Loe raamatut: «H. G. Wells – Gesammelte Werke», lehekülg 31

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Nachschrift

So en­det die Ge­schich­te des selt­sa­men und bö­sen Ex­pe­ri­ments des Un­sicht­ba­ren. Und wer mehr von ihm hö­ren möch­te, der muss in ein klei­nes Wirts­haus in Port Sto­we ge­hen und mit dem Wirt dort re­den. Das Wirts­haus­schild ist ein lee­res Brett, auf dem nichts ge­malt ist als ein Hut und ein Paar Stie­fel, und es nennt sich, so wie die­se Ge­schich­te sich nennt. Der Wirt ist ein klei­ner, di­cker Mann mit ei­ner Stülp­na­se, straf­fen Haa­ren und rot­ge­fleck­tem Ge­sicht. Je­dem, der reich­lich zu trin­ken be­stellt, er­zählt er ganz aus ei­ge­nem An­trieb al­les, was ihm spä­ter noch ge­sch­ah, und wie die Ad­vo­ka­ten ver­such­ten, ihm den Schatz, den man bei ihm fand, ab­zu­spre­chen.

»Als sie schließ­lich her­aus­fan­den, dass sie doch nicht nach­wei­sen konn­ten, wem das Geld ge­hör­te«, be­rich­tet er, »ka­men sie schließ­lich auf die Idee, mich als Staats­ei­gen­tum hin­zu­stel­len. Sehe ich etwa aus wie ein Staats­ei­gen­tum, was? Und dar­auf­hin gab mir ein fei­ner Herr jede Nacht zwan­zig Mark da­für, dass ich die Ge­schich­te im Em­pi­re-Va­rie­te er­zäh­len soll­te … ein­fach so – – mit mei­nen ei­ge­nen Wor­ten.«

Und wer dem Strom sei­ner Rede ein plötz­li­ches Ende set­zen will, der braucht bloß zu fra­gen, ob nicht in der Ge­schich­te auch drei hand­ge­schrie­be­ne Bü­cher vor­ka­men. Er gibt zu, dass sie vor­han­den wa­ren und er­klärt dar­auf mit vie­len Be­teue­run­gen, dass zwar alle Welt glau­be, er hät­te sie – dass er sie aber, wahr­haf­ti­ger Gott, nicht habe! »Der Un­sicht­ba­re hat sie ge­nom­men und ver­steckt, als ich ihm durch­ging und nach Port Sto­we lief. Bloß Mr. Kemp hat die Leu­te auf den Ge­dan­ken ge­bracht, ich hät­te sie.«

Er ver­sinkt in Nach­den­ken, be­ob­ach­tet einen ver­stoh­len, macht sich ner­vös mit sei­nen Glä­sern zu schaf­fen und ver­schwin­det bald dar­auf vom Schank­tisch.

Er ist Jung­ge­sel­le – hat im­mer die Nei­gun­gen ei­nes Jung­ge­sel­len ge­habt – und es ist über­haupt kein Frau­en­zim­mer im Haus. Nach au­ßen hin zeigt sein Rock stets die ge­büh­ren­de An­zahl von Knöp­fen – so wie man es ver­lan­gen kann von ihm. Aber in sei­nem in­ti­me­ren Pri­vat­le­ben – z. B. an sei­nen Ho­sen­trä­gern – hält er sich im­mer noch mehr an Bind­fa­den. Er führt sein Ge­schäft ohne be­son­de­ren Un­ter­neh­mungs­geist, aber mit großem An­stand. Sei­ne Be­we­gun­gen sind ge­mes­sen; und er ist ein großer Den­ker. Im gan­zen Dorf ist er an­ge­se­hen um sei­ner Welt­klug­heit und ach­tens­wer­ten Knick­rig­keit wil­len … Eine auf­fal­len­de Kennt­nis der Land­stra­ßen des gan­zen süd­li­chen Eng­lands kenn­zeich­net ihn …

Sonn­tag mor­gens – je­den Sonn­tag­mor­gen, jahraus, jahrein, wäh­rend er un­zu­gäng­lich ist für die Au­ßen­welt, und jede Nacht nach zehn Uhr ver­schwin­det er in sei­ner Wohn­stu­be hin­ter dem Schank­zim­mer mit ei­nem Glas schwach mit Was­ser ver­misch­ten Brannt­weins in der Hand; nach­dem er es auf den Tisch ge­stellt hat, ver­rie­gelt er die Tür, un­ter­sucht die Fens­ter­lä­den und sieht so­gar un­ter den Tisch. Da­rauf – wenn er sich über­zeugt hat, dass er al­lein ist – öff­net er den Schrank, einen Kas­ten in dem Schrank und ein Fach in dem Kas­ten, zieht drei in brau­nes Le­der ge­bun­de­ne Bü­cher her­vor und legt sie fei­er­lich in die Mit­te des Ti­sches. Die Ein­bän­de sind ver­wit­tert und grün an­ge­lau­fen – denn die Bü­cher ha­ben ein­mal in ei­nem Gra­ben ge­le­gen, und ein paar der Sei­ten sind von Schmutz­was­ser völ­lig ver­wa­schen. – Der Wirt setzt sich in einen Lehn­ses­sel, und stopft sich lang­sam eine lan­ge Ton­pfei­fe – im­mer gie­rig die Bü­cher be­trach­tend. Dann er­greift er ei­nes und fängt an, un­ter fort­wäh­ren­dem Hin- und Her­blät­tern – es zu stu­die­ren.

