Loe raamatut: «Makroökonomik und Wirtschaftspolitik», lehekülg 8

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2.6.1 Konjunkturpolitik auf der Grundlage keynesianischer Erklärungsansätze

Das Instrument zum Ausgleichen konjunktureller Verwerfungen, das in keynesianischen Konjunkturmodellen vielfach propagiert wird, ist die Fiskalpolitik. Als Fiskalpolitik wird diejenige Finanzpolitik bezeichnet, die darauf setzt, mittels der Gestaltung der Staatseinnahmen- und Staatsausgabenpolitik den Konjunkturzyklus bzw. dessen Schwankungen zu dämpfen. In Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern gingen die Politiker beispielsweise davon aus, dass die konjunkturelle Delle in den Jahren 2008 und 2009 Ursachen hatte, die in der keynesianischen Theorie auffindbar sind: Nachfragerückgang, Unsicherheit über die Zukunft etc. Das politische Instrument, das in einer konzertierten Aktion angewendet wurde, waren schuldenfinanzierte Konjunkturpakete. Der Staatskonsum und die staatlichen Investitionen wurden mit dem Ziel erhöht, die realen Einkommen zu steigern und damit die Kaufkraft, um schlussendlich die Nachfrage zu beleben. In Deutschland beliefen sich die im Dezember 2008 und Anfang 2009 lancierten Konjunkturprogramme auf ein Niveau von rund 50 Milliarden Euro.[38] Die erste Frage ist, ob die inländische Nachfrage aufgrund binnenwirtschaftlicher Faktoren zurückgegangen ist oder ob die inländische Depression Folge eines Nachfrageeinbruches im Ausland war und damit die inländische Exportwirtschaft betraf. Im ersten Fall kann der Staat gemäß der keynesianischen Theorie, seinen Konsum ausweiten, um die Binnennachfrage zu steigern. Im zweiten Fall kann der Staat, obschon die Theorie nach Keynes von einer geschlossenen Volkswirtschaft ausgeht, zum Ausgleich der rückläufigen Exporte Subventionen an Unternehmen bzw. Transfers zur Kaufkraftbelebung an die privaten Haushalte geben. Der Staat kann diese Maßnahmen über Steuereinnahmen finanzieren oder über eine zusätzliche Staatsverschuldung. Finanziert der Staat zusätzliche Staatsausgaben über Kredite, tritt er am Kapitalmarkt als zusätzlicher Nachfrager auf. Weil Kapital knapper wird, steigen in der Folge die Zinsen. Eine Zunahme der Staatsausgaben wirkt über den Multiplikator demnach positiv auf das Einkommen. Die Investitionen gehen allerdings wegen der höheren Kapitalmarktzinsen zurück (Akzeleratoreffekt). Einige Projekte sind nicht mehr profitabel und werden von den Unternehmen nicht umgesetzt (vgl. Abbildung 10). Da der Staat jedoch als zusätzlicher Nachfrager auch am Gütermarkt auftritt (bei |59|den Konjunkturpaketen wurde insbesondere der Infrastrukturausbau gefördert und damit die Nachfrage nach Bauleistungen angekurbelt), nimmt das gesamtwirtschaftliche Einkommen zu. Steigt das Einkommen, nimmt auch die Konsumnachfrage der Wirtschaftssubjekte zu und deren Kassenhaltung. Die zusätzliche Nachfrage auf dem Gütermarkt bewirkt steigende Preise, da das Güterangebot (zunächst) unverändert ist und die Produkte knapper werden. Die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes steigt aufgrund der Preissteigerungen. Der Zins steigt bei knapper werdendem Geld weiter. Folglich gehen die privaten Investitionen weiter zurück. Das Einkommen nimmt erneut ab und damit der Konsum etc. Ist schließlich nach den Anpassungsprozessen ein neues Gleichgewicht auf dem Gütermarkt erreicht, stabilisieren sich auch die Preise. Letztlich wird deutlich, dass die kreditfinanzierten Ausgaben des Staates die privaten Investitionen zurückgedrängt haben bzw. ersetzt haben („crowding out“). Das reale Einkommen und die Konsumnachfrage sind konstant geblieben. Ein Überbrückungseffekt hat sich gemäß der Theorie jedoch eingestellt. Finanziert der Staat zusätzliche Ausgaben im Wege der Steuerfinanzierung, müssen die Steuersätze naturgemäß angehoben oder neue Steuern erhoben werden. Dies mindert die verfügbaren Einkommen der Wirtschaftssubjekte und damit deren Konsummöglichkeiten. Die Haushalte sparen weniger, um einen Teil ihrer Konsumnachfrage weiterhin decken zu können. Der Konsumrückgang ist nicht so groß wie der Anstieg der Güternachfrage des Staates. Es kommt zu einer Überschussnachfrage und damit zu neuen Knappheitsverhältnissen mit der Folge eines steigenden Preisniveaus. Auf dem Kapitalmarkt kommt es wegen des Rückgangs der Ersparnisbildung zu einem geringeren Kapitalangebot. Unter der Annahme, dass die Unternehmen von der zusätzlichen Besteuerung nicht betroffen sind, gibt es keine weiteren Einflüsse auf den Kapitalmarkt. Gleichwohl nimmt der Zins aufgrund der Kapitalknappheit zu und die Investitionen gehen zurück. Die Anpassungsprozesse bewirken nun, dass aufgrund der Preiserhöhungen die Güternachfrage wieder zurückgeht bis sie auf das bestehende, unveränderte Güterangebot trifft. Hinsichtlich des Realeinkommens unterscheiden sich die Steuer- und die Schuldenfinanzierung nicht. Der Unterschied besteht darin, dass die Schuldenfinanzierung zu Lasten der Investitionstätigkeit der privaten Unternehmen geht, während die Steuerfinanzierung auch die Konsumnachfrage der privaten Haushalte beeinträchtigt. „Insgesamt betrachtet ist die Fiskalpolitik jedoch stabilisierungspolitisch unnötig [kursiv im Original] und (real) wirkungslos.“ (Felderer 2005, 172)

