Malik Mantikor: Die andere Welt

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Malik Mantikor: Die andere Welt
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Malik Mantikor Band 2

Impressum

Malik Mantikor - Die andere Welt

I. Tame

Copyright: © 2019 I. Tame

Bildnutzung: Panther Media GmbH (Lonely11) (abrakadabra)

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Dies ist eine frei erfundene Geschichte. Namen, Figuren, Plätze und Vorfälle obliegen der Fantasie des Autors bzw. sind reine Fiktion. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen, Firmen, Ereignissen oder Schauplätzen sind vollkommen zufällig.

Die Abbildung auf dem Innentitel und der 1. Umschlagseite dient nur darstellerischen Zwecken.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 1

Wie auf einem ganz normalen Sonntagsspaziergang schlendern sie zu viert den Hügel vor der Stadt hinab. Fynns Herzschlag normalisiert sich erst langsam. Die Tatsache, dass Cool auf einmal verschwunden war, haut ihn total um. Wie ein Verrückter hatte er zunächst nach ihm gerufen. Erst laut und panisch, später dann verzweifelt und unter Tränen. Immer eindringlicher versucht Valerie ihn zu trösten. Sie streichelt liebevoll seinen Arm, während sie nebeneinander hergehen.

„Wirklich, Fynn! Glaub' es mir! Ihm wird in diesem Wäldchen nichts passieren. Ich weiß … also, früher war das so … da haben sich die frei lebenden Tiere in Rudeln zusammen geschlossen. Das wird auch Kuno so gehen! Er wird in einen Verband aufgenommen.“

Sie blickt Fynn von unten herauf an und drückt seinen Arm, damit er sie ansieht. Sein trauriger Blick zerreißt ihr fast das Herz. Obwohl sie nun im selben Alter sein dürfte wie ihr junger Freund, empfindet sie natürlich die gleichen mütterlichen Gefühle für ihn wie eh und je.

„Ich werde dafür sorgen, dass sich jemand nach ihm umsieht. Hier gab es schon immer Leute, die fast ihre ganze Zeit in der Natur bei den Tieren verbringen. Die kriegen das sofort mit, wenn da ein Neuling auftaucht.“

Ein Lächeln erhellt Fynns Gesicht. „Wirklich? Das wäre echt toll, Valerie. Ich weiß ja nicht, ob ich mich so schnell um ihn kümmern kann.“

Sie nickt verständnisvoll. Damit hat der Junge den Nagel auf den Kopf getroffen. Ein mulmiges Gefühl breitet sich in Valeries Magen aus. Wenn die Hohe Rätin auch nur einen Bruchteil so launisch ist wie früher … Valerie wird bei dem Gedanken Angst und Bange um Fynn. Doch sie lässt sich nichts anmerken. Was bringt es ihm, sich jetzt deswegen verrückt zu machen? Keiner von ihnen weiß, warum Fynn überhaupt hier ist … warum er gezeugt wurde … auch nicht der Mantikor … da ist sie sich sicher. Sie seufzt innerlich. Eigentlich sollte sie sich mehr um ihr eigenes Wohlergehen sorgen. Wenn Malik tatsächlich von dem Vorfall … dem Verrat wie er es nennt … berichtet, dann hat vermutlich ihr letztes Stündlein geschlagen. Offiziell gibt es natürlich keine Todesstrafe in ihrer Welt. Es gibt noch nicht einmal Gefängnisse, geschweige denn eine Polizei, da beides nicht erforderlich ist. Doch – wie bei so vielen Dingen – gibt es Gerüchte. Und die Gerüchte um Karess triefen vor Blut und Grausamkeit. Wenn es um die Hohe Rätin geht, scheint die Fantasie der Leute eine eigene Dynamik zu entwickeln.

Sie beschließt, sich von ihren trüben Gedanken abzulenken und wendet sich nun Yassin zu, um auch ihm durch ein wenig Plauderei die Nervosität zu nehmen.

