Loe raamatut: «Wie man glücklich wird und dabei die Welt rettet», lehekülg 4

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Das Herausspüren des Sinns

Die Studie aus Marienthal verdeutlicht also nachdrücklich, wie wichtig es ist, für sich selbst Sinn finden zu können. Wenn eine Idee wie die des „Bedingungslosen Grundeinkommens“ je realisiert werden soll, muss der Mensch zunächst und von klein auf lernen, sich selbst passende Ziele zu setzen. Diese „fallen einem schließlich nicht in den Schoß“, wie US-Psychologe Todd Kashdan betont. Die einflussreiche österreichische Psychotherapeutin und Psychologin Elisabeth Lukas bekräftigt: „Ein solcher [nachhaltig glücksstiftender und lebenserhaltender] Sinn kann nicht willkürlich gesetzt werden, den muss jeder für sich herausspüren.“

Wichtig wäre daher, dass bereits Kinder vor allem angeregt werden, herauszufinden, was ihrem Leben Sinn geben kann. Dafür benötigen sie geistigen Freiraum. Statt in immer stärker einengende Förderprogramme gesteckt zu werden, statt immer mehr darauf konditioniert zu werden, simple vorgekaute Fakten auswendig zu lernen und nachzukauen, statt unentwegt bespaßt zu werden, wäre es hilfreich, wenn der pädagogische Fokus stärker auf die geistige Entwicklung und Kreativitätsbildung gelegt werden würde. Statt künstlerische Fächer in der Schule einzuschränken und gegenüber den faktenbasierten Fächern abzuwerten, müssten sie eine Aufwertung erfahren.

Schon kleinste Kinder der heutigen Zeit werden nur allzu oft an ein Leben gewöhnt, das ausschließlich aus blinder Arbeitswut und ablenkendem Spaß besteht. Es geht ihnen wie einem Menschen mit einem krankhaften Gelüst nach Pfeffer. Sind die Geschmacksnerven erst einmal betäubt, muss die Menge erhöht werden. Das geht so lange, bis der Mensch gar nichts mehr schmeckt oder erstickt.

Die Unterhaltungsindustrie bietet jedoch gerade im Kinderbereich inzwischen so viele Angebote zu einfacher Ablenkung und radikalem Eskapismus, dass für Muße, Langeweile und die Entwicklung von menschlicher Eigenheit keine Zeit bleibt. Statt eigene sinnstiftende Wege zu entwickeln um etwa empfundener Langeweile zu entkommen, lernen bereits junge Menschen, sich am nächsten Unterhaltungsangebot zu berauschen oder wenigstens zu betäuben. Schon Kinder verkommen zu Dopaminjunkies. Es wird ihnen daher zusehends schwerer, einen eigenen Lebenssinn herauszuspüren.

Genau dieses Herausspüren eines Sinns ist jedoch etwas, das in jeder Lebensphase seinerseits sinnstiftend und damit tragend sein kann. Es ist nie zu spät, sich auf die Suche zu machen. Diese kann in einer intensiven, nie enden wollenden Reflexion über sich und die umgebende Welt münden, die beispielsweise auch dahin führt, sich allgemein mit den geistigen und materiellen Grundlagen der Menschheit zu beschäftigen und daraus Lebensmaximen zu entwickeln. Die Voraussetzung des Unterwegsseins wäre dabei erfüllt. Der Stein des Sisyphos wäre in dem Fall geistiger Natur.

Doch einfacher und zielführender ist es sicherlich, seinem Leben durch klar umrissene Meta-Ziele Sinn und Zweck zu geben. Hilfreich ist es, sich zu überlegen, für was man als Mensch steht oder stehen will. Was würde man seinen Enkelkindern oder auch nicht verwandten Nachfahren gerne als Vermächtnis hinterlassen? Fühlt man sich gut dabei, wenn die Enkel und womöglich noch deren Enkel dereinst einen Vorfahren vor Augen haben werden, der vor allem in rücksichtslosem Egoismus schwelgte oder ein sinnloses, da zweckbefreites Leben führte?

Vielleicht ergibt sich aus derartigen Gedanken eine Orientierung. Vielleicht ergeben sich auch mehrere Pfeiler, die einen individuellen Gesamtsinn des Lebens tragen. So könnten sich aus solcherlei Überlegung zum Beispiel die Ziele entwickeln, sich für eine lebenswerte Welt voller natürlicher Vielfalt und Buntheit einzusetzen und dabei ein reflektiertes, Mensch und Natur freundlich gesinntes, werte-gebundenes Weltbild für sich und andere zu entwickeln. Daraus könnten sich durchaus sinnstiftende Sekundärziele entwickeln, wie z.B. gesellschaftliches Engagement, öffentliche Hilfsbereitschaft oder verstärkte Achtsamkeit.