Sei­ne Brau­en zie­hen sich zu­sam­men, sei­ne Lip­pen be­we­gen sich lang­sam und mü­he­voll: »… oben eine klei­ne Zwei … ein Kreuz und ein … Herr­gott! Was das für eine In­tel­li­genz ge­we­sen sein muss!« Nach ei­ner Wei­le er­lahmt sein Ei­fer; er lehnt sich zu­rück und blin­zelt durch den Pfei­fen­rauch nach Din­gen, die kein an­de­res Auge zu se­hen ver­möch­te. »Lau­ter Ge­heim­nis­se!«, sagt er. »Die wun­der­bars­ten Ge­heim­nis­se!«

»Wenn ich ih­nen erst ein­mal auf den Grund kom­me – – Herr­gott! Ich würd’ es nicht ma­chen wie er! Ich wür­de – – ah …!«

Und er zieht an sei­ner Pfei­fe.

So ver­sinkt er in sei­nen Traum, den un­s­terb­li­chen, wun­der­ba­ren Traum sei­nes Le­bens. Und ob­gleich Kemp un­abläs­sig ge­sucht und ge­forscht hat, weiß kein mensch­li­ches We­sen au­ßer dem klei­nen Wirt, dass die Bü­cher da sind, mit ih­rem un­er­gründ­li­chen Ge­heim­nis der Un­sicht­bar­keit und ei­nem Dut­zend an­de­rer, selt­sa­mer Ge­heim­nis­se … Und kein an­de­rer wird von ih­nen wis­sen … bis zu sei­nem Tod …

ENDE

Die ersten Menschen auf dem Mond

1 – Mr. Bedford lernt Mr. Cavor zu Lympne kennen

Wie ich mich hier mit­ten im Schat­ten des Wein­laubs un­ter dem blau­en Him­mel Sü­dita­li­ens zum Schrei­ben hin­set­ze, wird es mir mit ei­ner ge­wis­sen Tö­nung der Ver­wun­de­rung klar, dass mei­ne Teil­nah­me an den er­staun­li­chen Aben­teu­ern Mr. Ca­vors im Grun­de nur die Fol­ge des reins­ten Zu­falls war. Es hät­te je­der sein kön­nen. Ich ge­riet zu ei­ner Zeit in die­se Din­ge hin­ein, als ich glaub­te, der ge­rings­ten Mög­lich­keit stö­ren­der Er­leb­nis­se ent­rückt zu sein. Ich war nach Lym­pne ge­gan­gen, weil ich den Ort für den er­eig­nis­lo­ses­ten in der gan­zen Welt ge­hal­ten hat­te. »Auf je­den Fall«, sag­te ich, »wer­de ich hier Frie­den fin­den, und eine Mög­lich­keit zu ar­bei­ten.«

Und die­ses Buch ist die Fol­ge; so ab­so­lut wi­der­strei­tet das Ge­schick all den klei­nen Plä­nen der Men­schen.

Ich kann hier viel­leicht er­wäh­nen, dass ich sehr kürz­lich einen scheuß­li­chen Rein­fall in ge­wis­sen ge­schäft­li­chen Un­ter­neh­mun­gen er­lebt hat­te. Jetzt, da ich hier sit­ze, um­ge­ben von al­len Ein­zel­hei­ten des Reich­tums, liegt ein Lu­xus dar­in, mei­ne Not zu­zu­ge­ben. Ich kann so­gar zu­ge­ben, dass mein Un­glück bis zu ei­nem ge­wis­sen Gra­de hand­greif­lich mein ei­ge­nes Werk war. Vi­el­leicht gibt es Rich­tun­gen, in de­nen ich ei­ni­ges Ta­lent habe, aber die Lei­tung von Ge­schäfts­ope­ra­tio­nen ist nicht un­ter ih­nen. Aber in je­nen Ta­gen war ich jung, und mei­ne Ju­gend nahm un­ter an­de­ren ta­delns­wer­ten For­men die ei­nes Stol­zes auf mei­ne ge­schäft­li­chen Fä­hig­kei­ten an. Ich bin noch im­mer jung an Jah­ren, aber die Din­ge, die mir wi­der­fah­ren sind, ha­ben et­was von der Ju­gend aus mei­nem Geis­te fort­ge­trie­ben. Ob sie dar­un­ter ir­gend­wel­che Weis­heit ans Licht ge­bracht ha­ben, das ist we­ni­ger zwei­fel­los.

Es ist kaum nö­tig, im ein­zel­nen auf die Spe­ku­la­tio­nen ein­zu­ge­hen, die mich zu Lym­pne in Kent lan­de­ten. Heut­zu­ta­ge hängt selbst um Ge­schäfts­un­ter­neh­mun­gen ein star­ker Schein des Aben­teu­ers. Ich ris­kier­te et­was. In die­sen Din­gen han­delt es sich un­wei­ger­lich um eine ge­wis­se Men­ge von Ge­ben und Neh­men, und schließ­lich fiel mir das Ge­ben zu. Ich tat es wi­der­stre­bend ge­nug. Selbst als ich aus al­lem her­aus war, hielt es ein wi­der­haa­ri­ger Gläu­bi­ger für an­ge­bracht, bös­wil­lig zu sein. Vi­el­leicht ist Ih­nen ein­mal je­nes flam­men­de Ge­fühl ver­letz­ter Tu­gend be­geg­net, oder viel­leicht ha­ben Sie es nur ge­fühlt. Er jag­te mich scharf. Mir schi­en zu­letzt, mir blieb nichts wei­ter üb­rig, als ein Dra­ma zu schrei­ben, wenn ich mich nicht als Hand­lungs­ge­hil­fe um mei­nen Le­bens­un­ter­halt pla­gen woll­te. Ich habe eine ge­wis­se Fan­ta­sie und lu­xu­ri­öse An­la­gen, und ich ge­dach­te, kräf­tig dar­um zu kämp­fen, ehe mich je­nes Schick­sal fass­te. Au­ßer mei­nem Glau­ben an mei­ne Ta­len­te als Ge­schäfts­mann hat­te ich in je­nen Ta­gen stets die Vor­stel­lung ge­habt, ich sei im­stan­de, ein sehr gu­tes Dra­ma zu schrei­ben. Ich glau­be, die­se Über­zeu­gung ist nicht sehr un­ge­wöhn­lich. Ich wuss­te, au­ßer le­gi­ti­men Ge­schäftss­pe­ku­la­tio­nen hat nichts so üp­pi­ge Mög­lich­kei­ten, und sehr wahr­schein­lich be­ein­fluss­te das mei­ne Mei­nung.