Dieses Urteil beinhaltet auch, dass theoretisch weder die Inflationsrate gedämpft, noch die Arbeitslosenquote durch fiskalpolitische Maßnahmen verringert werden kann. Gleichwohl ist für Deutschland festzuhalten, dass sowohl die ‚Abwrackprämie‘ die Aufgabe des Vorziehens von Konsum erfüllt hat, als auch die Konjunkturpakete zu einer Erwartungsstabilisierung, wenn nicht gar Erwartungsumkehr beigetragen haben. Folgende Daten weisen darauf hin, dass die fiskalpolitischen Maßnahmen nicht völlig wirkungslos geblieben sind: Im Anschluss an die Depression im Jahr 2009 mit einer Wachstumsrate des BIP von -5,6 Prozent ist die deutsche Wirtschaft 2010 wieder um 4,1 Prozent gewachsen und 2011 um 3,6 Prozent. Die Arbeitslosenquote betrug 2010 8,6 Prozent und 6,7 Prozent im Jahr danach. Die Inflationsrate belief |60|sich 2010 auf 1,1 Prozent und 2011 auf 1,9 Prozent. (Statistisches Bundesamt 2015)[39] Möglicherweise sind die im internationalen Vergleich positiven Daten auch auf die wieder anziehende Exportgüternachfrage aus dem sich erholenden Ausland zurückzuführen. Hierbei bleibt zu berücksichtigen, dass auch die wichtigsten Außenhandelspartner Deutschlands Konjunkturpakete lanciert haben.