Malik nutzt die Gelegenheit, sich an Fynns Seite zu drängeln. Er strahlt eine unglaubliche Energie aus; weitaus intensiver als zu Hause. Wenn es überhaupt möglich ist, scheint seine Haut noch glatter, die Augen sprühen vor Lebensenergie und er schreitet geradezu federnd neben Fynn her.

„Dir geht’s ja richtig gut“, bemerkt Fynn, nicht ganz ohne Neid.

Malik lächelt. „Ja, du hast Recht. Mein Körper saugt die hier herrschende Energie auf wie ein Schwamm. Im Gegensatz zu euch „normalen“ Menschen, trifft mich in deiner Welt der körperliche Verfall kaum, doch ich spüre trotzdem die dort herrschende Negativität ...“ Er zuckt mit den Achseln und wirft den Kopf in den Nacken. „Aaah, ist das nicht einfach herrlich hier? Diese reine Luft und diese Farben? Ist dir das noch nie aufgefallen? Bei euch stinkt's!“

Fynn verzieht den Mund. „Vielen Dank auch!“, murrt er zurück. Eigenartigerweise fühlt er sich persönlich angegriffen.

Schelmisch blickt Malik ihn von der Seite an. „Ich mein' doch nicht dich!“ Er stupst Fynn mit dem Ellbogen an. „Du bist knackig wie ein frischer Salat!“

Fynn grinst breit; er kann nicht anders. Malik ist so … Sein Blick wandert zu dem strahlenden Kerl neben sich. Oh, verdammt, ist der sexy. Vor allem, weil er sich so unglaublich locker macht. Er wirkt fast normal … wie ein super süßer, heißer Kerl. Fynns Schritt beginnt sich zu spannen. Oh, Mist. Jetzt sollte er besser an irgendwas Abtörnendes denken; was Ekliges.

„Gibt's hier eigentlich auch … Kakerlaken?“, stößt er schnell hervor.

„Was?“, lacht Malik überrascht. „Wieso? Hast du Hunger, du Fleischfresser?“ Er kichert vor sich hin. „Na klar gibt’s die. Es gibt hier so ziemlich alle Tiere wie in deiner Welt … denke ich zumindest. Vielleicht gibt’s noch ein paar andere oder sie heißen anders. Überhaupt sind hier einige Begriffe anders.“ Er zieht nachdenklich die Stirn kraus. „Hmm, also 'Schwanz' heißt hier zum Beispiel 'Schwert'. “

Fynn reißt überrascht die Augen auf. „Wenn ein Hund also mit dem Schwanz wedelt, dann heißt das: Der Hund wedelt mit dem Schwert??“

Er blickt Malik ungläubig an. Der grinst breit und nickt langsam. „Geeenau!!“

„Fynn??“ Yassin spricht ihn an. Er geht mit Valerie ungefähr zwei Meter hinter ihnen. Fynn dreht sich um und hebt erwartungsvoll die Augenbrauen.

„Der verarscht dich, Alter. Merkst du das denn nicht?“

Blitzschnell dreht er seinen Kopf und starrt den übermütig kichernden Kerl neben sich an. Dessen Gesicht rötet sich ein wenig, da er versucht, sein Lachen zu unterdrücken. Doch jetzt ist es vorbei mit Maliks Selbstbeherrschung. Er beugt sich vor und verschränkt dabei die Arme vor dem Magen. Lautes Gelächter schallt über die bunten Wiesen. Als er Fynns drohenden Gesichtsausdruck bemerkt, versucht er im Laufschritt zu entkommen. Doch das gelingt ihm natürlich nicht. Fynn springt den gackernden Kerl an und taumelt mit ihm in die wilde Blumenwiese. Gemeinsam stürzen sie zu Boden und rollen ein Stück den Abhang hinunter. Schließlich bleiben sie lachend liegen. Fynn drückt Maliks Handgelenke zu Boden und ergötzt sich an dem schönen Gesicht direkt vor seiner Nase. Einige vorwitzige Haarsträhnen kitzeln seine Nase, worauf Malik versucht, sie weg zu pusten. Als es ihm nicht gelingt, streicht Fynn sie zärtlich zur Seite. Nach einer Weile verstummt ihr Lachen und sie versenken ihre Blicke ineinander.