Derartige Ziele können das punktuelle Glücksempfinden natürlich jederzeit torpedieren. Warum beispielsweise an die Enkel oder gar nicht-verwandte Nachfahren und deren natürlichen Lebensraum denken, wenn man doch nur den nächsten Gefühlskick sucht und daher gerne das nächste Billigflugangebot ans andere Ende der Welt annehmen möchte oder sich an der Anschaffung eines weiteren Sportwagens berauschen will?

Um sich von derart kleinen, aber langfristig süchtig machenden Verheißungen nicht vom großen Weg abbringen zu lassen, kann es hilfreich sein, die erdachten Ziele in gut begründeter Form zu verschriftlichen und damit zu visualisieren. Auf diese Art werden sie zu einer Landkarte, die den Weg der lebenslänglichen Reise immer wieder aufs Neue weist.

Dabei ist es durchaus wichtig, sich für unterwegs Zwischenziele zu suchen. Sonst könnte der Weg zu ermüdend werden. Ein erreichtes kleines Ziel tut gut und bringt Erleichterung. Wer seinen Weg jedoch nie gänzlich abbricht, sondern stetig der vorgegebenen Richtung weiter folgt, wird insgesamt einen größeren Lohn erhalten als nur gelegentliche Momente der Euphorie innerhalb einer großen Leere: nämlich Erfüllung, Sinn und ein dauerhaft abrufbares, tiefes Glücksempfinden.

II.

Das Glück der Generativität
Oder: Von der Unsterblichkeit des Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland
Eingebunden sein

Große und dabei klar umrissene Ziele können dem Leben also Sinn verleihen. Vergleichbar der aufgehenden Sonne, schafft Sinn nicht nur Orientierung,4 sondern lässt die Dinge auch in einem wärmeren Licht erscheinen. Selbst die unschönen Seiten der Welt wirken plötzlich weniger düster.

Der bisher beschriebene Sinn ist „teleologischer“ (von altgr. „telos“, „Ziel“ „Ende“) Art. Er treibt an, gibt die Richtung vor, sorgt dafür, dass man weiß, warum man morgens aufsteht.

Daneben gibt es aber eine weitere relevante Erscheinungsform des Sinns. Sie kommt in dem Gefühl des Eingebunden-Seins zum Ausdruck. Ein enges, Zeit und Raum übergreifendes Netz gibt dem Leben dabei eine logische Struktur. Das persönliche Leben in seiner konkreten Erscheinungsform wird als Bestandteil einer Welt erkannt, die umfassender ist als die unmittelbare Wirklichkeit. Bei Bertrand Russell heißt es hierzu: „Um in dieser Welt glücklich zu sein, zumal wenn die Jugend vorbei ist, darf man sich nicht nur als Einzelwesen fühlen, dessen Tag bald abgelaufen ist, sondern muss sich als ein Teil des Lebensstromes empfinden, der vom ur-ersten Keim bis in die fernste unbekannte Zukunft fließt.“

Über Jahrtausende wurden Menschen automatisch in derartige Sinn-Netze hineingeboren. Gesponnen wurden sie von den Vertretern der institutionalisierten Religionen. Von Geburt an waren Menschen Mitglied einer Glaubensgemeinschaft. Sie sahen sich in einen über Generationen hinausgehenden Zusammenhang eingeordnet und waren automatisch Teil eines metaphysischen Bezugssystems. Alternativen waren kaum jemandem bekannt und schienen daher auch nicht zu existieren. Den Menschen wurden klare Vorgaben und Richtlinien mit auf den Lebensweg gegeben. Noch bis weit in die Neuzeit hinein bestimmte auch in der westlichen Welt vornehmlich die Religion, was man im Leben zu tun oder zu lassen hatte und was der tiefere Sinn hinter allem war. Der Sinn des Lebens innerhalb einer christlichen Gemeinde bestand darin, gottgerecht zu leben. Was als gottgerecht zu gelten hatte, legte die Kirche fest.