Ich ent­deck­te bald, dass ein Dra­ma zu schrei­ben, län­ge­re Zeit in An­spruch nahm, als ich vor­aus­ge­setzt hat­te; erst hat­te ich zehn Tage dar­auf ge­rech­net, und ich kam nach Lym­pne, um ein pied-à-ter­re1 zu ha­ben, so­lan­ge es in Ar­beit war. Ich schätz­te mich glück­lich, dass ich das klei­ne Som­mer­haus be­kam. Ich be­kam es auf drei­jäh­ri­gen Kon­trakt. Ich setz­te ein paar Stück Mö­bel hin­ein, und so­lan­ge das Dra­ma in Ar­beit war, be­sorg­te ich mein Ko­chen sel­ber. Mein Ko­chen hät­te Mrs. Bond ent­setzt. Und doch, wis­sen Sie, es hat­te Wür­ze. Ich hat­te einen Kaf­fee­topf, einen Blech­ko­cher für Eier und einen für Kar­tof­feln und eine Brat­pfan­ne für Wurst und Speck – das war der ein­fa­che Ap­pa­rat mei­ner Ge­müt­lich­keit. Man kann nicht im­mer groß­ar­tig sein, aber die Ein­fach­heit ist eine stets mög­li­che Al­ter­na­ti­ve. Im üb­ri­gen hat­te ich auf Kre­dit ein Acht­zehn-Gal­lo­nen-Fass Bier ein­ge­nom­men, und ein ver­trau­ens­vol­ler Bä­cker kam je­den Tag. Es war viel­leicht nicht im Stil von Sy­ba­ris, aber ich habe schlim­me­re Zei­ten er­lebt. Der Bä­cker tat mir ein we­nig leid, denn er war wirk­lich ein sehr an­stän­di­ger Mann, aber selbst für ihn hoff­te ich.

Wenn je­mand Ein­sam­keit sucht, so ist si­cher­lich Lym­pne der Ort. Es liegt im Lehm­teil von Kent, und mein Häu­schen stand auf dem Ran­de ei­ner al­ten Mee­res­klip­pe und blick­te über die Mar­sche­be­ne von Rom­ney aufs Meer hin­aus. Bei sehr nas­sem Wet­ter ist der Ort fast un­zu­gäng­lich, und ich habe ge­hört, der Post­bo­te gehe zu­zei­ten die saf­ti­ge­ren Tei­le sei­ner Stra­ße mit Bret­tern an den Fü­ßen. Ich habe es nie ge­se­hen, aber ich kann es mir ganz gut vor­stel­len. Vor den Tü­ren der we­ni­gen Hüt­ten und Häu­ser, die das ge­gen­wär­ti­ge Dorf aus­ma­chen, ste­cken große Bir­ken­be­sen, mit de­nen man den schlimms­ten Lehm ab­fegt, was eine un­ge­fäh­re Vor­stel­lung von der Be­schaf­fen­heit des Distrikts ge­ben wird. Ich zweifle, ob der Ort über­haupt vor­han­den sein wür­de, wenn er nicht eine ver­blas­sen­de Erin­ne­rung an auf ewig ver­gan­ge­ne Din­ge wäre. Er war zu rö­mi­schen Zei­ten der große Ha­fen Eng­lands, Por­tus Le­ma­nus, und jetzt ist das Meer vier Mei­len ent­fernt. Den gan­zen stei­len Hü­gel hin­un­ter fin­det man Ge­röll und Mas­sen rö­mi­scher Zie­gel, und von ihm aus springt die alte Wat­ling Street, stel­len­wei­se noch ge­pflas­tert, wie ein Pfeil nach Nor­den. Ich stand oft auf dem Hü­gel und dach­te an all das, die Ga­lee­ren und Le­gio­nen, die Ge­fan­ge­nen und Of­fi­zie­re, die Spe­ku­lan­ten wie mich, den gan­zen Schwarm und Tu­mult, der im Ha­fen ein und aus ras­sel­te. Und jetzt ge­ra­de noch ein paar Hau­fen Ge­röll auf ei­nem Gras­hang, ein oder zwei Scha­fe – und ich! Und wo der Ha­fen ge­we­sen war, la­gen die Marsch­flä­chen, die sich rings in wei­ter Kur­ve bis zum fer­nen Dun­ge­neß her­um­schwan­gen und hier und dort mit drei Bäu­men und dem Kirch­turm mit­tel­al­ter­li­cher Städ­te ge­spren­kelt wa­ren, die jetzt Le­ma­nus in das Ver­lö­schen folg­ten.