„Ich wünschte, du wärst immer so“, haucht Fynn inbrünstig. „So gefällst du mir am besten. Fröhlich, albern, sorglos. Wenn ich es nicht schon wäre, würde ich mich spätestens jetzt in dich verlieben.“

Verlegen beißt er sich auf die Unterlippe. Er hat schon wieder zu viel gesagt.

„Küss' mich einfach!“, fordert ihn Malik leise auf.

Nichts lieber als das. Ihr Kuss ist so innig und voller Leidenschaft, dass keine Kakerlake der Welt Fynn ablenken könnte. Atemlos lösen sie sich schließlich voneinander.

„Ich spüre dein Schwert“, zieht Malik ihn auf. „Und ich muss sagen, es ist aus hartem Stahl geschmiedet.“

Wieder lachen sie befreit. Ein letzter liebevoller Schmatzer beendet ihr kleines Intermezzo.

Währenddessen haben es sich Valerie und Yassin auf einer Bank am Wegesrand bequem gemacht.

„Die könnten sich ja auch mal zusammenreißen“, mault Yassin gespielt ernst, denn schließlich gönnt er seinem Freund das Glück.

„Einem Mantikor schreibt man nicht vor, wann er Pause zu machen oder weiterzugehen hat“, erklärt Valerie, ohne Verurteilung oder Ärger in ihrer Stimme.

„Das solltest du dir auf jeden Fall merken, Yassin. Sicherlich läuft dir auch mal einer der anderen Mantikore über den Weg und dann wäre es gut, wenn du dich dementsprechend höflich verhältst. Du musst verstehen, dass es sich bei ihnen nicht um normale Menschen handelt. Sie haben Mächte, die deine Vorstellungskraft übersteigen. Was Malik bisher gezeigt hat … das 'Ausschalten' oder wenn er dir das Wort verbietet.“ Sie lacht leise auf. „Das ist nur ein Hauch von dem, was er hätte tun können.“

 

„Echt?“ Yassins Neugierde ist geweckt. „Es gibt noch mehr Dschinns? Cooool!“ Er grübelt kurz. „Was hätte Malik denn noch machen können? Hätte er … was weiß ich … ein Auto explodieren lassen können? Oder ...“ Yassins Vorliebe für Actionfilme wird nur noch von seiner Liebe zu Fantasy-Sagen übertroffen. „... fliegen … besser noch fliegen. Hätten wir mit ihm in einem Auto über die Stadt fliegen können?“

Valerie lacht amüsiert. „Natürlich, du dummer Junge. Das ist doch keine Herausforderung für ihn.“

„Wie geil ist das denn?!“, flippt Yassin aus. „Er muss unbedingt mit uns fliegen. Ich will das wenigstens einmal erleben.“

Valerie beobachtet den jungen unbedarften Mann neben sich. Hoffentlich lebt er sich gut in ihrer Welt ein. Immerhin scheint er recht bodenständig zu sein; wenn auch ein wenig verspielt. Außerdem hat er ein liebevolles Wesen und ein gutes Herz. Die Menschen hier werden es sofort erkennen und ihn in ihrer Mitte willkommen heißen. Eine Sorge weniger.

Jetzt stapfen die beiden jungen Männer aus der Wiese wieder auf den Weg zurück. Für Yassin gibt es kein Halten.

„Malik! Malik!“, ruft er aufgeregt und eilt zu den beiden hinüber. „Kannst du fliegen? Einfach so? Und kannst du uns auch fliegen lassen? Schweben, meine ich. Kannst du das? Ja?“ Aufgeregt zappeln Yassins Hände und fuchteln in der Luft herum.

Statt eine Antwort von Malik zu erhalten, erhebt sich Yassins riesiger Körper wie eine leichte Feder in die Luft.