Eine Auflösung dieser Strukturen begann in der westlichen Welt mit den Reformatoren um Martin Luther (1483-1546). Sie forderten den Menschen auf, anhand des Studiums der Bibel selbst zur religiösen Wahrheit zu finden und nicht mehr nur den offiziellen Kirchenvertretern Glauben zu schenken. Die Folge war, dass unzählige verschiedene Religionsinterpretationen entstanden. Das verbindende Netz der religiösen Einheit löste sich ab diesem Moment auf.

Etwa zeitgleich wurden technische Instrumente entwickelt, die neue Weltanschauungen ermöglichten. So wurde innerhalb der vergleichsweise kurzen Zeit von drei Jahrhunderten klar, dass die Erde nicht im Zentrum des Universums steht und der Mensch wohl Ergebnis eines evolutionären Prozesses und nicht einer biblischen Schöpfungsgeschichte ist. Neben der Vielfalt religiöser Interpretationen verbreiteten sich somit auch noch säkulare, streng am Stand des jeweils aktuellen Wissenschaftsparadigmas orientierte Weltbilder.

Indem die rasante Fortentwicklung neuer Techniken es zudem immer besser ermöglichte, in weit entlegene Teile der Welt vorzudringen, entstand sukzessive ein Bewusstsein für die Relativität der eigenen Anschauungen. Es wurde erfahrbar, dass eigene Weltbilder und eigene Glaubenssätze immer stark abhängig von der unmittelbaren Umgebung sind. Damit wurde es noch schwerer, an die überzeitliche Allgemeingültigkeit einer religiös oder auch anders gearteten Wahrheit zu glauben.

Ein festes, Zeit und Raum übergreifendes Glaubenssystem, das die Menschen kollektiv in einen existentiellen Sinnzusammenhang einfügt, gibt es trotz einzelner Bemühungen, es wieder neu zu schaffen, nicht mehr. Lediglich vereinzelte, isolierte Gemeinschaften vermögen noch ein hermetisches Sinnsystem aufrecht zu erhalten.

Heute ist stattdessen ein regelrechtes Wettstreiten sowohl unter verschiedenen Wissenschaftsmodellen als auch unter Religionen und anderen spirituellen Angeboten im Gange. So werden jedes Jahr neue Religionen erfunden. Aktuell gibt es 4200 offizielle religiöse Konfessionen, von der fast jede ihrerseits zahlreiche Varianten aufweist. Allein der christliche Protestantismus ist wiederum in ca. 20 000 Unterkonfessionen und Bewegungen aufgegliedert. Gerade in der westlichen Welt neigen immer mehr Menschen dazu, sich einen Glauben nach eigenem Gutdünken zurechtzuschustern. Das verbindende Element geht dabei oft verloren. Der Zweifel überwiegt.

Was einen großen Gewinn im Ringen um die individuelle Freiheit und die Möglichkeiten des ungezwungenen, menschlichen Selbstentwurfs darstellt, bedeutet für viele jedoch zugleich eine psychologische Überforderung.

In der Neuzeit bildeten sich auch deshalb immer wieder neue Sinn-Netze, in die viele sich dankbar einspannen ließen. So vollzog sich im 17. Jahrhundert, aufbauend auf Ideen von Denkern wie Jean Bodin (1530-1596) oder Hugo Grotius (1583-1645), ein Wandel von Personenverbänden hin zu territorialen Herrschaften. Daraus entwickelte sich das System unabhängiger Nationalstaaten. Diese Konstrukte wiesen ein genau umrissenes Staatsgebiet auf, waren von einem möglichst einheitlichen Staatsvolk zu bewohnen und von einer definierten Staatsgewalt zu verwalten und zu steuern.

Im Sinne ihrer Funktionsfähigkeit, sollte zwischen den Angehörigen eines Nationalstaates idealerweise eine nahezu familiäre Verbundenheit herrschen. Die Etablierung einer gemeinsamen Sprache innerhalb der jeweiligen Staatsgebiete wurde forciert. In Mythen wurden gemeinsame Ursprünge und besondere Eigenarten des Volkes betont. Die klare Abgrenzung zu anderen Völkern stärkte das innere Zusammengehörigkeitsgefühl. Völkische Bewegungen entstanden.