2.6.2 Konjunkturpolitik auf der Grundlage neoklassischer Theorien

Ist der Ausgangspunkt der theoretischen Betrachtung die oben erwähnte Annahme von Friedman und Schwartz, dass eine Geldmengenexpansion im Ausland (z.B. in den USA) zu der konjunkturellen Verwerfung im Inland (z.B. Deutschland) geführt hat, dann scheinen geldpolitische Maßnahmen zur Behandlung der Symptome adäquat zu sein. Da das Inland aber die Geldmengenpolitik des Auslands nicht beeinflussen kann, ist zunächst zu schauen, was die expansive Geldmengenpolitik im Ausland bewirkt. Friedman und Schwartz haben in ihrem Modell gezeigt, dass die Folge ein Anstieg des ausländischen Einkommens ist. Im Ausland sinken darüber hinaus die Zinsen. Die Investitionen nehmen zu, so dass das Einkommen steigt, die Konsumnachfrage angereizt wird und die Preise bei zunächst konstantem Güterangebot zulegen. Die Geldmengenexpansion hat also ausschließlich Inflation im Ausland erzeugt. Realwirtschaftlich ist alles beim Alten geblieben. Nimmt man das Modell zum internationalen Konjunkturzusammenhang hinzu, so zeigt sich, dass die Inflation auch dazu geführt hat, dass die ausländische Währung gegenüber anderen Währungen abgewertet wird und das Ausland Wettbewerbsfähigkeit gewinnt. Im Inland müsste in dieser Situation die Wettbewerbsfähigkeit abnehmen. Die Exportmöglichkeiten sinken; das Einkommen, der Konsum und die Investitionen auch. Es kann im Inland zu einem Güterüberschuss mit der Folge eines sinkenden Preisniveaus kommen. Mittels einer expansiven Geldmengenpolitik der inländischen Zentralbank könnte die Erwartungsbildung stabilisiert werden. In der Krise war denn auch zu beobachten, dass die US-amerikanische Zentralbank und die EZB fast parallel die jeweiligen Geldmengen ausgeweitet haben. Allerdings befanden sich die Volkswirtschaften der USA und des Euroraumes in der Krise als die Geldmengenexpansionen von den Zentralbanken beschlossen und umgesetzt wurden. In den monetär orientierten Modellen wird jedoch davon ausgegangen, dass sich die Wirtschaften in der Ausgangslage in einem Gleichgewicht befinden. Erst die Geldmengenexpansion verhilft der Konjunktur zu einer initialen Bewegung bzw. bewirkt eine negative Konjunkturübertragung. In der depressiven Situation war es so herum betrachtet durchaus angezeigt, mittels expansiver Geldmengenpolitik die ‚traumatisierten‘ Volkswirtschaften wieder in Schwingungen zu versetzen. Bis dato zeigen sich Auswirkungen der Geldpolitik in den USA und in den Euro-Ländern: Die Inflationsrate betrug 2010 in der USA 2,4 Prozent und 2011 bereits 3,8 Prozent. In Deutschland lag die Teuerungsrate 2010 bei 1,1 Prozent und 2011 bei 2,5 Prozent.[40] Seither ist die Inflationsrate sowohl in den USA als auch in der Eurozone und in Deutschland trotz der expansiven Geldpolitik von Jahr zu Jahr mit einer Ausnahme |61|gesunken. Erst für das Jahr 2017 wird eine Zunahme der Inflationsrate auf 1,9 Prozent in Deutschland prognostiziert (SVR 2016a).

Dennoch ist zu konstatieren, dass die expansive Geldpolitik die Erwartungen der am Geld- und Kapitalmarkt tätigen Wirtschaftssubjekte stabilisiert haben könnte. Die Investitionstätigkeit ist allenthalben wieder angekurbelt worden und die Arbeitsmarktdaten stellen sich in den USA wie in Deutschland aktuell positiv dar.

Abbildung 17:

Arbeitslosenrate in den USA in Prozent (Quelle: Eigene Darstellung mit Daten von Statista 2016a und b).

Die Arbeitslosenquote betrug in den USA 2009 9,2 Prozent, 2010 9,6 Prozent und 2011 8,9 Prozent. Die aktuellen Daten weisen auf eine deutliche Erholung am Arbeitsmarkt hin. Dies passt gut zur Theorie des politischen Konjunkturzyklus’ nach Nordhaus: Zur Wahl im Jahr 2012 versuchte sich die Regierung unter US-Präsident Barack Obama mit günstigen Arbeitsmarktdaten die Wiederwahl zu sichern. Dies war erfolgreich. Im Wahljahr 2016 war die Lage anders: trotz noch positiverer Arbeitsmarktdaten, wurden die Demokraten abgewählt. Die Theorie nach Nordhaus wird wiederlegt. Offenbar gibt es viele weitere Aspekte, die die Wahlentscheidung prägen.