„Aaaalter!!!“, ruft er begeistert. „Wooouuwwww!“ Er breitet die Arme aus und scheint ohne Probleme seinen Flug steuern zu können. Schnell merkt Yassin, dass die Baumwipfel eine natürliche Grenze seiner Fähigkeit zu bilden scheinen, aber ansonsten ... Er dreht sich wie eine Schraube, er vollführt einen Salto nach dem anderen, nur um wieder die Arme auszubreiten und spielerisch wie ein Vogel um die marschierenden Freunde herumzukreisen.

„Danke!“, flüstert Fynn liebevoll. „Du hast ja keine Ahnung, welch' heißen Wunsch du ihm gerade erfüllt hast. Davon träumt er, seit ich ihn kenne!“

Malik grinst und schüttelt leicht den Kopf. „Wie leicht es doch ist, die meisten Menschen zufrieden zu stellen.“

Fynn nickt zustimmend. „Ja, eigentlich wollen wir nicht viel. Den meisten von uns würde ein bisschen mehr Frieden und Liebe völlig ausreichen.“

Malik beugt sich nah zu ihm. „Dann bist du hier genau richtig!“

Kapitel 2

Tatsächlich! Als sie den Ortseingang von Löwenherz erreichen, traut Fynn seinen Augen nicht. Bei dem was er sieht, kann es sich einfach nur um seine Heimatstadt handeln. Er ist diese Strecke schon so oft im Auto lang gefahren oder auch mit dem Fahrrad. Die bunten Häuserfassaden, die Bäume am Rande der Straße, der abgegrenzte Radweg, die Straßenschilder und die Ampel ein Stück weiter vorne … alles … einfach alles sieht genau so aus wie in seiner Welt. Fynn weiß nicht was er davon halten soll, denn irgendwie traut er dem Braten nicht. Etwas stört ihn, doch er kann es nicht benennen.

Völlig unterschiedliche Emotionen rasen durch seinen Körper: Verunsicherung, Ungläubigkeit, Nervosität – aber auch Vorfreude und Abenteuerlust. Malik schlendert neben ihm und lächelt ihn an. Ganz selbstverständlich tätschelt er dem Blonden den Hintern.

„Du hast Recht“, stimmt er ihm zu, ohne dass Fynn ein Wort seiner Verwirrung kundgetan hätte. „Alles wirkt wie eine Mogelpackung. Ich werde es dir erklären.“ Sie bleiben kurz stehen. Maliks Hand fährt über Fynns Rücken und bleibt schließlich locker auf seiner Schulter liegen. Mit der anderen macht er eine ausschweifende Bewegung, die die gesamte Kulisse vor ihnen umfasst.

„Zum einen liegt es daran, dass sich deine Augen noch nicht an unser Licht gewöhnt haben. Alles muss dir irgendwie zu hell und „überzeichnet“ vorkommen. Die Farben leuchten intensiver als bei euch.“

Fynn nickt zustimmend.

„Doch das wird sich bald legen“, fährt Malik fort.

„Darf ich in die Stadt fliegen?“, unterbricht Yassin Maliks Erklärung und zieht hoffnungsfroh die Augenbrauen hoch.

„Nein“, antwortet Malik knapp, ohne auch nur in seine Richtung zu blicken. Stattdessen erklärt er weiter.

„Dir wird auffallen, dass die Unterschiede unserer Dimensionen nur marginal sind. So wirst du nicht die selben Menschen hier finden. Es kann jedoch durchaus sein, dass du Leute triffst, die große Ähnlichkeit mit Bekannten in deiner Welt haben. Mach' dich darauf gefasst, dass du trotzdem großes Aufsehen erregen wirst.“

„Ich??“ Fynns erstaunter Blick bringt seine drei Begleiter zum Lachen.

Jetzt tritt auch Valerie näher. Liebevoll legt sie einen Arm um seine Hüfte.

„Dein Nachname“, lacht sie herzlich und lehnt sich gegen den um einiges größeren Mann. „Und deine Augen, mein Lieber!“, erklärt sie weiter. „Niemand in unserer Dimension hat helle Augen. Und deine sind wahrlich …“ Sie hält inne. Ihr scheinen die Worte zu fehlen.