Die Transzendenz der religiösen Sinnangebote konnten völkische Ideen zwar meist nicht mehr bieten. Dennoch war ihre Wirkung immens – und zeitigte katastrophale Folgen. Bekanntlich ist es noch nicht lange her, dass Menschen auch und gerade in Deutschland „für Volk und Vaterland“ begeistert in Kriege zogen, fröhlich dem grausamen Tod entgegen. Ihr Tun erschien ihnen zutiefst sinnhaft. Es übersteigerte das eigene Ich. Man zog schließlich nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Familie, die Freunde, die Nachbarn, letztlich für das ganze gegenwärtige und zukünftige Volk in die Schlacht. Das sinnstiftende und dabei glücksspendende Gefühl tiefer Eingebundenheit wurde in ein erschreckendes Extrem getrieben und sollte schließlich zum gewichtigen Grund für Krieg und Terror werden.

Glücklicherweise wurden zunächst viele richtigen Lehren aus den Tragödien der Weltkriege gezogen. Die einzelnen Staaten wurden in große internationale Organisationen und Institutionen eingebunden. Eine größere, wechselseitige Abhängigkeit in Form von politischer und vor allem wirtschaftlicher Verzahnung wurde geschaffen und künstlich verstärkt. Freiwillige Abgrenzungen zu anderen Nationen erschienen angesichts dessen nicht mehr attraktiv.

Was den zwischenstaatlichen Frieden stärkte, konnte dem Einzelnen in seiner Abstraktion und Künstlichkeit jedoch kein umfassendes Sinn-Angebot mehr sein. Auch deshalb klammern sich Menschen in jüngster Zeit weltweit wieder an die sinnstiftenden Angebote einzelner Demagogen, die überkommene völkische Ideen aufgreifen und damit ganz wesentlich innere Leere und Empfindungen tiefer Sinnlosigkeit zu füllen versprechen.

Die wohl tief im Menschen verankerten Bereitschaft, das eigene, begrenzte Leben zu überschreiten und in einem größeren Ganzen oder wenigstens einer großen Gemeinschaft aufzugehen, kann also in dem Moment, in dem es dem Einzelnen tatsächlich das Gefühl des Eingebunden- und Verwoben-Seins, des tieferen Sinns und damit auch eines grundlegenden Glücksempfindens bereitet, zur Gefahr für die Spezies Mensch als solche werden.

Tatsächlich birgt auch das dritte (nach Religion und Nation), gegenwärtig am stärksten etablierte Sinnmodell große Probleme. Wieder geht es um das etablierte Arbeitswesen der westlichen Welt!

Das menschliche Bedürfnis, sich in eine große, über das eigene Ich hinausgehende Sache einzufügen und damit tragende Sinn-Zusammenhänge zu kreieren, haben sich heute in weiten Teilen der Welt nämlich längst die globalen Eliten der Wirtschaft zunutze gemacht. Inzwischen ist das Modell der sogenannten amerikanischen Firmenkultur, die stark von psychologischen Erkenntnissen geleitet wird, zum Standard geworden.

So wird Angestellten in heutigen Unternehmen in der Regel vermittelt, dass sie sich im Grunde genommen nicht nur für eine Firma, sondern für eine große Sache engagieren. Gerne wird auf Hilfsprojekte des jeweiligen Unternehmens verwiesen. Kaum eine Firma von Rang verzichtet darauf, mehr oder weniger förderliche Hilfsprogramme im Sozialen, im Bildungswesen oder der Welthungerhilfe zu initiieren oder wenigstens zu unterstützen.

Vor allem wird aber mit verschiedensten Maßnahmen ein gesteigertes Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Firma zu erzeugen versucht. Man nutzt gemeinsam das interne Fitness-Studio, tritt in Firmenmeisterschaften im Fußball gegeneinander an oder unternimmt Tandem-Fallschirmsprünge. Letztlich geht es bei all dem darum, einen möglichst extremen Team-Charakter zu bilden, in dem der Einzelne schließlich aufgehen soll. Er soll dahin kommen, sein eigenes Selbst bereitwillig der Gemeinschaft des Unternehmens und dessen Erfolgs unterzuordnen. Das Bedürfnis nach glückstreibender Sinnhaftigkeit bringt heute tatsächlich viele Menschen in der hochentwickelten, satten Welt dazu, sich für sonderbarste Firmenmodelle zu prostituieren und somit zumindest kurzzeitig einen Moment der Sinnhaftigkeit zu erfahren.