Je­ner Aus­blick auf die Marsch war denn auch eine der schöns­ten Aus­sich­ten, die ich je ge­se­hen habe. Ich glau­be, Dun­ge­neß war fünf­zehn Mei­len ent­fernt; es lag wie ein Floß auf dem Mee­re, und wei­ter nach Wes­ten hin la­gen die Hü­gel von Has­tings un­ter der un­ter­ge­hen­den Son­ne. Bis­wei­len hin­gen sie nah und klar, bis­wei­len schie­nen sie blass und nied­rig, und oft ver­barg der Zug des Wet­ters sie dem Auge ganz. Und all die nä­he­ren Tei­le der Marsch wa­ren von Grä­ben und Kanä­len durch­zo­gen und er­hellt.

Das Fens­ter, an dem ich ar­bei­te­te, über­blick­te den Ho­ri­zont die­ses Kam­mes, und von die­sem Fens­ter aus kam mir Ca­vor zu­erst vor die Au­gen. Ich rang ge­ra­de mit mei­nem Sze­na­ri­um und hielt mei­nen Geist an die blo­ße, har­te Ar­beit dar­an nie­der­ge­drückt, und na­tür­lich ge­nug stör­te er mei­ne Auf­merk­sam­keit.

Die Son­ne war un­ter­ge­gan­gen, der Him­mel war eine leb­haf­te Ruhe von Grüns und Gelbs, und ge­gen ihn tauch­te er schwarz auf – die son­der­bars­te klei­ne Ge­stalt.

Er war ein kur­z­er, rund­lei­bi­ger, dünn­bei­ni­ger klei­ner Mann mit et­was Ruck­wei­sem in sei­nen Be­we­gun­gen; er hat­te es für an­ge­bracht ge­hal­ten, sei­ne au­ßer­or­dent­li­che See­le in eine Kricket­müt­ze, einen Über­rock und Rad­fahr­ho­se und -St­rümp­fe zu klei­den. Wa­rum er das tat, weiß ich nicht, denn er fuhr nie Rad und spiel­te nie Kricket. Es war ein zu­fäl­li­ges Zu­sam­men­tref­fen von Klei­dungs­stücken, das sich, ich weiß nicht wie, er­ge­ben hat­te. Er ges­ti­ku­lier­te mit den Hän­den und Ar­men, warf sei­nen Kopf um­her und summ­te. Er summ­te wie et­was Elek­tri­sches. Nie hat man so ein Sum­men ge­hört. Und von Zeit zu Zeit räus­per­te er sich mit ganz au­ßer­or­dent­li­chem Lärm.

Es war Re­gen ge­fal­len, und je­nes, sein krampf­haf­tes Ge­hen, wur­de noch durch die äu­ßers­te Schlüpf­rig­keit des Fuß­pfads ver­stärkt. Genau, als er vor die Rich­tung der Son­ne kam, mach­te er Halt, zog eine Uhr her­aus, zö­ger­te. Dann mach­te er mit ei­ner Art krampf­haf­ter Ges­te kehrt und zog sich mit je­dem Zei­chen der Eile zu­rück; er ges­ti­ku­lier­te nicht mehr, son­dern ging mit wei­ten Schrit­ten, die das re­la­tiv große For­mat sei­ner Füße – sie wur­den, wie ich mich er­in­ne­re, im For­mat durch an­haf­ten­den Lehm gro­tesk über­trie­ben – so vor­teil­haft wie nur mög­lich zeig­ten.

Dies ge­sch­ah am ers­ten Tage mei­nes Auf­ent­halts, als mei­ne Dra­men­schrei­be-Ener­gie auf ih­rer Höhe stand, und ich be­trach­te­te den Zwi­schen­fall nur als eine är­ger­li­che Ablen­kung – die Ver­schwen­dung von fünf Mi­nu­ten. Ich kehr­te zu mei­nem Sze­na­ri­um zu­rück. Aber als sich die Er­schei­nung am Abend dar­auf mit merk­wür­di­ger Prä­zi­si­on wie­der­hol­te, und so­gar je­den Abend, wenn kein Re­gen fiel, wur­de die Kon­zen­tra­ti­on und das Sze­na­ri­um zu ei­ner be­trächt­li­chen An­stren­gung. »Zum Hen­ker mit dem Kerl«, sag­te ich, »man könn­te mei­nen, er wol­le Ma­rio­net­ten­spie­len ler­nen!« und meh­re­re Aben­de lang ver­fluch­te ich ihn aus gan­zem Her­zen.

Dann wich mein Är­ger dem Stau­nen und der Neu­gier. Wa­rum auf al­ler Welt konn­te ich es nicht mehr aus­hal­ten, und so­bald er er­schi­en, öff­ne­te ich das fran­zö­si­sche Fens­ter, ging über die Ve­ran­da und nahm die Rich­tung auf den Punkt zu, wo er un­ab­än­der­lich Halt mach­te.

Er hat­te die Uhr ge­zo­gen, als ich ihn er­reich­te. Er hat­te ein run­des, ro­tes Ge­sicht mit röt­lich­brau­nen Au­gen – bis­her hat­te ich ihn nur erst ge­gen das Licht ge­se­hen. »Ei­nen Mo­ment, Herr«, sag­te ich, als er kehrt mach­te.

Er starr­te. »Ei­nen Mo­ment«, sag­te er, »si­cher­lich. Oder wenn Sie län­ger mit mir zu re­den wün­schen und es nicht zu viel ver­langt ist – Ihr Mo­ment ist vor­bei – wäre es Ih­nen zu viel Mühe, wenn Sie mich be­glei­te­ten?«

»Nicht im ge­rings­ten«, sag­te ich, in­dem ich mich ne­ben ihn be­gab.