„Sie funkeln wie zwei Saphire“, hilft ihr Malik aus.

„Meeresblau“, ergänzt Yassin schwärmend.

„Sie strahlen wie der Sommerhimmel“, vergleicht Valerie mit warmer Stimme.

Seine drei Begleiter lächeln und mustern Fynn mit leuchtendem Blick. Er senkt verschämt den Kopf.

„Hört auf, ihr Spinner!“, murmelt er verlegen.

„Hör' du lieber auf“, spottet Malik leise, „sonst vernasch' ich dich noch an Ort und Stelle.

„Also“, fährt er mit normaler Stimme fort und bezieht Yassin mit einem Blick in seine Rede ein. „ihr werdet sehr schnell bemerken, dass die Menschen in dieser Dimension anders sind als ihr es vermutet.“

Wie zwei wissbegierige Schüler hängen Yassin und Fynn an seinen Lippen.

Malik verzieht den Mund zu einem arroganten Grinsen. „Hier kennt und respektiert mich jeder. Ich muss daher viel weniger manipulieren als bei euch.“

„Hört, hört ...“, wirft Fynn ironisch ein.

Malik ignoriert ihn. „Du wirst bald merken, dass dir die Freundschaft zu mir gewaltige Vorteile bringen wird ...“, ergänzt er hochmütig. „Und nein … Yassin … du wirst hier nicht die ganze Zeit durch die Gegend flattern wie ein übergroßer Gockel“, erklärt er den um Aufmerksamkeit heischenden und mit beiden Armen herumfuchtelnden Hünen. „Das ist nämlich auch in unserer Dimension nicht üblich!“

„Ooch!!“ Wie ein launisches Kind stapft Yassin einmal mit dem Fuß auf.

Unerwartet geduldig geht Malik auf ihn ein. „Wenn wir wieder mal da draußen spazieren gehen, darfst du fliegen, okay? Aber hier in der Stadt würden die Menschen ausflippen, genau wie bei euch zuhause. Unfälle würden geschehen und die Leute bekämen vor Schreck einen Herzanfall, da du keiner der bekannten Mantikore bist. Mal davon abgesehen, dass auch wir nicht durch die Gegend flattern wie aufgescheuchte Hühner!“

Yassin sieht es schließlich ein und zuckt zustimmend mit den Schultern. „Na gut, ich will ja niemandem schaden!“, lenkt er ein.

„Gut! Dann lasst uns weiter gehen. Habt ihr denn gar keinen Hunger?“ Malik dreht sich um und schlendert weiter. Währenddessen fragt ihm Yassin Löcher in den Bauch.

„Spinn' ich oder benimmt sich Malik hier ganz anders?“, flüstert Fynn Valerie zu. Sie lächelt.

„Du hast Recht“, stimmt sie ihm zu. „Er fühlt sich hier einfach wohler; das wird es sein. Ich selber spüre auch, wie ich mich verändere. Das ist wirklich schwer zu beschreiben. Hier herrscht eine andere … Energie … es fällt mir kein besseres Wort ein. Du wirst es sicher selbst bald spüren. Je länger wir hier sind, umso friedlicher und ruhiger fühlt es sich für dich an. Als würde unsere Welt versuchen, nur das Positive aus den Menschen zu holen. Natürlich sind wir nicht perfekt … doch diese unterschwellige Aggression, die es oft in den Großstädten deiner Dimension gibt – also, überall wo viele Menschen aufeinander treffen – die gibt es hier nicht. Die Menschen sind freundlich und unbedarft, bis auf ...“ Sie beißt sich verlegen auf die Unterlippe. Nein, sie will lieber nicht weiter erzählen. Wenn der Mantikor es nicht tut, steht es ihr erst recht nicht zu. Doch Fynn horcht natürlich auf.

„Was denn, Valerie? Bis auf … wen? Was?“ Fynns Alarmglocken schrillen. Er wusste doch, dass hier irgend etwas nicht stimmt.