Das Sinn-Angebot moderner Firmen ist zweifelsohne harmlos im Vergleich zu dem, was einst Kirche und Nation anboten. Der angemessene Einsatz für den Glauben oder das Vaterland musste schließlich auch die Bereitschaft beinhalten, für beides zu sterben. Die Sinn-Angebote moderner Firmen können demgegenüber noch so ausgefeilt sein – sie sind meist doch zu mickrig, als dass man sein Leben für sie aufs Spiel setzen wollte.5

Ungefährlich ist allerdings auch ihr Modell nicht. Es wurde bereits thematisiert, dass der Sinn im sinnlosen Wirtschaften darin besteht, stetig mehr zu produzieren, um mehr konsumieren zu können. Der Mensch bleibt somit in einem künstlichen Rahmen aktiv und bekommt von außen klare Aufgaben und Strukturen vermittelt. Indem nun immer mehr Menschen sich immer ausgefalleneren Berufsmodellen unterordnen und dabei die überlebenswichtigen Ressourcen der Erde dazu benutzen, immer unnützere Dinge zu produzieren und zu vermarkten, um dann noch unnützere Dinge konsumieren zu können, werden, wie schon beschrieben, eben jene Ressourcen merklich weniger. Auch das pure Überleben könnte angesichts des aktuellen Wirtschaftsmodells und den damit einhergehenden Langzeitfolgen selbst in den globalen Zentren mittelfristig wieder zunehmend unsicher werden.

Alternativen zu dem gegenwärtigen Wirtschaftsmodell müssen und werden daher früher oder später gefunden werden. Einen ersten Schritt hin zu derartigen Alternativen stellt bereits die stärkere Bewusstwerdung der menschlichen psychologischen Konstitution mit ihrem Bedürfnis nach Sinn dar. Indem die einzelnen Motivationen für das überwiegend sinnlose Produzieren und Vermarkten von Überfluss erkannt und demaskiert werden, fällt es leichter, sich davon zu verabschieden und nach neuen Modellen zu suchen.

Neurobiologisch kann dieses Bedürfnis mit dem Glückshormon Oxytocin begründet werden.6 Das Oxytocin bedingt Glücksgefühle, die in einem vertrauensvollen Beisammensein mit anderen Menschen aufkommen. Nicht nur bei konkreten körperlichen Berührungen, sondern auch bei dem Gefühl, sich in einem vertrauten, wohlgesonnenen Umfeld zu befinden oder sich eben eingebettet in einen größeren Zusammenhang zu wissen, wird Oxytocin ausgeschüttet. Die wahrhafte und tief empfundene Verbindung mit der Umgebung bewirkt durch die körpereigene Oxytocinproduktion daher immer Wohlgefühle. Diese sind vielfältig und daher besonders intensiv. So wirkt Oxytocin auch beruhigend und angstmildernd. Der unbewusste Wunsch, die Wirkung des Hormons zu spüren, ist daher groß.

Aus evolutionärer Perspektive ist das Streben nach Zusammenhang und Eingebundenheit damit zu begründen, dass isolierte und ausgestoßene Individuen in einem Urzustand nicht lange überleben konnten. Sie konnten ohne die Einbindung in das vertraute Netzwerk ihrer unmittelbaren Umgebung auf lange Sicht weder genug Nahrung finden, noch sich vor Raubtieren schützen. An Fortpflanzung und die Weitergabe der eigenen Gene war in einem Zustand der Isolation sowieso nicht zu denken.

Vor diesem Hintergrund könnten selbst abstrakte Ideen, wie etwa ein gemeinsam gelebter Glaube, auch als Instrument des Überlebens betrachtet werden. Die verbindende Wirkung einer gemeinsamen Idee würde demnach die Zusammenfindung zu einer Gemeinschaft forciert haben. Der evolutionäre Überlebenskampf ließ sich in Gemeinschaft schließlich besser bestreiten.

Versuche, das menschliche Bedürfnis nach dem Eingebunden-Sein schlichtweg zu negieren, sind daher stets gescheitert. So wollten beispielsweise die Dadaisten in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg vergeblich den Unsinn als Waffe gegen zu tiefes Sinn-Streben in Stellung bringen. Ihr Versuch sorgte zwar für einiges Aufsehen in der Kunstszene, blieb gesellschaftlich aber weitgehend folgenlos. Auf gesellschaftlicher Ebene vielleicht etwas erfolgreicher waren die sogenannten Spaßguerilleros, die im Windschatten der 68er-Bewegung in Deutschland durchaus bleibenden Eindruck hinterließen und wahrscheinlich auch einen kleinen Anteil an einem Kulturwandel jener Zeit hatten.