2.6.3 Sonstige Konjunkturpolitiken

Nachdem mit der stabilitätsorientierten Finanzpolitik bzw. Fiskalpolitik nach keynesianischem Muster und der Geldmengenpolitik im Friedman und Schwartz’schen Stil zwei Ursachentherapien als Stetigkeitspolitiken dargestellt wurden, sollten kompensatorische Konjunkturpolitiken kurz Erwähnung finden. Von besonderer Bedeutung ist die Arbeitsmarktpolitik. Mit Hilfe verschiedener Instrumente wie z.B.

 der Integration Langzeitarbeitsloser in den Wirtschaftsprozess,

 der Vermeidung von Jugendarbeitslosigkeit durch Bildungsmaßnahmen,

 der Unterstützung der Beschäftigung von Frauen z.B. mittels Erziehungsgeld, Quotenregelungen

|62|versucht der Staat gemeinsam mit den Tarifpartnern – Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden – und einer produktivitätsorientierten Lohnpolitik ein hohes Beschäftigungsniveau sicherzustellen. Diese Politik ist u.a. Gegenstand des sechsten Kapitels. Die Aufgabe der deutschen Bundesbank und seit der Europäischen Integration zu einem einheitlichen Währungsraum der Europäischen Zentralbank (EZB) ist es, die Preisniveaustabilität zu sichern. Der EZB stehen verschiedene geldpolitische Instrumente zur Verfügung, um für die Einhaltung dieses priorisierten Zieles Sorge tragen zu können. Diese geldpolitischen Maßnahmen sind Gegenstand des vierten Kapitels.

2.7. Fazit

Die Schwankungen des BIPs um einen Wachstumstrend herum werden als Konjunktur bezeichnet und eine Reihe von empirischen Untersuchungen sowie theoretischen Modellen sollen einen Beitrag zur Erklärung leisten, wann die Wirtschaft auf einen Aufschwung zusteuert, wann ein Abschwung droht, wie stark und lange der Boom ausfallen wird etc. Es wird also extrapoliert und prognostiziert und am Ende wirken so viele Faktoren auf z.B. die Entwicklung der deutschen Wirtschaft ein, dass nicht mehr genau herauskristallisiert werden kann, was nun Ursache und was Wirkung bestimmter Aktivitäten ist und war. Insofern bleibt es die Aufgabe der Unternehmer, sich mit den Faktoren, die ihre Unternehmung beeinflussen, vertraut zu machen, diese zu beobachten und auf der Basis der eigenen Erfahrungen Entscheidungen zu fällen. Dabei mögen die hier vorgestellten empirischen und theoretischen Ansätze einen wichtigen Beitrag leisten. Sie helfen zudem dabei, die Vorgehensweise der Wirtschaftspolitiker verstehen und gegebenenfalls im Voraus abschätzen zu können. Es gibt jedoch nicht die eine Wahrheit, sondern eine Gemengelage von Situationen, die jeweils tagesaktuell neu zu beurteilen sind. Die Auswirkungen der Bekanntgabe, dass die OPEC die Fördermengen für Rohöl ausweitet, gehören beispielsweise zu den Nachrichten, die auf den Märkten Aktivitäten mit weitreichenden Folgen für energieintensiv produzierende Unternehmen mit sich bringen.

[Zum Inhalt]

|63|Kapitel 3: Welche Rolle hat der Staat?
3.1 Wieviel Staat ist nötig?

In Abhängigkeit der Wirtschaftsordnung obliegen dem Staat mehrere oder nur einige Aufgaben und damit Ausgaben sowie die Notwendigkeit der Einnahmengenerierung. Während in den USA die Marktordnung bis dato als liberale Marktwirtschaft zu bezeichnen war, wird Schweden als Wohlfahrtsstaat mit weitreichenden Eingriffen des Staates in die Wirtschaftsaktivitäten der Menschen bezeichnet. Zwischen diesen beiden Wirtschaftsordnungen ist die Soziale Marktwirtschaft Deutschlands zu positionieren. Die Soziale Marktwirtschaft geht auf Ludwig Erhard (1897–1977) bzw. auf die Idee des Kölner Professors für Nationalökonomie Alfred Müller-Armack (1901–1978) zurück, wobei Elemente wie die umlagefinanzierte Krankenversicherung bereits 1883, die Rentenversicherung 1889 von Otto von Bismarck (1815–1898) institutionalisiert wurden.[41] Die Soziale Marktwirtschaft ist ein gesellschafts- und wirtschaftspolitisches Leitbild mit dem Ziel, „auf der Basis der Wettbewerbswirtschaft die freie Initiative mit einem gerade durch die wirtschaftliche Leistung gesicherten sozialen Fortschritt zu verbinden.“ (Müller-Armack, 1976)