Valerie lächelt ihn beschwichtigend an. „Ach, mein lieber Fynn. Es wird schon alles gut werden.“

„Valerie!“, warnt er sie leise. „Mach' mich nicht wahnsinnig und rück' endlich mit der Sprache raus!“

Sie schiebt ihre Hand unter seinen Oberarm und zieht ihn damit noch ein wenig näher zu sich.

„Über irgend etwas müssen die Leute doch reden“, beruhigt sie ihn. „Denn lediglich die Mantikore haben direkten Kontakt zum 'Hohen Rat'. Wir Menschen brauchen eigentlich keine Regierung oder so was. Wir leben miteinander und kommen gut zurecht. Doch der 'Hohe Rat' und die Mantikore haben ebenfalls eine Daseinsberechtigung. Es gibt sie seit Menschengedenken. Niemand würde es wagen, ihr Wirken oder ihre Entscheidungen anzuzweifeln. Es ist … kompliziert. Ich kann dir das nicht in ein paar Sätzen erklären. Sei einfach so wie du bist, dann wird schon alles gut werden, mein Junge!“

„Ich wurde gezeugt, um einmal hierher zu kommen, Valerie. Sie haben Pläne mit mir. Irgendetwas soll mit mir geschehen!“ Ein kalter Schauer läuft ihm über den Rücken. Die Frage nach dem 'Warum' verkneift er sich, denn ihm ist klar, dass Valerie genauso wenig eingeweiht wurde wie er.

Sie tätschelt weiter seinen Arm.

„Auch ich mache mir Sorgen um dich“, gesteht sie, doch ihre Stimme bleibt fest. „Aber eines darfst du nie vergessen: Dein Name ist Fynn Lichtermeer und das bedeutet in dieser Welt … unglaublich viel!“

Mehr kriegt Fynn aus seiner Freundin einfach nicht heraus. Wie kann sie nur annehmen, er würde sich auf seinen ausgefallenen Nachnamen verlassen?! Irgendwie war sie schon immer ein wenig verdreht … aber was soll's?!

Er atmet tief durch. Ja, jetzt spürt er es auch. Er fühlt sich super. Die Sonne scheint und ein laues Lüftchen streicht durch sein Haar. Es sind mindestens 20-23 Grad; sehr sehr angenehm. Auf der Straße herrscht wenig Verkehr und die paar Autos, die herumfahren, sind erstaunlich leise. Die Menschen schlendern, statt zu hasten. Die ganze Szenerie erinnert Fynn an seine Kindheit, als er alles noch mit anderen Augen sah. Die Sonne schien heller, die Vögel zwitscherten unschuldiger und sogar die Menschen waren friedlicher. Das stimmt natürlich nicht, doch als Kind empfindet man seine Umwelt eben anders.

Er streckt sich ein wenig und versucht, das Schild in ungefähr fünfzig Metern Entfernung zu lesen. Es hat auf jeden Fall große Ähnlichkeit mit dem Schild zu Hause. Doch als er näher kommt, lächelt er versonnen.

„Café Bohnen“ liest er und staunt. Na, da würde sich Mika aber wundern, grinst Fynn in sich hinein und beschließt, einen Blick ins Innere zu wagen. Vielleicht sieht dem blonden Kellner ja hier auch jemand ähnlich. Das wäre der Hammer!


Doch leider wird Fynns Vorfreude enttäuscht. Im Vorbeigehen erhascht sein Blick lediglich einige Gäste, die an den Tischen sitzen und Kaffee trinken. Im Hintergrund erkennt er eine junge Frau mit langen Haaren, die gerade an einer monströs großen Kaffeemaschine herumhantiert. Kein Mika, kein Wiedererkennungseffekt in welcher Form auch immer. Die Inneneinrichtung ähnelt so gar nicht dem 'Café Bohne' und die Gäste wirken irgendwie anders. Enttäuscht zieht Fynn eine Schnute. Was hatte er gedacht? Eine originalgetreue Reproduktion seiner Welt? Oder dass sie DOCH einfach nur nach Hause kommen würden? Der kurze Moment, in dem die Vier an diesem Café vorbeigehen, öffnet ihm endgültig die Augen. Es ist wirklich so! Seine Heimat ist weit weit weg … unerreichbar für ihn. Außerdem kann er nicht einfach in einen Zug steigen und nach Hause fahren! Die brutale Wirklichkeit zeigt ihr wahres Gesicht.