Doch der Wunsch danach, in größere Strukturen eingebunden zu sein, ist wohl zu tief im Menschen verankert, als dass er sich einfach gänzlich abschaffen ließe. Kurzzeitige Spaß- Momente sind eben weniger erfüllend als das tiefe Glücksempfinden des sinnstiftenden Eingebunden-Seins.

Der Wunsch nach Eingebundenheit als Chance

Statt gegen ein tief sitzendes menschliches Bedürfnis anzukämpfen, empfiehlt es sich wohl eher, seine Vorzüge auszunutzen. Dem Wunsch des Eingebunden-Seins entwächst beispielsweise auch ein Phänomen, das die Psychologin und Sinnforscherin Tatjana Schnell in ihrem Werk „Psychologie des Lebenssinns“ sogar als besonders sinnstiftend bezeichnet. Schnell nennt dieses Phänomen „Generativität“. Damit ist gemeint, dass der Einzelne sich auch in einen über Generationen hinausgehenden Zusammenhang einordnen kann. Er begreift sich als Teil des Menschengeschlechts, für das es sich einzusetzen lohnt. Er stellt das Bindeglied zwischen vergangenen und künftigen Generationen dar. Der gegenwärtige Einsatz für andere kann dabei als Grundlage einer besseren Zukunft begriffen werden.

Die „Generativität“ fördert unter anderem auch den menschlichen Altruismus, die Bereitschaft sich selbst für andere aufzuopfern, bedingungslos zu helfen und den Mitmenschen zuliebe auf eigene Vorteile zu verzichten. Gerade aus dem Verzicht auf eigene Vorteile kann daher Freude erwachsen. Bei manchen droht dieser Sachverhalt freilich ins Extreme zu kippen. Sie empfinden am eigenen Elend und Leid große Freude. Die wirkmächtigste Metapher hierfür kann in der biblischen Figur des Jesus Christus gesehen werden, der alles Leid der Welt auf sich nahm, um künftige Generationen zu erlösen.

Am stärksten wird das Phänomen der „Generativität“ wohl bei der Geburt und der frühkindlichen Betreuung der eigenen Kinder erlebbar. Selbst die größten Egoisten werden im Angesicht ihres eigenen Nachwuchses in der Regel zu opferbereiten Menschen, die genau im Moment ihrer Opferbringung ein diffuses Glück empfinden. Und so verwundert es nicht, dass Eltern trotz aller Schwierigkeiten, die sich immer auch einstellen – von anfänglichem Schlafmangel über die Auseinandersetzung mit den ständigen Kinderkrankheiten bis hin zu ersten schulischen Problemen – gerade ihre Elternschaft insgesamt als sinnvoll und glücksstiftend bezeichnen. Umso bedenklicher erscheint es, dass in jüngster Zeit Kinder immer früher und immer länger in fremde Betreuungseinrichtungen abgeschoben werden. Oft wird zu spät erkannt, dass falsche Prioritäten gesetzt wurden, indem das Familienleben der Arbeit geopfert wurde. Gerade sogenannte Karrieristen bereuen später die Vernachlässigung der wahrhaft sinnstiftenden Beziehung zu ihren Kindern auffallend oft.

Im Gegenzug werden alte und gebrechliche Eltern von ihren Kindern immer öfter in Heime abgeschoben. Die kurzfristigen negativen Impulse, die den natürlichen Härten eines familiären Zusammenlebens entwachsen, scheinen heute insgesamt das Handeln zu motivieren. Die zutiefst sinnstiftende und damit auf nachhaltige Weise wohltuende Wirkung eines bewussten Familienlebens wird demgegenüber vernachlässigt.

Doch es gibt auch Geburten jenseits der Familiengründung. Auch diese Alternativgeburten können Anlass eines tieferen Glücksempfindens werden.

Der Mensch selbst ist schließlich kein definitiv festgelegtes, statisches Wesen. Die Gene seiner Vorfahren geben ihm zwar einen äußeren Rahmen für seine geistige und körperliche Konstitution. Sozialisation, Erziehung sowie andere Einflüsse bilden das Innere dieses Rahmens dann aus. Dennoch kann jeder Mensch sich zu einem gewissen Grad neu entwerfen und den einengenden Rahmen etwas erweitern oder neu füllen. Der Mensch kann sich in gewissem Sinne selbst neu gebären.