Was meinen wir heute mit ‚Sozialer Marktwirtschaft‘? Genauer: Wo sehen junge Studierende den Staat in der Pflicht? Welche Aufgaben obliegen dem Staat in einer demokratischen Volkswirtschaft? Sollten wir es mit John F. Kennedy (1917–1963) halten, der 1963 in Berlin sagte: „Ask not what your country can do for you – ask what you can do for your country.“ Oder sollten wir vom Staat erwarten, dass der Einzelne bei Bedürftigkeit von der Gesellschaft alimentiert wird?

3.2 Aufgaben und Grundsatzpositionen der Finanzpolitik

Die Benennung der Aufgaben des Staates erfolgt im demokratischen Prozess, z.B. in einem Koalitionsvertrag (Große Koalition 2013). Nur im Idealfall spiegelt ein Koalitionsvertrag wider, was in den Parteiprogrammen der beteiligten Parteien während des |64|Wahlkampfes proklamiert wurde. Damit die vereinbarten, geplanten Aufgaben umgesetzt werden können, müssen die Einnahmen für alle Ausgabenkategorien durch den Staat im Budget veranschlagt werden. So hieß es z.B. im März 2015 im Monatsbericht des Bundesfinanzministeriums: „Der Entwurf des Nachtragshaushalts 2015 und die Haushaltseckwerte für die Jahre 2016 bis 2019 setzen die zentrale haushaltspolitische Vorgabe des Koalitionsvertrags um: Der Bundeshaushalt wird in allen Jahren ohne neue Schulden ausgeglichen.“ (Bundesministerium der Finanzen 2015). Schaut man sich einen Haushaltsplan an, so ist schnell zu erkennen, für welche Aufgaben unser Steueraufkommen genutzt wird. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales weist die größte Bedeutung auf. Auf der Einnahmeseite sind die Einkommen- und Lohnsteuer sowie die Mehrwertsteuer die aufkommensstärksten Steuern. Zu den Ausgaben und Einnahmen des Staates kommen wir in den folgenden Abschnitten. Zunächst wollen wir mit der Brille des Ökonomen auf die originären Aufgaben des Staates schauen. Die ökonomische Sichtweise verleiht dem Staat Aufgaben im Bereich der Allokation, der Distribution sowie der Verteilung.