»Mei­ne Ge­wohn­hei­ten sind re­gel­mä­ßig. Mei­ne Zeit für den Ver­kehr – be­grenzt.«

»Dies, neh­me ich an, ist Ihre Zeit für die Be­we­gung?«

»Ganz recht. Ich kom­me hier­her, um den Son­nen­un­ter­gang zu ge­nie­ßen.«

»Das ist nicht wahr.«

»Herr?«

»Sie se­hen ihn nie an.«

»Sehe ihn nie an?«

»Nein. Ich habe Sie drei­zehn Aben­de be­ob­ach­tet, und Sie ha­ben kein ein­zi­ges Mal nach dem Son­nen­un­ter­gang ge­blickt – kein ein­zi­ges Mal.«

Er run­zel­te die Stirn, wie ei­ner, der auf ein Pro­blem stößt.

»Nun, ich ge­nie­ße das Son­nen­licht – die At­mo­sphä­re – ich gehe die­sen Pfad ent­lang, durch die Pfor­te da« – er ruck­te mit dem Kopf über die Schul­ter – »und her­um – –«

»Das ist nicht wahr. Das ha­ben Sie nie ge­tan. Das ist al­les Un­sinn. Es gibt da gar kei­nen Weg. Heut abend, zum Bei­spiel – –«

»O! Heut abend! Las­sen Sie se­hen; Ah! ich blick­te ge­ra­de auf mei­ne Uhr, sah, dass ich schon drei Mi­nu­ten über die prä­zi­se hal­be Stun­de aus­ge­we­sen war, ent­schied, ich hät­te kei­ne Zeit mehr, her­um­zu­gehn, mach­te kehrt –«

»Das tun Sie im­mer.«

Er sah mich an und dach­te nach. »Vi­el­leicht ja, jetzt, wo ich drü­ber nach­den­ke. Aber wor­über woll­ten Sie mit mir re­den?«

»Nun, dar­über!«

»Dar­über?«

»Ja. Wa­rum tun Sie das? Je­den Abend kom­men Sie und ma­chen ein Geräusch – –«

»So« – ich ahm­te sein sum­men­des Geräusch nach.

Er sah mich an, und es war klar, das Sum­men er­weck­te Wi­der­wil­len. »Das tue ich?«, frag­te er.

»Je­den lie­ben Abend.«

»Ich hat­te kei­ne Ah­nung.«

Er blieb ste­hen. Er sah mich ernst an. »Ist es mög­lich«, sag­te er, »dass ich eine An­ge­wohn­heit an­ge­nom­men habe?«

»Nun, es sieht so aus. Nicht wahr?«

Er zog zwi­schen Fin­ger und Dau­men die Un­ter­lip­pe her­ab. Er blick­te eine Pfüt­ze zu sei­nen Fü­ßen an.

»Mein Geist ist sehr be­schäf­tigt«, sag­te er. »Und Sie wol­len wis­sen, warum! Ja, Herr, ich kann Sie ver­si­chern, dass ich nicht nur nicht weiß, warum ich die­se Din­ge tue, son­dern ich wuss­te nicht ein­mal, dass ich sie tat. Wenn ich nach­den­ke, es ist ge­nau, wie Sie sa­gen; ich bin nie über das Feld hin­aus­ge­gan­gen … Und die­se Din­ge be­läs­ti­gen Sie?«

Aus ir­gend­ei­nem Grun­de be­gann ich ver­söhn­li­cher ge­gen ihn zu wer­den. »Be­läs­ti­gen nicht«, sag­te ich. »Aber – stel­len Sie sich vor, Sie schrie­ben ein Dra­ma!«

»Könn­te ich nicht.«

»Nun, ir­gend et­was, wozu Kon­zen­tra­ti­on nö­tig ist.«

»Ah!«, sag­te er, »na­tür­lich«, und er dach­te nach. Sein Aus­druck sprach so be­redt von Kum­mer, dass ich noch ver­söhn­li­cher wur­de. Schließ­lich ist es ein we­nig ag­gres­siv, wenn man ei­nem Men­schen sagt, man wis­se nicht, warum er auf ei­nem öf­fent­li­chen Fuß­weg summt.

»Sie sehn«, sag­te er schwach, »es ist eine An­ge­wöh­nung.«

»O, das sehe ich ein.«

»Ich muss sie ein­stel­len.«

»Nicht, wenn es Sie stört. Schließ­lich hat­te ich kein Recht – ich habe mir so et­was wie eine Frei­heit her­aus­ge­nom­men.«

»Durchaus nicht«, sag­te er, »durch­aus nicht. Ich bin Ih­nen sehr ver­bun­den. Ich soll­te mich vor sol­chen Din­gen hü­ten. Ich wer­de es in Zu­kunft. Könn­te ich Sie noch ein­mal be­mü­hen? – Dies Geräusch?«

»Etwa so«, sag­te ich: »Su­suhh, Su­suhh. Aber wirk­lich, wis­sen Sie – –«

»Ich bin Ih­nen sehr ver­bun­den. Ich weiß auch, ich wer­de ab­surd geis­tes­ab­we­send. Sie ha­ben ganz recht – voll­stän­dig recht. Wahr­haf­tig, ich bin in Ih­rer Schuld. Die Sa­che soll auf­hö­ren. Und jetzt, Herr, ich habe Sie schon wei­ter mit­ge­nom­men, als ich hät­te tun sol­len.«

»Ich hof­fe, mei­ne Im­per­ti­nenz – –«

»Durchaus nicht, Herr, durch­aus nicht.«

Wir blick­ten ein­an­der einen Au­gen­blick an. Ich hob den Hut und wünsch­te ihm einen gu­ten Abend. Er er­wi­der­te krampf­haft, und so gin­gen wir un­se­rer Wege.