Oft sind es äußere Krisen, die den Ausgangspunkt für eine Wandlungsbereitschaft darstellen. So beschreibt der Reiseschriftsteller Andreas Altmann (geb. 1949), wie er im Jahr 2004 nach der Tsunami-Katastrophe in Thailand auf der Suche nach einem verschollenen Freund zahlreichen Überlebenden in thailändischen Krankenhäusern begegnete. Sie alle waren voller Dankbarkeit, noch einmal davon gekommen zu sein. Im Angesicht des Todes hatten sie das Leben plötzlich als großes Geschenk begriffen, das sie nun auch freudig annehmen wollten. Sie sahen die Zeit für einen neuen Beginn gekommen. Das glückliche Überleben wurde für sie zu einer zweiten Geburt. Sie wollten ihr Leben ändern, es von nun an bewusster und selbstbestimmter gestalten.

Fast immer sind es psychische oder auch physische Krisen, die dazu führen, Dinge zu hinterfragen und oft genug den Wunsch aufkommen lassen, konkrete Veränderungen im eigenen Leben vorzunehmen. Jede Art von Krankheit kann daher auch als Chance begriffen werden. Der selbst leidgeprüfte Philosoph Friedrich Nietzsche (1844-1900) sah in der Krankheit daher ein „Stimulans des Lebens“, da sie immer die Chance zur Veränderung und damit immer eine Weiterentwicklung und Reifung des Menschen mit sich bringe.

Bisweilen ist eine Krankheit womöglich ohnehin nichts anderes als ein verzweifelter Schrei des unterdrückten Willens, der endlich Gehör finden will. Aus der Not heraus gelingt es manchem, sich und sein Leben zu hinterfragen und dann neu auszurichten. Eine neue Lebensphase wird geboren. Oder wie Siegmund Freud (1856-1939) sagte: „Leiden macht Sinn.“

Doch es muss nicht immer zur Katastrophe kommen. Auch ein imaginierter Rückblick auf das eigene Leben, also die Vorstellung, vom Ende des Lebens aus einen Blick zurück zu werfen, kann hilfreich sein und die Sinne für das Wesentliche schärfen. Eine „Be-Sinnung“ kann dann bereits prophylaktisch vollzogen werden.

Die Einbettung in einen größeren Zusammenhang muss dabei gar nicht künstlich vollzogen, sondern in ihrer stets vorhandenen Existenz nur erkannt werden.

Jeder Mensch wirkt durch sein Tun schließlich unmittelbar auf seine Umgebung ein. So wie er selbst ein Produkt der Handlungen seiner Vorfahren ist, so bedingt er ein Stück weit die Handlungspotentiale seiner Nachfahren. In besonderem Maße gilt das für die eigenen Kinder, die natürlich direkt von den Eltern geprägt werden. Das Bewusstsein dafür, als einzelner Mensch das Mitglied einer über Jahrtausende zurückreichenden Familienbande zu sein, kann jedes Gefühl von Isolation aufheben. Schließlich sind in jedem einzelnen Menschen Elemente reichhaltiger Lebenserfahrungen von zig Vorfahren angelegt. Diese leben und wirken auf subtile Weise in dem einzelnen Individuum fort. Zugleich kann aus dem intensiven Bewusstsein dieses Zusammenhangs ein sinnstiftendes Verantwortungsgefühl entwachsen, das darin besteht, eigene Werte zu dieser reichen Geschichte beizutragen und an direkte oder auch nicht-verwandte Nachkommen weiterzugeben. Um das wohlige Gefühl einer zwangsläufigen Eingebundenheit vollauf spüren zu können, empfahl der antike Weise Konfuzius daher, Ahnenforschung zu betreiben. Wer der eigenen Familiengeschichte bis weit in vergangene Jahrhunderte nachgeht und bestenfalls verschriftlicht, wird zunehmend ein Gefühl dafür entwickeln, dass er sich in einem dichten Gewebe des Zusammenhangs befindet.

Die verstärkte Ausrichtung des Lebens an dieser Tatsache kann also bereits eine selbstbestimmte Neu-Geburt darstellen. Eine Lebensform, die den großen Errungenschaften und bewährten Werten früherer Generationen bewusst begegnet und zum Anlass nimmt, selbst vorbildhaft für die nachfolgenden Generationen zu handeln, lässt den Einzelnen zum sinnvollen Teil eines großen Ganzen werden. Einzelne Facetten jedes Lebens überdauern. Ein Teil jedes Menschen lebt somit fort, solange es Menschen gibt.