Yassin scheint die Verwirrung seines besten Freundes zu spüren. Er schiebt sich neben Fynn und legt einen seiner starken Arme um dessen Schultern.

„Erschreckend, was?“, murmelt er beipflichtend. „Aber wir haben ja noch uns, Mann! Wir beide, wir wissen, dass unser Zuhause woanders ist. Unsere gemeinsamen Erinnerungen kann uns keiner nehmen!“ Mit sanftem Druck zieht er Fynn noch etwas näher an sich heran.

 

Dieser bedankt sich mit einem beklommenen Lächeln.

„Ja, du hast Recht, Yassin! Ich bin so froh, dass du mitgekommen bist! Ohne dich wäre das alles kaum zu ertragen!“

Während sie sich leise unterhalten, folgen sie Malik den bekannten und gleichzeitig neuen Wegen in Richtung der kleinen Altstadt von Löwenherz. Lediglich an einigen Häuserfassaden erkennen sie, dass sie sich nicht in ihrer Welt befinden. Sie wurden anders gestaltet. Entweder hatte man eine andere Fassadenfarbe gewählt oder es wurden andere Fenster und Türen eingebaut.

Das Zentrum des Marktplatzes von Loewenherz bildet ein aus alten Bruchsteinen gemauerter Brunnen, der mit aus Gusseisen geschmiedeten Rosenranken und einigen Tauben verziert ist. Fynn bleibt abrupt stehen und verschränkt nachdenklich die Arme vor der Brust. Auch dieser Brunnen hier wurde wie ein mittelalterliches Zeitzeichen gemauert, doch als zusätzliche Verzierung wurden ein Lamm und ein Löwe gewählt. Das Lamm liegt zusammengekauert mit eingeknickten Vorderläufen vor dem großen Raubtier. Der riesige Löwe baut sich mit wild flatternder Mähne halb vor ihm auf. Bei seinem lautlosen Brüllen blitzen die langen Reißzähne dem Betrachter gefährlich entgegen. Beschützt oder bedroht er das wehrlose Tier? So richtig ist das nicht zu deuten.

Zuhause nennen die Einheimischen ihren Brunnen gerne „Friedensbrunnen“. Irgendwie will diese Bezeichnung hier nicht so recht passen.

„Wir nennen ihn den 'Löwenbrunnen'“, erklärt Valerie automatisch. „Wenn ich ehrlich bin, gefällt mir euer Brunnen besser“, ergänzt sie lächelnd. „Er ist viel filigraner gearbeitet.“

„Und er wirkt friedlicher“, brummt Fynn zustimmend.

„Was haltet ihr davon, wenn wir zu 'Resi' gehen?“, unterbricht Malik ihre Gedanken.

„'Bei Resi' heißt hier auch so?“, fragt Yassin begeistert.

Malik nickt. „Allerdings kann man dort auch ganz gut essen und es gibt einige Fremdenzimmer. Ganz gemütlich da. Dort können wir fürs erste unser Lager aufschlagen. Was meint ihr?“

Natürlich sind Fynn und Yassin Feuer und Flamme. Jetzt marschieren sie schon ein wenig schneller. Es dauert nicht lange und ihre vermeintliche Lieblingskneipe ist in Sicht. Die Kneipe in ihrer Dimension befindet sich in einem schon recht verfallen wirkenden Altbau. Doch bei diesem Gebäude hier wurde die Fassade liebevoll restauriert und neben der Eingangstüre hängt ein beleuchteter Glaskasten mit der Speisekarte. Fynn lässt seinen Blick darüber schweifen. Hört sich doch gar nicht so schlecht an. Sein Magen knurrt zustimmend.

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