Am Zaun­tritt blick­te ich auf sei­ne ver­schwin­den­de Ge­stalt zu­rück. Sein Ge­ba­ren war merk­wür­dig ver­än­dert, er schi­en lahm, zu­sam­men­ge­schrumpft. Der Kon­trast mit sei­nem ehe­ma­li­gen ges­ti­ku­lie­ren­den, sum­men­den Selbst er­griff mich ab­sur­der­wei­se als pa­the­tisch. Ich be­ob­ach­te­te ihn, bis er nicht mehr zu se­hen war. Dann kehr­te ich mit dem herz­li­chen Wunsch, ich hät­te mich an mei­ne ei­ge­nen An­ge­le­gen­hei­ten ge­hal­ten, in mein Som­mer­haus und zu mei­nem Dra­ma zu­rück.

Am nächs­ten Abend sah ich ihn nicht. Aber er lag mir sehr im Sinn, und mir war ein­ge­fal­len, er kön­ne in der Ent­wick­lung mei­nes Dra­mas als ein sen­ti­men­tal ko­mi­scher Cha­rak­ter ei­nem nütz­li­chen Zwe­cke die­nen. Am drit­ten Tage mach­te er mir einen Be­such.

Eine Zeit lang plag­te mich der Ge­dan­ke, was ihn wohl her­ge­führt habe. Er mach­te aufs for­mells­te gleich­gil­ti­ge Kon­ver­sa­ti­on; dann kam er un­ver­mit­telt aufs Ge­schäft. Er woll­te mich aus mei­nem Haus her­aus­kau­fen.

»Sie sehn«, sag­te er, »ich ta­de­le Sie nicht im ge­rings­ten, aber Sie ha­ben eine Ge­wohn­heit zer­stört, und das des­or­ga­ni­siert mir mei­nen Tag. Ich bin hier jah­re­lang ge­gan­gen – Jah­re. Ohne Zwei­fel habe ich ge­summt … All das ha­ben Sie un­mög­lich ge­macht!«

Ich schlug vor, er sol­le es mit ei­ner an­de­ren Rich­tung ver­su­chen.

»Nein. Es gibt kei­ne an­de­re Rich­tung. Dies ist die ein­zi­ge. Ich habe mich er­kun­digt. Und jetzt – je­den Nach­mit­tag um vier – da komm ich an eine blin­de Mau­er.«

»Aber, mein lie­ber Herr, wenn die Sa­che für Sie von sol­cher Be­deu­tung ist – –«

»Es ist eine Le­bens­fra­ge. Sie sehn, ich bin – ich bin ein For­scher – ich bin mit ei­ner wis­sen­schaft­li­chen Un­ter­su­chung be­schäf­tigt. Ich woh­ne – –« er hielt inne und schi­en zu den­ken. »Da drü­ben«, sag­te er und zeig­te plötz­lich in ge­fähr­li­che Nähe mei­nes Au­ges. »Das Haus mit den wei­ßen Schorn­stei­nen, die Sie da ge­ra­de über den Bäu­men se­hen. Und mei­ne Ver­hält­nis­se sind anor­mal – anor­mal. Ich ste­he im Be­griff, eins der al­ler­wich­tigs­ten Ex­pe­ri­men­te zu vollen­den – ich kann sie ver­si­chern, eins der al­ler­wich­tigs­ten Ex­pe­ri­men­te, die je ge­macht sind. Das er­for­dert be­stän­di­ges Den­ken, be­stän­di­ge geis­ti­ge Frei­heit und Ak­ti­vi­tät. Und der Nach­mit­tag war mei­ne glän­zends­te Zeit! – gä­rend von neu­en Ge­dan­ken – neu­en Ge­sichts­punk­ten.«

»Aber warum nicht wei­ter dort vor­bei­gehn?«

»Al­les wäre an­ders. Ich wäre be­wusst. Ich wür­de an Sie bei Ihrem Dra­ma den­ken – wie Sie mich ge­reizt be­ob­ach­ten – statt an mei­ne Ar­beit zu den­ken. Nein! ich muss das Haus ha­ben.«

Ich über­leg­te. Na­tür­lich woll­te ich die Sa­che gründ­lich durch­den­ken, ehe et­was Ent­schei­den­des ge­sagt wur­de. Ich war im All­ge­mei­nen in je­nen Ta­gen zu Ge­schäf­ten be­reit ge­nug, und Ver­kau­fen hat­te mich im­mer an­ge­zo­gen; aber ers­tens war es nicht mein Haus, und selbst wenn ich es ihm zu ei­nem gu­ten Prei­se ver­kauf­te, konn­te ich in der Über­ga­be der Gü­ter Unan­nehm­lich­kei­ten ha­ben, wenn der lau­fen­de Be­sit­zer von dem Ge­schäft Wind be­kam, und zwei­tens war ich, nun – nicht schul­den­frei. Es war ent­schie­den ein Ge­schäft, das vor­sich­ti­ges Ver­fah­ren er­for­der­te. Oben­drein in­ter­es­sier­te mich auch die Mög­lich­keit, dass er auf der Spur ei­ner wert­vol­len Er­fin­dung war. Mir kam der Ge­dan­ke, dass ich gern mehr von sei­ner Un­ter­su­chung wüss­te, ohne jede un­ehr­li­che Ab­sicht, ein­fach mit dem Ge­dan­ken, zu er­fah­ren, was es war, wür­de eine Ablen­kung vom Dra­men­schrei­ben sein. Ich streck­te Fühl­hör­ner aus.