Laut Seneca ist es daher dringend zu empfehlen, das Leben als Kunstwerk zu begreifen, das in seiner Pracht über den eigenen Tod hinaus fortbesteht. Es sei dies „die einzige Möglichkeit, die Grenzen [der] Sterblichkeit zu erweitern, ja, sogar in Unsterblichkeit zu verwandeln.“

Auch wenn das einzelne Individuum nicht unsterblich wird und schon bald nach dem Tod vergessen sein mag – zumindest einzelne Eigenheiten, Aussprüche, Handlungsweisen oder Gesinnungen werden oft unbewusst über Generationen tradiert, unreflektiert übernommen oder auch irgendwann als vorbildhaft oder verwerflich eingestuft.

Inwieweit eine einzelne Handlung sich in einen generativen Sinnzusammenhang einweben kann, verdeutlicht eines der beliebtesten Gedichte der deutschen Literaturgeschichte: Theodor Fontanes (1819-1898) Ballade vom Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.

Der großherzige und großzügige Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland verschenkt darin die Birnen einen Baumes in seinem Garten an vorbeikommende Kinder. Er stiftet damit viel Freude. Als er seinen Tod kommen spürt, bittet er „vorahnend schon und voll Misstraun [sic] gegen den eigenen Sohn“, eine Birne mit ihm ins Grab zu legen. Wie er es vorhersah, entwächst dem Grab einige Jahre nach seinem Tod ein neuer Birnbaum. Die Kinder des Havellandes können sich somit auch nach dem Tod des Herrn von Ribbeck an dessen Güte erfreuen. Abschließend heißt es: „Und so spendet Segen noch immer die Hand, des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.“

Herr von Ribbeck auf Ribbeck hat sich durch seine gutherzige Tat unsterblich gemacht. Noch aus seinem Grab heraus wirkt er weiter. Er spendet über den Tod hinaus Segen. Die anhaltende Beliebtheit des Gedichts verdankt sich zweifelsohne auch jener Metapher für das ur-menschliche Verlangen, generativ zu überdauern und sich und sein Leben somit in einem wohltuenden größeren Zusammenhang zu verorten.

Doch es ist nicht nur die literarische Figur des Herrn Ribbeck auf Ribbeck im Havelland, die unsterblich zu sein scheint. Auch sein Verfasser lebt in der literarischen Figur auf ewig weiter. Selbst weniger einflussreiche Werke als Fontanes Meisterballade schaffen es oft, zumindest in kleinerem Kreise, zu überdauern. Ein Poet, also jemand der dem Wortsinn nach (vom Griechischen „poietes“, Hersteller, Brückenbauer) etwas baut oder zusammensetzt, fügt immer erlebte Erfahrung und tradiertes Wissen zu einem Werk für sich und seine Umwelt zusammen.

Wer also beispielsweise Literatur verfasst, aber auch Musik komponiert, Bilder malt oder Skulpturen meißelt, wird dies wahrscheinlich auch tun, um sich selbst auszudrücken und damit eine Brücke zu seinen Mitmenschen der Gegenwart und Zukunft zu bauen. Er übersteigert die eigenen Gefühle und bringt sie in transzendierter Form seinen Mitmenschen bereitwillig dar.

Das Bedürfnis des Weiterlebens, des Überdauerns in nachfolgenden Generationen, wird also nicht nur in der Geburt der eigenen Kinder oder der Geburt eines selbstentworfen, vorbildhaften Lebens ein Stück weit erfüllt, sondern auch in der Erzeugung von Werken, die dereinst tradiert werden. Es fällt auf, dass oft gerade künstlerisch und geistig aktive Menschen keine eigenen Kinder haben. Die Zahl der kinderlosen Geistesgrößen und Kreativmenschen erscheint tatsächlich fast endlos lang und reicht von Philosophen wie Roger Bacon, René Descartes, John Locke, David Hume, Immanuel Kant, Jean- Paul Sartre, Simone de Beauvoir über Komponisten wie Georg Friedrich Händel oder Ludwig van Beethoven und Musiker wie Maria Callas oder Louis Armstrong bis hin zu Wissenschaftlern wie Isaac Newton oder John Maynard Keynes.7 Ihre Geburten waren ausschließlich geistiger Natur.

Vanusepiirang:
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Ilmumiskuupäev Litres'is:
22 detsember 2023
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340 lk 1 illustratsioon
ISBN:
9783946959632
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