wechselvollen Lebens; denn während der Rede erglänzten seine Augen oft von dem Feuer der Freude; Aleidis Name erklang unter den einsamen Bäumen, und gewiß hörten die stillen Felder das Bekenntniß seiner geheimsten Gefühle. Wie sehr auch Hugo gegen die Ermüdung rang, so lächelte er doch bei dem Gedanken an die adlige Geburt seines jugendlichen Begleiters und vermuthete, daß eine gegenseitige Zuneigung Bernhard und Aleidis verband. Die Erzählung des Jünglings überzeugte ihn, daß Arnold seine Spötterei bereue und ihn trotz der tödtlichen Wunde, die er ihm beigebracht, noch liebe. Diese trostreiche Versicherung schenkte ihm etwas mehr Lebenskraft; er kämpfte muthig gegen die Lahmheit seiner Füße, und gelangte so, etwa um zwei Uhr Nachmittags, mit Bernhard in einen kleinen Wald bei Wyneghem.

Hier versagten ihm seine Kräfte; er sank an einem Baume wie leblos nieder; – und doch hatte sein Antlitz noch einen seligen Ausdruck: seine Augen waren lebendig, seine hohlen Wangen durch die Ermüdung gefärbt. – Sein Herz war mächtiger, als sein Körper und die Hoffnung, nach kurzer Ruhe seine Reise fortsetzen zu können, hielt ihn aufrecht.

Bernhard war tief bekümmert und besorgt; er sah ängstlich umher, ob er nichts fände, das als Kissen für Hugo dienen konnte. Als er dieß nicht fand, streckte er sich auf der Erde aus und unterstützte Hugo mit seinem eignen Körper.

Kein Seufzer wurde gehört, keine Bewegung verrieth Leben in diesen zwei ausgestreckt Daliegenden, bis nach einer halben Stunde Graf Hugo zu Bernhard sagte:

»Mein Sohn, ich habe Durst.«

Der Jüngling legte das Haupt Hugos auf das Moos, stand auf und antwortete:

»Ruhe, Herr, ich will nach Trinken gehen. Wirst Du den Durst ertragen, bis ich wiederkomme?«

»Ich werde noch so lange ruhen,« seufzte Hugo. Bernhard, dieß hörend, ging durch die Bäume, aber sobald er Hugo aus dem Gesichte war, lief er aus aller Macht nach dem Dorfe Wyneghem. Hier tauschte er eines seiner Goldstücke gegen einen Krug Bier, gesottenes Fleisch, Brod, und Butter aus. Beladen mit diesem Vorrath, kehrte er zu Hugo zurück. Dieser saß aufgerichtet an dem Baume und schien von seiner Ermüdung hergestellt. Er aß und trank, was ihm Bernhard anbot und erfreute seinen Freund durch den wieder gewonnenen Muth.

Rasch nahm Bernhard Buch und Stock auf; Hugo stützte sich wieder aus seine Schulter und sie verließen den Ruheplatz, um ihre Reise fortzusetzen.

Zwei Stunden, ehe die Sonne hinabsank, sahen sie endlich die Thurme des Laternenhofs. Beide waren vom selben Gefühle ergriffen und ihre Pulse jagten wilder ein leichtes Zittern machte sie beben und ihre Augen ruhten auf der Ferne ohne daß ein Wort ihre Gefühle ausdrückte.

Man sollte glauben, ihre Schritte hätten sich verdoppelt, und eine heftige Ungeduld sie mit größerer Eile fortgetrieben? Es geschah das Gegentheil; sie sanken beide zur Erde und verblieben einige Zelt in dieser Betrachtung des Laternenhofes, während die Thränen aus ihren Augen perlten.

Hugo begann zu sprechen:

»O mein Sohn, könntest Du sehen, was in meinem Herzens vor sich geht! Welche Freude mich durchbebt! Da sind sie, die Thürme des väterlichen Schlosses! Nach dreizehn Jahren des Leidens, nachdem ich dreizehn Jahre als Mörder die Schlangen der Reue meinen Busen durchwühlen fühlte, sehe ich sie wieder, ohne ein Mörder zu sein! Das Laub der Bäume, die meine Kinderspiele beschatteten, wird noch einmal den alten Hugo begrüßen. Ich gedenke der Erinnerungen meiner Voreltern, werde meinen Bruder Arnold und meine Aleidis, meinen getreuen Abulfaragus umarmen . . . o der gnädige Gott schenke mir noch einige Tage Leben . . . und dann – dann werde ich dankbar und freudig . . . «

Ein sonderbarer Schrei Bernhards unterbrach seine Rede.