Er war ganz be­reit, Aus­kunft zu ge­ben. Ja, als er ein­mal recht im Gan­ge war, wur­de die Un­ter­hal­tung zum Mo­no­log. Er re­de­te wie ein lan­ge ein­ge­sperr­ter Mensch, der es wie­der und wie­der bei sich durch­ge­gan­gen ist. Er re­de­te fast eine Stun­de lang, und ich muss ge­ste­hen, ich fand es ein ziem­lich star­kes Stück, zu­zu­hö­ren. Aber durch al­les lief der Un­ter­ton der Be­frie­di­gung hin­durch, die man fühlt, wenn man eine Ar­beit ver­säumt, die man sich ge­setzt hat. Wäh­rend je­ner ers­ten Un­ter­re­dung wur­de mir sehr we­nig da­von klar, wor­auf sei­ne Ar­beit hin­aus­lief. Die Hälf­te sei­ner Wor­te wa­ren tech­ni­sche Aus­drücke, die mir völ­lig fremd wa­ren, und er il­lus­trier­te ein oder zwei Punk­te mit dem, was ihm ele­men­ta­re Ma­the­ma­tik zu nen­nen be­lieb­te, in­dem er mit ei­nem Ko­piert­in­ten­stift auf ei­nem Ku­vert in ei­ner Wei­se Be­rech­nun­gen an­stell­te, die es schwer mach­ten, auch nur den An­schein zu er­we­cken, als ver­ste­he man. »Ja«, sag­te ich, »ja. Nur wei­ter!« Trotz­dem wur­de mir ge­nug klar, um mich zu über­zeu­gen, dass er kein blo­ßer Schwach­kopf war, der Ent­de­ckun­gen spiel­te. Trotz sei­ner schwach­kopf­ar­ti­gen Er­schei­nung zeig­te er eine Kraft, die das un­mög­lich mach­te. Was es auch war, es war et­was von me­cha­ni­schen Mög­lich­kei­ten. Er er­zähl­te mir von ei­nem Werk­schup­pen, den er habe, und von drei Ge­hil­fen – ur­sprüng­lich in Ak­kord ar­bei­ten­den Zim­mer­leu­ten – die er ab­ge­rich­tet hat­te. Nun ist vom Werk­schup­pen bis zum Pa­tent­amt klär­lich nur ein Schritt. Er lud mich ein, mir die Sa­chen an­zu­se­hen. Ich nahm be­reit­wil­ligst an und sorg­te da­für, dass ich das – durch eine Be­mer­kung oder so – un­ter­strich. Der vor­ge­schla­ge­ne Ver­kauf des Som­mer­häus­chens blieb sehr an­ge­neh­mer­wei­se noch in der Schwe­be.

Schließ­lich stand er auf, um zu ge­hen, und ent­schul­dig­te sich we­gen der Län­ge sei­nes Be­suchs. Über sei­ne Ar­beit zu re­den, sag­te er, war ein Ver­gnü­gen, das er nur zu sel­ten ge­noss. Nicht oft fin­de er einen so in­tel­li­gen­ten Zu­hö­rer wie mich; er ver­keh­re sehr we­nig mit be­rufs­mä­ßi­gen Wis­sen­schaf­ten.

»So­viel Klei­nig­kei­ten«, er­klär­te er, »so­viel Int­rigue! Und wahr­haf­tig, wenn man eine Idee hat – eine neue, be­fruch­ten­de Idee – Ich will nicht un­barm­her­zig sein, aber – –«

Ich bin ein Mann, der an Im­pul­se glaubt. Ich mach­te einen Vor­schlag, der viel­leicht über­eilt war. Aber man muss be­den­ken, dass ich vier­zehn Tage lang in Lym­pne al­lein ge­we­sen war und an ei­nem Dra­ma ge­schrie­ben hat­te, und mein Ge­wis­sens­biss we­gen sei­nes ver­nich­te­ten Spa­zier­gangs ließ mir noch kei­ne Ruhe.

»Wa­rum nicht«, sag­te ich, »dies zu Ih­rer neu­en Ge­wohn­heit ma­chen? Statt der, die ich ver­dor­ben habe? We­nigs­tens, bis wir we­gen des Hau­ses ins rei­ne kom­men kön­nen. Was Sie nö­tig ha­ben, ist, dass Sie Ihre Ar­beit im Geist über­le­gen. Das ha­ben Sie im­mer auf Ihrem Nach­mit­tags­spa­zier­gang ge­tan. Das ist lei­der vor­bei – Sie kön­nen die Din­ge nicht wie­der ma­chen, wie sie wa­ren. Aber warum nicht her­kom­men und mir von Ih­rer Ar­beit er­zäh­len: mich als eine Art Wand be­nut­zen, ge­gen die Sie Ihre Ge­dan­ken wer­fen, um sie wie­der auf­zu­fan­gen? Ge­wiss ist, dass ich nicht ge­nug weiß, um Ihre Ide­en sel­ber zu steh­len – und ich ken­ne kei­ne Wis­sen­schaf­ter – –«

Ich hielt inne. Er über­leg­te. Of­fen­bar zog ihn die Sa­che an. »Aber ich fürch­te, die Sa­che wür­de Sie lang­wei­len«, sag­te er.

»Sie mei­nen, ich bin zu dumm?«

»O, nein; aber tech­ni­sche Din­ge – –«

»Ei­ner­lei, Sie ha­ben mich heu­te Nach­mit­tag un­ge­heu­er in­ter­es­siert.«

»Na­tür­lich wä­re es für mich eine große Hil­fe. Nichts klärt ei­nem sel­ber die Ide­en so sehr auf, wie, wenn man sie aus­ein­an­der­setzt. Bis­her – –«

»Mein lie­ber Herr, sa­gen Sie nichts mehr.«

»Aber wahr­haf­tig, ha­ben Sie die Zeit über?«

»Es gibt kein Aus­ru­hen, das ei­nem Wech­sel der Be­schäf­ti­gung gleich­kommt«, sag­te ich mit tiefer Über­zeu­gung.