3.2.1 Allokation

Unter Allokation verstehen wir die Lenkungen der Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital, Boden und Wissen. Idealerweise werden diese Produktionsfaktoren immer in ihre optimale, d.h. wirtschaftlichste Verwendung gelenkt. Der Traktor ist dann verfügbar, wenn der Bauer ernten muss. Möchte ein Unternehmer in eine Innovation investieren, hat er Zugang zu Kapital. Die ständig überfüllte Autobahn muss erweitert werden. Wird auf dem Arbeitsmarkt eine bestimmte Qualifikation in besonderer Weise nachgefragt, wie z.B. Sprachlehrer für die Qualifizierung Zugewanderter, dann können diese an den Orten, an denen sie benötigt werden, eingesetzt werden. Ist die Allokation nun grundsätzlich eine Aufgabe des Staates? Können nicht privatwirtschaftliche Unternehmen dafür Sorge tragen, dass die Allokation reibungslos läuft? Die privaten Unternehmen werden die Aufgaben immer dort erfüllen, wo Gewinne gemacht werden können. Wo es seitens der Konsumenten eine Zahlungsbereitschaft für eine Leistung gibt, sollen Private aktiv werden. Der Bauer sowie der Investor sind Beispiele dafür. Wie sieht es jedoch mit der Autobahn aus? Bin ich als Nutzer der Autobahn bereit, etwas dafür zu bezahlen, dass ich morgens und abends nicht im Stau stehe? Wie hoch ist meine Zahlungsbereitschaft? In dem Augenblick, in dem mehrere Nutzer freien Zugang zu einer Leistung haben, möchte der Einzelne seine Zahlungsbereitschaft nicht mehr benennen, da er nicht weiß, ob er mehr oder weniger als die anderen Nutzer zahlt. Die Aussicht auf eine Autobahn ohne Stau führt darüber hinaus dazu, dass es keine Rivalität zwischen den Autofahrern gibt. Ein Mangel an Rivalität im Konsum in Verbindung mit einem Mangel an Ausschließbarkeit vom Konsum führt dazu, dass ein privates Unternehmen eine Leistung nicht anbieten wird. Es ist nicht kalkulierbar, wie hoch die Erlöse sein werden. Es liegt ein öffentliches Gut vor. Wie sieht es mit dem Beispiel der Qualifizierung Zugewanderter aus? Nur in Einzelfällen dürfte hier eine Zahlungsbereitschaft vorliegen, zumal die Voraussetzung für den Einkommenserwerb die Qualifizierung ist. D.h. private Unternehmen werden die Aufgabe nicht wahrnehmen wollen. Hat der Staat jedoch beschlossen, dass Zuwanderung |65|gewünscht ist und die Integration der Menschen in unsere Gesellschaft für alle Mitglieder der Gesellschaft als notwendig anzusehen ist, dann kann die Qualifizierung aus Steuermitteln finanziert werden. Nun gibt es wieder einen Preis für die Leistung, so dass private Unternehmen die Durchführung der Aufgabe übernehmen werden. Dieser Preis wird vom Staat festgelegt und ergibt sich damit nicht am Markt.

Wir können festhalten, dass der Staat die Aufgabe hat, den Umfang und die Struktur der Bereitstellung öffentlicher Güter zu übernehmen. Das bedeutet nicht, dass der Staat die Durchführung umsetzen muss. Jedoch sind diese Güter und Dienstleistungen aus Steuermitteln zu finanzieren. Dies gilt im Prinzip nur für Güter und Leistungen, bei denen das Nicht-Ausschließbarkeitsprinzip und das Nicht-Rivalitätsprinzip voll anwendbar sind.

Ein Beispiel dafür ist die innere Sicherheit. Niemand ist ausschließbar vom Nutzen aus z.B. der Arbeit des Bundesgrenzschutzes und es stört niemanden, dass sein Nachbar den gleichen Nutzen aus dem Angebot der inneren Sicherheit zieht. Es gibt nicht viele reine öffentliche Güter. In den meisten Fällen handelt es sich bei den Gütern und Leistungen, die heute vom Staat bereitgestellt werden, um Produkte, die aus Sicht der Gesellschaft von den Bürgern konsumiert werden müssen. Beispiele sind hier die frühkindliche Erziehung in Kindertagesstätten, die Schulpflicht, der Anschluss- und Benutzungszwang bei den kommunalen Ver- und Entsorgungsleistungen etc. Hier wird der Staat aktiv, weil er eine gesetzliche Pflicht begründet hat und sich damit sogar ermächtigt fühlt, die Durchführung der Aufgabe zu übernehmen. So baut und betreibt der Staat, genauer die Kommunen, Kindertagesstätten und Schulen, Leitungsnetze und Abwasseraufbereitungs- sowie Trinkwasserversorgungsanlagen.

Unmittelbar verbunden mit leitungsgebundener Infrastruktur ist die Tatsache, dass keine Rivalität im Konsum sowie ein Anschlusszwang vorliegen. Das bedeutet, dass sich ein Nutzer der Infrastruktur nicht dadurch gestört fühlt, dass es weitere Nutzer gibt. Zudem ist es für den Anbieter der – in diesem Fall nicht-leitungsgebundenen – Infrastrukturleistung schwierig, potenzielle Nutzer vom Konsum der Güter „öffentlicher Park“ oder „Straßenbeleuchtung“ auszuschließen. Das resultierende Problem ist, dass private Unternehmen nicht willens sind, Güter bereitzustellen, für die die potenziellen Konsumenten keine Zahlungsbereitschaft äußern. Die gebaute Straße – sofern ein freier Zugang zu dieser besteht und keine Mautstation daran hindert – wird von jedem auf ihr Fahrenden genutzt, ohne dass dieser zumindest bis dato in Deutschland überlegt, wie viel Geld er bereit wäre, für die Nutzung zu zahlen. Im Gegenteil, manch einer wird denken, dass keine weiteren Kosten anfallen, wenn er die Straße neben einer Vielzahl weiterer Auto-, Lastwagen- sowie Motorradfahrer nutzt, da die Straße bereits gebaut worden und vorhanden ist. Also muss er keinen Preis zahlen.