»Sieh!« Sieh!« rief der Jüngling, während er in die Ferne deutete, »sieh unter den Bäumen dort einen alten Mann, der Kräuter pflückt! Er ist es, ja!«

Ehe Hugo sehen konnte, was ihm Bernhard zeigte, war dieser rasch aufgesprungen und lief unter den Bäumen hin, bis zu einem alten Manne. Hugo, ohne ihn von der Ferne erkennen zu können, sah, wie er Bernhard dreimal umarmte und ihn feurig küßte. Nach dieser Begrüßung kamen sie eiligst zu dem Platze gelaufen, wo Hugo war und jetzt, als sie sich ihm näherten, erkannte er erst seinen treuen Abulfaragus. Er stund auf und fiel mit einem Freudenschrei in die Arme des Wahrsagers. Dieser konnte vor innerer Bewegung nicht sprechen und was auch sein Mund sagen wollte, es war unverständlich. Er fiel nieder auf das Gras und vergoß einen Strom von Thränen. Indeß hatte sich Hugo an seiner Seite niedergesetzt und eine seiner Hände gefaßt, Bernhard saß auf der andern Seite in derselben Haltung. Nach einigen Augenblicken trocknete Abulfaragus seine Thränen und betrachtete mit liebevollem Ausdruck das Antlitz Hugos und rief zum Himmel:

»Dank, Dank, o Gott, daß ich ihn noch sehe, ehe ich sterbe!«

Und dann Hugo wieder betrachtend, sagte er:

»Du bist krank und schwach, Herr, aber glaube nicht, daß Du dem Tode verfallen. Muth und Hoffnung, Graf Hugo, Glück und Friede erwartet uns Alle.«

»So ist es denn wahr, Abulfaragus, daß Arnold, mein Bruder, mich nicht haßt?«

»Dich hassen!« antwortete Abulfaragus verwundert, »Dich hassen, Graf Hugo. Dein Gesicht sagt mir, wie sehr Du gelitten; aber ich kann nicht glauben, daß Arnolds Leben weniger bitter war, als das Deine. Du glaubtest Deinen Bruder ermordet zu haben; Arnold glaubte durch seine Spötterei nicht allein die Schuld des Verbrechens, sondern auch eines Selbstmords auf sich geladen zu haben. Nach zwei Jahren vergeblichen Umherirrens ohne eine Spur von Dir zu entdecken, hat er sich im Laternenhofe vergraben, in der Ueberzeugung, Du werdest Dich selbst umgebracht haben. Bedenke, wie schmerzlich ihn dieß gequält! Du bist matt und erschöpft, er ist es noch mehr; – wirst Du Dich freuen, ihn wiederzusehen, er wird vielleicht, wenn er Dich zum erstenmale sieht, wahnsinnig werden.«

»Wohlan, gehen wir zu ihm!« rief Hugo aufstehend. »Laßt mich ihn sehen und Vergebung von ihm erbitten!«

»Herr Graf!« sprach Abulfaragus rasch, »es darf noch nicht sein. Es würde vielleicht Deinen Bruder tödten, wenn Du so plötzlich vor ihm erschienest. Ueberdieß weißt Du: wir haben alle einen schönen Theil unseres Lebens in Thränen und Schmerzen verlebt, um dieß schreckliche Geheimniß zu bewahren. Es darf nicht entdeckt werden. Wenn Graf Hugo von Craenhove bei Tage in diesem armseligen Gewande in das Thor des Laternenhofes träte, mußten die Diener und Waffenknechte nicht auf die Lösung des Räthsels hingewiesen sein und würden sie diese nicht finden! Bleibe hier bis zum Abend; ich werde nach dem Schlosse zurückgehen und Befehl geben, daß keine Seele es verlasse. Indessen werde ich Dir Aleidis senden und selbst in einiger Zeit wieder kommen, Dich zu holen. Bis dahin Geduld; es sind nur noch einige Augenblicke zu den dreizehn Jahren gefügt, das letzte Opfer für die Ehre Deines Hauses!«

Dieß sagend, drückte er die Hand des Grafen und schritt eilig dem Laternenhofe zu.

Erfüllt von Freude und Hoffnung, begann Hugo mit Bernhard ein freundliches Gespräch, das ihnen die Zeit verkürzte.

Plötzlich sahen sie von Ferne eine Edeldame sich ihnen nähern. Sie war groß von Gestalt, in schwarzes Gewand gekleidet und ihr Kopf mit einem durchsichtigen Schleier bedeckt. Obwohl Bernhard diese Dame nicht erkannte, so folgte er doch der Eingebung seines Herzens, sprang vom Grase auf und lief ihr entgegen mit den Worten:

»Schwester, liebe Schwester! Aleidis! Aleidis!«

Zu einer Umarmung bereit, näherte er sich ihr; doch als er nur noch wenig von ihr entfernt war, blieb er, wie vom Schlage getroffen, plötzlich stehen; er ließ seine Arme, fallen und begann zu weinen, während er verschämt und verlegen seine Augen zu Boden senkte. Armee Bernhard, er hatte geglaubt, seine Schwester Aleidis zu finden und nun fand er ein stattliches Fräulein, von bezaubernder Schönheit, die ihn ohne alle Theilnahme anblickte; das Roth der Scham hatte bei dem ersten Anblick ihre alabasterne Stirne gefärbt. Dann fühlte Bernhard erst, daß er grobe und beschmutzte Kleider trug, daß ein Haar verwirrt und sein Antlitz blaß war, da er die letzte Nacht unter bloßem Himmel zugebracht. Die Verzweiflung senkte sich in seine Brust und in diesem Augenblicke wurde er erst vielleicht gewahr, daß ein anderes Gefühl, als Bruderliebe, in seinem Herzen gewurzelt hatte.