Die Sa­che war vor­über. Auf mei­nen Ve­ran­da­stu­fen dreh­te er sich um. »Ich bin schon sehr in Ih­rer Schuld«, sag­te er.

Ich räus­per­te mich fra­gend.

»Sie ha­ben mich völ­lig von die­ser lä­cher­li­chen An­ge­wöh­nung zu sum­men be­freit«, er­klär­te er.

Ich glau­be, ich sag­te, ich freue mich, ihm ir­gend­wie von Nut­zen zu sein, und er wand­te sich fort.

So­fort muss der Ge­dan­ken­gang, den un­se­re Un­ter­hal­tung an­ge­regt hat­te, sei­ne Herr­schaft wie­der auf­ge­nom­men ha­ben. Sei­ne Arme be­gan­nen auf die frü­he­re Art zu schlen­kern. Auf der Bri­se kam das schwa­che Echo des »Su­suhh« zu mir zu­rück …

Nun, schließ­lich war das nicht mei­ne Sa­che …

Er kam am nächs­ten Tage und den Tag dar­auf wie­der und hielt zwei Vor­trä­ge über die Phy­sik zu un­se­rer ge­gen­sei­ti­gen Be­frie­di­gung. Er re­de­te mit ei­ner Mie­ne, als sei er au­ßer­or­dent­lich klar, über den »Äther«, über »Kraft­tu­ben«, über »Gra­vi­ta­ti­ons­po­ten­zen« und ähn­li­che Din­ge, und ich saß in mei­nem zwei­ten Klapp­stuhl und sag­te: »Ja«, »Nur wei­ter«, »Ich ver­ste­he«, um ihn in Gang zu hal­ten. Es war schau­er­lich schwie­ri­ges Zeug, aber ich glau­be nicht, dass er je ahn­te, wie viel da­von ich nicht ver­stand. Es gab Mo­men­te, in de­nen ich zwei­fel­te, ob ich rich­tig be­schäf­tigt sei, aber auf je­den Fall ruh­te ich von dem ver­damm­ten Dra­ma aus. Hin und wie­der glänz­ten mir die Din­ge eine Zeit lang klar auf, aber nur, um zu ver­schwin­den, wenn ich ge­ra­de mein­te, ich habe sie nur zu fas­sen. Bis­wei­len ver­sag­te mei­ne Auf­merk­sam­keit voll­stän­dig, und ich gab es auf und saß und starr­te ihn an und frag­te mich, ob es nicht schließ­lich viel­leicht doch bes­ser sei, ihn in ei­ner gu­ten Far­ce als Zen­tral­fi­gur zu be­nut­zen und all das an­de­re Zeug fah­ren zu las­sen. Und dann be­griff ich viel­leicht wie­der eine Stre­cke weit.

Bei der ers­ten Ge­le­gen­heit ging ich, mir sein Haus an­zu­se­hen. Es war groß und ohne Sorg­falt mö­bliert; Dienst­bo­ten wa­ren au­ßer sei­nen drei Ge­hil­fen kei­ne vor­han­den, und sei­ne Diät war wie sein Pri­vat­le­ben durch eine phi­lo­so­phi­sche Ein­fach­heit ge­kenn­zeich­net. Er war Was­ser­trin­ker, Ve­ge­ta­ri­er und all die­se lo­gi­schen und sys­te­ma­ti­schen Din­ge. Aber der An­blick sei­ner Ein­rich­tung be­sei­tig­te vie­le Zwei­fel. Es sah vom Kel­ler bis zur Dach­stu­be nach Ge­schäft aus – ein er­staun­li­ches Nest in ei­nem ab­ge­le­ge­nen Dor­fe. Die Par­ter­re­zim­mer ent­hiel­ten Ar­beit­s­ti­sche und Werk­zeu­ge, das Back­haus und die Wasch­kü­che hat­ten sich zu an­sehn­li­chen Schmel­zö­fen ent­wi­ckelt, im Kel­ler stan­den Dy­na­mos, und im Gar­ten sah ich einen Ga­so­me­ter. Er zeig­te mir al­les mit dem ver­trau­ens­se­li­gen Wohl­be­ha­gen ei­nes Man­nes, der zu viel al­lein ge­lebt hat. Sei­ne Ab­ge­schlos­sen­heit floss jetzt in ei­nem Über­maß des Ver­trau­ens über, und ich hat­te das Glück, das Ge­fäß für sie zu sein.

Die drei Ge­hil­fen wa­ren un­rühm­li­che Bei­spie­le der Klas­se von Hand­wer­kern, aus der sie stamm­ten. Ge­wis­sen­haft, wenn auch un­in­tel­li­gent, stark, höf­lich und wil­lig. Der eine, Spar­gus, der das Ko­chen und alle Me­tall­ar­beit be­sorg­te, war See­mann ge­we­sen; ein zwei­ter, Gibbs, war Schrei­ner; und der drit­te war ein ehe­ma­li­ger Ak­kord­gärt­ner, jetzt all­ge­mei­ner Ge­hil­fe. Sie wa­ren blo­ße Ar­bei­ter. Alle Ar­beit des In­tel­lekts tat Ca­vor. Selbst im Ver­gleich mit mei­nem wir­ren Ein­druck wa­ren sie von fins­te­rer Un­wis­sen­heit.