Auf diese Weise wird das einzelne Wirtschaftssubjekt gelegentlich zum sogenannten ‚Trittbrettfahrer‘. Für ein privates Unternehmen würde es zum wirtschaftlichen Ruin führen, wenn nicht eine Möglichkeit bestünde, den freien Zugang zur Nutzung zur regulieren bzw. im Wege alternativer technischer Methoden einen Preis für die Nutzung bestimmter Streckenabschnitte zu verlangen. Demnach scheint die Bereitstellung der leitungsgebundenen Infrastruktur und hier nicht nur der Verkehrswege sondern im Besonderen der Energie- und Wasserversorgung sowie -entsorgung, die |66|von besonderer Bedeutung für die Ansiedlung von Unternehmen ist, eine Aufgabe des Staates zu sein. Dies wiederum bedeutet keineswegs, dass die öffentlichen Hände die Infrastruktur planen, bauen und finanzieren müssen. Im Gegenteil, allein die Finanzierung über Steuermittel, Gebühren oder zusätzliche Staatsverschuldung sind aus ökonomischer Sicht unter bestimmten Bedingungen zu rechtfertigen. Planung und Bau sollen im Wege der Vergabe an private Unternehmen ausgelagert werden. Die aktuelle Diskussion um die PKW-Maut, die auf deutschen Fernstraßen erhoben werden soll, um die Finanzierung der Sanierung bzw. des Neubaus der Fernstraßen zu ermöglichen, geht in eben diese Richtung.[42] Nach wie vor wird das deutsche Maut-Thema auf EU-Ebene besprochen: „EU wird noch im Juni gegen Pkw-Maut klagen – Die EU-Kommission wird voraussichtlich schon am 18. Juni ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen der Pkw-Maut einleiten. Brüssel will Dobrindt’s Projekt schnellstmöglich stoppen. […]Überraschend schnell hat Bundespräsident Joachim Gauck am Montag das Gesetzespaket zur Einführung der Infrastrukturabgabe auf deutschen Fernstraßen unterzeichnet, obwohl zahlreiche Juristen schwere europarechtliche Bedenken wegen einer möglichen Diskriminierung von Ausländern geäußert hatten.“ (Kammann 2015)

Die Frage bleibt: In welchem Umfang ist die staatlich finanzierte Infrastruktur bereitzustellen? Da die Wirtschaftssubjekte ihre Zahlungsbereitschaft nicht äußern, kann eher auf dem Wege der demokratischen Wahlverfahren versucht werden, herauszufinden, wie viel Infrastruktur der Bürger wünscht. Allerdings gibt es auch hier Nachteile. Es können nicht konsistente Wahlergebnisse auftreten[43], so dass schließlich nicht die für alle Steuerzahler optimale Infrastruktur bereitgestellt wird. Zudem ist fraglich, ob viele Wähler an der Wahl teilnehmen, zumal sie nur dann teilnehmen wollen, wenn sie das Ergebnis beeinflussen können. Dies ist bei relativ großen Gruppen je nach Wahlverfahren (z.B. Mehrheitswahlrecht) nicht zwangsläufig der Fall. Eine geringe Wahlbeteiligung beinhaltet auch, dass nicht das optimale Wahlergebnis erreicht wird. Kleine Gruppen können ihre Präferenzen besonders gut durchsetzen.[44] Insgesamt ist hinsichtlich der Nutzung öffentlicher Güter wie z.B. der leitungsgebundenen Infrastruktur ein aus Unternehmer- bzw. Konsumentensicht optimales Angebot nicht möglich.

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